COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel 3.5.2009 Von Thomas Jaedicke Hals und Beinbruch Mr. Trautmann Die Torwartlegende und der Fußballkapitalismus von Manchester Atmo Fans: "I wanna go home, I wanna go home. This is the worst trip I´ve ever been on!...." Bert Trautmann: "In den Augen der Bevölkerung bin ich das größte Aushängeschild, was City jemals gehabt hat. Und City hat ´ne große Tradition." Atmo Fans: "I wanna go home, I wanna go ho-ho-home...." Bert Trautmann: Fan/Hotelat mo: "Die Zeiten, wo Bernd Trautmann zwei Stunden nach dem Heimspiel Autogramme gegeben hat oder Bobby Charlton, die sind schon lange vorbei. So. Wir behandeln die Fußballer wie ein Stück Roheis. Nicht in die Sonne!, sonst schmelzen die weg, so ungefähr." Atmo Hotel: - Gläserklappern, Frühstücksgeräusche, gedämpfte Stimmen - Autor: Bernd Trautmann ist braungebrannt. Warm und fest sein Händedruck. Diese Hände sind groß. Sie waren sein Startkapital, sein Glück und seine Lebensversicherung. Fünfzehn Jahre lang fingen sie fast jeden Ball. Atmo Hotel: - Gläserklappern, Frühstücksgeräusche, gedämpfte Stimmen - Autor: Kerzengerade steht der 85jährige im sonnendurchfluteten Wintergarten des Normanhurst Hotels in Sale, einem Vorort von Manchester. Hellblaues Hemd, türkisfarbener Pullover. Grüngetönte RayBan Pilotensonnenbrille. Draußen blühen gelbe Osterglocken und lila Krokusse. Das mit viel Plüsch und Pomp ausgestattete englische Landhotel ist im Laufe der Jahre ein wenig heruntergekommen. Aber das macht Trautmann nichts aus. Zwei, drei Mal pro Jahr jettet er aus seiner Villa in Spanien noch rüber nach Manchester. Wenn er dann im Hotel absteigt, braucht er für nichts zu bezahlen. Das helfe sehr: Denn mit Fußball sei er nicht reich geworden, obwohl er nach seiner Karriere noch 16 Jahre für den DFB als Trainerausbilder in Asien und Afrika gearbeitet hat. Und weil der Hotelbesitzer, ebenfalls 85, auch ein "Blauer" ist, also einer, der zu Manchester City hält, geht das nun schon seit über 50 Jahren so zwischen dem Torwart und seinem Freund, dem Hotelier. Ein eingespieltes Team. Bert Trautmann: Atmo, BBC Reportage, Pokalfinale, 1956. "Der Fußball wird so gefördert, dass wir Durchschnittsspieler als Weltklassespieler heute betiteln, weil wir einfach nicht mehr so viele gute Spieler haben. Wir haben immer noch gute Spieler, ja, aber nicht mehr in diesem Ausmaß, wie wir vor 20, 30, 40, 50 Jahren gehabt haben, nicht mehr." Autor: 1964 hat Bernd Trautmann das letzte Mal für Manchester City gespielt. Nach dem Schlusspfiff sollen die Menschen im alten Stadion an der Maine Road in Moss Side die Torpfosten niedergerissen haben, weil nie wieder ein anderer als "Traut the Kraut" das Tor ihrer Mannschaft hüten sollte. 45 Jahre ist das her. Bert Trautmann: "Wenn ich heute gerade hier in diesem Land, in England, die Gehälter höre von 180.000 in der Woche bis runter auf 40.000 für den ganz Einfachen, für den Novizen, für den Lehrling, dann frage ich mich, wo das hinführen soll?" Autor: Mit dem modernen Fußball kann Bernd Trautmann nichts mehr anfangen. Für die Schauspieler, die sich bei der kleinsten Blessur vom Platz tragen lassen, hat er kaum mehr als Verachtung übrig. In der guten alten Zeit spielte er für zwölf Pfund die Woche, stand 1956, zwei Monate nach seinem Genickbruch, schon wieder für City zwischen den Pfosten. 