COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 21. September 2009, 19.30 Uhr Die Stylisten der Macht Wie Politik im Zeitalter der Mediendemokratie inszeniert wird Von Katja Bigalke Atmo Cafe Spr. vom Dienst Die Stylisten der Macht Wie Politik im Zeitalter der Mediendemokratie inszeniert wird Von Katja Bigalke Atmo Café draußen Autorin Berlin, Unter den Linden. Das Café Einstein in der Nähe von Bundestag, Kanzleramt und den Hauptstadtbüros der großen Medien ist einer der wichtigsten, inoffiziellen Schauplätze der Berliner Republik. Hier treffen sich Politiker, Lobbyisten und Journalisten. Hierher hat auch Michael Spreng geladen, früher mächtiger Chefredakteur der Springer-Presse, heute einflussreicher Medienberater. Atmo Café drinnen Autorin Der hochgewachsene 61-Jährige mit den leuchtend blauen Augen ist ein alter Hase im Geschäft. Als ausgebildeter Boulevard-Journalist, der jahrelang die Redaktionen des Kölner "Express" und der "Bild am Sonntag" leitete, kennt er wie kein Zweiter die Spielregeln der Politikvermittlung. Er weiß um den schmalen Grat zwischen Kommunikation und Inszenierung, zwischen harten Fakten und weichen Faktoren. Seinen Einstand in der Politikberatung gab er 2002 als Wahlkampfleiter für Edmund Stoiber, den Kanzlerkandidaten der Union. Er stand damals vor der gleichen Aufgabe wie heute die Berater des SPD-Herausforderers Frank-Walter Steinmeier. Zwar kannte man Namen und Karriere seines Schützlings, aber was genau für ein Mensch sich dahinter verbirgt, wusste man nicht. Eine Strategie musste entwickelt werden, um Stoiber so mehrheitsfähig wie möglich erscheinen zu lassen. O-Ton Das fing an mit der strategischen Planung: wie positioniert sich der Politiker im Wahlkampf? Also in dem Fall als Mann der Mitte - nicht aggressiv, zurückgenommen. Was ist sein Wording? Das Wording war damals Kompetenz. Der zweite Schlüsselbegriff war Team - als Gegensatz zu Schröder - dem Solospieler - und er positioniert sich in der Mitte, er ist sozial engagiert: er öffnet sich kulturell. Stoiber hat damals als CSU Politiker zum ersten Mal in einer Rede gesagt, dass er gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften respektiere. So, das ist ein Teil dieser Arbeit: wann wird so ein Kompetenzteam präsentiert, mit welchen Bildern, in welchen Zusammenhängen? Welche Rolle spielt die Familie im Wahlkampf? Was kann man machen um ihn freundlicher zu beleuchten? Autorin Bei soviel Regieanweisungen stellt sich natürlich die Frage, was an unseren Politikern eigentlich noch echt ist und was nur "authentisch" inszeniert. Eine Frage, die wahrscheinlich nie genau zu beantworten sein wird. Zumal sich die Politiker nicht gern in die Karten schauen lassen. Vor einer so wichtigen Wahl wie der Bundestagswahl schweigen alle aktiv Beteiligten. So bleibt nur, sich an die Zahlen zu halten. Sie suggerieren, dass sich Politiker in immer mehr Fragen von Experten beraten lassen: Seit 2002 gibt es zum Beispiel eine deutsche Gesellschaft für Politikberatung, die schon jetzt weit mehr als 100 Mitglieder aufweist. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung fast 40 Millionen Euro für "externe Berater" ausgegeben. Das Business mit der Beratung scheint zu florieren. Michael Spreng warnt aber davor, alle Berater in einen Topf zu werfen. O-Ton In der Mehrzahl der Fälle verstecken sich dahinter Lobbyinteressen Es geht darum Firmeninteressen, Verbandsinteressen durchzusetzen oder an die Politik heranzutragen. Das läuft auch unter Politikberatung hat aber nach meinem Verständnis wenig damit zu tun. Politikberatung ist strategische kommunikative Beratung von Politikern, Parteien, öffentlichen Institutionen, wie sie sich aufstellen, wie sie strategisch vorgehen sollen, wie ihre Kommunikation geplant wird, ihre Mediaplanung. Autorin Diese Art der