COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Infotext Atmo 1 (Kür von Gina) (Birgit) "Ah, super. Doppelrittberger. Ich weiß jetzt nicht, ob er ganz rum war, aber jeden Fall ist sie nicht auf'm Arsch gelandet. Das ist schon mal viel wert. Jetzt kommt noch ein Doppelsprung, dann hat sie es eigentlich geschafft. Doppeltoeloop kommt noch. Super, super ..." Take 1 (Birgit) Meine Tasche ist hier, mein Ausweis, mein Führerschein, mein Geld. Schminkzeug haben wir. Schlittschuhe holen wir beim TSC. ... Sprecher Birgit Stiebitz fährt aus der Parklücke. Heute geht es nach dem Training gleich weiter zum Wettkampf nach Erfurt. (Birgit) Guckst du mal, Gina! - Kommt nichts. Gina sitzt auf der Rückbank. Morgen ist Freitag, aber sie muss nicht zur Schule. Take 2 Sie wird immer ganz wohlwollend vom Schuldirektor befreit, weil der nämlich selbst Sportler ist. Atmo 2 (Autogeräusch auf Pflaster) Gina ist zehn und gehört zu den wenigen Mädchen, die einen doppelten Rittberger springen können und bald vielleicht sogar eine dreifachen. Take 3 (Gina) Dreifach kann hier noch niemand. Außer Conny. - (Birgit) Wir haben aber eine dabei, die ist Meisterklasseläuferin. - (Gina) Constanze Paulinus. - (Birgit) Die war auch schon bei, wie heißen diese Cups?, die Eisläufer machen doch auch so Cups, die dann als Weltcup oder so gelten .... Atmo 3 (Ankunft an Eishalle) Der Sportplatz des TSC Berlin, eingerahmt von Plattenbauten. Daneben die Eishalle. Der Trakt mit den Umkleidekabinen ist gerade saniert worden. Take 4 (Birgit) Jetzt üben sie fürs Weihnachtsmärchen. Jedes Jahr die gleichen Kamellen... (Musik "Es schneit ...") Birgit öffnet die Tür zur Eishalle. Kalte Luft strömt ihr entgegen. Atmo 4-5 (Musik "Es schneit ...") Kinder fahren hinter ihren Trainern her. Wie bei Entenfamilien auf einem Teich sieht es aus. Draußen wechseln die Jahreszeiten, hier drinnen nur das Musikprogramm. Gina trainiert täglich, sommers wie winters. Am Anfang der Woche bringt ihr Vater sie zum Training. Take 5 (Birgit) Ich komme Donnerstag, Freitag, Samstag. Und ich muss sagen: Donnerstag freue ich mich dann schon, dass ich mal gucken darf. An die Bande gelehnt schaut noch eine andere Mutter durch die trübe Plexiglasscheibe hindurch. Take 6 (Mutter) Unser neues Zuhause, die Eishalle .... Sie beobachtet ihre Tochter. Take 7 Die Kleine mit dem blauen Kleidchen und den Zöpfen. Auch die große Tochter war beim Eiskunstlaufen. Aber sie konnte nicht mithalten, obwohl sie es sich so sehr gewünscht hatte. Take 8 (Birgit) Und die Kleine, die wollte das gar nicht. Und was macht sie? Wird TSC - Meisterin. - (Mutter) Sie ist richtig gut. - (Birgit) Das ist wahrscheinlich das Geheimnis: das gar nicht so ernst zu nehmen. Vor vier Jahren hat Gina beim Weihnachtsmärchen mitgemacht mit breitem Hut auf dem Kopf als Pilz. Viele der Pilze haben wahrscheinlich wieder aufgehört mit dem Eiskunstlaufen, weil sie keine Lust mehr hatten oder weil ihre Eltern es nicht geschafft haben, sie regelmäßig zum Training zu bringen. Gina hat das Schlittschuhlaufen spät entdeckt, erzählt ihre Mutter. Take 9 (Birgit) Da war die schon sechs. Da waren wir Schlittschuhlaufen auf dem Karpfenteich, als der zugefroren war. Und da lief sie Eis und war schon zwei Stunden auf dem Eis und wollte immer noch nicht runter. Dann ist sie über Baumstämme gesprungen, die so auf dem Eis lagen. Und dann hat sie ein Mädchen getroffen