KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Ko Kostenträger : P 62 110 T Titel der Sendung : "Fire and Forget" Irak-Verteranen schreiben über den Krieg Üb Autor/in : Sven Ahnert Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 26.06.2015 Besetzung : Sprecher 1 (Kommentar), Sprecher 2 (VO), Sprecher 3 (Zitate) Regie : Klaus-Michael Klingsporn Produktion : O-Töne, Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503- Deutschlandradio Kultur - Literatur 26.Juni 2015 Fire and Forget Irak-Veteranen schreiben über den Krieg Autor: Sven Ahnert Spr.1 - Autorentext Spr.2 -- Voiceover, männlich, Zwischentitel Spr.3 -- Zitate O-Töne Matt Galagher, Phil Klay, Klaas Voß Musik Metallica Coma America, Märsche, Irakische Trauermusik Sprecher 3 (Zitator) Wir erschossen Hunde. Nicht nebenbei, sondern gezielt. Das nannten wir Operation Scooby. Sprecher 2 Truppenverlegung. Aus dem Erzählband Wir erschossen auch Hunde von Phil Klay O-Ton Schüsse/Kommunikation Apache-Pilot Sprecher 1 Es sind Bilder von verstörender Nüchternheit: Unwirklich, zynisch, unbegreiflich. Der Bordschütze eines Apache AH-64-Kampfhelikopters tötet zwölf irakische Zivilisten. Kalt, sachlich, wie die Szene aus einem Kriegs-Videospiel. Wir Zuschauer sehen die Szenerie durch das Zielerfassungssystem des Hubschraubers. Die Toten liegen im Staub, wir erkennen nur die Umrisse der Menschen, eingehüllt in eine Staubwolke. Bilder des Irak-Krieges, die um die Wert gingen. O-Ton Schüsse/Kommunikation Apache-Pilot Sprecher 1 In der Zeit des Zweiten Irakkrieges von 2003 bis 2011 starben 500.000 irakische Zivilisten und Aufständische. Auf Seiten der sogenannten Koalition der Willigen fielen 5000 Soldaten. Über 32000 US-amerikanische Soldaten und Söldner wurden verletzt. O-Ton Schüsse/Kommunikation Apache-Pilot, Musikakzent Coma America Sprecher 3 (Zitator) Ich mag Hunde, also musste ich viel darüber nachdenken. Beim ersten Mal passierte es instinktiv. O´Leary sagt: "Mann!", und ich sehe einen dürren, braunen Hund, der Blut aufleckt wie Wasser aus einem Napf. Es war zwar kein amerikanisches Blut, aber da steht der Hund und leckt es auf. Das ist wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, und von da an sind Hunde Freiwild. Sprecher 1 Phil Klay war von 2007 bis 2008 in der irakischen Provinz Al Anbar bei einer Einheit der US-Marines als Presseoffizier stationiert, hat Kampfeinsätze, Tod und Kriegsgräuel miterlebt. Vier Jahre hat er gebraucht, um diese Erlebnisse in Erzählungen über den Krieg zu verarbeiten. Er gehört zu einer immer größer werdenden Gruppe von Irakveteranen, die den Global War on Terrorism literarisch verarbeiten, der als Krieg gegen den Terror des 11. September 2001 von den USA und seinen Alliierten geführt wurde. Ein Krieg ohne Sieger und ein Krieg, der eigentlich bis heute andauert. The War that never ends, nannte daher der Journalist und Militärkritiker Jeremy Scahill diesen offiziell acht lange Jahre andauernden Krieg. Musik Irakische Trauermusik/Marine-March mit Echoakzent abnehmen Sprecher 1 Als Klay 2007 in der Al Anbar-Provinz aus dem Truppentransporter der US Air Force stieg, hatte er noch nicht das Gefühl, in einem Kriegsgebiet angekommen zu sein. Die Militärbasis Camp Taqaddum erschien ihm wie ein riesiger wohlorganisierter Verwaltungsapparat, hermetisch abgeriegelt hinter Stacheldraht, fast wie ein Stück amerikanische Heimat auf irakischem Boden, aber drum herum tobte ein erbarmungsloser Bürgerkrieg. Für viele junge US-Soldaten war das, was sie in der irakischen Wüste erlebten, ein unglaublicher Schock. 