COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 28. März 2011, 19.30 Uhr Die Magie des Geldes - Vom Tieropfer zur Bildschirmwährung Eine Sendung von Conrad Lay Take 1 Zeise Es ist schon etwas Eigenartiges, was in dieser Gesellschaft passiert ist, in diesen 30 Jahren, ich glaube, das hatten wir im ganzen Kapitalismus bisher noch nicht. Take 2 Schnaas Die unbegrenzte Vermehrung des Geldes ist der Kern der gegenwärtigen Krise. Musik 1 Musikcollage /Udo Lindenberg/Bruno Lauzi/Mary & Gordy/Karel Gott: Udo Lindenberg: Einmal um die ganze Welt /Bruno Lauzi, Raccolta di Successi, Track 7: Se potessi avere mille lire al mese, Dischi ricordi SpA, CDOR9092 / Mary & Gordy, Meistens ist gar nichts dahinter, Schallplatte Seite A, If I had a million dollars, EMI, LC 0193 / Der deutsche Starpalast, CD1: Track 6 Karel Gott, Einmal um die ganze Welt, BIEM, LC 0310 Zitator Auch wenn die Sprachen unterschiedlich sind, die Wünsche sind gleich: "Se potessi avere mille lire", "If I had a million dollars", "Wenn ich die Taschen voller Geld hätte" - wenn, wenn, wenn... Spr. vom Dienst Die Magie des Geldes - Vom Tieropfer zur Bildschirmwährung Eine Sendung von Conrad Lay Take 3 Jugendliche Also ich will ganz viel Geld haben irgendwann mal, und auch ganz viel Geld aus- geben, und Geld ist für mich so ein Luxusartikel, der einfach zum Leben dazugehört. Take 4 ältere Frau Ja also, ich finde Geld ganz gut für das, dass man Freude am Leben hat. Man kann sich was leisten, aber mehr brauche' mer net. Take 5 Mann Was wollen Se' ohne Geld machen! Take 6 Grieche Wer liebt schon kein Geld? Take 7 Frau Naja, ich bin doch sehr bescheiden, glaube ich. Take 8 Grieche Wer möchte kein Geld? Sagen Sie mir! Take 9 Frauen Es ist nicht das Wichtigste auf der Welt. Aber es macht einiges leichter." (lacht) / Schön wenn man's hat", "genau" (lacht) Take 10 Mann Man hat immer zu wenig. Zitator "Die Phönizier haben das Geld erfunden. Aber warum nur so wenig?" Johann Nest- roy. Musik 1 Musikcollage Udo Lindenberg / Bruno Lauzi / Mary & Gordy / Karel Gott Sprecherin Am Anfang stand das Tieropfer, mit dem man sich zu Homers Zeiten die Gunst der Götter erkaufen wollte. Zitator (flüsternd) Ándra moi énnepe, moúsa, polýtropon hós mala pólla plánchte epeí troiés hierón ptoliétron epérsen... Sprecherin Es waren die Zeiten von Odysseus und Achill. Und es war die Zeit des Rindes, des Tieropfers, des ersten Geldes. Oder wie die Römer sagten: Zitator Pécus, pécoris, neutrum - das Rind. Pecúnia, pecúniae, femininum - das Geld. Take 11 Schnaas Das Opfertier war tatsächlich das erste Geld. Die Herkunft des Geldes leitet sich ab aus himmlisch-irdischen Tarifverhandlungen. Die Hingabe an Gott war dasjenige, womit eine allfundierte Schuld früher bezahlt wurde. Sprecher Dieter Schnaas, Geldhistoriker und Journalist. Finanzspezialist quer durch die Jahr- tausende. Take 12 Schnaas Man trat mit Gott sozusagen in Verhandlungen ein und sagte, was ich jetzt damit be- zahle, das legen wir jetzt mal so langsam fest. Sprecher Betritt man das Geldmuseum der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main, stößt man als erstes auf ein Rind: Take 13 Walburg Es steht symbolisch für die Anfänge des Geldes. Sprecher Reinhold Walburg, im Geldmuseum verantwortlich für Rinder, Münzen und andere Zahlungsmittel, erinnert an die Zeit 700 vor Christus in der östlichen Ägäis. Take 14 Walburg Homer rechnet noch in Rindern, aber man merkt, der