persönlichen Politikberatung wird in Deutschland - im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern - immer noch zumeist parteipolitisch organisiert. Die Berater rekrutieren sich oft aus den Partei- und Exekutivapparaten und kommen nur selten von außen, aus der professionellen Kommunikation. Beispiele wie der Ex-Bild- und Bunte-Chefredakteur Hans Hermann Tiedje, der 1998 Helmut Kohl frischen Wind bringen sollte oder der ehemalige Chefredakteur des Fernsehsenders Vox, Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, der aus dem blassen Finanzminister Hans Eichel einen sympathischen Sparfuchs machen sollte, sind die Ausnahme im deutschen Polit-PR-Geschäft. Bedauerlicherweise, meint Michael Spreng: O-Ton Weil die meisten Politiker natürlich eine Umgebung haben, die nicht direkt zum Widerspruch neigt, die häufig auch dem Chef nach dem Munde redet. Selbst engste Vertraute von Stoiber haben damals selbst im kleinsten Kreis ihn ununterbrochen mit "Herr Ministerpräsident" angesprochen und so weiter. Autorin Spreng kann noch immer nicht verstehen, wieso der angebliche Medienkanzler Gerhard Schröder seine Agenda 2010 so holzhammerhaft kommuniziert hat, dass darüber nicht nur seine Macht, sondern auch noch seine Partei zerbrach. Oder warum es der großen Koalition partout nicht gelingen will, ihren Gesundheitsfonds zu erklären. Da gibt es noch großes Verbesserungspotential, glaubt der Berater. O-Ton Wenn der Satz stimmt, dass man nur die Politik betreiben kann, die man auch kommunizieren kann, dann läuft hier einiges schief in Deutschland. Die deutschen Politiker beherrschen zum Beispiel eines überhaupt nicht, was die Amerikaner perfekt können: das ist das so genannte Story Telling - also, dass ich versuche, mit einer Geschichte, mit Bildern und Gleichnissen Politik so zu erklären, dass auch normale Menschen es verstehen, und dass gleichzeitig Emotionen und Verstand angesprochen werden. Wenn Obama über die Notwendigkeit der Gesundheitsreform gesprochen hat, hat er das am Beispiel der Krankheit und des Todes seiner Mutter getan. Und dieses Story Telling beherrscht in Deutschland niemand. Wenn es Frau Merkel mal versucht, mit dem Bild der schwäbischen Hausfrau, das bleibt blutleer, die ist bis heute nicht zum Leben erwacht. Autorin An diesem Punkt kommt die professionelle Medienberatung ins Spiel, meint Spreng. Sie muss die häufig komplizierten politischen Sachverhalte in griffige Formeln und "Stories" übersetzen und sie muss - was heute immer wichtiger wird - die richtigen Bilder finden. Denn diese sagen oft mehr als Worte: O-Ton Frau Merkel in Grönland vor den Eisbergen, um bildhaft ihr Engagement für den Klimaschutz zu demonstrieren, das war eine gelungene Inszenierung. Ja, misslungen, da gibt es immer noch das super Beispiel Rudolf Scharping und die Badefotos auf Mallorca. Oder Karl Theodor zu Guttenberg als er sich auf dem Times Square mit ausgebreiteten Armen fotografieren ließ. So ein Foto: was kostet die Welt? Das war a) ein Foto im Gegensatz zur aktuellen Lage der Weltwirtschafts- und Finanzkrise und b) holen Politiker solche Bilder immer wieder ein. Musik: Angie Autorin Oder aber solche Töne. Dass Angela Merkel und Mick Jagger kein klassisches Dreamteam sind, kam den Organisatoren ihres Wahlkampfs 2005 nicht in den Sinn. Berauscht von ihrem - allzu nahe liegenden - Einfall, setzten sie den Rolling-Stones- Song so oft ein, bis ihn wirklich keiner mehr hören wollte. Merkel und Oper - das passt schon besser. Auch wenn ihr ungewohnt offenherziger Auftritt bei der Eröffnung des neuen Osloer Musiktempels 2008 kontrovers diskutiert wurde, am Ende hat ihr dieser Überraschungsbusenblitzer wohl mehr genutzt als geschadet. Atmo Ganz schön sexy. Angela Merkel bei Ihrem Auftritt in Oslo. Ganz schön gewagt, Noch nie hat sich die