1.O-Ton Phil Klay The first really startling moment that impressed upon me was about a month then. There is a suicide truck bomb. The bomber had donated a among a group of families going to mosque. So the marines and soldiers brought the wounded into a base where the medical perosonal could care. There were just to many people. The wounded swamp the tables, the surgeons do surgery on the floor, because we ran of space. There is a line of marines, soldiers and sailors waiting to give blood; there we drawing blood from marines and immediately put it into injured people. That was quite shocking. Sprecher 2 (Voiceover) Meine ersten Erfahrungen außerhalb des Camps habe ich dann einen Monat später machen müssen. Ein Selbstmordattentäter hatte sich unweit unserer Basis mit einer Autobombe inmitten von Gläubigen, die auf den Weg zur Moschee waren, in die Luft gesprengt. Marines und andere Soldaten brachten die schwer Verwundeten in unser Lazarett für die Erstversorgung. Es war die Hölle. Überall lagen Verwundete herum. Sogar auf dem Fußboden wurde Erste Hilfe geleistet. Es fehlte an frischen Blutkonserven; meine Kameraden spendeten Blut. Das war schockierend. Sprecher 1 In seinem Buch Redeployment - in deutscher Übersetzung: Wir erschossen auch Hunde - erzählt der ehemalige Second Lieutenant Phil Klay zwölf Geschichten aus dem Irak-Krieg: Schonungslos genaue, bittere Episoden über den Alltag des Tötens im Irak. In Zehn Klicks südlich frotzeln Artillerieschützen über das Töten. Phil Klay zeigt hier den Alltag des Tötens in seiner grausigen Banalität. Sprecher 3 (Zitator) Sanchez holt einen Notizblock heraus und kritzelt in seiner mechanisch präzisen Handschrift Zahlen darauf. "Geteilt durch die neun Marines am Geschütz hast du persönlich heute null Komma sieben Leute getötet. Das ist ein Oberkörper und ein Kopf. Oder vielleicht ein Oberkörper und ein Bein." Kurze Pause mit Echo von Military Cadences Sprecher 3 (Zitator) "Kommt´s euch nicht komisch vor", fragt Jewett, "dass wir nach unserer ersten richtigen Mission einfach hier sitzen und Mittag essen?" Sergeant Deetz schaut ihn böse an, nimmt dann einen Bissen von seinem Salisbury Steak und grinst. "Essen muss sein", schmatzt er. Sprecher 1 Nach seinem Kriegseinsatz zog es Phil Klay nach Brooklyn. Dorthin verschlug es viele Ex-Soldaten aus dem Irakkrieg, die einen Neuanfang im zivilen Leben suchten und Bücher über ihren Krieg schreiben wollten. Sie belegten Kurse für kreatives Schreiben an der New York University und nannten sich ironisch Warrior Writers, "schreibende Krieger". Musik Coma America, Akzent, kurz Sprecher 3 (Zitator) Wir trafen uns in der White Horse Tavern, unter den mürrischen und verwässerten Blicken von Dylan Thomas, Norman Mailer und Jack Kerouac. Sprecher 1 Unter dem Titel Fire and Forget veröffentlichten Phil Klay und vierzehn weitere Irak- Veteranen eine Anthologie mit Erzählungen, die aus unterschiedlichsten Blickwinkeln die grausamen, gleichzeitig auch absurden und bisweilen grotesk-komischen Seiten des langen Krieges im Irak reflektieren und zuspitzen. Sprecher 3 (Zitator) Es war ein warmer Märztag, acht Jahre nach der Invasion im Irak. Sprecher 2 Aus dem Vorwort von Fire and Forget. Sprecher 3 (Zitator) Die Schatten vergangener Kriege türmten sich zu einem Mordsgebilde vor uns auf: Afghanistan, der 11. September 2001, der Kalte Krieg, der Vietnam- und der Koreakrieg, der Zweite Weltkrieg, die Schlacht von Austerlitz, die Eroberung von Mexico, Agincourt, Die Schlacht bei den Thermopylen, Achills Zorn... Sprecher 1 Mit am Stammtisch der berühmten New Yorker Künstlerkneipe White Horse Tavern saßen die Irak-Veteranen Colby Buzzell, Matt Gallagher und Phil Klay bei einem Glas Bier, diskutierten ihre Texte und empfahlen sich Bücher ihrer literarischen Vorbilder. Sie lasen Joseph Hellers Catch 22, Isaac Babels Reiterarmee, entdeckten Tolstois Krieg und Frieden. Jeder hatte woanders gedient, war MG-Schütze, Nachrichtenoffizier oder Militäranwalt wie Matt Gallagher. Ihre Anthologie Fire and Forget wurde somit zu einem literarischen Statement, das in vielfältigster Weise die Erfahrungen der Irakkriegs-Veteranen widerspiegelt. Der Titel Fire and Forget ist ein Spiel mit