Übergang zwischen Ilias und der etwas späteren Odyssee, da ist in der Wortwahl schon ein Übergang fassbar von Tauschen zu Zahlen. Und wenn wir sagen: bezahlen, dann reden wir wirklich von Geld. Da kommen dann die nicht-stofflichen Güter, nicht-dinglichen Güter ins Spiel, wenn ich eine Dienstleistung bezahle, sonst tausche ich. Take 15 Zeise Das Geld wird staatlich organisiert, man kann auch sagen: sakral organisiert, das ist ja in dem Zusammenhang egal. Sprecher Lucas Zeise, Kommentator der Financial Times Deutschland. Take 16 Zeise Das Opfer ist deswegen so wichtig, weil das Ganze eine staatliche, gemeinschaft- liche Veranstaltung ist, das Geld, es muss anerkannt werden, und da ist der richtige Gedanke dabei, dass da etwas Sakrales zur Rettung kommt. So ähnlich wie die Bundesbank in Deutschland auch etwas Sakrales hat, sie ist die heiligste Institution, die die Deutschen kannten. Musik 2 Beatles: Money(The best things in life are free) Sprecher Beim Rind ist es nicht geblieben. Man entdeckte die Vorzüge des Edelmetalls: es ist gut zu transportieren, braucht nicht viel Platz, und bei einer Seefahrt tut das Salz- wasser dem Gold nichts. Take 17 Walburg Wenn Sie einen Sack Reis mitführen oder Getreide oder sonst was, das kann an- gegriffen werden, kann über Bord gehen. Den kleinen Klumpen Edelmetall können Sie gut bei sich am Körper verwahren, dem passiert nichts, ohne Transportkosten zu haben. Sprecher Reinhold Warburg betritt den Goldtresor des Geldmuseums. Vor einer Vitrine bleibt er stehen: sie ist dem Cäsarmörder Brutus gewidmet. Der ließ sich eine Gedenk- münze mit zwei Dolchen prägen. Take 18 Walburg Er ist unglaublich stolz, es ist eine der - sagen wir mal - geschichtsträchtigsten Münzen, die wir überhaupt besitzen. Auf der Rückseite in der Mitte die Freiheits- kappe, rechts und links zwei Dolche. Und darunter dann noch geschrieben: eidmar - eidibus martii, die Iden des März, 15.März '44 vor Christus, Tag des Attentats, des geglückten Attentats aus Sicht der Verschwörer, gegen Cäsar, also die Ermordung Cäsars. Sprecher Die Münze als Kommunikationsmittel - in diesem Fall soll der Mord an Cäsar bekannt gemacht werden. Ein andermal ging es bei den Römern ziviler zu: auf den Münzen sind Damen des Kaiserhauses mit ihren neuesten Frisuren abgebildet, die Münze dient hier insbesondere für die Damen aus den entfernteren Provinzen als frühe Form eines Modejournals. Zivil oder nicht - der Cäsarmörder Brutus geht dem Histo- riker Walburg nicht aus dem Sinn: Take 19 Walburg Ein zentraler Punkt, den man Cäsar zum Vorwurf gemacht hatte, war, dass er es ge- wagt hatte, und das war wirklich unerhört für Rom, zu Lebzeiten sein eigenes Porträt auf Münzen zu setzen, das gab es bis dahin nicht. Und - was macht unser guter Bru- tus - nachdem er Cäsar beseitigt hat? Prägt Münzen mit seinem eigenen Porträt. Musik 2 Nochmals hochziehen: Beatles: Money Sprecher Zeitsprung ins Jahr 1826. Eine Postkutsche rumpelt durch den Harz. Beim Städtchen Blankenburg geschieht es dann: Räuber machen sich über die Kutsche her, be- drohen den Kutscher und verlangen alles Geld heraus. Genauer gesagt: sie nehmen alle Münzen mit. Die Scheine lassen sie unberührt. Sie sind in ihren Augen nichts wert. Was sollen sie auch mit dem Papier? Sie haben es schließlich auf Geld ab- gesehen. Dass auch Papier soviel wie Gold wert sein kann, das hatte sich im Jahr 1826 noch nicht herumgesprochen. Take 20 