COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Eis und Aida auf Schalke Ein Fußball-Tempel als Mehrzweckhalle Musik 1: Arie von Aida eine Weile freistehen lassen, Kreuzblende in: Atmo 1: Zimmermannsgeräusche, Hämmern, Bohren MD 2:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: 1. O-Ton: 1. Arbeiter 17:00:00 Wir machen die Glasscheiben, also für den Schießstand, die Panzergläser, die eben halt zum Schutz haben, dass die Menschen hier nicht zu Schaden kommen. Musik 1: Arie von Aida eine Weile freistehen lassen, mit der Atmo weiter folgend unterlegen: Sprecher: Die Arena auf Schalke. Ändert mal wieder ihr Gesamtbild. 2. O-Ton: 1. Arbeiter 17:00:25 Das // sind dreischichtige Gläser mit jeweils zwei Folien zwischen, und die sind eben beschuss-sicher zu nem bestimmten Grade oder für Kleinkaliber auf jeden Fall genügend. // (01:31) Da müsste einer schon 20 oder 40 Mal in das gleiche Loch schießen, aber das ist ja unmöglich, das geht gar nicht. Sprecher: Ein Kran hebt die gepanzerten Gläser auf die Balustrade an der Nordkurve. Die Biathleten wollen sich wie jedes Jahr auf Schalke austoben. Also ist wieder Umbauzeit, zwischen den Events, zwischen Schnee, Eis und Aida, zwischen Gott und der Welt. Musik + Atmo Kreuzblende in: Musik 2: Orgelmusik, Gesänge MD, 14:01:35 einen Moment freistehen lassen, folgend weiter unterlegen: 3. O-Ton: Pastor Filthaus 35:03:00 Es ist jetzt hier dargestellt im Grunde der Kampf, der in der Arena ist um den Ball, hier ist so dargestellt der Kampf, der innere, die inneren Entscheidungen, man kommt durch ein Kreuz eben in diesen Raum hinein, wird dann weitergeführt von der Dunkelheit zur Helle - Musik harter Schnitt Atmo 1: Zimmermannsgeräusche, Hämmern, Bohren MD 2:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: 4. O-Ton: Frank Hübner MD 2:04:20 Der von der Polizei kommt noch, der letztendlich die Unterschrift für die Schießstandgenehmigung geben muss, und dann gucken wir schon mal, ob die Scheiben so stehen, wie die Jahre vorher, damit die Zuschauer in dem Bereich nicht gefährdet wird, weil ja in die Richtung geschossen wird. Sprecher: Frank Hübner läuft soeben über nackten Boden. Normalerweise liegt der Rasen dort. Hübner ist speziell für den Schießstand verantwortlich. Routiniert schaut er zu, wie einige Arbeiter die Panzergläser hoch hinauf bis fast unters Dach schaffen. 5. O-Ton: Frank Hübner MD 2:04:50 Da ist normalerweise Gastronomie in dem Bereich, // da muss ne Holzverkleidung hin, damit, falls da oben einer hinschießt, damit das nicht dadurch gehen kann, // Autor: Damit die Kellner nicht beschossen werden. Und für mich ist halt wichtig, dass die Scheiben stehen, dass wir tatsächlich auch diesen Schießstand, diese 30 Meter Breite und die 50 Meter Länge, dass das passt, damit wir das entsprechend auch hier reinkriegen. Sprecher: Ein paar Handwerker wuseln am Stadionboden herum, verlegen Euro-Paletten und vernageln sie mit Spanplatten. Seit einigen Tagen ist man schon zugange, und als erstes gilt: Der Rasen muss verschwinden, irgendwie. 6. O-Ton: Thorsten Kramer 12:03:35 Wir haben jetzt erst mal angefangen, wie gesagt, klar, auch wieder wie immer den Rasen rausgefahren, das wurde direkt nach dem Fußballspiel gemacht, genau - Sprecher: Thorsten Kramer, Assistent der Geschäftsführung der Stadion- Betriebsgesellschaft, und als solcher immer dann in Verantwortung, wenn die Arena umgekrempelt wird. Kramer lehnt dick eingepackt in Wintermontur an einem Stapel Paletten und sieht sich im Zeitplan. 