zweierlei Bedeutungen: Fire and Forget kommt aus dem waffentechnischen Vokabular: Fire and Forget-Raketen sind Lenkwaffen, die selbständig Ihr Ziel suchen. Doch hinter Fire and Forget könnte man sich auch ein Fragezeichen denken: Schießen und vergessen? Nein, sie wollten nicht vergessen. Sprecher 3 (Zitator) Ich war lange wütend. Ich wollte nicht über den Irak sprechen, also erzählte ich niemanden, dass ich dort gewesen war. Und wenn es doch jemand wusste und beharrlich war, log ich ihn an. Sprecher 2 Leichen. Aus dem Erzählband Wir erschossen auch Hunde. Von Phil Klay. 3.O-Ton Phil Klay I never wanted it to be exploited for just writing to be too shocking. When you write about war, you write about dusturbing things and this is important. You cant leave that out. That is a question of why I am writing that? What's the point? Why I am showing these things to the reader? There is this story in the book with this disfigured veteran who is being interviewed by a woman who wants to write a play. In some way that story deals with a fascination with war. Is concerned with, whether you exploit it in a manner which intended to provoke thoughtful reflection and knowledge about this or it's just a kind of shock value. Sprecher 2 (Voiceover) Ich wollte meine Erfahrungen mit Gewalt nicht ausschlachten, um meine Leser zu schockieren. Wenn man über den Krieg schreibt, zeigt man verstörende Dinge. Das lässt sich nicht vermeiden. Die Frage dabei ist nur: Warum mache ich das und lasse die Leser daran teilhaben? In meinem Buch gibt es zum Beispiel eine Erzählung über einen körperlich verunstalteten Veteranen, der von einer Frau interviewt wird, die ein Theaterstück schreiben will. Diese Geschichte beschreibt die Faszination des Krieges. Aber es geht auch darum, ob man Schockmomente einsetzt, um die Leute zum Nachdenken anzuregen oder ob man einfach nur schockieren will. Sprecher 3 (Zitator) "Amerika ist kaputt, Mann." Paul trank einen Schluck Bier. "Du willst echt nicht der sein, der das Wasser aus dem sinkenden Schiff schaufelt. Das kannst Du mir glauben." Sprecher 2 Außer bei einem Lungendurchschuss aus dem Erzählband Wir erschossen auch Hunde von Phil Klay Sprecher 1 Die Ideale von Paul sind im Krieg angesichts der maßlosen Gewalt zerbrochen. Die Erfahrungen, die er im Krieg sammeln musste, haben nichts mehr mit seinen ursprünglichen Vorstellungen von Gut und Böse zu tun. Solche Überlegungen waren auch der Motor für Phil Klays Kriegsgeschichten, die unverblümt und obszön klingen müssen, wie Klay meint, denn der Krieg ist obszön - das Sterben von Kameraden, Frauen und Kindern. Und das Sprechen über den Krieg und seine Grausamkeiten wird unweigerlich obszön, wenn man die jungen Soldaten vom Krieg erzählen lässt. Warum zog eigentlich ein junger, literarisch begabter und sensibel wirkender Literaturstudent wie Phil Klay in den Krieg? 4.O-Ton Phil Klay Well. It is not supposed a political decision. You dont join to serve Bush or to serve Obama. You sign up to serve a country. I didn't sign to go to Iraq, I could have send to Afghanistan. It is an act of idealism, an act of faith in some ways, that the american people will use your life well and that you will affect the positive change. I have one friend who protested the Iraq War and then join the Army. He is sort of an Art guy, he is not the only sort of left leaning sceptical of a person in the military. He thought to put in a position for he could affect things for the better. Sprecher 2 (Voiceover) Es war nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, eine politische Entscheidung. Man geht nicht zu den Streitkräften, um George W. Bush oder Barack Obama zu dienen, man fühlt sich seinem Land gegenüber verpflichtet. Ich hätte genauso gut nach Afghanistan geschickt werden können. Es war eine idealistische Entscheidung. Ich hatte einen Freund, der gegen den Irak-Krieg demonstriert hat und dann aber zur Armee gegangen ist. Er ist ein Künstlertyp, kein intellektueller Skeptiker, eher jemand, der daran glaubt, die Dinge zum Guten verändern zu können, indem er zur Armee geht. Sprecher 1 Als Presseoffizier war Phil Klay das Verbindungsglied zwischen der Truppe und dem Offizierscorps - eine Gratwanderung zwischen Loyalität und kritischer Reflexion. 