Walburg Damals war es eben noch verhaftet in den Köpfen, dass Geld auch wie Geld aus- sehen muss, schwer sein muss wie Geld, eben einen Materialwert haben muss, und das war die Münzen. Papier hat keinen Materialwert, es hat einen ideellen Wert, einen ihm beigelegten Wert, den diese Herrschaften damals noch nicht kannten, für sie war das klingende, schwere Silber, mit dem sie sich dann abgeschleppt haben, wesentlich wichtiger als die wesentlich höhere Summe, die als Papiergeld noch in der Kutsche war. Sprecherin Aber wie war die Verwandlung von Papier zu Geld möglich? Welche magischen Kräfte wurden dabei wirksam? Zitator Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Äonen untergehn. Sprecherin Goethes "Faust" strebt nach Unvergänglichkeit, nach Verewigung, nach Über- windung der Zeit. Deshalb geht er die Wette mit Mephisto ein. Goethe wusste um den alchemistischen Gehalt der modernen Wirtschaft, davon jedenfalls ist Hans- Christoph Binswanger überzeugt, Ökonom aus der Schweiz und Doktorvater von Jo- seph Ackermann, dem Vorstandschef der Deutschen Bank: Zitator Die Alchemie geht davon aus, dass es durch verschlungene Vorgänge möglich sein müsste, aus Blei Gold zu machen, wenig wertvolle Materie also in kostbare zu ver- wandeln. Genau dies geschah mit der Einführung des Papiergeldes. Sprecherin Die Versuche, Gold auf künstlichem Wege herzustellen wurden, aufgegeben, weil sich die Alchemie in anderer Form als erfolgreich erwiesen hat, sodass die mühsame Goldnachahmung im Laboratorium nicht mehr notwendig war. Nun ließ sich ganz einfach aus Papier Gold machen. Musik 3 Rosenstolz, Objekt der Begierde, Track 9: Mephisto Mephisto mach mich engelsgleich Führ' mich in Dein dunkles Reich Ich will heißer als das Feuer sein Und noch kälter als das Eis. Sprecherin "Faust" braucht Geld - und deklariert als Deckung für seine Papiernoten das im Bo- den vergrabene Gold. Er macht die verborgenen Schätze liquide. Was sich die Al- chemisten erträumten, ist mit dem Papiergeld Wirklichkeit geworden. Hans-Christoph Binswanger: Zitator Der zweite Teil des Faust enthält die explizite Behauptung: Der Ursprung des Reich- tums ist neben der Leistung auch die Magie, im Sinne der Schaffung von Mehr- werten, die nicht durch Leistung erklärt werden können. Sprecherin Diese Magie des Geldes findet sich noch heute auf den Finanzmärkten wieder. Lu- cas Zeise: Take 22 Zeise Man ist ja eigentlich geneigt zu sagen, im Finanzmarkt findet der Kapitalismus zu sich selbst. Das ist er in Reinkultur. Es ist gar nicht mehr nötig, da eine Fabrik aufzu- bauen und daraus den Profit rauszuschlagen, sondern es wird einfach aus dem Geld selbst gemacht. Deswegen, die Anlageberater sagen: 'Geld arbeitet', das Geld arbeitet, es sind nicht mehr die Malocher, die arbeiten, sondern das Geld, das arbeitet, und dieser Schein wird zu einem Teil sogar Realität. In diesen sonderbaren Merkwürdigkeiten, die eben aus der Spekulation erwachsen, dass eben das Geld von sich selbst mehr wird. Und Herr Ackermann sagt, wir sind die Leute, die Wert schaffen, weil wir immer wieder Liquidität bereitstellen, damit die Börse schön nach oben geht. So entsteht Wert aus sich selbst heraus. Zitator Leistung aus Leidenschaft. Sprecherin Gemeint ist: Geld aus Magie. Take 23 Zeise In die Magie muss man ja auch ein gewisses Vertrauen haben, sonst glaubt man das ja nicht. Sprecherin Nicht in der Liebe zu Gretchen empfindet Faust das höchste