COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Nachspiel, 17. Oktober 2010 Besser in Bio durch Basketball - Wie der Schulsport Kinder leistungsfähiger macht Teil 2/4 der Reihe "Sport und Bildung" --------------------------------------------------------------------------- Atmo 1 1:00 Turnhalle Schulsport Reinhardswald-Grundschule (Dribbeln) O-Ton 1 Kind 1 (3:53) Ich mag Sport, weil, das ist mein Lieblingsfach, das ist das einzige Fach, wo wir uns mal richtig austoben dürfen... Kind 2 (4:37) Ich mag auch gern Schulsport, weil das meist nette Lehrer sind, und ich spiel auch gern Hockey, das kann man hier auch spielen. Kind 3 (5:33) Ich fühle mich einfach fitter und stärker. Manchmal bin ich ganz hibbelig und kann mich nicht konzentrieren, und wenn dann Sport ist, dann kann ich mich besser konzentrieren danach. Autorin 1 Luisa, Marlon und Winni - drei Fünftklässler der Reinhardswald- grundschule in Berlin-Kreuzberg. Zusammen mit etwa 17 Mitschülern haben sie Sportunterricht. Die Lehrerin Ute Windelband steht in schwarzer Jogginghose und knall-orangefarbenem T-Shirt - die Trillerpfeife in der Hand - in der Mitte der Turnhalle, die an die 70er- Jahre erinnert: Blauer Kunststoffboden, gelb-orangefarbene Wände. Die Kinder laufen um die Wette, eingeteilt in vier Gruppen. Atmo 2 10:20 Anpfiff, Windelband: Los! (Kinder rennen) So, und den nächsten abholen. Anfassen! O-Ton 2 Windelband, 19:49 Die Kinder haben vorher bei der Klassenlehrerin Sport gehabt, was natürlich schön ist, weil sie die Kinder natürlich viel besser kennt, und haben eben viel gespielt. Aber man merkt richtig, sie hipern danach, richtigen Sport zu machen. Also, zu werfen, weit zu springen, und so ne Sachen. Die richtigen Sportdisziplinen, und die sind da sehr motiviert und wollen das gern machen. Autorin 2 Ute Windelband ist eine der wenigen ausgebildeten Sportlehrerinnen an der Reinhardswald-Grundschule. Für 800 Kinder gibt es dort insgesamt sechs. Oft werden die Kinder von fachfremden Kollegen unterrichtet, auch von Andrea Schwabe. Sie gibt in diesem Schuljahr sechs Stunden pro Woche. Etwas mehr als sonst, weil eine Sportlehrerin ausgefallen ist. Tipps holt sich die Deutsch- und Kunstlehrerin bei Kollegen und bei Fortbildungen. Für die ersten bis dritten Klassen fühlt sie sich gut gerüstet. Danach, so sagt sie, gibt sie die Kinder lieber an die Fachlehrer ab. O-Ton 3 Schwabe, 1:16 Mir fehlen ein bisschen die Techniken. Den Kindern Techniken an die Hand zu geben, wie sie gut über den Kasten kommen. Bei mir in der Klasse eins, zwei ist der Schwerpunkt, die Kinder sollen sich bewegen, die sollen Spaß haben, die sollen vertraut werden mit Geräten, klettern, balancieren, schaukeln, und ihren Körper erleben und damit lernen, umzugehen. Aber ich kann ihnen nicht gut Tipps geben, wie die noch besser werden im Hochsprung. Da fehlt mir wirklich die fachliche Kompetenz. Autorin 3 Eine fachliche Kompetenz, die im Unterricht besonders der ersten Klassen eigentlich nötig wäre, meint Ute Windelband. O-Ton 4 Windelband, 7:38 Es ist generell die Tendenz - wenn wir die Kinder bekommen - es fehlt ganz oft die Körperspannung. Und das ist ganz wichtig und eigentlich Grundvoraussetzung für jegliche Sportart. Es muss wissen, wie es fällt, es muss wissen, wo sind meine Muskeln, was muss ich anspannen, wenn ich irgendwelche Übungen mache. Man sieht es immer wieder, wenn wir die Kinder bekommen: Sie können keine ordentliche Rolle vorwärts. Von Rolle rückwärts schon ganz zu schweigen. Und es ist natürlich so, wer fachfremd unterrichtet, hat da auch Hemmungen ranzugehen und das einem Kind beizubringen, weil, man braucht ja auch methodische Reihen dazu. Und wenn man das nicht weiß, oder nicht gelernt hat, ist das schwieriger. Autorin 4 Der Grund, warum oft fachfremde Lehrer an Grundschulen Sport unterrichten, ist einfach: der Lehrplan sieht für die unteren Klasse nicht vor, dass bestimmte Leistungen erbracht werden müssen. Es wird auf Bewegungsfreude und Spaß an der Sache gesetzt. Im Prinzip sei das richtig, sagt Ute Windelband. Allerdings hätten sich die Bedürfnisse und Voraussetzungen der Kinder geändert, wie sie in ihren 30 Jahren Sportlehrer-Praxis festgestellt hat. O-Ton 5 Windelband, 9:10 Bewegungserfahrungen, die Kinder noch vor zehn Jahren mitgebracht haben, das haben die nicht mehr. Da fängt man im Prinzip in der Schule mit an, und das ist eigentlich ziemlich spät. Es gibt sogar einige Kinder, die haben Angst, zu klettern. Die trauen sich nicht, weil ihre Eltern mit ihnen nie auf den Spielplatz gegangen sind. Das ist das A und O, dass man merkt, dass Kinder eben zuhause in der Wohnung groß werden, dass nicht mit ihnen raus gegangen wird, viel vorm Fernseher... Autorin 5 Deshalb, so Ute Windelband, wird Schulsport immer wichtiger. Das meint auch Miriam Seyda, Sportwissenschaftlerin an der Technischen Universität Dortmund. O-Ton 6 Seyda, 29:50 Auf der einen Seite ist Schulsport unverzichtbar, weil er wirklich alle Kinder betrifft. Im Kindesalter - da ist es wirklich relevant - man erreicht alle Kinder. (30:30) Dafür ist er schon mal unverzichtbar, und, wie unsere Studie zeigt, für eine bestimmte Gruppe an Kindern, die wenig außerschulische Bewegungsmöglichkeiten haben, ist er gerade deswegen unverzichtbar, weil er eben entwicklungsfördernd ist, bzw., wenn's nicht auftritt, eben auch Entwicklungsverzögerungen auftreten können und er da ne kompensatorische Aufgabe erfüllen kann. Autorin 6 Miriam Seyda und ihre Kollegen haben vier Jahre lang 25 Schulen untersucht, die an dem Projekt "Tägliche Sportstunde an Grundschulen in Nordrhein-Westfalen" teilgenommen haben. Ihr Ergebnis: Eine größere Konzentrationsfähigkeit und positivere Selbstwahrnehmung. O-Ton 7 Seyda, 10:45 Was wir feststellen können ist, dass Teilbereiche des Selbstkonzeptes, gerade in Bezug auf meinen eigenen Körper, so was wie physische Attraktivität oder mein Körperbewusstsein, dass das positiv beeinflusst wird durch die tägliche Sportstunde. Das sind vor allem Mädchen, die davon profitieren können und die neben dem Schulsport nicht so viele Bewegungsanreize bekommen. Autorin 7 Zufriedene und konzentrierte Schüler durch viel Bewegung - dieses Ziel verfolgt die Gemeinschaftshauptschule Niedersprockhövel im Ruhrgebiet, die auch an der Studie teilgenommen hat. Dreimal hat sie schon den ersten Preis für die bewegte Schule in NRW bekommen, sagt Schulleiterin Christiane Albrecht. O-Ton 8 Albrecht, 0:22 Erstens haben wir die Stundentafel so verändert, dass wir mehr Sportunterricht anbieten, als andere Schulen das können, das sind im Moment in den unteren Klassen drei Zeitstunden, also vier Stunden à 45 Minuten und haben unser Konzept auch so umgestellt, dass Sporteingangstests gemacht werden. Wo sind Differenzen, können die schwimmen? Und dann werden die entsprechend in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften gefördert, um da möglichst die Defizite nachzuholen. Autorin 8 Wie in Berlin stellt auch Christiane Albrecht im eher ländlichen Sprockhövel fest: Der