aus ihrem Kinderladen, die war ein Jahr älter. Plötzlich fingen die an, irgendwelche Küren einzustudieren. Na, und dann habe ich mir gedacht, gucken wir eben mal, gehen wir mal zum Probetraining. Na, und dann war da die Frau Dankert und meinte: "Ja, die kann ja schon alles." So ein Talent hat sie noch nie gehabt. Na ja, was soll die auch sagen, wenn sie schon mal ein sportliches Kind hat. Und dann haben wir das halt angefangen. Birgt ist in der DDR aufgewachsen. Als Kind war sie damals fürs Turnen ausgesucht worden, aber das hatte sich früh erledigt. Von zu Hause hat sie wenig Unterstützung bekommen. Das will sie jetzt bei ihren Kindern anders machen. Dass es bei Gina nun ausgerechnet Eiskunstlaufen ist, ... Schicksal. Atmo 6-7 (Eishalle - Musik und Kinder im Hintergrund) Take 10 Mir war von Vorneherein klar, dass es im Leistungssport endet und dass ein Zwischenweg definitiv nicht möglich ist. Wenn du ein ehrgeiziges Kind hast, das will einfach weiterkommen, und dann kannst du nicht plötzlich sagen: "So, du darfst jetzt nur noch dreimal die Woche hergehen." Dann fällt sie natürlich automatisch zurück. Nur wer täglich übt, wird die akrobatischen Sprünge später sicher beherrschen. Ohne Disziplin und Ausdauer geht es nicht. Birgit hat sich Sorgen gemacht, ob sie ihre Tochter nicht überfordert. Take 11 Also, schon in der ersten Klasse, jeden Tag zwei Stunden, das haben wir ja auch so nicht mitgemacht. Da haben wir ja erstmal auch nur drei bis vier Tage die Woche trainiert. Und jetzt gibt es auch einen Tag, den Montag, da machen die drei Stunden hintereinander: Eis, Ballett und Athletik. Das finde ich auch zuviel. Atmo 8-9 Eishalle Berlin - Musik und Kommandos von Trainern Take 12 Aber mit den ersten Medaillen kam dann so richtig die Freude auf mehr. Und jetzt können wir sie zwingen. Jetzt können wir sagen: "Wenn du das und das nicht ordentlich machst, dann bringen wir dich nicht zum Training." Und dann klappt das alles. Die Viertklässler betreut Stephanie Härtel, dick eingepackt in einen schwarzen Anorak. Sie drehen zwischen den Anfängern ihre Pirouetten. Hin und wieder zieht sich die Trainerin die Handschuhe aus, schiebt eine CD in den Player und drückt auf die Starttaste. Atmo 10 (Musik) "Die Maxi läuft jetzt ihre Kür. Die in dem roten Kleid." ... Maxi läuft rückwärts zum Salchow an. "Achtung!" Ein kleiner Junge läuft hastig zu Seite. "Gut!" Maxi dreht sich Schwindel erregend schnell um die eigene Achse. Der blonde Pferdeschwanz wirbelt durch die Luft. Take 13 (Frau Härtel) Sehr schön. Schade mit den zwei Salchows. Rittberger? So ist er viel besser... Mach zwei große Runden! Dann kommst du wieder her! Die nächste Läuferin steht bereit. Take 14 Ich möchte gerne eine Spiralfolge sehen, Waage und einen Axel. ... Darf ich auch Doppel-Flip machen? ... Kannst du machen. ... Rittberger, Salchow, Toeloop .... Birgit, die Mutter, kann die Sprünge mittlerweile unterscheiden. Der Axel ist leicht zu erkennen, weil er als einziger vorwärts gesprungen wird. Take 15 (Birgit) Beim Axel scheiden sich die Geister. Erstmal, beim Einfachaxel gibt es Kinder, die das nicht lernen in der ersten, zweiten Klasse. Weil da lernt man das. Und dann der Doppelaxel, der kommt so fünfte, sechste Klasse, und da scheiden sich dann noch mal die Geister. Gina breitet die Arme aus. Auch Birgit konzentriert sich. Atmo 11 (Musik) "So jetzt läuft sie. Mal gucken. Na