COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Selbsthilfe Wissen - Firmen reagieren auf Bildungslücken bei Lehrlingen - Autor Susanne Schrammar (kurz) Renée Willenbring (lang) Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg,. 24.06.2010 - 13.07 Uhr Länge Moderation (siehe Ablaufplan) folgt Script Ablaufplan Script Ablaufplan M 01 ErkMu REGIE Musik kurz frei & unter Moderator legen MOD Selbsthilfe Wissen. Bildung und Auszubildende in Niedersachsen. Am Mikrofon begrüßt Sie dazu Claus Stephan Rehfeld. REGIE Musik kurz frei & unter Moderator weg MOD Die Jugend, die Bildung, der Arbeitsplatz, auch Arbeitsmarkt genannt. Ein Thema, welches die Betroffenen besonders bewegt und über das die Politik seit Jahren zu Rate sitzt und Beschlüsse faßt. Doch für 15 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 25 heißt es bundesweit immer noch: Auf die Plätze, fertig, arbeits-los. Die Wirtschaftskrise betätigt sich nicht als Jobmotor. Und in den offiziell 15 Prozent sind jene Jugendlichen ohne Arbeitsplatz nicht erfaßt, die sich in "Warteschleifen" der Weiterqualifizierung bewegen. So weit die bundesweite Beschreibung, die für Niedersachsen liefert nun Susanne Schrammar. LR-k Bildung NI / Schrammar - 3'16" E 01 (KÖSTER) Die Ausbildungssituation auf dem niedersächsischen Arbeitsmarkt ist vergleichsweise stabil. Wir haben die Krise überstanden, ohne dass es einen größeren Einbruch gegeben hätte. (BODE) Also, die Lage ist in Niedersachsen, was den Arbeits- und den Ausbildungsmarkt angeht, im Vergleich zu allen anderen Bundesländern hervorragend. AUT Michael Köster von der Bundesagentur für Arbeit in Niedersachsen und der niedersächsische Wirtschaftsminister Jörg Bode, FDP, sind sich einig: Sorgen um den Lehrstellenmarkt müsse man sich in Niedersachsen nicht machen. Der robuste Arbeitsmarkt in diesem Bundesland sei Dank, sagt Wirtschaftsminister Bode. E 02 (BODE) Einmal ein Arbeitgeber VW mit allen Zulieferern, der absolut stabil ist, der hervorragende Ergebnisse schreibt, aber auch die Ernährungswirtschaft, die nicht volativ ist, die nicht so exportlastig ist, haben uns geholfen und die Struktur mit den ganz vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die solide gearbeitet haben und auch solide Personalbestände haben. AUT Bisher liegen nur Zahlen vom Mai dieses Jahres vor. Danach hat von den rund 55.000 Ausbildungsbewerbern in Niedersachsen knapp die Hälfte bereits eine Lehrstelle gefunden, das sind deutlich mehr als im vergangenen Jahr zu dieser Zeit. Dass jedoch auch die Zahl der unversorgten Bewerber leicht gestiegen ist, führt Michael Köster von der Bundesagentur für Arbeit darauf zurück, dass die Bewerber insgesamt in Niedersachsen mehr geworden seien. Nicht weil es mehr Jugendliche gäbe, sondern weil sich die Agenturen für Arbeit stärker um Kunden bemühe. E 03 (KÖSTER) Wir kennen jetzt einfach mehr Jugendliche, die zu uns kommen, wir gehen direkt in die Schulen und sprechen Jugendliche an. AUT Auch die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ist in diesem Jahr leicht auf bisher 39.000 in Niedersachsen gestiegen. Ein Erfolg, den sich die niedersächsische Landesregierung auf die Fahnen schreibt, die erneut einen Ausbildungspakt mit Unternehmern und Verbänden aufgelegt hat. Darin verpflichtet sich die Wirtschaft, jährlich 3.000 neue Ausbildungsplätze schaffen. Rund 18.000 Lehrstellen sind - Stand Mai - noch unbesetzt. Von Unternehmern heißt es, es sei zunehmend schwieriger, für manche Berufe die passenden Bewerber zu finden - Stichwort:"mangelnde