COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt wer- den. Deutschlandrundfahrt 25 Kilometer Heimat? Heimat! - Das Tegernseer Tal in Bayern Von Nana Brink Sendung: 15. Juni 2013, 15.05h Ton: Bernd Friebel Regie: Karena Lütge Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1. O-Ton: Ingeborg Münzinger-Ruef, Journalistin Meine Eltern nannten es auch bewusst: Haus Heimat. Und dieses Haus hier am Nordufer des Tegernsees, wo man den Blick hat über den ganzen See... dass ist schon einmalig. Jedesmal wenn ich in Gmund den Berg hinunter gefahren bin, ist mir das Herz aufgegangen. ... für mich ist das echt Heimat. Autorin: Wer aus München kommt, landet zuerst in Gmund, an der nördlichen Spitze des Te- gernsees. Da beginnt diese Heimat-Geschichte. Nicht nur für die über 90jährige Journalistin Ingeborg Münzinger. 2. O-Ton: Horst Teltschik, Kanzlerberater Schon in den 40er Jahren hieß der See Lago di Bonzo, weil hochrangige Nazis hier gelebt haben und heute haben wir andere Bonzen... (lacht)...russische Oligarchen, aber auch der ehemalige Präsident Gorbatschow und seine Tochter...und wir haben Araber, die sich hier eingekauft haben, aber es gibt zum Glück eine ganze Reihe alt- eingesessener Bayern, Tegernseer. Autorin: Letzteres ist auch der ehemalige Kohl-Berater Horst Teltschik, der als 6jähriges Flüchtlingskind im heute berühmten Tegernseer Bräustübl aufschlug. Und seine Heimat fand. Die ein anderer schon verlassen wollte. 3. O-Ton: Hans Leo, Naturkäserei Als 17/18jähriger wollte ich eigentlich auswandern, wollte nach Amerika gehen, ein- fach irgendwo hingehen, wo es weite Flächen gibt. Das war die Traumvorstellung. Damals war es so, man konnte mit diesen Höfen bei uns in dieser Größe nix verdie- nen. Autorin: Der Bauer Hans Leo ist dann doch geblieben. Daheim. In Kreuth, ganz am südlichen Ende des Tegernseer Tals. Wo das einzig Nachhaltige die Zerstörung ist, wie viele Heimische sagen. SpvD: 25 Kilometer Heimat? Heimat! - Das Tegernseer Tal in Bayern. Eine Deutschlandrundfahrt mit Nana Brink. Autorin: Aus einem Holzhaus in Wall, einer kleinen Gemeinde oberhalb von Gmund, tönen seltsame Klänge. Frauen im Dirndl und Männer in Trachtenjacken strömen vom na- hegelegenen Gasthof zum Haus. Gleich daneben glänzt der Zwiebelturm der Kirche in der Abendsonne. Aus seinem Schatten treten plötzlich ein Mann mit Turban und ein paar verschleierte Haremsdamen. 4. O-Ton: Steffi Baier, Regisseurin Ja Laien, die da mitspielen, die suchen immer selber das Stück aus und jetzt ist es Zeit für ein Märchen (Kirchturm läutet)... mal woanders hin und wir haben gesagt, nach das war eigentlich ihr Wunsch: der Waller Kirchturm muss einfach in der orien- talischen Stadt mit eingebaut werden und jetzt ist er da mit im Bühnenbild, im Zen- trum steht der Waller Kirchturm mit Halbmond drauf....hätte ja auch anders gehen können, wenn die Türken noch weitermarschiert wären, dann wärs vielleicht alles ganz anders hier, keine Ahnung....(lacht)... 5. O-Ton: Begrüßung Publikum Verehrtes Publikum - ich möchte Euch begrüßen zu "Aladin und die Wunderlam- pe"... Bürgermeister begrüßen.... Viel Spass und Vergnügen.... (Beifall) Autorin: "Aladin und die Wunderlampe" - gespielt von den Waller Brettlhupferln, einer Laien- Spielgruppe. Aufgeführt im Haus des Waller Trachtenvereins. Ein Märchen aus dem Tegernseer Tal, wie Regisseurin Steffi Baier erzählt. 6. O-Ton: Steffi Baier Großartig! Weil das Kind in den Erwachsenen sich zu Wort meldet und das Vergnü- gen einfach groß ist und man muss auch sagen, Theater auf dem Land zu machen, da hocken verschiedenste Menschen in der Vorstellung, vom Architekten neben dem Bauern, dem Banker, zumal hier am Tegernsee, wo alles so gemischt ist, wo dann unterschiedliche Gesellschaftsklassen aufeinandertreffen, und über eine Sache re- den und da muss man auch schaun, dass man das Passende dazu findet, also wo sich aller gleichermaßen angesprochen fühlen. Autorin: Steffi Baier ist eine, die sich traut. Eine, die Etiketten hasst. Eine Hiesige, wie es auf Bayrisch heißt. Eine der neuen "Echten", wie ein Magazin sie kürzlich genannt hat. Während des Studiums in München arbeitet sie als Ankleiderin in den Münchner Kammerspielen. Dann ist sie Schülerin bei Dieter Dorn am Bayerischen Staats- schauspiel. Inszeniert eigene Stücke. Spielt in einer eigenen Band, - kubanische Mu- sik. Tourt durch die Welt und kommt wieder zurück. Nur ein paar Kilometer vom Waller Trachtenverein wohnt Steffi Baier in einem alten Bauernhaus. Zusammen mit ihrem Freund, dem Gitarrenbauer Roland Metzner, der stille Gegenpart zur quirligen Künstlerin. 9. O-Ton: Roland und Steffi (lachen)... Steffi: wie bist du denn zu deinem Beruf gekommen, sagt er, ich war beim Berufsberater...(lachen)... und der hat gesagt, ich muss Gitarrenbauer werden.... hole doch jetzt mal die Gitarre ... (macht Kasten auf)... das ist jetzt die von uns... ganz empfindlich... Roland spielt.... (Gitarrenspiel) Autorin: Die Seekulisse im Rücken, die satten Wiesen vor Augen, - es ist diese Landschaft und keine andere, die Steffi Baier immer wieder braucht. Wie die Sprache. Bei "Ala- din und die Wunderlampe" wird Bayrisch gesprochen. So wie im richtigen Leben hier am Tegernsee. Bis auf Ausnahmen. 