ja, wahrscheinlich schon ein bisschen müde. Axel, Doppeltoeloop. Super. Jetzt kommt der Doppelrittberger. Mal sehen. Ja, super. Jetzt waren die Pirouetten auch nicht so sauber (lacht) ... ich bin auch kritisch mit ihr. Ich bin auch wirklich böse. Nein, ich bin überhaupt nicht böse. (klatscht) Frau Härtel drückt Gina fest an sich. Take 16 (Frau Härtel) Ich habe selber Leistungsport betrieben, und da ist das Herz halt hängen geblieben am Eislauf. Und dann bin ich Trainerin geworden. ... Ihr könnt Schluss machen. So. Kürkleid mit? Schlittschuhe mit? Ersatzmusik mit? Gut, kannst losmachen. Sehen wir uns morgen dann da... Für Gina und Maxi ist Frau Härtel so etwas wie eine große Freundin. Birgit mag sie, auch wenn das nicht immer so rüberkommt. Take 17 (Birgit) Geht es Ihnen gut? ... (Frau Härtel) Ich komme nicht auf die Beine. ... (Birgit) Na ja, Sie werden das schon schaffen. Wann fahren Sie los? Früh um sieben? ... (Frau Härtel) Um sechs.... (Birgit) Ah ja, na dann. Das schaffen sie dicke. Atmo 12 (Birgit) "Die Hose ziehst du erstmal an ..." Gina nestelt an den Schnürsenkeln ihrer Schlittschuhe herum. Birgit kramt in ihrem Koffer: Springseil, Socken, Plastikdrehscheibe mit aufgemalten Fußstapfen zum Pirouettenüben. Atmo 13 (Kofferrollern) Maxis Mama, die sie sonst zu Wettkämpfen begleitet, hat diesmal keine Zeit. Deswegen fährt sie bei Birgt und Gina mit. Take 18 (Birgit) Eine große Flasche Wasser nehmen wir noch vorne mit rein. Dein Kürkleid, wo ist denn das jetzt, Maxi? - Im Koffer....(Gina und Maxi singen) Es schneit, es schneit .... Birgit hat zwar schon lange den Führerschein, überlässt das Autofahren aber gerne anderen. Erst durchs Eiskunstlaufen hat sie sich wieder ans Steuer gewagt. Atmo 14 (Einsteigen) .... "Licht an. Jetzt starten wir mal... Das beschlägt schon so blöd..." Gina und Maxi haben es sich auf der Rückbank bequem gemacht. Es dauert nicht lange, dann meldet sich der Hunger. Take 19 ... (Birgit) Nimm dir erstmal eine Stulle, wenn du wirklich Hunger hast! ... Und dann ist da noch eine Büchse mit Grünzeug, mit Gurke, Tomate. Ich habe auch noch andere Sachen mit. Ich habe Bananen mit, Äpfel, Mandarinen, ein paar Süßigkeiten. Aber die müsst ihr jetzt nicht unbedingt essen, oder? Birgit schaut ungeduldig in den Seitenspiegel. Der Feierabendverkehr kostet Nerven. Endlich ist die Autobahn erreicht. Sie lehnt sich entspannt zurück. Atmo 15 Gameboy und Autogeräusche Gina und Maxi beugen sich über ihre Gameboys. Die "Bravo" ist aufgeschlagen und das Eiskunstlaufmagazin "Pirouette". Take 20 (Birgit) Ich habe gedacht: Abonniere ich die einfach mal für ein Jahr. Ich hatte letztes Jahr mir die mal ausgeliehen, als es darum ging, das Kostüm zu entwerfen. Da hatte ich mir mal von einer Mutter so einen ganzen Stapel ausgeliehen, um einfach mal auch die Kostüme anzugucken, mal ein bisschen Anregungen zu kriegen. Atmo 16 Auto auf Autobahn Mittlerweile liest Birgit die "Pirouette" von vorne bis hinten durch: die Biographien der Läuferinnen, die Wettkampfergebnisse und die Hinweise auf Ferienkompaktkurse im bayerischen Oberstorf oder in Finnland. Take 21 (Birgit) Das kostet auch richtig Knatter. Das ist nur was für Leute mit Kohle. Und es gibt auch sicher Kinder, für die bringt das was, oder, sag ich mal, Heranwachsende. "Arbeitsamt, Jobs ... das Übliche," erzählt Birgt. "Ich schlag mich so durch. Das geht auch anderen Eltern