COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Für: Deutschlandradio Kultur Sendung am: 26.12.2011, 17.30 Uhr NACHSPIEL Freeriden - heikler Kick im Tiefschnee? <0.17> Guten Morgen, alle zusammen. Wir sind am Gipfel vom Weißhorn heroben jetzt. 2700 Meter hoch. Ausgezeichnetes Wetter, beste Fernsicht. Wir werden uns jetzt herrichten, also die Ski anziehen. Alles fertig machen. Die Sicherheitsausrüstung checken. Und dann wollen wir ins Gelände gehen. Autor Einen schöneren Skitag kann es wohl kaum geben. Stahlblau der Himmel, weißbestäubte Berge bis zum Horizont. Postkarten-Winterwetter. Fast kitschig, das Ganze. Doch das kleine Grüppchen neben der Bergstation der Weißhorn-Seilbahn wirkt unruhig. Kleine Pulks von anderen Skifahrern drängeln sich vorbei. Aber Bergführer Manfred Lorenz zieht gelassen den Reißverschluss seines Anoraks zu: des kalten Windes wegen. Erst mal ein Rundum-Blick! Wenn wir uns mal ein bisschen umdrehen: ein wunderbares Panorama! Die Silvretta da draußen: Die drei Zacken nebeneinander, das sind die Fluchthörner. Rechts daneben der Piz Linard, der höchste Gipfel in der Silvretta. Und dann machen wir einen riesengroßen Schwenk. Man sieht da genau auf den Piz Palü hinüber. Und rechts auf den Bernina-Gipfel, also in die Bernina-Gruppe hinein. Die Berge weiter rechts: Da geht es ins Bergell hinunter. Ist eher nicht mehr so bekannt... Autor Die sechs Begleiter von Manfred Lorenz haben allerdings nur wenig Augen für das Panorama der Schweizer Bergwelt, hier, im Herzen von Graubünden. Am Rande der Skipiste spähen sie in die Ostflanke des Weißhorns hinein. Verfolgen steile Felsrinnen, entdecken kleine Hügel, zeigen aufgeregt mit behandschuhten Fingern auf feine Schneekämme in der Tiefe. 10, 15 Zentimeter Neuschnee. Minus 7, minus 8 Grad von der Lufttemperatur her. Also perfekte Schneebedingungen hier oben im Gelände. Leider Gottes müssen wir a bisserl aufpassen: Wir haben weiterhin Stufe 3 der Lawinengefahr. Autor Stufe drei auf der fünfteiligen Lawinenskala: Da heißt es: Achtung! <0.28> Die Situation ist immer die gleiche: Es hat schlechtes Wetter. Man wartet auf das gute Wetter, weils beim schönen Wetter einfach schöner ist, Ski zu fahren. Heißt natürlich auch, dass am ersten Tag - wenn es schönes Wetter hat - keine Schneesetzung stattgefunden hat. So dass der Schnee noch ganz einfach frisch ist, dass er windverfrachtet ist. Er konnte sich unter Umständen mit der Altschneedecke noch nicht verbinden. Und ist dadurch der klassische Lawinentag. Einerseits, weil man ins Gelände will. Auf der anderen Seite, weil man im Gelände Bedingungen vorfindet, die noch nicht ganz ideal sind. Autor Der erste schöne Tag nach Neuschneefällen gilt als brandheiß unter Experten. Heute ist so ein Tag. Weil überall tückische Schneebretter lauern, bewegt sich Manfred Lorenz mit seiner Gruppe äußerst vorsichtig außerhalb der gesicherten Pisten. Andere sind in diesen Tagen nicht so zurückhaltend. Regie <0.02> Sprecher M1 Davos. Vier deutsche Skitourenfahrer sind am Samstag bei einem Lawinenniedergang im Gebiet Gorigrad am Flüelapass verschüttet worden. Ein Mitglied der Gruppe konnte sich aus der Lawine befreien und den Rettungsdienst alarmieren. Drei konnten nur noch tot geborgen werden ... Regie <0.02> Sprecher M2 Bern. Am Wochenende haben in der Schweiz zwei Lawinen vier