COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 16. September 2013, 19 Uhr 30 Klassenkampf Wie deutsche Städte um die Kreativen werben Von Johannes Zuber Musik Guten Morgen Berlin, du kannst so ... Sprecherin Be Berlin Musik Bochum ich komm aus dir ... Sprecherin Bochum macht jung Musik Augsburg, Augsburg, schubidu ... Sprecherin Augsburg - Renaissance 2 Punkt 0 Musik Weil jeder Freiburg liebt und weil jeder Freiburg mag ... Sprecherin Freiburg - Green City Musik Hamburg, so gefällst du mir ... Sprecherin Hamburg - Wachsen mit Weitsicht Musik Weil ich ein Kölner ... Sprecherin Köln ist ein Gefühl Musik Ich komm aus D-O-R-T-M-U-N-D Dortmund, und Dortmund lebe hoch immer wieder ... Sprecher vom Dienst: Klassenkampf Wie deutsche Städte um die Kreativen werben Ein Feature von Johannes Zuber. Sprecher Ein flacher Backsteinbau am Rand der Bochumer Innenstadt. Graffiti an der Außenwand, der Platz davor ist mit Schlaglöchern übersät. 1.O-Ton Gettys gewisser Reiz Wir suchen in jeder Stadt dann auch einen Ort, der so einen gewissen Reiz auch hat. Sprecher Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude als provisorischer Bahnhof errichtet, danach stand es viele Jahre leer. Heute Abend ist das Haus voll. O-Ton Science-Slam Auftritt Sprecher Auf der Bühne stehen Wissenschaftler, im Publikum sitzen Studenten, Eltern, Interessierte. Die Doktoranden auf der Bühne versuchen in wenigen Minuten, ihre Forschung möglichst unterhaltsam zu vermitteln. 3.O-Ton Gettys Interessante Orte Die Wissenschaft soll wirklich raus aus der Uni an Orte in der Stadt möglichst irgendwie, die erst mal gar nicht mit Wissenschaft in Verbindung gebracht werden und das soll eben auch Leute interessieren oder motivieren, da hin zu kommen, die sonst jetzt keine Lust hätten zum Beispiel in einen Hörsaal zu gehen. Und die Atmosphäre ist auch eine ganz andere, wenn man in einer eher alternativen Umgebung das macht, als wenn man das in einem sterilen Uni-Saal macht, oder so. Sprecher Sven-Daniel Gettys arbeitet für luups, eine Agentur aus Dortmund. Er ist dort der Projektleiter Science-Slam. 4.O-Ton Gettys Organisieren Also ich organisier' letztendlich die Veranstaltung. Sprecher Luups veranstaltet regelmäßig Science-Slams in verschiedenen Städten in ganz Deutschland - und inzwischen sogar im Ausland. Die Veranstaltung heute Abend in Bochum macht das junge Unternehmen eher zum Spaß. Geld verdient es damit nicht. 5.O-Ton Gettys Das ist luups (lacht) Ja, das ist luups! So funktioniert luups. Wenn alles mit einem Business-Plan passieren würde, dann würden wir glaube ich nicht die Hälfte der Projekte machen, die wir umsetzen. Aber so funktionieren wir. Das sind alles Leute, die Sachen spannend finden im Kunst- und Kulturbereich und so und wir versuchen es erst mal, und viele Sachen klappen, manche nicht (lacht). Dann muss man halt - ja - was Neues finden. 6. O-Ton Anmoderation Florida Please join me in welcoming Richard Florida (Applaus) 7. O-Ton Florida If the farm was the economic and social organizing unit of the agricultural age; if the great industrial corporation which built our societies was the economic and social organizing unit of the great industrial age; we have a new economic and social organizing unit of our time: it's the city itself. Our cities and communities are the social and economic organizing unit of the creative age. Sprecher (voice-over) Wenn der Bauernhof die wirtschaftliche und gesellschaftliche Organisationseinheit des Agrarzeitalters war; wenn der große Industriekonzern, der unsere Gesellschaften aufgebaut hat, diejenige des Industriezeitalters war, dann