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Lediglich eine Stimme Mehrheit haben Rot-Grün und Südschleswigscher Wählerverband. Doch bei der Wahl fehlt die eine Stimme plötzlich ? und bis heute weiß man nicht, wer der Abweichler aus den eigenen Reihen war. Musikakzent (Regie: bitte besorgen) ganz kurz, nur als Klammer für die Ansage, unter O-Ton 2 dann wieder raus) Sprecher/in vom Dienst: Feind, Todfeind, Parteifreund? Politik und Intrige Eine Sendung von Ulrike Köppchen O-Ton: Heide Simonis Ich bin richtig neugierig, wer das geschafft hat: viermal hintereinander, verfolgt von Kameras, die waren ja ziemlich auf die Gesichter der einzelnen Abgeordneten, die da zur Stimmabgabe gerichtet, und darf man nicht blinzeln und nicht dies machen und nicht lächeln und nicht zu traurig und nicht sonst was gucken. Das muss schon jemand sein mit großen schauspielerischen Fähigkeiten. Sprecherin: Ziemlich genau sieben Jahre nach dem schwarzen Donnerstag ihrer politischen Karriere sitzt die Ex-Politikerin Heide Simonis in einer Talkrunde beim Fernsehsender Phoenix, spricht über ihre Enttäuschung und darüber, dass es oftmals leichter sei, Freundschaften mit Angehörigen anderer Parteien zu pflegen als mit Personen aus dem eigenen politischen Lager. Bei denen müsse man doch sehr vorsichtig sein: O-Ton: Heide Simonis Ich glaube, es läuft immer nach dem gleichen Muster ab: Man wird etwas und aus der Gruppe heraus sagen die alle: prima! Man gehört zu denen, der es geschafft hat. Dann gibt es die erste Kritik: dies war nicht gut, jenes war nicht gut, der erste Zeitungsartikel, der so trieft, und dann merkt man auf einmal das Surren. Das Messer. Sprecherin: Dass es oftmals die eigenen Leute sind, die hinterrücks das Messer wetzen, hat bereits Franz Josef Strauß mit seiner zynischen Steigerung ?Feind, Todfeind, Parteifreund? zum Ausdruck gebracht. Ein ähnlich geflügeltes Wort wird Kurt Biedenkopf zugeschrieben, von 1990 bis 2002 Ministerpräsident von Sachsen: ?Intrigen sind das Nebengeräusch der Politik.? O-Ton: Kurt Biedenkopf Ob das von mir ist, weiß ich nicht. Aber ich finde es gut. Ich glaube, wenn Sie längere Zeit in der Politik sind, können Sie das gar nicht vermeiden, denn das ist eine menschliche Eigenschaft. Sprecherin: Überall da, wo es um Macht geht, stößt man auf Intrigen, sagt Kurt Biedenkopf. Und letztlich geht es fast überall um Macht: O-Ton: Kurt Biedenkopf Ich erinnere mich an ein langes Gespräch, was ich vor vielen, vielen Jahren mit meinem Fahrer hatte, der sich bitter über die Intrigen in seinem Kegelclub beschwerte, weil er gerne Präsident geworden wäre und der Intrigen wegen ist diese Präsidentschaft jemand anderem zugesprochen worden. Bühnenszene: Shakespeare ?Julius Cäsar? 1. [O-Ton: Kurt Biedenkopf Ich hab noch mal nachgesehen, wie Intrige definiert wird. Ganz verschieden im Übrigen, aber im Prinzip sind es Machenschaften oder Kabalen, wie das früher hieß, in denen sich Leute zusammentun, um ein Ziel zu erreichen gegen andere. Und zwar so, dass sie nicht offen dafür verantwortlich gemacht werden.] Sprecherin: Verschwörung, Verrat, Hinterlist und Verkleidung ? das ist der Stoff, aus dem Mythen und Dramen sind, von Homer bis Shakespeare oder Schiller. Vor allem bei Shakespeare erscheint Politik als großes Theater: an den Königshöfen wird gemeuchelt, gemordet und sich verschworen. Im Vergleich