10. O-Ton: Steffi Baier Des ist sehr bayrisch, aber auf eine sehr angenehme Art und Weise, überhaupt nicht mir san mir, sondern einfach nur weil der Dialekt was transportiert, was das Hoch- deutsche .... also alle die Status haben, die Reichen, die sprechen alle Hochdeutsch und die vom einfachen Volk reden Bayrisch, was sehr viel Sinn macht, weil auf dem Markt in Mierschbach (Miesbach) auch unterschiedlichste Sprachen vorherrschen. Das ist wichtig, auch für die, die drin hocken, viele Bauern, die Eltern von manche, Handwerker, es ist auch für die Schauspieler leichter zu bewältigen, für die Laien, weil es einfach so nahe ist und ... es wird sofort ihrs. Da kann ich hingehen wo ich mag, nach Frankreich, in den Orient, völlig wurscht, wenn man Boarisch reden derf, dann ist man dahoam, auch im Orient, ja das ist so. Da stand so ein Artikel in der Zeitung, der Orient sprach Bayrisch.... Autorin: Und jeder hat sein "G'wand" an, seine Kleidung. Die Zuschauer die Tracht und die Schauspieler den Kaftan. Kurz vor der Vorstellung herrscht großes Gedränge im Umkleidewagen hinterm Theater. Steffi Baier verteilt Gummibärchen. 11. O-Ton: Steffi Baier (in Umkleidewagen).... reingehen...Treppen...Hallo hallo.....die macht ja die Prinzes- sin, die Lisi, die ist immer die letzte, es helfen halt alle zusammen, schau mal, was wir da für Kostüme haben...vom freien Landestheater Bayern....das ist der Wesir, das ist der Zauberer....richtig toll....(lachen im Wagen). Autorin: Aus dem Kunstschmied wird ein Wesir, aus der Frisörin eine Prinzessin. Für 3 Stun- den. Alle Vorstellungen sind restlos ausverkauft. Die Presse ist begeistert: Volksthea- ter ohne Schenkelklopfen. Mir san mir auf Orientalisch. 12. O-Ton: Aladin im Dialog mit dem Wesir Aladin, du bist bestimmt zum Scharfrichter beim Sultan...das ist nicht euer Ernst? Na des mache ich nicht... ich werde bestimmt keinen umbringen... so mächtig ist kein Sultan, dass er einen Aladin zwingen kann... ich bin, der ich bin. Ich bin Aladin... (Musik) Autorin: "Echtes Heimattheater - ohne Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker", sagt eine Schlagzeile an der Bretterwand neben der Kasse. Steffi Baier grinst. Schubladen wa- ren noch nie ihr Ding. Auch nicht in Sachen Heimat. 13. O-Ton: Steffi Baier (lacht)... also wenn ich so wegfahre, ich muss immer ein Bett dabei haben, weil ich bin im Bett dahoam, weil ich lieg im Bett und denk mir, jetzt kann ich so lossegeln, durch das Fenster, oder durch die Balkontür.... ich bin jetzt schon hier zuhause, aber ich glaub, ich bin ein Wanderer insgesamt, ich bin sehr bayrisch, verwurzelt, aber trotzdem fühle ich mich auch als Weltenbürger, also ich bau mir dann immer so mei- ne kleine Welt, meinen Altar, und mein Bett und ein paar Sachen und dann bin ich dahoam, viel braucht es nicht, und meine Musikinstrumente. Autorin: Ein paar Kilometer von Gmund den See entlang steigt die Uferstraße etwas an. Der See liegt dunkelblau und friedlich. Erst seit kurzem sind die weißen Spitzen der Bergkuppen verschwunden. Ingeborg Münzinger sitzt auf der Veranda ihres Hauses. 14. O-Ton: Ingeborg Münzinger, Journalistin Meine Eltern nannten es auch bewusst: Haus Heimat. Und dieses Haus hier am Nordufer des Tegernsees, wo man den Blick hat über den ganzen See... dass ist schon einmalig. Autorin: Seit über 70 Jahren lebt die Journalistin und Buchautorinn in diesem Haus, hat die Nazis, die sich hier am Lago di Bonzo einnisten, überlebt, den Sherman-Panzer im Hausgarten und das Wirtschaftswunder. Immer hat der Tegernsee Prominente ange- zogen. 15. O-Ton: Ingeborg Münzinger Der Ludwig Erhard ist immer mit der Milchkanne, mit der Alumilchkanne in den Laden gelaufen und hat selber Milch geholt und hat sich dann immer sehr informiert über die Lage, das, was die Leute essen, die Preise, hat ihn alles sehr interessiert und er war sehr populär und seine Frau war auch eine ganz wunderbare Frau, die habe ich auch gut gekannt und für meine Zeitung auch ein paar Mal interviewt und das waren ausgesprochen leutseelige Menschen. Autorin: All das steht in der Münchner Abendzeitung, für die Ingeborg Münzinger jahrzehnte- lang schreibt. Aber jetzt verlässt sie ungern ihre Veranda, sie empfängt lieber ein paar alte Freundinnen zum Besuch. 16. O-Ton: Ingeborg Münzinger Heute, wenn einer hier her kommt, der sagt nicht einmal mehr Grüß Gott, es ist ein- fach ganz geworden, das Geld regiert jetzt und wie soll ich sagen.... die Leute haben nicht mehr am Hut, die Leute, die hier herziehen, mit der Tradition des Tegernsees, das ist denen ganz egal, die wollen hier eine schöne Lage haben, exklusiven Ruf hat es ja das Tegernseer Tal, nicht zuletzt durch die Hoeneß-Affäre... das ist einfach eine andere Dimension geworden hier. Autorin: Genau auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, in Bad Wiessee, hat der Präsi- dent des FC Bayern seine Villa. Streng abgeschirmt. Aber nicht dieser Name, wie man meinen könnte, erbost die Damen auf der Veranda. Oder die Hubschrauberge- räusche, die die Idylle immer wieder zerreißen, wenn ein russischer Gast sein Fe- riendomizil besucht. Es ist ein anderer Name. 17. O-Ton: Damen auf der Veranda Das gehört alles dem Schörghuber, bis zum Bauer in der Au....das hat der von dem Herzog 76 gekauft für 3 Millionen. DM.... da hätten wir mal alle zusammen legen müssen. Autorin: Anfang der 70er Jahre erwarb der Bauunternehmer Jörg Schörghuber das Gut Kalt- enbrunn von der herzoglichen Familie. Der ehemalige Ökonomiehof des Benedikti- nerklosters in Tegernsee liegt nur einen Steinwurf entfernt von Haus Heimat. Aber seit Jahren trennen sie Welten. Ein hoher Drahtzaun verwehrt jedem den Zutritt. 18. O-Ton: Ingeborg Münzinger Und es ist mir auch unverständlich, ich habe den alten Herrn Schörghuber noch gut gekannt, und dieses überdimensionale Projekt, was sie vorhaben hier, das passt ein- fach nicht hier her, die wollten den ganzen Hang praktisch vom Haus aus bis zum See abtragen für diese monumentale Bauerei, das muss man sich mal vorstellen! Eine Landschaft, die seit Jahrhunderten als ein Kleinod gefeiert wird und genossen wird und der traumhafte Biergarten mit den alten Kastanienbäumen und die Men- schen waren bis vor ein paar Jahren dort alle so glücklich, es ist wie eine Operation, es ist einem was weggenommen worden. Autorin: Es passiert nicht oft in Bayern, dass Bürger Investoren den Kampf ansagen. Am Te- gernsee schon gar nicht. Aber was die Erben, die Schörghuber-Gruppe, 2001 als Plan für das alte Gut Kaltenbrunn vorlegen, geht vielen entschieden zu weit. Vor al- lem den Damen auf der Veranda von Haus Heimat. 19. O-Ton: Angela Brogsitter, Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal Den Wallberg, den Hirschberg, Sie schauen hier auf Wiessee, Kaltenbrunn liegt hier unterhalb. Wenn Sie nachher runterfahren, sehen Sie das in seiner ganzen Pracht .... Und deshalb liegt uns Kaltenbrunn so am Herzen, weil das ist das noch unberührte Nordufer des Sees. Und das ist praktisch eine mehrere 100 Meter lange Naturbühne. Und das finden Sie rund um den Tegernsee nicht mehr, weil Sie sehen ja selbst, da ist überall gebaut, gebaut, gebaut .... das ist ein Platz zum Niederknien schön. Autorin: Wütend läuft Angela Brogsitter, eine Freundin der alten Dame, über den Kiesweg zum Zaun und zeigt den Berg hinunter. Da liegt es - und wir können nicht ran.Als die Pläne der Schörghuber-Gruppe bekannt werden und der Bebauungsplan für das 5- Sterne-Hotel durch die Gemeinde Gmund schon erteilt ist, tritt die Schutzgemein- schaft Tegernseer Tal auf den Plan, eine Bürgerinitiative, die seit den 70er Jahren gegen Baukräne protestiert und auch gern schon mal als Tegernseer Apo verspottet wird. In Sachen Kaltenbrunn allerdings bekommen sie einen mächtigen Verbünde- ten, den Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Auf die Popularklage der Schutzge- meinschaft gegen den Bebauungsplan der Schörghuber-Gruppe antwortet der höchste bayrische Gerichtshof eindeutig. 20. O-Ton: Angela Brogsitter Und das Gericht hat eben dann auch festgestellt, zum großen Erstaunen, muss ich sagen, der Befürworter, dass die Belange des Denkmalschutzes in nicht nachvoll- ziehbarer Weise hier mißachtet werden. Das war für uns ein Wunder, das war 2008.... Noch ein Zaun und noch ein Zaun... man sieht diese Plane, es hieß, es sei nur eine Übergangslösung, die dauert jetzt schon 4 Jahre und es wird zwar, wurde mir vom Bayrischen Amt für Denkmalpflege gesagt, einmal im Jahr, schreitet man herum, und schaut, wo etwas reinregnet, oder wo eine Dachrinne zerstört ist.... Klei- nigkeiten werden repariert, aber das ist natürlich nur Makulatur.Es ist Feuchtigkeit, es ist ein trauriger Anblick. Autorin: Also ein Pyrrhus-Sieg? Die Damen auf der Veranda zucken mit den Schultern. 21. O-Ton: Angela Brogsitter Was mich ärgert ist, dass ich glaube, wenn Sie oder ich ein Denkmal in unserem Be- sitz hätten, wir bekämen Aufforderungen, Hallo, würdet Ihr bitte das Denkmal erhal- ten, es ist bei uns in der Bayrischen Verfassung festgeschrieben, dass Denkmäler zu schützen und zu bewahren sind, und in diesem Fall kann auch nicht das Geld fehlen, denn die Schörghuber-Gruppe ist ja so immens wohlhabend, hat Schiffe, Brauereien, Immobilien, hier der Spitzingsee, Brauneck, der Wallberg, die Skigebiete gehören alle zu Schörghuber, insofern wäre das keine große Schwierigkeit. Autorin: In der Tat, - Gut Kaltenbrunn gehört zum Privatbesitz der Schörghubers. Nach dem Tod des Sohnes Stefan Schörghuber 2008 führt seine Frau Alexandra als Alleineig- nerin die Geschäfte. Sie hat auf Schloss Kaltenbrunn als Hotelangestellte gearbeitet, ihren Mann dort kennengelernt, hier geheiratet. Einer, der fast jeden Tag an Kaltenbrunn mit seinem Drahtzäunen vorbei fährt, ist Hans Sollacher. Der Busfahrer und Geschichtenerzähler zieht auch privat auf dem Roller seine Kreise um das Seeufer. Er kennt alle Stammtische der Region. Und er nimmt auch kein Blatt vor den Mund, auch nicht gegenüber den Damen auf der Ve- randa. 