15 Jahre lang hielt der ehemalige Fallschirmjäger der Wehrmacht für die "Himmelblauen" seine Knochen hin, riskierte Kopf und Kragen. Doch der Klub habe ihm immer bloß die kalte Schulter gezeigt. Bert Trautmann: "Solange ich den Verein kenne, hab ich noch nicht ein Mal einen Cent unterm Tisch bekommen oder etwas geschenkt bekommen. Nie. Ich bin letztes Jahr 85 Jahre alt geworden. Ich habe keine Geburtstagskarte. Gar nichts. Überhaupt nichts. Und das tut weh." Autor: Bert Trautmann: Autor: Schon längst wird der Fußballklub Manchester City wie ein Wirtschaftsunternehmen geführt. Profit zählt. Seit September 2008 hat ein Investmentunternehmen aus Abu Dhabi das Sagen. Um in der Premier League mitmischen zu können, kauften die arabischen Geschäftsleute den Verein für 185 Millionen Euro vom ehemaligen thailändischen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, der einen Monat später in seiner Heimat wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Nach weiteren Investments der Scheichs ist Manchester City inzwischen der reichste Verein in der teuersten Fußballliga der Welt. Den Brasilianer Kaká lockten sie mit der Rekordablösesumme von 120 Millionen Euro. Doch der blieb lieber beim AC Mailand im sonnigen Italien. Dafür kam Robinho für 40 Millionen aus Madrid. Im Moment wirft das kostspielige Projekt für die neuen Eigentümer zwar noch keinen Gewinn ab, bringt dafür aber schon eine ganze Menge Prestige. Bernd Trautmann jedoch wurde inzwischen sogar das Geld für seine Autogrammkarten gestrichen. Dafür ist im neuen Businessplan kein Platz mehr. "Wir alten Spieler, wir fragen uns manchmal: Warum sind wir eigentlich noch blau? D.h., skyblue. Himmelblau. Und schwärmen so für unseren Verein? Weil die Zeit eine andere war. Heute hat der Verein ein ganz anderes Gesicht, ist anders strukturiert, man hat Bürokraten da drinne, die vom Sport wenig Ahnung haben, vom Gefühl wenig Ahnung haben." Als der neue Vereinspräsident Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan ihm im vergangen Jahr auch noch seinen kostenlosen Sitzplatz in der Legends Lounge im Stadion wegnehmen wollte, war das Maß für Bernd Trautmann voll. Er wollte mit Manchester City brechen. Endgültig. Doch mit dem jungen Frühling kam auch der alte Haudegen noch einmal zurück. Die emotionale Bindung ist einfach immer noch zu stark. Jetzt zahlt er eben für die Ehrenloge, und außerdem hat Trautmann noch ein anderes Ziel. Er will weiter versuchen, seinen Klub als Zugpferd für die Trautmann Foundation einzuspannen. Bernd Trautmann sagt, dass er immer noch daran glaubt, dass alte Tugenden wie Fairness, Kameradschaft, Sportsgeist und Bescheidenheit auch in der neuen Zeit ihren Platz haben. Einen Beitrag dazu möchte er mit seiner Stiftung leisten; die Erinnerung an diese Werte am Leben erhalten. Doch bei Manchester City stößt der 85jährige mit seiner Vision bisher nur auf taube Ohren. Atmo, Manchester - Metro, Brunnen mit Musikern. - Autor: Alle zwei Jahre vergibt die Stiftung den Trautmann Award. 