DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Dossier Das Vermächtnis des Paul Abraham. Das römische Recht, der Jude und die deutsche Akademie Ein Feature von Ulrike Bajohr und Dieter Simon Sprecher Paul Abraham Michael Wittenborn Sprecherin 1 - Erzählerin Marietta Bürger Sprecherin 2 - Studentinnenstimme Sigrid Burkholder Sprecher 2 - Student und Zitator Simon Roden Sprecher 3 - Zitator Walter Gontermann Produktion 15. und 16. September H 8.1. ------ Redaktion/Regie: Ulrike Bajohr Ton und Technik: Alexander Dorniak und Dagmar Schonday Musik : Alfred Schnittke, Die Kommissarin, Filmmusik, Take 9, 10, 11, 12 LC 08748 Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 19. September 2008 (Auf Straßenatmo, Schönhauser Allee, Dat ab ca 1`59`00. ) Sprecher Abraham Keine Forschung ist ohne Zeitgeist. Immer trägt sie die Spuren ihrer Herkunft mit sich herum. Manchmal zeigt sich, dass die Erkenntnis zu spät kommt. Wenn eine Sprache nicht mehr gesprochen wird und ihre Zeugnisse in den Wandschränken verstauben, ist es unzweckmäßig, das Leben über einem Wörterbuch zu verhauchen. Aber der Vergeblichkeit gebührt gleichwohl eine Gedenktafel. Sprecherin 1 Dies ist eine Geschichte über Vergeblichkeit und Vergessen, und eine typisch deutsche Geschichte dazu. . Eine Geschichte wissenschaftlicher Kleinarbeit und eines Menschen, der nichts tat als seine Pflicht. Eines Menschen, den Kafka hätten erfinden können. Hier hat er gelebt, in dieser Stadt Berlin. In einem Haus, das stand, wo sich heute eine Brache breitmacht - Schönhauser Allee/Ecke Cantianstraße - schrieb er in höchster Not einen Brief. Atmo weg Ansage/Sprecherin 2: Das Vermächtnis des Paul Abraham. Das römische Recht, der Jude und die deutsche Akademie Ein Feature von Ulrike Bajohr und Dieter Simon Musik : Alfred Schnittke, Die Kommissarin, Filmmusik, Take 12, unter Text beginnen Sprecher Abraham Preußische Akademie der Wissenschaften Berlin NW 7 Unter den Linden 8 Als früherer rechtshistorischer Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften erlaube ich mir ergebenst, folgende Bitte vorzutragen: In 30-jähriger Mitarbeit am Wörterbuch der römischen Rechtssprache habe ich einen wissenschaftlichen Apparat an Druckbögen, Druckfahnen, Manuskripten, Hilfszetteln und Büchern zusammengebracht, der für die Fortsetzung des Werkes von Bedeutung sein dürfte. Daneben habe ich an anderen Unternehmungen der Akademie ... .mitgearbeitet, woraus sich ähnliche Materialien ergeben haben. Ich habe auch zwei von der Berliner Rechtsfakultät preisgekrönte Arbeiten ... verfaßt, die im Manuskript vorliegen. ... Da bei den für mich bestehenden Verhältnissen mit dem Verlust dieser Materialien zu rechnen ist, ... . erlaube ich mir die Bitte auszusprechen, diesen wissenschaftlichen Apparat der Akademie zur hochgeneigten Verfügung übergeben zu dürfen. Paul Israel Abraham Jüdische Kennkarte Berlin A 156453 Musik weg, Pause Sprecherin 2: Kapitel 1: Das Römische Recht Sprecherin 1 Paul Abraham datiert seinen Brief mit dem 19. Dezember 1941. Tags zuvor ist er 55 Jahre alt geworden; geboren 1886 in Berlin, Sohn des kleinen jüdischen Kaufmanns Adolf Abraham aus Posen und dessen Frau Helene. (weiter auf Musik von oben) Todmüde, schlaflos zieht er Bilanz in dieser Nacht am Küchentisch seiner armseligen Wohnung. Wozu hat er es schon gebracht in diesen 55 Jahren? Ein Doktortitel, mehr oder weniger erhungert. Die Beschäftigung als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter - zeit seines Lebens ist er eine Honorarkraft geblieben - verloren. Jetzt Handlanger bei Seidel, Militärausrüstungen. Keine Frau, keine Kinder. Die geliebte Mutter tot. Es ist gut so, denkt er, lange, wird er nicht mehr hier sitzen. Er geht hinüber in sein Schlafzimmer, sieht die Berge von Papier, die Karteikästen ... . Und schreibt ... "erlaube ich mir ergebenst ... .unter den für mich bestehenden Verhältnissen".... --Musik hoch und weg--- Das Werk, dem Paul Abraham in aller Stille 3 Jahrzehnte seines Lebens gewidmet hat, heißt "VIR": Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, Wörterbuch des römischen Rechts. Ein Langzeitvorhaben der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Dieter Simon, Rechtshistoriker, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von 1995 bis 2005, kennt das VIR, und eine Studie des Historikers Jens Thiel hat ihn auf Paul Abraham aufmerksam gemacht. 