Todesopfer gefordert. Drei deutsche Skitourenfahrer starben am Samstag in einer Lawine am Flüelapass. Ein junger Variantenskifahrer verlor am Sonntag in einer Lawine in Grindelwald sein Leben ... Regie <0.02> Sprecher M3 Wie die Kantonspolizei Graubünden mitteilte, konnte sich einer der Verschütteten selbstständig aus den Schneemassen befreien. Er alarmierte mit dem Mobiltelefon den Rettungsdienst. Die Suchtrupps orteten gegen 2 Uhr 30 in der Nacht auf Sonntag die Verschütteten. Für die drei 40-jährigen Männer aus Bayern kam aber jede Hilfe zu spät ... Regie <0.02> Sprecher M1 Der in Grindelwald umgekommene Skifahrer hatte sich etwa um 10 Uhr 30 vom Oberjoch in der Firstregion außerhalb der markierten Skipiste allein auf eine Abfahrt begeben. Wie die Regionale Staatsanwaltschaft Oberland mitteilte, löste sich plötzlich eine Lawine und riss ihn mit, als er einen Hang querte. Gemäß Lawinenbulletin galt für die Unfallregion die Stufe "erheblich". Regie <0.02> Autor Auch am höchsten schweizerischen Berg, dem Monte Rosa, erleidet eine sechsköpfige Gruppe von Skitouristen an jenem Sonntag einen Lawinenunfall. Glücklicherweise stirbt bei dem Geschehen oberhalb von Zermatt niemand. Die bittere Bilanz dieses Wochenendes: Vier tote Schneesportler - allein in der Schweiz! Regie Autor Zurück am Weißhorn: Das Siebenerteam mit Manfred Lorenz macht sich fertig für die erste Abfahrt. Unverzichtbar - nicht nur an einem solchen Tag: der Check der Notfallausrüstung. Jeder Skifahrer hat einen seifendosenähnlichen Apparat um seine Schultern gehängt: das Verschütteten-Suchgerät. Es sendet Funksignale aus, damit sein Besitzer im Falle eines Lawinenabgangs möglichst schnell gefunden werden kann - durch seine Kameraden, und bevor er erstickt ist. Der Bergführer testet, ob seine Kunden den so genannten "Pieps" am Morgen auch wirklich eingeschaltet haben. Regie Autor Dann geht's endlich los. Endlich ins Gelände! Regie Atmo Okay ... auf ... und runter geht's ... Autor Die Freerider-Gruppe ist eine der ersten, die ihre Skispuren durch die frisch verschneiten Hänge des Weißhorns oberhalb von Arosa ziehen kann. Zwischen den Markierungspfählen der Pistenbegrenzung hindurch geht es in einen steilen Pulverhang hinein. Die ersten Schwünge sind zaghaft, die Wadenmuskeln müssen sich noch eingewöhnen. Dann kommt langsam der Rhythmus. Schließlich lockt ein großer, ebenmäßiger Hang, die Ski richtig laufen zu lassen. Der knietiefe Schnee staubt unter den Brettern hervor, immer schneller wird die Abfahrt. Lautes Juchzen, fast wie im Rausch: Atemlos kommen die Skifahrer unten an. <0.04>, <0.15>, <0.12>, <0.11> Der Hang hat die perfekte Neigung gehabt, die perfekte Steilheit, und der Schnee war super. - Der hat die Steilheit gehabt und gerade den Schnee, den man für die Bretter nehmen kann. Und mit a bisserl Zug - ich schnauf jetzt entsprechend, puh ... - da geht das schon. Da kann man richtig dranbleiben, gell. - Weils einfach geil ist, oder? Weil wir da jetzt einen Hang gefahren sind, der so leicht pulvrig, leicht aufgefirnt ist. Der genau die richtige Neigung hat, dass man ein bisschen Gas geben kann und unten rausfahren. Wunderbar! - Ein bisschen mehr Powder, dann wäre das noch mehr ein Zauber. Aber, sagen wir mal, auf einer Skala von zehn, da liegt der schon bei sieben oben. Also ein tolles Gefühl, wenn man fast