Kanzlerin so tief dekolletiert gezeigt und die Deutschen finden es gut. Soll sie doch..... Autorin In der Bundesrepublik wird der Kanzler nach Artikel 63 nicht vom Volk, sondern vom Parlament bestimmt. Trotzdem ist jede Bundestagswahl immer zugleich eine Abstimmung über Personen. Um dabei möglichst gut abzuschneiden, wird von den Spitzenkandidaten neben Kompetenz und rhetorischem Geschick zunehmend auch eine angenehme Ausstrahlung erwartet. Dabei spielt das Aussehen, Etwas-aus- seinem-Typ-machen eine immer wichtigere Rolle. Und genau damit tat sich Angela Merkel lange Zeit ungemein schwer. Wohl niemals wurde so ausgiebig über das Aussehen eines Politikers gelästert wie bei ihr. Die Politikerin mit der Topffrisur, die vor ihrer Kanzlerschaft mit Vorliebe weite Röcke und wallende Oberteile trug, war der wandelnde Widerspruch zu allen Thesen über die Mediendemokratie. Allein auf youtube gibt es zahlreiche Filmchen, die das Aussehen der gelernten Physikerin ins Lächerliche ziehen. Song "Mit der Frisur hat sie Probleme ab und zu, doch wenn der Udo ihr die Haare schneidet dann ist sie die Prinzessin der CDU" Autorin Seit 2002 macht Merkel nun Zugeständnisse an die kritischen Zuschauer. Sie engagierte Udo Walz als Friseur, der ihren Haarschnitt langsam aber stilsicher in einen Pagenkopf mit luftig zur Seite geföntem Pony verwandelte. Den von Walz als "Endfrisur" bezeichneten Haarschnitt trägt sie mittlerweile so selbstbewusst, dass sie ihn sogar in ihrem aktuellen Wahlspot erwähnt. Atmo Jeden Tag lerne ich dazu - das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Wie wichtig eine Frisur sein kann.... Autorin Oder Kleidung....Ihre Garderobe ließ sich Merkel zunächst von der Designerin Anna von Griesheim zusammenstellen - jeder erinnert sich noch an den lachsfarbenen, überraschend weiblichen Zweiteiler, den sie in Bayreuth trug. Auch die neuen, vorteilhaft sitzenden Hosen und die pastellfarbenen Jacketts stammten aus dem Salon Griesheim. Nachdem sich die Designerin allerdings zu offen über ihre prominente Kundin äußerte, wechselte Merkel zur hanseatischen Schneiderin Bettina Schoenbach. Denn obwohl es offensichtlich ist, dass hinter Merkels neuem Look bessere Stylisten stehen als sie - nach außen hin kommuniziert die Kanzlerin, ihr Aussehen sei Privatsache. Als der Kolumnist Mainhardt Graf von Nayhauß etwa über die bei ihrer USA Antrittsreise mitreisende Visagistin Petra Keller schrieb, bekam er Merkels Sorge um äußerliche Authentizität sofort zu spüren: O-Ton Da fiel mir eben auf, dass da ein neuer Name war, von einer Frau und da stand keine genaue Tätigkeit dahinter, sondern nur schlicht: Bundeskanzleramt. Und dann habe ich einen von den Frau Merkel begleitenden Beamten gefragt und dann kam der wieder und sagte: Sie dürfen mich aber nicht verraten - das ist eine Visagistin. Na ja, und ich hab das dann geschrieben. Der Erfolg war, dass ich das nächste und übernächste Mal nicht mitgenommen wurde. Autorin Carsten Reinemann, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München sieht in Angela Merkels neuem Styling nicht unbedingt die Bestätigung der These, dass die Kanzlerkür immer mehr einer Castingshow gleiche. O-Ton Bei Angela Merkel sieht man, dass dort ordentlich gearbeitet wurde: an ihrem Aussehen, an ihrer Kleidung. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass sie Deutschland als Bundeskanzlerin repräsentiert. Aber wenn man so in die Breite schaut und die Frage noch mal aufgreift, ob jemand, der jetzt nicht dem Modelltyp entspricht, Politiker werden kann, dann ist das nach wie vor noch der Fall. Autorin Repräsentativ sollte ein Politiker aussehen - in dieser Hinsicht hat Angela Merkel ihr Anti-Image schon ziemlich umfassend bearbeitet. Deutlich schwieriger war ihre Selbstinszenierung als sympathische Politikerin. Die unterkühlte Physikerin mit ausgeprägtem Machtinstinkt wirkt wie das Gegenteil einer Kanzlerin der Herzen. Zur Beschreibung ihrer unemotionalen Art wird noch heute gerne ihr Auftritt vor der Presse zitiert, nachdem feststand, dass sie zur ersten deutsche Kanzlerin gewählt werden würde. Eine britische Journalistin wagte als erste eine persönliche Frage: Atmo - Frau Merkel, sie werden Kanzlerin, wie geht es ihnen, sind Sie glücklich? - Also erstens mir geht es gut - zweitens ich glaube dass sehr viel Arbeit vor uns liegt - Frau Merkel, was sind ihre Gefühle? Sind sie eine glückliche Frau? Come on! - Ja, es wäre ja nun ganz schlimm wenn ich griesgrämig wäre. Also ich bin guter Stimmung und Willens etwas zu machen. Autorin Es ist, als ob Merkel kein öffentliches Vokabular für Emotionen hätte. Erschwerend hinzukommt, dass sie kaum Identifikationsflächen bietet. Während etwa Gerhard Schröder bewusst seine Frau Doris Schröder-Köpf mit in die Kanzler-Inszenierung einbezog, trennt Merkel Privates und Öffentliches sehr strikt, bedauert Graf Nayhauß. O-Ton Nennen Sie mir einen einzigen Journalisten, der bei Frau Merkel zu Hause war. Weder hier in Berlin noch in Templin. Im Gegenteil und hier wiederhole ich das Wort kleinkariert, dass die meisten ihre Häuser verschließen. Autorin Um gewählt zu werden, müssen Politiker aber sympathisch rüberkommen: als Menschen - nicht als Technokraten. Das weiß auch Angela Merkel. Und obwohl es aus ihrem Hause keine Homestorys gibt, streut auch sie in Interviews doch mal das ein oder andere Private ein. Der "Cosmopolitan" verrät sie zum Beispiel, dass sie gerne beim Kochen entspannt, der "Emma", dass ihr Mann Joachim Sauer immer fürs Wochenende einkaufen geht. In Bayreuth hatte sie das letzte Mal, neben ihrem öffentlichkeitsscheuen Gatten, auch den Stiefsohn Daniel dabei. Von dem, erzählt sie der "Myself", lerne sie, was junge Leute beschäftigt. Das sind nicht gerade viele Informationen, aber immerhin ein paar. Passend findet das Carsten Reinemann: O-Ton Es hätte überhaupt keinen Zweck, den Versuch zu machen, Angela Merkel jetzt zu einer Frau Obama zu machen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Sondern, sie muss bei dem bleiben, was sie ist, und Sie muss ihre Qualitäten ausspielen. Der eine ist vielleicht eher in diesem Sympathiebereich, im menschlichen Bereich stark und kann sehr schön Beziehungen auf der emotionalen Seite herstellen, der andere schlägt mit Sachaussagen und Kompetenzen. Da muss man sich in der Beratung dem Kandidaten auch anpassen, man darf ihn nicht verbiegen, man muss das machen, was hier adäquat ist. Autorin Wenn Angela Merkel eher pragmatisch und manchmal etwas steif daherkommt ist das Teil der Inszenierung, die mehr Sachkompetenz und Bilder als emotionale Geschichten und Rhetorik im Blick hat. Die Strategie scheint aufzugehen. Trotz offensichtlicher Kommunikationsmängel führt sie nach Bundespräsident Horst Köhler ziemlich zuverlässig die Liste der beliebtesten Politiker des Landes an. Sie ist auf ihre Art ein Medienprofi geworden - genau wie die anderen deutschen Kanzler auch, die mehr als eine Legislaturperiode überlebt haben. Die haben zum Teil sogar überraschend ähnliche, mitunter viel weitergehende Personalisierungsstrategien angewandt, meint Carsten Reinemann. Natürlich hat sich in Deutschland das Auftreten der Politiker parallel zur Medienwelt verändert. Aber es gilt seit Gründung der Bundesrepublik: das große kommunikative Vorbild bleiben die USA. O-Ton Es hat dann nach dem zweiten Weltkrieg schon bei Konrad Adenauer Versuche gegeben, die Öffentlichkeit durch Pressekampagnen zu beeinflussen. Der hat Journalisten eingeladen in seine Sommerresidenz nach Cadenabbia, und hat sich beim Bocciaspielen mit seinem Hund fotografieren lassen. Dadurch dass das Mediensystem gewachsen