22. O-Ton: Hans Sollacher Jetzt liegt es brach, der Investor ist verstorben....und seine Frau lässt des ruhen. Man hat ihn da wohl nicht so bauen lassen, wie er wollte.... er hat mal in Fuschl so was gebaut, ein Sissi-Schloss, ich habs mir angeschaut, ich war im Gemeinderat damals, des ist phänomenal, was der da hingestellt hat, die historische Kulisse ist erhalten geblieben, er hat da Arbeitsplätze geschaffen, Einzelhandel, es profitieren die Tank- stellen, er hat einen eigenen Fuhrpark, wo er die Leute vom Flugplatz abholt und er hat solvente Gäste und so etwas in der Art wäre es hier auch geworden und was Gmund durchaus vertragen könnte. Da bin einer, der sagt, Ja es ist alles schöner, als diese Ruine, die da steht. Autorin: Sagt der Sollacher Hans. Aber da ist er bei den Damen in Haus Heimat an der fal- schen Adresse. Spätestens beim Sissi-Schloss. 23. O-Ton: Angela Brogsitter Heimat! Heimat ist etwas ..... einfach etwas echtes, das Wichtigste, dass es etwas echtes und nichts falsches ist und das merkt man hier leider Gottes überall, dass die Heimat verfälscht wird, dass das nichts Authentisches mehr hat, nicht mit Tradition, mit einem gewachsenem Organismus zu tun hat... man muss sich dem Zeitgeist verweigern, wenn man für die Heimat eintritt. Das ist für mich das Wichtigste. Autorin: Es ist ein In-Ort würde man sagen. Da, wo man hin muss an einem sonnigen Sonn- tag. Ins Tegernseer "Bräustüberl". Wenn man die Blechlawine vor dem Parkplatz neben dem barocken Schloss der Wittelsbacher ignoriert, könnte es einer dieser ma- gischen Orte am See sein. Ein Platz zum Niederknien schön. Die weißblaue Fahne weht in der Sommerluft, der Fön rupft die Wolken zurecht und im Schatten der Son- nenschirme blickt man über das Bierglas auf den heute dunkelgrünen See und seine sanft geschwungene Bergkulisse. Drinnen im "Bräustuberl" sitzt einer, den auch ein Glücksgefühl bewegt. 24. O-Ton: Horst Teltschik, Kanzlerberater Das ist immer wieder ein eigentümliches Gefühl, wenn ich hier reinkomme und gleich links neben der Tür waren die amerikanischen Feldbetten für meine Mutter und für vier Jungs, wir waren ja vier Jungs und wir sind ja einen Tag vor meinem 6. Geburts- tag hier angekommen und ich erinnere mich noch sehr an mein Geburtstagsge- schenk, und das war ein Brot mit Marmelade, eine Sensation für mich als Junge war die Marmelade und deswegen habe ich das nie vergessen. Autorin: Wahrscheinlich gibt es nicht viele, die von sich behaupten können, im legendären "Bräustüberl" geschlafen zu haben. Für Horst Teltschik, CDU-Politiker und Berater von Helmut Kohl, beginnt hier seine zweite Heimat-Geschichte. Seine erste Heimat hat er verloren. Sie lag in Mähren, im Sudetenland. Am 13. Juni 1946 kommt das Flüchtlingskind nach 2jähriger Flucht mit seiner Mutter und den Brüder hier an. 25. O-Ton: Horst Teltschik Sie können sich in dem Alter nicht mehr an die Abläufe erinnern, Sie können sich nur punktuell erinnern, ich kann mich erinnern, dass meine Mutter, ich hab ja einen Zwil- lingsbruder, dass sie uns mit den Köpfen ins Gras gedrückt hat, damit wir nicht schreien, als sowjetische Truppen vorbei kamen, ich kann mich erinnern, dass ein Lastwagen fuhr, ein großer Krach erfolgte und der Lastwagen war bombadiert wor- den und war weg, ich kann mich erinnern, dass wir auf der Ladefläche eines LKW von Miesbach hier rüber gebracht wurden, und über uns war eine Plane ausgebrei- tet, es regnete und ich irgendwann mal die Plane gelüftet habe und plötzlich den See gesehen habe, die Wolken bis zum See, alles grau in grau, das war mein erster Ein- druck vom Tegernsee. Autorin: Einen kurzen Moment hält sich Horst Teltschik an seinem Bierglas fest und blickt in den Raum. - Mehrere hundert Flüchtlingsfamilien haben hier gehaust, die drangvolle Enge, alles ist plötzlich sehr nah. 26. O-Ton: Horst Teltschik An was ich mich bis heute erinnere ist, wir haben als Kinder lange Alpträume gehabt, wir hatten ja keine Psychologen oder Psychotherapeuten... wir mussten mit diesen Alpträumen leben und ich kann Ihnen heute noch, ich bin über 70, meine Alpträume als 6jähriger schildern... ich kann Ihnen eine Sache schildern, ich sehe riesen Walzen auf mich zukommen, und die Frage ist, werden Sie überrollt oder nicht? Und bevor Sie überrollt werden, müssen Sie plötzlich eine Vorstellung entwickeln, warum Sie nicht überrollt werden wollen, warum Sie überleben oder ich falle von höchster Höhe, falle, falle und lerne dann im Traum, das ich plötzlich fliege, wegfliege, ich fang mich selber im Traum auf und beginne zu fliegen. Autorin: Horst Teltschik, das Flüchtlingskind aus Mähren, ist weit gekommen, war Hochschul- Assistent für Politik in München, Berater von Helmut Kohl, Vize-Kanzleramtschef, Mit-Gestalter der Deutschen Einheit, Vorstandsmitglied der BMW AG, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Jetzt sitzt Horst Teltschik am liebsten in seinem Garten in Rottach-Egern, 5 Kilometer vom Bräustüberl entfernt. Mit kariertem Hemd, die modische Brille im zerknautschten Gesicht und .... 27. O-Ton: Horst Teltschik ... fühle mich - wie man im Bayrischen sagt - sauwohl...