01 O-Ton Dieter Simon Er hat sich aufgerieben im Dienste dieser Sache, die man dann später mit dem Computer gemacht hat. Das ist ja häufig bei Wissenschaftlern, dass man die Zeit, die etwas in Anspruch nimmt, falsch einkalkuliert. Aber es waren nicht nur die Umstände, die sind auch schlecht gewesen, es war auch die Unterschätzung des Aufwandes, die derjenige dann treiben musste. (ab hier :Aufnahme schalltot und normal) Sprecher 2 Die Arbeit am Wörterbuch des römischen Rechts währte insgesamt 100 Jahre lang - erst 1987 wurde sie abgeschlossen. Dabei hatte das römische Recht in der deutschen Rechtspraxis seinen Gipfelpunkt schon überschritten, als das Unternehmen Vokabularium ins Leben gerufen wurde - von Theodor Mommsen. Jurist, Philologe, später Literaturnobelpreisträger, national- demokratisch gesinnter Gegner Bismarcks und des Antisemiten Treitschke. Eine Autorität (auf. Computergeklapper - Wikipedia-Anmutung.) Sprecherin 2 Das Römische Recht: Bestehend aus Digesten, Codex und Novellen, zusammen das Corpus Iuris Civilis, Gesamtheit des bürgerlichen Rechts. Sprecher 2 Die Digesten: eine riesiges Konvolut von Gutachten über ehemals strittige Sachverhalte, überwiegend Auszüge aus den Schriften römischer Juristen der ersten zweieinhalb Jahrhunderte nach Christus Sprecherin 2 Der Codex: Eine Sammlung kaiserlicher Entscheidungen und Anordnungen vom 3. bis zum 6. Jahrhundert. Sprecher 2 Die Novellen: rund 170 umfangreiche legislative Akte, hauptsächlich von Kaiser Justinian erlassen, der zwischen 528 und 533 auch die Herstellung von Digesten und Codex angeordnet hatte. Sprecherin 2 Dieses römische Recht erwies sich im Vergleich zum mittelalterlichen deutschen Privatrecht als modern: Es war rational, entsprach dem Reichsgedanken und lebte in der Kirche. In deutschen Landen verdrängte es ab dem 15. Jahrhundert das einheimische Recht. (Atmo weg) Sprecher 2 1830 hatte der Rechtsgelehrte und Politiker Karl Friedrich Sintenis dafür gesorgt, dass das gesamte Corpus Iuris Civilis erstmals in Deutsch vorgelegt wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es Friedrich Carl von Savigny, ein Programm zur Erneuerung der Rechtswissenschaft aus dem Geiste des römischen Rechts zu entwerfen und politisch durchzusetzen. 1870 veröffentlichte Theodor Mommsen eine historisch-kritische Edition der Digesten. Die Arbeit der Juristen an einer Rechtsdogmatik, die den Bedürfnissen des Industriezeitalter und des Nationalstaats angemessen war, wurde damit auf eine verlässliche Basis gestellt. Sprecherin 2 Das rief nationalromantisch und rechtspolitisch motivierte Gegenwehr auf den Plan, entzündete Debatten über die prinzipiellen Unterschiede zwischen dem übernommenen römischem und dem germanischen Recht. Die Juristenzunft spaltete sich in Romanisten und Germanisten. Sprecher 2 Das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Januar 1900 war ein Sieg der Romanisten. Es war vom römischrechtlichen Geist imprägniert. Die alten "Quellen" wurden auf diesem Wege zum Gegenstand der Rechtsgeschichte. (Atmo noch mal hoch Übergang in Musik: Take 10 , 0 bis ca 12", frei) Sprecherin 1 Als das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft tritt - es gilt bis heute für jedermann, unabhängig von Rasse, Stand und Religion - ist Paul Abraham 14 und Schüler des Askanischen Gymnasiums Tempelhof, einer liberalen städtischen Institution, auf der neuhumanistischer Bildungskanon und alte Sprachen vermittelt werden. Einer von Pauls Lehrern heißt Bernhard Kübler, Doktor der klassischen Philologie, man würde sich nicht aus den Augen verlieren. Paul eignet sich ausgezeichnete Lateinkenntnisse an - wenngleich ihm das Lernen seit diesem Jahr 1900 nicht mehr so leicht fällt. An seinem Lebenshorizont sind die ersten Wolken aufgezogen. Sein Vater ist gestorben, und er muss fortan