zu diesen komplizierten Plots nehmen sich die Intrigen der heutigen Politiker sehr schlicht und einfallslos aus. O-Ton: Regina Michalik Häufig läuft das relativ spontan. Also da setzen sich drei zusammen am Biertisch: lass uns mal Tacheles reden, was willst du, was willst du, was willst du, aha, der Kurt Beck stört da, wie machen wir das, dann machen wir das über die Presse, das ist doch ganz schlau, das nicht selber zu verkünden. O-Ton: Kurt Beck Wir haben recherchiert und dabei ist deutlich geworden, dass den Medien bewusste Fehlinformationen zugespielt worden sind? O-Ton: Regina Michalik Also, insofern ist es längst nicht immer ein lang gehegter Plan mit Alternative A und B, was ist wenn B nicht funktioniert, was mache ich als nächsten Schritt, also, wie ein wirklich gutes Schachspiel, wo ich mir vorher jeden Zug überlege und gleichzeitig überlege, was ist, wenn der Gegner ihn durchschaut hat. Das läuft leider bei den meisten Intrigen nicht, leider deshalb, weil wenn man Intrigen etwas abgewinnen kann, wenn man sie gerne beobachtet, dann hat man gern gut konstruierte und gut und langfristig durchdachte Intrigen mit unterschiedlichen Optionen und die gibt es relativ selten. Sprecherin: Regina Michalik, frühere Politikerin der Grünen. Heute arbeitet die gelernte Psychologin als Mediatorin und berät außerdem als ?Intrigencoach? Menschen aus Politik und Wirtschaft, die Opfer von Intrigen wurden. Nur wenige der Bonner, Berliner oder Münchner Intrigen haben Bühnenreife ? am ehesten wohl noch die sogenannte Guillaume-Affäre, die 1974 den Rücktritt von Bundeskanzler Willy Brandt auslöste. O-Ton: Willy Brandt Erklärt Rücktritt Sprecherin: Bis heute ranken sich Mythen und Legenden um den Rücktritt Willy Brandts, nachdem am 24. April 1974, Günter Guillaume, einer von Brandts Referenten im Kanzleramt, als DDR-Spion verhaftet wurde. Denn die Behörden wussten bereits seit Mitte 1973 von Guillaumes Agententätigkeit, griffen jedoch nicht ein. O-Ton: Regina Michalik Wenn man aber der Meinung ist, dass politische Gegner Willy Brandts die Geheimdienste, die Nachrichtendienste benutzt haben und sie dazu gebracht haben, dass sie so lange warten, bis dann die Bombe im entsprechenden Moment platzt, wo man nichts mehr dagegen machen kann, dann wäre es eine Intrige. Sprecherin: Auch in der CDU der Bonner Republik war man keinesfalls zimperlich, wenn es um Intrigen ging. Davon kann etwa Kurt Biedenkopf ein Lied singen, in den 80er Jahren Vorsitzender des neu gegründeten CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Allerdings nur für kurze Zeit. Dass es sich damals um eine Intrige gehandelt habe, sei inzwischen nachgewiesen, betont Kurt Biedenkopf: O-Ton: Kurt Biedenkopf Die Intrigen gingen ganz eindeutig von Kohl aus und sollten und haben auch verhindert, dass sich in Nordrhein-Westfalen eine eigenständige politische Führung der CDU etablieren kann, mit der Folge, dass die CDU abgesehen von der Rüttgers-Episode heute im 30-Prozent-Turm sitzt. Aber für Helmut Kohl war es ganz offensichtlich wichtig, dass der stärkste Landesverband von Leuten geführt wird, die ihm voll ergeben sind und auch keinerlei politische Ansprüche an die Bundesführung stellen. Sprecherin: Was man von dem Intellektuellen und Wirtschaftsprofessor Biedenkopf nicht sagen konnte. Und der deshalb, so sagt er, auf Betreiben Kohls erst als CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 1985 verhindert und zwei Jahre später dazu gezwungen worden sei, den Landesvorsitz der Partei niederzulegen. O-Ton: Kurt Biedenkopf Ich fühlte mich von Helmut Kohl am meisten in die Irre geführt, als ich mit meinem Assistenten damals ihn im Kanzleramt besucht habe. Er hätte mir da nur sagen können: Kurt, ich bin nicht der Meinung, dass du da Ministerpräsidentenkandidat werden solltest? Das hat er aber nicht, sondern er hat mich reinlaufen lassen. Sprecherin: 1987 schien Kurt Biedenkopf politisch weitgehend am Ende zu sein. O-Ton: Kurt Biedenkopf Wissen Sie, was ich gemacht habe? Ich hab mich wieder meinem Beruf zugewendet, hab sehr gut verdient, hab schon in der Zeit vorher ein Buch geschrieben, bin dann als die Mauer fiel, nach Leipzig gefahren, und dort hat mir Masur empfohlen, eine Gastprofessur anzunehmen? Sprecherin: ? bis im Sommer 1990 die sächsische CDU einen Spitzenkandidaten für die anstehende Landtagswahl suchte? O-Ton: Kurt Biedenkopf Als ich gefragt wurde, ob ich Ministerpräsident werden würde, wenn man mich nominiert in Sachsen, habe ich drei Bedingungen gestellt. Die erste war, dass ich überzeugend nominiert werde, die zweite war, dass ich bei dem Kabinett meine Personalentscheidungen selber treffen konnte und keine Liste vorfände, und der dritte Punkt war: Bei Intrigen gehe ich. Bühnenszene ?Shakespeare Julius Cäsar? Sprecherin: Nicht immer war die Intrige so schlecht angesehen wie heute: Bei den Griechen der Antike etwa galt die Fähigkeit zu List und Täuschung noch als Göttergabe, perfekt verkörpert in der Gestalt des ?klugen und listenreichen? Odysseus. Und auch in späteren Jahrhunderten hatte die Intrige ein moralisches Doppelgesicht: Mal war sie negativ besetzt als Sinnbild übler Täuschung gegenüber ?ehrlicher? Gewalt, immer wieder wurde sie aber auch als rettender Ausweg aus Not und Tyrannei präsentiert ? ?humane? List gegen brutale Gewalt. Nicht umsonst ist die Bühnengeschichte voll von Komödienintrigen, mit denen auf teilweise abenteuerlichen Wegen die richtigen Liebespaare zusammengeführt und die falschen getrennt werden. Inzwischen ist das spielerische Element bei Intrigen jedoch völlig in den Hintergrund getreten: Intrigen sind heute eindeutig negativ bewertet - so etwas macht man nicht! ? und mehr und mehr ein Synonym für dunkle Machenschaften und schmutzige Geschäfte in der Politik schlechthin. Zitator: ?Ich kann also auf dich zählen, wenn es zum Schwur kommt?? Wächter zögerte nur kurz, aber er zögerte. Dann schlug er in Bitters ausgestreckte Hand ein. Der Pakt war besiegelt. Zwei in die Jahre gekommene Parteigrößen gegen den Emporkömmling. Bitter bat um die Rechnung und ließ sich aus alter Gewohnheit den Beleg geben. Warum selber zahlen, wenn es die Partei übernahm?? Sprecherin: Aus dem Kriminalroman ?Der Spitzenkandidat? der Hannoveraner Ministerialrätin Bettina Raddatz. O-Ton: Bettina Raddatz Ich bin in der Staatskanzlei lange tätig gewesen, bin auch offiziell noch bis zum 30. Juni dieses Jahres dort tätig, ich habe das europäische Informationszentrum Niedersachsen aufgebaut fürs Land und geleitet und vorher war ich lange Jahre Mittelstandsbeauftragte des damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und noch in anderen Bereichen tätig, und ich habe vor fünf Jahren beschlossen, meinen Lebenstraum endlich