2007 wurde DFB-Präsident Theo Zwanziger ausgezeichnet. Die Jury aus fünf deutschen Journalisten begründete ihre Wahl mit dem außergewöhnlich großen Engagement Zwanzigers im Kampf gegen Vorurteile und Ressentiments. Mit der neuen Initiative "Be a Lion - Roar!" möchte die Trautmann Foundation zu Mut und Zivilcourage ermuntern. Vereine, die sich für diese Ziele einsetzen, sollen auf ihren Trikots ein Logo mit einem Löwenkopf tragen dürfen. Wann immer es Bernd Trautmanns enger Zeitplan erlaubt, ist er bei Länderspielen der Nationalmannschaft dabei, um vor allem mit Kindern ins Gespräch zu kommen. Atmo: - Metro, Brunnen mit Musikern. - Autor: Allan Hargrave: Nachmittags um vier im Zentrum von Manchester. Nach Büroschluss sind die Tische in den Cafés voll besetzt. Am Brunnen von Piccadillys Garden sitzen Studenten im Gras; genießen die Frühlingssonne. Schicke Geschäfte neben leer stehenden Lagerhäusern. Roter Backstein. Die imposanten Gebäude sind 200 Jahre alt. Sie erinnern an die untergegangene Textil- und Schwerindustrie des Manchesterkapitalismus. Manche Fabrikruinen sind mittlerweile zu exklusiven Wohnanlagen mit geräumigen Lofts umgebaut worden. "It is very expensive... "Es ist dort sehr teuer. Die Regierung bemüht sich darum, auch bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Viele im Zentrum kriegen nur eine Baugenehmigung, wenn sie auch eine Anzahl bezahlbarer Wohnungen anbieten. Das ist richtig. Einige der Häuser hier haben in den letzten zwölf Monaten etwa ein Drittel an Wert verloren." Autor: Allan Hargrave stammt aus einer Arbeiterfamilie in Manchester. Sein Vater war Gewerkschaftsfunktionär. Hargrave: "Wir machen Probleme. Die Gewerkschaftsbewegung wurde hier gegründet. Und wir haben als Stadt und als Anhänger eine Haltung, dass wir etwas ändern, wenn es uns nicht passt. Wir machen es einfach so, dass es den Leuten gefällt. Das findet man in anderen Städten nicht." Autor: Atmo Training: Hargrave ist 51. Er trägt einen eisgrauen Vollbart und eine kleine, bunte Strickmütze. Drei Jahrzehnte ging Allan Hargrave zu Manchester United, dem übermächtigen Lokalrivalen von Manchester City. Er unterstützte sein Team zuhause und auswärts. Zwölf Spiele hat er in diesen 30 Jahren verpasst. Seine Liebe zu ManU entdeckte er durch seinen Vater. Der hatte ihn erstmals zu einem Spiel mitgenommen, als er fünf war. Ein altbewährtes Ritual, wie überall auf der Welt. Doch im Mai 2005 kam Familie Glazer. Die Geschäftsleute aus den USA übernahmen Manchester United und machten aus Allan Hargrave´s großer Liebe ein Wirtschaftsunternehmen. Hargrave: "In den letzten zehn Jahren hat sich das Spiel von den Menschen entfernt. Es wurde sehr teuer. " Autor: Die Heimspiele von Manchester United in Old Trafford, einem Arbeiterviertel, sind trotzdem fast immer ausverkauft. Obwohl die Karten inzwischen bis zu 50 Pfund kosten. Ermäßigungen für Kinder gibt es kaum. Viele Dauerkartenbesitzer kommen extra aus London oder sogar aus dem Ausland, um die Spiele von Manchester United im Stadion zu sehen. Hargrave: "Und die Leute, die ich kenne, besonders die jungen, konnten ManU nur noch im Fernsehen sehen und nicht mehr ins Stadion gehen. Ich hätte nicht alle Spiele, die ich gesehen habe, sehen können, wenn ich erst jetzt anfangen würde hinzugehen." Autor: Atmo, Fans: "This land is your land...." Die Glazers finanzierten die Übernahme von Manchester United mit geliehenem Geld. Um die Raten für die Schulden einzuspielen, muss der Verein Gewinne abwerfen. Um weiter viel Geld mit dem Verkauf lukrativer Fernsehrechte erzielen zu können, muss ManU erfolgreich sein. Der englische Meister muss nicht nur in der Premier League, sondern auch in der Champions League ganz vorne