seiner Mutter helfen, beider Lebensunterhalt zu verdienen. Die Mutter betreibt einen Handschuh- und Krawattenladen, zunächst Leipziger/Ecke Wilhelmstraße, der immer weniger Ertrag abwirft. Gegenüber entsteht das neue Kaufhaus Wertheim. -Musik weiter,, unter Text - bis ca 30" Einen Spaziergang von Abrahams Handschuhladen entfernt, Unter den Linden, in der Preußischen Akademie der Wissenschaften, müht sich eine Gruppe Philologen und Juristen, die Arbeit voranzutreiben, die der berühmte Mommsen 1887 ins Leben gerufen hat: Eben jenes Wörterbuch der römischen Rechtssprache. Musik weg, wieder Aufnahme schalltot und normal Sprecher 2 Das Vocabularium Iurisprudentiae Romanae sollte mehr sein als eine Liste von Wörtern. Es galt jetzt, die Wörter aus der römischen Normensammlung jenen antiken Autoren zuzuordnen, aus deren Büchern Kaiser Justinian sich bedient hatte. Denn der Kaiser von Byzanz hatte die schon zu seiner Zeit, im 6. Jahrhundert, wesentlich älteren Textfragmente römischer Juristen verändern, umschreiben, den Bedürfnissen seiner Epoche anpassen lassen. Sprecherin 2 Das Vokabularium würde es erlauben, die ursprünglichen Autoren an deren Sprachgebrauch zu erkennen, sie als Individuen sichtbar zu machen. Und wenn es dann noch mit Hilfe philologischer Studien gelingen würde, durch die alte Sprache auch der alten Sache habhaft zu werden, würde man das klassische römische Recht, das Recht des Römischen Prinzipats, von allen späteren Zutaten gereinigt vor sich sehen. (schalltot weg) Sprecher 2 Aber dies war wohl eher ein Traum von Philologen und Historikern, nicht von Juristen. Sprecherin 1 Die Arbeit am Vokabularium läuft schleppend. In jenem Jahr 1900, im Geburtsjahr des Bürgerlichen Gesetzbuches, feiert die Preußische Akademie der Wissenschaften ihr 200jähriges Jubiläum. Woraufhin Wilhelm der Zweite, deutscher Kaiser, dem Unternehmen Vokabularium aus seinem Allerhöchsten Dispositionsfonds 60.000 Mark zukommen lässt. Eine stattliche Herde von 300 Milchkühen hätte man für diese Summe kaufen können. 02 O-Ton Dieter Simon Das war nicht das Vokabularium, das wertvoll war, das war Mommsen, der wertvoll war. Und Mommsen, der ja zurecht in ungeheurem Ansehen bei Kaiser und Reich stand, dem sollte eben ein Geschenk gemacht werden. Und das Geschenk, wie bei großen Wissenschaftlern nicht unüblich, wurde seinerzeit jedenfalls nicht für private Dinge verwendet, sondern für das Vokabularium. Mommsen, der ja der Herausgeber der Digesten ist,.lag natürlich was an dem Vokabularium, und es wurde ihm vom Kaiser ein Wunsch erfüllt, der einem anderen wahrscheinlich nicht erfüllt wurde. Und ob der Kaiser wusste, was in dem Vokabularium stand, wofür das dient, das darf man bezweifeln. Sprecherin 1 Und Bernhard Kübler, Paul Abrahams Lateinlehrer, inzwischen aufgestiegen von der nebenamtlichen Mitarbeit am Projekt Vokabularium zu dessen Leitung, darf das kaiserliche Geld ausgeben. Bis zum Tod Mommsens im Jahre 1903 erscheint - nach 17 Jahren! - der 1. Band, voller Schwung macht man sich an den zweiten. 5 Bände sollen es werden, und noch ahnt niemand, wie lange die Sache wirklich dauern wird. --wieder Take 10, wie oben,unter Text bis ... umziehen--- 1904 eröffnet, einen Fußweg von der Akademie entfernt, das neue Kaufhaus Wertheim. Abrahams Handschuhladen muss vor der Konkurrenz umziehen. Ladengehilfe Paul schafft ein mittelmäßiges Abitur, glänzt dann aber als Student der juristischen Fakultät der Berliner Universität mit herausragenden Arbeiten. Ein Stipendium hat ihm das Studium ermöglich - bis 1909. Auf der Suche nach einer neuen Einkommensquelle meldet sich Paul Abraham bei Bernhard Kübler. Sprecher Abraham 24. Januar 1910 Werksvertrag zwischen der Akademischen Kommission der Savigny-Stiftung und Herrn stud iur,Paul Abraham Herr Abraham übernimmt die Bearbeitung des Dritten Bandes des Vocabularium Iurisprudentiae Romanae, Heft 2 bis 4, Buchstaben I bis M.... und (hat) in längstens drei Jahren je ein Heft von 10 Druckbögen zum Abschluss zu bringen. 