haben wir heute eine eigene: Es ist die Stadt selbst. Sie ist die wirtschaftliche und gesellschaftliche Organisationseinheit des kreativen Zeitalters. Sprecher Mit diesem Programm ist der US-amerikanische Ökonom Richard Florida seit über zehn Jahren auf Tournee. Er reist von Stadt zu Stadt und predigt seine Thesen - hier bei der britischen Royal Society of Arts. Durch sein Buch "The rise of the creative class" ... Sprecherin Der Aufstieg der kreativen Klasse Sprecher ... ist er so etwas wie der Popstar der Stadtentwicklung geworden. Seine These: Der wirtschaftliche Erfolg von Regionen hängt nicht mehr von den klassischen Produktionsfaktoren Arbeit und Land ab. Der entscheidende Produktionsfaktor in einer Wissensökonomie ist das Humankapital - in Form von menschlicher Kreativität. Diese Kreativität entsteht laut Florida nicht in erster Linie in Ländern oder in einzelnen Unternehmen. Sie entsteht in der Stadt. Hier begegnen sich die unterschiedlichsten Menschen, tauschen Ideen aus, experimentieren. Musik Sprecherin Chemnitz - Stadt der Moderne Friedrichshafen - Seeblick mit Weitsicht Göttingen - Stadt, die Wissen schafft Karlsruhe - viel vor, viel dahinter Hansestadt Salzwedel - die Baumkuchenstadt Sprecher Der Weg ins Büro des Dortmunder Start-Up-Unternehmens luups führt über eine lange Rampe vom Hof in den ersten Stock eines flachen, großen Gebäudes. Hier auf einem ehemaligen Industrie-Gelände organisiert luups nicht nur Science-Slams; es gibt sein eigenes Ruhrgebiets-Magazin heraus, verkauft T-Shirts und Taschen mit seinem Slogan drauf. Sprecherin Liebe deine Stadt! Sprecher Das wichtigste Produkt von luups aber liegt in großen Stapeln im Büro des Unternehmens im Dortmunder Unionviertel. Es sind Gutscheinbücher. 8.O-Ton Brinsa Böse Zungen Böse Zungen behaupten, es sind Gutscheinbücher (lacht) Sprecher Also eher alternative Stadtführer. 9.O-Ton Brinsa Gutscheinbuch Nein, es sind ja Gutscheinbücher. Aber da wir da drin viele viele Sachen auch haben - also es fängt an mit lokalen Künstlern, die wir dort präsentieren, vorstellen, denen eine Plattform geben, ihre Werke vorzustellen, aber auch Musikern, jungen Musikern, denen wir versuchen eine Möglichkeit zu geben, sich zu präsentieren. Es ist sicherlich mehr als nur ein Gutscheinbuch. Das ist das Vehikel um ein Printprodukt zu erzeugen, was auch quasi marktfähig ist. Sprecher Der Chef des Ganzen ist ein junger Mann, groß, blonde Haare. 10.O-Ton Brinsa Vorstellung Hallo, ich bin Karsten Brinsa, habe luups vor sieben Jahren gegründet und lebe und bin geboren in Dortmund. Sprecher Das Büro von luups liegt in einem Gebäude, das früher zum Stahlkonzern Hösch gehörte und Mitte der 80er Jahre von 13 Arbeitslosen besetzt wurde. Die Revoluzzer von damals sind heute die Eigentümer mehrerer Gebäude auf dem ehemaligen Industriegelände. Der "Union-Gewerbehof" beherbergt 75 meist kleine Unternehmen, aber auch einzelne Wissenschaftler und Freiberufler. Dazu gibt es Seminarräume und ein Café. 11. O-Ton Brinsa Kreativzentrum Es ist sozusagen das heimliche Kreativzentrum von Dortmund, weil hier wirklich 250 Menschen glaub ich oder fast 300 Menschen arbeiten, die im weitesten Sinne alle im Kreativbereich arbeiten. Nicht alle, aber ein großer Teil. Sprecher Damit steht der Union-Gewerbehof stellvertretend für einen großen Wandel, der alle entwickelten Volkswirtschaften erfasst. Der große Industriekonzern ist verschwunden - und an seine Stelle sind kleine, kreative Unternehmen und Selbstständige getreten. In der weltweiten Konkurrenz zwischen Wirtschaftsstandorten ist die Stadt zum zentralen Faktor geworden. Sie