Ausbildungsreife". Ein Ziel des Ausbildungspaktes, so Wirtschaftsminister Bode, sei es deshalb auch, die Ausbildungsfähigkeit der Bewerber zu verbessern. E 04 (BODE) Wir haben eine Gruppe, die Probleme hat. Und dafür haben wir die Förderprogramme. Da gibt's Proaktiv-Center, da gibt's Jugendwerkstätten, da gibt's aber auch Unternehmen, die sagen, ich nehme jetzt mal jemanden mit dazu, der macht bei mir ein Praktikum, den führe ich an normale Tagesabläufe an und geb ihm auch Erfolgserlebnisse. Ich erlebe bei den Unternehmen momentan, dass sie sagen, wir haben ein Problem mit unserer Fachkräfteversorgung, wenn wir da nichts gegen tun. AUT Derzeit befinden sich rund 35.000 Jugendliche in Niedersachsen ein einer staatliche geförderten Weiterbildungsmaßnahme, dabei entstehen laut Bundesagentur für Arbeit Kosten in Höhe von rund 100 Millionen Euro jährlich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich bewusst gegen eine Mitgliedschaft im Ausbildungspakt der niedersächsischen Landesregierung entschieden. Dem DGB geht der Pakt nicht weit genug, es müssten mehr Lehrstellen geschaffen werden. Ausbildungsexpertin Helga Papendiek-Apel vom DGB Niedersachsen kritisiert zudem den Ansatz des Paktes. Manche Unternehmen forderten von den Jugendlichen einfach zu hohe Qualifikationen. E 05 (PAPENDIEK-APEL) Das würde ja bedeuten, Schule muss passgenau auf die Erwartungen der gerade im Moment geforderten Qualifikationen hin qualifizieren, das kann ja auch nicht sein. Wenn die Jugendlichen alle Qualifikationen mitbringen, dann brauche ich keine Ausbildungswerkstatt mehr. -ENDE Schrammar- MOD Die meisten Firmen müssen ihre Lehrlinge zur Nachhilfe zu schicken, konstatieren die Unternehmerverbände Niedersachsen. Nur so könnten die Betriebe den Azubis das nötige Grundwissen vermitteln. Um Wissenslücken zu schließen, hat mehr als jedes zweite Unternehmen Nachhilfe-Kurse organisiert, in denen die Auszubildenden nachlernen müssen. Die niedersächsische Chemieindustrie hat dafür sogar schon eigene Ausbildungszentren eingerichtet. Weil qualifizierte Bewerber knapp sind, greifen die Unternehmen zur Selbsthilfe und vermitteln selbst ihrem Nachwuchs die erforderliche Ausbildungsreife. Selbsthilfe Wissen. Reneé Willenbring hat sich davon ein Bild gemacht. LR-l Selbsthilfe Wissen / Willenbring - 14'51" E 01 (Bürgel) Ja Rechenaufgaben, Ihr habt ja einiges schon gemacht an Temperaturmischungen, kaltes Wasser, warmes Wasser. Wie viel Mengen muss ich zusammenbringen, um eine bestimmte Temperatur zu haben? Und das müssen wir einfach noch mal ein bisschen üben, da müsst Ihr sicher sein, das kommt in der Prüfung vor. AUT Der Klempnermeister Eberhard Bürgel aus Nienburg bei Hannover gibt seinen Azubis Nachhilfeunterricht. Freitags ab 1 Uhr, nach dem Feierabend. Da nimmt sich der Chef einmal im Monat bis vier Uhr Zeit, um seinen Lehrlingen das beizubringen, was sie in der Schule nicht gelernt haben. E 02 (Bürgel) Es sind die üblichen Mängel, wo wir feststellen, Lesen, Schreiben, Rechnen. Und dann sind es so Dinge, die oft von dem Wertesystem nicht so ganz zu uns passen. Das sind so Dinge wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit und Ehrlichkeit, Leistungsbereitschaft. Und da ist so die Frage, wo kommt das her? Im Handwerk ist man sehr schnell geneigt zu sagen: Na, ja, die Schulen bringen uns nicht die richtigen Auszubildenden mit den richtigen Inhalten, sie haben also zu wenig mitbekommen. AUT Der 55jährige Diplomingenieur für Versorgungstechnik, Heizung, Klima und Sanitär hat 33 Mitarbeiter, davon