mal anzupacken mit Mitte 50 und Romane zu schreiben. Zitator: Er war zufrieden. Und falls Wächter doch noch umfallen würde, würde er eben die Königskarte ziehen. Auch er war in den letzten Wochen nicht untätig geblieben, hatte sich intensiv mit den dunklen Seiten des Spitzenkandidaten beschäftigt. Abgründe, die Stein bislang mit Geschick im Verborgenen gehalten hatte, hatten sich aufgetan. Die Sache mit dem Passwort zu seinen, Bitters Dateien, das Stein sich mit unlauteren Methoden verschafft hatte zum Beispiel. Nicht zu vergessen, dass Stein einen Schnüffler auf ihn angesetzt hatte. Wenn das herauskäme, würde es den Parteifreunden gar nicht gefallen. Mit Genugtuung stellt er sich Steins entsetztes Gesicht vor, sollte er ihn irgendwann vor vollendete Tatsachen stellen.? Sprecherin: Bettina Raddatz ist nicht die einzige Angehörige des Politikbetriebs, die Politkrimis schreibt. Auch der ehemalige Kanzleramtschef von Willy Brandt, Horst Ehmke, versucht sich seit seiner Pensionierung als Autor von Kriminalromanen, doch wird nirgendwo der Politikbetrieb so hart und im Ton so realistisch angegangen wie bei Bettina Raddatz. O-Ton: Bettina Raddatz Insbesondere im Roman ?Staatskanzlei? würde ich sagen, ist sehr viel Realistisches drin, und natürlich, das wissen wir doch alle, sag ich doch nichts Neues, spielen Intrigen in der Politik eine besondere Rolle. Das hängt damit zusammen, dass Menschen, die sich entscheiden, ein politisches Spitzenamt anzustreben, oftmals Menschen sind, die durch ein ganz besonders hohes Bedürfnis nach Anerkennung geprägt sind. Das hab ich in der Politik relativ häufig erlebt, dass gerade Menschen, die nach Spitzenämtern streben, wirklich nur noch sich selbst sehen und wie sie dieses Ziel erreichen und alles andere um sich herum ausblenden (reißt ab) Sprecherin: Während Bettina Raddatz? erster Roman ?Der Spitzenkandidat? von der Kritik weitgehend ignoriert wurde, traf das Anfang März, kurz nach dem Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff erschienene Buch ?Die Staatskanzlei? den Nerv der Zeit. Von taz bis FAZ spiegelten Berichte und Rezensionen vor allem eins wider: das pauschale Misstrauen, das den vermeintlich allesamt kungelnden, mauschelnden und intriganten Politikern derzeit aus der Bevölkerung entgegenschlägt. O-Ton: Bettina Raddatz Alle, die sagen, dass ich nur Klischees bediene und meine Romane völlig unrealistisch sind, sagen nicht die Wahrheit. Viele Leser sagen, sie finden deshalb meine Krimis so gut, weil sie eben zusätzlich zu einer unterhaltsamen Geschichte etwas aus dem Politikbetrieb erfahren, was sie vorher so nicht wussten oder so nicht wahrgenommen haben, weil sie jetzt manches auch besser verstehen. Die andere Seite ist aber auch ein beredtes Schweigen, ein großes Schweigen in der Politik, es gibt fast keine Politiker, obwohl ich ja selbst qua Amt viel mit Politikern zu tun hatte und immer wieder auch mit denen kommuniziert hab ? man tut einfach so, als ob es die Kriminalromane nicht gibt, und das bestätigt für mich, dass ich offenbar da durchaus in das Innere getroffen habe, denn warum reagieren Politiker wie sie reagieren, eher abwehrend, eher negativ? Musikakzent Collage Schlagzeilen zu Intrigen? Musikteppich darunter und nach ein paar Beispielen Schnipsel übereinanderlegen, bis es in einer Kakophonie endet) Vatikan-Intrige gegen Benedikt XVI. ? Könnte der Papst abdanken?