03 O-Ton Dieter Simon I ist natürlich ein besonders fataler Buchstabe, weil es viele winzige Alltagsworte mit I gibt. Das Wort ille.. jener, kommt vielleicht 5000 mal in den Digesten vor. ...Dann muss er jeden einzelnen Beleg angucken und sagen, heißt das immer jener. Das ist aber bei Sprache nie so. Also das ist eine mühsame, philologisch sehr verantwortungsvolle Arbeit, weil diejenigen, die es benutzen, natürlich nicht irregeführt werden dürfen über die Frage, ob nicht irgendwo eine Kontextvariante steht, die er übersehen hat, und da gibt es eine falsche historische Hypothese. Sprecherin 1 Der Vertrag verspricht dem "Herrn stud iur" 100 Reichsmark Honorar pro Bogen plus Nebenkosten, was Abraham mit sorgfältiger Lateinschrift quittiert. Einen unexaminierten Studenten für wissenschaftliche Arbeit anzustellen, ist nicht üblich, Kübler musste bei seinen Kollegen um die Stimmen für Abraham regelrecht buhlen. Sprecher 3/Kübler "... ich bitte indessen die Kommission, darüber hinwegzusehen. Denn zu der mühseligen und undankbaren Arbeit ist es schwer, Mitarbeiter zu bekommen. " Sprecherin 1 Leider lässt Paul Abraham in seinem Arbeitseifer zunehmend nach - er tue - schreibt Kübler in einem Bericht an die Kommission fast 4 Jahre später.... Sprecher 3/Kübler "...so gut wie nichts." "Am traurigsten ist es um Band 3 bestellt, der von Herrn Abraham bearbeitet werden sollte, aber nicht ... wird. Mit großem Aufwand habe ich diesen Herrn für seine Tätigkeit ausgebildet. .. Aber was nützt ein guter Mitarbeiter, der keinen Federstrich tut." Sprecherin 1 Die Kommission lädt Abraham vor, der klagt, die Sorge ums tägliche Brot habe ihn leider gebunden, er habe noch andere Aufträge annehmen müssen, zum Beispiel arbeite er noch an einer Edition der "Gesetze der Angelsachsen" mit. Er wäre sehr dankbar, wenn die Akademie Geduld haben wolle.... Das geht so hin und her bis der Erste Weltkrieg beginnt. Am 1. August 1914 macht Abraham sein Notexamen und schreibt der Kommission, er werde nun alles tun, um seinen Anteil am Vokabularium fertig zu stellen - man möge ihm nur bestätigen, dass er mit den Einnahmen seine Mutter ernähre und folglich nicht kriegstauglich sei. Dem patriotischen Kübler gefällt das gar nicht, aber Abraham kriegt diesen Schein . Anfang August meldet sich Paul Abraham dann doch zum Heeresdienst, erst im Februar 1919 kehrt er nach Berlin zurück und liefert ein paar neue Artikel für das Vokabularium. Er kann davon jetzt erst recht nicht leben - denn die Honorare verzögern sich, dem Unternehmen VIR geht das Geld aus. Das jüdische Adressbuch verzeichnet Paul Abraham als Kaufmann oder als Versicherungsangestellten. (Musik Take 10, ca ab 3`02, unter Sprecher 3 auf Ende) 1924 zieht er in die kleine Zweizimmerwohnung Schönhauser Allee 138/139,in der er im Dezember 1941 seinen Brief an die Akademie schreiben wird. Sprecher Abraham ....bei den für mich bestehenden Verhältnissen .... erlaube ich mir die Bitte auszusprechen, diesen wissenschaftlichen Apparat der Akademie zur hochgeneigten Verfügung übergeben zu dürfen..... Paul Israel Abraham Jüdische Kennkarte Berlin A 156453 Sprecher 3/Heymann Notiz Ernst Heymann, Vizepräsident, 6. Januar 1942: Die angebotenen Arbeiten sind .... offenbar sehr wertvoll. Die Modalitäten bestehen (nach näherer Prüfung der Manuskripte) darin, dass wir als Akademie das volle Eigentum und das volle Urheberrecht an den Sachen erwerben .... und dafür aber auch einen angemessenen Betrag bezahlen würden, aus Gründen, die ohne weiteres am Tage liegen. Es ist deshalb nötig, dass umgehend an A. ein amtlicher Brief geschrieben wird. (Ende Musik 10, Stille) Sprecherin 2: Kapitel 2: Der Jude Sprecherin 1 Abrahams Mutter ist 1925 gestorben. Da zählt er fast 40, niemand ist da, um den er sich kümmern muss, niemand, der sich um ihn kümmert. Ab und zu geht er in die Synagoge, schreibt gelegentlich für die jüdische Monatszeitschrift "Der Morgen". Er ist froh, dass es mit dem Vokabularium des römischen Rechts noch einmal bergauf geht. Inzwischen leitet der Jurist und Vizepräsident der Akademie, Ernst Heymann, das Projekt. Heymann würdigt Paul Abraham in den Jahresberichten des Vokabulariums ausdrücklich namentlich - was etwas