stets zwischen sechs und neun Azubis. Mit den Jahren hat er festgestellt, dass es bei vielen schon hakt, wenn sie geschäftlich telefonieren müssen oder Kunden begrüßen sollen. Auch beim Dreisatz, Prozent- und Bruchrechnen hapert es oft. Deshalb macht Bürgel einen Test, bevor er einen Lehrling einstellt. Der Bewerber bekommt eine kleine Matheaufgabe, die er ohne Taschenrechner lösen muss. E 03 (Bürgel) Da stelle ich also die Frage: Ein Fahrrad kostet 400 Euro. Und die Fahrradversicherung, die kostet drei Prozent im Jahr. Und dann frage ich: Was muss ich denn dann im Monat bezahlen? Und bei einer solchen Aufgabe scheitern viele und zwar nicht nur Hauptschüler, sondern auch Realschüler haben damit ihre Schwierigkeiten. AUT Auch bei den Umgangsformen und den Sekundärtugenden liegt so einiges im Argen, hat der Handwerksmeister festgestellt, der als stellvertretender Landesinnungsmeister in Niedersachsen die Ausbildung sehr genau nimmt. Elementare zwischenmenschliche Beziehungen hätten offensichtlich durch übermäßigen Gebrauch von Fernsehen und Spielkonsolen gelitten. Erst neulich hat er mit einem Azubi gesprochen, der verspätet zu einem Termin erschien. E 04 (Bürgel) Und dann hab ich ihn gefragt, was würde denn Deine Freundin tun, wenn Du nicht pünktlich zu Deiner Verabredung kommst? Die wäre sauer. Und dann hab ich gesagt, darf ich das denn jetzt vielleicht auch ein bisschen sein? Ja, ja, wenn man das so betrachtet, haben Sie schon recht. Durch solche typischen Fallbeispiele versuche ich den Auszubildenden klarzumachen, dass das Einhalten von sozialen Maßstäben innerhalb der Gesellschaft und innerhalb eines Betriebes wichtig ist. AUT Nicht nur kleine Handwerksbetriebe, sondern auch große Industrieunternehmen klagen über eklatante Mängel in der Ausbildungsreife ihrer Azubis. Ein Beispiel ist die Chemische Industrie in Norddeutschland. Hier sind immer mehr hauptamtliche Ausbilder eingespart worden. Deshalb hat die Branche für einige Mitgliedsunternehmen das komplette Ausbildungsmanagement übernommen. In der Bildungsakademie in Peine bei Hannover, eine von drei Akademien in Niedersachsen, bekommen die jungen Leute in einer Verbundausbildung zusätzlichen Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen. Auch in der praktischen Arbeit erhalten die Lehrlinge Nachhilfe und lernen, wie hier beim Verschweißen von Kunststoffen, dass sie auf Sauberkeit und Genauigkeit achten müssen, weil sonst das Material aufreißen könnte. Der Nachhilfekurs wendet sich an Lehrlinge, die eine Ausbildung als Industriemechaniker, Mechatroniker, Chemikant, Laborant und Produktionskraft Chemie machen. Pro Jahr hat jeder Teilnehmer fünf Lehrgänge, alle zwei Monate eine Woche. Dafür muss der Betrieb pro Teilnehmer und Monat 1.450 Euro bezahlen, sagt der Leiter der Akademie, Frank-Peter Schild. E 05 (Schild) Und da geht es um die klassischen naturwissenschaftlichen Kenntnisse, Chemie, Physik, Biologie, aber es geht auch um Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sprache und Ausdruck, ist ein großes Defizit nach wie vor. Das ist die sms- Generation wahrscheinlich, die sich da anders ausdrückt. Und natürlich auch, was das Zusammenleben angeht, was das soziale Miteinander angeht, auch das ist schwieriger geworden. Die Auszubildenden bei uns, die in einer Gruppe sind, die üben das auch ein. Wir nehmen die auch mit eine Woche auf ein Seminar zur Vermittlung von Sozialkompetenzen und Schlüsselqualifikationen, Rhetorik, Kommunikation, Projektarbeit und ähnliches. Das rundet das letztendlich