mitmischen. Dazu müssen Stars her und die sind teuer. Manchester United ist der berühmteste Fußballverein der Welt. Die meisten Fantrikots werden inzwischen in Asien verkauft, obwohl die Menschen ihre Lieblingsmannschaft dort nur im Fernsehen sehen können. Trotz des immensen sportlichen Erfolgs hat ManU inzwischen Verbindlichkeiten von rund 800 Millionen Pfund. Nun denkt Malcolm Glazer darüber nach, sich wieder zurückzuziehen und den Verein auf den Schulden sitzen zu lassen. Atmo, Fans: "This land is your land, this land is my land...." Autor: Ins Stadion gehen Allan Hargrave und seine Freunde schon lange nicht mehr. Hargrave: "Wir überlegten, was wir dagegen tun konnten, denn wenn wir nicht mehr zum Fußball gehen würden, würden wir so enden, dass wir mit unseren Frauen unsere Samstage im Supermarkt verbringen. Wir dachten, wir würden den Kontakt zu unseren Freunden verlieren. Eines Abends haben sich einige von uns zusammengesetzt und beschlossen etwas zu unternehmen. Anstatt zu jammern, haben wir einen eigenen Fußballclub gegründet." Fans: "Oh, FC United...." Autor: Atmo Bus: Zweieinhalb Wochen nach dem Einstieg der Glazers gründeten der Grundschuldirektor Allan Hargrave und einige andere frustrierte ManU-Fans im Mai 2005 den FC United of Manchester. Sie weigerten sich, den gierigen Amerikanern ihr Geld weiterhin in den Rachen zu werfen. Beim FC United wird alles basisdemokratisch entschieden. Der Fanverein hat zurzeit 2300 Mitglieder. Jeder hat nur eine Stimme, selbst wenn einer dem Verein einen Haufen Geld spenden würde, änderte sich daran nichts. Trikot- oder Bandenwerbung gibt es nicht. Der Klub möchte erfolgreich sein und trotzdem nicht den Kontakt zu den Menschen verlieren: Die Fans sind der Verein. Karl Marginson: "Ich bin in dieser Umkleidekabinenumgebung aufgewachsen. Es ist fantastisch zu sehen, wie Leute mit den verschiedensten Backgrounds zusammenkommen und einfach Spaß haben. Und jeder arbeitet für den anderen, um ein gutes Team zu haben." Autor: Atmo Bus: Karl Marginson ist Teammanager beim FC United. Früher hat er selbst Fußball gespielt, aber meist in unteren Ligen. Schon als Junge drückte er sich immer auf Fußballplätzen rum. Der 38jährige stellt das Team zusammen, achtet darauf, dass die Mischung stimmt. Er macht den jungen Spielern keine falschen Versprechungen. Bei einer Wochengage von ein paar hundert Pfund kann hier keiner reich werden, dafür aber jede Menge Spaß haben. In den vergangenen drei Jahren ist die Mannschaft drei Mal aufgestiegen und spielt jetzt in der Northern Premier League Premier Division. Das ist die siebthöchste Spielklasse im englischen Fußball. Karl Marginson: "In den alten Zeiten waren die Plätze mitten in den Wohnvierteln. Der Fußball war freundlicher zu den Menschen. Heutzutage sollen die Fans nur noch ihr Geld abliefern. Wenn das Spiel nicht mehr für die Fans ist, dann ist es kein Fußball mehr." Autor: Neun Pfund kostet der Eintritt zu den Heimspielen des FC United. Das ist viel Geld, obwohl es nur etwa ein Drittel von dem ist, was eine durchschnittliche Tribünenkarte in der Premier League bei Manchester City kostet. Karl Marginson und seine Spieler wollen immer für die Fans ansprechbar sein. Früher ist Marginson um drei aufgestanden und hat Obst und Gemüse ausgefahren. Dann kam der Anruf vom Verein und er sagte sofort zu. Heute kann Karl