KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Titel der Sendung : Comics als Konversationsstücke Claire Bretécher und Ralf König im Porträt Autor : Rebecca Partouche Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 26.06.2012 Besetzung : Erzählerin (Kommentar), Sprecher (Kommentar und OV), Sprecherin (OV und Zitate Bretécher) Regie : Produktion : O-Töne und Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503- Musik: Marianne Rosenberg ("Du gehörst zu mir") Ralf König (O-Ton 1: Lesung) Sehr geehrte Quarktaschen, liebe Sahneschnittchen. Ich bin der Ralf König. Und seit Kurzem lese ich selber meine Geschichten, ich habe mich erst nicht so getraut, aber dann haben es andere gemacht, und ich saß im Publikum, und ich habe abgelitten, und ich dachte: schlecht lesen kann ich auch alleine. Und deswegen mach ich das einfach mal. Musik (wie oben) Ralf König (O-Ton 2: Lesung) "Mum...Ich muss Dir was sagen: Ich glaube ich bin homosexuell." - "Oh, mein Gott, was machen wir denn jetzt? Psychotherapie, Elektroschocks, zur Bundeswehr?? Lass das bloß nicht deinen Vater hören, der haut dich windelweich und mich danach auch noch!! Hahaha, war nur ein Scherz! Ich find's doch völlig ok, schnapp dir einen netten Jungen und hab Spaß! Wir haben so viele Fernsehsendungen darüber gesehen, vor allem wenn ihr euch in den Hintern poppt - nur mit Gummi." - "Was ist los?" - "Er ist schwul, und wo ist das Problem? Ist doch prima, Schwule haben doch definitiv mehr Spaß im Leben." Applaus hoch Erzählerin In den Comics von Ralf König haben Schwule nicht nur mehr Spaß als alle anderen, sie machen auch allen Spaß. Und sie haben Deutschland im Handstreich erobert. Es ist ein wundersamer Planet, auf den Ralf König Comicleser seit Anfang der 80er Jahre entführt, exotisch wie die Welt der Schlümpfe, in der alle gleich blau sind und doch anders: Sprecher Bei König gibt es Bioschwule, alte Schwule, Lederschwule, verliebte Schwule, frierende Schwule, Strandschwule, Spießer & Kultur-Schwule... Sie haben Knubbelnasen und Knubbelschwänze; sind verquatscht, kontaktfreudig und total triebgesteuert. Mit Ralf König ist die Nation der Dichter & Denker in einem albernen, bunten und unglaublich freundlichen Universum gelandet. Ralf König (O-Ton 3 Lesung) "Als Homosexueller musst du dich der gay community schon etwas anpassen. Du hast Hüftspeck und schmale Schultern. Das ist gar nicht gut. Du musst sportlich werden. ", -"Genau. Richtig Muskeltraining. Und die Brille muss weg, und deine Haare sind definitiv zu lang. Am Besten Glatze." - " Und du hörst die falsche Musik. Schwule hören in den Kneipen monotonen Bufta-Bufta und nicht deinen Independent-Krach.", -"Weg mit Radiohead hol dir die CD von Kylie Minogue & Rosenstolz. Musik Rosenstolz ("Wie lang kann man tanzen?") Sprecher Mit seinen "Schwulencomix" hat der Zeichner Ralf König das Schwulsein - fast im Alleingang - in die Normalität gebracht. Er hat aus einem "Problemthema" etwas Alltägliches gemacht. Es gelingt ihm, auch den hochtoupiertesten Transen etwas Liebenswürdiges abzugewinnen und selbst aus den dunkelsten Darkrooms etwas Vertrautes zu machen. Erzählerin Wenn man den Zeichner vor sich hat, sieht man sofort, woher dieser liebenswerte Kern kommt: Ralf König ist ein unglaublich freundlicher Mann. Hingefläzt auf seine riesige Sofalandschaft wirkt er völlig entspannt aber total neugierig. Und wenn er erzählt, dass er ohne Freude nicht arbeiten kann - glaubt man ihm das sofort. Ralf König (O-Ton 4) Das Schlimmste, was mir passieren kann ist, wenn die Lust vergeht. Wenn ich auf das, was