7. O-Ton: Thorsten Kramer 12:03:50 Wenn man zum Beispiel sieht, die Nordtribüne, die jetzt hinter Ihnen steht so, die ist normalerweise bei Fußballspielen ist die immer, sind das Stehplätze, und wie Sie jetzt sehen, sind da schon jede Menge Stühle drin, das heißt, wir haben zum Biathlon, // das geht ja schon morgens um 11 Uhr los, und hört dann auf mit der Apres-Ski-Party um 22 Uhr, // und deswegen haben wir halt eben // die komplette Nordkurve bestuhlt. Zumindest den Teil, der bestuhlbar ist, weil der Rest ist gehört ja zum Schießstand- Bereich, und da sieht man jetzt diese schönen Tannenbäume, die da stehen. Sprecher: Circa 2.000 Bäume sieht man aufgereiht, die meisten in besagter Nordkurve über dem Schießplatz. Sie ersetzen dort die Zuschauer, die ja nun einmal nicht beschossen werden dürfen. Unten wird an der Loipe gefeilt und gehämmert. 8. O-Ton: Thorsten Kramer 12:04:53 Genau, richtig. Also wir haben einmal die Strecke, wo dann der Kunstschnee drauf gebaut wird, und in den Freiflächen, dort wo kein Schnee liegt, bauen wir hier diese Paletten auf, darüber kommt dann weißer Teppich, um das Ganze halt eben so aussehen zu lassen, als wäre der komplette Innenraum mit Schnee, ist halt eben sag ich mal, ein optischer Trick um Kosten zu sparen, wobei wir hier immerhin auch über circa 7.000 qm Teppich reden. Sprecher: Weißer Filz wird soeben unterhalb der Nordkurve auf die Spanplatten verlegt. Dazwischen verläuft später die kunstschneeberieselte Loipe, die sich vor der Hauptribüne über die Brücke schwingt, ganz wie im richtigen Biathlon-Leben. 9. O-Ton: Thorsten Kramer 12:05:25 Wo die Athleten, wenn sie durch den Tunnel wieder in die Arena reinkommen und von den Menschen begrüßt werden, dann halt eben über diese Brücke rüberfahren, damit die Leute nochmal ganz nah die Athleten von vorne sehen können, bevor sie dann halt eben in diese Kurve einbiegen zum Schießstand, und ist auch ne Sache, die auch sehr zeitintensiv ist, diese Brücke zu bauen. Atmo Kreuzblende in: Musik 2: Orgelmusik, Gesänge MD, 14:01:35 einen Moment freistehen lassen, folgend weiter unterlegen: Sprecher: Hier auf Schalke werden ständig Bühnen und Brücken gebaut. Für Robbie Williams, für die Oper, und in den Katakomben baut Pastor Norbert Filthaus eine Brücke zu Gott. Dazu braucht er kein Werkzeug und keinen Kunstschnee, sondern nur eine kleine Kapelle, die unscheinbar direkt unter dem Pressekonferenzraum liegt. Während oben die Trainer Plattitüden von sich geben, geht man hier handfeste Verträge ein. 10. O-Ton: Pastor Filthaus 35:00:55 Seit 2001 ungefähr // 700 Taufen sind hier gewesen, 150 Trauungen, dazu Ehejubiläen, Silberhochzeiten, Goldene Hochzeit, und es sind immer Menschen, die jetzt etwas, eine kirchliche Handlung wollen, aber eben zugleich auch Anhänger von Schalke sind, Schalke-Fans, und diese Kombination ist für viele etwas ganz Tolles. Und die kommen in der Regel mit großer Begeisterung, mit sehr viel Emotionen, - Sprecher: Aber nicht so, wie man sich das vorstellt: Hier braucht man zur Emotion weder Tröten noch Schlachtengesänge. Zwar taucht auch der Pastor zunächst mit blau- weißem Anorak auf, den er dann aber gegen ein branchen-übliches, schwarzes Ornat eintauscht. Man rühmt sich, neben der Nou-Camp-Arena in Barcelona und dem Berliner Olympiastadion die einzige Kapelle zu haben. Alles erscheint in hellem Grau, die Vereinsfarben bleiben außen vor. Es tritt auf ein Hochzeitspaar aus Bielefeld mitsamt Gästen, etwa 50 an der Zahl, die soeben aus einem Restaurant weiter oben eintrudeln. Man setzt sich hin und hält den Ball flach. Musik 3: Orgelmusik, Baby quakt, kurze Ansprache des Pastors 13:00:00 - // 14:00:45 Gott sei mit uns, mit uns allen in dieser einzigartigen Stunde eures Lebens. wieder Orgelmusik, folgend weiter unterlegen: Sprecher: Wie viele Olafs mögen hier getauft worden sein, oder Stans oder Huubs, und wenn Schalke dann doch einmal Meister wird in den nächsten Jahren, werden alle Felix heißen. Doch nicht nur Fans finden, weiß Gott, den Weg hierher. 