Marginson, der auch noch Nachwuchsmannschaften trainiert, vom Fußball leben und seine Familie ernähren. Für ihn ist der Managerposten beim FC United der Job seines Lebens. Atmo: "We love United, we do, we love United we do! United we love you!....." Autor: Atmo Bus Am Spieltag trägt Marginson einen dunklen Anzug, weißes Hemd und Krawatte. Seine beiden Söhne begleiten ihn im Mannschaftsbus zum Auswärtsspiel nach Hednesford. Das ist ein kleines Bergarbeiterstädtchen bei Wolverhampton, zwei Autostunden von Manchester entfernt. Marginson: "Ich finde den Spitzenfussball der Premier League steril und langweilig. Man kann fast jedes Ergebnis voraussagen. Die Toptrainer werden sagen, dass es ihr Job ist, das Spiel so roboterartig wie möglich zu machen. Die Unberechenbarkeit in unserer Liga macht mir zwar graue Haare, aber das ist andererseits auch sehr erfrischend." Atmo Fans: "We love United, we do, we love United we do! United we love you!....." Autor auf Atmo: Ungefähr 1000 FC United Fans fahren mit dem Team zum Spitzenspiel nach Hednesford in die Midlands. Atmo: "...United we love you!..." Autor auf Atmo: Das Spiel ist ausverkauft. 5000 Zuschauer sehen eine lausige Partie. Das marode Stadion hat vier Tribünen. Es ist zugig und hundekalt. Mitte der zweiten Hälfte setzt Regen ein. Die großen, kantigen Spieler der Heimmannschaft kommen mit dem holprigen Platz besser zurecht als die technisch versiertere Truppe aus Manchester. Nach 90 Minuten steht es 2:1 für Hednesford. Der United- Fan-Block hinter dem Tor hat ununterbrochen gesungen; das eigene Team während des gesamten Spiels bedingungslos unterstützt. In der Nachspielzeit gibt es einen direkten Freistoß für United. 18 Meter, halbrechts vom Tor entfernt. Der Rechtsverteidiger legt sich die Kugel zurecht, zwirbelt den Ball mit Links haarscharf an der Mauer vorbei. Während der Ball durch die Luft fliegt, weiß jeder im Stadion, was passieren wird. Vergeblich streckt sich der Torwart und dann schlägt es ein. Im Dreiangel. 2:2. Schluss. Atmo: "Oh FC United...." Atmo Bus: - Spieler im Bus, nach dem Auswärtsspiel in Hednesford - Carlos Roca: "Es macht Spaß, zu sehen, wie sich die Leute kümmern. Es ist wie ein Familienverein, der Manchester repräsentiert. Hier geht es um Fußball. Hier wird nicht so wie überall sonst heutzutage mit Geld um sich geworfen." Autor: Atmo Bus, Rückfahrt: Carlos José Roca sitzt auf der Rückfahrt nach Manchester weiter hinten im Mannschaftsbus. Allein. Über Kopfhörer hört er Musik. Der 24jährige Stürmer hat die langen, schwarzen Haare kräftig eingegeelt. Er hat ein gutes Spiel gemacht. Carlos ist einer von fünf Spielern, die bei United einen festen Vertrag haben. Er verdient 300 Pfund die Woche. In der vergangenen Saison spielte er zwei Ligen höher für Altringham. Doch dort lief es für den kleinen, technisch starken Spieler, der mit beiden Füßen gleicht gut schießen kann, nicht besonders. Roca: "Als ich jünger war, als ich die Schule verließ, war mein Leben Fußball. Ich nahm natürlich an, ein Topspieler zu werden. Und wenn Du dann auf diesem Level hier bist, musst Du Dir so langsam eingestehen, dass daraus vielleicht doch nichts wird. Also musst Du in größeren Zusammenhängen nachdenken und Dir was überlegen." Atmo Bus: - Spieler im Bus, nach dem Auswärtsspiel in Hednesford - Autor: Atmo Bus Nach dem Punktgewinn in Hednesford ist die