ich mache, keine Lust mehr habe, dann kommt ein verführerischer Gedanke. Man könnte auch etwas anderes machen. Was viel leichter geht. Erzählerin Mit Ralf König ist alles bunter, lebendiger und irgendwie normaler. Zum ersten Mal beschreibt einer "die schwule Szene" von innen, so wie er sie selbst kennt: mit Klos & Kühlschränken, unappetitlichen Haustieren und sehr appetitlichen Bauarbeitern, unglaublichen Pannen in Bett & Pool. Alltag eben. Dass ihr Alltag so attraktiv ist, haben die Schwulen selbst nicht gewusst. Musik Rosenstolz ("Wie lang kann man tanzen?") Erzählerin Der große Witz, auf den Heteros und Schwule gleichermaßen anspringen ist: die völlige Verkehrung der Perspektive. In den Comics von König gibt es kein Verständnis für alles, was nicht schwul ist. Familien, Kinder und Frauen... sind total belämmert und ultrahässlich. So hässlich, dass sie schon wieder großen Schauwert haben. Sprecher Als König in den 80er Jahren die Comicszene betritt, ist das Bedürfnis nach Leichtigkeit und Sinnlosigkeit riesengroß. Nach den vielen verkopften Diskussionen der 70er Jahre sehnen sich die Menschen - nach Unterhaltung: Ralf König (O-Ton 5) "Schwul" Anfang der 80er Jahre. Das war ein Jammerspiel. Es gab keinen Humor. Es gab nur "Ausgegrenzt-Fühlen" und schlechtes Gewissen. Ich war derjenige, der Witze darüber machte. Das war ganz neu damals. Es gab ein Bedürfnis, es nicht so schwer zu nehmen. Nicht so wichtig. Sondern einfach mal zu lachen. Erzählerin Rosa von Praunheim, Ikone der Schwulenbewegung: Praunheim (O-Ton 6) Ich bin 10 Jahre vor Ralf König. Und mit einigen Freunden waren wir die Vorreiter der Schwulenbewegung. Wir mussten sehr Vieles erkämpfen. Das war Anfang der 70er Jahre. Und Anfang der 80er Jahre als Ralf König rauskam, war er eigentlich in einer ähnlichen Situation. Viele Schwule lebten noch sehr verklemmt. Ralf König hat sehr viele beeinflusst, sehr viele ermutigt zum Coming Out, selbstbewusst schwul zu leben. Das war sehr wichtig. Musik. Trio. "Da, da, da.". Sprecher Mit König ziehen Slapstick und Albernheit in die Schwulenkultur ebenso wie in die Comickultur ein. Diese spezielle Mischung aus Humor und ultralangen Beziehungsgesprächen kannten die Deutschen bislang höchstens aus Woody Allens Filmen. König erzählt ein ganzes Milieu neu, kombiniert lange Texte mit kleinen Zeichnungen, eine bis dahin ungewohnte Form des Comics. Die Leser stürzen sich förmlich auf die Bücher. König verkauft sich millionenfach. Denn in Deutschland kannte man bislang ja auch kaum Comics für Erwachsene. Viel hat sich daran nicht geändert. Andreas Platthaus, Comicexperte der FAZ: Platthaus (O-Ton 7) Es wird sehr viel Comic gelesen in Deutschland, wobei sich das auf sehr wenige Titel verteilt. Wenn Sie ein Asterix-Album nehmen, dann verkauft sich das genauso wie in Frankreich - nämlich 2,5 Millionen Mal. Da kann Harry Potter nur davon träumen. Oder wenn Sie Micky Mouse Hefte nehmen, die sich immer noch mit 300. 000 bis 500. 000 Exemplare pro Woche verkaufen. Das sind natürlich unglaubliche Zahlen. Das Problem ist, das sind wirklich nur diese zwei drei populäre Serien. Und das, was wirklich interessant ist an Comics - nämlich zu schauen, was kann man damit Besonderes machen, das kommt in Deutschland so gut wie gar nicht zum Zuge. Erzählerin König ist auch mit Asterix und den Comics von Walt Disney groß geworden. Aber er las auch andere Comics, die in Deutschland bis dahin nur ein paar bürgerliche 68er kannten (bei denen wiederum Disney verpönt war): französische Comics, genauer: die französischen Comics von Claire