lockt Kreative an, die durch Innovationen die Wirtschaft voranbringen. Die dominante Klasse der Gesellschaft sind deshalb nicht mehr Adel, Bürgertum oder Proletariat. Es ist die sogenannte "kreative Klasse". Die Mitglieder dieser neuen Klasse unterteilt der Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida in drei Kategorien. Erstens: Der kreative Kern. Sprecherin Ingenieure, Architekten, Ärzte, Lehrer, Wissenschaftler, Verwaltungsfachleute, Apotheker, Kindergärtner, Chemiker, Physiker, Publizisten, Bibliothekare Dolmetscher, Abgeordnete, ... Sprecher Zweitens: Die Creative Professionals Sprecherin Techniker, Meister, Laboranten, Banker, Versicherungsfachleute, Werbeleute, Berater, Anwälte, Unternehmer, Polizisten, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Soldaten, Wirtschaftsprüfer, ... Sprecher Und drittens: angestellte und freiberufliche Bohemiens. Sprecherin Musiker, Künstler, Graphiker, Tontechniker, Fotografen, Sportler, Schildermaler, Bühnentechniker, Werbegestalter, Artisten Sprecher Von dieser kreativen Klasse hängt laut Richard Florida der Wohlstand einer Stadt ab. 12. O-Ton Braun Kreativität Kreativität ist letztendlich Grundvoraussetzung für Innovation, etwas Neues zu erschaffen im weitesten Sinne. Sprecher Nomo Braun arbeitet für die Beratungsfirma agiplan in Mülheim an der Ruhr. Das Unternehmen macht Projekte zu Standortentwicklung, Netzwerken und lokaler Wirtschaft. 13. O-Ton Braun agiplan Also alles, was so im Themengebiet Regionalentwicklung zuhause ist. Und unsere Auftraggeber sind da hauptsächlich eben Akteure der öffentlichen Hand. Sprecher Der Wirtschaftsgeograf ... Sprecherin Kategorie: Kreativer Kern Sprecher hat für agiplan eine große Studie zur kreativen Klasse in Deutschland gemacht. Dabei stützt er sich auf die Theorie von Florida und dessen drei Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit von Städten - die drei T. Sprecherin Talente, Technologie, Toleranz Sprecher Demnach hat eine Stadt nur eine Chance im internationalen Wettbewerb, wenn sie ein hohes technisches Innovationspotential hat, also Hochtechnologie-Firmen und Forschungseinrichtungen ... Sprecherin Technologie Sprecher ... wenn sie viele Hochqualifizierte hat, am besten auch mehrere Hochschulen ... Sprecherin Talente Sprecher ... und am wichtigsten: Wenn in der Stadt ein offenes Klima herrscht. Kreativität ist nicht an Herkunft, Nationalität oder sexuelle Orientierung gebunden. Städte müssen also offen sein gegenüber Homosexuellen, Migranten, Andersdenkenden. Sprecherin Toleranz Sprecher Bisher fand der Standortwettbewerb meist auf anderen Feldern statt: Deutsche Städte unterboten gegenseitig ihre Gewerbesteuersätze und erklärten die attraktivsten Flächen zu Baugebieten für große Unternehmen. Diese Maßnahmen gibt es zwar immer noch. Aber der Fokus verschiebt sich von den Unternehmen auf die Menschen. Dank Richard Florida und einem seiner Leitsprüche. Sprecherin Jobs follow people, Arbeitsplätze folgen Menschen Sprecher Kreative Menschen wählen ihren Wohnort nicht danach aus, wo sie einen Job kriegen. Sie wohnen, wo sie sich wohlfühlen. Und ziehen dadurch andere an. 14. O-Ton Braun Sie sorgen durch ihre Erbringung einer offenen Atmosphäre mittel- und langfristig dazu, dass sich gut ausgebildete Fachkräfte in einer Region, in einem Ort, in einer Stadt niederlassen. Sprecher Nomo Braun von agiplan. 