Stimmung im Bus auf der gesamten Rückfahrt ausgelassen. Irgendwo auf halbem Weg zurück nach Manchester hält der Bus mitten auf der Autobahn. Es ist stockdunkel. Zwei United-Spieler steigen aus. Sie müssen allein zusehen, wie sie weiter nach Liverpool kommen. Dort sind sie zuhause. Andy Walsh: "Wir machen Sozialarbeit mit jungen Leuten, die ansonsten nicht viel zu tun haben. Die Trainer arbeiten mit anfälligen und gefährdeten Jugendlichen. Über den Fußball wollen sie Verbindung zu ihnen aufzunehmen, um sie ein bisschen größer zu machen, ihnen Selbstvertrauen zu geben, Ehrgeiz, damit sie sich ein besseres Leben erarbeiten können." Autor: Andy Walsh verteilt im Bus eiskaltes Dosenbier. Der 46jährige mit dem angegrauten Kurzhaarschnitt ist der Präsident des FC United. Auch er ist ein enttäuschter ManU-Fan und von Anfang an dabei. Doch mit jedem Aufstieg nähert sich der FC United einer Fußballwelt an, die seine Gründer eigentlich hinter sich lassen wollen. In jeder höheren Liga werden auch die finanziellen Anforderungen an den Klub höher und die Ansprüche der Spieler größer. Andy Walsh weiß das. Andy Walsh: "Wenn wir uns dessen nicht bewusst wären, wären wir ein bisschen naiv. Man muss ständig die Struktur des Klubs untersuchen, was man wie, und warum man es überhaupt macht. Deswegen ist es so wichtig, dass bei uns jedes Mitglied eine Stimme hat. Also kann niemand einfach so kommen und die Richtung des Vereins ändern. Ja, es ist eine Gefahr. Aber das Leben wäre ein bisschen langweilig, wenn man nicht ein paar gefährliche Sachen machen würde." Autor: Im vergangenen Jahr hat der FC United auch ein paar Freundschaftsspiele in Deutschland gemacht. In Leipzig unterstützten sie eine Anti-Rassismus- Kampagne. Danach war das Team in Marburg. Und die Deutschen haben anschließend einen Gegenbesuch in Manchester gemacht. Andy Walsh sagt, dass er und seine Mitstreiter mit einem kleinen Fußballverein aus der siebten englischen Liga Brücken zwischen verschiedenen Kulturen bauen wollen. Mit diesem einfachen Ballspiel könnten Vorurteile abgebaut und Barrieren eingerissen werden. Andy Walsh hat auch versucht, Kontakt zur Trautmann Foundation aufzunehmen. Aber wirklich näher gekommen ist man sich bisher nicht. Atmo, Metro: - Fahrgeräusche, Stimmen - Autor: Atmo Stadion Sonntag, nachmittags um halb drei. Fußballzeit. In der Premier League empfängt Manchester City den FC Sunderland. Die engen Straßen sind mit Autos vollgestopft. Rote, einstöckige Backsteinhäuschen zu beiden Seiten der Fahrbahn. Hinter der wie ausgestorben wirkenden Siedlung kommt ein offenes Feld. Hope Mills. Links der nun vierspurigen Straße sind Einkaufszentren, Baumärkte, Supermärkte und ein riesiger Burger King in die Landschaft geklotzt worden. Tim Mantle: "Ich möchte nicht, dass der Verein gesichtslos wird; dass viel Geld zum Fenster rausgeschmissen wird." Autor: Tim Mantle ist in Manchester geboren. Seit über 50 Jahren geht er zu Manchester City: Heimspiele, Auswärtsspiele, FA Cup, Ligapokal, Europacup. Tim Mantle: "Fußball ist ein Vehikel für Kommerz. Fußball ist aber auch ein großes soziales Vehikel. Ich denke, man kann das verbinden. Und ich sehe hier die Möglichkeit dazu." Autor: Ein etwa zwei Meter 50 hoher Zaun verläuft entlang der rechten Straßenseite. Engmaschiges Stahlgeflecht. Nicht mal eine ausgehungerte Ratte käme da durch. Hinter