11. O-Ton: Pastor Filthaus 35:02:15 Die Kapelle liegt natürlich hier direkt am Spielfeld, das heißt an Spieltagen ist sie nicht öffentlich zugänglich, aber für die Spieler und Betreuer wird die Kapelle dann geöffnet, und die können dann zumindest vielleicht von dem Spiel so einen Moment der Ruhe noch finden, ich weiß, dass manche Spieler haben das gemacht oder auch Trainer, die diesen Raum dazu also etwas dazu auch nutzen, etwa so zur Ruhe zu kommen. Sprecher: Man rätselt, wer das gewesen sein könnte? Lucio im Jesus-Trikot, immer wenn die Bayern aufliefen? Effenberg oder Basler eher nicht, Magath spielt lieber Schach, vielleicht Manuel Neuer, den manche als Fußballgott verehren. Filthaus predigt vor dem kleinen Altar, hinter dem ein Gemälde mit elf Aposteln die Rückwand bildet. Auch hier also geht die Kirche auf die Besonderheiten des Fußballs ein. 12. O-Ton: Pastor Filthaus 35:03:00 Elf sind es hier, die kirchliche Zahl ist zwölf, der Pfarrer, der davor steht, ist dann der zwölfte Mann, und damit ist die Zahl der Jünger wieder komplett. // Der Pfarrer, der den Dienst hat, komplettiert das dann und der, der dann die Botschaft jetzt aktuell verkündet, ist der zwölfte. Sprecher: Nicht allen wird das aufgefallen sein. Man übt sich in Demut sowie in Vorfreude, auf den Vollzug der Ehe und die anschließende Feier, wenn es dann wieder aufwärts an die Zapfanlagen des Restaurants geht, während der Innenraum der Arena weiter umgekrempelt wird. Musik Kreuzblende in: Atmo 2: Kühlkellermotoren summen MD, 20:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Doch zunächst geht es noch tiefer in den Keller. 13. O-Ton: Dieter Schmidt MD 19:00:02 Also hier sind wir in einem unserer vier Kühlzentren, wo unser Tankbier lagert, wir sehen hier, beziehungsweise der geneigte Radiohörer sieht`s natürlich nicht, aber wir stehen hier vor großen Fässern, 18 Stück je 1.000 Liter und insgesamt haben wir eine Lagerkapazität von 52.000 Litern hier in der Arena, und von hier aus werden alle Hähne // in den Hospitality-Bereichen mit frischem Veltins (überpiepsen) versorgt. Sprecher: Dieter Schmidt. Geschäftsführer der Cateringgesellschaft von Schalke 04. Von hier unten aus zweigen über sechs Kilometer so genannte Pythonleitungen in alle möglichen Richtungen und zu allen möglichen Zapfanlagen in den so genannten Hospitality-Bereichen. Angeliefert wird das Zeug nicht etwa in Fässern, sondern eher so wie Heizöl. 14. O-Ton: Dieter Schmidt MD 19:00:02 Also es kommt ein großer Tanklastzug, der hier andockt, und von dort aus wird dann das Bier in die Tausend-Liter- Tanks eingefüllt. Atmo Kreuzblende in: Musik 1: Arie von Aida eine Weile freistehen lassen, Kreuzblende in: Sprecher: Überhaupt scheint man im Cateringbereich nach dem Motto think big zu handeln. Warum auch nicht, wenn in der Regel 50.000 oder 60.000 Zuschauer nicht nur verfolgen wollen, wie zu Aida die Ägypter über den linken Flügel auf die Äthiopier einstürmen, sondern auch etwas für das leibliche Wohl tun wollen, während unten das Gemetzel seinen Lauf nimmt. Musik noch einmal hochziehen, weiter folgend unterlegen: Dann hockt Dieter Schmidt in seinem Büro mit Blick auf die Reste des alten Parkstadions und verlässt sich darauf, dass alles geregelt ist. Er schreitet nur ein, wenn etwas aus dem Ruder läuft. Der Mann hat Autorität, das spürt man, wenn er dann doch durch die Gänge schleicht und seine Angestellten überrascht. Musik ausblenden 15. O-Ton: Dieter Schmidt MD 16:00:01 Hier sind wir in der kalten Küche, einer von drei Küchen, die wir hier in der // Arena haben, hier in der kalten Küche wird, wie der Name schon sagt, alles das vorbereitet, produziert, was an Vorspeisen, Desserts, Salaten übern Eventtag benötigt werden, da reden wir von circa 2 - 2,5 Tonnen an Lebensmitteln, die nur hier in der kalten Küche verarbeitet werden. Insgesamt verarbeiten wir // circa sechs Tonnen an frischen