Götterquergang und Todesbiwak Die Eiger-Nordwand heute und vor 75 Jahren Deutschlandradio Kultur Nachspiel, 5. Januar 2014 Von Ernst Vogt und Georg Bayerle 1.Atmo Sprecher 1: Es ist Mitte Juli vergangenen Jahres auf den grünen Matten am Fuß der Eiger-Nordwand. Zelte sind aufgeschlagen, ziemlich genau da, wo Anderl Heckmair 1938 biwakiert hat. Für zwei Tage wird daran erinnert, was sich hier vor 75 Jahren abgespielt hat. Mit Ferngläsern suchen die Festgäste die riesige Wand ab, die hier senkrecht aufragt. Darunter der Schweizer Extrembergsteiger Stephan Siegrist. 1.Zsp Stephan Siegrist: Für mich ist es immer noch eine der größten bergsteigerischen Leistungen, die gemacht wurden, in dem Sinn, dass doch viele umkamen, das ist auch mental belastend. Logischerweise ist die Wand lang, man wusste nicht viel davon und entsprechend ist es eine Wahnsinnstat, überhaupt zu wagen einzusteigen und das dann auch bei schlussendlich schlechtem Wetter durchzuziehen. Sprecher 1: Vor genau 75 Jahren hatte die vom Bayern Anderl Heckmair angeführte Viererseilschaft zum ersten Mal dieses 1800 Meter hohe Bollwerk aus Fels, Schnee und Eis durchstiegen. Ein Markstein der Alpingeschichte, die sich an dieser Wand im Dreigestirn des Berner Oberlands von Jungfrau, Mönch und Eiger wie kaum an einem anderen Berg festgezurrt hat. Darum sind die besten Schweizer Bergsteiger gekommen. Ueli Steck: 2.Zsp Ueli Steck: Die Eigernordwand, das ist eine der höchsten Wände in den Alpen, das bietet sich halt an. Und es gibt keine vergleichbare Wand an Komplexität und technisch anspruchsvoller Kletterei wie die Eiger-Nordwand. Sprecher 2: Bergretter demonstrieren gleichzeitig Techniken, die unter den extremen Gegebenheiten dieser Felsmauer entwickelt wurden. An einem 200 Meter langen Seil werden Helfer vom Hubschrauber abgelassen. Sprecher 1: Auch der japanische Bergführer Takio Kato ist da. Nach mehreren Fehlversuchen in den Jahren zuvor, hat er sich 1969 mit fünf Begleitern vier Wochen lang buchstäblich die Wand hinaufgenagelt. Die „Japaner-Direttissima“ ist in Fernost Legende und Grund für tausende Japaner mit aufgerissenen Augen die Felswand anzustaunen. Warum dieser fanatische Wille? 3.Zsp: Because...I don’t know why. 4.Zsp Reinhold Messner: Die Eiger-Nordwand wurde durch die Tragödien zur „Wand der Wände“ in den Alpen, aber sie wurde nicht unbedingt emotional positiv gesehen, sondern sie wurde nur als die Mordwand gesehen, als gefürchtete Wand und gleichzeitig als die Herausforderung schlechthin. Sprecher 1: Der Südtiroler Reinhold Messner durchstieg die Wand mit seinem späteren Everest-Seilpartner Peter Habeler 1974 in neuer Rekordzeit. Er brauchte nur zehn Stunden. 5.Zsp Reportage in der Eiger-Nordwand: So Kommando von oben, kaum hörbar, weil die Seillänge so lang war. Muss jetzt die Eigensicherung auflösen und dann wird’s jetzt dann spannend. Schwieriger Riss heißt des Ganze, des sind ja die Namen hier in der Eigerwand; Götterquergang, weiße Spinne, schwieriger Riss. Jeder Name erzählt seine eigene Geschichte, die Geschichte klettert mit. 2.Atmo: Felsklettern Sprecher 1: Georg Bayerle auf den Spuren von Anderl Heckmair und Heinrich Harrer. Sein Seilgefährte ist der Schweizer Extrembergsteiger Stephan Siegrist. 