dem Zaun breitet sich eine schier endlose, staubige Ödnis aus, die jetzt mit Autos gefüllt wird. Sports City. Zu den Commonwealth Spielen 2002 aus dem Boden gestampft. Die mit mehreren Schlössern gesicherten Einfahrtstore sind jetzt geöffnet. Dann bleibt der Blick an einem gigantischen Bottich aus Beton und Glas hängen. "Pride in battle", steht in großen weißen Lettern an der Fassade. Das Stadion von Manchester City. Nur selten wird dieser Hochsicherheitstrakt geöffnet. Nur noch an Spieltagen lässt man die, die das Spiel und den Klub bedingungslos lieben in diese imposante Fußballfestung. Knapp 48.000 passen hinein. Tim Mantle: "Ich kenne das Geschäftsmodell der Leute aus Abu Dhabi nicht. Ich weiß nur, dass sie eine Menge Geld reinstecken. Aber wenn sie nicht auf das Grasrootspotenzial achten und den Geist des Klubs aufnehmen, werden sie keinen Erfolg haben." Autor: Atmo Stadion, ManCity vs. Sunderland : Natürlich ist Tim Mantle Dauerkarteninhaber. Bernd Trautmann war der Held seiner Kindheit. Bis heute verehrt der mittlerweile 60jährige den legendären Torhüter, der vor kurzem zu Citys bestem Spieler der Klubgeschichte gewählt wurde, beinahe wie einen Vater. Aber erst vor ein paar Jahren fasste er sich ein Herz und schrieb seinem Idol einen langen Brief nach Spanien. Heute ist Tim Mantle, der sein Geld als Berater von Chemiefirmen verdient, Trautmann´s verlängerter Arm in England. Tim ist ehrenamtlicher Botschafter der Stiftung. Mantle: "Im Moment ist sie in England noch nicht so bekannt. Ich würde gern mehr Zeit dafür einsetzen, dass sie bekannter wird. Aber das muss meiner Meinung nach vom Klub kommen. Als Einzelner kann ich da wenig tun." Autor: Die Trautmann Foundation existiert seit fünf Jahren. Tim Mantle sagt, dass er noch mehr Zeit braucht. In den kommenden Monaten möchte er das Gespräch mit ManCitys Klubführung in England und den Eigentümern in Abu Dhabi suchen. Mit den Leuten vom FC United of Manchester hat er noch nicht gesprochen. Obwohl sie nur einen Steinwurf entfernt vom ManCity-Stadion trainieren. Tim Mantle gibt zu, dass ihn die Geschichte des FC United beeindruckt. Aber für einen "Blauen" wie ihn wäre es sehr schwierig, eigentlich sogar fast undenkbar mit Leuten zusammenzuarbeiten, die aus den Reihen der "Roten", aus dem Lager von Manchester United kommen. Mantle: "Ich mag die Idee, dass es vor allen Dingen ein Klub für die Fans ist. Dass es ein unkommerzielles Unternehmen ist. Aber es wird eine Herausforderung sein, das zu bewahren, wenn sie zwei Ligen höher spielen. Dann wird sich zeigen, ob sie die fundamentalen Werte des Fußballs als ein schönes und einfaches Spiel bewahren können." Atmo Stadion, 7´58": - Manchester City vs. FC Sunderland, Leute, die nach dem Schlusspfiff das Stadion verlassen. - Autor: Atmo Stadion Abpfiff in SportsCity. Die Himmelblauen haben sich zu einem 1:0 gegen Sunderland gequält. Obwohl der abstiegsbedrohte Klub von der englischen Ostküste nach einem Platzverweis in der 15. Minute die restliche Spielzeit mit nur noch zehn Mann bestreiten muss, gelingt Manchester City trotz Überzahl nur ein Tor. Brasiliens Superstar Robinho, der wie das gesamte hochkarätig besetzte Team eine blutleere Vorstellung abliefert, verschießt sogar - aufreizend lässig - einen Elfmeter. Aber Sunderland gelingt trotz bester Gelegenheiten kein einziger Treffer. Am Ende muss