ab. AUT Worum sich früher in den Betrieben die hauptamtlichen Lehrlingsausbilder gekümmert haben, das kann heute in den Kursen der Bildungsakademie geleistet werden. Kevin Krause ist einer der zehn Kursteilnehmer. Der 19jährige ist im zweiten Lehrjahr seiner dreijährigen Ausbildung als Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik. Anders als in der Berufsschule oder in seinem Ausbildungsbetrieb, erhält er in den Kursen der Bildungsakademie eine Rundumbetreuung. E 06 (Krause) Es ist halt so, dass unsere Chefin auch vorbeikommt, dass sie fragt, wie es uns geht. Die Leute kümmern sich wirklich um uns, ist nicht so, dass wir allein auf uns gestellt sind. AUT Wir müssen für die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler eine Brücke von der Schule in die Ausbildung bauen, sagt der Pressesprecher des Unternehmerverbandes Chemie-Nord, Alexander Warstat. Zwischen den Hauptschulen und den Ausbildungsbetrieben müsste ein viel engeres Netzwerk geknüpft werden. E 07 (Warstat) Natürlich soll die Schule weiter fürs Leben ausbilden, aber sie können vielleicht Bausteine mit einbeziehen, dass Schüler, die wissen, sie gehen demnächst in ein Ausbildungsverhältnis, dann auch mal Sachen wiederholen, die sie in der Ausbildung brauchen und nicht mit Rechenarten aus der Schule kommen, die dann gar nicht mehr von Nöten sind und das, was sie in der Ausbildung brauchen, gar nicht mehr können, dass das in der Ausbildung erst mühsam wiederholt werden muss. Das probieren wir durch Zusammenbringen der entsprechenden Personen zu fördern. Wir wollen natürlich auch nicht das Schulsystem ändern, aber die Unternehmen können auch nicht die Reparaturbetriebe der Schulen sein. Und das ist genau das Dilemma, in dem wir uns befinden. AUT Als es noch genügend Azubis gab, haben die Unternehmen die Defizite der Lehrlinge nicht so stark gespürt. Da suchten sich die Personalchefs einfach die besten Bewerber aus. Weil in den letzten fünf Jahren aber die Anzahl der Bewerbungen zurückging, ist unter den Firmen ein regelrechter Kampf um qualifizierte Fachkräfte ausgebrochen. Deshalb müssen sich die Firmen heute auch mit den nicht so leistungsstarken Bewerberinnen und Bewerbern auseinandersetzen. Die Unternehmerverbände Niedersachsen, die die Interessen von 65 Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden im Land vertreten, verweisen darauf, dass mittlerweile jede zweite Firma ihre Azubis nachqualifiziert und zur Nachhilfe schicken muss. Hauptgeschäftsführer Volker Müller: E 08 (Müller) Das war in Zeiten, in denen die Zahl der zur Verfügung stehenden Auszubildenden noch größer war, zumindest nicht so intensiv bei uns erschienen, weil wir da natürlich auch die Chance hatten auszuwählen. Wir kommen jetzt in eine Situation, dass wir das Potential, was wir haben, einfach besser nutzen müssen. AUT Schon 2009 sind bundesweit 50.000 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben, weil die Betriebe keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber mehr gefunden haben. Der Nachwuchs sichert aber die Zukunft der Firmen, sagt Holmer Struck, der stellvertretende Personalchef des hannoverschen Unternehmens Contitech, das weltweit 22.000 Beschäftigte in der Kautschuk- und Kunststofftechnologie beschäftigt. Nach seiner Kenntnis sind 350.000 junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren arbeitslos, dazu noch weitere 300.000 in berufsfördernden Maßnahmen. Bundesweit stünden etwa eine halbe Million Menschen vor der Tür, die man für eine Ausbildung gewinnen könne, rechnet