6.Zsp Stephan Siegrist: Der Schwierige Riss hat nicht umsonst den Namen gekriegt und ist eine der schwierigsten Kletter-Stellen hier in der Nordwand. Ein weiterer Punkt ist das Bügeleisen unter dem Todesbiwak, nochmal klettertechnisch anspruchsvoller. Dann der Wasserfallkamin, dort hat’s oft Eis, ein glasiger Überzug, das Wassereis, dort sind die größten Schwierigkeiten zu erwarten. Sprecher 2: Kletterstellen wie der „Schwierige Riss“ haben für den 41-jährigen Schweizer ihren Schrecken verloren. 20 Mal ist er hier durchgeklettert, hat neue und viel schwierigere Routen erschlossen. Stefan Siegrist ist so etwas wie der Hausmeister der Eiger-Nordwand; seinen Respekt hat er trotzdem behalten 8.Zsp Stephan Siegrist: Die Rampe sieht man sehr schön, dann das Rampeneisfeld, auch etwas nass und auch der brüchige Riss, der dann zum Götterquergang führt. Und das ist schon erstaunlich, dass sie zu dieser Zeit den Mut hatten, da durchzuqueren, rüber zur Spinne, denn der Götterquergang ist einfach unheimlich ausgesetzt. Gegen Ende des Götterquergangs wird er immer schmäler und am Schluss kletterst du auf Felsen und da geht’s 400 Meter voll runter. Sprecher 2: Der Eiger ist ein riesiges Amphitheater, das sich nach oben einwölbt und zuspitzt. Die Wand ist von Rissen, Bändern und Abdachungen durchzogen. Bäche fließen durch die Wand; Schnee und Eis liegt auf den Felsen. 3.Atmo Sprecher 1: Dazu kommt: Wie auf einer Bühne steht dieses Naturmonument über der Kleinen Scheidegg. Hier befindet sich eine Station der Zahnradbahn auf die Jungfrau, zwischen Almwiesen erhebt sich ein historisches Hotel aus der Belle Epoque. Es ist ein Denkmal aus der Anfangszeit des Alpentourismus. Damals wie heute können all die die Wand vom Kaffeetisch aus spüren, die selbst nie auf die Idee kämen, einzusteigen. So schildert Christian von Allmen aus der Hoteliersfamilie dieses Grandhotels den Grund für die Eiger-Faszination: 9.Zsp Christian von Allmen: Einerseits, weil man mit dem Zug praktisch bis an den Fuß der Nordwand kam, hat das einen Rummel mitgebracht, der seinesgleichen bis heute sucht. Durch die Besonderheit dieser Wand, indem sie sehr launisch ist, es ist so wie ein Trichter, der die Wolken, welche vom Atlantik praktisch ungehindert vordringen bis zum Alpenhauptkamm, hat es sehr schnelle Wetterwechsel. Wetterwechsel, die man zu dieser Zeit nicht vorhersehen konnte und die meisten Versuche waren eigentlich an diesen Wetterwechseln gescheitert. Sprecher 1: 1935 wagen zwei Münchner Alpinisten, Max Sedlmayer und Karl Mehringer, den Einstieg in die bedrohliche Wand. Schneefall, Sturm und Lawinen vereiteln ihr Vorhaben. Sie sterben in 3.300 Meter Höhe. Die Stelle, an der sie nicht mehr weiter kamen, erhält den Namen Todesbiwak. Musik Martin Kälberer „Between the horizon“, Take 3 Taratibu, 48 sec., Komp. Martin Kälberer, Instr. Martin Kälberer, LC 11188, GLM 2010. Sprecher 1: Wie so oft, hat dieses Unglück keine abschreckende Wirkung. Im Gegenteil: ein Jahr später steigen die Berchtesgadener Andreas Hinterstoisser und Toni Kurz mit zwei österreichischen Bergsteigern ein 10.Zsp/Zit: „Wir sind der Wand verfallen, die Wand ist unser – oder wir sind ihr!