Manchester froh sein, das Spiel nicht verloren zu haben. Ziemlich gleichgültig über den glücklichen Sieg verlassen die meisten Zuschauer die zugige Betonschüssel. Atmo Auto: Autor: Atmo Auto: Bernd Trautmann ist bedient. Wieder mal. Das lustlose Gekicke, das er von der Legends Lounge aus mit ansehen musste, hat ihm den Rest gegeben. Im Stadion werde man ihn bestimmt nicht mehr sehen. Atmo Auto: Bert kommandiert John. Auto: Von der armseligen Vorstellung seiner "Blauen" angestachelt, lässt Trautmann auf dem Rückweg vom Spiel einen spontanen Umweg zum alten Stadion an der Maine Road, dem legendären Schauplatz seiner Triumphe machen. Atmo Auto: Bert und John. Autor: Manchester, Moss Side. Kleine, einstöckige Häuser. Aus Backstein gebaut. Unverputzt. Scheinbar endlose Reihen. Dicht an dicht aufgestellt, stehen die Häuschen da. Mickrig. Einfach so. Viele sind verlassen. Türen und Fenster mit Metallplatten vernagelt. Gar keine Aussicht. Als die Gegend noch gut war und alles mit rechten Dingen zuging, war hier das Stadion, wo der alte Herr Torsteher mit dem gebrochen Hals spielte. Atmo Auto: Bert und John. Autor: Plötzlich berichtet Bernd Trautmann von einem Anruf aus Abu Dhabi. Vor zwei Monaten habe ihn angeblich einer der neuen Klubbosse mit einem Angebot überrascht. Bert Trautmann: "Bernd oder Bert, wir möchten, dass Du Botschafter von ManCity bist. Da habe ich nur geschluckt und gesagt: Was, zur Hölle, denkt ihr, was ich in den letzten 60 Jahren getan habe." Autor: In Manchester ist dieser Sonntag ein Vorfrühlingstag. Sonne. Zehn Grad. Palmen. Es blühen schon Kirschbäume. Auf einer Straße in Moss Side hält ein Mann mit nacktem Oberkörper ein Baby im Arm. Er hat weiße Haut, sieht müde aus und sehr blass. Am rechten Oberarm eine Tätowierung: Zwei gekreuzte Schwerter; ein Herz in der Mitte. In diesem Viertel sehen fast alle Männer traurig aus, aber auch wütend. Bert Trautmann: "So. Und dann hab ich auch mal ein bisschen aufn Putz gehauen und hab gesagt: Ich war der beste Ambassador, den ihr jemals gehabt habt und jetzt fragst Du, wo ich 85 Jahre bin, Bernd, wir möchten, dass Du Ambassador wirst für ManCity. Und das ist das, was...." Autor: Atmo, Brunnen mit Musik: In Sale, dem Vorort, wo Bernd Trautmann seit fünf Jahrzehnten übernachtet, wenn er nach Manchester kommt, sind die Backsteine zwar immer noch rot, aber die Häuser ansehnlicher und die Gärten größer. Die Fassaden sehen nicht mehr so gleich aus. Manchmal sind die Fensterfronten jetzt oval oder sogar rund. Ein paar kleine Türmchen hier, ein Erkerchen da und eine Verzierung dort, so dass aus jedem Häuschen fast ein Schlösschen werden könnte. Mit ein bisschen Phantasie. 150.000 Pfund müsste man für so ein Haus auf den Tisch blättern. Das verdienen einige Fußballprofis in England in der Woche. Manche hier im Viertel haben sich ein Leben lang dafür krumm gemacht. Bernd Trautmann will demnächst die Filmrechte an seiner Lebensgeschichte für 100.000 Euro verkaufen. Rosenstöcke und Forsythien blühen. Andere Blumen auch, pink und rosa. Die Luft ist samtig; es riecht nach Frühling. Die Alten lächeln öfter mal, grüßen entspannt über den Zaun. Hier scheint jeden Tag Sonntag zu sein. Bert Trautmann: "Es sind alle freundlich, wenn ich da mal hinkomme. O.k.; ich erwarte auch gar nicht viel, gar nicht viel, aber doch so ein ganz kleines Bisschen Anerkennung."