ist, dass das Fernsehen dazugekommen ist, musste man dann irgendwann dahingehen, dass man das Ganze professionalisiert. Das ging nicht mehr aus der hohlen Hand. Autorin Adenauer war der erste, der sich bei unabhängigen Journalisten um sein Image bemühen musste. So lud er regelmäßig ausgewählte Medienvertreter zu informellen Hintergrundtreffen ein, "Teegespräche" genannt. Er importierte aus den USA die so genannten Whistle Stop Campaigns, bei denen er mit Journalisten mehrere Tage per Zug durch Deutschland tourte - von einer Kurzkundgebung zur nächsten. Atmo Autorin Reinemann hat bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass in der Medienberichterstattung 1953 durchaus mehr über das Auftreten, das Äußere und die Persönlichkeit der Kanzlerkandidaten berichtet wurde als etwa bei der Schröderwahl 1998. Schon damals verlangten Boulevardmedien nach biografischen, anekdotischen Informationen über den Kanzler. Ein Bedürfnis, erinnert sich der Journalist Mainhardt Graf von Nayhauß, dem auch Willy Brandt gerne nachkam: O-Ton Die Erklärung dafür ist, dass Willy Brandt ja selbst Journalist war. Er kannte das Handwerk und er wusste auch um die Nöte und Bedürfnisse von Journalisten. Ich war mit Fotograf mit ihm unterwegs nach Washington und da war auch seine Frau mit und wir machten eine Geschichte also wie Ruth Brandt da ankommt. Und dazu mussten wir auch ins Gästehaus des amerikanischen Präsidenten: das Blair House - grundsätzlich damals wie heute verboten für Journalisten. Und als wir das Problem dem Kanzler vortrugen, hat der kurzerhand veranlasst, dass die ihn begleitenden Sicherheitsbeamten uns ihre Anstecknadeln rausrücken mussten, die wir dann kriegten, so dass wir dann aussahen, wie als Journalisten verkleidete Sicherheitsbeamten. Autorin Willy Brandt war auch der erste, der zu so genannten Fernsehduellen aufrief. Damals lehnten die Kanzler immer ab. Heute ist diese Form des politischen Schlagabtauschs, den sich Kanzler und Kanzlerkandidat kurz vor den Wahlen zur Primetime auf ARD, ZDF, Sat1 und RTL liefern, mit mehr als 15 Millionen Zuschauern die exponierteste politische Fernsehsendung überhaupt. Und das Paradebeispiel für die Personalisierung der Politik. O-Ton Also im Prinzip sind diese Fernsehduelle in Deutschland ja etwas Systemfremdes. Wir haben eigentlich ein Mehrparteiensystem und es ist ziemlich widersinnig, dass man sich da zwei Leute für so ein riesiges inszeniertes Event rauspickt. Das entspricht auch einer generellen Tendenz, die manche als Eventisierung bezeichnen. Autorin ...meint der Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinmann. Atmo aus dem Duell Autorin Importiert wurde auch dieses Fernsehformat aus den USA. Hier kam es 1960 zur ersten amerikanischen Fernsehdebatte zwischen den Präsidentschaftskadidaten Nixon und Kennedy. Im Nachhinein wurde das kränkliche Aussehen von Nixon verantwortlich gemacht für dessen Niederlage gegen den sonnengebräunten Kennedy. Heute gehört "the debate" längst zum festen Bestandteil des US- amerikanischen Wahlkampfes. Carsten Reinemann untersucht seit 2002 die Fernsehduelle auf die Frage hin, womit die Politiker in Deutschland am meisten punkten. O-Ton Wer in solchen Duellen gewinnt, das ist natürlich von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Es hängt immer davon ab, wer eigentlich vorne liegt in solchen Wahlkämpfen. Weil es schon so ist, dass die meisten Leute eigentlich die Kandidaten vorne sehen, denen sie sich sowieso verbunden fühlen. Was man sehen kann aus den Studien, die wir gemacht haben, ist, dass überraschenderweise das Visuelle spielt eigentlich nicht so ne große Rolle wie man das immer annimmt -das, was die Kandidaten sagen, ist viel wichtiger. Nun kann man die Frage stellen, was von dem Gesagten ist eigentlich erfolgversprechend? Und