15. O-Ton Braun jobs follow people Und das ist letztendlich auch die Theorie hinter Richard Florida, dass mehr und mehr gilt: also jobs follow people. Akademiker, gut ausgebildete Fachkräfte insbesondere ziehen dorthin, wo sie sich offen und willkommen fühlen, und Jobs und die Unternehmen folgen ihnen dann. Musik Mannheim/Lüneburger/Stuttgart/Düsseldorf am Rhein/Hannover/ Frankfurt am Main ... Sprecher Um Unternehmen anzulocken, müssen Städte also erst mal die Kreativen anziehen. Nicht alle Städte sind bei der Zielgruppe aber gleich beliebt. Große Metropolen wie Berlin stehen höher im Kurs als Kleinstädte in der Peripherie. Also versuchen die meisten Städte, Berlin nachzueifern und sich ein kreatives Image zu geben - auch wenn die Realität nicht mithalten kann. In Dortmund gibt es nach Angaben der Stadt rund 2000 Unternehmen und Selbstständige in der Kreativwirtschaft. Von den etwa 15.000 Angestellten ist aber nur jeder Dritte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auch verzerrte Statistiken und irreführende Grafiken der Stadt können nicht darüber hinwegtäuschen, dass deren Zahl in den letzten Jahren nur leicht gestiegen ist. Das liegt auch daran, dass Floridas Thesen zwar gut klingen, ... Sprecherin Talente, Technologie, Toleranz. Jobs follow people Sprecher ... sie sind aber längst nicht bewiesen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie Städte Kreative tatsächlich anlocken können. Und niemand kann zweifelsfrei beweisen, dass Kreative tatsächlich für Wohlstand sorgen. Der wirtschaftliche Erfolg einer Stadt hängt nämlich noch von ganz anderen Faktoren ab, die kein Kreativer dieser Welt verändern kann: Von geografischer Lage, äußeren Einflüssen, Infrastruktur, industriellen Entwicklungen und letztendlich auch von politischen Entscheidungen. Sprecher Ein ehemaliges Kino in der Dortmunder Innenstadt. Das "Domicil" ist einer der kulturellen Anziehungspunkte der Stadt mit Jazz-Konzerten und Poetry-Slams. Heute steht allerdings kein Musiker oder Poet auf der Bühne, sondern ein Verwaltungsangestellter. 16. O-Ton Weyers Begrüßung (Applaus )Heute haben wir bereits die sechste Creative Stage in Dortmund und insgesamt die 21., ich hab's nachgeguckt, ich bin wirklich schwer begeistert ... Sprecher Christian Weyers ist bei der Wirtschaftsförderung Dortmund für die Kreativwirtschaft zuständig. Sprecherin Kategorie: Kreativer Kern Sprecher Er präsentiert die Creative Stage, eine Art Schaulaufen der örtlichen Kreativwirtschaftsszene. 17. O-Ton Weyers Erklärung Also wir werden wieder zehn kreative Unternehmen und Projekte aus der Metropole Ruhr haben, also wir haben nicht nur Dortmunder auf der Bühne, wir haben Präsentationen, klassische Präsentationen, wir haben Filme jede Menge dabei, hab ich gesehen, und wir haben natürlich auch wieder Live-Musik, man sieht das hier. Und jeder hat maximal acht Minuten Zeit. Sie sehen hier rechts von mir, links von Ihnen diese Uhr, die tickt runter, und nach den acht Minuten ist definitiv Schluss. Sprecher Vorstellen kann sich im Prinzip jedes Unternehmen der Kreativwirtschaft. Dazu zählen laut Definition des Bundestags Sprecherin Unternehmen, die erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Produktion, Verteilung und/oder der medialen Verbreitung von kulturellen oder kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen. Sprecher Man soll sich kennenlernen, um gemeinsame Projekte zu machen und die Stadt hofft, dass hier die Kreativwirtschaft mit Investoren und Unternehmen zusammenfindet. Die Creative Stage ist eine von vielen Maßnahmen Dortmunds, die die Kreativwirtschaft fördern sollen. Die Idee kommt bei den angesprochenen Kreativen gut an. 20. O-Ton Brinsa Creative Stage Wir kriegen ja oft viel zu wenig mit. Und da gibt's ne Bühne, auf der Agenturen oder Firmen sich vorstellen können, das finde ich erst mal eine