Lebensmitteln. Atmo 3: Außengeräusche, Zuschauer steigen die Treppen hinauf MD 15:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Etwa auf halber Höhe der Arena befinden sich außer auf der Südtribüne rund herum Event-Logen und Incentive-Boxen, was immer das heißen mag. Das sind kleine Schachteln für 10 - 20 Personen mit eigener Bewirtung im Rückraum. Man muss nur mit der Hand winken und verpasst keinesfalls, wenn die äthiopischen Krieger zu Aida in den Staub sinken. Hier und in den Fluren dahinter tragen selbst die Ordner Krawatte, keinesfalls blau-weiß, sondern seriös-schwarz. Man kommt sich vor wie in den Wandelgängen eines 5-Sterne- Hotels. Schalke kann auch dezent. 16. O-Ton: Dieter Schmidt MD 16:02:33 Die Event-Logen werden üblicherweise an Firmen vermietet, und die haben ihre Gäste eingeladen, welche eben sich ein Spiel anschauen können, // üblicherweise haben wir ja Gott sei Dank ausverkauft, aber es kann sich jeder ne Karte kaufen, für die Hospitality-Bereiche, sei es für die Event- Logen, // bei den Hospitality-Bereichen kommt`s drauf an, wo Sie sitzen, aber so circa 250 Euro. Sprecher: Dafür kann man sich ans Brevier heften, einmal im Leben in einem Event-Bereich gesessen zu haben, der nach einem unvergessenen Spieler oder einem unvergessenen Sponsoren benannt ist. Die Sicht aufs Spielfeld ist die gleiche wie knapp ober- oder unterhalb der Box, nur die Wege zur Bierleitung sind kürzer. 17. O-Ton: Dieter Schmidt MD 21:01:10 Incentive-Boxen wird pro Spieltag einzeln vermarktet, im Gegensatz zu den Namenslogen, wo wir hier in einer sind, die üblicherweise mindestens für drei Jahre verkauft werden. Normalerweise auch für fünf. // In den Incentive-Boxen kann man auch unter der Woche kann man Tagungen machen, Geburtstagsfeiern, Hochzeiten, Meetings, die werden auch übers gesamte Jahr hinweg vermietet. // Wir haben übers Jahr gesehen circa 600, 650 Veranstaltungen, außerhalb von Großveranstaltungen. // Schröder war hier beim Treffen mit dem polnischen Präsidenten, // also vom Kanzler über die Kanzlerin waren sie schon alle hier bei uns. Sprecher: Vermutlich hat Schröder mit Putin im Blauen Salon ausgehandelt, dass man direkt neben die Bierleitung auch eine Gaspipeline legen könnte, um das Stadion zu beheizen und den Rasen. Apropos Rasen, wo ist der eigentlich geblieben? Atmo ausblenden 18. O-Ton: Thorsten Kramer 13:00:03 Die Rasenfahrt dauert ungefähr sechs Stunden, das liegt letztendlich daran, dass halt eben diese Gummimatten, die verdecken die Schienen, auf denen der Rasen fährt. Sprecher: Wir stehen mit Thorsten Kramer hinter der Südtribüne und äugen über den Rasen, der da schneebedeckt vor uns in einer Wanne liegt, gewissermaßen geparkt ist, bis er wieder gebraucht wird. Und wir brauchen eine Weile, bis wir kapiert haben, dass das gesamte Fußballfeld immer in dieser Wanne liegt und in ihr bei Bedarf rein- und rausgefahren wird. 19. O-Ton: Thorsten Kramer 13:00:13 Und bevor der Rasen natürlich in die Halle jetzt fahren könnte, müssen sie sich vorstellen, müssen diese Gummimatten ja erstmal mit nem bisschen Manpower eben halt alle zur Seite gelegt werden, um die Schienen frei zu machen. Das sind so Teflonschienen, die müssen dann noch eingölt werden, damit es richtig schön flutscht, und deswegen dauert`s dementsprechend lange. // Und wenn man genau daneben steht, dann sieht man, also nimmt es kaum wahr, dass er sich überhaupt bewegt. Sprecher: Zuvor aber werden die Rolltore unterhalb der Südtribüne hochgezogen, damit das ganze Ding darunter herfahren kann. 20. O-Ton: Thorsten Kramer 14:00:02 Der Rasen liegt in der Wanne drin, und die komplette Wanne wird halt eben dann in die Arena reingedrückt, und diese Hydraulikstützen, die können dann nach oben geklappt werden, damit der Rasen dann unter der Südtribüne in die