wie auf Wasser getragen wird. Einfach unbeschreiblich schön. Autor "Im Powder surfen, Schnee fressen, den Kitzel der Vertikale spüren." Das sei das Faszinierende beim Freeriden, hört man immer wieder. Und das Vergnügen abseits der Pisten boomt. Viele Wintersportareale werben mittlerweile mit speziellen Abfahrten, auf denen Pistenraupen, die den Schnee platt walzen, Tabu sind. Und immer mehr Wintersportler wollen ihre Ski- oder Snowboardspuren im unberührten Pulver ziehen. Allein in Deutschland, so schätzt der Alpenverein, gibt es 400.000 Menschen, die auf Skitouren gehen. Auch wenn wildeste Videos von Ausrüstungsherstellern, Sportmarketing-Strategen oder Extrem-Skifahrern bei Filmfestivals und in Online-Portalen das suggerieren: Freeriden lockt nicht nur junge Adrenalin-Junkies oder Hardcore-Brettl-Freaks. Denn die wenigsten Freizeitathleten springen über hohe Felsklippen oder stürzen sich megasteile Eisrinnen hinunter. Die meisten suchen einfach nur Genuss. Auf den Risiko-Kick könnten viele wohl verzichten. Doch manchen ist gar nicht bewusst, in welche Gefahr sie sich begeben. Im Winter 2009/2010 starben in den Alpen 164 Menschen den Weißen Tod - so viele wie noch nie. Und fast immer waren es Wintersportler, die von Lawinen begraben wurden. Regie Autor In der Ostflanke des Weißhorns oberhalb von Arosa zeigt Manfred Lorenz unterdessen seinen Kursteilnehmern, wie heikel die Lage an diesem Tag wirklich ist - allem Sonnenschein und der Winter-Romantik zum Trotz. Für den Profi des DAV Summit Clubs - das ist die Bergsteigerschule des Deutschen Alpenvereins - gehören Erlebnis und Lernen zusammen. Schrecksekunden sind dabei wohl dosierter Programmbestandteil. So auch, als der Skiguide vorsichtig von oben in eine versteckte Schneemulde hinein rutscht. Eine typische Skifahrersituation: Weil wir in den Mulden immer den perfekten Schnee finden. Das verleitet den Tiefschneefahrer, die Mulden zu bevorzugen. Dort hinein zu fahren. Und genau dort ist er dann im gefährlichen Bereich. Autor Spricht es und tritt den Beweis an. Ein scharfes Zischen hängt plötzlich in der Luft. Dann rauscht der Schnee in großen Schollen hinab in die kleine Geländeschüssel. Erschrecken angesichts des Schneebretts. Ja, Du fährst um die Ecke rum und hinter Dir geht's ab. Das ist das Problem. Autor Und obwohl das Grüppchen in respektvoller Entfernung stand: Es haben sich kleine Schlitze im Schnee aufgetan. Mitten zwischen den Skifahrern hindurch. Ja, jetzt sieht man hier Risse, die wirklich in die Schneedecke reingehen. Und man merkt: Wenn einer in den Hang reinfährt, dann bewegt sich einfach der Schnee auf dem Hang ein bisserl mit. Das ist schon beeindruckend. Da kriegt man schon Respekt davor. Autor Als typisches Skifahrer-Schneebrett bezeichnet Manfred Lorenz das Gesehene. Denn von selbst und ohne das Zutun des Sportlers wäre die Mini-Lawine kaum abgegangen. In der Mitte der Mulde unten hat es 10, 15 Zentimeter Schnee. Heroben im Anbruchgebiet, wo man jetzt mehr oder weniger den Hang auch gestört hat - da sieht man auch noch die Risse - ... da ist die Schneemenge die dreifache von diesen zehn Zentimetern. Das ist eben die Schneeverfrachtung, die angespannte Lage. Autor Ein harmloser Praxisbeweis, dass die Situation wirklich so brenzlig ist wie vom Experten vorhergesagt. Harmlos? Nur bei dieser kleinen Vorführung! Um