so." Beim TSC zahlt sie neunzig Euro im Monat. "Da sind schon fünfundzwanzig Euro Ermäßigung dabei". Es gibt auch ein Elternpaar beim TSC, das mehr investiert. Take 22 (Birgit) Dieses Kind hat in der zweiten Klasse das ganz normale Training gemacht, die zwei Stunden, die alle Kinder machen, und hatte davor jeden Tag extra noch eine Einzelstunde bei der Cheftrainerin. Die kostet zwanzig, fünfundzwanzig Euro bei der Frau. Erfurt. Es ist dunkel. Der Scheibenwischer schiebt Schneeflocken zur Seite. Atmo 17 (Birgit) "Ich sehe auch keine Hausnummer hier" (Fahrgeräusch) Maxis Handy klingelt. Take 23 (Maxi) Wir sind jetzt gerade angekommen. ... Und wollen jetzt gleich ins Hotel gehen. Diesmal hat Birgit eine Jugendherberge gebucht. Atmo 18 (Portier) "Einundneunzig Euro." - (Birgit) "Die Kinder kosten ... ?" (Drucker rattert) Das Zimmer ist komfortabel eingerichtet. Atmo 19 (Treppenhaus) .... (Gina) "Oh, wir haben sogar einen Fernseher." (Birgit) "Erstmal eine bisschen lüften. Oh, wir haben sogar einen Balkon." (Gina) "Jetzt wie kleine Gini erstmal auf die Toiletti gehen." ... Während Gina auf dem Bett herumhopst, lässt Maxi sich von Birgit die Haare kämen. Damit sie morgen gut sitzen, muss über Nacht ein Festiger eingebürstet werden. Take 23 (Birgit) Hier ist auch noch irgendein Spray. So, wie macht man das? Auf die Bürste? ... (Maxi) Auf die Hand, so eintauchen. .... (Birgit) Na los, dann mach du das erstmal! Und dann werden sie geflochten danach? .... (Gina) Nein. Soll ich dir zeigen, wie es geht? ... (Maxi) Au, das kitzelt. .. Ah, das wird ja schon hart. .... Fertig. Birgit schaut auf die Uhr. Schon halb elf. "Jetzt wird es aber höchste Zeit." Take 24 (Birgit) So, ein bisschen Lichteinfall lassen wir noch. Schlaft schön. Ich komme nachher auch. Sie löscht das Licht und schließt die Tür genau wie eine Frau auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs. Take 25 (Eva) Ach, du bist ja auch hier! - (Birgit) Wir sind alle hier. Zeig mal dein Zimmer! Denise schläft schon? Ist dein Mann auch mit? - (Eva) Nein. Die Suche nach einem Gemeinschaftsraum verläuft ergebnislos. Schließlich stehen Birgit und Eva mit zwei Flaschen Piccolo im Badezimmer. Take 26 (Eva) Bei diesem Elitesport kannst du nicht arbeitslos sein. Das geht wirklich nicht. Eva zündet sich eine Zigarette an. Na ja, als Beispiel jetzt, was hast du für deine Schuhe bezahlt? Noch Kleingeld, oder? - (Birgit) Die Schienen hatte ich, und die Schuhe waren hundertsechzig. Aber die Schiene, weiß ich ja auch nicht, welche wir dann nächstes Jahr nehmen sollen. Ob wir dann auch die teure Schiene nehmen müssen für vierhundert, oder ob die noch reicht. - (Eva) Wie? Ob die noch reicht? Eva Spinka stammt aus Polen. Vom Eiskunstlaufen hat sie schon als Kind geträumt Aber in ihrer Heimatstadt gab es damals keine Eishalle. "Stattdessen habe ich Handball gespielt", sagt sie, "wie eine Blöde." Take 27 (Handy klingelt) (Eva) Ja, Genosse Spinka. -(Birgit) Die nerven alle, die Typen. - (Eva) Hallo.... Denise schläft jetzt .... Ich trinke Schnaps, stehe im Klo ... Glaubst du nicht? Es ist aber ausnahmsweise die Wahrheit. Evas Mann war ein bekannter Schwimmer. Tochter Denise hat das Bewegungstalent also von ihren Eltern geerbt. Die Frage ist, ob die Sprungkraft reicht. Take 28 (Eva) Ich meine sie hat nun die Rotation ziemlich, dass sie sich ganz schnell drehen kann, ja. Das ist ja auch wichtig, aber das reicht definitiv nicht für einen dreifachen Sprung. Das muss sie noch ein Stückchen höher. Und bei Denise ist das Problem dieses technische Umsetzen. Eva ist ein bisschen länger im Geschäft als Birgit. Deren Tochter Gina hat bisher noch keine Rückschläge erlebt. Take 29 (Birgit) Ja, jetzt kann sie ja den Flip. Und da springt sie ja auch hoch. Die hatte nur in der dritten Klasse auch Angst vor dem Auf-den-Arsch-fliegen. Die hatte so eine Angst bei dem Rittberger, da ist sie dann einfach ...