Arena rein gefahren werden kann. Sprecher: Will sagen: Das Stadiongerüst muss auf dieser Seite einfach die Beine hochnehmen. Wie überhaupt die Südtribüne ihre Besonderheiten hat. 21. O-Ton: Thorsten Kramer 12:06:22 Die Südtribüne selber könnte man noch 16 Meter nach draußen fahren. Das macht man letztendlich dann, wenn wir zum Beispiel ein Konzert haben mit ner Kopfbühne, um dann letztlich noch mehr Platz im Innenraum zu schaffen. Atmo 1: Zimmermannsgeräusche, Hämmern, Bohren MD 2:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Nun aber ist Biathlon angesagt, und da brauchen die Athleten Platz im Innenraum, wo immer noch an der Brücke und am Schießstand gewerkelt wird, und an der Loipe, die wiederum Schnee braucht. Draußen liegt welcher, aber der wird nicht reichen. 22. O-Ton: Thorsten Kramer 15:00:03 Also wir verwenden hier circa 3.000 Kubikmeter Kunstschnee, die aus der Skihalle in Neuss kommt. // Die werden auch ab September werden die schon in der Skihalle vorproduziert, werden dann in riesengroßen Kühlhäusern gelagert und kommen dann // mit mehreren Transportern hierhin, und dann wird die Strecke dann aufbereitet. Atmo Kreuzblende in: Atmo 4: bayerischer Akkordeonspieler im Innenraum 21:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Tage darauf ist alles anders. Der Naturschnee ist verschwunden, und die Loipe liegt unter frischem Kunstschnee. In weitem Bogen zieht sie sich von der Südtribüne um den geparkten Rasen herum, am Winterdorf mit all seinen Buden vorbei und schlängelt sich durch den Tunnel wieder in die Arena zurück. Dort füllt sich allmählich das Stadion, ein Akkordeonspieler heizt die Stimmung an. Eine der wenigen Gelegenheiten, zu denen Bayern hier ungeschoren aufspielen dürfen. Atmo noch einmal kurz hochziehen, im folgenden Text allmählich ausblenden Das Volk verteilt sich über das Gelände, schart sich um die Zapfhähne der Kioske, glüht im Winterdorf vor oder irrt in den Katakomben herum. 23. O-Ton: Frau 25:00:00 Autor: Wie finden Sie das hier? Hammergeil. // Die ganze Atmosphäre, die Leute sind locker drauf. // Autor: Und Sie haben schon vorgeglüht? Ja ein wenig. // Ich mag Schnee, ich mag die Leute, weil die hammergeil gut drauf sind. // Ich hab die Karte gewonnen bei der Neuen Westfälischen, und eine Karte hat en Wert von 99 Euro, und ich freue mich super da drauf, dass ich durch die Verlosung also endlich mal dran teilnehmen kann. Weil ich es finanziell bisher nicht wahrnehmen konnte, an so einem Event teilzunehmen. Atmo 3: Außengeräusche, Zuschauer steigen die Treppen hinauf, Stimmen MD 15:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Daraus lernen wir wiederum, dass ein Event auf Schalke nicht gerade billig ist, aber wiederum so populär, dass man die Hütte allemal vollkriegt. Für manche ist Schalke selbst das Event. Ein Saarländer ist extra mit seinem Sohn angereist und steht staunend an der Loipe. 24. O-Ton: Saarländer über Musik 23:00:02 Geil. einfach nur geil. Tolle Stimmung, einfach phantastisch. // Wir sind eigentlich jetzt hier zum Biathlon das erste Mal. Aber in der Arena jetzt das zweite Mal, weil wir waren zum Stock-Car-Rennen waren wir hier gewesen vom Stefan Raab, und war auch schon toll gewesen, und halt das noch das Tüpfelchen auf dem I. Sprecher: So viel Euphorie verlangt einfach nach Provokation. Am besten kann man das auf Schalke mit dem Hinweis, dass die FIFA unlängst das Stadion in Dortmund zur attraktivsten Fußballarena gekürt hat. Und am besten fragt man das ein paar Glühweinselige im Winterdorf. 