das Phänomen zu erklären, greift Manfred Lorenz zu einer Klappschaufel. Gräbt ein Loch in die Schneedecke, kratzt herum und fördert auf dem Aluminiumblatt Schneekristalle verschiedenster Art zutage. Wir sind jetzt etwa auf 2300 Metern - grob von der Höhe her. Das heißt, wenn wir jetzt einmal unten hinein gehen in die Schneedecke, dann sehen wir, dass wir mit dem Stock durchkommen bis auf den Boden ... Wir finden auch feuchte Zwischenschichten ... diesen feuchten Schnee hier hat es mehr oder weniger kalt eingeschneit mit zehn bis 20 Zentimeter Neuschnee bei relativ starken Winden. Relativ starken Schneeverfrachtungen: Auf allen Buckeln hat es wenig Schnee. In die Mulden hat es überall den Schnee hineingeblasen. Und dieser haftet jetzt nicht mit dem Untergrund. Autor Eine tückische Situation also. Für den Laien nur schlecht zu erkennen. Und deswegen so gefährlich. Genau diese heikle Lage hat allein an jenem Wochenende vier Skifahrer in der Schweiz das Leben gekostet. Regie Es gab erst mal einen sehr, sehr lauten Knall. Also einen richtig lauten Knall. Und dann habe ich hoch geschaut. Und im ganzen Hangsystem waren überall Risse zu sehen. Und dann geht es auch schon in rasender Fahrt ins Tal. Also, das ist Wahnsinn, das geht so schnell. Autor Silke van der Piepen weiß, wie schnell es geht, wenn ein Schneebrett anbricht. Sie geriet in eine Lawine, als sie abseits der Skipisten unterwegs war. Und sie hat erfahren müssen, wie es sich anfühlt, zum Spielball der Schneemassen zu werden. Ich habe dann Schnee in den Mund bekommen. Und ich habe das dann erst alles gar nicht realisiert. Und plötzlich kam im Hinterkopf so ein Gedanke: Wenn dieser Schnee jetzt nicht rauskommt, dann bist Du sowieso sofort tot. Dann habe ich es noch geschafft, den Schnee auszuspucken. Dann kam ich kurze Zeit wieder ans Tageslicht und habe gehofft: Bitte, bleib jetzt stehen, bitte, bleib jetzt stehen, bitte nicht weiter. Aber dann gings sofort wieder runter - ab in die Dunkelheit. Autor Zwei Meter tief wurde die Skifahrerin schließlich verschüttet. Die Überlebenswahrscheinlichkeit dort unten ist minimal. Wer nicht zuvor beim Absturz verletzt oder vom Schnee erdrückt wird, der erstickt innerhalb kürzester Zeit. Einbetoniert im kalten Weiß! Dann merkt man, wie die Lawine langsamer wird. Und ich habe versucht, die Hände nach vorne zu kriegen, um irgendwie einen Luftraum zu schaffen. Ich habe in dem Moment gedacht: Gott, ist es jetzt wirklich schon vorbei? Ich will eigentlich noch nicht sterben. Ich will weiter leben, ich bin noch so jung. Das war für mich in dem Moment so: Nee, ich möchte noch weiter leben! Autor Silke van der Piepen hatte Glück im Unglück. Ihr Begleiter konnte sie noch rechtzeitig ausgraben. Weil er Verschütteten-Suchgerät und Schaufel dabei hatte. Und mit beidem auch umgehen konnte. Er hat wirklich ganz strategisch gearbeitet und hatte dann ungefähr nach - wir wissen es nicht genau - nach 20, 25 Minuten meinen Kopf freigelegt. Und in dem Moment - so erzählt er es - habe ich schon sehr, sehr quietschende Atemgeräusche von mir gegeben. Aber davon weiß ich überhaupt nichts mehr. Also ich habe da nichts mehr mitgekriegt davon ... das war ziemlich knapp. Regie <0.05> Autor Immer wieder - und häufiger als früher - schaffen es Lawinenunglücke auch in die Medien. Waren verunfallte Wintersportler