// Spitzelaffäre bei der Bahn. Mehdorn wittert politische Intrige// Dominique Strauss-Kahn: War alles ein Komplott?//Alice Schwarzer: ?Mich weht die Intrige an?// Steckt hinter Lolita-Gate eine politische Intrige?//Olympia-Bewerbung: Intrige gegen Istanbul So wurde Willy Brandt zum Intrigenopfer// Nordkorea bezeichnet Verabschiedung der UN-Resolution über Menschenrechte als politische Intrige// FDP wittert im Vorratsdaten-Streit Intrige der Union (irgendwann Sprecherin darüber und wegblenden) Sprecherin: Das ?Nebengeräusch der Politik? ist in den letzten Jahren lauter geworden. Kaum eine Woche, in der nicht irgendeine Zeitung von irgendwelchen Intrigen berichtet. So entsteht mehr und mehr der Eindruck, der gesamte Politikbetrieb sei ein einziger Intrigenstadel. Sehr zum Ärger von Kurt Biedenkopf: O-Ton: Kurt Biedenkopf (verärgert) Das ist eine menschliche Eigenschaft und es ist billig, diese menschliche Eigenschaft so auf Politiker zu projizieren, dass die Politiker ein besonderes zusätzliches Handicap überwinden müssen, um glaubwürdig zu sein. Diese Fokussierung auf Politik ist falsch und die mache ich nicht mit? O-Ton: Markus Kurth Ich würde mir wünschen, Medien würden auch mehr über meine Sachthemen berichten und nicht immer nur, wie man mit dem Spitzenkandidaten A oder der Kandidatin B zurechtkommt. Das Problem bei den Journalisten ist halt, dass die selber oft nicht die Zeit oder die Lust haben, sich in Sachthemen einzuarbeiten und dann lieber über Personalkonstellationen und Ränkespiele schreiben, weil das einfacher nachzuvollziehen und dadurch entsteht in der Öffentlichkeit vielleicht auch der Eindruck, das sei hier gang und gäbe, dass man sich gegenseitig in die Hacken tritt und mobbt und Intrigen schmiedet, aber das ist ein Zerrbild, würde ich sagen. Sprecherin: Der Bundestagsabgeordnete Markus Kurth von den Grünen. Im Grunde weiß man recht wenig darüber, ob die Intrigen, die an die Öffentlichkeit kommen, spektakuläre Einzelfälle sind oder nur die Spitze des Eisbergs. Der Politikwissenschaftler und Psychologe Thomas Kliche, Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal: O-Ton: Thomas Kliche Wir haben keine Daten oder Beobachtungen über die Häufigkeit von Intrigen, aber sie waren dysfunktional und sie sind auch heute noch dysfunktional und mit hohen Kosten verbunden. Auch ein hilfloser oder angeschlagener Politiker wird das nur machen, wenn er sicher ist, es ist eigentlich sowieso zu Ende. Man könnte die Frage stellen, ob die Viererbande, die Ypsilanti zu Fall gebracht hat, möglicherweise aus Personen bestand, für die klar war, es ist so oder so für uns kein Weg in der Politik, den wir weitergehen können, das heißt, sie hatten so oder so nichts mehr zu verlieren. Sprecherin: Zwar gibt es für diese Annahme wenig Anhaltspunkte, aber für ihre Intrige teuer bezahlt haben die vier SPD-Abgeordneten allemal, von denen drei erst am Tag vor der Ministerpräsidentenwahl 2008 die Bombe platzen ließen: wir wählen Andrea Ypsilanti wegen der geplanten Tolerierung von Rot-Grün durch die Linkspartei nicht! Obwohl es bereits Wochen vorher entsprechende Pläne gab, wie der Journalist Volker Zastrow von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bei seinen Recherchen herausgefunden hat. Die vier Abweichler wurden gnadenlos von den Parteigremien abgestraft, keiner