Bretécher, der ersten Frau des französischen Comics. Sie hat in den 70er Jahren die Linken parodiert und hat als Autorin der "Frustrierten" eine ganze Generation von 68ern geprägt, in Frankreich wie in Deutschland: Ralf König (O-Ton 8) Claire Bretécher ist für mich wirklich das ganz große Idol. Vielleicht nicht mehr so wie Anfang der 80er Jahre, aber ihre Zeichnungen finde ich absolut unerreicht, das ist immer noch: Hut ab. Wie sehr im Detail und wie frisch diese Zeichnungen sind und wie lebendig, und was für Klamotten sie anhaben, und wie sie sich bewegen, und wie die gucken! (..) Ich bin ein großer Fan, nach wie vor. Erzählerin In der Testosteron geladenen Welt des Comics (- mit Superhelden, die wenig reden und viel prügeln -) führte sie ganz neue Figuren und damit neue Sujets ein: schlappe, unattraktive Gestalten, die auf der Couch ihre Beziehungsprobleme diskutieren. Gegenspieler sind hier nicht "die Römer" sondern es ist die "Cellulitis". Dass man in Comics den eigenen Alltag verhandeln kann, war für König eine echte Entdeckung: Ralf König (O-Ton 9) Ich habe Anfang der 80er Jahre Claire Bretécher entdeckt für mich: "Die Frustrierten". Und das war das erste Mal, dass ich Comics sah, die so im Alltag spielten. Comics, das waren immer nur Western oder Science-Fiction oder Monster oder Schwert schwingende Barbaren, aber sicherlich nicht zwei Männlein, die auf dem Sofa sitzen und sich darüber streiten, ob sie in Urlaub fahren und wohin. So dieses ganz Normale, das fand ich toll. Erzählerin Allerdings ist der Alltag, den Claire Bretécher beschreibt, ein sehr spezieller Alltag. Sie erzählt nur und ausschließlich von "den Linken" und ihren Depressionen - in all ihren Nuancen und Schattierungen. Von laschen, frustrierten, kopflastigen Linken. Die hingegossen wie Wasserpfützen auf ihren Sofas liegen, ohne jede Energie. Eine Welt, in der sich Männer und Frauen nur durch Fusselbärte und Hängebrüste unterscheiden. Ralf König (O-Ton 10) Da hat mich die Art und Weise, wie Claire Bretécher mit der Linken umgeht, beeinflusst, ich dachte, das müsste man mit den Schwulen mal machen. Und das habe ich getan. Sprecher Bretécher als Chronistin der Linken und Ralf König als Biograph der Schwulen. Der französische Verlag Glénat erkennt sofort die Verwandtschaft: Beide treffen den Nerv ihrer Zeit, mit einem feinen Gespür für ihr Milieu. Und beide geben dem Dialog so viel Raum, dass er zeitweise die Bilder dominiert. Wegen der vielen Gemeinsamkeiten ernannte der französische Verlag Ralf König zur "schwulen Bretécher" (le Bretécher gay) - und verkaufte die beiden zusammen in einem einzigen großen Marketingcoup. Erzählerin Nur leider hatte der Verlag die Rechnung nicht mit Claire Bretécher gemacht. Die eigenbrötlerische Zeichnerin hasst es, mit überhaupt jemandem verglichen zu werden. Sie hat es schon gehasst, dass die Franzosen sie mit dem hoch angesehenen Soziologen Roland Barthes verglichen haben. Und sie wollte auch nicht in eine Schublade mit so einem dahergelaufenen deutschen Zeichner gesteckt werden. Sprecherin (O-Ton 11; OVERVOICE Bretécher) Es gibt so einen Deutschen, der mich total kopiert hat, verdammt. Ich hab seinen Namen vergessen, ach ja: König. Ja, am Anfang war es erschreckend. Und er nannte das: "eine Hommage". Er hat mich wirklich kopiert. Und eines Tages, da gab es einen Film oder ein Theaterplakat, überall in Paris, und alle sind auf mich zugekommen und haben mich gefragt: "Du erzählst Schwulengeschichten jetzt, was soll das?" Das hat mich tierisch genervt. Er hätte das ein bisschen besser verbergen