total tolle Sache und wo im Idealfall natürlich ein Austausch stattfindet. Sprecher Der Start-Up-Unternehmer Karsten Brinsa. Sprecherin Kategorie: Creative Professional Sprecher Brinsa selbst wurde zwar auch schon eingeladen, seine Agentur luups auf der Bühne vorzustellen. Bislang ist er allerdings nicht dazu gekommen. Musik Sprecherin Ludwigshafen - überraschend anders Mannheim - Leben im Quadrat München mag dich Wuppertal - keiner wie wir Rodgau - Stadt mit Herz Sprecher Der Union-Gewerbehof, in dem die Agentur luups sitzt, ist Teil des neu ausgerufenen Union-Viertels im Dortmunder Westen. Früher prägten Brauereien und ein Stahlwerk den Stadtteil. Heute sind es Leerstände und Rechtsradikale. Dieses Image will die Stadt dringend loswerden - im Sinne des dritten von Richard Floridas Ts. Sprecherin Toleranz Sprecher Aus dem ehemaligen Versandladen eines bekannten Dortmunder Neonazis ist ein Jugend-Kultur-Zentrum geworden, in der unmittelbaren Nachbarschaft sprießen Galerien und Veranstaltungsräume aus dem Boden. 21. O-Ton Brinsa sprießen Sprießen würde ich jetzt noch nicht sagen. Sprecher luups-Gründer Karsten Brinsa 22. O-Ton Brinsa Ich würde mich freuen, wenn es ein bisschen mehr wäre, aber das ist genau dieser Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, dass es ein Kreativviertel sein soll, und das ist politisch, inhaltlich, städtisch gewollt, und das muss natürlich auch gelebt werden. Und ich sehe schon, dass es Unterschiede gibt und dass sich da etwas entwickelt. Aber man muss halt auch schauen, dass das nicht ein Claim ist und eine Hülle, sondern es muss halt auch von den Kreativen gelebt werden und Kreative müssen natürlich auch angelockt werden, hier wirklich was zu tun und sich hier niederzulassen. Und das ist schon 'ne ordentliche Herausforderung. Sprecher Das Union-Viertel soll eines von drei Kreativ-Quartieren in Dortmund sein. Eines ist eher auf Ausgehen spezialisiert, in einem soll es vor allem kulturelle Bildung geben. 23. O-Ton Braun Ausgehquartier hier, Künstlerquartier hier, das ist das Kreativquartier - halten wir für relativ fragwürdig. Sprecher Nomo Braun von der Beratungsagentur agiplan. Zentral verordnete Kreativität funktioniert aus seiner Sicht kaum. Wichtig sei es vor allem, die örtlichen Eigenheiten, die Menschen, die Subkulturen einzubinden. 24. O-Ton Braun Das ist eben hier und da ein Beispiel schon gewesen für Kreativwirtschaft, kreative Klasse: Kultur fördern ist gut, und deswegen fördern wir jetzt die Kreativwirtschaft oder Kultur im weitesten Sinne, ohne sich vorher eben Gedanken zu machen, wo liegen eigentlich unsere ureigenen Stärken. Sprecher Das "beste" Beispiel für ein solches Denken ist das Wahrzeichen der Stadt: Das Dortmunder U. Am Rand der Innenstadt und am Beginn des Union-Viertels stand das ehemalige Brauereigebäude lange leer, bis es vor einigen Jahren saniert wurde. Heute leuchtet das große U auf dem Dach weithin sichtbar über der Stadt. Im Gebäude sind ein Museum, eine Außenstelle der Hochschulen, ein schickes Restaurant. Eigentlich sollte das U zum kreativen Hotspot werden. Aber statt Künstlern, Grafikern und Musikern haben sich eine Versicherung und eine Zeitarbeitsfirma einquartiert. Kreative weichen lieber auf den Union-Gewerbehof oder andere Standorte aus. 25. O-Ton Brinsa Wir sind 2010 hier eingezogen, da war das U noch im Bau. Sprecher Karsten Brinsa von luups. 26. O-Ton Brinsa Sicherlich stand es zur Diskussion, weil natürlich da eine Bewegung drin war. Aber es war einfach aus finanziellen Gründen eigentlich gar nicht denkbar, weil die Mieten dort definitiv jeden Rahmen eines Kreativen sprengen. Und ich glaube, so ging es wahrscheinlich allen Kreativen, die zumindest gedanklich sich damit auseinandergesetzt haben. 