vor Jahren gerade mal eine Randnotiz in alpennahen Regionalzeitungen Wert, so stürzen sich die Journalisten heute auf fast jedes Unglück - vor allem dann, wenn es jenseits der Liftgebiete passiert. Auf der anderen Seite: Nicht nur auf planierten Pisten herumzurutschen, ist hip - vor allem unter jungen Leuten. Der Trend geht einfach dahin, im Winter im Gebirge mit Ski unterwegs zu sein. Die einen sehen das sportlich: Kondition, Hochjoggen mit Ski, also Skitourenrennen. Die anderen sind die klassischen Skitourengeher, die noch das Bergerlebnis suchen, die Einsamkeit. Und dann aber vor allem die Freerider, die mit breiten Ski, hoher Geschwindigkeit den Tiefschnee suchen. Autor Chris Semmel, Chef der Sicherheitsforschung des Deutschen Alpenvereins in München. Dabei ist das Freeriden eigentlich ein alter Hut. Das so genannte Variantenfahren hat schon seit Jahrzehnten viele Anhänger. Und "Ski Plus" haben sogar Wintersport-Reiseunternehmen seit langem im Programm: Gemütlich mit Lift oder Seilbahn in die Höhe gondeln, um dann auf der anderen Bergseite unberührte Steilhänge hinunterzugleiten. Auf Off-Piste-Vergnügen haben sich manche Liftgebiete heutzutage spezialisiert. Sie hoffen, die Freeride-Szene anzulocken und sich so einen Wettbewerbsvorteil im harten Kampf der Wintersport-Destinationen zu verschaffen. Unstrittig ist: Immer mehr Ski- und Snowboardfahrer suchen das Abenteuer. Doch gibt es zugleich immer mehr Lawinenopfer? Die Zahl der Lawinentoten kletterte zwar mit 164 im vorvergangenen Winter auf ein Allzeithoch in den Alpen. Doch das sei kein Grund für Panikmache, beschwichtigt der Sicherheitsexperte Semmel. Was in den Medien steht, ist die eine Sache. Die Statistik spricht eine ganz andere Sprache. Nämlich eine konstante Entwicklung über die letzten zwanzig Jahre, dass immer mehr oder weniger dieselbe Anzahl von Toten zu verzeichnen ist. Wenn man jetzt die langjährigen Todeszahlen anschaut im Alpenraum - von Frankreich bis Slowenien -, dann fällt schon auf, dass wir unheimliche Streuungen haben. Autor So hat offenbar nicht einmal das stark zunehmende Interesse am Off-Piste-Fahren die absoluten Opferzahlen hochschnellen lassen. Auch für die These, dass die Freerider immer leichtsinniger werden, gibt es laut Semmel keinen Beleg. Die statistischen Ausreißer nach oben lassen sich ganz anders erklären. Verantwortlich sind die Katastrophenwinter. Und das sind aus Skifahrersicht nicht die mit riesigen Neuschneefällen. Gefährlich für Wintersportler sind vor allem die Winter mit wenig Schnee. Für den Laien schwer zu verstehen. Das liegt daran, dass der Schneedeckenaufbau, wenn wenig Schnee da ist, viel leichter gestört ist und in der Regel viel ungünstiger ist. So eine Schneedecke ist ja nicht ein homogenes weißes Paket, wie es erst mal aussieht. Sondern es besteht aus verschiedenen Schneeschichten, von den einzelnen Schneefällen her. Man kann sich das vorstellen wie eine Prinzregententorte oder eine Waffelschnitte: Da kommt mal eine harte Schicht, dann wieder eine weiche Schicht. Und diese Schichten haben unterschiedliche Stabilitäten untereinander. Wenn jetzt da wenig Schnee liegt, dann haben wir meistens eine sehr große Störanfälligkeit, sprich: Eine Person fährt mit Ski in so einen Hang hinein und stört dann eben diese schwache Schicht, die dann nicht weit unter den Ski