Glück, sondern in seiner magischen Tätigkeit als Schöpfer des Geldes. Womit bewiesen wäre: Geld ist eroti- scher als Liebe. Musik 4 Rio Reiser, Rio, Track 5: "Geld macht nicht glücklich, es beruhigt nur die Nerven" Take 24 Mann Geld beruhigt auf jeden Fall. Take 25 Mann Mit 'nem bisschen Geld im Hintergrund und sowas, da lässt sich schon besser schla- fen. Take 26 Mann Wenn es zuviel ist, macht man sich Sorgen, weil man verliert viel. Wenn es zuwenig ist, macht man sich Sorgen, wie geht's morgen weiter. Take 27 Mann Ich würde eher sagen, dass Geld beruhigt, wenn man sich darüber keine Gedanken mehr machen muss. Take 28 Frau Ich bin immer noch Studentin, also habe ich die Probleme glaube ich nicht. (lacht) Take 29 Mann Beunruhigt, wenn man keines hat. Beruhigt, wenn man enorm viel davon hat. Take 30 Mann Ich bin Gott sei Dank bei einer Bank, die nicht gezockt hat. Das ist ein beruhigendes Gefühl. Musik 4 Nochmals Rio Reiser, Rio, Track 5: "Geld macht nicht glücklich, es beruhigt nur die Nerven" Sprecher Der Soziologe Dirk Baecker, Schüler des Systemtheoretikers Niklas Luhmann, glaubt überhaupt nicht an die beruhigende Wirkung des Geldes, im Gegenteil, er ist davon überzeugt: Geld löst Unruhe aus: Take 31 Baecker Vor allem dann, wenn man es hat, beruhigt es überhaupt nicht, weil man nicht weiß, wie lange man es noch hat. Erstens verliert es selbst an Wert, zweitens wird man ständig von Leuten belagert, die einem sagen, wie man das optimalerweise wo anzu- legen hat, sodass man ständig fürchten muss, doch zu wenig Zinsen für das Geld zu bekommen und die große Chance gerade eben an seiner Nase vorbeiziehen zu sehen. Goethe war ja der erste, der in seinem Faust II darauf hingewiesen hat, dass mit der Einführung des Geldes die Gottheit der Schönheit durch die Gottheit der Sor- ge ersetzt worden ist und dass die Sorge genau aus diesem Grunde, dass wir es mit Vermögen zu tun haben, von dem wir nicht wissen, wie lange es noch ein Vermögen ist, unser Leben vergiftet. Sprecher In früheren Zeiten war Geldvolumen durch den Aufwand begrenzt, der nötig war, um edle Metalle zu schürfen oder Münzen zu prägen. Mit dem Papiergeld, mit dem Buchgeld auf den Bankkonten, gar mit dem Monitorgeld, das nur auf dem Computer- bildschirm sichtbar ist, kann man Geld in beliebig großer Menge herstellen. Es bedarf deshalb staatlicher Sicherungen, um das Geldangebot zu begrenzen. Sprecherin Deshalb richtete man staatliche Zentralbanken ein, die Hohepriester des Geldes. Sie schöpfen Geld aus dem Nichts, haben aber darüber zu wachen, dass das Vertrauen in das Papiergeld nicht schwindet. Denn als Papier hat es keinen stofflichen Eigen- wert, es ist Tauschwert pur. Ist das Vertrauen einmal weg, dann können Kinder mit gebündelten Geldscheinen spielen, als ob es sich um Bausteine aus dem Spielzeug- kasten handele. So geschehen nach der Inflation 1924, wie ein Foto im Geldmuseum zeigt. Musik 5 Rosenstolz, Objekt der Begierde, Track 9: Geld Sprecher Finanzmanager träumen vom Verlöschen der Gebrauchswerte. Sie träumen von ei- ner ganz speziellen Ware, und deren einziger Gebrauchswert ist es, dass sie als all- gemeiner Tauschwert anerkennt ist. Sprecherin Sie träumen von Geld. Und noch mehr Geld. Sprecher Sie träumen davon, die Schwerfälligkeit der materiellen Welt hinter sich zu lassen. Sprecherin Der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl in seinem Essay "Das Gespenst des Kapi- tals": Zitator