COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport Die ''Berliner Republik'' - Beobachtungen ausländischer Korrespondenten 13.12.11 Autoren: Stefan May Redaktion: Claus-Stephan Rehfeld Script Ablaufplan M 01 ErkMu REGIE Musik kurz frei & unter Sprecher legen MOD Die "Berliner Republik". Beobachtungen ausländischer Korrespondenten. Am Mikrofon begrüßt Sie Claus Stephan Rehfeld. REGIE Musik kurz frei & unter Moderator weg MOD Als im Herbst 1999 Parlament und Regierung nach Berlin übersiedelten, da ward sie ausgerufen: Die Berliner Republik. Man war sich einig, dass nun eine neue politische Epoche für Deutschland begonnen haben. Doch hat nach der Weimarer und der Bonner Republik tatsächlich eine neue Zeitrechnung in der Politik, in dder Gesellschaft, im Lande begonnen? Oder anders beäugt : Steckt mehr hinter dem diffusen Begriff einer "Berliner Republik" oder setzt die Politik mittlerweile ganz andere Gemarkungen? Stefan May, ein österreichischer Kollege, nahm sich des Themas an. LR Berliner Republik / May - 19'00" Sprecher: Als 1991 der Umzug des deutschen Parlaments und der Regierung von Bonn nach Berlin beschlossen wurde, war das Wort von der "Berliner Republik" in aller Munde. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands sollte nun eine neue Epoche anbrechen, richtungsweisend und von größerer Dauerhaftigkeit als die der beiden Vorgängerrepubliken: Der Weimarer Republik und der erst im Nachhinein so genannten Bonner Republik, also jener Zeit der Bundesrepublik Deutschland, als sie von der Kleinstadt am Rhein aus administriert wurde. Zehn Jahre später folgte der tatsächliche Umzug. Noch einmal hatte das Schlagwort Konjunktur. Obwohl sich so mancher Politiker von Gewicht noch aus Bonn dagegen stemmte: Etwa Altkanzler Helmuth Kohl: OT 1 (DZ019404) Das würde ja bedeuten, dass hier ein Abschluss stattfindet. Wir gehen ja mit der gleichen Verfassung, mit der gleichen Vorstellung von Politik, wir gehen mit der gleichen Vorstellung, wie wir unsere Bundesrepublik gestalten wollen, von hier nach Berlin. Es soll ja nicht eine Zäsur gemacht werden, indem die Grundsätze, die Prinzipien der Ordnung aufgegeben werden. Und wenn man jetzt sagen würde "Bonner Republik, Berliner Republik", würde das womöglich so aussehen, dass jetzt etwas Neues entsteht. Es entsteht eine Fortentwicklung der ersten 50 Jahre, und die zweiten 50 Jahre werden mit Sicherheit sehr stark von Berlin geprägt sein. Sprecher: Und auch der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder war in seiner Regierungserklärung anlässlich der Reichstagseröffnung eifrig bemüht, die "Berliner Republik" nicht Eingang in den politischen Wortschatz finden zu lassen. OT 2 (DZ147951) Wie immer man diesem Begriff gegenüber steht, was immer man damit anfangen will, selbstverständlich werden wir hier auch in Berlin die Bundesrepublik Deutschland sein und bleiben. Und noch eines wird bleiben: Die Probleme und die Aufgaben nehmen wir mit, wenn wir von Bonn nach Berlin umziehen. Sprecher: Damit war die Sprachregelung klar - und so versank das Schlagwort bald im Staub des politischen Alltags. Deutschland blieb aber weiterhin im Fokus des internationalen Interesses: 400 Journalisten sind im Verein der ausländischen Presse in Deutschland organisiert, der sein Büro in der Hauptstadt hat. Einige von ihnen haben noch aus Bonn bErikhtet, viele aber kennen den Gegenstand ihrer Arbeit nicht anders als im Zustand der Administration von Berlin