Nachholbedarf ist enorm. Wenige Kinder können schwimmen, wenn sie eingeschult werden. Die Bewegungsarmut ist kein Großstadtproblem. Umso wichtiger ist ihr, dass keine Sportstunde ausfällt. Allerdings sei ihre Schule damit ein Sonderfall, gibt sie zu. O-Ton 9 Albrecht, 6:40 Da haben wir das Glück, dass wir erstens drei ausgebildete Sportlehrer haben, das ist auch schon relativ selten an einer Hauptschule, dass man da ausgebildete Kollegen hat, die auch noch relativ jung sind, und die mit ganz viel Dynamik den Sportunterricht gestalten, // das kommt auch bei den Schülern gut an. Atmo 3 Sporthalle Spröckhövel, Kinder schnaufen und Winkelmann Autorin 9 Einer der drei Sportlehrer an der Schule mit 210 Schülern ist Ulli Winkelmann. Sehr dynamisch, allerdings nicht mehr ganz jung, 50+, wie er sagt. Die langen, grauen Haare hat er im Nacken zusammengebunden, er trägt Turnschuhe und schwarz-rote Sportkleidung. Atmo 4 Winkelmann ruft Anweisungen Autorin 10 Winkelmann hetzt die 16 Schülerinnen und Schüler der 5B durch einen Parcours, den er in der kleinen Turnhalle aufgebaut hat. Neben den üblichen Sportgeräten wie blauen Matten und kleinen, braunen Kästen, fällt eine professionell aussehende Kletterwand mit runden, bunten Plastikgriffen ins Auge. O-Ton 10 Winkelmann, 10:58 Wir haben hier sehr gute Voraussetzungen, weil wir uns die geschaffen haben. So ne Kletterwand in der Sporthalle entsteht nicht einfach so. Da nimmt man nen freien Tag für, zwei Eltern, drei Schüler, und schraubt so ne Kletterwand da rein. (13:31) Der Job als Lehrer heute ist keine Nine-To-Five-Geschichte mehr, auf gar keinen Fall. Autorin 11 Das Geld für die Kletterwand kam aus privater Hand, nämlich vom Förderverein der Schule. Zu dem gehören neben den Eltern unter anderem der örtliche Energieversorger, die Banken, eine Versicherung und weitere Unternehmen der Region. Der Verein sponsert auch das Zirkusprojekt, das alle zwei Jahre stattfindet, die Skifreizeiten und den regelmäßigen Ausflug in die Sportschule Hachen, wo die Kinder in einer Art Camp eine Woche lang alle möglichen Sportarten ausprobieren dürfen. O-Ton 11 Winkelmann, 12:33 Es steht und fällt mit dem Engagement der Kollegen und Kolleginnen in der Schule plus der Bereitschaft der Zusammenarbeit von Seiten der Stadt. Die Stadt ist ja jeweils zuständig im öffentlichen Schulträgerbereich als Schulträger für die Ausstattung, und wenn man da ein gutes Standing hat, und sich da aufgemacht hat, an Fördertöpfe zu kommen, wenn man sich aufgemacht hat, an Leute zu gehen, die wiederum andere kennen, die irgendwelche noch zusätzlichen Fördertöpfe aufmachen können wie zum Beispiel Stiftungen. Ja, dann... Aber man muss sich aufmachen. Autorin 12 Ohne Eigeninitiative läuft wenig - egal, ob man Geld bei der Stadt oder von privaten Sponsoren auftreiben will, das hat auch der Schulleiter der Reinhardswald-Grundschule in Berlin-Kreuzberg festgestellt. Werner Munk ist seit 33 Jahren an der Schule. Fast genauso lang gab es auch den Schulhof, eine rechteckige, mit dem Lineal gezogene, versiegelte, öde Fläche, erinnert er sich. O-Ton 12 Munk, 5:39 Der war abstoßend. Das einzige, was damals attraktiv war, war vielleicht, wie ein Wilder auf dem Schulhof mit dem Fahrrad rumzufahren. Und wir haben dann gesagt, wir müssen hier komplett was neu aufziehen, haben dann ein Eigenprojekt entwickelt und uns um Geldzuwendungen bemüht. Das ist gelungen, aus dem Umweltentlastungsprogramm der Europäischen Union. Autorin 13 Ein kleiner Trick, um an Geld zu