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ATMO 1 (Rede Gysi) ... darf ich hier den Rest trinken? (vorsichtiges Gelächter) AUTOR Kurz nippt er an dem halbvollen Glas, das sein Vorredner auf dem Pult zurück gelassen hat. ATMO 1 (Rede Gysi) ... Immerhin. AUTOR Dann hält Gregor Gysi eine Rede, die sich ins Gedächtnis der Linken brennen wird. Eine Rede über den tiefen Riss, der durch die Partei geht. (ATMO 1 weg) TAKE 03 (Gysi) (Applaus) Es tut mir leid, aber eine bestimmte Kritik von Mitgliedern aus den alten Bundesländern erinnert mich an die westliche Arroganz bei der Vereinigung unseres Landes. Das darf es aber in unserer Partei nicht geben. (Applaus) TAKE 04 (Gysi) (Applaus) Was ist denn eigentlich so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind. Was ist denn eigentlich so schlimm daran, umgekehrt zu akzeptieren, dass wir im Westen eine Interessenpartei sind? Warum kann uns das nicht bereichern, warum geht es nicht zusammen? Ich will nicht begreifen, dass es uns spaltet. (Applaus) TAKE 05 (Gysi) Vieles führt in der politischen Kultur nicht zusammen. Es gibt Meinungsunterschiede. All das wäre nicht erheblich. Mit alledem müssten wir umgehen können. Aber in unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass. TAKE 06 A (Gysi) Dann wäre es sogar besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen. (Applaus) TAKE 06 B (Gysi) Eigentlich haben wir kein Recht, unsere Partei zu verspielen. (Applaus) AUTOR Anschließend spricht Oskar Lafontaine. Er tut Gysis Kritik am Zustand der Partei als "Befindlichkeiten" ab. Es gebe nur "einen Satz", dem er in Gysis Rede zustimmen könne: "Wir haben kein Recht, diese Linke zu verspielen!" Nur einen Satz also. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es nicht mehr zwischen den beiden Gründungsvätern der Partei ,die Linke'. Geräuschakzent AUTOR "Zwei Reden wie Donner, Blitz und Erdbeben zugleich" kommentierte die Süddeutsche Zeitung den Showdown in Göttingen. Die politischen Beobachter hatten schon lange mit einem solchen Knall gerechnet. Seit der Gründung der Partei 2007 hatte es gebrodelt. Damals waren ,Linkspartei. PDS' und WASG zur Partei ,die Linke' fusioniert. Hier die Volkspartei im Osten mit Politikanspruch, dort eine Gruppe frustrierter linker Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die sich vor allem über das Nein zur SPD definierte. Und gerade Gregor Gysi und Oskar Lafontaine hatten den Vereinigungsprozess vorangetrieben. Hatten dabei aber die Widersprüche der Partei immer wieder unter den Teppich gekehrt. Ein Jahr ist der Göttinger Parteitag nun her. Die Mitglieder der Bundestagsfraktion sind froh, dass es geknallt hat. Aber auch darüber, dass man sich zusammengerauft hat. Stefan Liebich, Ost, und Sabine Leidig, West. TAKE 07 (Liebich) Ich glaube, dass es wirklich dringend notwendig war, mal in dieser Klarheit zu sagen, was bei uns eigentlich los ist. Dass eine Partei, die nach außen Solidarität und Gerechtigkeit predigt, nicht in der Lage ist, das nach innen zu leben. Und der gewünschte Effekt ist doch eingetreten: man hat sich hier am Riemen gerissen, die Prioritäten sind anders gesetzt worden, ich würde jetzt lügen, wenn ich sage: alles ist Friede, Freude, Eierkuchen, aber man hat sich wieder mehr auf das konzentriert, wozu wir hier im Bundestag sind. TAKE 08 (Leidig) Im Moment ist es ein bisschen entspannt, weil natürlich die Konzentration ganz stark auf Wahlkampf und die nächste Fraktion gerichtet ist, also die großen Kämpfe sind ausgefochten und vielleicht auch ein bisschen ausgestanden oder ausgesessen, eher so ein bisschen gelangweilt. AUTOR Es ist Ruhe eingekehrt. Dafür verantwortlich vor allem die neue Parteispitze, die vor einem Jahr