aus. Sie hasten von Termin zu Termin, recherchieren, interviewen, analysieren - doch von der "Berliner Republik" spricht heute kaum jemand. Weil er damals ein politisch notwendiger Begriff war, der nun ausgedient hat, vermutet die Vorsitzende des Vereins der Auslandspresse und Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung "Der Standard", Birgit Baumann. OT 3 (Baumann, Cut 2, 1,54-2,37) Eigentlich hat keiner genau gewusst, was es ist, aber ich denke, man wollte sich dadurch abgrenzen, wollte sagen, das ist jetzt was ganz Neues, was da kommt. Also wir ziehen nach Berlin, weil man hat ja doch Angst gehabt, wenn jetzt die deutsche Hauptstadt wieder Berlin ist, dass das an Zeiten anknüpft, ja, die man also nicht mehr erleben möchte. Und diese Betonung Republik, auch erstens das demokratische Element und auch das immer wieder zu betonen, um darauf hinzuweisen, das wird jetzt was Neues, was anderes. Ich glaube, mittlerweile ist dieser Begriff aber wieder verloren gegangen, weil es ist mittlerweile so normal, dass Berlin Hauptstadt ist, dass das gar nichts Besonderes mehr ist. Sprecher: Einer, der die Zeit davor noch kennt, ist Erik Kirschbaum, der für die US-Agentur Reuters schreibt. Er war schon in der Bonner Republik dabei, die er als stabil und zuverlässig in Erinnerung hat: OT 4 (Kirschbaum, Cut 4, 1,46-2,05, 2,14-2,29) Bonn war auf jeden Fall schläfrig, am Wochenende oder zu Weihnachtszeiten war das Regierungsviertel so gut wie ausgestorben, da war kaum ein Mensch zu finden auf der Straße in Bonn, da am Wochenende, aber in Berlin ist es nicht so am Wochenende. In Berlin ist immer noch was los. Es hat sich viel geändert. In Bonn war die Arbeitszeit etwas geregelter, es gab weniger Überraschungen spät am Abend oder in der Nacht, In Berlin kann immer irgendwas passieren. Ja, das Gewicht Deutschlands ist viel größer geworden, jetzt. Sprecher: Ich treffe Erik Kerschbaum in einem gläsernen Besprechungszimmer auf der Empore über einem Saal mit 80- Reuters-Mitarbeitern hinter Bildschirmen und Telefonen. Die Agentur hat sich in einem langgestreckten Ziegelgebäude in Berlin-Mitte, am Schiffbauerdamm, nahe dem Zentrum der Macht, angesiedelt: Mehrere Medien haben hier ihre Adresse. Am Eingang des Grundstücks, gleich neben dem Bürgersteig, steht ein Podest mit einem Kamerastativ. Immer wieder kommt jemand von den im Haus eingemieteten Fernsehfirmen und macht einen so genannten Aufsager, mit dem Reichstag im Hintergrund: Hier klopft der Puls der "Berliner Republik" sicht- und spürbar. Obwohl Erik Kirschbaum mit dem Begriff wenig anfangen kann, weil es nicht vom einen Tag auf den anderen eine andere Republik in Deutschland gegeben habe: OT 5 (Kirschbaum, Cut 4, 3,32-3,38) Die Berliner Republik ist wahrscheinlich die Erfindung von einem Journalist, schönes Schlagwort. Sprecher: Für den Finnen Risto Tähtinen bedeutet das Wort von der "Berliner Republik" aber eine Zäsur. Er hat als Korrespondent der Zeitung Turun Sanomat bereits aus Bonn bErikhtet: OT 6 (Tähtinen, Cut 7, 3,18- 4,03, 4,12-4,49) Ich finde diesen Begriff eigentlich nicht schlecht, aber das ist wieder Ergebnis von Wiedervereinigung. Also das wiedervereinigte Deutschland ist leider nicht gleiche wie alte Westdeutschland. In der Zeit Adenauer und Kohl zum Beispiel deutsche Außenpolitik war ganz mit Westalliierten, Westbündnis gebunden und Herren haben große, große Aufmerksamkeit gemacht, dass Deutschland nicht aus dem westlichen Bündnis irgendwie