25. O-Ton: Fans 28:01:10 Autor: Jetzt hat aber die FIFA gesagt. Dortmund hat das weltbeste Stadion. - Ja, das kann man nehmen, wie man will, trotzdem sind wir besser. // - Wie, was war mit Dortmund? // Nee, // ich war mal in Dortmund, das für mich en Betonbunker. // - Das ist en Zeckentempel und bleibt en Zeckentempel. // - Die haben vielleicht en größeres Stadion, aber wir sind die besseren Fans. // - Die geilsten Fans. Hahaha. - Okay, guten Rutsch woll. Sprecher: Also rutschen wir hinüber ins Stadion, um das Vorprogramm zu verfolgen. Der Moderator hat nach dem Prominentenrennen irgendeinen Ex-Fußballer mit seinem Schießpartner am Mikrofon. Atmo ausblenden 26. O-Ton: Moderator + Ex-Schalker 19:00:30 Ich bin Schalker, und wir wollen immer erster werden, und deswegen haben wir beide uns gedacht, wir geben heute alles. // Deswegen habe ich mir den Gewehrkolben schön ins Gesicht gehauen, aber ich dachte mir, Blut muss fließen, Hauptsache wir gewinnen irgendwie. Atmo 5: Schießen, Zuschauer jubeln, Moderator moderiert 33:00:07 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Beim Juniorenrennen hat man probehalber zum ersten Mal mit Laserstrahl geschossen, und überlegt, das im nächsten Jahr generell so zu halten. Denn dann kann man sich das Panzerglas sparen, niemand droht angeschossen zu werden und die Nordkurve kann gefüllt werden. Statt 50.000 dann also 60.000 Zuschauer, was wiederum die Kasse füllt. Atmo ausblenden In den Katakomben decken sich eingefleischte Fans mit Knappenkarten ein, mit denen sie umstandloser an Wust und Bier kommen können. Der wahre Fan ist bargeldlos und reicht seine Karte an einem der Schalter ein, wo sie ein älterer Herr hinter Plexiglas entgegennimmt. 27. O-Ton: Knappenkartenverkäufer 27:00:00 Ne Knappenkarte ist das Zahlungsmittel in der Arena. Ein Knappe ist gleich ein Euro, das wird halt so genannt, weil das hier aus Gelsenkirchen kommt, so die Knappen früher von der Zeche her gesehen als Arbeiterverein auch hier Schalke 04, ja, das ist prakisch die Währungseinheit oder Währungsmittel hier, ne, in der Arena. // Die Karte ist umsonst, wird nur der Betrag aufgeladen, ne, fünf Euro oder fünf Knappen gleich ist Minimum, und dann kann man nach oben hin bis hundertfünfzig Euro, ne. // Kann man auch jederzeit wieder abladen dann, //ne. Musik 1: Arie von Aida eine Weile freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Und so zieht der Schalker seine Knappenkarte bei allen möglichen Veranstaltungen, in der Halbzeit oder zwischen den Akten, wenn es Amonasro gerade gelungen ist, mit seiner Tochter Aida durch den Tunnel der nach hinten verschobenen Südtribüne zu entkommen, um im letzten Akt aus den Katakomben wieder aufzutauchen. Musik noch einmal hochziehen, weiter folgend unterlegen: Bei allem Lobgesang aber fällt auf, dass nicht wenige Veranstaltungen ins Wasser fallen. Das Spektakel Ben Hur ist nun zum zweiten Mal verschoben worden, der Veranstalter hat sich offensichtlich übernommen. Ebenso zeigt sich der Schlagerstar Michael Wendler unzufrieden und tritt vom Vertrag zurück, bevor er aufgetreten ist. Und der Verein selbst ist finanziell auch nicht gerade auf Rosen gebettet. Nichtsdestotrotz hält Thorsten Kramer die Multifunktionsarena für eine Erfolgsgeschichte. 28. O-Ton: Thorsten Kramer 12:01:02 Allein 2009 // hatten wir zwei Großkonzerte mit AC/DC und U2, den Boxkampf zwischen Vladimir Klitschko und Chagajew, mehrere kleinere Konzerte wie zum Beispiel die Schlagernacht, wobei immerhin auch fast 40.000 Leute da waren, was halt eben für ne Erstveranstaltung ne große Sache ist. Sprecher: Daher soll nun auch regelmäßig der Bär zur Schlagernacht steppen, aber vor allem steht das Eröffnungsspiel der Eishockey-Weltmeisterschaft an. Anfang Mai, wenn die Schalker dann wohl zum X-ten Male Vizemeister sind, fährt wieder der Rasen raus und Eis kommt rein. Und irgendwann sicher auch Sägemehl für Ben Hur oder der Staub, in den Aida und ihr Geliebter nicht sinken mögen. Musik ausblemden Nun aber liegt Schnee, und die Akteure ballern auf die Zielscheiben unterhalb der Nordkurve. Atmo 