-(Eva) Pass mal auf, ich bin immer der Meinung: nicht übertrainieren! Birgit nickt zustimmend. "Es ist schon ein Teufelskreis, in dem Eislaufeltern stecken." Take 30 (Eva) Letztendlich hörst du: Zwölfjährige springen schon Doppelaxel. Das heißt, die anderen müssen das auch machen, weil die sonst überhaupt keine Chance haben. Ich bin der Meinung, dass es zu früh ist. Die wachsen noch. "Im Grunde verrückt", meint Eva. Manchmal würde sie sich wünschen, dass ihre Tochter in der Schule schon so weit wäre, um alles vom Kopf her begreifen zu können. Take 31 (Eva) Weil letztlich jetzt ... Schlittschuhlaufen. Ich habe eine Klassesendung gesehen, weiß ich nicht, vor zwei Jahren. Das war ein Japaner, ein Physiker, der noch nie auf Schlittschuhen gestanden hat. Der hat gesagt: "Ich habe überhaupt keine Ahnung davon, aber ich verstehe den Ablauf von diesen Bewegungen, was Rotation bedeutet, Schwerpunkt und so weiter, wie ich da meinen Körper halten soll." Der hat die Schlittschuhe angezogen, und dann hat er das nachgemacht. Na, nicht so super wie unsere, ist doch wohl logisch. Das hat alles mit Physik zu tun, ja.... Atmo 20 Einparken vor der Halle Der Wettkampf in der Altersklasse 10 beginnt um dreizehn Uhr. "Lieber anderthalb Stunden vorher da sein", meint Birgit. Atmo 21 Kofferrollern Vor der Eishalle stehen Busse mit Kennzeichen aus Dresden und Chemnitz. An den Haken in der engen Umkleidekabinekabine hängen Winterjacken übereinander. Birgt räumt einen Platz für Maxis und Ginas Koffer frei. Atmo 22 Kabine (Birgit) "so ... wollen wir erstmal in die Halle gehen?" Die Kinder laufen sich ein. Von der Tribüne aus schauen die Mütter zu. Auch ein paar Jungs sind am Start. Schwarze Hose, Weste, die Haare adrett gescheitelt. Aber in den Altersklassen unter dreizehn haben sie gegen die Mädchen nichts zu melden. Gina hat Annika entdeckt. Sie ist auch vom TSC Berlin, aber zwei Jahre jünger. Atmo 23 (Maxi) "Ey, du siehst toll braun aus." - (Annika) "Das ist Puder ....." Annika ist geschminkt und trägt ein kurzes rotes Kleidchen. Gina schnappt sich ein Plüschtier, das sie Annika nach der Kür von der Tribüne aus aufs Eis werfen will. Atmo 24 Musik Ganz allein auf der Eisfläche sieht Annika noch kleiner aus. Sie bemüht sich, im Rhythmus zu bleiben. Es wäre schon blöd, wenn die Musik zu Ende ist, aber sie noch nicht. Take 32 (Frau Elsner) Für den ersten Wettkampf außerhalb war es toll. Sehr schön. Und was dann für eine Platzierung am Ende herauskommt, werden wir sehen. So jetzt muss ich mich um Nathalie kümmern. Annika, zieh dich bitte warm an, wenn du hier zugucken willst! Weil es ist hier echt sehr kalt. Gabriele Elsner ist Trainerin beim TSC Berlin und fährt Jahr für Jahr mit ihren Schützlingen nach Erfurt zum Thuringia - Pokal. Gabriele Elsner war selbst aktiv und hat wie Katharina Witt später sogar bei der Profi-Revue Holiday on Ice mitgewirkt. Eiskunstlaufen