können. Es war echt übertrieben. Gar nicht subtil. Ralf König (O-Ton 12) Und ich habe verstanden, dass sie nicht so gut gelaunt war, was meine Sachen betraf. Weil die Presse, die schrieb: "der schwule Bretécher" oder "der deutsche Bretécher". Und das würde mich total annerven, wenn jemand käme - ein dänischer Zeichner meinetwegen - und dann hieße es überall: "Das ist jetzt der dänische König" oder so. [König lacht sehr schön]. Das ist ein bisschen: der König ist tot, es lebe der König. Erzählerin Verleger und Comicexperte Didier Pasamonik zur Gemeinsamkeit der beiden: Sprecher (O-Ton 13; OVERVOICE Pasamonik) Die Formel "Bretécher gay" ist schnell und simpel zu verstehen, und falsch ist sie nicht. König ist durchaus mit Bretécher zu vergleichen, schon aus stilistischen Gründen. Und auch von seiner gesellschaftlichen Bedeutung her. Ja, das sind zwei Künstler, die einen ähnlichen Strich haben, karikaturhaft, in einem Stil, den man hingeworfen nennen würde. Erzählerin Was einem sofort entgegen springt, wenn man die Bücher aufschlägt, ist die sprichwörtliche Hässlichkeit der Frauen, die König ausgerechnet von einer Frau übernommen hat. Wenn man genau hinschaut, sieht man, mit welcher Leichtigkeit beide ihre Zeichnungen hingeworfen haben; Zeichnungen, die zeitweise von der Masse der Texte schier erdrückt werden, die sich in keine Sprechblasen mehr zwängen lassen. Und so schlaff ihre Figuren auch daherkommen mögen, sie sind alle mit großer Schnelligkeit gezeichnet. Ralf König (O-Ton 14) Der Strich ist total lebendig. Das kann nicht langsam gehen. [lacht] Das würde mich wirklich schockieren, wenn es nicht so hingekritzelt wäre wie bei mir. Wenn ich Skizzen mache, dann habe ich diese Lebendigkeit, wenn ich ein Blatt Papier hab, und ich nehm' einen Stift, wenn ich versuche, eine Idee zu kriegen, dann geht es sehr schnell. Musik: Trio ("Da Da Da") Erzählerin Bretécher und König sind sehr schnelle Zeichner, die beide sehr langsame Figuren lieben. Oft bewegen sich ihre Helden von Bild zu Bild gar nicht, und wenn sie sich dann mal am Ohr kratzen, kommt es einem wie eine richtige Actionszene vor. Ralf König (O-Ton 15) Meine Figuren sitzen gerne auf dem Sofa, bewegen vielleicht nur das, was bewegt werden muss, weil die Tasse mal genommen wird oder so. Dann bewegen sie sich. Erzählerin In diesem Understatement liegt natürlich der Witz... aber das ist nicht nur eine dramaturgische Entscheidung. Beide sagen: "Bewegung" zeichnen - das mögen sie nicht. Ralf König (O-Ton 16) Autos, Busse, Motorräder, Moped. Alles was Räder hat und fährt, find ich schwer. Weil man muss eine Perspektive haben, man muss eine Größe haben, das Fahrrad muss glaubwürdig sein - wie die Pedalen zum Sattel sind... Und ohne ein Foto würde ich das nie hinkriegen. Ich habe so einen Leuchttisch, das muss die Frau Bretécher doch auch haben?" Autorin (O-Ton) Ja. Das hat sie. Ralf König (O-Ton 16 weiter) Das hätte mich sonst auch verzweifelt gemacht. (lacht) Sprecherin (O-Ton 17; OVERVOICE Bretécher) Das Schwerste sind die Fahrräder. Die sind für alle schwer. Und als ich diese Pariser Mietfahrräder ("Velib") gebraucht habe, für meinen letzten Band von Agrippine, hab ich wie blöde geschwitzt. Ich bin sowieso eine Null in Fortbewegungsmitteln. Ich krieg's nur hin, wenn ich ein Foto vor mir habe. Ich kann es sonst nicht erfinden. Es gibt Leute, die sind in der Lage, etwas zu erfinden, irgendeinen Schlitten. Ich kann noch nicht mal mein eigenes Auto zeichnen. Ich bin absolut unfähig es zu zeichnen, ohne es vor Augen zu haben. Erzählerin Aber natürlich kann man