Politische Ökonomie hat seit jeher eine Neigung zur Geisterkunde gehegt und sich mit unsichtbaren Händen und anderem Spuk den Gang des Wirtschaftsgeschehens erklärt. Kam der Name der Spekulanten einmal von jenen römischen Wachposten, die nach Gefahren und Missgeschicken Ausschau hielten und deshalb 'speculari' hießen, so ist aus diesem Späher oder Seher selbst der Typus des gefährlichen Menschen erwachsen. Er hat alle Gefahrenlagen an sich gezogen. Sprecherin Die Blindheit des vermeintlichen Sehers wurde in der Finanzkrise offenbar. Möglich wurde sie durch die euphorische Verbindung von Informationstechnologie und Fi- nanzkapital. Die Zwischenschritte hießen: Sprecher Gründung elektronischer Börsen, Verbreitung des Computerhandels, Ausbau der Netze, potenzierte Mobilität im Kapitalverkehr, Monitorgeld, Abkopplung von der Realwirtschaft, Erfindung "innovativer" Finanzderivate. Sprecherin Der Geldhistoriker Dieter Schnaas hat ausgerechnet: Zitator Die globale Gütermenge hat sich in den vergangenen 30 Jahren vervierfacht, die Geldmenge vervierzigfacht. Die Menge an Geld, die in Spekulationen auf künftige Preise und Kurse in Form von Derivaten durch die Computernetze dieser Welt vagabundiert, geht zehnmal über den Wert aller umgeschlagenen Waren und Dienst- leistungen hinaus. Es beträgt 600 Billionen Euro. Sprecher Hans-Christoph Binswanger hatte in seiner "Faust"-Studie mit dem Titel "Geld und Magie" noch vermutet: Zitator Das Papiergeld bekommt einen echten Gold-Gleichwert erst dann, wenn es sich ma- terialisiert, wenn es produktiv eingesetzt, wenn es auf Gewinn oder Zins hin angelegt bzw. investiert wird, wenn es also seinen Geld-Wert dem Material mitteilt, das in den Produktionsprozess eingeht, wenn der alchemistische Prozess der Geldschöpfung sich auf die gesamte Wirtschaft ausdehnt. Sprecher "Ein Anachronismus ohnegleichen", würden heutige Finanzmanager dazu sagen. Denn diese Phase ist für sie längst vorbei. Die Finanzmärkte haben sich von der Schwere der Produktion, auch ihrer Schwerfälligkeit, gelöst. Sie sind schwerelos ge- worden. Und konnten sich so ins Unbegrenzte vermehren. Dieter Schnaas: Take 32 Schnaas Das ist deswegen so, weil wir alle zusammen in einer Geld-Glaubensgemeinde sind. Bei dieser Finanzkrise, von der wir soviel reden, handelt es sich im Kern eigentlich nicht um eine Finanzkrise oder Wirtschaftskrise, sondern es handelt sich um eine Geldkrise und eine Glaubenskrise. Wobei ich sofort darauf hinweisen möchte, dass auch etymologisch bedeutet: credo, ich glaube, das ist eine Kreditkrise. Die un- begrenzte Vermehrung des Geldes ist der Kern der gegenwärtigen Krise. Und im Unterschied zu allen anderen Krisen vorher - denken Sie an die Spekulationskrisen, die sich auf die Eisenbahn oder auf die Tulpen damals in Amsterdam richteten, oder jetzt vor 10 Jahren auf das Internet, es waren alles Spekulationen, die sich auf einen Wert richteten, auf eine realwirtschaftliche, tatsächliche vorhandene Hoffnung richteten. Das ist bei der gegenwärtigen Kreditkrise überhaupt nicht mehr der Fall. Die gegenwärtige Kreditkrise ist eine Krise der Geldglaubensgemeinschaft. Unser Glaube an das Geld ist zusammengebrochen. Sprecher Drei Jahrzehnte hindurch glaubte eine absichtlich unbeaufsichtigte Branche, den bis- her notwendigen Weg des Geldes vom investierten Kapital zum Mehrwert abkürzen und sich den Umweg über Arbeit, Produktion und Warentausch ersparen zu