in Göttingen gewählt wurde. Bernd Riexinger, 57, Schwabe, Strömung: sozialistische Linke, und Katja Kipping, 35, Sächsin, Strömung: emanzipatorische Linke. TAKE 09 (Kipping) Ja, ich glaube, der Göttinger Parteitag war ein reinigendes Gewitter für unsere Partei. Und danach haben Bernd Riexinger und ich zusammen vorgelebt, dass man auch über unterschiedliche regionale Herkunft, über unterschiedliche Strömungsordnung hinweg einfach gut zusammenarbeiten kann. Vielleicht haben wir auch gelernt, manche Unterschiede mit Humor zu nehmen. In der Tat, das will ich hier auch mal transparent machen, es gibt in einigen Fragen immer noch tiefe Gräben: also dass Matthias Höhn, unser Bundeswahlkampfleiter, auf den FC Bayern setzt, das ist für mich vollkommen unverständlich, ich finde, beim Fußball, da muss man klar Partei beziehen, nämlich auf Seiten des Teams, was Bayern dicht auf den Fersen ist, und das sind gegenwärtig die Dortmunder. Deswegen schlägt beim Fußball mein Herz schwarz-gelb. Geräuschakzent ATMO (Treffen Basisorganisation) AUTOR Ortstermin im Kissingen-Kiez, Berlin-Pankow. Hier ist die Linke Volkspartei. Hier ist sie tief verankert im Bewusstsein der Bevölkerung. Auf alle Fälle bei den Älteren. Bei denen, die erst in der SED, dann in der PDS waren und heute ihren Mitgliedsbeitrag an die Linke zahlen. Einmal im Monat trifft sich die hiesige Basisorganisation, Durchschnittsalter 65 plus, in einem Ecklokal der parteinahen ,Volkssolidarität'. ATMO (Treffen BO 1) AUTOR 18 Genossinnen und Genossen stoßen mit einem Glas Rotkäppchen-Sekt an: eine aus ihrem Kreis ist 70 geworden. Die Jubilarin hat noch einen alten PDS-Briefbogen, im Hintergrund fiept irgendwo ein Hörgerät. Die Vorsitzende Christa Jentsch berichtet von der Bezirkswahlversammlung und davon, dass ihr der Artikel darüber im ,Neuen Deutschland' überhaupt nicht gefallen habe. ATMO (Treffen BO) Das ist nun unsere sozialistische Presse. Ich finde, so kann man eben keinen Wahlkampf machen für die Linke. AUTOR Neben ihr sitzt prominenter Besuch: Stefan Liebich. Bei der Bundestagswahl 2009 gewann er das Direktmandat für die Linke in Berlin-Pankow. 47.070 Erststimmen erzielte er, das waren 28,8 Prozent. Und auch bei den Zweitstimmen holte er 27,5 Prozent. Charmant lenkt er das Gespräch auf ein Thema in eigener Sache. Der Focus hatte über die Abstimmungsschwänzer im Bundestag berichtet und festgestellt, dass die Fraktion der Linken im Ranking vorn sei. TAKE 10 (Liebich/Jentsch) Die schlechte Nachricht ist, dass der Focus Recht hat. Der Focus berichtete ja, dass die Teilnahme der Abgeordneten an namentlichen Abstimmungen gering ist und dass wir dabei besonders negativ auffallen. Und das ist wirklich so. - Mit Abstand. ATMO (Treffen BO) AUTOR Es ginge nur oft nicht anders, rechtfertigt er sich, als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss nehme er zum Beispiel regelmäßig an den Tagungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE teil. Und die fänden häufig parallel zu den Sitzungen des Bundestages statt. TAKE 11 (Liebich) Das Bild ist also schlecht. Es kommt noch ein politisches Problem hinzu, und das ärgert mich auch, muss ich sagen: Wir sind ja eine Partei, die immer sehr darauf pocht, dass Parlamente nicht das alles Entscheidende sind. Dass die außerparlamentarische Bewegung wichtig ist, dass es Demonstrationen geben muss, und wir nehmen auch gern an allen möglichen Demonstrationen, Kundgebungen etc. teil. Das soll auch so sein. Das soll auch so bleiben, nur was ich meinen Kollegen immer versuche zu sagen ist: wir sind eine Partei von ungefähr 60.000 Mitgliedern. Und davon sind 75 Mitglieder unserer Fraktion im deutschen Bundestag. Und die haben eine Aufgabe, die nur sie