Ralf König nicht nur auf Bretécher reduzieren. Schon allein deshalb nicht, weil man dann ganz andere Einflüsse unterschlägt: Asterix. Woody Allen. Und vor allem: Walt Disney. Von Disney hat König die runden Formen übernommen, die Knollennasen und die vier Finger. Vor allem aber... hat er die Unschuld von Disney auf den Sex übertragen. Denn so eindeutig seine Sexszenen auch sein mögen, sie sind niemals pornographisch. Selbst der wildeste Analverkehr ist immer noch eine Clownszene, und seine ewig tropfenden Schwänze sind so harmlos wie Rotznasen. Bei Ralf König ist Sex vor allem... ein großes Spiel: Ralf König (O-Ton 18:Lesung ) "Also das mit dem Analverkehr, das muss du mir noch mal erklären!" - "Mutter!!" - "Machst Du das mit Paul auch?" - "Also das geht dir wirklich nichts an!" - "Mir kannst du's doch sagen, ich bin doch deine Mutter. Außerdem hast du mich zur Selbsthilfegruppe Eltern homosexueller Kinder geschickt, und das haben sie mir gesagt: Ich soll alles fragen, was ich nicht verstehe" - "Ja, ja, ich mache das mit Paul auch." - "Oh, mein Gott, das will ich mir nicht vorstellen." - "Das musst du dir auch nicht vorstellen, zwingt dich ja keiner!" Praunheim (O-Ton 19) Ralf König konnte sehr explizite Sexdarstellungen machen mit einem unheimlichen Witz und einer Freude und einem Selbstbewusstsein. Aber er hat das alles so selbstverständlich gezeichnet, dass alle sexuellen Praktiken durch diesen Witz und durch Humor normal wurden. Ralf König (O-Ton 20: Lesung) "Und was ist mit dem Kot?" - "Mit dem was?" - "Mit dem Kot. Entschuldige ich bin in Ostpreußen aufgewachsen, zu der Zeit hatten die Körperöffnungen festgelegte Funktionen." Erzählerin Die Figuren von Ralf König sind so neugierig, dass sie absolut alles wissen wollen. Keine Körperöffnung bleibt unerforscht, kein Liebeskummer unbesprochen. Mit großer Energie stürzen sie sich auf jeden neuen Reiz. Und wenn es irgendwas zu spannen gibt... (Zum Beispiel: Bauarbeiter am Strand, Bauarbeiter auf der Baustelle) ... dann können sie sich vom Sofa losreißen und sind gar nicht mehr zu halten. Bei Bretécher dagegen sind die Figuren quasi Teil des Sofas, ohne jede Neugier. Sie freuen sich auf nichts mehr und warten auf niemanden, nicht mal auf Godot. Sprecherin 1: Zitat aus den "Frustrierten" von Claire Bretécher "Mir geht´s sauschlecht und ich weiß gar nicht, warum. Objektiv läuft alles. Mein Job ist okay, Jean-Claude ein Schatz, das Baby prima in Schuß und das Au Pair eine Perle. Ich bin einfach nicht in Form." - "Ist was mit der Leber?" - "Ich weiß nicht. Nichts interessiert mich, und ich kann mich nicht ausstehen. Dabei haben wir keine Geldsorgen, haben Freunde, gehen oft aus. Ich verstehe es einfach nicht."- "Vielleicht das Wetter?" -" Ich bin nicht eigentlich deprimiert, aber rundum lustlos." - "Vielleicht steht Saturn im Skorpion."- "In einer Woche fahren wir nach Marrakesch, und sogar das stinkt mir. Alles mies, ganz mies. Und du? Wie geht ´s dir?" - "Beschissen. Und ich weiß auch warum: Ich kriege keine Stütze mehr und finde keinen Job. Meine Wohnung ist zu klein, und ich hab kein Geld zum Umziehen, und obendrein keine feste Beziehung." - "Hör bloß auf. Das gibt mir den Rest." Erzählerin Königs Helden leben in einer ewigen Erwartung; hinter jeder Ecke könnte ja ein Orgasmus lauern. Bei Bretécher gibt es keine Erregung und keine Explosionen. Es gibt nur niedergedrückte Männlein, die depressiv in ihren Sesseln abhängen, und miesepetrige Frauen mit krummen Rücken & Hängebrüsten, die statt mit ihren Männern ins Bett zu springen, Sexualität so zerreden, dass