(Lacht)....Hier aufzuwachen! Erstmal können Sie Natur in vollen Zügen genießen, allein schon die Vielzahl der Vögel, die wir hier haben, und dann der Blick auf die Berge.... das ist der Wallberg, das ist das Wallbergkircherl und rechts davon ist der Setzberg, der Bodenschneid, da drüben ist der Hirschberg. Autorin: Seit 2000 wohnt Horst Teltschik mit seiner Frau wieder am Tegernsee. Er ist heim- gekehrt, wie er sagt. Obwohl der Tegernsee, die Landschaft seiner Kindheit, nie weg war. Gerade in seiner Zeit in Bonn. 28. O-Ton: Horst Teltschik Nein... meine Frau sagte immer, es ist klar, einmal im Jahr musst Du nach Tegern- see.... (lacht)... meine Frau ist ja Norddeutsche, aus Hannover, spricht ein vorbildli- ches Hochdeutsch im Gegensatz zu mir, und hat dann schon immer gesagt, spätes- tens auf der Höhe von Ingolstadt kam mein Dialekt wieder zum Durchbruch und wenn ich meine Frau ärgern will, spreche ich ein g'schertes Boarisch... (lacht).... Ich brauche die Atmosphäre dieses Tals, den See, die Berge, und das ganze Ambiente, das war unverzichtbar. Autorin: Und dann ist Horst Teltschik zum Plaudern aufgelegt. Auf seiner Gartenbank, die Arme verschränkt, im Gesicht sein hintergründiges Grinsen, wartet er gar nicht ab, dass man ihn nach dem Geist von Kreuth fragt. Ihn den CDU-Mann, aufgewachsen im CSU-Land. Und dann kichert er: Wissen Sie, ich habe Kreuth sozusagen aufge- baut! Noch bevor die CSU sich dort in Klausur begab. 29. O-Ton: Horst Teltschik Das Wildbad Kreuth ist zu einem Sanatorium umgebaut worden vom Herzog in Bay- ern und ich war Hilfsarbeiter und ich musste vom ersten Stock mit der Schubkarre den Schutt runterfahren und den habe ich mal dem Herzog voll vor die Füße ge- schüttet, weil der grad zur Tür reinkam, als ich gerade mit Tempo rauswollte und ich hatte keine Chance zum Ausweichen, also habe ich die Schubkarre umgekippt. Autorin: Das hat Tradition in Kreuth. Das "vor die Füße kippen". Im November 1976 beschloss die CSU hier, sich aus der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zu lösen. 30. O-Ton: Horst Teltschik Ich habe ja den Geist von Kreuth sehr konkret erlebt, weil ich damals schon bei Hel- mut Kohl war, er war Ministerpräsident in Mainz, und er hatte mich ja gerade ange- heuert und dann am späten Nachmittag kam ein Anruf: Komm rüber, und dann er- zählte er, dass aus Kreuth CSU-Leute angerufen hätten, ohne das der Franz Josef Strauß es gewusst hat und ihn voll unterrichtet haben, was da abläuft, und ich habe damals zu Helmut Kohl gesagt, weil er gesagt hat: Wenn die CSU und Strauß als vierte Partei antreten, bundesweit, dann gehen wir als CDU nach Bayern. Und dann habe ich gesagt: Und ich mache den Generalsekretär, das habe ich mir zugetraut, denn die Bayern kenne ich, den Dialekt beherrsche ich und des zoagn ma dene. Autorin: Es kam natürlich anders. Der bayerische Löwe brüllte kurz. Und zog dann den Schwanz ein. Manchmal spukt der Geist von Kreuth noch. Doch eigentlich ist er harmlos, sagt Horst Teltschik und bestellt sich noch ein Bier im "Bräustüberl". Für das Flüchtlings- kind aber hat der Geist von Kreuth noch eine andere Bedeutung: Nicht gefressen werden von großen Tieren. Wenn ich meiner Heimat etwas verdanke, dann das, sagt Teltschik, und dann grinst der Tegernseer Bub wieder hintergründig. 31. O-Ton: Horst Teltschik Ich war unter 900 Schüler, der einzige der Bartträger war, da haben dann viele ge- fragt, wer ist denn dieser junge Mann da, und dann hat ein Tegernseer grundsätzlich gesagt: Des ist nicht der Horst Teltschik, sondern des ist ein Flüchtling. Und das stört dann schon, wenn Sie im Jahr 1960 noch als Flüchtling identifiziert werden. Und als ich später im Fernsehen auftauchte und der Kanzler herkam, dann hieß es: Ja mei Du bist doch, ich kennen wir, Du bist ja unser Bua, ich woaß no, wie Du da zur Schul gangen bist, da war ich plötzlich der Tegernseer Bua. Autorin: Wieder so ein Tag zum Niederknien bayrischschön. Sonne und Fönluft. Der glitzern- de See, heute hellgrün. An der Tegernseer Schiffsanlegestelle drängen die Touristen auf den Ausflugsdampfer. Etwas abseits auf einer Bank sitzt Ingeborg Münzinger mit einem kleinen Sonnenschirmchen, so als gehöre sie zur Idylle. 32. O-Ton: Ingeborg Münzinger, Journalistin Als ich hier zu Hause gearbeitet habe, bin ich jeden Tag ein, zwei Stunden mar- schiert, zum See runter und am See entlang und habe das genossen, gebadet haben wir natürlich auch furchtbar gern, aber der ist saukalt der Tegernsee, aber er hat Trinkwasserqualität! Autorin: Seit über 70 Jahren lebt die Journalistin, die für die Münchner Abendzeitung gearbei- tet hat, hier am See. Manchmal lässt sie sich noch ans Ufer fahren. Aber was sie sieht, macht sie grantig, - würde der Bayer sagen. 