ausscheidet oder etwas anderes macht als die anderen. Deutschland war berechenbar. Aber Berliner Republik jetzt, zuerst auch in der Zeit von Schröder und Fischer und jetzt auch in der Zeit von Merkel und seine Außenminister: Die Lage ist ganz anders. Also, keiner kann wissen, was Deutschland in EU oder in UN oder in anderen internationalen Gremien stimmt. Deutschland versucht eigene Linie zu ziehen, aber keiner weiß, was diese Linie ist. Sprecher: Ein wenig scheint Tähtinens Herz noch an Bonn zu hängen, wenn er die beiden Städte vergleicht. Vielleicht liegt das daran, dass ihn das Schicksal Bonns an seine Heimatstadt Turku erinnert: OT 7 (Tähtinen, Cut 7, 0,52-1,22, 13, 58-14,23) Das ist nicht mehr klein Dorf, wo alle eigentlich miteinander gekannt haben, wo gemütlich war und Weinberge da und so weiter. Hier ist ganz andere Klima, wir sind 60 Kilometer aus polnischen Grenze, und auch geografisch, das ist ganz anders, also wenn man guckt aus Bonn die Welt, das ist etwas anderes als aus Berlin geguckt. In Finnland haben wir gleiche Situation: Turku war früher Hauptstadt, und jetzt ist Helsinki Hauptstadt, und für die Turkuer, sie sind stolz ehemalige Hauptstädtler wenigstens zu sein, und wenn eine Hauptstadt in einer kleineren Stadt ist, das sieht man, das spürt man, das ist im Stadtbild mehr als in solchen Großstadt. Sprecher: Bonn selbst scheint sich von seiner bedeutungsvollen Vergangenheit nur ungern trennen zu wollen: Eine Fahrt mit der U-Bahn wird zur Zeitreise unter der Stadt. Die Stationen mit Rundungen und Popfarben im Stil der 70er Jahre tragen noch hartnäckig Namen wie Auswärtiges Amt. Andere Haltestellen in Bonn heißen Innenministerium oder Bundeskanzlerplatz. In Sichtweite zum heutigen deutschen Machtzentrum in Berlin, den Parlamentsbauten und dem Reichstag, liegt der großzügige Neubau der Bundespressekonferenz. In der hellen Aula treffe ich im Café am breiten Treppenaufgang zum Konferenzsaal den japanischen Kollegen Masao Fukumoto. Er hat schon zwischen 1985 und der Wende für das japanische Fernsehen aus Deutschland berichtet, allerdings damals aus Ostberlin. Auch für ihn ist das Wort der "Berliner Republik" aus der historischen Situation zu verstehen: OT 8 (Fukumoto, Cut 5, 1,20-1,40) Ich weiß, dass man damals auch noch davor Angst hatte, Berlin irgendwie mehr Macht zu bekommen wie in der Nazizeit, sag ich mal so. Aber wenn ich mal die Entwicklung sehe, man braucht nichts zu befürchten. Sprecher: Somit erging es der "Berliner Republik" wie anderen Modewörtern, etwa dem vom "Wutbürger", das nach der Volksabstimmung in Baden-Württemberg entzaubert wurde: Klopft man diese Worte auf ihren Gehalt ab, fallen sie in sich zusammen wie von warmer Luft aufgequollener Hefeteig. Weil Masao Fukumoto schon vor der Wende in Berlin arbeitete, erlebte er auch den Wandel, den die Stadt während jener Jahre gemacht hatte, als sie zum Namensgeber für eine neue deutsche Zeitrechnung wurde. Ein Wandel, der aber nicht die Bezeichnung "Berliner Republik" rechtfertigen würde. OT 9 (Fukumoto, Cut 5, 6,45-7,34) In der DDR-Ära war die Hauptstadt Berlin für fast alle DDR-Bürger irgendwie die Zentrale, die politische Zentrale. Aber gleich nach der Vereinigung ist Berlin plötzlich eine Provinzstadt geworden. Von der Mentalität her, von der Form, ist Berlin eine Großstadt geworden: Westberlin, Ostberlin zusammen, aber von der Mentalität her, insbesondere von der Mentalität von Westberlinern, war provinziell. Aber