Besonderes ist. Wenn auch hoch geschätzt - Paul Abraham bleibt freier Mitarbeiter. Diesem Umstand verdankt er ein paar Jahre mehr im Dienste der Buchstaben I bis M. 001 a O-Ton Goebbels vor dem NS-Beamtenbund Es hat auch in den vergangenen Monaten einmal das Volk das Wort ergriffen, gegen die Juden, mit welcher Folge, davon wissen die Juden ein Lied zu singen. (Heil- Rufe)... Und wenn wir die Frage des deutschen Intellektualismus nicht durch Verwaltungsakte regelten, sondern wenn wir sie dem Volke in die Hand geben, na, Gnade ihnen Gott.... Sprecher 2 Parteiprogramm der NSDAP aus dem Jahre 1920, Punkt 19 "Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht". 04 O-Ton Simon Eigentlich ein relativ alter Traditionsbestandteil dieses Parteiprogramms war der Kampf gegen das individualistische römische Recht. Das gehörte zur Programmatik aller rechten Parteien der Weimarer Zeit, auch schon der rechten Parteien vor Weimar. Das bürgerliche Gesetzbuch wurde allgemein als eine reine Frucht römischen Rechts und römisch-rechtlichen Denkens angesehen und dagegen wandte sich eine breite konservative Bewegung, von der die Nationalsozialisten das einfach übernommen haben. Das war ein Teil ihrer Programmatik: Suche nach sozialer Gerechtigkeit, und die soziale Gerechtigkeit sollte eine völkische sein, also keine individualistische und keine kapitalistische und diese Gerechtigkeit hätte nach Vorstellung einiger im Gefolge gehabt, dass das Recht auch geändert wird. Was später, als die Nationalsozialisten gesiegt hatten, auch ins Werk gesetzt wurde, in dem neuen Volksgesetzbuch Sprecherin 1 Das Volksgesetzbuch wird nie fertig - trotzdem soll eine Menge neuer Gesetze und Erlasse dem unauffälligen, mäßig religiösen Juden Paul Abraham das Leben schwer machen. Der "Arierpragraph" im "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 verschont ihn. Der gilt Beamten, und Abraham ist Gott sei Dank bloß eine emsige Honorarkraft, die allein 200 Spalten über das Wörtchen "in" abliefert und froh ist, weiter nicht aufzufallen. Immerhin, Heymann behält ihn, das Projekt VIR läuft weiter, Heymann versteht es, sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren. 05 O-Ton Simon Große ideologische Entscheidungen waren insofern damit verbunden, weil ja die Romanisten, die in der Weimarer Republik zu einem erheblichen Teil aus Juden bestanden, weitgehend vertrieben worden waren, und die Germanisten, die die deutsche Rechtgeschichte gelehrt haben im 3. Reich, die hatten eine große Position, das waren die Herren der Rechtsgeschichte in diesen 12 Jahren... 001 a O-Ton Goebbels vor dem NS-Beamtenbund Ich bin ein nationalsozialistischer Beamter, das ist mein System, merken Sie sich das, für das ich eintrete, das mich nicht nur bezahlt, sondern dessen treuer Diener ich bin! Sprecher 2 Ich gelobe, ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu sein und meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig erfüllen.. Sprecherin 1 Vor solchen Gelöbnissen, die allen Akademieangestellten abgefordert werden - gerne auch in öffentliche Massenspektakeln - bleiben freier Mitarbeiter verschont. Abrahams 18 Jahre jüngerer Kollege, Fritz Schwarz, Altphilologe und seit 1934 mit Werkvertrag am VIR, hat längst freiwillig gelobt - er ist, wie er der Akademie stolz mitteilt, Sprecher 2 ... verheiratet seit 1936 und Mitglied der NSDAP seit 1933. Sprecherin 1 ...was Fritz Schwarz für eine wichtige Rolle im Unternehmen Vokabularium qualifiziert. Musik aus Take 9, von Anfang bis Ende Sprecher 2 Sprecher 2 7. Dezember 1939, Reichsleitung der NSDAP an die Verwaltung der Preußischen Akademie der Wissenschaften "Betrifft: Fritz Abraham Unsere Dienststelle benötigt die im anliegenden Fragebogen offen gelassenen Personalangaben. Besonderen Wert legen wir auf Angaben über die rassischen Abstammungsverhältnisse der genannten Person." Sprecherin 1 Ein Fritz Abraham, schreibt Heymann zurück, arbeite nicht für die Akademie.. Und Paul Abraham tut es nicht mehr. Das müssten die Briefschreiber wissen. Denn schon Ende 1938 erreicht die Entlassungswelle in den staatlichen und