da ist es leider so, dass die Zuschauer nicht so sehr unterscheiden, ob das jetzt eigentlich eine Plattitüde ist, die sich einfach nur gut anhört - darauf reagieren sie positiv - oder ob das wirklich ein konkreter Vorschlag ist. Das heißt wenn man es überspitzt formuliert: mit emotionalisierten Gemeinplätzen kann man da eigentlich ganz gute Punkte setzen. Autorin Emotionalität ist allerdings eine Eigenschaft, an der es den beiden derzeitigen Kontrahenten mangelt. Auch SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier versucht sich deshalb im Moment privater zu präsentieren, als er es gewöhnlicher Weise tut. Überschwänglich feierten er und seine Frau Elke Büdenbender in der "Bunten" ihre glückliche Ehe. Die Leser erfahren, dass Steinmeier auch als Außenminister morgens noch frische Brötchen holen geht und nachts auch mal Löcher für ein neues Möbelstück seiner Tochter in die Wand bohrt. Will man noch mehr über den Kanzlerkandidaten erfahren, kommt man nicht umhin einen Blick in das Anfang des Jahres erschienene Buch "Mein Deutschland" zu werfen. Eine Mischung aus Autobiografie und programmatischem Entwurf, die der Journalist Thomas E. Schmidt als Ghostwriter in aller Eile für den Kandidaten Steinmeier zusammenschusterte. O-Ton Das Manuskript musste innerhalb von fünf Monaten entstehen, wir konnten nicht anfangen zu arbeiten, bevor nicht die Frage der Kanzlerkandidatur innerhalb der SPD entschieden war. Und dann war auch klar, dass das Buch nicht erst im Herbst kurz vor den Wahlen erscheinen durfte, sondern noch in die Frühjahrsproduktion musste. Von Anfang an war mit der Kanzlerkandidatur von Steinmeier der Frage verbunden, wer er eigentlich sei. Steinmeier hat viele Jahre in der zweiten Reihe gut gearbeitet. Das heißt man hat da einen ziemlich gut vorbereiteten Politprofi auf der anderen Seite, im Sinne von Medienansprüchen an die Kanzlerkandidatur einen relativ Unbekannten präsentiert. Das heißt das Bedürfnis der Medien, etwas über diesen Mann zu wissen, musste sehr früh kommen und das Beste und Kompakteste für den Charakter Steinmeier war in der Tat ein Buch. Autorin Während Politikerautobiografien früher erst nach dem Abschied vom Amt geschrieben wurden, sozusagen als Entzugsmaßnahme, ist es heute gar nicht unüblich, sie als Wahlkampfinstrument einzusetzen. Geradezu paradigmatisch führte das Joschka Fischer 2002 mit seiner Diät-Biografie "Mein langer Lauf zu mir selbst" vor. Und der kurz vor der Kandidatenkür abservierte Kurt Beck hatte im letzten Jahr schon seine Autobiografie fertig. Stellt sich die Frage: Was bringt so ein Buch im schnelllebigen digitalen Medienzeitalter? Während Barack Obamas autobiografische Auslassungen sogar zu Bestsellern außerhalb der USA wurden - sind sie hierzulande eher Ladenhüter. Thomas E. Schmidt meint, sie eigneten sich vor allem als Quellen für Journalisten: O-Ton Politikerbücher sind keine Bestseller das kann man sagen sie haben aber einen enormen Multiplikationsfaktor - das ist Quelle für Steinmeierauslegung. Also die Bedeutung von solchen Büchern ist als Reproduktionsfaktor viel größer denn als Auflage. Die öffentliche Person Steinmeier über ein solches Medium zusammenzusetzen, das ist viel effizienter, als wenn man immer über ne Wahlkampfmaschinen wiederholt- so ist unser Steinmeier und so soll er auch aussehen. Es ist tatsächlich auch authentischer. Autorin Das Rezept scheint aufzugehen: Kein Steinmeier-Portrait kommt heute ohne den Verweis auf seine Kindheit im lippischen Brakelsiek aus. Eine ärmliche Gegend, zwischen dem Teutoburger Wald und dem Weserbergland, wo man Steinmeier noch als "den Frank" kennt. Das Buch zeichnet die Geschichte eines klassischen Aufsteigers, der es dank sozialdemokratischer Bildungspolitik schaffte, als eines der wenigen Kinder aus seiner Umgebung ins