sich befindet, von der Tiefe her. Und kann dann eine Schneebrettlawine auslösen. Regie <0.05> Autor Ortswechsel: Auch das kleine Dörfchen Engelberg in der Zentralschweiz hat sich unter Freeridern einen Namen gemacht. Die Größen der Szene aus ganz Europa pilgern in das Revier unter den Gipfeln von Titlis und Reissend Nollen. Engländer, Skandinavier, Deutsche: Wer etwas auf sich hält und seine Bretter im Schnee perfekt beherrscht, für den ist eine Visite in Engelberg ein Muss. Auch die fünf Norwegerinnen, die Bergführer Sämi Speck für einen Tiefschnee-Tag angeheuert haben, suchen vor allem eins: Powder! <0.10> Ragna ... my name is Margrit ... this is like a Suiss name ... the short version is Maggie ... Autor Ragna, Heidi, Live, Margrit und Stina fahren seit ihrer Kindheit Ski. Die Norwegerinnen scheuen sich aber, alleine ins hochalpine Gelände aufzubrechen. Deswegen soll der einheimische Profi Sämi Speck mit. Check der Notfallausrüstung: gleich auf dem Engelberger Bahnhofsplatz, direkt an der Bushaltestelle. <0.11> Okay, then everybody can come to me one by one ... piiiep, piiiiep, piiiiiep... Autor Mit Gondel und Sessellift geht es hinauf zum Jochstock. Von dort lässt sich die gigantische Engelberger Schneeschüssel am besten überblicken. Erst am Tag zuvor hat es ausgiebig geschneit. Doch in welche Richtung man auch schaut: Nicht ein Quadratmeter Schnee scheint unzerpflügt. Spuren zwischen Felsen, durch Eisrinnen, über hohe Klippen hinweg. Die Freerider haben in wenigen Stunden ganze Arbeit geleistet, sagt der 33-jährige Speck. Jetzt schaut das eigentlich aus wie eine Buckelpiste, das ganze Gebiet, oder? Jetzt sind überall ganz viele Leute gefahren. Immer noch schön eigentlich zum Fahren. Aber unsere Gäste, die wollen natürlich am liebsten unberührten Pulverschnee. Autor Und die Szene der Freeskier wächst und wächst. Der Boom ist sicher gewaltig. Er hat auch mit dem neuen Material zu tun: dass es nicht mehr so schwierig ist, neben der Piste zu fahren. Vor zehn oder 15 Jahren hat man einfach noch nicht das Material gehabt, das so einfach zum Lenken ist wie heute. Und jetzt seit zwei Jahren wird einfach sehr offensiv Ski gefahren - auch absolut hirnlos teilweise. Es sind schon eher jüngere Leute. Die haben oft keine Ahnung und verfolgen einfach Spuren. Das ist eigentlich ein No-Go. Es gibt heutzutage viele Leute, die über Felsen springen und so ... bewusst! Und so eine Spur sollte man einfach nicht verfolgen, wenn man nicht genau weiß, wo die Spur hingeht. Autor Zwischen Skiliftmasten und Schirmbar entdecken die Skandinavierinnen heute keinen Pulverschnee mehr. Deswegen stapfen die fünf Blondinen in ihren dick wattierten, bunten Skioveralls wenig später den unberührten Jochgletscher bergan. An der Spitze des Trupps: Bergführer Sämi Speck. Steigfelle werden unter die Tourenski geklebt, damit die Bretter auch bergauf halten. Das ist ungewohnt für die Norwegerinnen. Immer wieder rutschen sie in der Spur zurück. Mühsam nur geht es Richtung Wendenlücke. Unterhalb des Joches ist aber noch unverspurter Pulverschnee zu sehen - das motiviert. Durchhalten heißt es für ein knappes Stündchen, dann ist das Ziel erreicht. Juhuuuuu ... - We are up now at Wendenlücke at about 2700 meters ... + Englisch mit voice over! Hey, schau mal, all die Berge um uns rum. Das ist doch verrückt. Großartig! Und