dazwischen glaube ich, von der Mentalität her, ist Berlin irgendwie eine Großstadt und eine Weltstadt geworden. Sprecher: Den Wandel in Berlin aufgrund seiner politischen Bedeutung erkennen auch Fukumotos Kollegin Baumann aus Österreich und Erik Kirschbaum aus den USA: OT 10 (Baumann, Cut 2, 10,42-11,14/Kirschbaum, Cut 4, 7,07-7,7,15, 7,32-7,46) Ich persönlich wohne im Bezirk Tiergarten, in Moabit, das ist an der Strecke vom Flughafen herein. Und jede Woche ist irgendwas gesperrt, weil permanent Staatsbesuche kommen, also man kommt da gar nicht aus. Klar, wenn ich irgendwo am Rand wohne, in Neukölln, dann kriege ich das nicht so mit, aber wenn man halbwegs zentral wohnt und wieder einmal den Verkehrsstau hat, dann kriegt man es ganz deutlich vor Augen geführt: Wir sind hier Regierungssitz und Deutschland ist ein globaler Player, und da kommen eben oft Staatsbesuche, und da kommt auch mal Obama vorbei. Es gibt schon spießige Ecken und spießige Leute in Berlin und Leute, die das wollen nicht wahrhaben. Aber es setzt sich immer mehr durch, dass Berlin die Hauptstadt ist. Und als ich zuerst nach Berlin kam in ´93 fand ich es irgendwie schrecklich hier, die Leute waren so kleinbürgerlich irgendwie, die haben nur ihre eigene Teller geguckt. Aber inzwischen ist Berlin schon mehr eine Weltmetropole geworden. Sprecher: In einem sind sich alle vier Deutschland-Korrespondenten einig: In Berlin wird anders Politik gemacht als in Bonn. Um wie viel anders das politische Leben in Berlin als in ihrer Heimat abläuft, das erfahren sie Tag für Tag bei ihrer Arbeit. Birgit Baumann zieht den Vergleich zu ihrer Heimat Österreich: OT 11 (Baumann, Cut 2, 0,59-1,22, 0,29-0,45) Ich finde das Niveau der Bundestagsdebatten eindeutig höher als im österreichischen Parlament. Das sagen auch immer wieder Besucher, die hierher kommen, das sagen durchaus auch Politiker aus Österreich, die hierher kommen. Es ist nicht so untergriffig wie im Wiener Parlament. Es funktioniert zum Teil schneller, habe ich oft den Eindruck, die Konkurrenz ist größer, dadurch, dass es so viel mehr Zeitungen gibt und dass es einfach zwei große öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten gibt. Sprecher: Je größer, umso unpersönlicher, heißt es - gilt der Umkehrschluss: je kleiner das Land, umso persönlicher wird man? Fast hat es den Anschein. Risto Tähtinen bestätigt dies für Finnland, aber im positiven Sinn: OT 12 (Tähtinen, Cut 7, 10,13- 10,56, 9,41-10,01) Alle Journalisten haben in der Handy gespeichert alle Handys von allen Ministern. Du kannst in jedem Moment alle Minister anrufen und fragen: Was denkst du? Und sagen: Herr Doktor, wäre es möglich irgendwo fragen, was sie über diese Sache denken, wenn sie etwas äußern möchten? Also diese Offenheit ist ganz anders. Natürlich Gesellschaft ist klein, 5 Millionen versus 80 Millionen und so weiter, aber Tradition ist auch mehr, dass Politiker müssen sagen, was sie denken und sie müssen viel mal offener sein als hier in Deutschland. Finnische Politik ist vielleicht etwas pragmatischer und nicht so ideologisch. Ja, deutsche Politik ist auch nicht ideologisch, aber sie versuchen ideologisch zu sein, aber sie haben keine Ideologie. Aber Finnen geben diese offen an und machen nur praktische Lösungen. Sprecher: Für Erik Kirschbaum aus den USA liegt der Unterschied hingegen in der Art, wie hierzulande Journalismus gemacht wird: OT 13 (Kirschbaum, Cut 4, 4,45-5,31) In Deutschland fällt mir oft