kommen, gibt Munk zu, aber einer mit großer Wirkung. Seitdem gibt es ein Biotop auf dem Schulhof. Und jede Menge Bewegungsangebote: Klettergerüste, unebene Flächen und weitläufige Wege - perfekt zum Austoben in der Pause. Die Schüler seien weniger aggressiv, sagt Munk. Außerdem gibt es einen Pausenraum mit Kleinspielgeräten wie beispielsweise Dreirädern. Allerdings kam auch hier die finanzielle Unterstützung nicht von der Stadt, sondern von privaten Förderern: Unter anderem der Fleischerinnung. Auf das Geld vom Bezirk können sich die Schulen heute nicht mehr verlassen, auch nicht, wenn es um grundlegende Sanierungen geht, beklagt der Schulleiter. O-Ton 13 Munk, 18:20 Zum Beispiel unsere Sporthalle ist jetzt nach 34-jähriger Nutzung eigentlich am Ende angekommen, zumal das damals kein Qualitätsbau war, sondern ein Serienbau, der gar nicht für die Ewigkeit konzipiert ist. Natürlich gibt es da sehr viel Bedarf, die sanitären Einrichtungen in Ordnung zu halten, Wassereinbrüche zu verhindern, die Feuerschutzeinrichtungen, die Rauchklappen in Bewegung zu halten und wir merken ganz genau - das betrifft nicht nur die Turnhalle, sondern alles - dass im Grunde genommen nur das Nötigste gemacht wird, nur wenn's ganz dringend ist, und dass Dinge, die noch halbwegs zu ertragen sind, auf die lange Bank geschoben werden. Autorin 14 Das baue natürlich einen immer größeren Investitionsdruck auf, weil die Reparatur in dem Moment, in dem sie notwendig sei, viel billiger wäre als in dem Moment, in dem sie wirklich gemacht werde, sagt Munk. O-Ton 14 Munk, 19:23 Das ist dann so ein Lawinen-Effekt. Wer an die Kleinigkeiten nicht dran geht, der braucht sich nicht wundern, wenn zwei, drei Jahre später überhaupt nichts mehr zu reparieren ist und ein Neubau erforderlich sein wird. O-Ton 15 Windelband 19:28 Es gibt so ne Sicherheitsbegehung, die kommen aber nur einmal im Jahr, da wird festgestellt, was ist kaputt, dann wird's dem Amt gemeldet, dann dauert es soundso lange, bis die kommen zum Reparieren, also, wir hatten auch mal ne Phase, da war die Turnhalle ein viertel Jahr oder zwei Monate geschlossen. Weil da was gebaut werden musste und die Sicherheit nicht gewährleistet werden konnte. Autorin 15 Schade, findet die Sportlehrerin Ute Windelband. Vor allem, weil die Halle stark beansprucht wird. Fast rund um die Uhr. Am Tag von den Schülern, am Abend von den Vereinen und im Winter sogar von den Tennisspielern. Allerdings kann sie durchaus verstehen, dass die Mühlen der Ämter eben etwas langsamer mahlen. Schließlich müssten die Bezirke verschiedene Angebote der Handwerker einholen, sagt sie. Trotzdem könnte mehr getan werden, finden die Sportlehrerin und ihre Kollegin Andrea Schwabe. O-Ton 16 23:34 Schwabe: Wo ich angefangen habe an der Schule vor 20 Jahren, war eine Putzfrau nur in der Turnhalle tätig. Die kam morgens um sechs, und wenn wir zum Unterricht kamen, war die Halle schon gesäubert vom Turn- und Sportunterricht von den Vereinen. Und wenn sie jetzt hören, zwei, dreimal pro Woche geht ne Putzkolonne da durch, da können Sie sich den Unterschied vorstellen. Windelband: Die haben halt 15 Minuten zum Saubermachen, also, es ist ziemlich marode. Auch die Sanitäranlagen. Keiner geht da gerne rauf. Das ist nicht gepflegt, muss man sagen. Autorin 16 In größeren Städten wie Berlin gibt der Senat das Geld weiter an die Bezirke. Dass die wegen ihrer hohen Arbeitslosenzahlen ihre Finanzen oft anders verteilen müssen, als sie wollen, und die Schulen dabei oft in zweiter