33. O-Ton: Ingeborg Münzinger Weil eben alles, was noch ein bisschen bebaubar ist, wird parzelliert und verkauft und zugebaut und es sind so monumentale Sachen, die da gebaut werden, und der Charme geht verloren damit, auch die Ursprünglichkeit. Autorin: Und die Heimat. Die alten Häuser im Stil des Tegernseer Tals mit ihrem weißen Mauerwerk, den überladenden Blumenkästen am Holzbalkon und den heruntergezo- genen Ziegeldächern. Jetzt gibt es Eigentumswohnungen, stereotype Bauweise, mit Seeblick selten unter 6.000 Euro pro Quadratmeter zu haben. Hier wohnen meist keine Einheimischen mehr. Rottach-Egern zum Beispiel verzeichnet bei 5.500 Ein- wohnern allein 900 Zweitwohnsitze. Auch Hanno Sollacher kann es sich nicht leisten, hier zu wohnen. Er hat seine Schicht als Busfahrer hinter sich und gönnt sich schon mal ein Bier in der Sonne. Dann zeigt er über den See. 34. O-Ton: Hanno Sollacher Oberhalb von Wiessee im Ortsteil Holz, in elitärer Nachbarschaft, da wohnen noch a paar da droben, die genauso reich oder arm san wie der Hoeneß und des san halt auch so Plätze, die sich Einheimische nicht leisten können, da steht da herrschaftlich das Haus da droben, mit Blick auf den See, unverbaubar, des kann sich nur einer leisten wie der Hoeneß oder Konsorten, ich moan des ned abwertend, ich vergönn ihm des auch, nur wo fang man an und wo hört man auf? Man kann nicht dem einen was genehmigen und dem anderen nicht.... auch hinter uns, das steht ein Kran nach dem anderen, noch ein Häuserl und noch ein Häuserl, wobei aber bekannt ist, dass sich der Hang bewegt, das wird versiegelt und das Wasser sucht sich seinen Weg, ein Erdrutsch, das wir irgendwann einmal passieren. Autorin: Wie auf Bestellung fährt ein Bagger die Uferstraße entlang. Tolle Investorenland- schaft, ätzt Ingeborg Münzinger, die auch mit ihren über 90 Jahren noch in der Bür- gerinitiative Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal aktiv ist. Als die Kläranlage im Tal im Jahr 2000 erweitert wird, boomt der Villenbau. Alle großen deutschen Immobi- lienmakler haben mindestens eine Dependance am Tegernsee. In machen Orten gibt es mehr Makler als Metzger. Aus Eins mach Drei heißt die Devise, nach der viele Erben ihre Grundstücke parzellieren, um Geld zu machen. Für Ingeborg Münzinger ein Tabu. 35. O-Ton: Ingeborg Münzinger Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich glaube nicht, dass meine Tochter das täte, ich glaube eher, dass sie hier rauszieht, wenn ich nicht mehr da bin. Meine Kinder schon sowieso, auch meine Urenkel, alle finden das so herrlich, das kann man nicht verkau- fen, das gibt man her... das würde heute ein Vermögen kosten, das ist ja so groß ... das ist meine Heimat! Autorin: Und darüber lässt sich gut streiten. Das können die Tegernseer. Ausgiebig. Seit 40 Jahren schon debattieren die Seebewohner darüber, wie eine Promenade am Ufer aussehen soll. Höchste Gerichte urteilten, Bürgerentscheide wurden ausgesessen, um jene Glaubensfrage zu klären: Steg oder Nicht-Steg? 1,4 Kilometer ist die Pro- menade lang, zum Teil am Ufer, zum Teil über einen Steg und erst Anfang April legte ein weiterer Bürgerentscheid fest, ob die letzten 200 Meter Steg, der die Lücke schließen soll, gebaut werden darf. - Er darf gebaut werden, - 57 Prozent der Te- gernseer stimmten dafür. 36. O-Ton: Victoria Ziegleder, BI gegen den Steg in Tegernsee Demokratische Entscheidung, wir nehmen das auch als Demokraten, ganz klar, Te- gernsee hat sich entschieden, die Mehrheit wollte, aber immer 43 Prozent der Wahl- gänger, die sich dagegen ausgesprochen haben, das darf man auch nicht verges- sen, das ist ja nicht wenig.... hohe Wahlbeteiligung, 57 Prozent, für ein Bürgerbegeh- ren sehr viel. Autorin: Victoria Ziegleder, eine der Wortführerinnen der Bürgerinitiative gegen den Steg, gibt sich als gute Verliererin. Aber als sie am Steg entlang läuft, sieht man der resoluten Tegernseerin aus einer alteingesessenen Familie deutlich an, wie enttäuscht sie eigentlich ist. 37. O-Ton: Victoria Ziegleder Zornig macht uns eigentlich erstens mal der Eingriff in diese gewachsene Kulturland- schaft, das sieht scheußlich aus, schaun Sie sich mal diese Brücke da an, das ist ja kein schöner italienischer anmutender Holzsteg, sondern das ist im Grunde genom- men ein richtiger Trampelpfad, wenn Sie da am Wochenende schaun, die Leute zwängen sich da entlang, es werden die Grundstücke direkt am See, die werden total entwertet.... das eine, wo jetzt diese Plane da liegt, die haben Zimmer vermietet, die haben jetzt, wo der Steg da ist, keine Zimmer mehr vermietet, weil die Gäste das na- türlich nicht wollen, keiner bucht ein Haus direkt am See und hat die Menschenmas- sen vorbei und die Leut schauen... in dem Moment, wo sie da vorbeigehen, schaut keiner auf den See, sondern alle in das Grundstück herein, des ist halt einfach so, des menschelt halt einfach. Autorin: Nur ein paar Schritte vom jetzigen Steg entfernt liegt die Hauptstraße von Tegernsee. Wütend stapft Victoria Ziegleder mit ihren zartrosa Pumps über die laute Straße. 38. O-Ton: Victoria Ziegleder Also bei schönen Wetter geht hier dann überhaupt niemand mehr..... hier haben wir so ein großes Grundstück, das ist ein großes Haus gestanden, das ist abgerissen worden, hat die Stadt gekauft und hier möchte der Bürgermeister ein großes Park- haus hinsetzen, also wir brauchen alles, aber bloß kein Parkhaus hier... hier ist ne Apotheke drin gewesen, die hat auch dicht gemacht, schon über ein halbes Jahr leer und hier kommen wir jetzt zu dem Hotel Gugglmoos, das ist also 2008 geschlossen worden, weil es total renovierungsbedürftig ist... aber so bietet es sich jetzt der An- blick und in der nächsten Zeit wird das noch wesentlich schlimmer und hier wird we- der saniert oder sonst was... das wird so bleiben, das noch schlimmer werden. Autorin: Mittlerweile hat Hanno Sollacher sein Bier ausgetrunken. Kurz bevor er sich auf sei- nen Roller schwingt, um nach Hause zu fahren, 15 Kilometer ins Landinnere, da wo man es sich noch leisten kann, ist er noch mal am Steg entlang gelaufen. 