der letzte Funke Lust im Gespräch erstickt. Sprecherin: Zitat aus den "Frustrierten" von Claire Bretécher "Ich frage mich wirklich, wie Du es mit mir aushältst. Depressiv, verrückt. Letztlich bin ich wohl schizophren. Manchmal bin ich total zu - als ob in meinem Kopf einer sitzt, der schreit und einer, der normal agiert, und das Schreien muß der andere ständig mit anhören, dafür gibt ´s kein Ohropax. Manchmal schweigt der eine. Ich denke, es ist für immer, aber schon geht ´s wieder los. Und dazu ein Gefühl von Verlassenheit, eine Lebensangst, ein Lebensüberdruß. Du kannst Dir das nicht vorstellen. Immer der eine, der sich herumschlägt, und der andere, der fragt, warum. Hängt natürlich alles mit meinen Schreibhemmungen zusammen. Da kann mir keiner helfen. Wie ein verrückter Selbstmörder auf dem Drahtseil. Wenn ich allein lebte, könnte ich leicht abstürzen. Ich glaube, du bist meine Balancierstange." Sprecher (O-Ton 21; OVERVOICE Pasamonik) Ihre Welt ist viel intellektueller. Verinnerlichter. Psychoanalytischer. Während bei König der Dialog moderner ist und näher an Kultserien wie Desperate Housewives Seine Comics sind viel leichter, weniger schwer, das sind leichtere Komödien, ein bisschen farcenhaft, das hat nicht die Kopflastigkeit der Comics von Bretécher. Sprecherin 1: Zitat aus den "Frustrierten" von Claire Bretécher "Sie kotzt mich an, diese Mafia von Pseudointellektuellen, die sich für das Gewissen der Welt halten. Banal, verkalkt und senil, sonst nichts. Vetternwirtschaft und Mediokrität. Wirklich Wichtiges passiert ohne sie, und sie merken es nicht. Idioten! Dröhnen bloß über ihren eigenen Bauchnabel. Parasiten...verdienen ihr Geld mit Selbstbefriedigung. Aber...die Verlage leben von ihnen und die Presse und die Filmindustrie! Halt stopp! Euch mein ich ja nicht, aber diese Typen machen mit ihrem hochgestochenen Schwachsinn jede Kreativität und jedes geistige Leben kaputt. Natürlich ist von Zeit zu Zeit etwas Interessantes dabei, dein Buch zum Beispiel finde ich persönlich sehr gut, es hat zwar keinen eigenen Stil, aber es funktioniert. Man darf doch nicht vergessen, daß es Leute gibt, die ohne viel Theater ihren Job machen, die im Fernsehen auftreten und die nicht dümmer sind als andere. Wenn man von auswärts kommt und das so sieht, dann hat man wirklich Lust, mit dem Knüppel dazwischen zu fahren. Allerdings muß ich sagen, daß wir auch, ob ihr ´s glaubt oder nicht, in Clermont unsere Clique von beschissenen Intellektuellen und Snobs haben." Musik: Trio ("Nur ein Traum") Sprecher Claire Bretécher ist die Tochter von Lehrern und wollte ursprünglich Schriftstellerin werden. Ihre Inspirationsquellen sind die Klassiker der modernen Literatur: von Samuel Beckett hat sie gelernt, eine Geschichte zu reduzieren. Und von Tschechow hat sie die Charaktere, die lieber von Moskau träumen als nach Moskau zu fahren. Die Komik liegt bei ihr in dem, was alles... nicht kommt. Und Zeichnerin ist sie geworden, aus Verweigerung. Sprecherin 1 (O-Ton 22; OVERVOICE Bretécher) Meine Eltern fanden, das Einzige, was sich lohnt, ist: für die Schule arbeiten. Hausaufgaben machen, Lektionen auswendig lernen. Meine Eltern waren keine besonders phantasievollen Leute. Ich bin so froh, mein Geld mit einem kleinen Job verdienen zu können, der überhaupt nicht ernsthaft ist. Mit einem Job, der total sinnlos ist. Ja, ich freue mich tierisch, dass ich im Sinnlosen arbeite! Erzählerin Bretécher will kein produktiver Teil der Gesellschaft sein. Sie hätte genauso gut obdachlos werden können. Sagt sie. Und wenn man sieht, wie sie