Struck vor. E 09 (Struck) Die jungen Menschen können ja auch im privaten Leben mit dem Computer umgehen, die können surfen und die können diese Softwares bedienen. Manchmal können sie auch irgendwelche firewalls knacken. Die können sehr talentiert mit diesen Dingen umgehen. Das lernen sie doch auch. Warum schaffen wir es nicht, die jungen Menschen für uns zu begeistern? Wir stehen vor der Tür und wir müssen diese Menschen für uns gewinnen, das ist meine Sicht der Dinge und nicht umgekehrt. E 10 (Lehrerin) Leute, könnt Ihr alle mal hier rumkommen, ich möchte Euch was zeigen. Kommt Ihr bitte mal? Also viele von Euch sind jetzt so weit ... Thomas! Viele von Euch sind ja schon so weit, dass sie das Gewinde schon fertig haben, jetzt geht es darum, dass Ihr auf Maß feilt. Ich möchte Euch einen Trick zeigen. AUT Um möglichst viele Hauptschülerinnen und Hauptschüler für eine Ausbildung zu gewinnen, unterstützt der Conti-Mutterkonzern eine Metallwerkstatt in der Hauptschule Badenstedt. Hier bekommen die Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse zweimal pro Woche praktischen Unterricht im Bearbeiten von Metall. Unterstützt werden sie von der benachbarten Berufsschule. Die Klasse feilt gerade aus einem Stahlrohling Formen wie zum Beispiel einen Stern oder einen Ball. Das Angebot, das bisher an Hauptschulen nicht üblich ist, motiviert die angehenden Azubis und erleichtert ihnen den Übergang in den Beruf. Die Schülerinnen und Schüler sind begeistert dabei. Hier kann man mal was Richtiges machen, was man auch im Beruf braucht, sagt die 16jährige Marga, die gerne eine Ausbildung als Kfz-Mechatronikerin machen würde. E 11 (Marga) Viele Chefs sagen ja, das glauben wir Dir gar nicht. Und wenn ich das dann vorzeige und sag, das habe ich gemacht, dann sehen sie das auch und respektieren mich als Mädchen. AUT Der Berufsschullehrer Klaus-Dieter Kutsche, der die Metall-Klasse betreut, verweist darauf, dass die Arbeitswelt sich in den letzten 30 Jahren total verändert hat. Die Schüler sind heute nicht dümmer als früher, sagt der 64jährige Pädagoge. Vielmehr seien die Anforderungen erheblich gestiegen. E 12 (Kutsche) Früher war das Schmieden, das Gießen, das Feilen, das Sägen die Hauptbeschäftigung des Metallbearbeiters bzw. Handwerkers. Jetzt ist es eben zu konstruieren, Arbeitsschritte zu ergründen, mehr im Theoriebereich Zeichnungen herzustellen, im Team zu arbeiten, Arbeitsgruppen zu erstellen. Denken Sie nur an den Autoschlosser, der konnte früher das ganze Auto reparieren. Heute gibt es den Karosseriebauer, der die Beulen raus macht, dann gibt es den Autoelektriker, der vom Radio bis zur Bremssteuerung alles einbaut und dann gibt es den Motorenschlosser, der nur Kolben und Zylinder fertigt. Manuell wird's weniger, geistig und über die Computertechnik wird's mehr. E 13 (Lehrerin) So, Saskia, wie ich sehe, hast Du eine Frisur eingelegt mit Lockenwicklern. Die Trockenzeit ist zu Ende, was musst Du jetzt machen? (Saskia) Überprüfen, ob die Haarsträhnen auch wirklich trocken sind. AUT Körperpflegeunterricht in der Kooperativen Gesamtschule Neustadt bei Hannover. Schon in den beiden letzten Schuljahren werden die Hauptschülerinnen und - schüler hier konsequent auf die Ausbildung als Friseurin vorbereitet. Zusätzlich gibt es Klassen für Bäcker, Kfz-Mechaniker oder Maler. Das Besondere an dieser Berufsvorbereitung ist, dass Handwerkskammer sowie Industrie- und Handelskammer den Praxisunterricht bereits als erstes Lehrjahr anerkennen. Lehrerin Martina Klemke erklärt, wie das sogenannte