2009 verließ er die US-Streitkräfte, besuchte den Veterans Writing Workshop an der New York University und entschied sich für die Schriftstellerlaufbahn. Für ihn ist Schreiben keine Therapie, sondern eine Möglichkeit, sein Verhältnis zu den USA zu überdenken. Phil Klay gibt sich beherrscht, er wählt seine Worte mit Bedacht, nur sein Lachen wirkt nervös. 5. O-Ton Phil Klay My service has certainly chance my relationship to America in a variety of ways. I have a friend. Who is a Marine Veteran. He talks about as a lot of veterans as informed sceptics as a result of their experience. I commissioned as a second lieutenant in 2005. By that point it was pretty clear, that Rumsfeld was not a particular competent secretary of defense. My relationship to my own service and how I felt about was not necessarily contingent on the question whether or not should we invade it. It was more about what we can do in a context of the situation and chaos that we were all have inleashed by that Invasion. Sprecher 2 (Voiceover) Die Dienstjahre im Irak haben mein Verhältnis zu den USA verändert. Ich kenne viele Irak-Veteranen, die ich auf Grund ihrer Kriegserfahrungen als "informierte Skeptiker" bezeichnen würde. Ich kam 2005 im Rang eines 2nd Lieutenant zu den Marines, und damals hat sich schon abgezeichnet, dass Donald Rumsfeld kein kompetenter Verteidigungsminister ist. Die Frage, ob es richtig war, in den Irak einzumarschieren oder nicht, hat meine Einstellung zur Armee in keiner Weise beeinflusst. Für mich zählte allein, wie wir der Bevölkerung dort helfen können inmitten des Chaos, das wir mit dieser Invasion entfesselt hatten. Sprecher 1 Phil Klay zeigt in einen Erzählungen Facetten des Krieges, Mosaiksteine, die später vielleicht einmal einen Sinn ergeben werden. Es sind keine Schlachtengemälde wie bei Norman Mailer in seinem berühmten Kriegsroman Die Nackten und die Toten, sondern oft auch schräg-komische Momentaufnahmen - inmitten von Tod und Verwüstung. In seiner Erzählung OIP - Operation Iraqi Freedom - jongliert der Autor virtuos mit militärischen Abkürzungen und nähert sich so dem literarischen Slapstick, fast in einem tanzenden Hiphop-Rhythmus. Musik gerappte Militärmusik Sprecher 3 (Zitator) (Hinweis: Kürzel englisch und möglichst musikalisch aussprechen!) Der PFC sagte, es wäre cool, eine IED abzukriegen, wenn keiner verletzt würde. J- 15 wurde sauer, meinte, das bringe mehr Pech, als wenn man die Charms aus dem MRE äße. Das Thermometer stand auf 49 Grad, und ich weiß noch, wie ich mich über die Klimaanlage beschwert habe. Dann ging die IED hoch. Sprecher 1 Klay spielt mit der Absurdität des Militärjargons, mit dessen abgehackten Rhythmen und der auf Kürzel reduzierten Kommando-Sprache. Das klingt zunächst komisch und absurd, doch durch die Art und Weise, wie der Ich-Erzähler diese Abkürzungen benutzt, bekommen sie etwas Emotionales und Persönliches. Er verschmilzt förmlich mit dem Militär-Jargon, dem doch eine vollständig andere Lebens- und Denkwelt als die zivile zugrunde liegt und die deshalb befremdet und abstößt. Musik Military Cadences Sprecher 3 (Zitator) (Hinweis: Kürzel englisch und möglichst musikalisch aussprechen!) Der Pv2 riss das Steuer herum, und das HMMWV kippte. Es war überhaupt nicht wie im HEAT-Trainer in Lejeune. JP-8 lief aus, fing Feuer und brannte durch meine MARPAT-Klamotten. Ich und Sergeant Green kamen raus, dann zerrten wir den Pv2 an den Gurten seines PPE nach draußen. Aber der Pv2 war bewusstlos, und ich rannte