wissenschaftlichen Institutionen ihren Schlusspunkt. Noch vor der "Reichspogromnacht", im Oktober, werden die letzten fünf "nichtarischen" Ordentlichen Mitglieder der Preußischen Akademie verwiesen. Paul Abraham ist einer der allerletzten Juden im Dienste der Akademie. Musikzäsur aus Take 9, ca 11-22" Sprecher Abraham. ... gesteht Ihnen die Akademische Kommission ausnahmsweise für die Dauer einer Kündigungsfrist von 6 Monaten je 200 Reichsmark zur Abwicklung Ihres bisherigen Arbeitsgebietes zu. Den Inhalt Ihres Schrankes übergeben Sie bitte Herrn Dr. Schwarz" Professor Heymann, 6. Dezember 1938 002 a O-Ton Goebbels vor dem NS-Beamtenbund Wenn einer schon Diener dieses Regimes ist, so wird er selbst, wenn er Fehler in diesem Regime sieht.... Sprecher 2 12. Mai 1943 (00a3)...sie anderen gegenüber nicht zugeben. Sprecher 2 .. Die Wohnung ist versiegelt und bisher nicht geräumt Für die Freigabe von Gegenständen, die sich noch in der Wohnung befinden, ist das Hauptwirtschaftsamt Berlin zuständig. (00a3) So muss ein nationalsozialistischer Beamter handeln! Sprecher 2 Nach fernmündlicher Auskunft ist die Freigabe des wissenschaftlichen Apparats von Abraham beim Hauptwirtschaftsamt zu beantragen und gleichzeitig ein Termin für die Übernahme zu benennen, bei der ein Beauftragter des HWA zugegen sein muss." Sprecherin 1 Das schreibt Fritz Schwarz an den von den Nazis eingesetzten "Akademiedirektor" Helmuth Scheel, fast anderthalb Jahre, nachdem Scheel Abraham offiziell mitgeteilt hat, man wolle mit ihm über ein "etwaiges Honorar" für seinen Nachlass verhandeln. Abraham hatte auf das kühle Angebot der Akademie knapp geantwortet, er sei krank. Dann meldet er sich nicht mehr. Die jüdischen Kultusgemeinde verlautet, Abraham "diene" im Arbeitseinsatz bei Kurt Seidel, einer Firma, die Militärausrüstungen herstellt. Dort bekommt Paul Abraham 80 Reichsmark monatlich, allein 38 Mark 50 kostet seine Miete. Musikzäsur aus Take 9, ca 11-22" Als Schwarz dann tatsächlich beordert wird, den Kollegen mit dem gelben Stern aufzusuchen - im Mai 1943 also - muss allen Beteiligten klar gewesen sein, dass die Wohnung leer ist. Paul Abraham stand als Transportnummer 31056 auf der Liste des 30. von Berlin- Grunewald nach Auschwitz am 26. Februar 1943. Man hat nie wieder von ihm gehört. "Inliegend Schlüssel zur Wohnung eines evakuierten Juden" steht auf einem bräunlichen Briefumschlag, sauber abgeheftet in den alten Akademieakten. (Stille) Sprecherin 2: Kapitel 3: Die Akademie Sprecher 3/Scheel 15. Mai 1943, Akademiedirektor Helmuth Scheel an das Hauptwirtschaftsamt Der jüdische Staatsangehörige Paul Israel Abraham... hat vor einiger Zeit Berlin verlassen. A. hat früher wissenschaftliche Arbeiten für die Preußische Akademie der Wissenschaften ausgeführt.... Es handelt sich nicht etwa um selbständige wissenschaftliche Arbeit, sondern um Exzerpierungsarbeiten. In der inzwischen versiegelten Wohnung befindet sich Material, das Eigentum der ... Akademie ist. Unter Bezugnahme auf eine fernmündliche Unterredung mit Stadtoberinspektor Mayer bitte ich um Freigabe dieses wissenschaftlichen Apparats. Sprecherin 1 Fritz Schwarz hatte von der Akademie bereits den Auftrag erhalten, das Projekt zu beaufsichtigen, jetzt erbt er auch Paul Abrahams wissenschaftlichen Nachlass. Sprecher 3/Scheel 3. Juni 1943 "Das gesamte Material ist nach Abwanderung des Herrn Abraham übernommen worden", gezeichnet Scheel. Sprecherin 1 Abrahams Hausrat im Wert von 128 Mark 40 und seine wenigen Möbel werden verhökert. Bis zum August streitet sich der Besitzer der "Judenwohnung" mit der Vermögensverwertungsstelle um die ausstehende Miete. Am 22. November 1943 zerstört eine Bombe das Haus. Zu der Zeit dient Fritz Schwarz in der Wehrmacht. Musikzäsur aus Take 9, ca 11-22" Sprecherin 1 Auch die älteren Herren von der Akademiekommission kümmert anderes als das römische Wörterbuch. Bernhard Kübler, der ehrwürdige spiritus rector, ist schon 1940 gestorben. Paul Koschaker und Ernst Heymann übersiedeln nach Tübingen. Nur der Latinist Johannes Stroux bleibt am Entstehungsort des VIR, in Berlin. Hier