auf, wie viele Journalisten wissen, was sie nicht bErikhten. In Amerika habe ich das Gefühl, wenn ein Journalist was weiß, dann wird bErikhtet. Diese ganzen Hintergrundkreise hier in Deutschland, diese Art und Weise, wie Information so durchsickert, finde ich erstaunlich, es ist schwer, das zu verstehen, aber auf der anderen Seite sieht man, es hat vielleicht seine Vorteile: Politiker können ihre Ideen lancieren oder trial balloons machen. Aber es ist ganz anders, die Journalisten in Amerika sind nicht so, glaube ich, eng mit den Politikern verbunden, und es ist mehr eine adress serial relationship, kein freundschaftliches Verhältnis wie hier. Sprecher: Auch Masao Fukumoto hat in Berlin einen anderen Journalismus kennengelernt als daheim in Japan. OT 14 (Fukumoto, Cut 5, 11,30-11,35, 11,40-12,00, 12,13-12,58) In Japan ist es wesentlich hektischer. Wenn man als Journalist etwa in Tokio zum Beispiel arbeiten möchte, muss man immer in Hektik arbeiten und so weiter, und so weiter. Und auch noch von der Zentrale immer gesteuert, aber hier hat man mehr Freiheit und braucht man nicht so hektisch zu arbeiten. Wenn man in Europa ist, für japanische Journalisten ist europäische Zentrale in London. Man sieht alles von London aus. Was im europäischen Kontinent passiert ist, wird es aus der Sicht von London gesehen. Das finde ich nicht so gut. Sprecher: Ebenso sieht Fukumoto im parlamentarischen Alltag Deutschlands große Unterschiede zu daheim: OT 15 (Fukumoto, Cut 5, 9,02-9,53) Wenn man dann für Politiker einem Stresstest unterzieht, dann fallen bis zu 90 Prozent der japanischen Abgeordneten durch. Die Politiker in Japan sind eigentlich Laienpolitiker. Sie haben fast keine Fachkompetenz, Fachkenntnisse auch haben sie nicht. Aber wenn ich mal die deutschen Politiker beobachte, haben sie viel Fachkompetenz, auch noch Fachkenntnisse, das ist sehr großer Unterschied. Und deshalb werden die japanischen Politiker überwiegend von der Bürokratie gesteuert und delegiert. Sprecher: Ob "Berliner Republik", neue alte Bundesrepublik oder einfach Deutschland heute: Die Korrespondenten fühlen sich wohl in diesem Berlin, das zur Hauptstadt geworden ist - vielleicht gar nicht so freiwillig, wie Risto Tähtinen von Turun Sanomat vermutet: OT 16 (Tähtinen, Cut 7, 13,26-13,37, 13,45-13,53) In Berlin sieht man Hauptstadt sehr wenig, wenn man guckt, es gibt einige öffentliche Gebäude, die zeigt, das ist Hauptstadt, es gibt Botschaften und so weiter, aber es ist beinahe egal für Berliner, sind sie Hauptstadt oder nicht. Sprecher: Birgit Baumann vom österreichischen Standard beurteilt das Hauptstadtgefühl der Berliner hingegen differenziert: OT 17 (Baumann, Cut 2, 11,33-12,08, Cut 3, 0,4- 0,22, 1,04-1,24, 1,52-2,14) Ich kenne persönlich welche, die sagen, ja, nein, das ist schon toll, und wenn man einmal durch dieses Regierungsviertel geht, das hat sich ja so gemausert. Und die sagen dann alle: Ah, wie das früher ausgeschaut hat und fürchterlich. Und dieser tolle neue Hauptbahnhof, und das war die letzte Drecksstation, dieser Lehrter Bahnhof noch, vor dem Osten, und jetzt ist alles so schön. Also es gibt durchaus welche, die da schon drauf stolz sind. Aber ich glaube, es gibt auch jede Menge, die sagen so das typisch Berlinerische: Na und? Es ist halt die Regierung da, das stört uns nicht, wir waren vorher da, und das geht uns sowieso nichts an. Ich glaub´, es gab auch viele Ressentiments gegenüber Berlin oder sagen wir so, viele