27. O-Ton Braun Sicherlich war der Grundgedanke dahinter, ein entsprechendes Areal zu entwickeln nicht schlecht, aber langfristig gesehen stellt sich ja jetzt heraus, dass es gegebenenfalls wirklich die Nummer zu groß für Dortmund war. Sprecher Nomo Braun von agiplan 28. O-Ton Braun gleichförmig Man muss hier allerdings hier auch sehen, dass es ja professionell entwickelt worden ist, einfach aus dem Gedanken heraus, wir wollen die Kulturwirtschaft und Kreativwirtschaft fördern und ist da zu gleichförmig herangegangen, ohne zu schauen, inwiefern Dortmund, ja, gewisse Stärken in künstlerischen, alternativen Szenen hat, die hier vielleicht viel besser hätten reingepasst als ein geplantes Gebäude mit einer geplanten Ausstattung an entsprechenden Unternehmen. Sprecher Ursprünglich sollte das Prestige-Objekt 54 Millionen Euro kosten. Inzwischen ist es bei 83 Millionen angekommen. Und auch die Betriebskosten haben sich verdreifacht - auf 10 Millionen Euro im Jahr. Damit hat es die Stadt Dortmund ins Schwarzbuch des Steuerzahlerbundes geschafft - als Beispiel für die Verschwendung öffentlicher Gelder. Sprecher Zentrale Planung steht im Gegensatz zu Kreativität. Wer kreativ sein will, braucht Freiräume, sich auszuprobieren, zu experimentieren, zu scheitern. Kann eine Stadt das nicht bieten, dann suchen sich die Kreativen eben andere Räume. Musik Hey Leute, spitzt die Ohren, ich will euch was sagen von Kleinstädtern, Großbauern und Landplagen. Ich erzähl' euch die Geschichte der wohl allerschönsten Stadt, ich sag' euch, was hier abgeht und was sich so zugetragen hat Sprecher Das Gegenstück zur ehemaligen Industriemetropole Ruhrgebiet ist ein beschauliches Städtchen im Schwarzwald. Keine Schwerindustrie, viel Natur und ständig scheint die Sonne. Freiburg im Breisgau. Musik So leben wir hier munter Tag für Tag, weil jeder Freiburg liebt und weil jeder Freiburg mag Ob Öko oder Spießer, Gangster oder Baggie, Leute tanzt zu dem Beat und singt den Freiburg-Reggae Sprecher Ein Innenhof in der Nähe des Freiburger Bahnhofs. Drei junge Männer sitzen auf der Terrasse vor dem kleinen Büroraum ihres Start-Up-Unternehmens. Einer tippt auf seinem Smartphone herum. 29. O-Ton Peter Hier ist die Frage zum Beispiel, ob die Keilriemen Risse aufweisen. Dann könnte man in Ordnung oder Warnung oder es nicht werten. Wenn man jetzt blöderweise nicht weiß, was Keilriemen sind, kann man auch weiter in die Erklärung gehen. Sprecher Peter Schönwald, Glatze, Brille, stellt das Flaggschiff des jungen Unternehmens vor: Eine Smartphone-App für alle, die sich einen Gebrauchtwagen kaufen wollen. 30. O-Ton Peter Die App dient dazu, Autos auf Herz und Nieren zu testen; innen, außen, ob der Motor funktioniert. Sprecher Mit ihrer App haben die Jungunternehmer es bereits bis in die Tipps eines Auto- Magazins geschafft. Die drei App-Entwickler ... Sprecherin Kategorie: Kreativer Kern Sprecher ... sind aufgewachsen hinter dem Schwarzwald, zum Studium nach Freiburg gekommen, hängengeblieben und haben dann das Unternehmen "My App World" gegründet. 31. O-Ton Erol Wir fühlen uns in Freiburg sehr sehr wohl, also Freiburg ist unsere Wahlheimat. Sprecher Erol Sahin, Mitbegründer von myappworld. 