“ Sprecher 1: Das ist ihr Wahlspruch, der sich auf tragische Weise erfüllen sollte. Am dritten Tag kehren sie bei anhaltendem Schlechtwetter um 11.Zsp/Zit: „Das Grauen der Nordwand umfängt sie. Die dritte Nacht wird lang, und das schaurige Dröhnen der Steine und Wasser, der Lawinen und Bergbäche ist eine unheimliche Musik“ Sprecher 1: So schildert ein Berichterstatter die heikle Lage. Am vierten Tag ist von den Kletterern nur noch Toni Kurz am Leben. Er ruft um Hilfe, hat kein Seil mehr. Die Grindelwalder Bergführer kommen bis auf vierzig Meter an den Verletzten heran. Sie raten ihm, das Hanfseil seines toten Gefährten abzuschlagen und in die einzelnen Stränge aufzuknüpfen. Es gelingt. Mit letzter Anstrengung zieht er Hammer, Karabiner und Haken nach oben, die von den Helfern an einem Hilfsseil befestigt wurden. Sein Seil und das der Retter muss zusammengeknotet werden. Wird das die Nabelschnur zurück ins Leben? Ludwig Gramminger von der Bayerischen Bergwacht schildert den tragischen Überlebenskampf: 12.Zsp Ludwig Gramminger: Er hat sich a Seilschlinge gmacht, da is er neigstiegen, hat an Karabiner einghängt und des war natürlich des große Pech, des er ghabt hat: Da is er runterkommen bis zu dem Karabiner und der Knoten is natürlich unmöglich, dass der durch den Karabiner durchgeht. Er hat a paarmal hinghaut, weil er gmeint hat, der müsst doch durchgehen. Dann hat er’s eingsehn, is nach vorn gekippt und is gestorben. Sprecher 1: In den Schweizer Zeitungen entbrennt die Diskussion, ob es Helden oder Toren sind, die in der Eiger-Nordwand ihr Leben aufs Spiel setzen. Der Regierungsrat des Kantons Bern erlässt ein Verbot für die Begehung der Wand, die bald den Namen „Mordwand“ trägt. Sprecher 2: Gleichzeitig aber steigert sich die Faszination dieses „letzten ungelösten Problems“ der Alpen, wie es damals heißt, und damit beginnt auch die mediale Geschichte der Eigerwand. 2.Atmo Sprecher 2: Im Museum in Grindelwald ist diese Mediengeschichte dokumentiert. Das Motorrad, mit dem Heinrich Harrer nach Grindelwald gekommen war, steht da. Auf einer großen Plakatwand zeigt der Museumsleiter und Bergführer Marco Bomio auf Veranstaltungszettel, die unmittelbar nach der Tragödie um Toni Kurz und Anderl Hinterstoisser verbreitet wurden. 13.Zsp Marco Bomio: Das ist eben für mich einfach erstaunlich: Sonderveranstaltung, Filmdokumente Juli/August 1936, Schweizerische Kulturfilmproduktion, großer Titel „Eiger Nordwand“, das hat die Leute offenbar fasziniert, Eintritt 1 Franken 40. Und jetzt 75 Jahre, oder 77 Jahre später, machen wir das Gleiche, Eintritt 5 Franken. Es ist eben dieser Eiger, der nie aus den Schlagzeilen kommt. Und die Eiger-Nordwand ist breit und hoch, da hat noch viel Platz. Vermutlich wird das so weitergehen. Sprecher 2: Da liegt das Schweizer Heidiidyll in und um Grindelwald: Almen und Wiesen, dazwischen verstreute Häuser und Hütten – und darüber baut sich die düstere Schattenwelt auf; aus Fels, Wasser und Eis – unten das heitere Leben – oben der Tod 14.Zsp Stephan Siegrist: Ja, sicher, ein ganz spezielles Gefühl, du kommst aus Zivilisation rein in ein dunkles Abenteuer. Sprecher 1: Georg Bayerle und Stephan Siegrist sind am Stollenloch in die Wand eingestiegen. Die Öffnung stammt aus