war eines der sportlichen Aushängeschilder der DDR. Take 33 Wir haben damals alles gestellt bekommen. Das war alles nicht so ein teurer Spaß wie heute. Dafür wurde aber auch strikt damals aussortiert. Wer die Leistung nicht gebracht hatte, der musste sich vom Eislaufen verabschieden. Das ist heute alles ein bisschen anders. Atmo 25 Frisieren Birgit stellt Ginas Schminkköfferchen auf eine Holzbank im Durchgang zur Eisschneelaufhalle. "Jetzt werden die beiden schick gemacht", sagt sie. Sanft bürstet sie die langen rotblonden Haare ihrer Tochter. Atmo 26 Haarspray Take 34 (Birgit) Das ist ein richtig ätzendes Klebspray ... das verbrauche ich jetzt hier einfach ... und das andere ist für Glanz. - (Gina) Das riecht richtig nach Himbeere Gina setzt sich rittlings auf die Bank und schaut prüfend in einen Handspiegel. Sie schminkt sich das Gesicht. Das macht Spaß. Eigentlich darf man das sonst nur zu Fasching oder Halloween. Take 35 (Birgit) Zuerst fängt man an mit den Augen, Lidschatten, und dann kann man ein bisschen pudern und zum Schluss die Lippen. ... So, wird das jetzt überhaupt gekämmt? - (Maxi) Ja, ein bisschen. Birgit zwängt Maxis gekräuselte Mähne in ein Haargummi. Der Pferdeschwanz steht frech nach oben. Sie schließt die Augen. Gina tupft blauen Puder auf ihre Augenlider. Ein bisschen viel vielleicht. Take 36 (Gina) Guck mich mal an! Augen zu! - (Maxi) Darf ich mal gucken? - (Gina) Nein, noch nicht. Ich bin noch nicht fertig. Maxi und Gina sehen jetzt ernst aus, gar nicht mehr wie Kinder. Selbstbewusst gehen sie noch einmal die anstehende Kür durch. Take 37 (Maxi) Ich mache zwei Axel, einen Doppelrittberger und zwei Doppelsalchows. - (Gina) Ich mache einen Spreizsprung - Doppelsalchow, einen Axel - Doppeltoeloop, einen Doppelrittberger, einen Toeloop - Doppeltoeloop. Und das war es eigentlich mit den Doppelsprüngen. An der Bande neben der quietschenden Tür zur Eisbahn geben die Trainerinnen ihren Schützlingen die letzten Tipps. Atmo 28 (Trainerin) "..so jetzt Bogen .... nicht bremsen! ...." Atmo 27 (Durchsage) "Nächste Starterin Maxime Barth, Berlin" Atmo 29 Musik Maxi schwebt übers Eis, bewegt grazil die Hände. Bei ihr sieht es elegant aus. Und dann ... sie setzt zum Sprung an, ist ein paar Sekunden unkonzentriert ... und stürzt. Die Musik läuft weiter. Jetzt nur nicht aus dem Rhythmus kommen. Noch ein Doppelsprung ... den steht sie mit Bravour. Völlig außer Atem lässt sie sich in Frau Härtels Arme fallen. Atmo 30 (Frau Härtel) "Schade mit dem ersten Salchow. Aber sonst super. Tolle Pirouetten...." Offenbar hat Maxi auch eine Sprungkombination durcheinander gebracht. Das gibt einen weiteren Punktabzug. Take 38 (Birgit) Ach Mensch Maxi, ey. Guck mal, die beiden sind zweimal hingefallen. Gerade jetzt die Chantal, die war ja richtig auf'm Arsch. Na ja, so ist das manchmal. Auch das neue Wertungssystem ist nicht immer gerecht. Atmo 31 Durchsage "Die Wertung für ...." Yvonne hält das Mikrofon in der Hand und liest die Wertungen vom Monitor ab. Ihre Freundin Jessica legt die CD mit der nächsten Kürmusik ein. Die beiden sind siebzehn. Vor sieben Jahren sind sie hier auch gestartet, genau wie die Mädchen jetzt. Take 39 (Jessica) Manchmal standen wir schon auf dem Treppchen, aber wir waren jetzt nicht so die Stars. Ich mache mein Abitur, dann laufe ich noch, und ansonsten mache ich es so freizeitmäßig und als Übungsleiterin