trotz der harten Arbeit hier rauf: Das wars doch echt wert! - Solche Berge haben wir in Norwegen gar nicht. Das ist so beeindruckend. Auch das Wetter. Und ich bin schon so, so gespannt, wie es runter geht. Der Schnee sieht fantastisch aus. Autor Sämi Speck muss erst mal die Begeisterung dämpfen. Denn bei der Abfahrt lauern nicht nur Gletscherspalten. Auch die Lawinengefahr hat sich noch nicht völlig entspannt. Wird der Tiefschnee rar, dann heißt das Stress für die Skiguides. Denn die Kunden sind auf Powder-Hänge aus. In manchen Gebieten zahlen sie sogar "Jungfern"- Prämien, wenn der Bergführer es schafft, ihre Gruppe als erste in eine unberührte Flanke zu bringen. Ein heikler Kick! Diesen Druck sollte man gar nicht aufbauen lassen als Bergführer. Jemand, der einen Bergführer bucht, der will einen sicheren Tag haben und nicht in eine gefährliche Situation kommen. Regie <0.05> Autor Dem Weißen Tod will die Jugendorganisation des Deutschen Alpenvereins Paroli bieten. "Check Your Risk" heißt ein Angebot für junge Freerider. Mit Workshops soll der Schneesport-Nachwuchs auf die Gefahren abseits der Pisten aufmerksam gemacht werden. Der erhobene Zeigefinger ist dabei out. Videos, Denkübungen und Spielszenen gehören stattdessen zum Repertoire. In einem Seminarraum in der Bildungsstätte der Alpenvereinsjugend im bayerischen Bad Hindelang. <0.13>; Atmo weiter drunter! Wir wollen das jetzt hier mal simulieren, wie sich das anfühlt, wenn ich da unter eine Lawine komme quasi und da komplett verschüttet bin ... Haben wir hier einen Mutigen? ... Ja, da kommt der Tobi ... Autor Tobi muss sich bäuchlings auf eine blaue Gymnastikmatte legen. Obendrauf kommt eine zweite schwere Turnmatte. Mehrere Kinder, denen es ein Riesenspaß ist, erhöhen noch das Gewicht. <0.10>; Atmo stehen lassen! Tobi, jetzt schaust Du mal, dass Du da raus kommst. Gib mal Gas. Und Ihr guckt mal, dass ihr ihn richtig runterdrückt. ... Los, komm, komm... Autor Platt wie eine Flunder im Matten-Sandwich: Der Junge hat keine Chance, sich zu befreien. Genau diese Einsicht soll hier vermittelt werden. <0.09> <0.15> Da ist gewaltig Action in der Klasse. Der "Verschüttete", der zwischen den Matten liegt, der merkt schnell, er kommt selber nicht raus. Jeder sagt zwar, wenn ich da a bisserl im Schnee drin liege, das ist eine weiche Materie. Aber Lawinenschnee, der ist komplett gepresst. Das ist einfach wie in flüssigen Beton gegossen. <0.22> Unser Konzept bei "Check Your Risk" ist es, überhaupt mal dafür zu sensibilisieren, dass es Lawinengefahr gibt. Dafür zu sensibilisieren, dass es Instrumente und Methoden gibt, sich dagegen zu wappnen. Dass es Dinge wie einen Lawinenlagebericht gibt und Notfallausrüstung. Deswegen machen wir Sensibilisierung an ganz vielen Schulen, bei sehr jungen Schülern auch: Das ist sechste, siebte, achte Klasse. Wir hoffen, sie zu erreichen, bevor sie abseits der Piste unterwegs sind. Autor Florian Bischoff, Projektleiter von "Check Your Risk". Die Präventionskurse bei Skilagern und Schulausfahrten gehen jetzt in die vierte Saison. Knapp 8.000 Kinder pro Winter absolvieren die Trainings. Der Deutsche Alpenverein hat schon eine viertel Million Euro in das Programm investiert. Das Hauptproblem ist, dass mittlerweile aus der jungen Generation viele gar keinen alpinen Background mehr haben. Sondern