wahrnehmen können. Nämlich im Bundestag sein. Deswegen finde ich es nicht richtig, wenn Bundestagsabgeordnete während der Bundestagssitzungen, wenn es nicht irgendetwas ganz dramatisches ist, bei irgendeiner Demonstration rumturnen. Weil das können dann die anderen 59.000 soundso Mitglieder machen. ATMO (Treffen BO) AUTOR Stefan Liebich ist 40, er gehört zum Reformflügel der Linken: Regierungsbeteiligung nicht ausgeschlossen. Ein Genosse fragt ihn, warum die Freigabe von Cannabis im Parteiprogramm stünde. Liebich weicht aus: er könne einen Fachmann aus der Fraktion zu dem Thema einladen. ,Der kann uns ooch nich überzeugen', ruft eine Genossin dazwischen. Schnell ist das Thema wieder vom Tisch. Am Ende appelliert die Vorsitzende der Basisorganisation, Stefan Liebich beim Kampf um das erneute Direktmandat tatkräftig zu unterstützen, und bestätigt so ganz nebenbei den Ost-West-Konflikt in ihrer Partei. TAKE 12 (Jentsch) Ja, ich sage immer: wir sind gewöhnt, mit zu gestalten. Im Osten. Das ist klar. Wir waren da in der Regierung, und selbst wenn wir nicht in der Regierung sind, in der Opposition sind. Und die möchten am liebsten draufhauen. Ganz einfach ausgedrückt. Die möchten am liebsten draufhauen. Ja, und so geht es eben nicht. In Niedersachsen, da sind sie auch wieder eingegangen: das ist ein typisches Beispiel, die sind einfach in der Bevölkerung nicht verankert, in den Kommunen, wir haben hier Bürgermeister und weiß ich was alles, Landräte, und das ist drüben: die reden eben viel, und ,Kapitalismus', ja? (lacht) Wird immer nur draufgehauen. Am liebsten würden sie jeden Tag nur Revolution machen, sag ich immer. Geräuschakzent TAKE 13 (Leidig) (lacht) Ja, da ist auch natürlich was dran, weil die Linke im Westen relativ wenig an den Füßen hat, um es mal ganz klar zu sagen. ATMO (Busfahrt innen) AUTOR Ortstermin Kassel und Umgebung. Sabine Leidig hat es sich in einem Bus bequem gemacht. Die Klimaanlage rauscht, hin und wieder rumpelt es kräftig. Es geht vier Tage durch Hessen und Thüringen. Ein paar Abgeordnete der Bundestagsfraktion der Linken wollen sich zum Thema ,Erneuerbare Energien und sozialökologischer Umbau der Gesellschaft' informieren. Sabine Leidig kam vor vier Jahren auf Listenplatz 1 der Hessischen Linken in den Bundestag. 8,5 Prozent der Zweitstimmen erzielte die Linke in Hessen und holte somit insgesamt vier Mandate. Angesichts der schlechten organisatorischen Verankerung ein sensationell anmutendes Ergebnis. TAKE 14 (Leidig) Wir haben also praktisch keine Betriebsgruppen, wir haben relativ wenig Erfahrung in Kommunalpolitik, was im Osten ganz anders ist, und es gibt relativ wenig Verankerung sonst in den gesellschaftlichen Organisationen, also vom Sportverein über die Kirchengemeinde, den Weltladen usw., was es halt so alles an zivilgesellschaftlichen Strukturen gibt. Also da wächst die Linke im Westen langsam hinein, sage ich mal optimistisch, aber das ist eine mühselige Angelegenheit. Und braucht mehr Zeit als fünf, sechs Jahre, älter ist die Linke ja noch nicht. ATMO (Busfahrt) AUTOR Sabine Leidig gehört keiner der Strömungen in der Partei an. Sie versteht sich als Bindeglied zwischen Partei und außerparlamentarischer Bewegung. Sie hat lange hauptamtlich für den Deutschen Gewerkschaftsbund gearbeitet, dann aber vor allem als Geschäftsführerin des Globalisierungskritischen Netzwerks ,attac'. Sabine Leidig sieht den innerparteilichen Konflikt gelassen. Eine Parteiformation links der SPD wird es immer geben, geben müssen. TAKE 15 (Leidig) Ich bin selbst sehr stark involviert in die ganze Post-Wachstumsdebatte und sozial- ökologische Transformation, und auf dem Feld ist ein Riesenbedarf, da entstehen neue gesellschaftliche Gruppierungen, Strömungen, Bewegungen, und es braucht da eine bündelnde Kraft, das ist vielleicht die Partei ,die Linke' so, wie sie jetzt ist, noch nicht, aber das kann sie werden, für mich sind Parteien kein Selbstzweck, sondern sie müssen die gesellschaftliche Entwicklung auf der Höhe der Zeit vorantreiben und wenn sie das nicht tun, dann müssen sie sich verändern, verschwinden, dann werden neue Formationen entstehen. Geräuschakzent AUTOR Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte die Linke 11,9 Prozent. Das ist das beste Ergebnis, das eine Partei links von der SPD in der Bundesrepublik jemals erzielen konnte. In aktuellen Umfragen pendelt die Linke seit Monaten nur noch zwischen 6 und 8 Prozent der Stimmen. - Ursachenforschung. Die Linke beschäftigt sich zu sehr mit sich selbst. Die Flügelkämpfe führen zu faulen Kompromissen. Thomas Kliche, Experte für Politische Psychologie von der Hochschule Magdeburg/Stendal. TAKE 16 (Kliche) Kurzfristig ist es so: Flügelkämpfe kosten Zeit, Aufmerksamkeit, psychische Energie, Gefühlsarbeit, man muss was aushalten, man muss was einstecken, man muss sich vorbereiten, man muss die Botschaften des Gegners doppelt lesen, nämlich erst als politische Stellungnahme und dann aber auch als irgendwas im Machtspiel, so eine kleine Taktik mal wieder, eine Intrige, die man durchschauen muss, das kostet alles ziemlich viel Energie. Aber langfristig schlagen sich solche Flügelkämpfe - wenn sie chronifizieren - nieder auf die Auslese des Führungspersonals. Und das ist meines Erachtens in der Linken seit zwei, drei Jahren massiv der Fall. Da werden nämlich Menschen nicht mehr danach ausgewählt, ob sie imstande sind, die gesamte Partei zu integrieren und zu führen, sondern danach, ob sie loyal einem bestimmten Standpunkt folgen, und entsprechend farblos und armselig ist das Ergebnis an der Spitze. AUTOR Beispiel: das Wahlkampfteam. Es besteht aus 8 Spitzenkandidatinnen und - kandidaten. AUTOR Hinzu kommt der Abwärtstrend im Westen. Wie sollen die großen Ziele der Partei mittel- und langfristig in konkrete Politik umgesetzt werden, wenn es auf Landesebene ständig Niederlagen setzt? In Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verpasste die Linke zuletzt den Wiedereinzug ins Parlament. Oskar Niedermayer, Politikprofessor an der Freien Universität Berlin. TAKE 18 (Niedermayer) Ein großes Problem ist die sehr bunte Zusammensetzung der westdeutschen Landesverbände mit auch sehr vielen Leuten, die es woanders zu nichts gebracht haben, die in irgendwelchen auch zuweilen obskuren Kleingruppen da waren und die sich eben alle gesammelt haben in den westdeutschen Landesverbänden, das sind eben nicht nur Landesverbände mit starken dominierenden Gewerkschaftsflügeln. Sondern eben auch sehr vielen anderen Leuten, wenn man ihre Art und Weise betrachtet, wie sie sich in den Parlamenten dann geben, kann man sie oft nur als eingeschränkt politikfähig bezeichnen, und das ist schon ein Problem mit diesen internen Querelen, so dass die Partei eben dadurch ein sehr schlechtes Image hat. Gerade bei den westdeutschen Wählern. TAKE 19 (Kipping) Ja, na gegen so einen Vorwurf, das werden Sie bestimmt verstehen, werde ich natürlich als Parteivorsitzende erst einmal alle Mitglieder verteidigen. AUTOR Sagt Katja Kipping. Aber wird es auf Dauer reichen, mantraartig auf das Alleinstellungsmerkmal der Linken zu verweisen? TAKE 20 (Kipping) Zu uns kommen vor allen Dingen Leute, die sich dafür einsetzen wollen, dass Hartz IV ersetzt wird durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die klar antimilitaristische Positionen haben, und das ist der Kitt, der uns zusammenhält. Es ist elementar notwendig für diese Gesellschaft, dass es in Ost wie West eine Partei gibt, wo man sein Kreuz machen kann, die wirklich konsequent gegen Kriegseinsätze und gegen Rüstungsexporte ist. Die wirklich konsequent für soziale Rechte sich einsetzt, jetzt hat man natürlich manchmal das Gefühl, bei SPD und Grünen in der Opposition, dass die rhetorisch auch deutlich Positionen der Linken aufgreifen. Und das zeigt mir noch mal, wie notwendig es ist, dass rot-grün und überhaupt alle anderen Parteien weiterhin von links konsequent Druck kriegen, und dafür stehen wir, nur wir: die Linke. AUTOR Die Partei ,die Linke' entstand als Reaktion auf die Agenda-Politik von Bundeskanzler Schröder. Das gab ihr Kraft. Der Charme des Neuen entfaltete eine eigene Dynamik. Damit ist es inzwischen vorbei. Trotz Kapitalismus- und Eurokrise steckt die Partei selbst in der Krise. Jonas Rugenstein vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. TAKE 21 (Rugenstein) Ein Grund ist sicherlich der, dass ja die Krise in Deutschland nicht so stark durchschlägt wie in anderen Ländern, wo Linksparteien auch viel mehr profitieren, ein anderer Grund ist der, ein sehr entscheidender, glaube ich, dass die Linke 2009 mit so etwas wie einem Vertrauensvorschuss ausgestattet wurde, dieser aber nicht eingehalten wurde. Dass die Erwartungen in die Linke einfach größer war 2009, die Erwartung, auch konkret etwas an der Situation zu verändern, vor allen Dingen in Hinsicht auf die Agendareformen noch was zu verändern, das aber nicht ganz eingelöst wurde. AUTOR Linke Kernthemen ziehen nicht mehr. Denn die Linke hat in den vergangenen Jahren nicht geliefert, konnte nicht liefern. Da geht es ihr nicht anders als der FDP. Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg/Stendal. TAKE 22 (Kliche) Wir haben erlebt, dass ein paar verrückte Spekulanten beinahe unser Wirtschaftssystem in Grund und Boden gestampft hätten, wir erleben, dass sozialer Ausgleich für den Weltfrieden immer wichtiger wird. Das sind eigentlich alles Themen der Linken. Und das einzige, was klar wird, ist, dass die Linke die Einnahmenseite des Staates deutlich erhöhen möchte, was ja immerhin auch programmatischer Ansatz ist, aber da leidet die Linke unter dem gleichen Problem, das andere Parteien am Rande des Spektrums auch haben: man kann ihnen ihre Kernthemen leicht wegnehmen. TAKE 23 (Niedermayer) Vor der Bundestagswahl 2009 haben etwa 15% der Leute gesagt, die Linke ist die Partei, bei der die soziale Gerechtigkeit am besten aufgehoben ist, heutzutage sind es knapp 10%. Das heißt: es ist um ein Drittel zurückgegangen, und die SPD gewinnt immer stärker in dieser Frage hinzu, und das bedeutet eben, dass es der Partei gar nichts nützt, wenn die Bürger eine Gerechtigkeitslücke fühlen, sie müssen der Partei eben auch zutrauen, diese zu schließen, und das tun sie nicht. Geräuschakzent TAKE 24 (Leidig/Aktivist) Gibt es denn was zu essen? (lacht) - Äh, bei dem vorherigen Termin gab es eben die kleinen Catering-Sachen, und richtiges Essen wird es erst heute Abend geben. ATMO 5 (Posieren für Foto) AUTOR Ortstermin Niestetal bei Kassel. Die kleine Parlamentariergruppe um Sabine Leidig unterbricht ihre Bustour für eine kurze öffentliche Aktion. Vor einer Woche ist bekannt geworden, dass der hiesige Solartechnik-Hersteller SMA bis zu 1.000 Arbeitsplätze abbauen will. Die örtlichen Genossinnen und Genossen haben Plakate vorbereitet, auf denen die Linke die Pläne anprangert. ATMO (Posieren für Foto) Solidarität mit den KollegInnen der SMA! Die Linke. ATMO (an der Straße) AUTOR Auf insgesamt 7 Tafeln verteilt sich der Text. Jeder der Genossen schnappt sich eine Tafel, dann stellen sie sich an einer großen Hauptstraße auf. Die Idee ist simpel: wenn die Ampel auf rot