können. Die Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft war der Versuch, sich eine Gelddruckmaschine zu erfinden. Sprecherin Warum, so fragten sich findige Finanzmarktspezialisten, warum sollte man die er- schöpfte Nachfrage der Konsumenten nicht im Wege der Geldschöpfung selbst er- zeugen? Und wie die Finanzmanager so gelten auch ihre Bankprodukte seitdem als "innovativ". Take 33 Schnaas Die Finanzmärkte waren der Ort, das war ein religiöser Heilsbezirk, an ihm sollte das Geld möglichst unbehindert vermehrt werden können. An ihnen sollte das, was Marx einmal gesagt hat - Marx hat ja gesagt, es gibt eine Summe Geld, eine Summe Geld G, die soll sich anhand einer Ware zur Summe G plus vermehren können. Den Finanzmärkten ist der Traum realisiert worden, kurzfristig realisiert worden, dass sich die Summe Geld G gar nicht mehr um die Waren drehen muss, um zur Summe Geld plus zu werden. Das war der Traum vom alchemistisch herstellbaren Geld, der ist nun leider geplatzt. Sprecherin Liberale Nationalökonomen hatten gehofft, die Gewinnmargen zwischen den Bran- chen, etwa zwischen der Realwirtschaft und dem Finanzsektor, würden sich aus- gleichen. Nicht anders Karl Marx. Er hatte angenommen, es komme auf längere Zeit zum Ausgleich der Profitraten zwischen den verschiedenen Wirtschaftssektoren. Sprecher Doch nichts dergleichen geschah. Wo ist nur die "unsichtbare Hand des Marktes" geblieben? Warum stellt sie nicht ein neues Gleichgewicht her, wie Adam Smith prophezeit hatte? Sprecherin Was passiert, wenn die unsichtbare Hand ihre magischen Kräfte verliert? Wenn es zu keinem Ausgleich kommt? Wenn sich der Finanzmarkt immer weiter aufbläht? Handelt es sich dann um ein Versagen des Marktes? Oder hätte der Staat eingreifen sollen? Sprecher Die Zahlen jedenfalls sind eindeutig: Kamen 1945 in den USA zehn Prozent der Unternehmensgewinne aus dem Finanzsektor, so waren es 2002 schon sage und schreibe 40 Prozent der Gewinne. Von Ausgleich keine Spur. Sprecherin "Deregulierung" hieß in den vergangenen 30 Jahren das Gebot der Stunde. Wie von den liberalen Nationalökonomen gefordert, griff der Staat nicht regulierend ein. Er, der ganz offiziell das Geld ausgibt, sah zu, wie Börsen sich zu Geldmaschinen ent- wickelten. Ja, er leistete dem sogar noch Vorschub: Man nannte das "Finanzmarkt- förderungsgesetze". Take 34 Schnaas Wir alle sind in dieser Geltglaubensgemeinde miteinander verbunden, solange wir meinen, unser Geld buchstäblich, ohne an den Waren gekoppelt zu sein, vermehren zu können. Der Staat allerdings ist derjenige, der für das Geld letztendlich haftet, er steht in dieser Reihe an letzter Stelle, und wir haben es ja während der Finanzkrise gesehen, dass er derjenige ist, der gerade stehen muss, wenn dieser Geldglaube plötzlich nicht mehr vorhanden ist. Er ist derjenige, der gerade stehen muss, wenn das Geld plötzlich anfängt, beargwöhnt zu werden. Sprecher Ausgerechnet der Staat, von dem in der Ära des Neoliberalismus gefordert wurde, er solle sich heraushalten, soll nun für das Geld bürgen. Mit Milliardenpaketen, nach- folgenden Schuldenbremsen und drohenden Staatsbankrotten, versteht sich. Und anschließend soll er sich wieder heraushalten. Musik 6 Rosenstolz, Objekt der Begierde, Track 9: Geld Take 35 Mann Geld verdirbt den Charakter. Take 36 Frau Geld ist Moral. Geld bestimmt oft Moral. Take 37 Mann Seitdem es Geld gibt, gibt es weniger Moral. Take 38 Mann Ich