der Bauzeit der Jungfraubahn. Genau an dieser Stelle hat sich 1936 die Tragödie um Toni Kurz abgespielt. Von den Bahngleisen aus müssen sich beide durch ein enges, zugiges Fenster in die Nordwand hinauszwängen: 15.Zsp Reportage in der Eiger-Nordwand: Es war also ned ganz so brutal, wie ich befürchtet hab’, weil man beim Stollenloch doch bei einem Band rauskommt, über das wir hier grade laufen, ein Schuttband. Jetzt macht der Stephan den ersten Stand. Das sind ja noch alte Haken – Das ist richtig: man findet zum Teil noch Haken der Erstbegeher, am Hinterstoisser-Quergang; meistens ist viel Schrott drin, aber wenn man alle zusammen verbindet, wird schon was halten. Es ist schon gewaltig um uns rum und über uns durch diese konkave Wölbung ein einziger Felsenzirkus - autsch auf die Nase. Da kam was; was, ein Stein? Ja, Glück gehabt, dass er nicht auf die Brille ging. Stephan verschwindet jetzt gerade um eine Felsecke; sehr bizarre Formen, alles in der Verwitterung begriffen. Und überall mittendrin im Fels hängen die Schlingen; man sieht sehr gut, wo da überall gearbeitet wurde. Sprecher 1: Acht Todesopfer hat die Eiger-Nordwand bis 1938 gefordert. Doch das Besteigungsverbot der Schweizer Behörden wird wieder gelockert. Im Sommer 1938 reist Anderl Heckmair mit seinem Partner Wiggerl Vörg mit der Eisenbahn nach Grindelwald: 16.Zsp Anderl Heckmair: Damals war’s nicht üblich, sein Vorhaben der Presse bekanntzugeben und Vorschusslorbeeren und womöglich Geld zu kassieren. Sondern des hammer geheim ghalten, auch vor unseren Kameraden, weil mer uns ned für komplette Spinner anschauen haben lassen. Da hammer unsere Haken und alles Zeug in Koffer gepackt und sind normal angereist. Nur an der Grenze, wo mer unsere Koffer ham aufmachen müssen, ham die Grenzer gstutzt und san erschrocken: ‚Geht’s Ihr den Eiger‘, ham’s gfragt; hoffentlich sehen wir euch wieder, ham’s gsagt. Sprecher 1: Als die bayerische Seilschaft einsteigt, erlebt sie eine Überraschung: Da stehen zwei Rucksäcke mit der Aufschrift auf einem Zettel: 17.Zsp/Zit: „Gehört Kasparek und Harrer“ Sprecher 1: Die beiden Österreicher sind bei zweifelhaftem Wetter in die Wand eingestiegen, Heckmair und Vörg folgen am darauffolgenden Tag bei strahlendem Sonnenschein. Beide Seilschaften machen gemeinsame Sache. Anderl Heckmair übernimmt die Führung und klettert alle schwierigen Passagen voraus. Doch die Eiger-Nordwand zeigt bald ihre dunkle Seite: 18.Zsp Anderl Heckmair: Plötzlich war a so a Fauchen in der Luft. Da is eine Lawine von Eiskörnern runter gangen, also dass es uns ned wie Ameisen vom Tisch geblasen hat, des versteh ich heut noch ned. Sprecher 1: Ein Gewitter hat Lawinen ausgelöst. Bis in die Nacht hinein klettern die beiden Seilschaften um einen einigermaßen sicheren Biwakplatz zu finden. Wiggerl Vörg kocht Kaffee mit Schokolade vermischt. Hunger auf feste Nahrung haben die Kletterer nicht mehr 19.Zsp Anderl Heckmair: Ganz sicher waren wir nicht, ob mer ned doch an Riesenhunger kriegt. Da hammer noch extra an Schweinshaxen in Grindelwald richten lassen, hammer au mitgnommen, samt dem Knochen. Aber den hammer im Vorbau scho aufgeben, denn die Rucksäcke waren viel zu schwer. Dann sammer sogar so überheblich