6: Schießen, Zuschauer jubeln, Moderator moderiert 32:00:07 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: 29. O-Ton: 1. Frau an der Loipe 20:00:37 Dass das Volk ja im Prinzip ja dabei richtig aufgeht und mitmacht und mitschießt, im Prinzip sind ja alle so richtig in Fahrt dabei, es ist, es törnt schon an, wenn man merkt, wie toll die, wie die Akteure schießen, also ist schon toll. Sprecher: In Dreierreihen steht das Volk draußen an der Loipe, dort, wo sie sich wieder in die Arena krümmt. Das Schießen verfolgt man über die vielen Monitore, die an jeder Ecke über dem Winterdorf hängen. 30. O-Ton: 2. Frau an der Loipe 31:01:38 - Warum wir draußen gucken? Die Stimmung ist einfach viel besser. Man ist näher dabei, (Anfeuerungsrufe) - Hautnah. Hautnah, ja. - Wir gucken, weil wir hier hautnah dabei sind zum Anfassen. Autor: Oder weil der Glühweinstand hautnah ist? - Nein. Neinnein. - Der auch. Der auch, hihihi. - Weil wir hier viel näher am Geschehen sind. An den Gewehren. An den Athleten und an den Skiern. Sprecher: Zwei älteren Herren mit glasigen Augen ist das alles viel zu nah. Sie haben sich an eine der vielen Theken zurückgezogen und trinken die Knappenkarte leer. Atmo ausblenden 31. O-Ton: zwei Herren 28:00:00 Autor: Sie haben mit Biathlon weniger am Hut oder? // - Wir waren schon oben im Stadion. Und wir haben jetzt gesagt, gehen wir ein bisschen hier unten gucken, // man muss ja alles mal gesehen haben. // Wir trinken uns gemütlich en Glühwein, // ne, hier ist en bisschen mehr Platz, die Sitze sind ziemlich eng da, wenn da oben so viel Leute sind, also ich würd mal sagen, im großen und ganzen alles super hier. // Alles gut organisiert toilettenmäßig, // auch jetzt hier in dem // Winterdorf hier, ne. Sprecher: Eine Hütte weiter wartet eine Gruppe eigentlich nur auf die Apres-Ski-Party und deren Zügellosigkeiten. 32. O-Ton: zwei Fans 32:02:00 - Also wir sind guter Dinge, dass jetzt hier gleich die ganzen Hütten auseinander fallen vor Feiern. Also wir sind guter Dinge. - So ab halb neun geht hier dann Apres Ski, dann richtig geht`s dann ab hier. Sprecher: Zeit zum provozieren: Da war doch was mit dem BVB und dem weltbesten Stadion. 33. O-Ton: Fans 32:02:30 (im Chor) Das langweilt uns, langweilt uns, langweilt uns! - Schalke ist natürlich datt beste Stadion im Ruhrgebiet. Also mehr müssen wir dazu nicht sagen. - Schalke ist das beste Stadion in Gelsenkirchen. Atmo 7: Fangesänge zum Fußballspiel MD, 22:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Szenenwechsel: Fußball wird auch gelegentlich gespielt, also fährt der Rasen mitsamt Wanne wieder rein. Dieter Schmidt waltet als Catering-Chef seines Amtes und überwacht die tonnenweise Verarbeitung von Lebensmitteln. Der Chefkoch hat sich auf den Gegner vorbereitet. 34. O-Ton: Chefkoch MD, 17:00:05 Wir passen die Gerichte immer den Spieltagen an, da wir heute den 1. FC Nürnberg als Gast haben, gibt`s natürlich auch Nürnberger Bratwürstchen, Fränkische Schäufle mit Bayerisch Kraut, // es gibt natürlich auch die Klassiker wie unsere Curry-Wurst //, aber wir versuchen eben halt für die Gäste dementsprechend auch ein bisschen aus der Region der Gastmannschaften // zu kochen. Sprecher: Das Stadion ist wie gewohnt voll besetzt bis unters Dach, das diesmal allerdings einen Sprung in der Schüssel hat. Ein etwa zehn mal zehn Meter großes Loch klafft über der Hauptribüne. Und prompt haben die Veranstalter von Ben Hur diesen Dachschaden als willkommenen Anlass genommen, das Spektakel neuerlich abzusagen und ihre finanziellen Probleme dahinter zu verbergen. Dem Fan ist das wurscht. Er will Schalke siegen sehen und in der Halbzeit seine Knappenkarte zücken im weiten Rund der Kioske und Kneipen, etwa der namens Laola. Atmo ausblenden 35. O-Ton: Dieter Schmidt MD, 18:00:05 Laola, das ist ein Hospitality-Bereich, unser größter zusammenhängender mit circa 1.600 Gästen und hat zwei Stunden vor Spiel bis circa zweieinhalb Stunden nach Spiel geöffnet. // Der ist immer voll, ja. // Wird sehr gut angenommen. Sprecher: Dieter Schmidt zieht wieder seine Runden durch die Wandelgänge im Rückraum und checkt seine Angestellten. 