von ihnen bekleidet heute noch ein politisches Amt. Intrigen lohnen sich einfach nicht, meint Thomas Kliche. O-Ton: Thomas Kliche Wenn Sie Politik machen, dann wollen Sie was gestalten. Sie wollen vielleicht auch die eigene Karriere gestalten, aber auch dazu brauchen Sie Bündnisse. Sie brauchen immer andere Menschen, die Sie nach oben tragen, die Sie mittragen und die Ihre Ideen mittragen. Das heißt, diese Menschen müssen Ihnen vertrauen. Sie müssen einen Vertrauensvorschuss generieren, sonst können Sie in der Politik gar nichts machen. Wenn Sie intrigieren, dann verschwindet die Möglichkeit, solche Bündnisse zu bilden und Vertrauen zu gewinnen, weil Sie an Berechenbarkeit einbüßen. Sprecherin: Außerdem eigneten sich Intrigen nur für bestimmte Aufgabenbereiche. O-Ton: Thomas Kliche Sie können mit einer Intrige Personen wegkicken, sie können Personen abschießen, sie können den Aufstieg von Personen verhindern, aber Sie können keine Programme gestalten. Sie können so was wie die Energiewende nicht mit Intrigen herbeiführen, dafür brauchen Sie Bündnisse. Das heißt, für die wichtigsten Aufgaben der Politik ist dieses Mittel von vornherein außerordentlich ungeeignet. Auch deshalb wird es allenfalls selten verwendet werden. Sprecherin: Wenn sich gleichwohl das Bild vom Intrigenstadel hartnäckig in den Köpfen hält, dann deshalb, weil es allen Beteiligten sehr gelegen kommt, meint Thomas Kliche: den Medien, den Bürgern und nicht zuletzt den Politikern selbst, für die es oft bequemer ist, sich zum Intrigenopfer zu stilisieren als eigene Fehler einräumen zu müssen. Sie sind mit Schuld daran, dass der Begriff ?Intrige? inzwischen inflationär gebraucht wird, kritisiert auch die Psychologin und Ex-Politikerin Regina Michalik. O-Ton: Regina Michalik Das sind letztlich häufig die Fehler einzelner Politiker, die sich überschätzen, die ihre Achillesferse nicht kennen und die dann sagen und groß schreien: Intrige, Intrige, aber letztlich sind es ziemlich alltägliche Angriffe, auf die sie sich hätten vorbereiten können. Sprecherin: Doch auch die Öffentlichkeit profitiert in gewisser Weise davon, wenn solche ?alltäglichen Angriffe? zur Intrige gemacht werden. Thomas Kliche: O-Ton: Thomas Kliche Für die Konsumenten der Medien hat der Intrigenstadel natürlich unglaubliche Vorteile. Erstens: Die sind die Bösen, wir sind die Guten, können also abspalten. Zweitens: ich darf auch. Wenn die so böse sind, dann ist es ja nicht so schlimm, wenn ich dem Kollegen unterm Tisch mal einen reintrete, weil so sind alle. Es verbreitet sich ein zynisches Menschenbild, das man auch an zunehmenden Betriebskonflikten ablesen kann. Drittens: es ist unterhaltsamer, als wenn man sich lange Statistiken reinziehen muss. Viertens: man versteht komplexe Sachlagen vermeintlich einfach. Also, Eurobonds: ja, wer siegt denn jetzt? Hollande oder Frau Merkel? Atmo Bundestag, Jakob-Kaiser-Haus Sprecherin: Berlin, Jakob-Kaiser-Haus. Hier hat Markus Kurth sein Büro, genauso wie die meisten anderen Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Ein moderner Bau mit viel Holz, Stahl und Glas, nüchtern und sachlich. Auf den Fluren Sitzgruppen aus bonbonfarbenen Ledersesseln. In Markus Kurths Büro Bücher und Berge von Akten, akkurat geschichtet. Nach ?Tatort Intrige? sieht es hier nicht aus, sondern vor allem nach viel Arbeit. O-Ton: Markus