denke schon, dass es Leute gibt, deren Unmoral proportional zu der Menge des Geldes ist, das sie gerne haben möchten, steigt. Musik 6 Nochmals: Rosenstolz, Objekt der Begierde, Track 9: Geld Sprecher Mit der Abkopplung von der Realwirtschaft hat sich die Logik der Finanzmärkte ver- ändert. Sie entspricht nicht mehr dem Modell des auf Ausgleich bedachten, sich selbst korrigierenden Systems, wie Adam Smith noch angenommen hatte. Dieter Schnaas: Take 39 Schnaas An den Finanzmärkten werden tatsächlich nur noch die binären Codes von Geld ge- handelt, das führt dann dazu, dass an den Finanzmärkten das Geld und die Hoffnun- gen und die Wünsche praktisch ganz ungehindert nur noch um sich selbst kreisen, und man kann von einer völligen Irrealisierung sprechen, die an den Finanzmärkten gehandelt wird. Mit nicht-vorhandenem Geld wird auf die Zukunft eines nicht- vorhandenen Geldes gewettet, das möglicherweise irgendwann einmal Geld werden soll. Das ist, glaube ich, der Kern der Finanzmärkte heute. Sprecherin Beispiel Derivatehandel: seine Geschichte handelt davon, dass Fiktionen ihre Be- sitzer tauschen. Jemand, der eine Ware nicht hat, sie weder erwartet noch haben will, verkauft diese Ware an jemanden, der sie ebenso wenig erwartet noch haben will - und sie auch tatsächlich nicht bekommt. Joseph Vogl: Zitator Die Preise für Derivate bestimmen sich über die Erwartungen künftiger Preise für Aktien oder Anleihen. Man muss sich den Profit einbilden können, bevor man ihn zieht. Sprecher Anders als in der Realwirtschaft tritt hier keine Sättigung ein. Es gilt nicht mehr der Mechanismus von Angebot und Nachfrage, sondern die Bedingungen von Mutmaßungen und ungewissen Zukunftserwartungen. So funktioniert der Finanz- markt als ein System ständiger Vorwegnahmen: Man versucht zu erraten, was der Markt von der Zukunft denkt, wie der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl heraus- gearbeitet hat: Zitator Es geht darum, wie sich Wertschätzungen aus Meinungen formieren, die die Mei- nung über Meinungen spiegeln. Finanzmärkte funktionieren als fortlaufender Ab- stimmungsprozesse, in ihnen herrscht der Druck von Konformität. In den Preisen kursieren die zur Norm geronnenen Resonanzen kollektiver Ansichten. Sprecherin Auf Konformität wird auch äußerlich Wert gelegt: deshalb der uniforme Dresscode, das Heer von schwarzen Anzügen, die Seriosität und Sicherheit ausstrahlen sollen. Sprecher Steigende Preise spiegeln allgemeine Wertschätzung wider und lösen steigende Bewertungen aus, während umgekehrt fallende Preise die Vorwegnahme fallender Preise als vernünftig erscheinen lassen. "Das ist schon eingepreist", heißt es zur Be- gründung aus gut unterrichteten Börsenkreisen. Sprecherin John Maynard Keynes hatte die Preisbildung an den Finanzmärkten mit dem Bild eines Schönheitswettbewerbs verglichen: die "hübschesten Gesichter" werden ebenso wie die Börsenpreise danach ausgesucht, ob man ... Zitator ...am nächsten mit der durchschnittlichen Vorliebe aller Teilnehmer übereinstimmt, sodass jeder Teilnehmer nicht diejenigen Gesichter auszuwählen hat, die er selbst am hübschesten findet, sondern jene, von denen er denkt, dass sie am ehesten die Vorliebe der anderen Teilnehmer gewinnen werde, welche alle das Problem vom gleichen Gesichtspunkt aus betrachten. Sprecherin Der Finanzmarkt ist - so Joseph Vogl - eine "Maschine zur Erzeugung normalisieren- der Trends". Anstelle von Adam Smiths