39. O-Ton: Hanno Sollacher, Busfahrer Ja der polarisiert natürlich der Steg, mir persönlich gefällt er, man kann da wunderbar laufen. Und des ist halt die Befürchtung der Geschäftsleute, dass die Leute alle auf den Steg gehen und nicht mehr in die Hauptstraße kommen, wobei: Die müssen ja irgendwo parken, die parken ja im Ort, die können dann eine schöne Runde laufen und dann in die Hauptstraße zurück und dann können sie auch die Auslagen be- trachten... ich denk mal, dass es eher einen positiven Effekt haben wird, wenn der Steg fertig ist, weil es so was nirgends gibt, an keinem anderen See gibt es einen Steg, wo man direkt am See entlang laufen kann in dieser Form. Er wird auch ange- nommen, wir haben es ja gesehen, wir sind unten gestanden, da drängen sich die Leute. Ist ne Attraktion. Mir persönlich g'fallt er! Autorin: Der Glaubenskrieg um den Steg in Tegernsee wird weiter gehen. Auch wenn er fertig gebaut ist. Victoria Ziegleder gönnt sich nun einen Eis-Cafe, - mit Blick auf den See, ihren See. Was sie jetzt tut? Weiter kämpfen. Gegen das Parkhaus. Gegen den Bauwahn. Für die Heimat. 40. O-Ton: Victoria Ziegleder Also Heimat ist für mich so ein bayrisch-blauer Himmel, es ist eigentlich auch die Ru- he auf dem Berg... wenn man dann da oben auf dem Hirschberg sitzt und das sieht, und dann kann man in Tälern reinschauen, die noch nicht so zugebaut sind, also da geht einem dann schon das Herz auf... Das ist meine Heimat, genau, sie ist zwar an manchen Stellen nicht mehr zu erkennen, leider Gottes, aber ja von oben sieht alles ein bisserl weiter entfernt aus, so als ob man auf so einer Wolke dann sitzt, je weiter man entfernt ist von den Schrecklichkeiten hier im Tal, desto leichter wird es einem dann wieder. 41. O-Ton: Hans Leo, Naturkäserei Maxl, Maxl (ruft und pfeift)... jetzt kommt er... jetzt hat er mich gehört...Maxl! Autorin: Maxl ist der Chef im Ring. Das sieht man gleich. Ein Stier wie aus dem Bilderbuch: Massig, behäbig, mit einem großem Ring durch die Nase. Maxl hat einen berühmten herzoglichen Namensvetter. 42. O-Ton: Hans Leo Seit Max II heißen alle Stiere Max, der Max ist der Sohn von der Adele....und ist für die Befruchtung zuständig.... des ist die Amsel, die älteste Kuh, daneben ist ihre Freundin, die Adele....die Adele hat schon gekalbt, das Kalb steht im Stall... wen ha- ben wir denn da noch, das ist die Adelheid, die meisten Kühe fangen mit A an, die stammen alle aus der Amsellinie. Autorin: Seine Damen meinen es heute gut mit Hans Leo. Bedächtig kommen sie angetrabt. Zwischen 15 und 20 hellbraun gefleckte Kühe stehen auf der Weide des Hazi-Hofes in Kreuth, unweit des Sees. Hans Leo kennt sie alle. 43. O-Ton: Hans Leo Jeden Tag... also das kann ganz liebevoll sein, und es kann auch schon ein bisserl härter zu gehen, das sagt man dann schon mal, Sauvieh, jetzt schaust das aussi kimmst...auf die Weide und.... wie soll ich sagen, schwierig... ich muss hinschauen. Es ist nicht nur so, dass ich gerne hinschaue, sondern ich muss hinschauen, denn wenn ich sie nicht sehe, denn ein Tier kann ja nicht sagen, mir geht's heut nicht gut, kannst du nicht was machen, sondern ich muss das sehen und grad bei Kühen ist das so, dass die eher nach innen leiden, also bei Frauen ist das vielleicht auch so, kann schon sein. Autorin: Dann lächelt Hans Leo ein bisschen verlegen und fährt sich mit seinen rauen, gro- ßen Händen durch das sonnengegerbte Gesicht. Seit 160 Jahren betreiben die Leos den Hazi-Hof, der heute noch so aussieht wie im 18. Jahrhundert, als er gebaut wur- de - mal abgesehen vom Traktor und den Stromleitungen. Wenn der knapp 50jährige über seine Heimat spricht, dann dreht er sich einmal vom Zaun weg und breitet die Hände aus: Das Tal, im Frühsommer in tausend Grüntöne getaucht. Die Wiesen. Die Bergkette. Die Bauernhöfe. Als 18-Jähriger wollte der Hans eigentlich weg, weil er schon wusste, dass ein kleiner Milchbauer hier nicht überleben kann. 44. O-Ton: Hans Leo Weil man sich denkt hat, Mensch, für was mach ich das, ich arbeite für große Kon- zerne, für den Milchexport, Bayern ist ein Milchland, exportiert Milch ins Ausland, das ist auch ok so, aber in dieser Exportwirtschaft, des ist keine Wirtschaft für kleine Bauern. Das ist für große Konzerne was, und da verdienen ganz andere Leute ihr Geld, bloß wir nicht, wir haben eigentlich nur die Arbeit...Das ist eigentlich eine Ent- wurzelung, da verliert man nicht nur ganz praktisch seine Heimat, weil man so viele Schulden zambringt, dass man nicht mehr existieren kann da, sondern man verliert auch den Sinn für die Heimat, es ist dann nicht mehr... ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll, es ist dann nicht mehr grün und nicht mehr schee, sondern es ist ein- fach nur noch hart. Autorin: Aber so einfach geht man nicht weg. 45. O-Ton: Hans Leo Das ist ein Hirschberger, das ist der Schnittkäse, relativ mild, und da schauen wir mal durch... das ist ein Tegernseer Bergkäse, den mag ich gern, weil er recht jung ist und mild und da haben wir einen mit Bockshornklee.... wir verzichten auf Zusatzstoffe, das einzige Konservierungsmittel ist das Salz, wie man es früher gemacht hat. Und man macht an die Milch das Zugeständnis, dass man die Milch so lässt wie sie ist, drum auch Rohmilchkäse. Autorin: Der Bauer Hans Leo ist nicht ausgewandert. Er ist geblieben. Und er ist ausgestie- gen. Aus der industriellen Milchproduktion. Vor 10 Jahren reift in ihm der Gedanke an eine eigene Molkerei, beliefert durch die Heumilch seiner Kühe und die seiner Nach- barn. Wie ein guter Käse, braucht es seine Zeit. Seit 2010 steht unweit seines Hofes die Naturkäserei Tegernseer Land. 46. O-Ton: Sepp Hofer, in der Käserei Tür geht auf....jetzt sind wir in der Produktionshalle. Heute machen wir jetzt einen Schnittkäse, Wallberger Natur, da haben wir heute früh die Milch bekommen, die ist jetzt im Kessel drin und da haben wir schon den Bruch geschnitten, die Gallerte, da machen wir jetzt grad einen Wasserzusatz zum Waschen, und des muss man rühren und ca. in einer Stunde werden wir mit dem Abfüllen anfangen.... Autorin: Sagt Sepp Hofer, der von Anfang an dabei ist. Jeden Tag liefern 20 Betriebe aus dem Tegernseer Land ihre Milch an die Naturkäserei. Jeden Tag wird sie frisch ver- arbeitet. Zu Bergkäse, Schnittkäse, Joghurt. 47. O-Ton: Sepp Hofer Jetzt sind wir im Bergkas-Keller, wo die Bergkäse lagern, ziemlich voll....wir produzie- ren ziemlich knapp, es geht soviel raus, wie wir nachproduzieren, dass wir möglichst wenig Lagerfläche verschenken....riecht jedes Mal unterschiedlich zwischen den Gängen....je heller die Käse, die weißen sind die jüngsten, und je dunkler, also in gelbe und orange gehend, je älter....über ein Jahr....(am Schmiergerät) Die jungen Käse, die müssen wir jeden Tag schmieren....die werden mit Salzwasser und Kultu- ren werden sie eingeschmiert, Rotschmierkultur, damit sie die Rinde kriegen, die ty- pische, und auch dass sie nicht austrocknen. Autorin: Handarbeit hat ihren Preis. Das weiß auch Hans Leo. Und er erinnert sich noch, dass viele Bauern ihm den sprichwörtlichen Vogel zeigen, als er mit der Idee einer Genos- senschaft an den Stammtisch kommt. So a g'spinnerte Idee, des geht nia! Aber er behält seinen Dickschädel, findet Verbündete und gründet 2007 die Genossenschaft, deren Vorsitzender er heute ist. Mittlerweile hat die Naturkäserei über 1400 Anteils- eigner. 48. O-Ton: Hans Leo Wir haben den Nerv getroffen... ich glaube, dass das ganz viele Leute inspiriert hat, diese Sicherheit, wer macht das, dass man diesen Leuten zuschauen kann, dass man uns Produzenten einfach wahrnimmt, nicht nur als Rohstofflieferanten, sondern auch als Produzenten von Käse, Milchprodukten und das man einfach fragen kann, wie machst du das? Und was brauchst du dafür für einen Preis, - das ist einfach ein faires Miteinander, das war vorher nicht so. Autorin: Die Naturkäserei mit ihren Geranienkästen an den Balkonen, ihrer Schauproduktion, dem Brotzeitstüberl und dem eigenen Laden, ist ein Touristenmagnet im Tegernseer Land. Der Erfolg hat Hans Leo doch ein wenig überrascht. Und stolz gemacht. Aber das sagt er nicht. 49. O-Ton: Hans Leo Heimat ist da - hätt ich jetzt beinahe gesagt - wo man dahoam ist...(lacht)... also wenn man erkannt hat, wo Heimat ist, dann soll man auch was tun dafür...Also da muss man überhaupt aufpassen, dass nicht unsere ganze Lebensgrundlage .... derf nicht zu einer Investorenlandschaft werden, also um das geht es eigentlich.... ich ha- be ein sehr gespaltenes Verhältnis zu meiner Heimat... also bei uns, ist es ein Bal- lungsraum, ähnlich wie München und das wollen ganz viel Leute her mit ganz viel Geld und kaufen sich hier ihre Heimat, sage ich jetzt mal und da gibt es Leute, die meinen es wirklich gut und da gibst auch Leute, da passt es nicht so, die sind auf der Durchreise und verändern aber trotzdem unsere Heimat und mit den Veränderungen müssen wir dann auch leben...und da sind wir wieder bei dem Thema Verantwortung, in dem Augenblick, wo dieses Verantwortungsgefühl fehlt, da wird es schwierig, egal wo, ob bei Lebensmittelproduktion, bei Landbewirtschaftung oder wo ich mein Geld investiere.... Autorin: Abends geht er von der Käserei über die Wiese zu seinem Hof. Dann wird aus den Vorsitzenden der Genossenschaft wieder der Bauer Leo. Seine Damen, die Amsel und die Adelheid, sehen es ihm nach, dass er manchmal wenig Zeit hat. 50. O-Ton: Hans Leo (Gehen über die Wiese).... Vorsichtig, das ist der alte Zaun... na des ist wenn man sich selber verkauft... wir verkaufen nur unseren Käse. SpvD: 25 Kilometer Heimat? Heimat! - Das Tegernseer Tal in Bayern. Sie hörten eine DeutschlandRundfahrt von Nana Brink Ton: Bernd Friebel Regie: Karena Lütge Redaktion: Constanze Lehmann Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013 1