zurück, nach dem PFC schauen, aber er war auf der Seite, die die IED voll erwischt hatte, und es war zu spät. Musik mit Zitat abschließen Sprecher 3 (Zitator) (Hinweis: Muskalisch im Singsang eines Kommandos) "Ali Baba shoot us" From down there!" "Yes! Yes!" Ali Baba Shoot! We shoot back" Sprecher 2 Kaboom or Embracing the Suck in a Savage Little War . Zu deutsch etwa: Kaboom oder Reiß Dich zusammen in diesem barbarischen kleinen Krieg. Von Matt Gallagher Sprecher 1 Unter dem Titel Kaboom veröffentlichte Matt Gallagher, ein weiterer schreibender Irak-Kriegsveteran, 2010 seine Kriegserlebnisse. Gallagher, Spross einer Anwaltsfamilie mit irischen Wurzeln, griff dafür ins volle schmutzige Soldatenleben. Kaboom ist eine Mischung aus Fiktion und realistischem Soldatenalltag, entstanden aus einem Kriegs-Blog, den Gallagher im Irak schrieb. Sein Blog wurde auf Befehl seines Kommandanten geschlossen. Gallagher sollte befördert werden, und der Blog stand seiner Beförderung im Weg. Blogging in Kriegszeiten war überdies eine Gratwanderung; so wurden konkrete Angaben über Standorte und Missionen chiffriert. 6.O-Ton Matt Gallagher We come from different backgrounds, we served in different places and different roles. Americas war in Iraq lasted nine years, Afghanistan still going on, 14 plus now, that are lot of different stories to tell. Not just from the veterans perspective, but others as well of course. Sprecher 2 (voiceover) Wir hatten verschiedene soziale und familiäre Hintergründe, dienten an unterschiedlichen Orten in Afghanistan und Irak. Amerikas Krieg in Irak dauerte neun Jahre, der in Afghanistan vierzehn Jahre und ist noch nicht beendet. Das sind viele unterschiedliche Geschichten, nicht nur aus der Sicht der Veteranen. Sprecher 1 Matt Gallagher war neben Colby Buzzell der Feuerkopf unter den Warrior Writers, die sich auch für die Rechte von Veteranen einsetzen. Mit ihren Erzählungen und Romanen geben die schreibenden Veteranen dem verhassten Irakkrieg ein Gesicht. 7.O-Ton Matt Gallagher We start working together as serious writers first. And veterans second. Sharing each others work, critiquing it, recommending books, that we have read before. Sprecher 2 (voiceover) In erster Linie verstanden wir uns als Schriftsteller und erst in zweiter als Kriegsveteranen. So fingen wir an, die Bücher der anderen zu lesen, uns zu kritisieren, Bücher zu empfehlen, die wir vorher gelesen hatten. Sprecher 1 Matt Galagher, Phil Klay und Colby Buzzell bildeten das Kerntrio der Fire and forget- Autoren. Gallagher, der studierte Anwalt, wollte nach Ende seiner militärischen Karriere Schriftsteller werden. In Brooklyn, wo auch Phil Klay lebt, fand er seine neue soziale und literarische Heimat. 8.O-Ton Matt Gallagher One of the things I love about Phils writing in his collection Redeployment is the psychological aspects. Phil as a writer is very interested in kind of teasing up the lie. I think all the narrators of the stories you put in a room together, I think some of them would disagree with each others how things happend in Iraq, how things look in Iraq. I find that fascinating. Sprecher 2 (Voiceover) Was ich an Phil Klays Erzählband Wir erschossen auch Hunde liebe, ist seine psychologische Herangehensweise. Phil versteht es, besonders die Lügen des Krieges herauszukitzeln. Würde man die verschiedenen Erzähler in ein Zimmer stecken, würde keine Einigkeit darüber herrschen, was im Irak geschah und wie der Krieg dort aussah. Das finde ich faszinierend. Sprecher 3 (Zitator) Wir erschossen Hunde. Nicht nebenbei, sondern gezielt. Das nannten wir "Operation Scooby". Sprecher 1 Warum wurden eigentlich Hunde erschossen? Dieses makabere Detail aus dem Krieg bildet den Auftakt einer Geschichte über Nächstenliebe. 