gwesen, dass i mer denkt hab, den hol‘ i mer, wenn mer gut durchkommen; hab mir a Stoamandl hinbaut, da liegt mei Schweinshaxn. Sammer dann au nimmer drzue kommen. Musik Martin Kälberer „Between the horizon“, Take 3 Taratibu, 1’02 Min., Komp. Martin Kälberer, Instr. Martin Kälberer, LC 11188, GLM 2010 Sprecher 1: Das Geschehen am Eiger im vergangenen Juli vor 75 Jahren hält die Weltöffentlichkeit in Atem. In den Münchner Neuesten Nachrichten ist zu lesen: 20.Zsp/Zit: „Es beginnt ganz leise zu regnen und dann stürzt, als seien die Wolken mitten durchgerissen, ein harter, schriller Regenguss über uns herein. Wie eine Sturzwelle muss er die Wand und die vier in ihr treffen. Und schon ein vielstimmiger, zerrissener Schreckensruf: die Wand! Ein einziger furchtbarer Wasserfall über die ganze Breite der Nordwand. In zehn, fünfzehn breiten, weiß schäumenden Bahnen fällt das Wasser aus den Felsen. Droben sind die Bergsteiger im Schneefeld der Sturzflut voll ausgesetzt. Werden sie sich festklammern können?“ Sprecher 1: Als die Wolken den Blick auf die Wand kurzzeitig freigeben, sehen die Zuschauer durchs Fernglas vier Gestalten auf einem Schneeband im oberen Teil der Wand. Bei widrigsten Wetterverhältnissen sind sie bis auf 3.700 Meter hinaufgekommen. Sie richten erneut ein Biwak ein. Sprecher 2: Wenn nicht Wolken den Blick versperren, dann liegt die ganze Wand wie eine offene, vertikale Bühne da. Sprecher 1: Nur, dass es bei den Bergsteiger-Dramen wirklich um Leben oder Tod geht. Das merkte schon ein Journalist der Zürcher Zeitung in den dreißiger Jahren an: 21.Zsp/Zit: „Nur wenige Kilometer Luftlinie trennen die Bergsteiger, deren Kampfgelände einsam und verlassen ist wie der Pol, von Plätzen und Orten, an denen sich Menschen vieler Länder tummeln, verwöhnt von allen Errungenschaften des Fremdenverkehrs. Ich entsinne mich heute noch mit einem gewissen Grauen dieses Gegensatzes, als am Tage nach dem Tod von Kurz Damen in Fünfuhrteekleidchen und Herren in spielerischer Alpentracht, frischweg vom Schneider aus London oder Paris, durch den Zauber des Fernrohrs in das Grauen der Wand geführt wurden, wo unablässig die Vorhänge der Staublawinen niederflatterten. Und wie sie sich dann wieder wandten, angenehm durchgruselt und nun stärker der Geborgenheit der warmen Hotelhalle bewusst.“ Sprecher 1: Reality-Theater mit Gänsehautfeeling und Nervenkitzel. Doch häufig fällt die Vorstellung aus – wenn Nebelfetzen und Wolken die Wand verhüllen – oder wenn die Ferngläser ausgehen: 22.Zsp Christian von Allmen: Wenn’s dann besonders dramatisch wurde in der Nordwand droben, dann kam es schon vor eben, dass weder in Grindelwald noch hier auf der Scheidegg irgendein Fernglas noch zu verkaufen war und die Zimmer waren sämtlich ausgebucht. Das war unglaublich, was das bewirkt hatte, diese Sensationslust der Touristen. Sprecher 2: Christian von Allmen gehört bereits in fünfter Generation der Hoteliersfamilie des historischen „Bellevue des Alpes“ auf der Kleinen Scheidegg an. Rund 4000 Touristen kommen heute an schönen Tagen mit der Bahn aus Grindelwald oder Lauerbrunnen: 23.Zsp Umfrage: Spectacular in a single word. Als Ostschweizer kennen wir natürlich den Berg sehr gut; Eiger, Mönch und Jungfrau. Und das sind charakteristische Berggipfel in der Schweiz nebst dem Matterhorn. Man hat Ehrfurcht, wenn man diese Wände sieht, oder. Wenn man denkt, man stehe unten und die Türme hören nicht mehr auf. Sprecher 2: Dort die unzugängliche Wildnis – hier Kaffeetische, Eiger-Pralinen, Jungfrau-Kuhschellen, Touristen-Kauderwelsch 24.Zsp Umfrage: C’est impressionant, oui, c’est impressionant. Si, mucha fama, mucha fama. Nos gusta el monte, si es muy famoso, la cala norte, sisi. Hemos leido la historia de las subidas. Sprecher 2: Wie für diese Spanier hat die Klettergeschichte für viele die Bedeutung des Orts noch gesteigert. Auf Schautafeln sieht man die wichtigsten Routen in der Wand. 25.Zsp Stephan Siegrist: Das was den Eiger auch so interessant und medienträchtig macht, es ist natürlich eine Wahnsinns-Arena. Da unten ist die Zuschauertribüne, da das Spektakel. Sie können hochschauen mit dem Fernrohr, können jeden Schritt nachvollziehen, was gemacht wurde, wird heute noch gemacht. Die Leute sind scharf drauf, was zu sehen in der Nordwand. Sprecher 1: Nirgendwo sonst spielt sich die alpine Herausforderung so unter den Augen der Öffentlichkeit ab wie hier. Greifbar für die Betrachter, aber mitten in den Wolken steckend und ausgesetzt in der Wand, richten die Bergsteiger im Juli 1938 ihr Biwak ein. Am nächsten Tag erwartet sie noch einmal schwere Kletterei in vereistem Fels, unterbrochen von Lawinen. Mit dem Eisbeil schlägt sich der vorausgehende Anderl Heckmair Kerben, die er als Griffe benutzt. Völlig durchnässt stehen die Nordwand-Pioniere am 24.Juli 1938 nachmittags um halb vier auf dem Gipfel des Eiger, 3.970 Meter hoch. 26.Zsp Anderl Heckmair: Des is eine maßlose innere Befriedigung, wenn man’s gschafft hat. Wenn wir nämlich bei besten Verhältnissen durchkommen wären, na wär’s sofort: ‚Ja, wenn des Wetter umghaut hätt‘, dann hätt‘ mer Euch nie mehr gsehen. So hatt des Wetter umghaut und wir sind trotzdem durchkommen. Sprecher 1: Anderl Heckmair und Wiggerl Vörg haben 61 Stunden in der Wand verbracht, Heinrich Harrer und Fritz Kasparek gar 85 Stunden. Ein Selbstmord-Kommando mit Happy-End? Heinrich Harrer widerspricht: 27.Zsp Heinrich Harrer: Ich würde nie etwas unternehmen, das mir mein Leben nimmt oder den Tod für mich bedeutet. Da haben wir nie daran gedacht, das war kein Selbstmordunternehmen. Das haben damals die Schweizer Zeitungen, die waren etwas böse über die vielen Unglücke und da waren ja auch viele Leute dabei, die nicht gut vorbereitet waren. Diese Wand hat ein Charisma, sie ist einfach die Wand der Wände geworden und sie bildet eine Riesenarena für die Zuschauer; und es sind schon über 50 junge Leute darin zu Tode gestürzt. Sprecher 1: Noch während des Abstiegs werden die Nordwand-Kletterer zu Helden gemacht. Da überlegen sie sich noch, ob sie sich wohl ein Zimmer leisten können oder wieder im Zelt übernachten. Schon an der Bahnstation Eigergletscher werden sie von einer jubelnden Menschenmenge empfangen. Und: die deutsch-österreichische Seilschaft wird politisch vereinnahmt. 