wohnt, glaubt man ihr sofort. Claire Bretécher hat Obdach gefunden an einem Ort, den sich wohl nur ein Obdachloser aussuchen würde: auf dem Deck eines Parkhauses, knapp über den Abgasen. Dort befindet sich ihre Maisonnette-Wohnung, die mehr an ein besetztes Haus erinnert als an ein Luxus-Penthouse (wie in Artikeln über sie geschrieben steht). Hier wohnt Claire Bretécher seit 40 Jahren. Und hier wird sie bleiben. Die 72jährige mag keine Veränderungen. Moden interessieren sie nicht. Sie will in Ruhe gelassen werden. Eigentlich mag sie auch keine Interviews. Und wenn man zu viel nachfragt, ist sie genervt. Erzählerin Ralf König ist das komplette Gegenteil. Er liebt das Gespräch, lebt mitten in der schwatzhaften Kölner City und hat sich für die Arbeit extra ein Büro gemietet, um das Gefühl zu haben, er gehe ganz normal zur Arbeit. Wie alle anderen. Zeichner ist für ihn genauso ein Beruf wie Lehrer oder... Tischler. Ralf König (O-Ton 23) Ich habe eine Schreinerlehre gemacht, und das war nun gar nicht das, was mir liegen würde. Ich hab immer Angst gehabt, dass ich mir die Finger absäge, an der Kreissäge. Ich war so ungeschickt. Mein Vater wollte, dass ich das mache. Ich hab auch nur die Hauptschule, also keine mittlere Reife. Ich konnte also nicht studieren oder so was. Ich habe es fünf Jahre lang gemacht, drei Jahre Lehre und noch zwei Jahre in dem Holzbetrieb gearbeitet. Erzählerin Ralf König schreibt aus der Mitte der Gesellschaft und sieht sich immer als Teil der Welt, die er zeichnet. Claire Bretécher dagegen hat sich an den Rand einer Gesellschaft gestellt, deren Werte sie ablehnt. Nach wie vor. Ihr künstlerisches Verfahren ist Verzicht und Reduktion. Eine preußische Französin. Ralf König ist hingegen ein barocker Deutscher, für den die Welt immer noch ein Abenteuer ist. Wo die Freude überall und immer möglich ist, im scheißkalten Juist genau wie in der Bullenhitze von Griechenland. Und auch wenn König sagt, dass er sich mit 50 total alt fühle, wenn er dann anfängt von "Erschlaffung" und "Niedergang" zu sprechen, tut er das immer noch mit derselben Energie. Ralf König (O-Ton 24) Ich hab ein Händchen dafür, mir schwierige Themen zu suchen. Ich habe das Thema "Älter werden" gehabt, und das ist: (lacht sehr schön) das ist eine wirklich bittere Pille. Also, was bei den Frauen wohl die Meno ist, ist bei den Männern wohl die Andropause. Ich habe gegoogelt, es wird behauptet, dass es sie gäbe. Und da stand: Verringerung des Hodenvolumens. Und dann habe ich gedacht: das reicht. Musik: Trio ("Bum Bum") Ralf König (O-Ton 25: Lesung) "Ich hab grad etwas Grauenhaftes gesehen. Ich stand da vor deinem Haus. An der Fußgängerampel. Da seh ich einen kleinen alten Opa, der hing da völlig senil. Der war wenigstens 100. Der hing da völlig senil auf seinem Fahrrad. Und der schob sich und der schob sich immer irgendwas ins Nasenloch. In beide Nasenlöcher, abwechselnd, und da seh ich, dass es ein Schraubenzieher ist, dieser Mann schob sich einen Schraubenzieher bis zum Anschlag in die Nase. Bah. Und dann leckte er den Schraubenzieher jedes Mal ab. Und rotzte auf den Boden. Oh mein Gott. Bah. Ich habe nie etwas Widerlicheres gesehen. Ich schwöre, es war ein Schraubenzieher! Ich war wie paralysiert. Ich konnte gar nicht weggucken. Ich glaube, ich hab sogar eine Ampelphase verpasst. Ich will nicht alt werden. Musik: Trio ("Bum Bum") Ralf König (O-Ton 25, weiter) Und ich sage dir: die Zeit läuft. Ein paar Jahre noch und dann sind wir vergreist. Sexy, graue Schläfen sind da nur der Anfang. Musik hochziehen und stehen lassen Ende 15