36. O-Ton: Dieter Schmidt MD, 21:00:05 Heute circa 700 Mitarbeiter, die bei uns hier in der Arena beschäftigt sind. // Also während einer Veranstaltung muss es laufen, da gibt`s also wenige Probleme, weil wir sind ja nun schon lang genug auf dem Markt, und das ist alles so weit bekannt, jeder weiß, was er zu tun hat, und das läuft auch sehr sehr gut. Sprecher: Das muss er natürlich sagen. Also checken wir noch einmal den Bierkeller. Dort fährt ein junger Mann mit feuchtem Lappen die Leitungen entlang. 37. O-Ton: junger Mann MD, 19:01:55 Ich bin jetzt zuständig für das Tanklager, dass datt sauber gemacht wird, // dass die Leitungen umgeschlagen werden, und datt Bier vernünftig nach de Kioske kommt. // Und dementsprechend tun wir ja auch hier die Anlage warten. // Ja. Routine. Atmo 7: Fangesänge zum Fußballspiel, "immer wieder S 04" MD, 22:00:00 einen Moment freistehen lassen, weiter folgend unterlegen: Sprecher: Währenddessen ist knapp über ihm das 1:0 gefallen, durch Kuranyi, aber das ist ja immer so, mithin ebenso Routine. Auf der Haupttribüne hocken die gestressten Presseleute in ihrer Box und formulieren in der Halbzeit den Spielbericht vor, indem sie die Tastatur ihrer Notebooks bearbeiten. Dabei könnten sie die Datei aus der Vorwoche nehmen. 1:0 für Schalke, Tor durch Kuranyi. Atmo Kreuzblende in. Musik 2: Orgelmusik, Gesänge MD, 14:01:35 einen Moment freistehen lassen, folgend weiter unterlegen: Sprecher: Am nächsten Samstagnachmittag steht es 1:1. Pastor Norbert Filthaus ist grade im Begriff, in der Kapelle die Trauung zu vollziehen. 38. O-Ton: Pastor Filthaus MD 14:00:05 Liebe Judith, lieber Christian, ihr habt euch die Kapelle der Arena auf Schalke ausgesucht, um einen Ort zu haben, an dem ihr eure Zusammengehörigkeit bestätigt und bekräftigt. Ihr geht von hier aus weiter unter Gottes Segen. Sprecher: Und da ja der echte Fan immer noch seine Laune an der Frau auslässt, vor allem, wenn es mal nicht so läuft, kann er auch das demnächst direkt in der Arena tun. Er kann sich scheiden lassen. 39. O-Ton: Pastor Filthaus 35:04:55 Also das gibt es offiziell noch nicht, aber es ist in der Tat durchaus eine ernsthafte Überlegung // ob man nicht auch Gottesdienste anbietet zur Beendigung von Partnerschaften, wenn Leute das ernsthaft wollen, also das ist durchaus so, sollte jemand auf mich zukommen und das ernsthaft wollen, könnte man darüber nachdenken, nur wenn jemand anschließend nen Borussen-Fan, en Dortmunder heiratet, dann würde ich die Scheidung verweigern. Musik ausblenden 40. O-Ton: Brautpaar 36:00:35 Autor: Ich habe gerade erfahren, Sie können sich theoretisch auch hier scheiden lassen. Mann: Nee, das wollen wir nicht. Hehehe. Frau: Nein, auf keinen Fall. Autor: Auch nicht, wenn Schalke absteigt? Mann: Nein nein nein. Und wenn sie in die Dritte gehen, dann gehen wir mit. Hehehe. Atmo 7: Fangesänge zum Fußballspiel: "immer wieder S 04" MD, 22:00:00 einen Moment freistehen lassen, dann Kreuzblende in: Musik 1: Arie von Aida eine Weile freistehen lassen, Kreuzblende in: Sprecher: Und so schließt sich der Kreis, wenn der Fan in unverbrüchlicher Treue in den Katakomben zu seiner Frau steht, am Samstag darauf zu seinem Verein und wenig später dann wieder Aida zum heißgeliebten Ramades hält. Auf Schalke lebt man allemal von Emotionen, egal ob auf dem Rasen, über Sägemehl oder auf Eis. Musik ausblenden Aida - Komponist: Verdi, Decca Records LTD, London, 1999, CD 1 - track 5, LC 0171, Länge 3:30. 11