9.O-Ton Phil Klay At first in the story: they shoot dogs to stop them from eating human corpses. It is not really merciless and then he is shooting his own dog as a strange and convoluted act of love. as a mercy killing. There is a emotional distance, that he creates. These actions a related to his human feelings about the value of human life and respect for the dead and all these other things and even certain mercy and kindness within the context of crazy, incredibly violent environment. Where the choices you have are nothing like you would experience in a civilian context. Sprecher 2 (Voiceover) Zunächst einmal: Es wurden auch Hunde erschossen, die anfingen Leichen zu fressen. Das war die Realität. In meiner Geschichte Redeployment erzähle ich die Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der am Ende seinen todkranken Hund aus Mitleid erschießt. Diese Geschichte beschreibt seine Gefühle über den Wert des menschlichen Lebens, seinen Respekt für die Toten, erzählt von Gnade und Liebenswürdigkeit in einer durchgedrehten und unglaublich brutalen Umgebung, die Entscheidungen abverlangt, die nichts mehr mit dem zivilen Leben zu tun haben. Sprecher 1 Während Phil Klay das Chaos des Krieges in kleinen Momentaufnahmen reflektiert, überstürzen sich Colby Buzzell und Matt Gallagher in ihren Blogs mit oft clownesk überzeichneten Episoden, rhapsodischen Tagebucheinträgen. Es ist der zornige, freche Sound einer coolen Jugendsprache. Matt Gallagaher hat seine Blog- Geschichten aus dem Irakkrieg einem kleinen Bostoner Verlag angeboten, der das Buch 2010 unter dem Titel Kaboom herausbrachte. Mit Kaboom tourt Gallagher seitdem wie ein Popstar von Lesung zu Lesung. Sprecher 3 (Zitator) Hinweis: Musikalisch im Stil eines Rap lesen, mit Coma America unterlegt. Shoot Move And Communicate BoomBoom Scouts Out Shoot Move And Communicate BoomBoom Scouts Out Sprecher 1 Vollgedröhnt mit Alkohol, rattern die jungen Aufstandsbekämpfer - so die offizielle Mission: Aufstandsbekämpfung, nicht Krieg - durch die Wüste Iraks, Dienstleister einer fehlgeleiteten Sicherheitspolitik auf dem Weg in das nächste Himmelfahrtskommando - Kaboom ist voll solcher Episoden, die den Krieg als Kette surrealer Erlebnisse beschreiben und bewusst grell inszenieren. Sprecher 3 (Zitator) Hinweis: Musikalisch im Stil eines Rap lesen, mit Coma America unterlegt. Letzte Zeile kaum mehr verständlich. Shoot Move And Communicate BoomBoom Scouts Out The days bleed into nights, and the nights bleed into days...... Musik Coma America, jaulender Akzent 10.O-Ton Matt Gallagher Colbys gifts as a writer is: He has this really fine tuned voice. This kind voice of detached, ironic voice that is so powerful. Thats why I love Colbys writings. Sprecher 2 (Voiceover) Colby hat ein besonderes Talent: Seine distanzierte und pointierte Stimme ist äußerst mächtig. Das schätze ich an Colby. Sprecher 1 Mit seinen Memoiren My War - Killing Time in Iraq sorgte Colby Buzzell 2005 für Furore. Was der ehemalige Maschinengewehrschütze einer Stryker-Kampfbrigade Nacht für Nacht während seiner Dienstzeit im Irak in seinen Blog hämmerte, wurde von der Kritik als furiose Kriegsprosa gefeiert: Im Ton eines zornigen jungen Mannes wird hier der Krieg als von Punkrock und Heavy Metal untermalter Ego-Trip zelebriert. Buzzell stammt aus Kalifornien, aus einer Arbeiterfamilie und lebt heute in San Francisco als freier Autor. Sprecher 3 (Zitator) Junge Typen aus den Vorstädten gehen nicht zum Militär. Ich war nicht so ein Typ. Nach der High School geht man entweder zu einer angesagten Universität oder man lebt bei seinen Eltern, raucht Pot und verdient sein Geld mit einem miesen Job, mit Telemarketing zum Beispiel. Sprecher 1 Frech, unartig, ganz im Rhythmus schnell getippter Tagesprosa lässt Buzzell seine Leser am tristen brutalen Kriegsalltag teilhaben, ohne jede moralische Attitüde. Er beschreibt den Weg vom Rekrutierungsbüro bis zur Heimkehr als eine Art empfindsame Reise vom Jugendzimmer in die Hölle und zurück. Neben