über Magazine, über Videos und dann auch durch die gute Ausrüstung einfach sagen: Ich probier das mal aus. Und das Gefahrenbewusstsein ist oft gar nicht vorhanden. Die eifern blind Dingen nach, die sie aus dem Fernsehen, aus der Werbung kennen, auch zum Teil aus den extremen Ski-Magazinen. Und sie kennen nicht die Gefahren, die dahinter lauern oder auch den Aufwand, den die Profis betreiben. Sondern sie versuchen, es einfach nachzuahmen. Und das ist lebensgefährlich. Autor Einfach drinnen hinterm Ofen zu bleiben, ist aber nicht die Botschaft der Alpenvereinsjugend. Stattdessen fordert Florian Bischoff aktives Risikomanagement. Wir möchten als alpiner Verein natürlich nicht den Leuten verbieten, in den Bergen das zu tun, wonach ihnen der Sinn steht. Aber sie sollen keine Anderen gefährden und sie sollen bei ihren eigenen Aktionen wissen, wie viel Risiko sie bereit sind, einzugehen. Regie <0.05> Autor An der Wendenlücke bei Engelberg freuen sich mittlerweile die norwegischen Mädchen auf die Abfahrt. Frostig die Luft, doch wärmend die Sonnenstrahlen im Gesicht. Das Licht: weißlich und grell. + <0.03> ... now we go down in the powder ... juhuuuuu.... Autor Dunkle, graue Felsen treffen am Joch auf gleißend glitzernde Schneeflächen. Von oben scheint es, als ob eine Rampe aus Zuckerguss über den Gletscher ins Tal führt. Und bislang hat nur ein einziger Snowboarder eine s-förmige, geschwungene Linie in den gigantischen Abhang gezeichnet. Die Aufregung unter den Freeriderinnen steigt. + <0.13>; Englisch mit voice over! Das ist wahnsinnig, da wieder runter zu fahren. - Es ist das Wetter, es sind die Berge, es ist die Natur, einfach alles. Man fühlt sich frei. Und das alles in irre schöner Umgebung. <0.16> Ja, die Abfahrt schaut gut aus. Wir werden aber mit großem Abstand fahren hier oben. Weil da auch ein bisschen Wind drin war. Es ist auch vom Fahrvergnügen her schöner, wenn wir mit großem Abstand fahren zwischen jeder Person. Dann kann jeder den Hang richtig genießen. Autor Bergführer Sämi Speck mahnt noch mal zur Vorsicht. Dann rutscht er langsam an die Kante vor - und abwärts geht's! Lockerer Pulverschnee bis hinauf zur Wade. Ein paar Meter, dann nehmen die breiten XXL-Ski Tempo auf. Ganz weit schieben sich die Spitzen vor, scheinen in der Luft zu hängen, bevor sie wieder eintauchen in die riesige Staubwolke, die alles - so scheint's - verschlingen will. ; Englisch mit voice over! Wow, das ist toll. Ein ganz spezielles Gefühl. Fast, als wenn Du im tiefen Schnee herumschwebst. Herrlich! Autor 1000 Meter tiefer wartet die Engstlenalp. 1000 Meter auf der Suche nach dem richtigen Rhythmus sind das - bis die Oberschenkelmuskeln brennen. 1000 Meter Sinnesrausch auf zwei Brettern. Doch vor der Ekstase heißt es noch mal: Gehirn einschalten! Freerider sind keine Selbstmörder. Aber wenn ich natürlich als Freerider den Anspruch habe, als Erster einen großen Hang zu fahren, dann sitzt mir die Konkurrenz eigentlich an jedem schönen Wintertag im Nacken. Und wenn ich mich da aus diesem Druck verleiten lasse, überhastete Entscheidungen zu treffen und nicht sorgfältig nachzudenken, es nicht richtig vorzubereiten, dann bin ich in der Tat ziemlich gefährdet, unter ein Schneebrett zu geraten. Das zeigt ja leider auch die Realität: Dass es schon immer wieder Tote gibt. Eigentlich zu viele Tote. 1