Kurth Die Mehrheit der 620 Abgeordneten, die hier sitzen, ist in jedem Falle ziemlich klar an ihren Themen und an der Sache orientiert und betreibt Politik nicht als Selbstzweck. Sprecherin: Markus Kurth ist sozial- und behindertenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Keiner, dessen Name jeden Tag in der Zeitung steht, sondern, wie er sagt, ein Fachpolitiker. Intrigen? Habe er in seinen zehn Jahren Bundestag noch nicht erlebt: O-Ton: Markus Kurth Fällt mir jetzt nichts ein, zumindest nichts Gravierendes. Ich bin, als ich neu im Bundestag war, einmal ausgebremst worden. Ich hätte bei bestimmten Verhandlungen um den Koalitionsvertrag dabei sein sollen und die Verabredungen sind da an mir vorbeigelaufen, so dass ich bei einigen Terminen, wo ich eigentlich hätte sein sollen, nicht war. Man wollte nicht, dass ich da sozusagen den reibungslosen Verhandlungsablauf störe. Es ist ja bekannt, dass ich in dem Bereich Arbeitsmarkt und Sozialpolitik gewissen Dingen, Hartz IV, sehr kritisch gegenüber stehe, ich hab ja auch 2003 dagegen gestimmt, das war halt damals einer der Hauptkonfliktpunkte? Sprecherin: Es gebe schon manchmal ein Problem damit, wie der Zugang zu Informationen organisiert sei, räumt der Abgeordnete ein. Direkte gegen Personen gerichtete Intrigen seien dagegen selten. Dies mag unter Spitzenpolitikern oder in größeren Fraktionen anders sein, aber diese machen eben auch nur einen Teil des Politikbetriebs aus. O-Ton: Markus Kurth Im Parlament will längst nicht jeder Minister oder Parlamentarischer Staatssekretär oder Fraktionsvorsitzender werden. Es gibt eine ganze Menge, die zufrieden sind als Fachabgeordnete oder so mit halbhohen Positionen, stellvertretender Fraktionsvorsitz, sehr gut leben können. Musiktrenner Klaus Wowereit Ich bin schwul, und das ist auch gut so, liebe Genossinnen und Genossen! (Applaus) Sprecherin: Als Klaus Wowereit sich im Wahlkampf 2001 auf einem Sonderparteitag der SPD als erster Spitzenpolitiker in Deutschland öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte, ging er ein hohes Risiko ein. Die Alternative, seine Homosexualität zu verschweigen, war gleichwohl nicht weniger riskant, denn das hätte ihn zur möglichen Zielscheibe von Intrigen gemacht. Vielleicht hatte Wowereit einfach nur Glück, dass die Zeit reif war für solche Bekenntnisse und sein Befreiungsschlag sich im Nachhinein als regelrechter PR-Coup erwies. Aber das Beispiel zeigt auch, dass Politiker drohenden Intrigen nicht zwangsläufig hilflos ausgeliefert sind. Oft könnten sie gegensteuern. Die Voraussetzung: man kennt seine Achillesferse (sofern vorhanden) und schätzt deren Bedeutung richtig ein. Das gelingt aber offenbar nicht allen. So hat die Intrigenexpertin Regina Michalik wenig Verständnis für das vermeintliche Intrigenopfer Christian von Boetticher, kurzzeitig CDU-Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein, den im Sommer 2011 ein Verhältnis mit einer Minderjährigen zu Fall brachte: O-Ton: Regina Michalik Das war seine eigene Blödheit. Er hätte wissen müssen, dass das seine Achillesferse ist, und die heilt man nicht, indem man die Beziehung beendet. Also, hätte er zehn Jahre noch gewartet, dann wäre vielleicht Gras über die Affäre gewachsen, aber so ? Intrige nein. Das war seine eigene Fehlleistung und die Selbstüberschätzung bzw. mangelnde Einschätzung, dass genau