Gymnasium zu gehen. Bildung spielt in der Geschichte Steinmeiers eine große Rolle, ebenso wie Fußball und die Figur eines IG-Metall Bevollmächtigten. O-Ton Für einen SPD Kandidaten ist das eine Steilvorlage, wenn Sie so wollen, weil tatsächlich ein Schema sich reproduziert wie bei Schröder, dass jemand, der aus kleinen Verhältnissen kommt, durch Schulbildung, durch Universität es tatsächlich schafft, Fuß zu fassen in der Politik und in entscheidende Funktionen rückt. Und das dann auch gut macht. Autorin Dank seiner Autobiografie wird Steinmeier nun als SPD-Mann aus Fleisch und Blut wahrgenommen. Und dazu noch als Sympathieträger, der zwar zielstrebig aber doch bescheiden herüber kommt. Ein bodenständiger Typ, der - wie er selbst schreibt - mit "PR-Schauspiel" nichts zu tun haben will. Thomas E. Schmidt meint, der entscheidende Punkt sei, dass PR eben nicht als "Schauspiel" auftreten dürfe. Der Protagonist müsse immer authentisch bleiben - und da helfe die Bodenhaftung durch eine Autobiografie. O-Ton Steinmeier ist kein Obama, aber es zeigt sich, dass man da auch einen spezifischen Steinmeier Ton finden muss, der seine Persönlichkeit darstellt. Und dieser Sound, wenn man ihn dann in Schriftform transponiert, ist dann vielleicht das entscheidende Merkmal, dass die Leute sagen: hier ist was Echtes - sehr reflektiert, westfälisch zurückgenommen, aber sehr warmherzig, extrem kommunikativ, aber auch sehr selbstbewusst. Autorin Den zu ihm passenden Sound hat Steinmeier durchaus gefunden. Da haben seine vielen PR Berater ganze Arbeit geleistet. Doch in zählbare Erfolge konnte das bisher noch nicht umgemünzt werden. Die Wahlprognosen sehen ihn weit abgeschlagen. "Beraten und verkauft" titelte der Spiegel einen Artikel über das knappe Dutzend Experten, das an Steinmeiers Image bastelt. Eigentlich hat Steinmeier alles richtig gemacht, folgt man der Ansicht Michael Sprengs, dass es externe Beratung sei, die Deutschlands politischem Spitzenpersonal fehle. Doch manchmal hilft die beste Beratung nichts, wie Spreng treffend analysiert: O-Ton Bei Steinmeier gilt die alte Fußballerweisheit: erst hat er kein Glück und dann kam Pech dazu. Es sind ja viele Inszenierungen schief gegangen. Die Inszenierung des Kompetenzteams ist schief gegangen wegen der Dienstwagenaffäre von Ulla Schmidt. Die Inszenierung seines Deutschlandplans ist schief gegangen, weil er den Fehler gemacht hat, die Zahl von 4 Millionen zu nennen und daran aufgehängt wurde. Und es gab permanent ein Agendacutting. Das Kompetenzteam war nicht an erster Stelle der Fernsehnachrichten, weil an dem Tag der Anschlag auf Mallorca war. Und der Bericht über den Deutschlandplan war nicht an erster Stelle in den Fernsehnachrichten weil an dem Tag Schreiber ausgeliefert wurde. Bestes Beispiel für bei Steinmeier für eine grandiose Fehlplanung war der geplante Auftritt bei Anne Will am Abend der Europawahl. Das sollte ja ein fulminanter Auftakt für den Bundestagswahlkampf werden. Jetzt hat aber die SPD verloren bei der Europawahl, weil aber der Termin schon vereinbart war, war er dann natürlich völlig kontraproduktiv. Denn er hat sich dort eine Stunde als völliger Loser präsentieren müssen. Es wäre besser gewesen, der Termin wäre nie ausgemacht worden. Da hat er schlechte Berater gehabt. Autorin So ist das mit den Stylisten der Macht. Auch wenn sie jedes noch so winzige Detail kontrollieren wollen, das Weltgeschehen und die politische Großwetterlage entziehen sich ihrem Einfluss. Vielleicht ist dieser ja ohnehin kleiner, als sie es selbst oder die Politiker wahrhaben wollen. Spr. vom Dienst Die Stylisten der Macht Wie Politik im Zeitalter der Mediendemokratie inszeniert wird Von Katja Bigalke Es sprach: die Autorin Ton: Inge Görgner Regie: Rita Höhne Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1