schaltet und die Autofahrer bremsen müssen, können sie Tafel für Tafel die politische Botschaft der Linken lesen. Hier und da gibt es Zustimmung. Sabine Leidig steht ganz vorne. Auf ihrer Tafel steht "Es ist doch absurd, oder?" Aktionen wie diese findet sie genauso wichtig wie ihre Arbeit im Parlament. TAKE 25 A (Leidig) Wenn ich in Stuttgart bei den Protestaktionen gegen Stuttgart 21 rede, dann fühle ich mich zuhause. Und ich werde auch so aufgenommen. Und es gibt niemanden von den Grünen, der dort so aufgenommen ist. Weil da die Glaubwürdigkeit schon ganz stark gelitten hat. Und das ist eigentlich aus meiner Sicht ein viel wichtigerer Punkt als die Frage, ob ein SPD-Kanzlerkandidat sagt: mit denen wollen wir oder mit denen wollen wir nicht, weil die Veränderungen entstehen aus der Gesellschaft und nicht aus den Parlamenten. Und das Dritte ist, dass wir schon Stachel im Fleisch der anderen Parteien sind. Wenn Anträge von uns eingebracht werden, selbst wenn sie abgelehnt werden, kommt dann halt vier Wochen später ein fast Wortgleicher Antrag, der von den Grünen oder der SPD eingebracht wird, und ich finde, Opposition ist ein demokratisches Pfund, das man nicht gering schätzen darf. ATMO (an der Straße) AUTOR Dafür bräuchte die Partei auch bei der kommenden Bundestagswahl den entsprechenden Wählerauftrag. Frank Habermann von der Linken in Kassel ist skeptisch. Das großartige Ergebnis von 2009 würden sie wohl nicht wiederholen können - damals hatte jeder neunte Kasselaner links gewählt. TAKE 26 (Habermann) Es wird schwierig. Weil: viele unserer Wähler leben in prekären Verhältnissen oder sind in Leiharbeitsverhältnisse gepresst worden wie hier zum Beispiel bei SMA, wo man zwar für gutes Geld als Leiharbeiter arbeitet, aber auch schnell wieder auf der Straße ist, genau wie die Auftragsspitzen sind, und das frustriert die Menschen, dass viele dann die Hoffnung überhaupt in die Politik aufgeben. Die gehen nicht mehr zur Wahl, ja. Wir wollen dem entgegen arbeiten, wir bieten auch praktische Hilfe an, also in Kassel gibt es zwei Mal die Woche eine Sozialberatung bei der Linken. ATMO (Akkordeon) AUTOR Ortstermin im Kunst- und Kulturzentrum Brotfabrik, Berlin-Pankow. Stefan Liebich hat seine Konkurrenten ums Direktmandat aus den anderen Parteien zur Podiumsdiskussion eingeladen. Der Raum ist überfüllt, knapp einhundert Zuschauer sind gekommen. Es gibt Laugengebäck und Akkordeonmusik - ,Brot, Pop und Politik' nennt Stefan Liebich seine Veranstaltung. TAKE 27 (Liebich) Die großen Entscheidungen über arm und reich, über links und rechts, über Krieg und Frieden, die werden im Bundestag getroffen, und deshalb wollte ich dahin, und deshalb habe ich gekämpft in den letzten Jahren, paar Sachen erreicht, ganz viele nicht erreicht, und deswegen will ich da auch noch mal hin. (zögerlicher Applaus) ATMO (Diskussion) AUTOR Selbstbewusst präsentiert er sich und seine linken Positionen. Wahlkampf macht Stefan Liebich sichtlich Spaß. Zumal die politischen Kontrahenten an diesem Abend so zahm sind, dass sie ihm auch die populistisch klingenden Botschaften der Linken unwidersprochen durchgehen lassen. TAKE 28 (Liebich) Unsere Partei ist, brutal formuliert, der Robin Hood der Parteienlandschaft, wir nehmen es den Reichen, wir geben es den Armen, (Gelächter) aber damit keiner Angst haben muss: wir machen das nicht mehr mit den Mitteln von Robin Hood, sondern wir haben einen neuen Weg gefunden: wir wollen einfach den Spitzensteuersatz einführen, der bei Helmut Kohl schon mal galt. Also 53 Prozent Spitzensteuersatz, dazu noch ne Millionärssteuer, dann können wir es uns auch leisten, 500 Euro Hartz IV-Regelsatz zu zahlen, das wollen wir machen. AUTOR Ein paar Tage später