Reihe stehen, dafür haben die Lehrerinnen Verständnis. Und auch die Politiker geben zu, dass Handlungsbedarf besteht. O-Ton 17 Staatssekretärin für Bildung, Claudia Zinke, 11:03 Wir haben in Berlin in der Tat bei gedeckten Sportstätten teilweise in den Bezirken - das ist sehr unterschiedlich - auch einen Mangel. Aber wir arbeiten zusammen mit den Bezirken, also, Senat und Bezirke arbeiten gemeinsam daran, dass man die Situation insbesondere durch Sanierung durch Sportstätten verbessert. Autorin 17 Claudia Zinke, Staatssekretärin für Bildung, Jugend und Familie in Berlin. O-Ton 18 Zinke weiter, 11:28 Da haben wir schon seit langen Jahren hier in Berlin das Schul- und Sportanlagensanierungsprogramm, und da gibt der Senat jährlich über 40 Millionen an die Schulen, um Schulen, aber auch vor allem Sporthallen zu sanieren. Autorin 18 Durch verschiedene Sondermittel steht den Berliner Schulen laut Claudia Zinke insgesamt eine Milliarde Euro für bauliche Maßnahmen zur Verfügung. Die soll in den nächsten Jahren investiert werden. O-Ton 19 Zinke, 12:30 Und da sind natürlich die sanierungsbedüftigen Toiletten genauso dabei wie die Unterrichtsräume, zusätzliche Räume für Naturwissenschaft, wie auch natürlich marode Sporthallen, die wir sanieren, oder auch Schulen, die gar keine Sporthallen hatten, wo wir jetzt welche hinbauen. Autorin 19 Im Norden Berlins gebe es eine Schule, die 70 Jahre lang keine Sporthalle hatte, jetzt habe man Richtfest gefeiert. Staatssekretärin Claudia Zinke zeigt sich zufrieden, wenn sie über die Investitionen der Berliner Politik in den Schulsport spricht. Die Stadt habe 3081 voll ausgebildete Sportlehrkräfte, auch an den Grundschulen gebe es keinen Mangel. Trotzdem beklagen sich manche Lehrer, dass zu wenig Personal vorhanden sei. Andreas Hunger zum Beispiel, Sport- und Geografielehrer an der Anna-Seghers-Gemeinschaftsschule im Berliner Stadtteil Adlershof. Vor etwa drei Jahren sei das Kontingent des Kollegiums sogar gekürzt worden. O-Ton 20 Hunger, 20:39 Wir hatten ja immer noch ne Lehrer-Reserve, da hatte man gesagt, okay, man hat noch ne kleine Lehrer-Vertretungs-Reserve, aber das wurde vor Jahren alles auf Gleichmaß geschaltet, auf 100 Prozent, dass es dann also schwierig ist, wenn ein Lehrer mal ausfällt - soll ja alles mal vorkommen. Dafür hat der Senat jetzt Mittel bereitgestellt, dass man sich also jemanden von Außen holen kann, der den Grundkurs Geografie dann betreut. Das ist ne fragwürdige Geschichte, aber das ist im Moment so. Autorin 20 "Von Außen", das heißt laut Andreas Hunger, Mitarbeiter, die keine abgeschlossene Lehrerausbildung haben. Referendare zum Beispiel können sich in eine Liste eintragen, dann findet ein Einstellungsgespräch statt, und bei Beschäftigungen, die länger als drei Monate dauern, ist auch der Personalrat beteiligt. Bezahlt wird das aus einem Zuschuss des Senats. Der stattet die Schulen für diese Art von Mitarbeitern mit drei Prozent von ihrem jeweiligen Finanzvolumen für Unterricht aus. O-Ton 21 Hunger, 21:47 Das ist ne Kostenfrage. Eine Lehrerstelle ist ja viel teurer. Aus meiner Sicht nur Finanzen. Dass man in dem Bereich spart und dass der Bildungssenator die Fahne hochhalten kann und sagen kann, hier, schaut her, in meinem Bereich biete ich die und die Kürzungen an. Das ist eine aus meiner Sicht unmögliche Sache, schadet der Jugend, schadet dem Bildungsauftrag. Ist aus meiner Sicht nicht zu befürworten. Autorin 21 Hinzu kommen die Sport-AGs am Nachmittag an Ganztagsschulen. Auch sie