erarbeitet Akademiedirektor Helmuth Scheel inzwischen Auslagerungspläne für alle wichtigen und wertvollen Dokumente, Bücher, Archivalien, Manuskripte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, auch für den Nachlass Paul Abrahams. Fritz Schwarz wird ihn unversehrt vorfinden. Musikzäsur aus Take 9, ca 22"bis 38" 06 O-Ton Simon Die preußische Akademie, war samt Preußen untergegangen. Es ist aber auf Betreiben der Militäradministration der Sowjets die Akademie alsbald - wegen des großen Respekts der Russen vor der deutschen Wissenschaft, anders kann man das gar nicht verstehen - ist die Akademie alsbald wieder aufgemacht worden. Ihre erste Aufgabe war zu sagen, ja, was denn nun, was machen wir denn nun. Und da hat sie, wie das jede andere Institution auch machen würde, eine Art Bilanz gezogen und die verschiedenen Arbeitsgruppen gefragt: was habt ihr denn in den letzten 12 Jahren gemacht... Sprecherin 1 1945 leben in Berlin noch 15 Ordentliche Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften, und die Frage, was sie in den letzten 12 Jahren gemacht hätten, gilt ihnen zunächst sehr persönlich. Johannes Stroux, der Latinist, kommt dabei am besten weg: Seine verbliebenen Kollegen wählen ihn im Juni 1945 zum kommissarischen Präsidenten einer neuen "Nationalakademie", und die Russen billigen die Wahl: Sie machen ihn genau ein Jahr später zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften - und übrigens auch zum Rektor der wiedereröffneten Universität. A 01 historischer O-Ton Stroux, Unieröffnung,1945, zum Teil unter Text ) ...Er schuf in Zusammenarbeit mit den zum Wiederaufbau im antifaschistischen Geiste geeigneten Persönlichkeiten die doppelte Voraussetzung für ihr Weiterbestehen. Diese personelle Reinigung geschah auf Grund sorgfältiger Überprüfung, um die sich namentlich der vom Magistrat eingesetzte, seit Anfang Juli bestehende leitende Ausschuss für Hochschulfragen verdient gemacht hat..... Sprecherin1 Der personellen Reinigung, von der Stroux im November 1945 vor dem Berliner Magistrat spricht, fällt Helmuth Scheel im Januar 1946 zum Opfer. Zum Trost beruft ihn die wiederbegründete Johannes-Gutenberg-Universität Mainz auf den Lehrstuhl für Islamische Philologie und Islamkunde. a 02 historischer O-Ton Stroux, Unieröffnung,1945, zum Teil unter Text ) Die reichen Bestände an Büchern und Apparaten solcher Institute, die ihres politischen Programms wegen verschwinden mussten, wurden nach Sichtung neuer Verwendung zugeführt... Wie die Akademie und die Universität das Schicksal der Stadt Berlin miterlebt und miterlitten hat, so werden sie auch dem Wiederaufstieg in der neuen Zukunft Berlins mit allen Kräften dienen. (Beifall).. Sprecherin 1 Die Frage, was man denn in den letzten 12 Jahren gemacht habe, kann Fritz Schwarz in einer Hinsicht ehrlich beantworten: am Wörterbuch des römischen Rechts mitgearbeitet. Und deshalb wird er beauftragt, Paul Abrahams Nachlass zum zweiten Mal abzuholen: Jene zehn Kisten, deren Rückkehr aus einem Saline-Schacht bei Schönbeck an der Elbe just am 1. August 1946 gemeldet wird. Pünktlich zur feierlichen Wiedereröffnung der Akademie.. Ein vorläufiger Arbeitsplan der Akademie vom März 1946 verzeichnet die Fortführung des VIR. Sprecher 3/Mitteis An die Deutsche Akademie der Wissenschaften Für Herstellungsarbeiten am VIR beantrage ich im nächsten Etat die Summe von Reichsmark 3600 einzustellen. Prof. Heinrich Mitteis, VIR-Kommissionsmitglied, 20. Oktober 1947 07/08 O-Ton Simon Man hat dieses Vokabularium angefangen, wie viele Vocabularia in den Akademien angefangen worden sind, und dann war es ein institutionalisiertes Projekt, und dieses Projekt wird betrieben von Leuten, die sich dafür interessieren, die das für wichtig halten, und im übrigen geht die Geschichte ihren unabhängigen Gang davon, und man stellt irgendwann fest, und das könnte man heute bei vielen Akademieprojekten auch feststellen, eigentlich ist das Interesse an diesem Projekt längst erloschen. Sprecher 2 Von Band 3 sind erschienen Heft 1 bis 3, die Wörter von h bis ipse, und nach Mitteilung des Verlags ... stand