COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Abseits der Idylle Die dunklen Seiten des Allgäus Eine Sendung von Thomas Klug Sendung: 13. Oktober 1012, 15:05 Ton: Christiane Neumann Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Sprecher: Kreuzkruzifix! Kluftinger sprach den Fluch nicht laut aus, er dachte ihn nur. Autor: So geht's los. Knapp zehn Jahre ist das her. Die Auflagennummerierung im Taschenbuch weist inzwischen die Zahl 36 aus. Sprecher: Seine Frau hasste es, wenn er fluchte, und alles, was er mit einem laut ausgesprochenen Fluch bewirkt hätte, wäre einer ihrer Vorträge gewesen: "Ein Kommissar sollte sich in seiner Ausdrucksweise wohl von denen abheben, hinter denen er beruflich her ist", würde sie dann wieder sagen. Und darauf konnte er ganz gut verzichten, wo seine Laune sowieso schon nicht besonders war. Denn wenn es etwas gab, was er hasste, war es, beim Essen gestört zu werden. Das passierte natürlich vorzugsweise am Montag. Autor: Liegt es an diesem Kommissar, dass die offenbar gesamte krimilesende Nation begierig auf seine Fälle ist? Sprecher: Seinem Montag. Autor: Oder liegt es an der Gegend, in der er ermittelt? Sprecher: Seinem Kässpaten-Montag. Autor: Oder gibt es noch einen ganz anderen Grund für den Erfolg eines Kommissars, der zuverlässig mäklig und schlecht gelaunt ist, zur Bequemlichkeit neigt und nicht besonders gut aussieht? Sprecher: Die Kässpatzen waren das Beste am Montag, eigentlich das Einzige, weswegen er ihn überhaupt ertragen konnte. Autor: Mögen die Leute diesen Kommissar etwa, weil er.... Nicht auszudenken. Sp. v. Dienst: Abseits der Idylle Die dunklen Seiten des Allgäus Eine Deutschlandrundfahrt von Thomas Klug Autor: Es gibt Berge. Es gibt Kühe. Es gibt Molkereien. Wenn alle drei Dinge zusammen kommen, dann heißt das Allgäu. Manche Bilder setzen sich in den Köpfen fest, sind dort geradezu zementiert. Immerhin: Das Kopfkino bietet Bilder vom Allgäu - ganz ohne Reise dorthin: Rentner, Natur und die Dreibuchstabenpartei, die sich gerne für ganz Bayern hält. Das Allgäu ist vieles - und es ist nicht nur ein Teil Bayerns. Die Werbung ist offenbar erfolgreich. Das Allgäu ist zur Marke geworden, jeder will dazu gehören. Ein weiteres Bild taucht auf: Ein Mann, Mitte 50, Bauchansatz, mürrisch und inzwischen zur Kultfigur ernannt: Effekt: Sprecher: Name: Kluftinger, Vorname unbekannt. Beruf: Kriminalkommissar. Dienstsitz Kempten im Allgäu. Autor: Na ja, wenn Kriminalkommissarromanfiguren überhaupt so etwas haben, was man Dienstsitz nennen kann. Sicher ist: Das Allgäu hat viele Kriminalkommissarromanfiguren. Und entsprechend viele Kriminalromane. Regionalkrimis - heißt das im Verleger-Vermarktungsdeutsch. Wie ist aber dieses Allgäu vom Kluftinger? Und wo steckt der Kommissar? CD: Biermösl Blosn Welcome to Bavaria - instrumentaler Anfang Autor: Das Allgäu liegt im Grüß-Gott-Teil Deutschlands. Und es muss dort sehr dunkel sein. Brutal. Und gefährlich. CD: Biermösl Blosn Welcome to Bavaria - leise im Hintergrund Autor: (die Buchtitel bitte abwechselnd links, rechts aufnehmen) "Der Tod trägt Wasserfarben". "Der Tod auf der Piste". "Die Strohhutmorde". "Tödliche Höhen". "Grünten-Mord". "Alpendöner". "Rauhnacht". "Kuhhandel". "Schussfahrt". Während der eine Ermittler schon beim siebten Fall ist, bummelt der andere noch beim vierten Fall vor sich hin. Wichtig ist: Es müssen viele Fälle sein für die Regionalkrimis. Die Zeit wird kommen, da ist Deutschland nicht mehr in Bundesländer aufgeteilt, sondern in Krimiregionen. Die Ermittler bilden dann nebenberuflich den Bundesrat, sie sind einfach bekannter. Kluftinger kennt jeder, aber wie heißt der bayerische Innenminister? CD: Biermösl Blosn Welcome to Bavaria Autor: Das Allgäu ist gespenstisch schwarz, tiefschwarz. Mörderisch, brutal. Wahrscheinlich ist noch nie jemand lebend aus dem Allgäu zurückgekommen, es ist eine einzige Menschen-Metzgerei. CD: Biermösl Blosn Welcome to Bavaria - Refrain Autor: Gut, vielleicht sind die Allgäu-Krimis jetzt nicht unbedingt repräsentativ und die Kriminalstatistik sieht einiges anders. Aber immerhin, sie transportieren einen Ruf, einen gewissen. Die Allgäuer Tourismusindustrie müsste beleidigt sein. Also, tödlich beleidigt, angesichts der Verbrechen, die da Kreise ziehen. Und was passiert? Effekt: Sprecher: Name: Maria-Rodica Menzel. Beruf: Stadtführerin. Einsatzort: Kempten. Besondere Kennzeichen: rumänischer Akzent. Take 01 Menzel 01 0'19 Vor ein paar Jahren habe ich von der Stadt Kempten den Auftrag bekommen, ausgerechnet ich als Zugereiste, die Krimiführung auf die Beine zu stellen. Autor: Maria-Rodica Menzel hat viel erlebt, sie hat im Laufe der Jahre Menschenmassen durch Kempten geführt, gelangweilten Schulklassen die Geschichte der Stadt gezeigt, die Touristen von der Basilika, ins Beinhaus und die Residenz geschleppt, ihnen von der geteilten Stadt mit dem eigenen Checkpoint Charlie erzählt, wo das katholische Kempten zu Ende war und das evangelische Kempten begann. Sie kennt jeden Pflasterstein und jede Gedenktafel. Aber Krimis? Maria-Rodica Menzel stammt aus Rumänien. Sie kam nach Deutschland, als in Bukarest noch Nikolai Ceausescu herrschte, also vor langer Zeit. Ceausescu ist sie losgeworden. Und beim Kluftinger gelandet. Das ist ihre bisherige Lebensgeschichte, allerdings sehr verkürzt. Es liegen lange Jahre dazwischen, sonst ist es womöglich zu schwer, Menschen zu verstehen, die einem erfundenen Kommissar nachlaufen. Kluftinger also, der Allgäuer Ermittler- Held einer Krimireihe. Maria-Rodica Menzel holt erst einmal Luft, was sie beim Sprechen eher selten zu tun scheint. Kluftingers Originalschauplätze im Allgäu soll sie den Touristen zeigen. "Lass dir was einfallen", hat die Tourismuszentrale zu ihr gesagt. Originalschauplätze einer Romanfigur - wahrscheinlich hat sie in Gedanken den Kopf geschüttelt oder etwas anderes getan, was man eben so tut, wenn merkwürdige Ideen den eigenen Alltag kreuzen. Take 02 Menzel 01 0'59 Kluftinger lag in der Luft, alle haben über Kluftinger gesprochen. Autor: Maria-Rodica Menzel verrät nicht, was sie gedacht hat. Nur das "ausgerechnet" lässt es erahnen. Alles andere versteckt sie hinter ihrem Stadtführer-Tonfall. Und außerdem, Krimiführungen gibt es woanders auch, im Schweden Kurt Wallanders etwa. Vielleicht wollen die Leute so etwas wie Fantasie zum Anfassen. Das sei eben die Zeit, sagt Maria-Rodica Menzel, nimmt ihre Mappe und legt los. Sie hat alle bisher erschienenen Kluftinger-Krimis gelesen, hat die Filme angesehen, hat die Autoren kennen gelernt. Sie weiß alles über Kluftinger: Take 03 Menzel 01 4'14 Der hockt zuhause in Altusried in diesem Dorf, glücklich verheiratet mit der Erika, die ihn so liebevoll Buzzele nennt. Autor: Sie redet lieber über Kluftinger als über sich selbst. Take 04 Menzel 4'31 Dieses idyllische Leben mit Kässpatzen und Wurstsalat zu Hause vor dem Fernseher wird gestört, weil: Mein Gott, da geschehen Morde. Und liegt ein Toter in der Diele, ist es aus mit der Idylle. Da muss er seine Pantoffeln verlassen und nach Kempten fahren. Der Sitz der Kripo ist in Kempten. Autor: Jetzt ist Maria-Rodica Menzel in ihrer Rolle. Die Stadtführerin, die einem Kriminalkommissar nachläuft, die weiß, auf welcher Seite in welchem der Krimis um Kommissar Kluftinger welcher Ort beschrieben ist. So geht es mit ihr durch Kempten: Take 05 Menzel 01 18'27 Wir laufen praktisch an den Originalschauplätzen, die in den Krimi beschrieben wurden. Take 06 Menzel 01 17'44 Hallo, Grüß dich, viel Spass. Autor: Kempten bedeutet: links Allgäu, rechts Allgäu, vorn Allgäu und hinten auch. Und Allgäu in Kempten heißt rauf und runter. Mal eine Anhebung, mal eine Straße, mal eine Treppe. Rauf und wieder runter. Bis ins Allgäu ist die Erfindung der Ebene nicht vorgedrungen. CD Soundtrack Maigret Autor: Die Krimis sind ein Phänomen. Das Fernsehen ist sowieso andauernd kriminell, genau wie der Buchmarkt. Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass sich hierzulande kaum jemand vor echten Verbrechen fürchten muss. Ein beruhigender Gedanke. Im Allgäu jedenfalls ermittelt nicht nur Kluftinger. Einer hat sich Konkurrenz für ihn ausgedacht, obwohl er es gar nicht gerne hört, Konkurrenz zu sein. Das würde ohnehin nicht klappen. Effekt: Sprecher: Name: Spatz. Vorname: Willibald. Beruf: Lehrer und Autor, Erfinder des Ermittlers Birne. Autor Spatz und Birne. Wer ist wer. Birne - der Ermittler und Spatz - der Erfinder. Spatz heißt Willibald. Wie sein Vater, Großvater, Urgroßvater. Sein Sohn ist die sechste Generation, die Willibald Spatz heißt, irgendwann hält man das für normal. Willibald Spatz, der Birne-Erfinder. ist 35, hat drei Kinder. Er will erst einmal raus aus Kempten, ein paar Monate hat er hier gelebt, sein erster Krimi spielt hier, das muss reichen. Eine halbe Stunde später: Take 07 Spatz 010'48 Wir stehen im Ostrachtal. Um uns herum stehen Berge, schöne Gipfel der Allgäuer Alpen. Und wir stehen gerade am Fuße vieler Wanderwege für sportliche Mountain- Biker, aber auch gemütliche Familienwanderungen. Autor: Die Ansichtskartenidylle des Allgäus. Kleine Häuser, hohe Berge, stille Wege, bepflanzte Wagenräder. Und kaum Leute. Also, aus Allgäuer Sicht: Menschenmassen. Take 08 Spatz 01 0'28 Wir sind hier in Hinterstein, an der Ostrach und schauen uns gleich das Kutschenmuseum an. Autor: Gleich, sagt Willibald Spatz. Und ein paar Schritte. Und ein paar Meter. Und nur um die Ecke. Es ist nie gleich, es sind immer mehr Schritte, mehr Meter. Und um die Ecke - da ist erst einmal Wasser. Kurz vor einer Brücke hängt eine Karte: Take 09 Spatz 01 6'35 Also da ist das Kutschenmuseum, da wandern wir jetzt hin. Und hier sind so diese, diese ganzen Höhenangaben. Der Stuibenkopf ist 1800, hier oben.... Und wir starten hier, wo steht das, auf 866 Metern, wenn wir losgehen. Das war unsere Wanderung bis hier. Hier rüber und dann sind wir an der Stelle. Autor: Wilibald Spatz trägt T-Shirt, kurze Hosen und Sandalen. Schon wegen der Sandalen könne er heute keine langen Wanderungen machen. Sagt er. Take 10 Spatz 01 11'57 Hier ist ein Krokodil, das ist nicht typisch. Autor: Ein paar Meter weiter ein Hirsch. Er liegt friedlich auf der Wiese. Er bewegt sich nicht. Er ist künstlich. Wie das Krokodil. Und auf der anderen Seite: Take 11 Spatz 01 10'43 Wir sehen jetzt Füße aus der Erde ragen, Füsse mit Stiefeln und Menschen. Beine sind auch noch dran. Ja, genau. Beine und Füsse, das ist bei uns immer dasselbe, derselbe Ausdruck. Also es ragen Beine in die Luft und vergrabenen und vergessenen Personen. Ansonsten weist nichts auf etwas Außerordentliches hin. Ein Stadl, ihr sagt Scheune oder, auf den wir hier zulaufen. Also einen, mit dem wir hier rechnen würden, nachdem ja hier Milchviehwirtschaft betrieben wird, zum Geräte lagern. Das ist das Kutschenmuseum. Autor: Ein Schild am Eingang: Nicht sprechen. Die Hektik der Welt solle draußen bleiben. Als ob vor dem Kutschenmuseum auch nur ein Hauch von Hektik wäre. Drinnen tritt an die Stelle der nicht vorhandenen Hektik gewöhnungsbedürftige Musik. Take 12 Atmo 14' Kutschenmuseum Gehen wir weiter zu den Kutschen. Autor: Wir steigen aufwärts und abwärts, überall ist es eng, in jeder Ecke steht, liegt, hängt etwas. Das Licht ist im Dämmerzustand. Kutschen im Winter, Kutschen im Sommer und vor allem Kutschen, die Bestandteil nachgestellter Szenen sind. Ein Schlitten, darauf zwei winterlich gekleidete Puppen mit Mützen, die an Sibirien erinnern. Das Allgäu trifft auf Doktor Schiwago. Aber vielleicht ist es auch ganz etwas anderes. Take 13 Atmo 14' Kutschenmuseum Take 14 Spatz 01 Ich gebe zu, wenn man hierher kommt, durch diese Berglandschaft wandert, dass man nicht damit rechntn, in so etwas zu gelangen. Das "so etwas" müssen wir jetzt genau erklären. Genau. Das Kutschenmuseum ist kein Museum in dem Sinne, dass wir hier Kutschen sehen und die erklärt bekommen. Wir sehen zwar auch Kutschen, wir sehen aber sehr viel andere Dinge auch. Wir sehen Szenarien aufgebaut, Winterlandschaften, aufgebaute Bauernstuben und alles ist voll mit Geschirr, mit Gerümpel, wir würden bei uns sagen Gruscht. Man wird wahrscheinlich keinen einzigen freien Platz in dem Museum finden. Seit ich das letzte Mal hier war, ist es noch ein bisschen gewachsen, also es war schon mal kleiner. Es wächst immer noch. Und das Entscheidende ist eben, dass es nicht als Touristenattraktion oder als Museum angelegt ist, sondern das dahinter ein Privatmann steckt, der das vor vielen Jahren einmal als Hobby begonnen hat, sich so seine eigene Welt zu bauen, mit den Kutschen eben. Man hört im Hintergrund diese esoterische Musik. Man kann hinabsteigen in eine Mariengrotte. Ich glaube, dass man das als kitschig bezeichnen würde, wenn es nicht so aufrichtig wäre. Man merkt, dass derjenige, der es macht, es mit ganz großen Ernst und Eifer macht. Autor: Da ist Willibald Spatz ganz der Autor. Diesmal der Autor eines Allgäu-Reiseführers, den er verfasst hat. 66 Lieblingsplätze. Das Kutschenmuseum ist einer davon. Jetzt will er weiter, auf einen Berg. Ein kurzer Weg, sagt er, wir werden gleich da sein. Höchstens eine Stunde aufwärts. Oder anderthalb, sagt er. CD Soundtrack Sherlock Holmes Autor: An einer Straße steht eine Litfaßsäule, ein einziges Plakat ist auf sie geklebt: "Bayern kann es auch allein" dröhnt es. Ein spätberufener Revolutionär hat ein Buch über die steile These geschrieben, Bayern könne auch ohne die Bundesrepublik existieren. Die Litfaßsäule wurde in Berlin erfunden. Maria-Rodica Menzel hat keinen Blick dafür. Sie steuert die Straße entlang, schlägt einen Haken und... Take 15 Atmo Menzel 04 39'35 Autor: ... .und steht hier, wo Kluftinger ermittelte - in einer Diskothek. Maria-Rodica Menzel kennt den Chef, deswegen kann sie auch mittags hinein. Eine Leiter steht im Weg, es wird gebohrt. Ein paar Handwerker laufen auf und ab. Der Chef ruft, es ist gerade nicht dekoriert, das soll keiner sehen. Eine Disco im Tageslicht beansprucht die Fantasie. Take 16 Menzel 04 40'01 Früh ein Kino Sie können noch die plüschartigen, roten Vorhänge sehen, wie früher die Bestuhlung war. Gerade damals als das Kino verwandelt wurde in Diskothek, da wurden scheinbar diese Sitze versteigert und manche Kemptener haben das zu Hause. Und jetzt muss ich die Szene suchen... Autor: Maria-Rodica Menzel öffnet wieder ihren Ordner. Jedes A-4-Blatt darin steckt in einer Klarsichtfolie. Sie blättert. Sie sucht die Beschreibung der Disco. Sie erklärt, man müsse sich jetzt eine gefüllte Tanzfläche vorstellen, die sich drehende Disco-Kugel. Und Kluftinger natürlich, der einen Verdächtigen verfolgt. Dort die Treppe: Take 17 Menzel 04 40'51 Auf diese Treppe rennen Sie hinauf, ob am Geländer, das ist genau beschrieben in dem Krimi. Regie: O-Ton kurz freistehend, dann voice-over und Kluftinger-Musik Take 18 Menzel 04 41'38 /Sprecher Und auf einmal kracht ein Schuss. Alle Blicken richten sich auf dem Mann am Geländer, sehen Sie, der ist da oben. Er hat die Augen weit aufgerissen. Verdammt, wer hat geschossen. Kluftinger sah ihn, die Menge hatte um ihn einen Kreis gebildet. Take 19 Atmo Menzel 04 39'35 CD: Miss Marple Effekt: Sprecher: Name Birne. Vorname: unbekannt. Beruf: Redakteur bei einem Verlag für Wanderführer - und zufälliger Ermittler in einem Mordfall. Dienstsitz: Kempten im Allgäu, später in Augsburg. Autor: Mit Kluftinger kann man Birne nicht verwechseln. Birne ist jünger, auch unsteter. Er stolpert eher zufällig in eine Ermittlung hinein: Der alte Dame ist er ein-, zweimal begegnet. Sie wohnt unter ihm. Einmal hat er ihr geholfen. Und eines Tages liegt sie ermordet in ihrer Wohnung. Birne wird genötigt, den Täter zu überführen. Er lernt ihn kennen, ohne es zu ahnen. Das Allgäu ist von einer Blutspur durchzogen: Erschlagene alte Damen, Ritualmorde. Leichen im Schnee, auf der Piste, im Wald. Es geht um Geld, Hass, Rache. Einer, der sich Morde im Allgäu ausdenkt ist Willibald Spatz. Er erzählt, weshalb er überhaupt Krimis schreibt. Take 20 Spatz 03 3'27 Bei mir war es so, ich habe im Allgäu gelebt, ich kannte diese Gegend und habe diese Gegend auf mich wirken lassen und in dem Moment, in den man sich bewegt und im Allgäu und an bestimmten Stellen vorbei kommt, fängt die Phantasie an zu sprudeln. Man kann eigentlich nichts dagegen tun, man muss es laufen lassen, mehr oder weniger. Man muss dazu sagen, dass ich in diesem Fall gar nicht daran dachte, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Der Roman war ursprünglich für die Schublade geschrieben. Da lag er auch lange rum, bis mir ein Bekannter auf einer Party gesagt hat, dass wieder ein anderer Bekannter von ihm einen Verlag gefunden hat und das soll ich auch mal probieren. Also, es war der nötige Tritt in den Hintern, mich auch mal auf die Suche nach einem Verlag zu machen. Autor: Eine rotweißkarierte Tischdecke, ein Hirschgeweih auf einem Teller, das Besteck daneben - so sieht das Buchcover des ersten Birne-Falls aus. Der Titel "Alpendöner". Willibald Spatz will in die Berge fahren. Das will auch der Ermittler Birne. Sein Aufstieg misslingt. Im Buch. Egal. Take 21 Spatz 13'17 Wenn wir jetzt sagen, wir befinden uns im Herzen des Allgäus, dann müssen wir eigentlich sagen, wir befinden uns am südlichen Zipfel vom Allgäu. Das Allgäu frisst sich in Deutschland rein, es wandert immer mehr nach Norden, immer mehr wird Allgäu. Irgendwann werden wir wahrscheinlich an der Nordsee stehen und sagen, dass ist hier der Nordrand des Allgäus. Das ist jetzt natürlich übertrieben. Aber sagen wir mal, es gibt die geographische Grenze, die Landkreisgrenze Unterallgäu. Und immer mehr Orte jenseits dieser Grenze, die im Norden liegt, Unterallgäu liegt im Norden, immer mehr werben damit, dass zum Beispiel ihre Produkte aus dem Allgäu kommen, frische Allgäuer Milch wäre verwendet, wobei diese Gebiete definitiv nie zum Allgäu gehört haben. Aber wenn man es lang genug behauptet, sind wir plötzlich Allgäu. Und so wandert die Grenze nach Norden. Autor: Jedenfalls ist das Allgäu groß, erstreckt sich von Schwaben und Oberschwaben, über das südöstliche Baden-Württemberg bis hin nach Österreich. Willibald Spatz zählt Orte auf, die alle irgendwie auf -ried oder ..beuren oder - ingen enden, redet von Ostrach und Hinterstein so selbstverständlich, als wären es Orte, die mindestens so bekannt sind wie Paris oder Venedig. Er kennt das Allgäu, die Berge und die Almen. Take 22 Spatz 03 Im Allgäu sagt man Alpe, die Alm gibt es in Oberbayern. Autor: Eine Wanderung, nichts Schlimmes, kein Überfall, kein Mord, noch nichts. Allerdings: Willibald Spatz will laufen. Nach oben. Ich gucke. Er guckt zurück. Es gibt auch eine Seilbahn. Ich soll mich entscheiden: Eine Stunde zu Fuß nach oben, oder anderthalb. Und dann völlig erschöpft miteinander reden. Oder ein paar Minuten Höhenangst in der Seilbahn und dann leichenblass, aber halbwegs entspannt sein. Ich gehe ein paar Schritte vor. Ein paar Schritte zurück. Die Berge hier sind wirkliche Berge. Die Seilbahn bewegt ihre Gondeln. Wir nehmen die Seilbahn, ich setze mich mit dem Blick starr nach vorn in die Gondel. Ich höre Glocken läuten. Take 23 Atmo: Autor: Willibald Spatz zeigt nach unten. Mein Blick folgt seiner ausgestreckten Hand. Ich schlucke. Es ist hoch. Irgendwo dort unten sind Kühe - mit Glocken um den Hals. Die Gondel ruckelt. Die Tür öffnet sich. Ach so, wir sind da und sollen aussteigen. Take 24 Spatz 03 0'12 Wir sind jetzt die Hornbahn in Bad hochgefahren und haben uns ein paar Meter Richtung Straußbergalpe bewegt. Bzw., wenn wir weiter gehen, könnten wir auf das Immberger Horn noch steigen. Das wäre dann eine kleine Bergtour. Autor: Die Wolken sollen hier oben ein Stück näher sein. Der Ausblick ist für die Unendlichkeit gemacht, es gibt so gar kein Ende. Take 25 Spatz 03 1'32 Idylle gehört zum Allgäu. Wenn man ein Buch im Allgäu spielen lässt, stolpert man zwangsläufig über die Idylle. Ob man sie als Idylle dann so stehen lassen will, wir stehen ja hier oder sitzen buchstäblich an einem Abgrund, und über kann man ja schon mal blicken und in die Tiefen schauen, meinetwegen auch der menschlichen Seele. Autor: Es ist ruhig. Manchmal kommen ein paar Leute vorbei, ein Ehepaar, ein paar Kinder. Ein Ort für Krimis? Vielleicht gerade. Die Gegensätze sind verlockend. Willibald Spatz hat die Gegend erkundet, bevor er sie zum Ort seiner Krimihandlung gemacht hat. Er hat jedes Stückchen gesehen, bevor er es beschrieben hat. Take 26 Spatz 03 6'50 Biographische Parallelen sind rein zufällig natürlich. Aber Sie sind vorhanden? Ja, sie sind vorhanden. Auch wenn ich das nie zugeben würde. Welche denn z.B? Na ja, ein Mann, Ende 20, Anfang 30 kommt nach Kempten ist fremd dort, versucht sich in der Stadt zurechtzufinden. Kann sagen, dass ich mich durchaus in ähnlicher Situation zu der Zeit befunden habe. Was zum Beispiel mir nicht passiert ist, dass in der Nachbarwohnung jemand ermordet wurde. Aber wenn man sich abends in einem Haus befindet, dass etwas hellhörig ist, dass man da Stimmen hört aus der oberen seitlichen Wohnung, nicht aus der unteren Wohnung, dass man da nicht alles hört, was da geredet wird, aber dass da geredet wird....Naja, dann stellt man sich halt etwas vor. Und dann fängt man an, sich zu überlegen, was würde denn passieren, wenn jetzt in der Nachbarwohnung eine Leiche lege. Also Ihre Nachbarn aus der Wohnung könnten sich wiedererkennen? Nein. Nein. Das war jetzt ein "Nein", das Ihnen Ihr Anwalt geraten hat? Nein, das war bewusst gemacht, um da etwas weg zu gehen, damals war ich noch sehr vorsichtig. Autor: Umrahmt von Bergen könnten allerlei Schrullen gedeihen. Willibald Spatz holt erst einmal Luft. Vielleicht ist es Zufall, aber damals, als er noch in Kempten wohnte, hat er etwas beobachtet, Es war sehr anregend. Nicht schlecht jedenfalls, wenn man gerade das Personal zu einem Krimi zusammensucht: Take 27 Spatz 03 9'50 Mir ist damals aufgefallen, dass es hier, mir ist es nirgendwo anders aufgefallen, deswegen sage ich mal ist Kempten eine Besonderheit gewesen, dass wahnsinnig viele Leute furchtbare Angst vor Mobiltelefonen hatten, die so eine richtige Handy- Angst hatten, sich in so einen direkten Wahn hinein gesteigert hatten, die Angst hatten, falls im Cafe jemand neben ihnen das Handy auspackt, dann hat er sofort die volle Strahlung abgekommen, die er vielleicht im Herzen eines Atomkraftwerks auch abbekäme und die dann auch richtig militant wurden und dann zu fast sektenähnlichen Zusammenkünften aufgerufen haben, wo man zusammen gekommen ist, um gegen Handymafia zu kämpfen. Erfolglos, wie es mir scheint....Diese Manie oder diese Phobie ist das ja, diese Handyphobie, das war eben eine ausgezeichnete Charaktereigenschaft von so einem Menschen. Wenn man sich dazu überlegt, was ist der Mensch drumrum, um die Phobie, dann ist das einer, der ein bisschen despotisch so ein kleines Imperium beherrscht, nicht sonderlich geschickt mit seinen Mitarbeitern umgeht. Autor: Die Aussicht macht gelassen. Berge lassen die Kleinigkeiten im Tal vergessen. Blicke halten hier nicht bei Nebensächlichkeiten. Ein paar Minuten lang ist das die Wahrheit. Und Willibald Spatz, der Romane schreibt und Stücke für Theaterbühnen, sagt, dass er nicht auf dem Berg schreibt. Das passe nicht hierher. Außerdem blendet die Sonne. Das Schreiben geht unten besser. So eine Botschaft aber, die könnte er von hier oben mitgenommen haben: Take 28 Spatz 03 57'25 Worum geht es in deinem Stück: Seid halt ein bisschen netter zueinander. Vielleicht kann man das von meinen Stücken auf die Bücher, auf den Rest übertragen. Vielleicht ist das so ein bisschen das Thema, wie sich die Menschen untereinander das Leben schwer machen. Wär besser, wenn man sich einmal am Tag sagt: Seids a bisserl netter zueinander. Wenn man hier sitzt, in diese Landschaft blickt, dann kann man sich das zumindest mal vornehmen für einen Tag, oder? CD Durbridge Autor: Kein Laut. Nirgends. Es ist ruhig, es ist gespenstisch still. Es ist die Ruhe, nach der sich Großstädter immer so wortreich sehnen und die sie dann keine halbe Stunde lang aushalten können. Nachts herrscht Ruhe in Kempten. Abends sitzen noch ein paar Touristen auf den Holzbänken und erzählen sich ihre Erlebnisse. Frühmorgens brummt ein Müllwagen minutenlang. Aber die langen Stunden dazwischen wird in den Gassen geschwiegen. Es ist wie ein Schweigen aus der Vergangenheit. Nur ein Nachtwächter fehlt noch, der durch die Straßen wandert und ruft: Hört ihr Leut und lasst euch sagen, unser Glück hat elf geschlagen. Aber das wären schon wieder zu viele Wörter und zu laute Schritte. Die Allgäuer verlieren kein Wort zu viel, machen keine großen Gesten. Und scheinen früh schlafen zu gehen. Am Morgen suche ich Kluftinger. Take 29 Bernhard: 1'14'00 So wie der Kluftinger, der ja auch Altusrieder ist, bin ich ja auch Altusrieder. 1'14'27 der echte Kluftinger Von der Position her ja, vom Bauchansatz nein, von der Liebe zu Kässpatzen und Leberkäs ja, zu meinem Wohnort Altusried, ja. Autor: Hirnbeinstraße 10 in Kempten. Die Polizei. Der Mann streitet ab, Kluftinger zu sein. Auch wenn er die Parallelen nicht leugnen kann. Seine Angaben zur Person: Effekt: Take 30 Bernhard 1. KHK, Norbert Bernhard, 48 Jahre alt, verheiratet, insgesamt vier Kinder, seit 30 Jahren bei der Polizei, seit 12 Jahren bei der Kapitalverbrechen, seit 5 Jahren Leiter des K 1; Kapitalverbrechen, Brände und Sexualdelikte Autor: Das Telefon drängelt sich in das Gespräch. Take 31 Atmo Bernhard 0'05 Telefonat Autor: Norbert Bernhard kommt gerade von einer Leiche, einer sauberen Leiche, sagt er, also keine mit Verwesungsspuren, und kein Mord. Früher konnte er keine Leichen sehen. Da konnte er nicht einmal einen toten Vogel auf seinem Bauernhof wegräumen. Das mit dem Vogel hat sich.... Er will gerade sagen geändert oder nicht, als die Tür aufgeht. Einer der bekannten Klienten macht wieder Ärger. Bernhard weiß Bescheid, der macht schon seit ein paar Tagen Ärger. Take 32 Atmo Bernhard 58'10 Unterbrechung Autor: Ein Teddybär sitzt auf einer Kommode neben dem Schreibtisch. Norbert Bernhard nennt ihn Trösterbär. Ein Kunstdruck hängt gegenüber, New Yorks Central Station von Edward Lunch. Vor zwei Jahren war er in New York. Wahnsinn, sagt er noch heute, und meint die Fingerabdrücke, die von jedem Einreisenden dort genommen werden. Aber das ist weit weg. Und dann sagt der Erste Kriminalhauptkommissar Norbert Bernhard: Take 33 Bernhard 14'45 Ich habe den Kollegen Kluftinger gelesen. Autor: Tatsächlich. Ein Kriminalkommissar liest Krimis. Und er nennt den Romanermittler einen Kollegen. Das muss an diesem Kluftinger liegen: Take 34 Bernhard 13'20 Also ich muss so sagen: Ich lese seit einigen Jahren gerne Krimis, was ich früher eigentlich nicht so gemacht habe. Ich lese auch die Allgäu-Krimis, ich habe zwei, drei Exemplare von bestimmten Allgäu-Krimis gelesen. Ich finde sie von dem her witzig, weil die Charaktere, die da beschrieben sind, wirklich so sind, wie sie eigentlich auch auf der Dienststelle ist. Sie haben hier nicht so diese Übermenschen als Polizisten, sondern Sie haben hier, wie es da beschrieben ist: Der eine lässt das Käsebrot im Auto liegen, der andere ist der Grantler, der in der Früh schon aufsteht und immer gleich ...ist, bevor er mal in die Gänge kommt. Der dritte ist der ganz Penible. Diese Charaktere, die dort beschrieben werden mit diesem Ganzen, was so nebenbei passiert, das gefällt mir ganz gut bei diesen Krimis. Autor: Aber ist es nicht etwas viel Krimi, viel Mord- und Totschlag? Und das im Allgäu? Take 35 Bernhard 5'23 Also es gibt auch im Allgäu Mord- und Totschlag, wie in jedem anderen Gebiet auch, natürlich nicht in diesen Dimensionen, so wie sich das darstellt, wenn Sie die Bücher lesen. Sie werden hier alles finden, was Sie in einer Großstadt finden. Sie werden ein bisschen mehr finden als in einer Großstadt, Sie werden hier auch einmal einen Kuhglockendiebstahl finden oder einen Diebstahl von Schiern im Winter, was Sie vielleicht woanders nicht haben. Aber das komplette Spektrum der Kriminalität, so wie Sie es in einer Großstadt haben, haben Sie hier auch. Natürlich ist das Ganze ein bisschen verschoben, durch diese vielen Regionalkrimis. Also, das Allgäu ist jetzt keine Hochburg der Kriminalität und schon weiß Gott nicht eine Hochburg von Mördern, Vergewaltigern oder sonstigen schweren Jungs. Autor: Kuhglockendiebstahl. Die Spanne der Verbrechen im Allgäu ist tatsächlich breiter als in einer durchschnittlichen Großstadt. Das dürfte an der mangelnden Verbreitung von Kuhglocken in durchschnittlichen Großstädten liegen. Vielleicht gibt es gerade deshalb dort ja einen gewissen Bedarf, der eben nur durch die eher unkonventionelle Art der Beschaffung gedeckt werden kann: Take 36 Bernhard 6'58 Diese Kuhglockendiebstähle gibt es immer wieder, ja, selbstverständlich. Ich will jetzt auch keine Verdächtigen nennen, dass das jetzt Touristen sind oder sonstige....Es ist natürlich für viele interessant, wenn hier Kühe auf den Almen sind, auf den Weiden sind und Glocken läuten. Die Glocken sind relativ groß, sind aber auch sehr, sehr teuer. Da verlockt es vielleicht den einen oder anderen, das nach Hause zu nehmen, ja. Autor: Mit den Kuhglockendiebstählen wurde Norbert Bernhard schon auf der Polizeischule aufgezogen. Das Allgäu wird eben unterschätzt. Take 37 Bernhard 1'11'17 Als ich bei der Polizei angefangen hab, ich glaube, heute ist es immer noch so, nimmt man Deutschunterricht auf der Polizeischule bei der Bereitschaftspolizei. Wir hatten damals einen ganz brillanten Deutschlehrer, wir haben ihn immer mit dem Spitznamen "Mr. Duden" bezeichnet, weil das ein Mann war, der immer auf korrekte Aussprache bedacht, auf korrekte Rechtschreibung bedacht war und korrektes Benehmen. Drei Jahre hatten wir Unterricht auch. Und im ersten Jahr wurden wir im Reden geschult, deswegen haben Sie bei mir auch nicht den Original Allgäuer Dialekt, obwohl ich ja Original-Kemptener bin, seit Jahrhunderten im Allgäu verwurzelt....Ich musste vor der Videokamera hochdeutsch reden, damit mich auch jeder versteht in Bayern. Was für mich letztendlich die Folge hatte: Ich habe dann irgendwann mal meine Frau kennengelernt in Hessen, die hat mich verstanden und so sind wir dann zueinander gekommen, ja. Aber ich bin eigentlich Ur-Allgäuer, aber Sie werden bei mir vielleicht nur ansatzweise diesen Allgäuer Dialekt herausfinden. Ich war viele Jahre weg, ich war in München, ich war in Dachau, ich war in Augsburg, dann vermisste ich das Ganze. Und so sieht es hier ja mit einem Großteil der Bevölkerung hier auch aus. Die Fluktuation ist ja relativ groß. Wir haben Leute, die kommen hier zum arbeiten, wir haben hier sehr viele Leute, die wollen hier ihren Lebensabend verbringen, gerade wenn es in den Bereich Füssen, Oberstdorf geht, in diese schönen Gegenden bei uns. Wir haben sehr viele Migranten, wir haben sehr viele Leute aus Nachbarländern, Italien, Frankreich, Türkei. Und das Ganze bildet ja, so wie überall auch, das Allgäu und die Allgäuer Leute. Wer soll jetzt hier der typische Allgäuer Täter sein oder die typische Allgäuer Straftat. Die gibt es nicht. Autor: Kluftingers Allgäu ist keines, das sich aufbläht oder irgendwie volkstümelnd daherkommt. Und es ist erst recht keines, das nur die beschaulichen Ecken vorzeigt. Der Erste Kriminalkommissar Norbert Bernhard kennt sich in beiden aus: in den Kluftinger Romanen und im realen Kempten. Take 38 Bernhard 1'25'23 Ich weiß jetzt nicht, wie viel Kluftinger-Romane Sie gelesen haben, sonst wüssten Sie, dass ja hier in unmittelbarer Nähe unsere fast kompletten Freudenhäuser sind in Kempten. Wir sind ja umrahmt von den Freudenhäusern hier. Autor: Die Gegend um den Polizeidienstsitz ist wenig einladend - und doch; gerade für die Freude im Leben ist hier gesorgt, also, na ja.... Norbert Bernhard sitzt in seinem Büro und zeigt nach und nach in drei Himmelsrichtungen und erklärt: Take 39 Bernhard 1'25'40 Auf dieser Seite sind, welche, auf dieser Seite sind welche, hier sind welche. Auch hier ist der Bedarf im Allgäu sehr groß. Fragen Sie mich bitte nicht, warum oder wer... Take 40 Menzel 01 15'55 Die Residenz ist auf der katholischen Seite. Früher gab es zwei Städte Kempten, katholisch und evangelisch. Residenz und Basilika waren bis ins 19. Jahrhundert das Zentrum der katholischen Stadt und wo das Ratshaus ist, war das Zentrum der evangelischen Stadt. Autor: Maria-Rodica Menzel geht zielgerichtet auf ein kastenartiges Gebäude zu. Residenz, sagen sie hier in Kempten. Es ist die ehemalige fürstäbtliche Residenz. Fürst und Abt - dies war man hier in Personalunion. Jetzt ist hier das Landgericht Kempten untergebracht. Die Fernsehnase eines Krawallsenders führte hier ein echtes Leben - als Richter im Staatsdienst auf Lebenszeit. Bei Sat.1 ist er Pseudorichter, solange die Quote stimmt. Am Kemptener Gericht wurde ein echter Serientäter angeklagt und verurteilt: ein Krankenpfleger, der 29 seiner Patienten tötete. Sein Beiname war schnell gefunden: Der Todesengel von Sonthofen. Die Idylle im Allgäu ist brüchig, wie jede Idylle. Atmo Residenz 19'30 Einlasskontrolle Autor: Maria-Rodica Menzel will durch die Tür. Der Wachmann lässt sie nicht. Es hilft nicht, dass sie Stadtführerin sagt. Es hilft nicht, dass sie Journalist sagt. Und der Name Kluftinger hilft auch nicht. Der Wachmann will die Prozedur. Maria-Rodica Menzel will eigentlich nicht. Sie gibt nach. Schließlich ist hier ein Originalschauplatz. Eine Szene von Kluftinger, wie sie sagt. Erst Tasche in eine Plastikkiste legen, Jacke ausziehen, den Scanner passieren. Der Wachmann wühlt derweil in ihrer Tasche und lässt passieren, immerhin freundlich. Wir gehen durch die nächste Tür. Das Landgericht Kempten. Maria-Rodica Menzel nimmt ihren Ordner, blättert schnell darin und liest. Regie: O-Ton kurz freistehend, dann voice-over und Kluftinger-Musik Take 41 / Sprecher Menzel 01 23'40; An der Pforte wies man ihm den Weg in den zweiten Stock, in das Zimmer von Dr. Möbius. Er ging durch die Vorhalle. Sein Blick fiel auf die riesige Malerei, die die Stadt für eine Weile in helle Aufregung versetzt hatte. Ein Westallgäuer Künstler hatte in den 90er Jahren den Auftrag erhalten, die Geschichte der fürstlichen Residenz und des Stifts Kempten auf der großen Wand im Eingangsbereich darzustellen. Allerdings hatte er andere Vorstellungen davon gehabt als die staatlichen Auftraggeber. Die offizielle Seite hätte gern ein beschönigendes Bild der kulturell herausragenden Fürstabtei gesehen. Der Künstler hatte ein allegorisch-derbes Spektrum ihrer Schattenseiten und ihres Niedergangs gemalt.... Grinsend warf er einen Blick auf die umstrittenste Figur in dem Gemälde, die Papst- Hure mit entblößtem Oberkörper, die auf einer Sau ritt. Allzu fromme Bürger haben Farbe abgekratzt, ein Ausdruck höchster Beschränktheit, wie Kluftinger fand. Seit dem Jahr 1775, als im Bereich des Stifts Kempten das letzte Todesurteil in einem Hexenprozess in Deutschland gefällt worden war, schien sich die Engstirnigkeit mancher kaum zum Besseren gewandelt zu haben. Bisweilen trieb hier allzu große Angst vor Neuem und Unbekannten noch immer seltsame Blüten. Autor: Das Bild. Die Kemptener Geschichte. Maria-Rodica Menzel zeigt auf die Details, die im Krimi beschrieben werden. Mehr will sie nicht dazu sagen. Lieber verweist sie auf ein Buch: Take 42 Menzel 01 30'20 Schauen Sie mal, Sie können das kaufen...Wenn Sie die Geschichte vertiefen wollen, dann brauchen Sie bestimmt einen ganzen Tag, mindestens. Autor: Sie sagt noch, dass der Künstler sein Bild nicht vollenden durfte. Das lässt sich schlecht verbergen. Immerhin, das Bild ist noch zu sehen - für jeden, der sich der Sicherheitsprozedur am Eingang der Residenz unterwirft. Maria-Rodica Menzel eilt weiter. Kluftinger ist viel in Kempten unterwegs. Die Stadtführerin ist ihm weiter auf der Spur. CD Sherlock Holmes Autor: Und dann.... Take 43 Kobr Ich tät einen Capuccino trinken. Autor: Kluftinger, also der halbe Kluftinger: Effekt: Sprecher: Name: Kobr. Vorname: Michael. Beruf: Lehrer und Schriftsteller. Gemeinsam mit Volker Klüpfel Erfinder und Autor der Krimis um den Allgäuer Kommissar Kluftinger, Spitzname: Klufti. Take 44 26'53 Es gab immer einen Punkt, wo wir gedacht haben, jetzt haben wir es geschafft, bzw. wo wir vorher gedacht haben, wenn wir das erreicht haben, dann haben wir es geschafft. Hoffentlich gehen die Punkte nie aus, sonst wär man am Ziel. Früher haben wir gesagt, mei, keine Ahnung, wenn die ersten tausend Stück verkauft sind, dann haben wir es geschafft. Dann haben wir uns gedacht, wenn wir an der großen Buchhandlung am Münchner Marienplatz verkauft werden, dann haben wir es geschafft, wenn wir im Spiegel sind, haben wir es geschafft, wenn wir im Spiegel Nr. 1 sind, dann haben wir es geschafft. Es gibt zum Glück immer noch eines drauf und wieder ein Neues...Also, geschafft hat man es nie. Autor: Michael Kobr hat vorgeschlagen, sich in einem Cafe in der Nähe der Polizei zu treffen: Take 45 Kobr 1'06 Es hat zur Belebung der Innenstadt beigetragen, dass die Kriminalpolizei mittlerweile wieder vom Stadtrand direkt ins Herzen der Stadt gezogen ist. Und ich glaube, die Original-Kluftinger Kollegen sind eigentlich ganz glücklich drüber. Das einzige Problem, das auch der Kluftinger hat, ist, dass es keine Parkplätze gibt. Autor: Der Blick aus dem Cafe fällt auf Beton, viel Beton. Ein Parkhaus. Es steht in der Königsallee. Vielleicht ist die Tristesse ein Zeichen, dass wohl auch in Bayern die Zeit der Königsverehrung vorbei ist. So eine Straße nach einem König zu benennen - früher hätte das zu einer Gerichtsverhandlung geführt, wegen Majestätsbeleidigung. Take 46 Kobr 1'26 Parkhäuser kosten natürlich Geld und für einen echten Allgäuer, was ja gleichzeitig auch ein Schwabe ist, stellt das ein großes Problem ist. Autor: Der echte Allgäuer. Später wird er sagen, dass man da nah am Klischee ist. Eines ist wenigstens sicher: Der Allgäuer ist kein Großstädter. Das muss nichts Schlimmes sein. Take 47 Kobr 45'37 Man sagt dem Allgäuer nach, dass er verschlossen ist und sich nicht gleich auf den ersten Drücker jedem öffnet. Das sagt man aber vielen Bergbewohnern nach oder Alpenbewohnern. Autor: Kommissar Kluftinger will seine Ruhe haben. Er hat sie selten, weil immer irgendwo eine Leiche herumliegt oder der Mann der Freundin seiner Frau auftaucht. Kluftinger könnte nicht sagen, was davon schlimmer ist. Technischen Innovationen sind ihm ein Gräuel, er wird rot, wenn er verlegen ist und er hat ein Wort, das nur ihm gehört: Priml. Überhaupt seine Sprache. Es ist dieser Allgäuer Dialekt mit den langgezogenen Aas, den vielen Schs - wahrscheinlich gibt es kein Wort ohne das eine oder andere davon. Und überhaupt gibt es Begriffe, von denen kein Wörterbuch dieser Welt etwas ahnt. Fast zehn Jahre ist dieser Kluftinger nun in der Welt. Die Autoren haben eine Figur geschaffen - und die Welt hat nun Erwartungen an diese Figur. Take 47a Kobr Die Figuren müssen sich entwickeln, die Fälle. Also, am Anfang hatte er ja wahnsinnige Probleme mit dem Internet gehabt. Irgendwann kann er es, sonst ist es nicht mehr lustig, irgendwann muss er seine Mails lesen können und muss vor neue Herausforderungen gestellt werden, weil, wenn er das nach sechs Fällen noch nicht kann, dann ist er einfach ein Depp und dann glaubt man ihm auch nicht, dass er in seinem Job grandiose Arbeit vollbringt eigentlich. Die müssen sich selber treu sein, die Figuren, müssen aber auch eine gewisse Entwicklung durchmachen. Man darf nicht nur auf das Regionale schauen und noch fünf mal auf das Klischee draufhauen, sondern lieber einmal etwas weniger. Autor: Auf der Theaterbühne ist Kluftinger angekommen - und im Fernsehen. Take 48 Kobr 13'22 Das Problem war, es gibt nicht allzu viele Allgäuer Schauspieler, die des Idioms mächtig sind - und das war uns wichtig. Es sollte nicht so ein, keine Ahnung, Alpen- Sprech oder so was sein, wenn, dann sollte es authentisch sein. Es gibt ja ganz viele Werbungen, wo sozusagen das Allgäu propagiert wird, wo dann oberbayerisch gesprochen wird. Das ist natürlich unerträglich für die Leute, die sozusagen aus der Region sind. Und das soll hier funktionieren und es soll deutschlandweit funktionieren. Deswegen war uns da die Authentizität wichtig und da war Herbert Knaup natürlich ein Glücksfall - von dem wir gar nicht wussten, dass er aus Sonthofen kommt und quasi native speaker ist. Autor: Und: Michael Kobr geht mit seinem Co-Autor Volker Knüpfel auf Lesereise - sehr erfolgreich: Die Zuschauerzahlen sollen da schon im vierstelligen Bereich liegen: Take 49 Kobr 52'05 Es ist eigentlich auch keine Lesung, es ist eigentlich eine Mischung aus einer Comedy-Show und einer Lesung, so muss man das sehen. Deswegen müssen wir den Leuten auch immer sagen: He, Leute, was euch da erwartet, ist keine klassische Lesung, also das ist was ganz anderes. Aber es gibt tatsächlich diese Schwellenangst vor den Lesungen und das haben wir auch am Anfang gemerkt und das hat sich auch so 'rumgesprochen, dass man da schon hingehen kann, auch wenn man eine Hausfrau ist und Mitte 50. Autor: Ein Allgäuer Kommissar wird zur Kultfigur - auch außerhalb des Allgäus. Ein Verdacht kommt da auf: Vielleicht steckt in diesem Kluftinger gar nicht soviel Allgäu, sondern mehr der brave Durchschnittsmensch von hier und heute mit seinen Problemen, Ängsten und vor allem Sehnsüchten. Kluftinger ist einfach ein Typ - nicht politisch korrekt, nicht immer mutig, nicht interessiert an jeder Sau, die durchs Dorf gejagt wird. Also wie war das: Kluftinger ist zuverlässig mäklig und schlecht gelaunt, er neigt zur Bequemlichkeit und sieht nicht besonders gut aus. Und deshalb mögen die Leute den Kluftinger. Take 50 Kobr 43'11 Kluftinger ist halt auch, viele sagen ja, er ist ein Spießer, er ist halt auch ein Vertreter seiner Generation und quasi seines Lebensalters. Da ist die Pensionierung nicht mehr in allzulanger Ferne, der Sohn ist schon aus dem Haus. Insofern ist er wahrscheinlich relativ glaubwürdig. Solche Leute kennt eben auch jeder. Ob das die eigenen Eltern sind oder ob es der Partner ist oder ob es Onkel und Tante sind. Autor: Kluftinger ist erfolgreich, weil er so durchschnittlich ist, so wie alle, also die meisten in Gedanken. Kluftinger ist die Sehnsucht, die jeder in sich trägt: All das sein lassen, was nervt: Zeitgeist und aktive Erholung. Es ist die Sehnsucht, nicht immer biologisch wertvoll essen und pädagogisch wertvoll reden zu müssen. Und so ist Kluftinger selbst als Anti-Zeitgeist schon wieder Zeitgeist. Könnte heißen: Kluftinger sind wir alle. Deshalb gefällt Michal Kobr auch die Schublade nicht so recht, in der Kluftinger abgelegt ist: Regional-Krimi. Take 51 Kobr 39'40 Das ist so eine Schublade, aus der man einfach nicht mehr rauskommt. Wir sind klar damit angetreten, mit einem klar regionalen Thema. Aber da lassen die Leute einen nicht mehr raus. Da gibt es die Regionalkrimis und dann gibt es die richtigen Krimis, das ist, dagegen anzuschreiben ist nicht so einfach. Autor: Aber genau das funktioniert: Wahrscheinlich entsteht irgendwo schon ein Krimi mit Lücken im Text, wo nur noch Stadt- und Straßennamen eingetragen werden müssen, ein weltumfassender Regionalkrimi sozusagen. So kriegt jedes Dorf seinen Mordfall und seinen Kommissar, der dann natürlich überall gleich aussieht. Willkommen in der Krimiwelt, die nach dem McDonalds-Prinzip funktioniert. Nur müssen die Ermittler nicht diese albernen Mützen tragen. Und vor allem: Keine Gegend ohne Leiche. Take Kobr 33'45 Da ist dann eher auf Vermarktung gedacht, wo man sozusgen more of the same hat. Das ist so eine Gefahr, wie wir auch immer im Hinterkopf haben, dass sich solche Sachen totlaufen. Wo dann halt der fünfte Krimi irgendwie im Winzermilieu oder so spielt, da ist dann irgendwann nicht mehr viel Platz für Neues, was einfach das Ambiente angeht. Nun, oft wird das ja gemacht. Wenn man sich die Vorschauen der Verlage anschaut, dann sind in jeder fünf Krimis mit Hirschgeweih und karierter Tischdecke drauf. Und das ist einfach more of the same. Ich glaube, da haben die Leute irgendwann genug davon. Wenn man versucht, was Neues zu machen, was zu wagen, dann wird man auch belohnt dafür, dass das eines der Originale ist. Autor: Was werden sich die Verleger eigentlich nach den Regionalkrimis ausdenken? Ich hätte da eine Idee: Berufsgruppen-Krimis, also die Leiche gehört immer einer bestimmten Berufsgruppe an. Zahnärzte gehen immer. Oder Banker. So kann jeder Leser zum Feindbild seiner Wahl greifen. Die Täter in den Krimis müssten dann natürlich auf milde Urteile hoffen, denn der nächste Fall darf nicht zu lange auf sich warten lassen. Musik Autor: Willibald Spatz überarbeitet gerade seinen vierten Krimi mit Birne. Michael Kobr und Volker Knüpfel arbeiten an einem neuen Kluftinger - Arbeitstitel: Kluftinger 7. Es wird wieder einen Mord geben. Maria Rodica Menzel hofft darauf, dass im nächsten Buch viele Orte in Kempten vorkommen, die Autoren hätten es ihr versprochen. Und Norbert Bernhard will eher weniger Tote im richtigen Leben. Aber da ist er machtlos. Und Kluftinger? Wer irgendwo als Kriminalkommissar aus dem Allgäu erkannt wird, ist eben der Kluftinger. Dagegen kann man wohl nichts tun. Es kann ja auch nett sein, manchmal. Biermösl Blosn Kennmusik Spr. v. Dienst Abseits der Idylle Die dunklen Seiten des Allgäus Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Thomas Klug Es sprachen Christoph Krix und der Autor Ton: Christiane Neumann Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2012 Manuskript und Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1