Vorurteile, ja wie wird´s denn dort sein? Früher sagte man ja so scherzhaft: Westberlin ist die Psychiatrie von Deutschland, und Kreuzberg die geschlossene Abteilung. Ich glaub´, es hat früher schon so einen Mythos Berlin gegeben, und viele Leute sind da gar nicht so einfach hierhergekommen. Die waren in ihren Bundesländern, und es war beschwerlich, man musste da über die Transitstrecke fahren und mochte auch nicht jeder. Und ich glaube, dass viele schon erst einmal neugierig waren, wie ist dieses Berlin, aber durchaus auch skeptisch waren. Berlin ist absolut akzeptiert heute als Hauptstadt, das ist keine Frage mehr, an dieser Entscheidung gibt´s nichts mehr zu rütteln. Im Gegenteil, man überlegt ja jetzt immer wieder, soll man nicht doch endlich alle Ministerien hier herauf verlegen, was ja auch Sinn machen würde. Weg zurück gibt es sowieso keinen, und es ist wirklich akzeptiert, auch bei den anderen Bundesländern. Sprecher: Ähnlich Erik Kirschbaum von Reuters, der meint, dass Berlin eine würdige Hauptstadt ist. Nicht nur das: Eine Weltmetropole. Und dass die Berliner stolz auf ihre Stadt sind. OT 18 (Kirschbaum, Cut 4, 8,12 -8,41) Nicht so wie Bonn, ich glaube Bonn war stolzer, dass die die Hauptstadt waren, es heißt immer noch Bundesstadt Bonn, glaube ich, und in Berlin nimmt die das für selbstverständlich, dass die die Hauptstadt sind. Was fehlt natürlich in Berlin, ist die Wirtschaft. Die Wirtschaft ging nach dem Krieg weg, und es ist, glaube ich, noch nicht so in dem Maße zurückgekommen, wie manche hoffen. Aber es ist auf jeden Fall eine Hauptstadt, eine politische Hauptstadt. Und es wird immer wichtiger, das kann man schon spüren, jedes Jahr wird Berlin eine wichtigere Hauptstadt in Europa. Sprecher: Wichtiger - ja. Aber vielleicht sind die Bewohner noch nicht gar so weltstädtisch, meint Masao Fukumoto vom japanischen Fernsehen: OT 19 (Fukumoto, Cut 5, 7,38-7,50, 7,54-7,58) Noch nicht ganz. Im Vergleich mit Großstädten wie Paris oder London und Tokio - noch nicht ganz. Aber von der Mentalität her ist man in Berlin, ich glaube, sehr freier. Für mich: Ja, für mich: ja. Viel besser als in Tokio. Sprecher: Dass Bonn heute noch Hauptstadt wäre, kann er sich nicht vorstellen. Und auch er ist dafür, dass die restlichen Ministerien nach Berlin übersiedeln. So, wie es sein Kollege Kirschbaum formuliert: OT 20 (Kirschbaum, Cut 4, 3,58-4,24) Es sind immer noch einige Ministerien in Bonn und so, aber die geraten irgendwie fast in Vergessenheit und in Bedeutungslosigkeit in Bonn. Die Musik spielt in Berlin, und das spürt man mehr. Jedes Jahr spürt man mehr und mehr, dass alles in Berlin stattfindet. Die BND kommt auch nach Berlin demnächst, es kommt allmählich eine etwas verspätete Konzentration in Berlin. Sprecher: Das mag es sein: dieser selbstverständliche Prozess, in dem sich die Hauptstadt ausformt, immer mehr Fäden in Berlin zusammenlaufen - eine Entwicklung, die Deutschland auf natürliche und gleichsam selbstverständliche Weise vollzieht, sodass es programmatischer Markierungspunkte wie dem einer "Berliner Republik" gar nicht mehr bedarf -ENDE Beitrag- MOD Die "Berliner Republik". Beobachtungen ausländischer Korrespondenten. Stefan May, ein Kollege aus Österreich, trug die Bestandsaufnahme zusammen. Morgen dann im Länderreport ab 13.07 Uhr : Remstal, mal ohne Idylle. Was auf einen Anschlag gegen Ausländer folgte? Am Mikrofon verabschiedete sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung-