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Am Hügel hinter ihm: leuchtend rot blühende Bougainvilla-Büsche und violetter Oleander. Kurz nach dem Abbiegen auf die berühmteste Straße der Stadt, den Sunset Boulevard, öffnet sich versteckt hinter hohen Hecken eine Oase, nur einen Kilometer Luftlinie entfernt von den Hochhäusern in Santa Monica. Erster Halt: Sunset Boulevard, Kilometer 0,5. Regie: Atmo 2 Auto anhalten aussteigen, mischen in Atmo 3 Vogelzwitschern/Wasserfall/Verkehr Autorin 2: Ein kleiner See mit Schwänen und Schildkröten. Wasserfälle, Palmen, Azaleen und üppige Rhododendron-Büsche: Lake Shrine, das Meditationszentrum der Gemeinschaft der Selbstverwirklichung. Im Schatten einer ausladenden Baumkrone sitzt auf einer Bank ein schmächtiger Mann in lachsfarbenem, kragenlosen Hemd. Graues Haar, sanftes Lächeln, neugierige Augen. Bruder Priyananda kam Ende der 60 er Jahre aus Berlin über Indien nach Kalifornien. Ein Jahr später war er Mönch. Die Gemeinschaft von Lake Shrine und die Autobiographie ihres Gurus, Paramahansa Yogananda hatten bei ihm einen Nerv getroffen. Regie: 1. O-Ton Bruder Priyananda 21 sec. Das Hippie - das habe ich sehr schnell abgestreift. Die Hippies original, die haben nach Glück gesucht und Liebe aber nicht in der richtigen Richtung. Als ich die Autobiografie las und die Lektion hab ich gesagt: ok, das geht nicht nach außen sondern nach innen durch Meditation. Die Seele ist ja quasi in uns. Autorin 3: In Los Angeles gibt es mehr spirituelle Gruppen als Starbucks- Cafes und Surfschulen. Die Gemeinschaft der Selbstverwirklichung ist die einzige mit einem See, einer Windmühle, einem Hausboot, einem Tempel und einem Steinsarkophag mit Asche von Mahatma Gandhi. Die leicht surreale Mischung ist Ergebnis der Geschichte des Ortes: von Immobilienspekulationen über Stummfilmdreharbeiten bis zu Meditation und Yoga. Ein Paar um die vierzig geht wortlos händchenhaltend auf dem schattigen Weg zum Seeufer. Daniel und Alma Rivas sind gekommen, um aus der Hektik des Arbeitsalltags zu fliehen. Regie: 2. O-Ton Daniel Rivas SPRECHER 21 sec. Hier kann ich entspannen, in mich gehen, meditieren und über das Leben nachdenken. Es ist friedlich. Man kann alles vergessen, sogar den Verkehr. Regie: 3. O-Ton Alma Rivas SPRECHERIN 20 sec. Ich habe so einen Ort noch nie gesehen. Beim ersten Mal dachte ich, ich bin in einer anderen Welt: die Ruhe, das Grün - mir hat es gleich gefallen Regie: Atmo 4 Meditation mit Anleitung in der Windmühle Autorin 5: In der zur Kapelle umgebauten Windmühle leitet vormittags ein Mönch Meditationen. Durch offene Fenster zum See fällt Sonnenlicht in den holzgetäfelten Raum. Die blau bezogenen Stühle sind fast alle besetzt: junge Paare, Mönche, Männer und Frauen mit silbernen Strähnen im Haar sprechen gemeinsam Bekenntnisse, atmen im selben Rhythmus ein und aus. Bruder Priyananda ist überzeugt, dass Zentrumsgründer Yogananda beim Spazierengehen um den See positive Schwingungen hinterlassen hat, die Besucher noch heute - sechzig Jahre nach seinem Tod - spüren. Regie: 4. O-Ton Bruder Priyananda 25 sec. Wir sagen manchmal wenn jemand mit Sorgen kommt: gehe ein paar Mal um den See und wiederhole mental "Everything is ok, God loves me." Und danach braucht man keinen Rat mehr zu geben. Die haben den Rat vom lieben Gott bekommen. Everything is ok. God loves me. Das stimmt doch, nicht wahr? Regie: Atmo 5 Verdeck runterfahren/ Musik Autorin 6: Gestärkt von positiven Schwingungen geht die Fahrt auf dem vierspurigen Sunset Boulevard weiter gen Osten, in weiten Schlangenlinien vorbei an perfekt gepflegten Vorgärten mit parkähnlichen Ausmaßen, sonnendurchströmten Palmenalleen und an dichten hohen Hecken, hinter denen sich riesige Anwesen verbergen. Nach 16 Kilometern leuchtet links zwischen Rosenbüschen, Palmen und Eukalyptusbäumen ein blendend weiß gestrichener Marmorbogen mit schmiedeeisernem Tor: der Eingang zum Nobelviertel Bel Air. Polierte schwarze Großraumlimousinen mit verdunkelten Fensterscheiben surren vorbei. Ein paar Kilometer weiter östlich schimmern auf der Fahrerseite des Boulevards nun rosa Mauern und Türme durch dichtes Grün aus Bananenpflanzen und Palmen. Sunset Boulevard, Kilometer 16: Regie: 5. O-Ton ohne Übersetzung Parkassistent Beverly Hills Hotel "Welcome to the Beverly Hills Hotel" 2 sec. Regie: Atmo 6 Valet Parking, Teppich zum Beverly Hills Hotel Autorin 7: Der Parkwächter in schwarzem Anzug öffnet mit leichter Verbeugung die Autotür und hilft beim Aussteigen. Absätze versinken im roten Teppich zum Eingang des Beverly Hills Hotels, von dem ein Zimmermädchen in rosa-weißer Uniform mit einem Roll-Staubsauger unsichtbare Fussel entfernt. An der Rezeption vorbei geht es zur Polo Lounge, Regie: Atmo 7 Klavierspielen, small talk "Hello ... Autorin 8: Moosgrüne Tapeten, breite weiß-grüne Blockstreifen an der Decke, dunkelgrüne Nischensofas, weiße Tischdecken, weiß gerahmte Spiegel. Bei dezenter Pianomusik verhandeln in diesem Restaurant seit Jahrzehnten Schauspieler, Produzenten und Regisseure über große Hollywoodverträge. Elizabeth Taylor hatte ihren Stammplatz in der Nische direkt gegenüber vom Eingang. Marlene Dietrich ließ sich Martini an der Bar servieren. Drei Jahre wohnte die Deutsche in einem Bungalow des Beverly Hills Hotels. Sie verlangte ein maßgefertigtes Bett und änderte die Hotelregeln: niemand konnte ihr verbieten, Hosen zu tragen! Regie: Atmo 7 kurz hoch Autorin 9: In einer Nische ganz hinten im Raum sitzt ein Herr um die siebzig in matrosenblauem Anzug, das schwarze Haar mit Öl zurück gekämmt: Robert Anderson. Seine Urgroßmutter Margaret Anderson gründete das Beverly Hills Hotel vor hundert Jahren. Damals konnten Frauen nicht wählen, Beverly Hills war noch keine Stadt sondern trostloses Farmland und der Sunset Boulevard ein Feldweg ins Nirgendwo. Regie: 6. O-Ton Robert Anderson SPRECHER 17 sec. Meine Urgroßmutter hatte ein Motto, das hieß: unsere Gäste haben das Recht auf beste Qualität, koste es was es wolle. Das gilt noch heute: was immer Sie wünschen, es ist uns ein Vergnügen es Ihnen zu bringen - solange es legal ist. Autorin 10: Bei kalifornischem Chardonnay und Austern-Vorspeise erzählt Robert von den vielen Stars, die im Beverly Hills gelebt, übernachtet und gefeiert haben, in Bungalows Affairen und Marotten auslebten, am Pool verführt, entdeckt und gefilmt wurden. Regie 7. O-Ton Robert Anderson stehen ohne Übersetzung 21 sec. Mary Pickford, May West, Charlie Chaplin, Cary Grant, Clark Gable, Michael Douglas, Kirk Douglas, Erol Flynn, Elizabeth Taylor, Richard Burton, ZsaZsa Gabor, Gina Lollobridgida ... Regie 8. O-Ton Robert Anderson SPRECHER 14 sec. Paul Mc Cartney und Linda Eastman - sie hat angeblich gehört, dass er sie sehen wollte, ist direkt nach Los Angeles geflogen und hat auf den Stufen seines Bungalows gewartet bis er in der Nacht nach Hause kam. Autorin 11: Heute ist das nicht mehr möglich! Die Frage, ob man beispielsweise vor einem Bungalow auf Johnny Depp warten könnte, löst bei Anderson blankes Entsetzen aus - auf keinen Fall! Regie: 9. O-Ton Robert Anderson stehen lassen ohne voice over Don't even think about it! 2 sec. Autorin 12: Diskretion ist neben Luxus das höchste Gut des Beverly Hills Hotels. Regie 10. O-Ton Robert Anderson SPRECHER 6 sec. Höchstens wenn Johnny Depp das o.k, gibt und selbst das wäre schwer zu bewerkstelligen. Autorin 13: Wer vorhat, den gesamten Sunset Boulevard entlang zu fahren, sollte sowieso lieber dem Parkwächter Bescheid geben, das Auto zu holen als Hollywood-Stars aufzulauern. Regie: Atmo 8 losfahren Rockmusik Autorin 14: Östlich vom Hotel wird der Sunset Boulevard enger. Hinter einer scharfen Kurve beginnt der zweieinhalb Kilometer lange Sunset Strip: statt weiter Vorgärten und hoher Hecken riesige Werbetafeln zwischen Hotels, Restaurants und Tankstellen. Darauf räkeln sich knapp bekleidete Models, werben Tiere mit Regenbogen-Afro-Perücken für den neusten Zeichentrickfilm und bleiche Vampire fletschen im Auftrag einer Fernsehserie ihre Zähne. Touristen-Doppeldeckerbusse und Paparazzi sind auf Promi-Jagd. Aus den Hügeln leuchten links die berühmten weißen HOLLYWOOD Buchstaben. Vorbei geht es an legendären Musik-Clubs: in den 70 ern rockten Led Zepplin, The Doors, Guns N'Roses und Frank Zappa im Whiskey a Go Go, in Roxy, Viper Room und Troubadour. Die Clubs gibt es noch immer, doch die alternative Musikszene ist gen Osten abgewandert, hat Platz gemacht für Nobelhotels und Bars mit rotem Teppich und muskulösen Türstehern. Dazwischen ein leuchtend gelb und rot gestrichener Pacific Railroad Zugwaggon: ,Carney's, die ungewöhnlichste Hot Dog und Burgerbude von Los Angeles. Sunset Strip Nummer 8351 Regie: Atmo 9 quietschende Tür, dann drinnen mit Kunden und Musik Autorin 15: Nach der übersichtlichen Vorspeise im Beverly Hills Hotel läuft beim Geruch von frisch gegrilltem Fleischklops, Zwiebeln, Paprika und knusprigen Pommes das Wasser im Mund zusammen. Bauarbeiter, Polizisten und Hotelangestellte stehen vor der Theke im umgebauten Waggon Schlange. Hot Dog, Fritten und Cola gibt es hier zusammen für knapp zehn Dollar. Regie: Atmo 10 Bestellung aufgeben Autorin 16: Künstler Ben hält einen Hot Dog mit beiden Händen. Chili tropft von beiden Seiten in die Pappschale darunter. Der Mitt-Dreißiger mit schütterem Haar und dickrandiger Brille malt nachts in seinem Studio Ölbilder. Tagsüber arbeitet er als Hotelpage. Gästen empfiehlt er Carney's - wegen des Essens, der Preise und der Promis. Eva Mendez, Kevin Kostner und David Beckham gehören zu den Stammkunden. Ben warnt Hollywood- Neuankömmlinge: wer entdeckt werden will, ist auf dem Sunset Strip an der falschen Adresse. Regie: 11. O-Ton Ben SPRECHER 22 sec. Leute, die hier her ziehen glauben, dass es so funktioniert. Sie gehen in die Clubs und so, das ist lächerlich. Sie glauben, dass sie dort Stars treffen. Stars treiben sich hier nicht rum, sie haben ihre Häuser in den Hügeln. Warum sollten sie? Regie: Atmo 11 quietschende Tür/Verkehr Sunset Autorin 16: Vor dem Restaurant ist eine Terrasse mit direktem Blick auf den Sunset Strip. Carney's Besitzer John Wolfe macht eine kurze Kaffeepause vom Thekendienst. Fettspritzer auf dem roten Polo-Shirt, Bartstoppeln und müde Augen unter der grauen Haartolle verraten, dass er schon viele Stunden in der Küche steht. Wolfes Vater hat 1975 den Waggon aus der Wüste an den Sunset Strip transportieren, Sitze ausbauen und frisch gelb-rot streichen lassen. Er erinnert sich: das waren gute Zeiten! Regie 12. O-Ton John Wolfe SPRECHER 34 sec. In den 70ern gab es hier Nutten, Zuhälter und Rock ,n' Roll Clubs. Wir hatten keine Konkurrenz, alle kamen zu uns zum Essen. Es hat mehr Spaß gemacht als jetzt. Alle kamen hierher zum Essen. Jetzt sind alle so empfindlich. Damals wurde nicht alles gleich ernst genommen. Autorin 17: In den 70ern und 80ern spielte auch John Wolfe in einer Band, fuhr morgens zum Skifahren in die Berge und abends an den Strand zum Surfen. Bis er den Burger-Waggon übernahm, heiratete und Kinder bekam. Jetzt haben seine beiden Söhne eine Band. Der Vater überlässt es seinen Jungs, ob sie am Sunset Burger und Hot Dogs grillen oder weiter Musik machen wollen. Regie: 13. O-Ton John Wolfe SPRECHER 20 sec. Man ist nur einmal jung und sollte so lang es geht seinen Träumen folgen. Du hast den Rest deines Lebens um erwachsen zu werden. Das ist schwer genug. Alle sollten die Chance bekommen das zu tun was sie möchten. Regie: Atmo 12 Auto anlassen, Musik/Werbung Autorin 18: Auf der Weiterfahrt gen Osten bröckeln Glanz und Glamour am Sunset Strip: Schlaglöcher in der Straße, Fast Food Restaurants, Obdachlose, die müde ihr Hab und Gut im Einkaufswagen vor sich herschieben. Über einer Stadtautobahnkreuzung endet der Strip. Der Sunset Boulevard wird wieder kurviger, bleibt eng und bald hellen bunte Fassaden das Bild auf: alternative Kneipen, Cafes, Clubs und Designerläden. Tische, Stühle, volle Kleiderständer und flippige Möbel auf den Bürgersteigen. Spanische Schilder an den Geschäften: lavanderia, peluqueria, supermercado - Waschsalon, Friseur, Supermarkt. Fliegende Händler schieben Kühltruhen auf Rädern durch das schattenlose Gedränge, verkaufen scharf gewürzte Obstsalate in Gefrierbeuteln und Chili-Chips. Dann biegt der Boulevard hinab nach Downtown. Zwischen glänzender Architektur, Stadtautobahngewebe und improvisierten Lagern der Obdachlosen ändert sich an einer Straßenkreuzung sein Name: Cesar Chavez Avenue, 1994 benannt nach dem aus Mexiko stammenden Kämpfer für Rechte der Landarbeiter. Cesar Chavez Avenue, Kilometer 1,5 Regie Atmo 13 LIVE Mariachimusik vor Restaurants übergehen in Atmo 14 Kirchenglocken Autorin 19: Hier ist das älteste Viertel von Los Angeles. Unter spanischer Herrschaft gründeten 1781 44 Siedler aus Mexiko ,El Pueblo de Nuestra Senora de los Angeles de Porciuncula'. Heute ist hier eine Fußgängerzone mit Mariachispielern, mexikanischen Souvenirläden und Restaurants, dem ältesten Lehmhaus und der ältesten Kirche von Los Angeles. Regie Atmo 15 Beten, Kirche Autorin 20: Während der heiligen Messe in La Placita klappen freiwillige Helfer vor einem Nebeneingang Tische und Stühle auf und tragen einen kniehohen Kochtopf voll dampfender Suppe aus der Küche in den Vorhof. Regie: unter Text in Atmo 16 übergehen Essensausgabe Autorin 21: Eine Menschenschlange windet sich rund um die Kirche. Guillermo Armenta organisiert jeden Abend die kostenlose Essensausgabe für Arme und Obdachlose. Er hat in den letzten fünf Jahren erlebt, wie deren Zahl von rund einhundert auf bis zu vier hundert gestiegen ist. Regie: 14. O-Ton Guillermo Armenta SPRECHER Das ist die Realität: die Reichen werden reicher, die Armen werden Ärmer. Es ist eine große Kluft. Wir erleben die Konsequenz hier. Mit dieser Realität leben wir nicht nur in Los Angeles sondern überall in Amerika. Autorin 22: Etwas abseits steht rauchend eine Blondine in ausgewaschenen Jeans und leuchtend-türkisem T-Shirt, die Haare mit bunten Gummis zu zwei kurzen Zöpfen zusammengebunden, über dem rechten Ohr eine tomatenrote Stoffblume, am linken Ohr ein in Regenbogenfarben schillernder langer Federohrring. Die 35 jährige kennt das Menü der Kirche auswendig. Ihr Lieblingsessen gibt es montags: Spaghetti. Cindy will ihren Nachnamen nicht sagen. Sie erzählt: vor einem Jahr war ihr Leben in Ordnung. Dann verloren sie und ihr Mann innerhalb von einem Monat ihre Jobs. Regie 15. O-Ton Cindy SPRECHERIN 17 sec. Wir hatten nagelneue Autos, ein schönes Haus, vier schöne Kinder, alles! Louis Vitton-Handtaschen und Designerschmuck, aber wir waren immer ein Gehalt entfernt von der Obdachlosigkeit. Ich hab's am eigenen Leib erfahren. Autorin 23: Cindy beginnt zu trinken, trennt sich von ihrem Mann, die Kinder leben bei ihrer Schwiegermutter, sie selbst auf der Straße. Die ehemalige Schmuckhändlerin geht auf eine Abendschule für Krankenschwestern, spart so viel es geht von der Sozialhilfe und hofft, bald eine Wohnung zu mieten. Vor ein paar Tagen hat sie überraschend Geld verdient - als Statistin in einem Hollywoodfilm. Regie: 16. O-Ton Cindy SPRECHERIN 24 sec. Wir saßen in einer Art Wartezimmer, wie Patienten, die auf den Arzt warten. Dann kam Cate Blanchett rein und Christian - ich vergesse den Nachnamen, der Typ, der Batman spielt - wir haben nichts gesagt, durften nicht in die Kamera schauen. Nach einer Stunde Filmarbeit haben sie uns hundert Dollar gegeben. Ich hab gesagt: ich bin ein Star, Ihr könnt mich jederzeit anrufen! Autorin 24: Nervös schaut Cindy zur Kirche. Die Schlange zur Essensausgabe hat sich in Bewegung gesetzt. Mit kräftigem Händedruck verabschiedet sie sich, zieht noch einmal an der Zigarette, greift Schlafsack und Nylonrucksack und läuft schnell an die Spitze der Wartenden zur Gruppe von Kindern und Frauen. Die bekommen bei der Kirche immer zuerst zu Essen. Freitags sind das ein großer Styroporbecher Bohnensuppe, ein Käse-Sandwich und ein Apfel. Regie: Atmo 17 Autofahrt Autorin 25: Die Fahrt geht weiter Richtung Osten vorbei an den zwei Hochhaus-Bunkern des Zentralgefängnisses über eine Brücke ins für Bandenkriminalität berüchtigte Latino-Arbeiterviertel Boyle Heights. Unter der Brücke fließt ein karger Strom über ein Betonbett voller Graffiti. Der Wasserverbrauch der Metropole hat wenig übrig gelassen vom häufig über die Ufer tretenden Porciuncula-Fluss, der der ersten Siedlung von Los Angeles ihren Namen gab. Regie: Atmo 18 Musik auf Mariachi Plaza Cesar Chavez Avenue Kilometer 3,1 Autorin 26: Durch die Dunkelheit klingt Live-Musik durch die Nacht. Unter gelbem Laternenlicht drehen sich auf einem Platz Paare im Kreis. Kinder spielen Fangen; Obst-, Gemüse-, Kleider- und Krimskramsverkäufer haben Stände aufgestellt: Wochenmarkt auf Mariachi Plaza. Das Viertel arbeitet schwer daran, seinen Ruf zu verbessern. Zwischen Wohnhäusern und Geschäften mit schmiedeeisernen Gittern vor Fenstern und Türen haben vor kurzem ein Buchladen und ein Cafe aufgemacht. Seit ein paar Monaten gibt es eine U-Bahn-Haltestelle. Zwischen den Markständen zeichnet mit schwarzer Kreide ein Künstler das Portrait einer aufgeregt lächelnden jungen Frau mit rotem Haarband im glänzend schwarzen Haar. Hugo Romo ist in Boyle Heights mit Gewalt und Kriminalität aufgewachsen. Als Jugendlicher zog er weg. Jetzt kommt der Sohn von Einwanderern aus Mexiko zum Zeichnen zurück ins Viertel, das mit bezahlbaren Mieten und kreativer Energie Künstler anzieht. Regie 17. O-Ton Hugo Romo SPRECHER 30 sec Ich komme her, um etwas zur Gemeinschaft beizutragen. Ich sehe mich selbst in diesen Menschen. Sie kamen mit nichts und versuchen, bescheiden ein respektables Leben zu führen. Ich will hier nicht reich werden. Ich zeichne Kinder umsonst, sie bezahlen mit ihrem Lächeln. Ich glaube daran, dass das Leben dich belohnt, wenn du so etwas tust. Regie: Atmo 18 Musik (Nirvana) und Reden in Club EastsideLuv Autorin 27: In der Bar am Platz ist die Stimmung bestens. Besitzer Guileermo Uribe hat vor sechs Jahren eine erfolgreiche Ingenieurskarriere aufgegeben, um seinen Traum vom eigenen Club zu verwirklichen und wie Hugo Romo das Viertel aufzuwerten. EastsideLuv heisst die in rotes Licht getauchte Bar. Ihr DJ legt Rock, Hip Hop, Soul, Reggaeton und Salsa auf. Guillermo nennt sie Pocho-Bar, nach dem Spitznamen, den ihm seine Großeltern in Mexiko gaben: Pocho - ein Synonym für amerikanisierte Kinder mexikanischer Einwanderer. Regie: 18. O-Ton Guillermo Uribe 33 sec. Früher war es uns vielleicht peinlich, dass wir im Spanischen nicht alle Wörter wissen und sogar ohne es zu merken mit Akzent sprechen. Inzwischen machen ich und meine Generation uns diesen Begriff zu eigen. Jetzt sagen wir: Ja, das bin ich. Ich nehme dieses Wort, gebe ihm eine neue Bedeutung und beschreibe mich selbst damit. Autorin 28: In der Bar hängt deshalb bunte mexikanische Kunst an den Wänden, Sessel sind mit dickem Plastik bezogen wie im Wohnzimmer der Großeltern, Kronleuchter bestehen aus dicken Eisenketten, wie sie junge Pochos an den Lenkrädern ihrer Autos haben. Kombiniert mit uramerikanischem Geschäftssinn hofft Guillermo, andere zu Investitionen im Viertel zu inspirieren. Regie 19. O-Ton Guillermo Uribe SPRECHER 29 sec. Ich fühle mich von Gott gesegnet jedes Mal wenn jemand durch diese Tür kommt und sich hier drinnen gut amüsiert. Die Frage, die mir am meisten gestellt wurde, als ich herkam war: warum hier? Mir fiel als Antwort nur ein - warum nicht? Genau weil alle diese Frage stellen. Es musste passieren! Autorin 29: Jeden Freitag um Mitternacht verschmelzen in der Bar die Kulturen. Der DJ unterbricht seine Arbeit, zehn Mariachi-Spieler steigen mit Instrumenten auf die Bar. Regie: Atmo 19: Mariachi Band beginnt Autorin 30: Mit glänzenden Augen singen die Gäste mit bei den Liedern, die bei ihren Eltern und Großeltern aus dem Radio schallen. Regie Atmo 20 Mariachi Musik mit Mitsingen stehen lassen Autorin 31: Hier, am östlichen Ende des Sunset Boulevard tief in der Innenstadt von Los Angeles wird noch lange getanzt. Die Obdachlosen auf der anderen Seite der Brücke haben sich ihre Schlafplätze auf dem Bürgersteig gesichert. Hollywood-Neuankömmlinge arbeiten auf dem Sunset Strip am großen Durchbruch während in der Polo Lounge des Beverly Hills Hotel Studiobosse am Sunset auf den neusten Kassenschlager anstoßen. Ganz im Westen ist es jetzt ruhig. 40 Kilometer zurück auf dem Sunset Boulevard - dort wo die Reise anfing - liegt der Pazifik im hellen Mondlicht, nur die Wellen rauschen. Regie Atmo 30 Meeresrauschen 1