KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : LITERATUR Titel der Sendung : Abschied von Gutenberg? Das Überleben des Buchhandels in Zeiten der Digitalisierung AutorIn : Jörg Plath Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 11.10.2011 Regie : Beatrix Ackers Besetzung : Autor spricht selbst + bringt O-Ton Material; (Sprecher prod.) Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 O-Ton 1 (Geräusche) O-Ton 2 (Erhardt F. Heinold) Ich freue mich wirklich, dass sie alle da sind und dass wir die Chance haben, über die Zukunft, über die Zukunftsprojektion einer gesamten Branche zu diskutieren. (weiter laufen lassen, unterlegen) Autor Frankfurt am Main, kurz vor der Buchmesse 2011. 120 Buchhändler, Verleger, Buchgroßhändler, Unternehmensberater, Vertreter des Branchenverbands Börsenverein, auch zwei, drei Autoren versammeln sich zwei halbe Tage lang auf dem Gelände der Buchhändlerschule, um über die Branche im Jahr 2025 zu diskutieren. Wären die Aussichten für Buchverlage und Buchhandel rosig, niemand würde diese Mühe auf sich nehmen - oder einen Jubelkongress ausrichten und dem Buch und sich selbst Lorbeerkränze flechten. Doch die Aussichten sind alles andere als rosig. O-Ton 3 (René Kohl) Wenn wir keine Alternativen finden, wird der Buchhandel zum Drittel aussterben. Autor Denn der Sog der Digitalisierung hat die Buchbranche erfasst. Die Verkäufe wandern aus der Buchhandlung in das Internet, und das Buch wandert auch dahin - es wird elektronisch. Also wird auf der Zukunftskonferenz in Frankfurt am Main nicht gejubelt, sondern gearbeitet. O-Ton 4 (Erhardt F. Heinold) Diese Zukunftskonferenz verfolgt drei Ziele (...) Wir wollen tatsächlich Zukunftsszenarien erarbeiten. Das ist natürlich sehr sportlich, das ist ein großes Wort, aber das ist das, was wir uns hier vorgenommen haben. Der erste Teil ist vielleicht der anspruchsvollste Teil, das ist nämlich die Frage, wie werden sich die Medienbedürfnisse entwickeln, und wie werden sich entsprechend Medien entwickeln. Autor Eines der wichtigsten Ergebnisse der Konferenz gleich vorweg: O-Ton 5 (Peter Schmidt-Meil) Die gute Nachricht ist: Der Buchhandel lebt (Lachen), auch im Jahr 2025 (...). Autor Das labt die Seelen, auch wenn sich alle auf der Zukunftskonferenz darüber einig sind, dass der Buchhandel im Jahr 2025 auf ganz anderem Niveau als heute leben wird: O-Ton 6 (Andrea Nunne) Es wird folgerichtig auch aus den Zahlen von gestern 40 Prozent weniger Buchhandlungen und Buchhandelsflächen geben als heute. Es wird aber dafür geben: ganz tolle Buchhandlungen, die, die dann bleiben werden. Autor Das wäre ein dramatischer Einbruch. Dennoch scheint niemand auf der Zukunftskonferenz in Depressionen zu verfallen. Für das eigene Geschäft wäre schließlich nichts schädlicher als schlechte Laune, und wer ohnehin schwarz sieht, besucht keine Konferenz, um es sich ausreden zu lassen. Der dritte Grund: Es gibt ja auch gute Nachrichten, weshalb sie gern gleich zweimal gesagt werden. O-Ton 7 (Alexander Skipis) Nach Einschätzung aller, die hier sind, fast aller, die hier sind, heißt das: dass der Buchmarkt wächst. Der Buchmarkt wächst. Autor Die Zahl der Buchhandlungen, der Verkaufsfläche im Buchhandel geht um 40 Prozent zurück, doch der Buchmarkt wächst? Das klingt wie ein Widerspruch, und um dessen Auflösung kreist die Zukunftskonferenz, auf der von Sortimenten die Rede ist, also von Buchhandlungen, von Paid Content, das sind die elektronisch gehandelten, kostenpflichtigen digitalen Inhalte, ob Wissen oder Unterhaltung, und von neuen Geschäftsmodellen, also von praktikablen Ideen, mit Unterhaltung und Wissen auch dann Geld zu verdienen, wenn Texte nicht mehr gedruckt in Buchform vorliegen, sondern als Daten. Es lohnt sich, den Überlegungen der Kaufleute zuzuhören. Denn was sie in den nächsten Jahren tun, um ihre Buchhandlung, ihren Verlag oder Großhandel