werden fast gar nicht mehr von Lehrern betreut. O-Ton 22 Hunger, 20:09 Das sind Trainer aus Vereinen oder von Bildungsträgern, die ihre Leute anbieten, die sagen, wir machen das. (18:39) Das hat sich dann schon verändert. Vor 15 Jahren hatte ich eben noch zwei Arbeitsgemeinschaften im Sportbereich. Das wurde dann alles abgeschafft, nur noch im reinen Unterricht, keine AGs mehr, nur noch Leute von Außen. Ist alles ein bisschen zäh. Weil, auch der Kontakt mit den Kindern - ist logisch, es ist günstiger, man ist den Tag mit den Kindern zusammen, man kann die noch mal ermahnen und erinnern. Autorin 22 Dass die Sport-AGs nicht von ausgebildeten Sport-Lehrern, sondern von Trainern aus Vereinen betreut werden, das sorgt für Streit. Die Meinungen gehen weit auseinander. Auf der einen Seite finde sie Sport- AGs am Nachmittag lobenswert, da die Kinder noch mehr Bewegungs- Angebote bekommen, sagt Miriam Seyda. O-Ton 23 Seyda, 37:07 Aber auf der anderen Seite sehe ich als Sportwissenschaftlerin und ausgebildete Sportlehrerin ja auch: Wer macht diese Angebote im Ganztag. Das sind eben nicht Leute, die ein komplettes Sportstudium durchlaufen haben // und ein ausgebildeter Sportlehrer macht andere Dinge, hat auch vielmehr diesen pädagogischen Auftrag und kann da ganz anders wirksam werden, als jemand, der im Nachmittagsbereich ne Übungsleiterausbildung hat. Der ist in seiner Handlungsmöglichkeit doch begrenzter als ein Sportlehrer, würde ich sagen. Autorin 23 Die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Sportvereinen ist inzwischen in ganz Deutschland Gang und Gäbe. 70 Prozent aller Schulen lassen ihre Nachmittags-AGs von Vereins-Aktiven betreuen. Auch die Gemeinschaftshauptschule Niedersprockhövel. Die Schulleiterin Christiane Albrecht ist zufrieden mit ihren außerschulischen Mitarbeitern. O-Ton 24 Schulleiterin Christiane Albrecht, 17:30 Da legen wir großen Wert drauf, dass das auch Leute mit Qualifikationen sind, die ne Ausbildung haben, die Sport studieren oder irgendwelche Trainerscheine haben, die kommen dann hierher und machen den Unterricht. Oder auch ehemalige Kollegen, die mittlerweile im Ruhestand sind, bieten Förderunterricht an. Wir haben da 30 Leute, die hier im Nachmittagsbereich arbeiten. Autorin 24 Ohne die sei es nicht möglich, beispielsweise Trendsportarten anzubieten, sagt Christiane Albrecht. Und genau durch die könne man Kinder gut an den Sport heranführen. Neben einer Fußball-, Badminton- und Turn-AG hat die Gemeinschaftshauptschule Niedersprockhövel unter anderem eine BMX-Rad- und Stacking-AG. Beim Stacking werden Plastikbecher in möglichst kurzer Zeit zu Pyramiden zusammen- und wieder abgebaut. Ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem die Schüler aus Niedersprockhövel auf verschiedenen Turnieren schon Preise gewonnen haben, das aber wahrscheinlich nie den Weg in die wenigen Schulsport- Stunden gefunden hätte. Trotzdem sieht die Sportwissenschaftlerin Miriam Seyda die Sport-AGs am Nachmittag sogar als Bedrohung für den regulären Sportunterricht an. O-Ton 25 Sportwissenschaftlerin Seyda, 37:30 Letztendlich könnte man schon auf die Idee kommen, zu sagen: Na ja, jetzt haben wir im Ganztagsbereich schon so viele Sachen ermöglicht, brauchen wir es wirklich noch im Vormittagsbereich? Die Gefahr sehe ich halt schon. O-Ton 26 Staatssekretärin Zinke, 4:58 Nein, überhaupt nicht. Ich höre von vielen Schulen, dass sie diese Kooperationsvereinbarung Schule und Sport, die ja keine Neuerfindung der letzten Jahre ist, sondern die wir in Berlin systematisch seit 1993 aufgebaut haben, und eben in jedem Jahr sich mehr Schulen und mehr Vereine bereit finden, in diese Kooperationen einzusteigen, dass das ein Gewinn ist für Schulen und Vereine. Autorin 25 Meint die Berliner Staatssekretärin für Bildung, Claudia Zinke. O-Ton 27 Zinke, weiter ab 5:27 Die Vereine bekommen dadurch langfristig hoffentlich mehr Kinder in ihre Sportvereine, die dann eben auch merken, wie schön es ist, Sport zu treiben, und das auch das ganze Leben lang zu betreiben, und die Schulen bekommen über die Vereine Partner an die Schulen, die die Kinder noch mal ganz anders bewegen können, im wahrsten Sinne des Wortes, als sie das vielleicht selber können. Weil Kinder sich durch die ein oder andere Vereinstrainerin anders wahrgenommen fühlen, und meistens entsteht an den Schulen eine sehr wertvolle Partnerschaft, die von beiden Seiten geschätzt wird. Autorin 26 Eine Kooperation, die auch der Schulleiter der Reinhardswaldgrundschule, Werner Munk schätzt. Er bietet seinen 800 Schülern in Berlin-Kreuzberg am Nachmittag neben anderen Arbeitsgemeinschaften fünf Sport-AGs, die in Zusammenarbeit mit Vereinen stattfinden. Einem Judo- und Karateverein, Alba Berlin für den Basketball und Türkiyemspor für den Mädchen-Fußball. O-Ton 28 Munk, 13:46 Aber es ist von Jahr zu Jahr eben eine Geschichte, die immer wieder neu erkämpft werden muss. In diesem Jahr sind zum Beispiel, Mitten im Jahr, Mittel für die Personalkostenbudgetierung zurückgefahren worden, da hat die Schule auch was verloren, und es ist für mich noch nicht ganz klar, ob im nächsten Frühjahr alle Angebote fortgesetzt werden können, weil wir alle damit rechnen, dass diese Seite der Eigenbewirtschaftung nicht mehr so ausgestattet wird wie seither. Atmo 5 Sporthalle Sprockhövel, 15:40 Winkelmann: Drei, zwo, eins. Und los! (Atmo Dribbeln, Laufen) Autorin 27 Zurück in der Turnhalle der Gemeinschaftshauptschule Niedersprockhövel. Etwa 20 Minuten laufen die Kinder in Zweier- Gruppen auf den dicken blauen Matten, halten sich angestrengt atmend im Unterarmstütz, dribbeln einen Basketball um braune Kästen herum. In der Mitte steht Sportlehrer Ulli Winkelmann. Atmo hoch Winkelmann: Und stopp! Mädchen: Jaaaa! Geschafft! Winkelmann: Ihr habt fünf Minuten zum Umziehen. Zack! Autorin 28 Ulli Winkelmann geht mit seinen Schülern zurück in den Klassenraum, dann zieht er sich in sein Büro zurück. Als Sozialpädagoge hat er sein eigenes. Drei Sportstunden pro Woche gibt es, das sieht der Stundenplan so vor. Er ist sicher, dass das an seiner Schule so bleiben wird. O-Ton 29 Sportlehrer Winkelmann, 26:05 Landesweit befürchte ich, ist das eher anders. Ich kenne Kollegen an anderen Schulen, da ist das so, wenn von der Stundentafel irgendetwas als allererstes gestrichen wird, dann ist das Bewegung. Autorin 29 Das liege in der Verantwortung der jeweiligen Schule, sagt Winkelmann. Allerdings gibt es auch bei manchen Sportlehrern die Sorge, die Politik könnte den Schulsport beschneiden. Andreas Hunger, der neben seinem Job als Sportlehrer auch Sportkoordinator bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin ist, sieht bereits den drohenden Rotstift. O-Ton 30 Hunger, 31:21 Na, es gibt Bestrebungen, diese Stunde zu kürzen und in andere Fachbereiche zu geben. Das ist so unter der Decke, unterschwellig hört man das ab und zu mal. O-Ton 31 Zinke, 7:10 Nein, die tasten wir nicht an, das haben wir in den vergangenen Jahren nicht getan und das haben wir auch bei der