28.Zsp Anderl Heckmair: Wir wurden hernach als Nationalhelden gepriesen, vor Hitler zitiert. Aber des is uns im Ausland verübelt worden, da konnten wir nichts dafür, wir waren alles andere als politisch eingestellt. Sprecher 1: Heinrich Harrer versteigt sich allerdings im Jahr des Triumphes zu der Aussage: 29.Zsp/Zit: „Wir haben die Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserm Führer“ Sprecher 1: Verlässlich und eigenwillig, verantwortungsbewusst bis zur Selbstaufopferung – so charakterisiert Reinhold Messner den Kletterer Heckmair in der „Wand der Wände“. Ihm ging es nicht um Politik, sondern um die Verwirklichung seiner eigenen Idee. Er hat die Route gefunden und gemeistert, die bis heute seinen Namen trägt: die Heckmair-Route. Sprecher 2: Trotzdem sah sich Anderl Heckmair, der 2005 im Alter von 98 Jahren in Oberstdorf verstarb, nicht als strahlender Held. Seine Witwe Gertrud erzählt. 30.Zusp. Gertrud Heckmair: Der Anderl hat ja die Eiger-Wand nicht als das größte Erlebnis seines Lebens betrachtet. Für ihn war‘s eigentlich eine Tour, schwer wie jede andere auch. Sprecher 2: Dabei hatte er seinen Konkurrenten eines voraus: Gelassenheit und eine Strategie, um die Wand kennenzulernen. 31.Zusp. Gertrud Heckmair: Er hat eigentlich die Wand deshalb gemacht, weil Jahre vorher immer wieder von den Unfällen in der Zeitung stand. Und dann hat er gedacht, des muss doch zu machen sein. Und dann ist er ein Jahr vorher runter, nicht mit dem Vorsatz, dass er die Wand machen will. Er hat oberhalb Alpiglen a Zelt aufgestellt und dann hat er da 14 Tage im Gras gelegen und mit dem Fernglas die Wand beobachtet, was die so macht bei Sonne und bei Schlechtwetter. Des war rein zum Erkunden, er ist also nicht mit dem Vorhaben eingstiegen, dass er da durch will. Sprecher 2: Diese Erkenntnisse des Kletterers, der damals gerade mal Anfang dreißig war, haben ihm und seinen Kameraden in der abweisenden Wand das Leben gerettet. 32.Zusp. Gertrud Heckmair: „Da hat er gesehen, dass die Schnee- und Eislawinen in Abständen von einer ¾ Stunde kamen. Na hat er gedacht, da darf man nur so weit klettern und muss dann wieder einen Stand haben, wenn die ¾ Stunde um war. Das war auch ein Schlüssel zum Erfolg, des hat er dann durchgehalten. Sprecher 1: Reinhold Messner, der als Extrembergsteiger Geschichte geschrieben hat und sich heute in seinen Museen der Alpinhistorie widmet, zollt Anderl Heckmair großen Respekt. 33.Zusp. Reinhold Messner: Er war der Einzige der’s konnte. Dann zieht er diese Tour bei fürchterlichem Wetter durch die Ausstiegsrisse durch – das ist eine der großen Pioniertaten des Alpinismus, die für immer bestehen bleibt. Auch wenn die Jungen heute in zweieinhalb Stunden solo durchsteigen. Sprecher 1: Die „jungen Wilden“ von heute, die die Eiger-Nordwand in zweieinhalb bis drei Stunden hinaufjagen, sprechen voller Anerkennung von den mentalen Fähigkeiten und der enormen Leidensfähigkeit Anderl Heckmairs. Er stieg ins Ungewisse hinein, ins unbekannte Steilgelände. Und das mit einer Ausrüstung, die mit der heutigen nicht zu vergleichen ist. Das Material: Baumwolle bzw. Loden, das bei Nässe und Kälte gefror. Kletterhelme waren unbekannt im Jahr 1938. 34.Zusp. Reinhold Messner: Das Häuberl, das ist einfach eine Mütze, da haben sie noch Zeitungspapier drunter reingesteckt, einerseits um sich warmzuhalten, andererseits um ein bisschen gegen Steinschlag geschützt zu sein; das war eigentlich eine lächerliche Hilfe. Sprecher 1: Klettern in der Eigerwand – ein Naturereignis – und überall trifft man auf die Spuren ihrer Begehung 35.Zsp Reportage in der Eiger-Nordwand: Wo geht’s gradaus jetzt – jetzt geht’s geradeaus, schwieriger Riss.Die erste Seillänge ist so, dass es recht plattig is, dann steilt sich das Ganze auf durch einen oftmals nassen Riss hoch, der heutzutage gut zu meistern ist, aber früher bestimmt noch ein ziemliches Problem dargestellt hat. Als wir die Erstbegehungsgeschichte gemacht haben, mit dem alten Geraffel da hochgestiegen sind in der Ausrüstung der Erstbegeher, da konnten wir nachvollziehen, wie das Gefühl gewesen ist, mit diesen Nagelschuhen. Es waren sicher unheimlich mutige Leute, die da eingestiegen sind; ich habe immer noch Riesen-Respekt, was die geleistet haben, von dem her war’s ein gewaltiges Abenteuer. Sprecher 1: Leute wie Stephan Siegrist haben die Besteigungsdaten der Erstbegeher förmlich pulverisiert. Extremrouten vor allem im rechten, stellenweise überhängenden Wandteil, haben sie im IX.Schwierigkeitsgrad frei geklettert. Sein junger Kollege Dani Arnold ist im April 2011 mit Speedrekord durch die Heckmair-Route gehetzt. 2 Stunden, 28 Minuten. 36.Zsp Dani Arnold: Bin viele Male, etliche Nächte und Abende das Ganze durchgegangen, wie es sich anfühlen wird und wie es sein wird. Wo ich es gemacht habe, ist das Ganze wie ein Film abgelaufen. Ich beschäftige mich sehr stark mit der Tiefe, der Ausgesetztheit. Die einen schauen nie runter, aber des geht dort oben nicht so gut; also muss ich lernen, mit dem Ganzen umzugehen und das kannst Du mental gut vorbereiten. Sprecher 1: Der 29-jährige gehört zur jüngsten Generation, für die der Eiger nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. 37.Zsp Dani Arnold: Wenn Du zu klettern beginnst, bei mir zuhause, Du blätterst durch ein Heft und siehst diese Wand. Da denkst Du, da musst Du einfach hin. Sprecher 1: Heute versuchen 100 bis 200 Kletterer im Jahr den Aufstieg, manche geführt von Leuten wie Dani Arnold oder Stephan Siegrist. Sprecher 2: Die meisten, rund eine halbe Million, drücken sich Jahr für Jahr die Nasen platt am Eigerfenster: dann wenn die Jungfraubahn in der Station Eigerwand den dramatischen Tiefblick ankündigt: 38.Zsp Lautsprecherdurchsage: If the weather is fine, there will be aspectacular view of Kleine Scheidegg, the Grindelwald Valley and the Alps + japan. ... Sprecher 2: Und der Berg verändert sich. Auch am Eiger zeigt sich der Klimawandel dramatisch. Wenn im Sommer die Eisfelder im Fels fast gänzlich schmelzen, donnert am laufenden Band der Steinschlag ins Tal. Die Besteigungen auf der klassischen Route werden jetzt zwischen März und Mai versucht. So bleibt die Wand ein Anziehungspunkt, wo bis heute neue Herausforderungen und Leistungen definiert worden sind. Und steht da als Naturschauspiel für die Tausenden, die allein von ihrer Erscheinung in Erstaunen versetzt werden: 39.Zsp Umfrage: Que es increible, impressionante. Fantastic, wonderful, marvellous. Musik Martin Kälberer “Between the horizon”, Take 7 Favola, 2’45 Min., Komp. Martin Kälberer, Instr. Martin Kälberer, LC 11188, GLm 2010 1