32. O-Ton Erol Und hier sind auch alle unsere Freunde, ich meine, wir sind ja alle mitgegangen und es wäre auch schade, wenn wir unseren Freundeskreis hier verlassen müssten oder uns irgendwie trennen müssten. Sprecher Genau so stellt sich die Stadt das vor. Die Wirtschafts- und Tourismusförderung der Stadt hat ihre Räume in einem Altbau in der Fußgängerzone. Im Dachgeschoss ist das Büro von Franziska Pankow. Sprecherin Kategorie: Creative Professional 33. O-Ton Pankow Ja, Freiburg ist natürlich in der privilegierten Lage, dass es schon immer ein begehrter Standort war. Es ist ne schöne Stadt, ne Stadt mit hoher Lebensqualität, und insofern hat Freiburg natürlich das Glück, gerade für die "creative class", wie Richard Florida sie genannt hat, eben auch attraktiv zu sein. Also wir haben einen sehr sehr großen Anteil an Hochqualifizierten hier in Freiburg, auch weil wir eine Uni-Stadt sind, natürlich. Sprecher Im Ranking der Agentur agiplan gilt Freiburg als kreativer Hotspot. Neben der Universität ... Sprecherin Talente Sprecher ... hat das mehrere Gründe. 34. O-Ton Braun Was sicherlich Freiburg sehr gut erkannt hat Sprecher Nomo Braun von agiplan 35. O-Ton Braun ist, dass es die Freiräume der Szene gelassen hat, beziehungsweise sie ganz bewusst entwickelt hat oder eben sie ganz bewusst nicht angerührt hat. Sprecher Dazu kommt die traditionelle Offenheit ... Sprecherin Toleranz Sprecher ... der Stadt im Drei-Länder-Eck mit Frankreich und der Schweiz. 36. O-Ton Pankow Grundsätzlich sind die Freiburger ja ein Völkchen, über die sehr viele Kriege so hin und her geschwappt sind, die Nationalität hat in der Geschichte schon mehrfach gewechselt. Sprecher Franziska Pankow von der Wirtschaftsförderung Freiburg. 37. O-Ton Pankow Insofern sind glaube ich die Freiburger von der Geschichte her tolerant. Sie sind auch wie alle Badener Genießer und insofern ist das Motto "Leben und leben lassen" in Freiburg sehr sehr weit verbreitet. Und das führt natürlich dazu, dass auch die die hierherkommen sich wohlfühlen können. Musik ... und wenn Frankreich nicht wär', läge Freiburg am Meer! So leben wir hier munter Tag für Tag, weil jeder Freiburg liebt und weil jeder Freiburg mag. Ob Öko oder Spießer, ob nüchtern oder voll, Leute tanzt zu dem Beat und singt den Freiburg Rock'n'Roll! Sprecher Die Stadt Freiburg versucht bewusst, auf ihr Öko-Image zu setzen. Stadt-Marketing und Stadtplanung folgen dem Leitbild Green City. Sprecherin Grüne Stadt Sprecher Der Vorzeige-Stadtteil dafür ist Vauban. Ein dicht bebautes, fast autofreies Viertel für die umweltbewusste Mittelschicht. Grün, kinderfreundlich, aber ein wenig eng. Hier leben Ingenieure, Forscher, Ärzte Sprecherin Kategorie: Kreativer Kern Sprecher Unternehmer, Anwälte, IT-Fachleute Sprecherin Kategorie: Creative professionals Sprecher Bei der letzten Landtagswahl haben über 70 Prozent der Vauban-Bewohner grün gewählt. Laut Werbebroschüre der Stadt sollen sich hier ökologische und soziale Nachhaltigkeit ergänzen. 39 O-Ton Andreas Das mag in den Broschüren stehen, das hat dann mit der Realität aber nichts zu tun. Sprecher Andreas, lange blonde Haare, Bart, ist Sozialarbeiter Sprecherin Kategorie: Creative Professional Sprecher und Aktivist in der Initiative Recht auf Stadt. 40. O-Ton Andreas Dieser ökologische Stadtteil Vauban zum Beispiel ist ein Stadtteil der Mittel- und Oberschicht, die sich so was hier leisten können. Die einzige Möglichkeit, hier zu wohnen ist entweder das Studentendorf oder halt die SUSI ... Sprecherin Selbstorganisierte, unabhängige Siedlungsinitiative 41. O-Ton Andreas ... die hier die Möglichkeit schafft, auch für Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, hier zu wohnen und ansonsten hat Freiburg, also gibt sich das soziale Image, aber in der Realität ist das nicht messbar. 