Neustrukturierung jetzt für die integrierten Sekundarschulen ganz bewusst nicht getan, weil wir davon überzeugt sind, dass das Fach Sport ne ganz wichtige Wirkung in der Schule hat, und die wollen wir beibehalten, und deshalb gibt es weiter drei Sportstunden. Autorin 30 So die Berliner Staatssekretärin für Bildung, Claudia Zinke. Dass die dritte Sportstunde nicht angetastet werde, habe der Senat so entschieden, und daran bestehe im Moment kein Zweifel. Schulleiter Werner Munk weiß, dass es auch Politikern manchmal nicht leicht gemacht wird, sich für den Sport an Schulen einzusetzen. O-Ton 32 Schulleiter Munk, 27:00 Die Leute, die sich um den Schulsport kümmern müssen in der Stadt, die nehmen das schon sehr ernst. Aber ich habe oftmals das Gefühl, dass die ihre eigene Position erkämpfen müssen. Wenn ein Fremdsprachenangebot oder der Weg zum Abitur mit Problemen behaftet ist, dann wird energisch und schnell reagiert, wenn aber die Verantwortlichen für den Sportbereich mal Ansprüche firmieren, dann wird das eher zurückgestellt. Also, es ist ne Sache der Prioritätensetzung. Autorin 31 Und die werden, was Schule und Sport angeht, nicht immer richtig gesetzt, findet auch Ulli Winkelmann. Er kritisiert die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz zur Ausbildung von Sportlehrern. O-Ton 33 Sportlehrer Winkelmann,18:52 Wenn ich sehe, wie die Mittelkürzungen im Bewegungsbereich speziell an Universitäten aussehen, wenn ich mir anschaue, wie die Umsetzung auch pädagogischer Konzepte an Hochschule genauso lange dauert wie bei uns, cirka 15 Jahre, bis das so richtig umgesetzt wird, dann wird mir Himmel-Angst und bange, auch innerhalb der Ausbildung. Mir fehlt da komplett das Interdisziplinäre und das Weiterdenkende. // Meiner Meinung nach muss in der Ausbildung auch angefangen werden, da viel eher praxisorientierter zu arbeiten. Autorin 32 Auch die Sportwissenschaftlerin Miriam Seyda meint, dass der Schulsport in der Realität nicht die Wertschätzung erfährt, die Politiker ihm in der Theorie zuschreiben. O-Ton 34 Sportwissenschaftlerin Seyda, 24:20 In Worten wird er immer sehr gewürdigt. Es finden sich ja sogar in dieser Kultusministerkonferenz, zumindest für Nordrhein-Westfalen meine ich in politischen Statuten gelesen zu haben, dass es wünschenswert wäre, eine tägliche Sportstunde an Grundschulen allen Kindern zugute kommen zu lassen. Aber dass von ministerieller Seite da Initiativen ergriffen werden, das auch ein Stück weit zu unterstützen, ist jetzt noch nicht erkennbar. Autorin 33 Mehr Verbindlichkeit von der Politik, die sich vor allem in einer besseren Ausbildung der Sport-Lehrer äußern sollte und darin, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, das wünschen sich die Lehrer und Rektoren. Noch immer werde Sport in die Hobby- und Freizeit-Ecke gestellt, sagt Schulleiter Werner Munk. Dabei werde übersehen, um wie viel gesünder und zufriedener eine bewegte Gesellschaft sei. Und es führe kein Weg daran vorbei: Anfangen müsse man bei den Kindern. O-Ton 35 Schulleiter Munk, 28:37 Also auch langfristig zu denken, visionär zu denken. Menschen, die in ihrer Jugend gelernt haben, sich zu bewegen, und dabei auch noch soziale Erfahrungen gemacht haben und soziales Leben betrieben haben, die sind aufs Leben einfach besser vorbereitet und langfristig gesehen dient es dazu, die Gesundheitssysteme zu entlasten. Das muss man alles in den Gesamtkontext stellen und dann auch sagen, man tut was. MUSIK: "Ballata" von Bayon (Musikspeicher) ca. 1:30 1