launigen Betrachtungen über Pornographie, Herumballern und Komasaufen überwiegen die absurden kleinen Momente des Krieges, die Buzzell lakonisch einfängt. Sprecher 3 (Zitator) Eine unsere letzten Trainingseinheiten bevor wir die USA Richtung Irak verließen, absolvierten wir in der Nähe von Fort Lewis, in einer aus Sperrholz nachgebauten Stadt. Sie trug den Namen Regensburg. Es war die exakte Kopie einer Hollywood- Filmkulisse, zusammengezimmert aus Bauholz. Wie ein Potemkinsches Dorf. Für unsere Übungen sollte es ein irakisches Dorf vorstellen; man hatte sogar Haustiere besorgt, damit es richtig schäbig aussieht, wie ein Dorf aus der Dritten Welt. Sprecher 2 My war - Killing time in Iraq von Colby Buzzell Sprecher 3 (Zitator) Unser Zwischenstopp in der Rhein Air Force Base dauerte nur wenige Stunden... Ich kaufte mir an einem Kiosk eine deutsche Pepsi Cola. Deutsche Pepsi Cola schmeckt irgendwie gruselig. Musik Coma America Sprecher 1 Nachdem Colby Buzzell auf Anordnung seines Kommandanten den Blog schließen muss, geht er noch einmal auf Patrouille, in die Stadt Tall Afar, westlich von Mosul, im Nordwesten des Irak. Das mit ungeheurer Feuerkraft unterstützte Kommando trägt den Codenamen Operation Black Typhoon: Der Bataillonskommandant der Einheit Tomahawk Six gibt folgende Losung aus: Sprecher 2 Shoot first Sprecher 3 Schießt zuerst Sprecher 2 Shoot straight Sprecher 3 Schießt genau Sprecher 2 Protect the innocent Sprecher 3 Beschützt die Unschuldigen Sprecher 2 And Punish the deserving Sprecher 3 Und bestraft die, die es verdienen Sprecher 2 God be with us Sprecher 3 Gott sei mit uns Sprecher 2 Tomahawk Six. OUT Sprecher 3 LOOS Musik Coma America 11. O-Ton Matt Gallagher You lose friends, often a couple of times in my case. To suicide you wonder what more you could have done. What we are doing wrong as a citizen, because we are not handling this right. Such a high percentage of returning veterans dealing with the posttraumatic stress. We collectively outsource them to kind of a seperate warrior class of people, there a fighting for America and certainly not fighting with America. Sprecher 3 (Voiceover) Ich habe in kurzer Zeit viele Freunde durch Selbstmord verloren. Wir als Gesellschaft müssen uns fragen, was wir falsch gemacht haben. So viele Kriegsheimkehrer leiden unter dem Posttraumatischen Stresssyndrom. Wir behandeln sie wie eine aussortierte Krieger-Klasse, die eigentlich angetreten war, um für Amerika zu kämpfen und nicht gegen Amerika. Sprecher 1 Gallagher hat das Kriegstrauma in einer Geschichte eindringlich beschrieben. Will, ein Irak-Veteran, wartet auf Hawaii auf seinen nächsten Einsatz. Wie ein Fremdkörper sitzt er auf einer Farm herum. In der Kurzgeschichte And bugs don´t bleed begegnen wir diesem Will, der niemals die Welt des Krieges und deren Logik verlassen hat: Sprecher 3 (Zitator) "Wie fühlt sich der schönste und lustigste Gockel weit und breit an diesem Morgen?" Sprecher 2 . Da ja Käfer nicht bluten. Eine Erzählung von Matt Gallagher aus dem Sammelband Fire and forget. Musik Anfang Coma America, Nur E-Sound unter Zitator-Text. Sprecher 3 (Zitator) Will erhob sich und schnappte sich den Gockel mit der schwarzen Schwanzfeder. Der Gockel flatterte zornig mit den Flügeln und wollte beißen und kratzen. Doch Will packte ihn fest an der Gurgel und schlug ihn mehrfach gegen den Zementboden bis der Vogel nicht mehr zuckte. Will ging zurück zum Eingang des Hauses und schmiss den toten Vogel in eine Kühlbox. Er säuberte seine Hände im Gras und setzte sich wieder auf die Couch auf der Veranda. "Das ist es!", sagte er. "Das ist es!" Sprecher 2 Warum tötet er den Hahn? 12.O-Ton Matt Gallagher Because he thinks he needs it to go back into the mind frame of going to War, taking away something that matters to something who is innocent. Reminds him of who he think needs to be in a completely different world