für den Kindergarten. Aus gesundheitlichen Gründen dürfen Leistungssportler nicht von einem Tag auf den anderen ganz aufhören zu trainieren. Take 40 (Yvonne) Es war eine Entscheidung, die ich mit meinen Eltern und meiner Trainerin getroffen habe. Ich habe dann angefangen abzutrainieren. Jetzt komme ich nur noch einmal die Woche zum Training. Atmo 32-33 Gespräche im Flur Im Durchgang zur Halle studiert Marion Petzold die Ergebnislisten. Sie ist Preisrichterin. Aber heute nicht, denn ihr Sohn hätte starten sollen. Er hat sich aber den Magen verdorben und liegt in der Jugendherberge im Bett. Take 41 Sauer bin ich nicht, aber es ist eben ärgerlich. Du bezahlst zweihundert Euro, fährst hierher. Na ja, fünfzig Euro Benzin, siebzig Euro Unterbringung sind schon hundertzwanzig. Dann gehen wir heute essen, dann hast du noch ein paar Nebenkosten, und schon bist du bei zweihundert Euro für nichts. In zwei Wochen ist der nächste Wettkampf. Mal sehen. Der wird noch teurer. Marion Petzold hat das Eiskunstlaufen zu DDR-Zeiten gelernt. "Das waren ganz andere Bedingungen. Das kann man nicht mit heute vergleichen." Take 42 Zu Zeiten der DDR haben die Kinder erstmal alles gestellt bekommen vom Schlittschuh angefangen über Trainingsbekleidung. Und da hat man auch mehr trainiert und weniger Schule gemacht. Und das ist jetzt anders, definitiv. Vor lauter Aufregung raucht Birgit ganz gegen ihre Gewohnheit vor der Halle eine Zigarette. Gleich ist Gina an der Reihe. Take 43 (Birgit) Ich bin letztes Jahr raus gegangen, weil ich das nicht ausgehalten habe. Aber ich habe mir vorgenommen: "In dieser Saison kann ich mich so benehmen." Wenn die das aushält, die Nerven hat, dann muss ich das wenigstens ansatzweise. Sie drückt die Zigarette aus und holt noch einmal tief Luft. Im hellblauen Hosenanzug steht Gina auf dem Eis. Die silbernen Sterne hat Birgit aufgestickt. Atmo 1 (Birgit) "Ah, super. Doppelrittberger. Ich weiß jetzt nicht, ob er ganz rum war, aber jeden Fall ist sie nicht auf'm Arsch gelandet. Das ist schon mal viel wert. Jetzt kommt noch ein Doppelsprung, dann hat sie es eigentlich geschafft. Doppeltoeloop kommt noch. Super, super - (Mütter) Das Beste war sie bis jetzt gemacht hat. - Ganz toll. - (Beifall) Birgit drängelt sich vor den Monitor, auf dem die Zuschauer die Wertungen ablesen können. Take 44 (Birgit) Rang eins. Knapp, aber Rang eins .... mein Schatz.....bis jetzt. Es kommen ja noch ein paar Jungs. Null Komma zwei fünf Punkte trennen Gina von ihrer ärgsten Konkurrentin. Lotte Tauber vom Berliner SC hatte dieses Jahr schon einige Male die Nase vorn. Deren Mutter ist eine faire Verliererin. Take 45 (Lottes Mutter) Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt auch immer auf die Preisrichter an. Ich finde, heute ist es sehr gerecht. Antje Tauber wirkt scheu. Ihre Tochter besucht die Sportschule in Berlin-Hohenschönhausen. "Da sind nicht nur die Kinder Konkurrenten", sagt sie, "sondern auch die Eltern." Take 46 Sicherlich wünscht keiner absichtlich dem anderen was Böses, aber jeder kämpft für sich alleine, und das kriegt man täglich zu spüren. Immer noch geschminkt und im Kostüm spielen Gina und Maxi im Innenhof vor der Halle Fangen. Ein kleines Podest ist aufgebaut für die Siegerehrung. Atmo 34 Siegerehrung Take 47 "... so, wir kommen zu Anfänger Kategorie drei. Auf Platz eins. Gina Alice Stiebitz aus Berlin, Platz zwei ..." Gina