unsichtbarer Hand ist der Drang zum Kon- ventionellen getreten. Wehe dem, der ausschert. Lucas Zeise: Take 40 Zeise Wenn Sie mit Bankprodukten handeln, also was auch immer, dann können Sie nicht auf das Fundamentale gucken. Sie müssen sich danach richten, wie der Markt grade verläuft. Und wenn Sie das nicht tun, werden Sie sehr bald zu den Verlierern in die- ser Szene gehören. Das Fundamentale kann sich dann in drei Jahren durchsetzen. Bis dahin sind Sie pleite. Sprecher In der Logik des Derivatehandels werden Risiken mit Risiken versichert, ausgelagert, verstreut, auf unterschiedliche Zeithorizonte verteilt. Gegenwärtige Risiken werden mit künftigen verrechnet und gegenwärtige Märkte durch eine schier endlose Serie von Vorwegnahmen bestimmt. Aber wie schon Niklas Luhmann wusste: Zitator Der Teufel will, dass die künftigen Gegenwarten nicht unbedingt der gegenwärtigen Zukunft entsprechen müssen. Sprecher Die Pirouette der Unsicherheiten setzt sich fort, entfernt sich wie ein Raumschiff im- mer mehr vom Ausgangspunkt, bis das Raumschiff zum Verglühen kommt. Dann ist guter Rat teuer. Ja, vor allem teuer. Dann muss der Staat einspringen, den sich die normierte Meinung des Marktes vorher noch zum Teufel gewünscht hatte. Für kurze Zeit wird der Staat zum rettenden Engel. Sprecherin Eigentlich hätte er schon früher eingreifen können, eigentlich hätte er der be- ständigen Kreditausweitung und Geldschöpfung entgegentreten können. Denn der- jenige, der das Geld ausgibt und garantiert, hat auch die Möglichkeiten, es zu be- grenzen. Take 41 Zeise Der Staat hat diese Mittel, es ist sehr wohl möglich, internationale Abkommen (abzu- schließen), um die Kreditausweitung zu begrenzen. Und interessant ist, dass das nicht gemacht wurde, dass Ausnahmen geschaffen wurden, dass die Aufseher und die Finanzminister und die Notenbanken alles getan haben, zugesehen haben. So- lange keine Inflation entsteht, hat das die Notenbanken nicht interessiert, also es ist eigentlich ein Skandal. Das ist der Skandal, dass, obwohl die Gesetze dafür da sind, obwohl im Prinzip jedermann weiß, was eigentlich zu tun wäre, es doch nicht pas- siert. Sprecher Auch in Zeiten des Neoliberalismus ist der Staat gefragt - wenn es hart auf hart kommt. Take 42 Zeise Insofern ist der Neoliberalismus eine sehr zwiespältige Geschichte. Liberal ist er in dem Sinne, dass er den Finanzmarkt erst so richtig entwickelt und dann laufen lässt und ihn nicht begrenzt, das ist in der Tat liberal. Aber die Struktur des Finanzmarktes und seine Förderung, das wird nicht einfach durch Laisser-faire gemacht, sondern aktiv betrieben. Musik 7 Musikcollage Udo Lindenberg / Bruno Lauzi Take 43 Baecker Wie kommen eigentlich so viele Leute dazu, diesen windigen Geschäftsmachern namens Bankern ihr Geld anzuvertrauen? Take 44 Mann Das Verhältnis zum Geld ist ja: man möchte immer mehr, als man hat. Take 45 Walburg Geld hat immer und hatte immer, egal wo und in welcher Zeit, mit Vertrauen zu tun. Take 46 Baecker Risiko? In Banken? Wie kommen Sie denn auf die Idee? Take 47 Mann Solange man das Geld hat, soll man's auch ausgeben. Bevor es dann wieder weg ist. Musik 7 Karel Gott Spr. vom Dienst Die Magie des Geldes - Vom Tieropfer zur Bildschirmwährung Eine Sendung von Conrad Lay Es sprachen: Sabine Arnhold, Robert Frank und Joachim Schönfeld Ton: Alexander Brennecke Regie: Beate Ziegs Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 8 8