where the social norms dont´ matter- Sprecher 3 (Voiceover) In Gedanken ist er bereits zurück in der Logik des Krieges, und er raubt einem unschuldigen Mädchen das Liebste, was es hat: ihren Hahn. Er wähnt sich zurück in seiner kaputten Kriegswelt, in der die sozialen Normen aufgehoben sind. Sprecher 1 Die Heimkehr aus dem Krieg ist vielleicht der wichtigste und traurigste Teil jeder Kriegserfahrung. Es ist ungeheuer schwierig, sich durch dieses gesellschaftliche Missverhältnis zu manövrieren. Da sind einerseits die vielen Kriegsbilder, Geschichten aus Film und Literatur und die Vorurteile, die eine Gesellschaft vom Krieg hat, und da ist andererseits der traumatisierte Veteran mit seinen individuellen Kriegserfahrungen und Ansichten über den tatsächlichen Krieg. Musik Military Cadendes, leise unter O-Ton, O-Ton und Voiceover verschränken. Wie ein imaginärer Dialog. 13.O-Ton Matt Gallagher It took me about a year to get comfortable in my civilian skin again. On funny story is, when I first moved to New York, I lived in a not so nice part of Brooklyn and was getting to Subway on afternoon and there was a gangfight going on down the block, with pistol shots. Very quickly I took a knee behind a parked car and looking around for my Radioman: "Where is he?" Because by job as a lieutenant in Iraq was call things back to the base, using the Radio. This was my responsibilty . An old man was humbling down the street and looked to like I was crazy I am walked hurriedly back to my apartment, bein very embarrased. And wondering if things will ever be normal again. And then I think very distinctly: Wait a minute, there was gun fight going down the block . I was behind a car on my knee. He was the one in the middle of the street. I am not crazy, he ist he crazy one, I was doing the smart thing. This was important form e to realize. That was a survival skill, had the bullets come down this way, I would be in a far better position than the man was. Sprecher 2 (Voiceover) Ich habe ein Jahr gebraucht, um in den zivilen Alltag zurückzukehren. Als ich nach New York zog, hatte ich gleich ein komisches Erlebnis. Damals lebte ich in einem ungemütlichen Teil von Brooklyn. Eines Nachmittags war ich auf dem Weg zur U- Bahn und geriet in eine Schießerei zwischen verfeindeten Straßenbanden. Ich warf mich auf den Boden, versteckte mich hinter einem Auto und suchte meinen Funker. "Wo ist mein Funker?", denn im Irak war es meine Aufgabe, Vorkommnisse an meine Einheit zu melden. Ein alter Mann humpelte über die Straße und fragte, ob ich irre sei oder was. Ich war am Boden zerstört, "Wird das denn nie aufhören?", fragte ich mich. Dann dachte ich scharf nach: Moment mal, das war doch eben hier eine Schießerei, und ich hab Deckung hinter einem Auto gesucht. Der alte Mann stand mitten auf der Straße. Er war verrückt, nicht ich. Ich war clever. Das war eine Frage des Überlebens. Ich war klar in der besseren Position - wären die Kugeln in unsere Richtung gekommen. Sprecher 1 Mit ihren so virtuosen Texten zeigen die Irak-Veteranen Colby Buzzell, Phil Klay und Matt Gallagher nicht nur das schmutzige Bild eines Krieges, sie erzählen auch von jungen, meist isoliert lebenden Veteranen, die wie Zombies in der Heimat herumirren, unverstanden von einer Gesellschaft, die keine richtige Heimat mehr sein kann. Zu tief klafft der Graben zwischen den Kriegserlebnissen der Soldaten und der Normalität daheim in Nevada oder Kalifornien. Diesen Graben füllen die Veteran Writers nun mit ihren Texten, bisweilen mit beißendem Zynismus: Sprecher 3 (Zitator) Ich sagte meiner Frau, dass ich mir im Falle meines Todes die folgende Inschrift für meinen Grabstein wünschen würde: Lieber hier als im Irak, Meine Frau fand das nicht lustig. Sprecher 2 Colby Buzells My War - Killing time in Iraq O-Ton Schüsse/Kommunikation Apache-Pilot, Ende mit Echo auf MG-Feuer, keine Musik 8 3