profitabel arbeiten zu lassen, bestimmt auch, wie und wo wir in 15 Jahren unsere Romane, Sach-, Kinder- und Jugendbücher, unsere Reiseführer, Wissenschaftsbücher und Fachzeitschriften bekommen werden. Wie wir lesen und wie wir konsumieren werden. Wie unser Leben aussieht, das ja zu einem großen Teil aus Mediennutzung besteht: aus Fernsehkonsum, aus Radio und Musik hören, ins Kino und online gehen. Und, natürlich, aus Bücherlesen. O-Ton 8 (Alexander Skipis) Die Branche beschäftigt sich mit ihrer Zukunft und pennt nicht vor sich hin wie andere Branchen. Klammer auf: zum Beispiel Musikbranche. Autor Das Menetekel der Musikbranche: Innerhalb von wenigen Jahren brach der Umsatz um mehr als ein Drittel ein. Selbst die mächtigen Konzerne litten erheblich durch die kostenlosen Internettauschbörsen. Die Musikindustrie zog gerichtlich gegen sie zu Felde, versäumte aber, eigene attraktive legale Angebote zum Musikdownload zu machen. Dann kam eine Computerfirma, präsentierte ein einfach zu bedienendes digitales Musikabspielgerät und einen angeschlossenen Laden. Der iTunes-store bietet Musik als Paid Content. O-Ton 9 (Jürgen Boos) Die Technologie war schneller als die Geschäftsmodelle, und ich glaube, darunter hat die Musikindustrie gelitten, dass die Technologie sie getrieben hat. Autor In der Krise der Musikbranche ist die Computerfirma Apple der große Gewinner. Dass es der Buchbranche ähnlich ergehen könnte, fürchten viele auf der Zukunftskonferenz. O-Ton 10 (René Kohl) Es ist einfach, ne Infrastruktur, die Apple schon für die Musikbranche erfunden hat, jetzt auch noch für die Buchbranche zu erweitern ... (Stimme oben) Autor Von Treibern sprechen die Betriebswirte, wenn sie die treibenden Kräfte meinen. Das Wort weckt unversehens die Erinnerung an die Jagd: Die technologische Entwicklung treibt ganze Branchen vor sich her. O-Ton 11 (Alexander Skipis) Wenn wir mal zurückblicken, was vor 15 Jahren war: dann sehen wir. dass das Internet gerade so an das Netz gegangen ist, '98 kam Google und Amazon, und dann erst ging es richtig los. Autor Und niemand hätte das vor 15 Jahren vorhersagen können. Jetzt will die Zukunftskonferenz 15 Jahre in die Zukunft blicken. Wie soll das gehen? Mit Hilfe möglichst vieler Parameter: Wie viele Menschen werden in Deutschland leben? Werden mehr Kinder geboren oder weniger? O-Ton 12 (Erhardt F. Heinold) Welche Parameter beeinflussen die mediale Entwicklung der Zukunft? Da gibt es natürlich einen Haufen von Standardparametern wie demographische Entwicklung oder Bildung. Es gibt aber auch spezifische Parameter, zum Beispiel Entwicklung der Bibliotheksetats, Entwicklung des studentischen Informationsverhaltens (...). (läuft weiter, drunterlegen) Autor (drüberlegen) Setzen die Bundesländer in der Schule auf Computer? Wie werden sich die Bürger unterhalten und fortbilden? Reisen sie viel oder wenig? O-Ton 13 (Andreas Selignow) Wir rechnen mit einem wachsenden Markt von Reiseinformationen. Warum wächst der Markt? Einerseits: Es gibt mehr Singles, es müssen also zwei, die verreisen, zwei Bücher kaufen und nicht mehr nur eins. (Lachen.) Und wir haben nicht das Problem: weniger Kinder, sondern wir haben das Glück: mehr Rentner mit Zeit und Geld, die die restliche Welt unsicher machen und Informationen brauchen dafür. Autor Nur: Wo werden sie sie in Zukunft suchen? Bis vor einigen Jahren lautete die Antwort: in ihrer Buchhandlung. Das ist vorbei. O-Ton 14 (Claus-Peter Stegen) Die Umsätze verlagern sich ganz klar vom stationären zum Online-Handel. Autor Immer mehr Leser nutzen das Internet und kaufen, wenn sie die gesuchte Information nicht gleich auf frei zugänglichen Webseiten finden, im so genannten E-Commerce. Mal klicken sie beim Onlineshop ihrer Buchhandlung, öfter beim Versandbuchhändler, der nicht unbedingt Amazon heißen muss. Die Vertriebswege für gedruckte Bücher haben sich geändert und werden sich noch stärker ändern. Die Verkaufsfläche schrumpft. Vor allem die großen Läden der Ketten, das zeichnet sich bereits ab, werden kleiner. O-Ton 15 (Erhardt F. Heinold) Früher gab es Buchhandlungen, weil sie notwendig waren, zum Beispiel, um Bücher zu bekommen. Heute kann ich ein Buch im Internet bekommen, ich kann es digital kaufen. Also muss der lokale Buchhändler eine neue Antwort finden, warum bin ich auf der Welt, was kann ich tun, damit ich gebraucht werde. Autor Die zunehmende Internetnutzung jedenfalls kümmerte die Buchhandlungen lange wenig. Noch heute haben längst nicht alle einen Onlineshop. O-Ton16 (René Kohl) Verpennt haben wir so ungefähr alles! Der Sortimentsbuchhandel hat seit 10 Jahren den E-Commerce verschlafen oder verpennt und er hat jetzt nach den schlechten Erfahrungen der letzten Jahre den ganz großen Respekt vor dem Handel mit E-Books. Und denkt sich: Wenn ich schon mit E-Commerce, mit dem Handel von physischen Büchern übers Internet, nicht zurecht komme, dann komme ich noch weniger im E-Book-Bereich zurecht. Autor E-Books, also elektronische Bücher, die auf E-Readern, Tablets, Smartphones und PCs gelesen werden, dazu Apps und ähnliche Angebote - solche elektronischen Inhalte sind die zweite Veränderung im Buchhandel. Die erste betrifft die Vertriebswege: Die Buchhandlung verlagert sich ins Netz. Die zweite betrifft das Buch selbst: Aus dem physischen, gedruckten Objekt wird ein Datensatz, und nach der Buchhandlung verlagert sich auch das Buch ins Netz. Einer ganzen Branche, die sich bisher um die Produktion, den Vertrieb und den Verkauf von Büchern kümmerte, droht das Objekt ihrer Anstrengungen abhanden zu kommen. O-Ton 17 (Claus-Peter Stegen) Der Verdrängungswettbewerb der Medien verschärft sich, das heißt der einzelnen Bereiche von Print zu Online etc. wird deutlich zunehmen, und wer nicht mitspielt, wird 2025 eventuell nicht mit überleben. Autor Mitspielen heißt: nicht nur im Laden verkaufen, sondern auch im Onlineshop; nicht nur an das Buch denken, sondern auch an E-Books, Apps und alles, was an elektronischen Formen noch kommen mag. Also medienübergreifend denken und in diversifizierten Inhalten, statt in nur einem, dem Buchformat. O-Ton 18 (Karin Scheller) Schönes Beispiel hatten wir: Früher wurde meine Hecke braun, und ich habe mir ein Buch von Ulmer geholt. Heute wird meine Hecke braun und ich google erst mal "braune Hecke". (Lachen) Paid Content wird zunehmen, denn unter Paid Content sind die E-Books, und der Paid Content ist, wenn die Inhalte qualitativ gut aufbereitet sind, eben auch das Potential, hier über die ersten Informationen - leider war die Hecke nach drei Monaten immer noch braun - und jetzt brauche ich dann doch gute Informationen, und die kosten Geld, und dieses Geld gebe ich aus. O-Ton 19 (René Kohl) Wenn die Marktteilnehmer der Buchbranche keine eigenen Paid-Content-Modelle entwickeln, tun es andere. Das sehen wir heute schon, das wird künftig zunehmen, also wir erwarten mindestens so eine Milliarde Umsatz in Paid Content, der irgendwie mit dem Buchbereich zu tun hat, und ja, es ist noch nicht entschieden, wer diesen Umsatz machen wird. Autor Doch selbst wenn die Internetverkäufe in die eigenen Kassen gelenkt werden sollten - sie allein werden die Branche wohl auch nicht retten. O-Ton 20 (Miriam Hofheinz) Als letzte These haben wir auch gesagt, dass das Digitalgeschäft zwar grundsätzlich steigt, auf jeden Fall, aber wir glauben nicht, dass das Digitalgeschäft den physischen Umsatzrückgang eins zu eins kompensiert. O-Ton 21 (Erhardt F. Heinold) Die Rückgänge im gedruckten Buch werden über die bezahlten Inhalte, Paid Content, nicht ausgeglichen. Autor Je nach Gattung, je nach Unternehmen unterscheiden sich die Szenarien sehr: In der Wissenschaft ist die Verlagerung ins Digitale bereits weitgehend abgeschlossen. Bei Landkarten und Reiseinformationen läuft sie rasant ab, bei Sachbüchern, Kinder- und Jugendbüchern und Romanen eher zögerlich. Hierzulande jedenfalls, was an Vorbehalten gegenüber der Technik liegt und auch am festen Ladenpreis für Bücher und für E-Books. Die elektronischen Produkte kosten nicht nur überall gleichviel, sie sind auch ebenso teuer wie Bücher und können nicht mit Billigpreisen auf dem Markt durchgesetzt werden. In den USA jedoch verkauft Amazon bereits mehr E-Books als gedruckte Bücher - auch, weil die elektronischen Varianten dort wesentlich günstiger sind. O-Ton 22 (Jürgen Boos) Wir haben jetzt, glaube ich, einen Marktanteil von 25 Prozent in der Unterhaltungsliteratur in Nordamerika. Wenn man sich die Kurven ansieht, folgen wir in unserer Branche in der Regel etwa 2 Jahre später. Das heißt, in zwei Jahren müssten wir auch einen Anteil von 20, 25 Prozent bei der Unterhaltung haben für elektronische Bücher. O-Ton 23 (Erhardt F. Heinold) Das E-Book spielt in Deutschland im Vergleich zu den USA noch keine große Rolle, 0,5 bis 1 Prozent. Im wissenschaftlichen Markt ist das ganz anders, und so gesehen ist der stationäre Buchhandel noch in einer relativ komfortablen Position, und es gibt allerlei Versuche, den Kauf über das Sortiment auch von digitalen Produkten zu ermöglichen. Die Skepsis, dass das funktioniert, ist sehr, sehr groß. Sie gehen auch nicht zum Media Markt, um sich einen MP3-File zu kaufen, also sie kaufen keine Musik im Media Markt, sondern da gehen sie in den entsprechenden Store. Also es kann sehr gut sein, dass diese Form des Digitalgeschäfts an dem stationären Sortiment vorbeigeht und es nur letztendlich die Print-Umsätze zukünftig verwaltet. Autor In Frankreich und England bewertet man dieselben Entwicklungen etwas gelassener: O-Ton 24 (Micheline Bouchez) Es wird wahrscheinlich in Frankreich also etwas anders aussehen, also, man geht davon aus, dass ca. 10 bis 15 Prozent der Buchhandlungen dadurch also verloren gehen, aber nie im Leben 40 Prozent. O-Ton 25 (Henry Volans) I know that in both Britain and America bookshop numbers are declining, and yesterday the head of our Booksellers Association said there had been I think 20 per cent decline in their membership in the last six years. Publishers, I think is a different story. I don't think there will be a decline in numbers as such. There is also a lot of optimism about what the future holds for publishing as well. We've never seen digital as a threat on its own term. Some aspects of it might be threatening, but overall we see it as a big growing new market. Overvoice/Sprecher Ich weiß, dass sowohl in Großbritannien wie in Amerika die Zahl der Buchhandlungen abnimmt. Gestern gab die Vereinigung der englischen Buchhändler bekannt, ihre Mitgliederzahl sei in den letzten 6 Jahren um 20 Prozent geschrumpft. Bei den Verlagen sieht die Sache anders aus, dort wird es, glaube ich, keinen solchen Rückgang geben. Man ist auch optimistisch, was das Verlegen in der Zukunft angeht. Das Digitale ist ja nicht nur eine Drohung. Einige Aspekte mögen schrecken, aber insgesamt sehen wir im Digitalen einen großen, wachsenden neuen Markt. Autor Dass sich das gedruckte Buch teilweise im Datenorbit auflöst, birgt auch für Buchhändler Chancen. O-Ton 26 (René Kohl) Wenn ich provozieren will, was ich manchmal ganz gern mache, wenn ich mit Buchhändlern spreche, dann sage ich: So, jetzt haben wir eigentlich das, was wir uns schon lange gewünscht haben. Wir müssen keine schwere Ware tragen, wir haben keine Probleme mit Remissionsrechten, wir haben keine Ware, die verstaubt, die von sich aus schlecht wird. Wir haben die besten Bedingungen, unser gesammeltes gutes Wissen jetzt leicht und rückenschonend unter die Leute zu bringen. Aber man glaubt's mir nicht, und man signalisiert mir eigentlich auch: Ja, aber wir wollen uns ganz gern krummbuckeln, und die Mentalität eines Buchhändlers ist es nicht, mit EDV, mit digitalen Gegenständen, mit Kabeln und mit Steckern zu tun zu haben. Autor Das ist die eine, nicht allzu kleine Fraktion unter den Buchhändlern. Sie liebt das Buch und hält ihm die Treue. O-Ton 27 (Jörg Robbert) Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll. Auch in 15 Jahren wird der normale, der traditionelle Buchhandel eine Perspektive haben und wird ganz normale Bücher verkaufen. Und es werden weiterhin auch sehr viele schöne Bücher gemacht und schönere Bücher als jetzt. Ich sehe den Negativtrend so nicht. O-Ton 28 (Michael Fürtjes) Das Buch ist ein unschlagbares Produkt, es ist ein nahezu perfektes Produkt, ähnlich vielleicht wie Rad oder Löffel. Ob alle Menschen das auch künftig wertschätzen werden, sei dahingestellt, das tun sie auch jetzt schon nicht. Aber es wird sicherlich auch in 15 Jahren eine Reihe von Menschen geben, die das Faszinosum Buch begreifen, und denen kann man es mit Begeisterung verkaufen. O-Ton 29 (Erhardt F. Heinold) Was passieren kann, ist, dass diese Gebrauchsliteratur, die man früher hatte - Taschenbuch, das ich nur mal so weglese -, dass das zum Teil eben so verschwindet auf dem digitalen Reader, weil: da habe ich keinen bleibenden Wert. Warum soll ich das nicht gleich auf dem Kindle lesen. Aber ich leiste mir vielleicht eine Grass-Gesamtausgabe, illustriert von ihm selber, in Leinen gebunden, weil: das ist etwas ganz anderes als irgendetwas, was ich als Reclam-Hefte weglese. Autor Das Buch wird für die traditionelle Fraktion unter den Buchhändlern, die ihre Kunden wohl vornehmlich in den Großstädten findet, zum Premiumprodukt: schön, hochwertig, teurer als heute. Sie setzen auf den ästhetisch anspruchsvollen Käufer, auch auf Spontankäufer und solche, die Beratung suchen. Andere Buchhändler stehen neuen Produkten und Medien aufgeschlossener gegenüber. O-Ton 30 (Christine Kranz) Also, ich sehe die Rolle verstärkt im Bereich Beratung und Orientierung: Weil es wird 'ne viel größere Anzahl von Produkten und verschiedenen Medien geben, es gibt dann aber auch ne viel größere Zahl von Hilflosigkeit, was nehm' ich jetzt für mein Kind und was taugt was. Das Buch sollte im Mittelpunkt stehen, und ich finde es ganz wichtig, dass traditionelle Buch und auch zb das Vorlesen hochzuhalten und zu promoten, wo immer man kann, aber es wird meines Erachtens eben auch Bücher in verschiedenen Produktformen geben, es wird vielleicht sogar den gleichen Inhalt als Bilderbuch, als App geben, und die kann man nutzen, das ist bei mir ja persönlich auch so, ich lese ja nach wie vor und zusätzlich nutze ich auch noch Apps. Autor Diese Buchhändler sehen, wie sich die Mediennutzung ihrer Kunden verändert, und nutzen dies, wenn auch noch selten, für eigene Zwecke. O-Ton 31 (Andrea Nunne) Seit 3 Monaten bieten wir auch QR-Codes im Laden an, um das mobile Shopping mit zu unterstützen. QR-Code bedeutet, dass ich tatsächlich mit meinem Smartphone den Code dort mir reinkopieren kann, in die Kamera, und automatisch ein Onlineshop geöffnet wird, unser Onlineshop geöffnet wird, so dass ich mir überlegen kann, ich möchte das Buch vielleicht gar nicht heute vor Ort kaufen, aber ich möchte es auf meine Wunschliste drauf nehmen oder es mir einfach merken als Geschenk und es dann vielleicht über den Onlineshop bei uns erstehen. O-Ton 32 (Christine Kranz) Ich denke, dass die Chance zum Beispiel darin besteht, durch neue Medien, also meinetwegen der Bereich Apps, E-Books, dass man damit Zielgruppen ansprechen kann, die man bisher auch gar nicht in die Buchhandlung ziehen konnte. Autor Das Vorbild für solche Serviceorientierung ist der Fachbuchhandel, dessen Zeitschriften, Kommentare oder Monographien schon vor Jahren zu digitalen Periodika, Datenbanken und E-Books wurden. Um im digitalisierten Geschäft zu bleiben, übernimmt der Fachbuchhandel verschiedenste Dienstleistungen für seine Kunden, für Bibliotheken, Forschungsinstitute, Firmen, Verwaltungen. O-Ton 33 (Detlef Büttner) Unser Job ist es dann an der Stelle nicht mehr, jetzt Zeitschriften von irgendwo zu importieren und an irgendjemand zu liefern, wie es halt klassischerweise früher war, sondern Kunden Zugang zu elektronischen Informationen zu verschaffen, erstens, und dann halt sozusagen das ganze Handling zu optimieren, also dass man nicht mehr mit 285 internationalen Verlagen verhandelt, sondern das über uns laufen lässt, den Access managed, die Nutzung dokumentiert. Das sind so Services, die man rund um elektronische Produkte gebaut hat, und das kann man spiegelbildlich, wenn auch in ganz anderer Form, halt auch auf den Endkundenmarkt übertragen. Welchen Mehrwert kann ich für den Kunden schaffen, wenn ich gegen Amazon, Apple oder Google bestehen will, das ist die Kardinalfrage an der Stelle. Autor Auf der Frankfurter Zukunftskonferenz formulierten die Buchhändler versuchsweise gleich mehrere Antworten. O-Ton 34 (Andrea Nunne) Buchhändler sind selbstbewusste Serviceanbieter und möglicherweise werden die kommunikativen Fähigkeiten in Zukunft wichtiger sein als unsere klassische buchhändlerische Kompetenz. Das allgemeine Sortiment wird sich als Spezialist für das Buch herausstellen. Es wird bedeuten, dass wir Buchhandlungen Erlebnisse verkaufen, noch mehr als bisher. Erlebnisse statt Produkte, das wird emotionalisierter sein als bisher, mit Eventcharakter, und es wird kombiniert sein mit neuartigen Onlineangeboten, Internetangeboten, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Es wird mehr Vernetzung bedeuten. Autor Vernetzung vor Ort, wie die aus den USA stammende Bewegung des Einkaufens in der Nachbarschaft, buy local, propagiert. O-Ton 34a (Alexander Skipis) Man kann durchaus einen Trend auch heute daran erkennen, dass die Leute immer mehr wertschätzen den Händler, sei es die Bäckerei, das Lebensmittelgeschäft oder eben auch den Buchhandel. Das Geschäft vor Ort, die persönliche Beziehung, das ist etwas, was Menschen nach wie vor suchen, und ich glaube, darin liegt auch eine große Chance. O-Ton 35 (Michael Riethmüller) Wir sind daran, eine Initiative zu gründen, die nennt sich buy local.de. Wir haben uns auch diese Webseite im Internet gesichert und werden demnächst einen Verein gründen, der sich dieses Themas annehmen wird. Da gibt's schon vieles, Wir haben schon einige Gespräche mit Buchhandlungen geführt, wollen das auch über die Branche hinaus öffnen für andere Einzelhandelsunternehmen. Weil wir meinen, dass dieses Thema "Einkaufen vor Ort" immer wichtiger wird. Autor Manche Buchhandlung nutzt ihre Webseite auf eine Weise, die einer Regionalzeitung gut zu Gesicht stünde: O-Ton 36 (Dieter Dausien) Die aktuelle Seite ist relativ noch neu, die stellt den Versuch dar, wirklich ne vielfältige Vernetzung herzustellen - also mit dem Kunden: Wir ermuntern auch mit Erfolg unsere Kunden dazu, Buchbesprechungen uns zu schicken, die wir dann reinstellen. Das ist ein wichtiger Aspekt für uns, eben in Kontakt zu treten mit den Kunden und zu versuchen, dass die Kunden selber aktiv werden und sich dann auch wiederfinden auf der Seite. Wirklich ne vielfältige Vernetzung herzustellen, also mit den Kunden, in beschriebener Weise, aber auch mit Institutionen, mit Kulturvereinen, lokalen Kulturanbietern, die sich da auch auf der Seite wiederfinden, so dass die Seite nicht nur zum Buchbestellen benutzt werden kann, sondern eben auch einfach, um sich über kulturelle Themen vor Ort zu informieren. Wir machen ja auch Vorverkauf, das ist alles sehr eng verzahnt, das sind Kunden von uns, die in kulturtreibenden Vereinen engagiert sind, die dann bei uns den Vorverkauf machen etc., also das ist ne enge Vernetzung. Und die ist, denke ich, eine Voraussetzung, eine Stärke des lokalen Arbeitens, die eben ein großer Internetanbieter nicht bieten kann. AuDie aktuelle Seite ist relativ noch neu, die stellt den Versuch dar, wirklich ne vielfältige Vernetzung herzustellen - also mit dem Kunden: Wir ermuntern auch mit Erfolg unsere Kunden dazu, Buchbesprechungen uns zu schicken, die wir dann reinstellen. Das ist ein wichtiger Aspekt für uns, eben in Kontakt zu treten mit den Kunden und zu versuchen, dass die Kunden selber aktiv werden und sich dann auch wiederfinden auf der Seite. Wirklich ne vielfältige Vernetzung herzustellen, also mit den Kunden, in beschriebener Weise, aber auch mit Institutionen, mit Kulturvereinen, lokalen Kulturanbietern, die sich da auch auf der Seite wiederfinden, so dass die Seite nicht nur zum Buchbestellen benutzt werden kann, sondern eben auch einfach, um sich über kulturelle Themen vor Ort zu informieren. Wir machen ja auch Vorverkauf, das ist alles sehr eng verzahnt, das sind Kunden von uns, die in kulturtreibenden Vereinen engagiert sind, die dann bei uns den Vorverkauf machen etc., also das ist ne enge Vernetzung. Und die ist, denke ich, eine Voraussetzung, eine Stärke des lokalen Arbeitens, die eben ein großer Internetanbieter nicht bieten kann. Autor Vernetzung heißt, die Grenzen des eigenen Buchhladens zu überschreiten - zu anderen Branchen, in neue Märkte hinein und in andere Weltgegenden. Diese neuen Märkte lösen den Widerspruch zwischen dem erhofften Wachstum des Buchmarkts bei gleichzeitigem Rückgang der stationären Buchhandlungen. Buchhändler, Verlage und Großhändler kommen allerdings recht spät. Der US-Versandbuchhändler Amazon, die Filialisten Thalia und Weltbild, ihr nordamerikanisches Pendant Barnes & Noble und der Ebook-Händler Kobo bieten eigene Reader an, Amazon vertreibt zudem ein iPad- ähnliches Tablet und hat einen App-Store gestartet. Sony, der Hersteller von Unterhaltungselektronik, produziert nicht nur E- Book-Reader und Tablets, sondern verkauft demnächst auch E-Books, ebenso wie die Suchmaschinenfirma Google. Alle machen sich gegenseitig Konkurrenz. O-Ton 37 (Jürgen Boos) Ich glaube, es wird immer mehr Grenzgänger geben, Grenzüberschreiter. Und wenn die Buchhändler sich hier in Deutschland zusammenschließen, um gemeinsam Marketing zu machen oder um gemeinsam eigene Buchprojekte zu machen, dann werden die tatsächlich auch zu Verlegern, der Verleger andererseits wird mit seinem Internetangebot selbst zum Buchhändler. Was passiert, wenn die Autoren nicht mehr für das Buch schreiben, für das gedruckte Buch, sondern sich überlegen, wie wird dieses Buch im Netz werden, wie werden die Inhalte dazu, denke ich gleich den Film im Kopf mit, denke ich gleich das Visuelle mit im Kopf. Frau Rawling mit dem Harry Potter hat sich die digitalen Rechte immer vorbehalten und jetzt, seit einem halben Jahr, vermarktet sie diese Rechte selbst. Sie arbeitet nicht mit einem Verlag zusammen. Autor Alles fließt - fast alles. Bisherige Beschränkungen fallen, Branchen, Sprachen, Produkte, Funktionen werden im digitalen Raum neu miteinander kombinierbar. Weshalb eine mittelständische und im Bereich der Publikumverlage ausschließlich deutschsprachige Branche es nun mit US-amerikanischen Konzernen zu tun bekommt. O-Ton 38 (Erhardt F. Heinold) Ja, das ist natürlich die größte Herausforderung für die Verlage vor allem, dass es neue Player am Markt gibt, die sich nicht an die Gepflogenheiten halten. Wir sind ja eine Branche, muss man auch sagen, die sich sehr gut in einer Harmonie eingerichtet hat. Diese Harmonie wird jetzt aufgesprengt, weil ein Apple kommt und sagt: Was ihr da verabredet habt die letzten 50 Jahre, interessiert uns überhaupt nicht. Das sind meine Konditionen, wollt ihr mitmachen oder nicht. Autor Nicht nur Konditionen, auch nationale und kulturelle Unterschiede und Traditionen drohen verloren zu gehen. Noch werden Bücher in jedem Land anders gehandelt, noch sehen sie fast überall anders aus und sind unterschiedlich sorgfältig produziert. Wenn die Digitalisierung von Konzernen und vor allem unter technischen Gesichtspunkten vorangetrieben wird, drohen historische Vielfalt, kulturelle Eigenheiten und qualitative Standards verloren zu gehen. O-Ton 39 (René Kohl) Wir haben die Konstruktion, dass deutsche Autoren in Deutschland in deutscher Sprache Texte an ihre deutschen Verlage schicken, dann müssen sich die deutschen Verlage mit amerikanischen Unternehmen nach deren Vertragsvorstellungen, nach deren Vertragsvorstellungen, nach deren Vorstellungen von digitaler Gestaltung, nach deren Wünschen von Benennungen, Formaten usw. orientieren, liefern dann Materialien an amerikanische Unternehmen, die dann eben Daten konvertieren; wenn die das Eurozeichen nicht kennen oder nicht interpretieren können, dann kommt halt irgendein Sonderzeichen raus, und dann werden von so einer Version schnell mal 100 Stück verkauft, dann ist es halt so. Wenn wir über andere Branchen sprechen würden, würde mit einem anderen Selbstbewusstsein, auch widerständiger gegen solche Formen der Arbeitsteilung vorgegangen werden, und das gerade bei so zentralen Dinge, wo es um Lesen, um Kultur, um Kulturgeschichtliches geht. Dass man, wie ich finde, nicht unerhebliche Ordnungs- und Orientierungselemente durch überwiegend amerikanische Unternehmen gestalten lässt, widerstrebt mir. Autor Nicht allzu kleine Teile der Buchbranche werden also in Zukunft ohne Buch dastehen. Eine Buchbranche ohne Buch - gibt es das? Aber ja, meint man auf der Zukunftskonferenz, die in recht guter Stimmung endet. Man muss die Sache nur prinzipiell angehen. O-Ton 40 (Alexander Skipis) Ich denke, es ist wichtig, dass wir für unsere Branche den Kern unserer Identität definieren, und das ist das Buch. Das Buch war früher immer stark verknüpft mit dem Trägermedium, nämlich mit dem gedruckten Buch. Das ist in den letzten 10 Jahren so langsam auseinander gefallen. Und ich halte es für wichtig, dass wir uns darüber verständigen, was macht eigentlich diesen Kern des Buches aus, das ist der Inhalt. Ich hab's mal "Prinzip Buch" genannt: das ist der Inhalt. Autor Alles mag sich verändern: Medien, Mediennutzungen, Medienkonsum, Vertriebswege, Kundenwünsche. Aber einiges bleibt. Denn blickt man, darin ist die Buchbranche als ein echter deutscher Kulturträger nicht ungeübt, nur lange genug auf die bewegte Oberfläche, dann merkt man: Eigentlich ändert sich recht wenig. O-Ton 41 (Erhardt F. Heinold) Das Buch als zentrales Medium der gesellschaftlichen Kommunikation und Verständigung, wenn wir die Meta-Ebene betrachten, als eine konzentrierte, kondensierte Form der intellektuellen Auseinandersetzung, egal ob es Belletristik ist, ob es Sachbücher sind, ob es wissenschaftliche Werke sind, wird gebraucht, und es werden Unternehmen gebraucht, die diese Texte, Inhalte herstellen und auch distribuieren. So gesehen - die Rollen verschwinden nicht, nur: Sie ändern sich. Sprecher Abschied von Gutenberg? Das Überleben des Buchhandels in Zeiten der Digitalisierung. Von Jörg Plath. Die Zukunft schätzten ein: Jürgen Boos, Frankfurter Buchmesse; Micheline Bouchez, Kulturattaché Französische Botschaft; Detlef Büttner, Lehmanns media; Dieter Dausien, Buchhandlung am Freiheitsplatz; Michael Fürtjes, LG Buch; Erhardt Heinold, Unternehmensberater; René Kohl, Versandbuchhandlung Kohlibri; Christine Kranz, Stiftung Lesen; Andrea Nunne, Buchhandlung Andrea Nunne; Michael Riethmüller, Buchhandlung Ravensbuch; Jörg Robbert, Buchhandlung am Bebelplatz; Karin Scheller, Advertis Agentur; Peter Schmidt-Meil, Franzis Verlag; Andreas Selignow, Triagon Software; Alexander Skipis, Börsenverein; Claus-Peter Stegen, Oetinger Verlag, Henry Volans, Faber and Faber. Regie: Beatrix Ackers. Ton: Herrmann Leppich. Redaktion: Barbara Wahlster. Das Manuskript finden Sie im Internet unter dradio.de.