10 Atmo Sprecher Die SUSI besteht aus mehreren alten Häusern am Rand des Stadtteils: Bemalte Fassaden, bepflanzte Balkone, große Bäume im Garten. Direkt gegenüber der SUSI ragt seit Kurzem eine riesige Holzwand in die Höhe- die Fassade eines neuen Hotels. 42. O-Ton Andreas Genau, wir stehen jetzt hier vor einem Gebäude-Komplex, der unter anderem eben das Green-City-Hotel beinhaltet. So der neue Coup quasi der Green City Freiburg. Sprecher Hier arbeiten behinderte und nicht-behinderte Menschen zusammen. Die Nacht kostet ab 79 Euro. 43. O-Ton Andreas Also die Hintergründe: Das war hier mal eine Brachfläche, die stand über x Jahre leer, wurde teilweise als Parkplatz genutzt, wurde dann irgendwann mal von Wagenburgen besetzt; die haben hier über einen längeren Zeitraum einfach ihr Kunst- und Kultur- Wagenkollektiv - wie sie es nannten - gehabt. Sprecher Vor zwei Jahren wurde die Wagenburg von der Polizei geräumt, um Platz zu machen für das Green City Hotel. Ein Teil der kreativen Klasse, die Bohemiens, musste weichen. 44. O-Ton Braun Hier hat sich eigentlich herausgestellt in diversen Studien, dass sich diese Szenen eben nicht fördern lassen ... Sprecher Nomo Braun von agiplan 45. O-Ton Braun ... sondern sich eigentlich dadurch fördern lassen, sozusagen implizit, dass man, ja, ihnen Freiräume lässt, gewisse Gebiete eben nicht durchgängig entwickelt. So dass letztendlich durch diese Freiräume eine künstlerische Szene entsteht, gewisse Subkulturen ihren Bestand haben, die ganz besonders wichtig sind für eine kulturelle und städtische Identität damit auch. Sprecher Die Stadt Freiburg hat den Freiraum Wagenburg geschlossen. Die dort Lebenden wurden aus dem Stadtteil gedrängt. Ein Prozess, der in vielen Städten zu beobachten ist. 47. O-Ton Braun Die sozial Schwächeren werden damit auch aus diesen Stadtteilen heraus gedrängt und sozial Schwächere können dann eben auch Künstler oder Vertreter der Subkulturen sein, die ja der eigentliche Grund waren, warum eigentlich Akademiker dann in dieses Viertel gezogen sind. Musik Sprecherin Bischofswerda - offen für Ideen Halle, die Stadt Kiel - Sailing City Koblenz - Magnet am deutschen Eck. Die Stadt zum Bleiben Pforzheim - immer mittendrin Sprecher Der Bieterwettkampf um die Kreativen ist in Mode. Als generelle Lösung für die lokale Wirtschaft von Städten ist die kreative Klasse aber überfordert. Das Ruhrgebiet zum Beispiel hat Probleme, die nicht durch eine Handvoll Grafiker oder Musiker gelöst werden können. 48. O-Ton Braun Lösung Wie schaffe ich es beispielsweise mit dem Problem der Armutszuwanderung umzugehen, mit dem Wohnungsleeerstand umzugehen, mit der sehr starken Segregation umzugehen? Diese grundsätzlichen Probleme muss man eigentlich erst mal in den Griff bekommen und dann kann man sich sicherlich dann über die Förderung der kreativen Klasse, die Förderung von Szenen oder Kulturförderung Gedanken machen. Sprecher Und trotzdem investieren Städte Millionen in Marketing und Imagepflege. Der Wirtschaftsfaktor Stadt wird wichtiger. Richard Florida hat mit seiner Theorie der kreativen Klasse eine Entwicklung angestoßen, die alle deutschen Städte erfasst hat. Sie hat Einfluss auf Stadtplanung, Wirtschaftsförderung und Imagekampagnen. Die Kreativen stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Andere Bevölkerungsteile werden an den Rand gedrängt. Geografisch und ideologisch. Die Kreative Klasse hat den Klassenkampf längst gewonnen. Sprecher vom Dienst: Klassenkampf Wie deutsche Städte um die Kreativen werben Ein Feature von Johannes Zuber Es sprachen: Nina West und Michael Goldberg Ton: Bernd Friebel Regie: Beate Ziegs Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013