bekommt einen Pokal und Maxi, die so viel Pech hatte, eine Urkunde. Atmo 35 (Birgit) "Und wir haben den Sauerbraten ..." Birgit fährt erst morgen zurück nach Berlin. Das gemeinsame Essen mit den anderen Eltern des TSC Berlin ist fester Programmpunkt bei Wettkämpfen. Karin Höhn, eine der Mütter, hat eine Tafel für zwanzig Personen bestellt. Take 48 (Karin Höhne) Das hat sich mal irgendwie so ergeben, durch irgendeine Freundschaft hier, dass die gesagt haben: "Wollen wir nicht essen gehen?" Und dann waren wir einmal zwanzig Leute. Das ist einfach ein schönerer Abschluss. Dann kann man auch mal privat mit den Trainerinnen quatschen nicht nur so zwischen Tür und Angel. Atmo 36 (Kellner) "Ja, Sie kriegen schon noch...." Die Mädchen sitzen an einem Tisch zusammen. Karins Tochter Juliette ist zehn und Pascal ist sechzehn. Aber sie ist nicht mehr dabei. Take 49 Die hat bis letztes Jahr voll trainiert und war auch sehr erfolgreich. Aber sie will jetzt ein bisschen mehr für die Schule machen, weil sie auch einen guten Abschluss machen möchte. Ich habe sehr gelitten. Aber man muss das auch irgendwie akzeptieren. Für uns war es zwar irgendwo eine Enttäuschung, weil sie zehn Jahr dabei ist, aber wir haben es akzeptiert. "Auch in sportlicher Hinsicht muss man ehrlich zu sich sein", meint Karin. "Auch wenn Pascal noch so talentiert ist, mit dem Eislaufen hätte sie nie Geld verdienen können." Take 50 Mit sechzehn musst du schon drei Dreifachsprünge können. Und sie konnte zwei: Salchow und Toeloop. Und sicher hat sie den Toeloop gehabt. Und sie ist sechzehn und muss eigentlich drei sicher können. Sie springt fast drei Jahre Dreifachtoeloop, und ehe der sicher ist, das dauert so lange. Und immer wieder die blauen Flecken und immer wieder die Anstrengung. Ich habe es doch gesehen auf dem ganzen Weg. Sie schaut zu ihrer jüngsten Tochter hinüber, die Pommes auf die Gabel spießt. Karin hat sich vorgenommen, bei ihr alles ein bisschen anders zu machen. Take 51 Wenn sie keinen Spaß hat, ... sie muss das nicht machen ..., finden wir auch eine andere Sportart. Das habe ich bei Pascal nie so deutlich gemacht. Sie hat immer gedacht, wenn sie jetzt kein Eiskunstlaufen mehr macht, würde es mir schlecht gehen. Dafür muss es aber auch Anzeichen gegeben haben. Take 52 Sicher, na klar, guck mal: Ich habe mich engagiert. Das ist im Prinzip meine zweite Familie geworden. Karin ist in all den Jahren sozusagen Berufseislaufmutter geworden, denn sie hat nicht nur ihre eigenen, sondern auch andere Kinder betreut und sogar von der Schule abgeholt, eine Zeitlang auch Gina. Take 53 Ich finanziere mich durch die Eltern, und ich mache so Fahrdienst, Hol- und Bringservice, mache noch den Kita-Bereich vormittags montags und freitags und betreue eben diese Schulkinder von erster bis vierter Klasse. Die ganze Mühe. Wozu? Olympische Spiele? Weltmeisterschaften? Birgit und Karin schütteln die Köpfe. Schon bei einer deutschen Meisterschaft dabei zu sein, schaffen nur ganz wenige Eiskunstläuferinnen. Take 54 (Birgit) Das kann man irgendwie träumen, irgendwie, irgendwann. (Karin) Das ist eigentlich auch greifbar. (Birgit) Aber das ist so wie ein Losgewinn. (Karin) Aber da musst du erstmal die Pubertät überstehen oder dein Kind, und dann trotzdem immer noch dabei bleiben und den Ehrgeiz haben. Anschlussmusik: "Perfect Ten" von der CD "X-Sports" composed by Jeff Knowler, LC 8904