das etwas ist, was ihm schaden wird. Sprecherin: Häufig fehlt es Politikern an Kompetenz im Umgang mit Intrigen, kritisiert Regina Michalik. Allerdings sei der Beratungsbedarf in der Politik größer als die Bereitschaft, auch tatsächlich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei ließe sich manche Intrige abwenden, würden Politiker nur sachlich, analytisch und selbstkritisch an die Sache herangehen. O-Ton: Regina Michalik Als erstes wäre es wichtig, dass er sich genau anguckt, wer steht um ihn herum? Wer hat welche Interessen? Was vielen Menschen sehr schwer fällt, insbesondere eben auch Menschen, die sehr egozentrisch sind, die glauben, ich bin jetzt der Größte und mir kann ja niemand was, das ist immer eine große Falle für Politiker. Wenn er das dann analysiert hat, geht es auch darum sich zu fragen, was habe ich denn für Verbündete? Wer könnte denn mir zur Seite stehen? Und häufig fallen da den Einzelnen gar nicht so viele ein, weil sie es versäumt haben, langfristig und nachhaltig an ihrem eigenen Netzwerk zu arbeiten. Sprecherin: Und auch die Politiker, die ein Netzwerk haben, neigen häufig dazu, dieses wie einen Selbstbedienungsladen betrachten, bedauert Regina Michalik. Zu einem Netzwerk gehört aber immer Geben und Nehmen. Außerdem dass man Kritik zulässt und nicht nur Bewunderer um sich schart: O-Ton: Regina Michalik Das heißt wirklich, die offene, auch durchaus selbstkritische Auseinandersetzung fehlt häufig, weil die Angst so groß ist, wenn ich jetzt eine Schwäche zeige, bin ich angreifbar und dann sticht der andere zu. Sprecherin: Den Spagat zu schaffen zwischen Durchsetzungsvermögen und Ellenbogen-Zeigen einerseits und Teamfähigkeit andererseits ist jedoch genau das, was heutzutage von Politikern verlangt wird, betont der Psychologe Thomas Kliche. ?Durchregieren? ist nicht mehr angesagt. O-Ton: Thomas Kliche Die jetzt erfolgreichen Politiker verkörpern das in sehr hohem Maße, also Frau Merkel verkörpert die Fähigkeit in einer Konkurrenzgemeinschaft zu arbeiten, in sehr viel höherem Maße als Kanzler Schröder, der sehr viel dominanter aufgetreten ist, der sehr viel konfliktbereiter war und damit auch immer das Gefühl gelassen hat, da will jemand vorpreschen, das heißt, Führung bekommt dann so einen Beigeschmack von persönlicher Durchsetzung. Sprecherin: Genau das wirft man aber der Kanzlerin in letzter Zeit vor: Spätestens seit dem Rauswurf von Umweltminister Röttgen ist aus ?Mutti Merkel? in den Augen der Presse die ?eiserne Lady von der Spree? geworden ? und die ersten fragen sich schon, wie lange das wohl gut gehen mag: O-Ton: Regina Michalik Das wäre übrigens durchaus jetzt ein Fall, wo ich mir durchaus vorstellen kann, dass einige jetzt die Chance nutzen, daraus eine Intrige gegen Angela Merkel zu schmieden, spätestens jetzt, dass der Leidensdruck jetzt sehr groß ist und dass die parteiinternen Gegner sagen: so, jetzt ist sie fällig. Aber ich bin mal gespannt, ob das passiert und ich halte auch Angela Merkel für ziemlich intrigenkompetent, von daher beobachte ich die Entwicklung sehr gespannt. Sprecher/in vom Dienst: Feind, Todfeind, Parteifreund? Politik und Intrige Eine Sendung von Ulrike Köppchen Es sprachen: Regina Lemnitz Gerd Grasse Ton: Inge Goergens Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Anregungen, Lob und Kritik bitte an: zeitfragen@dradio.de 1