sitzt Stefan Liebich entspannt in seinem Bundestagsbüro. Neben dem Schreibtisch eine Staffelei, darauf ein Wahlplakat der Linken: eine Frau, die ihren Bizeps spannt. Es wirkt, als ob er sich auf weitere vier Jahre in der Opposition einrichtet. Dabei gehört Stefan Liebich zu einer Gruppe von Politikern aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken, die sich in der vergangenen Legislaturperiode regelmäßig getroffen haben, um rot-rot-grüne Bündnismöglichkeiten ihrer Partei auszuloten. ,Oslo'-Gruppe nennen sie sich - in Norwegen regiert schon seit vielen Jahren eine Mitte-Links-Koalition. TAKE 29 (Liebich) Ich bin ja jemand, der in dieser Stadt Berlin zehn Jahre lang an einer Regierungskoalition mitgearbeitet hat. Ich war Fraktionsvorsitzender und Landesvorsitzender, als wir die rot-rote Koalition gebildet haben, ich weiß sehr wohl, dass Regieren als kleinerer Partner viele Kompromisse bedeutet, dass man auch viele Enttäuschungen erzeugt, weil man eben nicht hundert Prozent dessen umsetzen kann, was man sich vorgenommen hat, aber ich bin fest davon überzeugt, dass man mehr erreichen kann. Und deswegen finde ich es auch auf Bundesebene richtig. Aber sie werden auch Leute in unserer Partei treffen, die sagen, als sozialistische Partei im Kapitalismus mit zu regieren, ist kein sinnvoller Weg. AUTOR Wie zum Beispiel Sabine Leidig. Im Vorgriff auf die kommende Bundestagswahl lehnt sie jegliche parteipolitischen Farbenspiele ab. TAKE 30 (Leidig) Um mitzuregieren, braucht es ne Stimmung, eine gesellschaftliche Stimmung, die den Weg für linke Projekte öffnet. Und es braucht natürlich Akteure in den anderen Parteien, die sich so ein Modell vorstellen können, und aktuell sehe ich da überhaupt keine Chance, weder mit einer SPD mit Steinbrück oder anderen, die nach wie vor zur Agenda 2010 stehen, noch mit den Grünen, da sehe ich gar nicht, wie da Platz ist für gesellschaftliche Alternativen, und damit müsste ne Verbindung hergestellt werden, sonst scheitern solche linken Regierungsprojekte von vornherein. TAKE 31 (Kipping) Die Debatte um Regierungsbeteiligung hat bei uns in den letzten Jahren einen enormen Fortschritt erlangt, weil: wir sind weg von einer sehr unproduktiven Debatte, die da heißt: ,wir wollen das um jeden Preis' oder ,nein, wir wollen das auf gar keinen Fall'. AUTOR Das ist auch ein Verdienst der neuen Parteispitze um Katja Kipping und Bernd Riexinger. Es darf wenigstens geredet werden über die Möglichkeit, mit der SPD auch auf Bundesebene zu koalieren. Zu Zeiten, als Oskar Lafontaine noch der starke Mann der Linken war, völlig undenkbar. TAKE 32 (Kipping) Wir diskutieren jetzt immer darüber: was sind rote Linien, die wir nicht überschreiten, und wir diskutieren darüber, was sind Sachen, die wir auf jeden Fall erreichen wollen. Also: wenn wir die Möglichkeit hätten, in der Regierung sicher zu stellen, dass es einen Mindestlohn gibt, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, ne ordentliche Reichtumsbesteuerung und dass es wirklich eine Außenpolitik gibt, die im Zeichen ,nie wieder Krieg' steht, dann wären wir natürlich mit dabei. Aber bisher haben SPD und Grüne das immer pauschal abgelehnt, was ich nur erstaunlich in dem Zusammenhang finde, ist, dass sie, wenn es um die FDP geht, solche deutlichen Worte vermissen lassen. Glaubt ernsthaft jemand, dass man mit der FDP zusammen den Mindestlohn umsetzen kann? AUTOR Am kommenden Wochenende ist Bundesparteitag in Dresden. Auf der Tagesordnung: das Wahlprogramm für den Herbst. ,100% sozial' heißt es. ,Die Linke' wolle einen "demokratischen - freiheitlichen, ökologischen, lustvollen - Sozialismus gestalten". Sätze wie dieser deuten an: es ist für jeden etwas dabei. TAKE 33 (Strohschneider) Ach, Wahlprogrammparteitage sind eigentlich gar nicht so spannend. AUTOR Tom Strohschneider, Chefredakteur des ,Neuen Deutschland'. TAKE 34 (Strohschneider) Der Entwurf zum Wahlprogramm: das ist Lektüre für ambitionierte Beobachter und politisch in einem angenehmen Sinne Verrückte, wo es Konflikte geben kann, und Konflikte meine ich gar nicht schlecht, sondern dass es ganz sinnvoll ist, diese Widersprüche auszutragen, ist die Frage der politischen Strategie, aber: Koalitionen sind das eine, gesellschaftliche Mehrheiten sind das andere, und ich glaube, es gibt momentan keine gesellschaftliche Mehrheit für rot-rot-grün. AUTOR Sprengstoff steckt jedenfalls nicht in dem Wahlprogramm. Unter der Überschrift ,was will die Linke' wurde es im ,Neuen Deutschland' in den vergangenen Monaten ausgiebig diskutiert. Alle Parteiströmungen kamen zu Wort. Stefan Liebich ist überzeugt: in Dresden wird es keine Flügelkämpfe geben. TAKE 35 (Liebich) Wir haben in den letzten Jahren unser Budget an öffentlicher Kontroverse überzogen, wir haben einen Wahlprogrammentwurf, der im Parteivorstand einstimmig beschlossen wurde, insofern wünsche ich mir einen langweiligen Parteitag mit klaren Mehrheiten. AUTOR Den Einzug in den Bundestag wird ,die Linke' wohl sicher schaffen. Selbst wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde verfehlen sollte - womit nicht zu rechnen ist - reichten ihr drei Direktmandate, um als Fraktion in den Bundestag einzuziehen. Und die wird sie sicher holen. Im Osten. Dafür stehen Kandidaten wie Stefan Liebich. Ganz anders sieht es im Westen aus. Am 22. September wird nicht nur im Bund gewählt, auch Hessen wählt sein Landesparlament. In aktuellen Umfragen liegt ,die Linke' dort bei 4 Prozent. Es kann passieren, dass sie zum vierten Mal hintereinander aus einem westdeutschen Landesparlament fliegt. Dann wäre sie dort außer im traditionell starken Saarland nur noch in den drei Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin vertreten. Auch innerparteilich wird sich etwas verändern. 2014 endet die quotierte Bevorzugung der Westverbände. Dann wird sich die Zahl der Delegierten auf Bundesparteitagen erstmals an der realen Mitgliederzahl der Landesverbände ausrichten. Das wird den Einfluss der Westverbände weiter eindämmen. Und die Entwicklung der Linken zur Regionalpartei Ost weiter stärken. Noch einmal Tom Strohschneider, Chefredakteur ,Neues Deutschland'. TAKE 36 (Strohschneider) Ob man daraus eine politische Strategie macht, da würde ich sehr vorsichtig sein, weil: einerseits liegt eine gewisse Stärke darin, dass die Linkspartei eine Tradition in der Vertretung von Ostinteressen hat, andererseits besteht darin auch eine Gefahr, weil politische Herausforderungen heutzutage nicht mehr in Ost-West-Denken beantwortet werden können. Dann ist es vor allen Dingen so, dass wir nach der nächsten Bundestagswahl eine politische Situation haben, wo die Linkspartei, Stichwort: Eurokrise geht weiter, Stichwort: globale Herausforderung wie Klimawandel, redet ja kaum noch jemand drüber, wo sie Antworten finden muss. Und Antworten, die vielleicht etwas lebendiger und etwas erfahrbarer und etwas motivierender und etwas selbstbewusster sind als schwierig zu verstehende Floskeln wie den "Einstieg in die sozialökologische Transformation", so sehr ich weiß, was das ist, so wenig werden die Leute davon begeistert sein. Geräuschakzent TAKE 37 (Gysi) Wir müssen es gegen alle Unkenrufe schaffen und mit den Worten von Karl Liebknecht sage ich euch: Trotz alledem! (Applaus) SPRECHER vom Dienst Krise trotz Krise. Die Linke im Stimmungstief. Eine Sendung von Wolf-Sören Treusch. Ton: Inge Goergner Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1