Neustädter Modell funktioniert. E 14 (Klemke) Das Neustädter Modell beinhaltet, dass die Schüler im neunten und zehnten Jahrgang über zwei Jahre an zwei Schulen Unterricht haben, und zwar an der KGS weiterhin die Hauptfächer Mathe, Bio, Chemie, Physik, also die Hauptfächer und die grundlegenden Fächer, die nötig sind. Und dass die Schüler an zwei Tagen in der Woche hier in der Berufsschule arbeiten und zwar zehn Stunden in der Fachpraxis und vier Stunden in der Fachtheorie. AUT Mit diesem Modell haben die Lehrer ganz konkret auf die allgemein beklagte Ausbildungsmisere reagiert. Sie entstaubten Lehrpläne und stimmten berufliches und fachliches Lernen aufeinander ab. Nach sechs Jahren Schulversuch kann die Schule heute garantieren, dass ihre Schülerinnen und Schüler die von den Betrieben geforderte Ausbildungsreife erreichen. Alle Klassen werden systematisch auf den Beruf vorbereitet. Bereits in der siebten und achten Klasse gibt es jeweils vierwöchige Schnupperpraktika, in der neunten Klasse müssen sich die Schüler dann für einen der vier Ausbildungsberufe entscheiden. Durch den berufsnahen Unterricht verstehen sie zum ersten Mal, wofür sie eigentlich lernen, sagt die Fachpraxislehrerin Erdmute Rabe. E 15 (Rabe) Wenn ich zum Beispiel in Mathe einen rechten Winkel berechnen muss, dann weiß ich, dass ich den hier in Körperpflege zum Beispiel brauche, einen rechten Winkel für eine bestimmte Frisur oder einen spitzen Winkel für eine bestimmte Frisur. Also die Schüler wissen, Mathe ist an der Stelle nicht umsonst. AUT Dank des Schulversuchs hat sich die Zahl der Schulabgänger, die eine Lehre beginnen, von 20 auf 60 Prozent verdreifacht. Die anderen 40 Prozent gehen auf weiterführende Schulen. Alle Schüler sind voll motiviert, sagt der Leiter der Gesamtschule Herwig Dowerk. Anders als früher verlasse keiner mehr die Schule ohne Abschluss. E 16 (Dowerk) In dem Augenblick, in dem die Schüler in dieses Modell einsteigen, werden sie zu jungen Erwachsenen. Sie laufen zwei Tage in der Woche mit dem Blaumann in der Schule rum, sie arbeiten praktisch, handwerklich. Und sie merken zum ersten Mal, dass sie etwas können, von dem sie vorher glaubten, es gar nicht zu beherrschen. Das heißt, sie haben Erfolgserlebnisse. Anstrengungsbereitschaft, Disziplin, Pünktlichkeit, überhaupt sich einer Sache zu stellen und an einer Sache zu arbeiten und dranzubleiben, das was ja häufig Ausbildungsbetriebe vermissen, in diesem Bereich haben unsere Schüler keine Probleme mehr. AUT Immer mehr Schulen erkundigen sich nach dem Neustädter Modell, in Niedersachsen und auch bundesweit. Ob dieses Modell die Lösung für die Ausbildungsmisere ist, wird die Zukunft zeigen. Die Fachpraxislehrerin Erdmute Rabe kann diesen Weg aber wärmstens zur Nachahmung empfehlen. E 17 (Rabe) Das ist natürlich für uns auch motivierend, endlich mal einen Bildungsgang bekommen zu haben, wo man sagen kann, man verspricht den Schülern nicht irgendwas, sondern ganz konkret: Wenn Du alles erlernst, was erforderlich ist, dann können wir Dir versprechen, dass Du einen Ausbildungsplatz kriegst und auch den Beruf erlernen kannst, den Du Dir eigentlich erwünscht. -ENDE Willenbring- MOD Selbsthilfe Wissen. Förderung von Auszubildenden durch Unternehmen. Aus Niedersachsen berichteten Reneé Willenbring und Susanne Schrammar. Morgen dann setzt der Länderreport ab 13.07 Uhr seine Reihe "Es geschah ..." fort. Thema diesmal: Die Rolle der Kirche in der DDR vom Mauerfall bis zur Einheit. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Ablaufplan-