von Band 3 bereits Heft 4, ira bis iuxta, im Satz, der Satz ist aber nicht mehr erhalten. So Fritz Schwarz an Mitteis, 22. Juli 1947 Sprecherin 1 Fritz Schwarz hat das Entnazifizierungsverfahren als "Mitläufer" überstanden. Er arbeitet am 4. Heft des dritten Bandes des Vocabulariums. Die Vorlagen Paul Abrahams lassen die Sache schnell gedeihen, die Verhältnisse im zerstörten Berlin findet Schwarz weniger gedeihlich. Dabei winkt ihm zum 1. April 1948 die erste akademische Festanstellung seines Lebens. Aber er entschwindet. Zu Maxer Kaser nach Münster. Kaser, Romanist alter Schule, will das VIR gerne an seiner Universität weiterführen. 09 O-Ton Simon Die Hochschullehrer, die ihre Lehrstühle wieder eingenommen haben, die haben dort wieder angesetzt; wo sie nach ihrer Sicht zum Aufhören gezwungen wurden, das war nicht unbedingt 1933. Denn schon die Weimarer Republik war ja vielen Hochschullehrern außerordentlich suspekt und verdächtig. Im Grunde genommen haben meine akademischen Lehrer, die ja auch schon ein beträchtliches Alter in den 50er Jahren hatten, angefangen in ihrer Jugend, und das war vor 1914. Und vor 1914 war das römische Recht ein unbestrittener und zentraler Bestandteil des Rechtsunterrichts. Sprecherin 1 Da ist es praktisch, dass Fritz Schwarz das Material aus Berlin gleich nach Münster mitbringt. Leider nur Abrahams Buchstaben "I" sowie P und Q. An dem Coup beteiligt ist Helmuth Scheel in Mainz, der in den kommenden Jahren eine "Verlagerung" weiterer wissenschaftlicher Materialien nach Westen organisiert. Ihn ärgert Schwarz Ungeschick ganz ungemein: Sprecher 3 /Scheel Wie sollen wir nun an das noch im Akademiegebäude befindliche Material herankommen? a03 hist. O-Ton Stroux, 1950, Dtsch.Nationalkongreß Ich rufe also nun gerade allen den Besuchern des Nationalkonrgesses aus dem Westen zu: Wir arbeiten auch hier für Euch. Wir vertrauen auf Euch im Westen, dass wir zusammengehören und einander nicht verlieren werden.(Beifall)... und ich möchte die Bitte ... daran anknüpfen: Vertraut auch ihr der deutschen Wissenschaft, dass sie ihr möglichstes tut für die Einheit und Zusammenarbeit mit dem Westen. (Beifall) Sprecherin 1 Der nunmehr Ostberliner Akademiepräsident Stroux mag 1950 seinen Appell an den ersten "Deutschen Nationalkongreß der Nationalen Front" ernst gemeint haben - in der Folgezeit entfernt sich seine Institution von einer "bürgerlichen" Forschung. Und so verliert auch die römische Rechtsgeschichte auch an den ostdeutschen Universitäten rapide an Bedeutung. Dafür sorgen die von sowjetischem Gedankengut geprägten Bildungspolitiker des Arbeiter- und Bauern-Staates, dafür sorgt aber auch der Exodus des alten akademischen Personals gen Westen. 10 O-Ton Simon Und die dann nachwachsenden Rechtshistoriker haben sich nicht professionell und mit ganzer Kraft auf das römische Recht gestürzt. Die haben das zur Kenntnis genommen und ein bisschen studiert, aber im wesentlichen haben sie sich für die neuere Rechtsgeschichte interessiert, die Rechtsgeschichte vor allem seit der französischen Revolution. Das passte ja auch zur DDR, dass man in erster Linie die Geschichte des Rechts seit der Aufklärung studiert hat. Sprecherin 1 Das römische Recht ist so unwichtig, dass man sich in Ostberlin die Gelegenheit entgehen lässt, aus der Entführung des Abraham-Nachlasses nach Mainz politisches Kapital im Kalten Krieg zu schlagen. Es bläst auch niemand das Vorhaben Vocabularium Iurisprudentiae Romanae ab. Ja, man findet Mitte der 50er Jahre sogar in aller Stille eine Formel, wonach in Berlin die Buchstaben K und M des VIR bearbeitet werden, im Westen, von Schwarz in Münster, das Abrahamsche I sowie P und Q. Die betreffenden Akademiker - auf beiden Seiten - haben Gelassenheit gelernt, schneller als die große Politik: 11 O-Ton Simon Also, wenn man darüber gesprochen hätte, hätte man einen wunderbaren Deal machen können, dass man einfach nichts wegnehmen muss, sondern dass man das einfach dahin transportieren kann, wenn man dafür was anderes gekriegt hätte. Die Situation war für solche Verhandlungen nicht günstig. 30 Jahre später wäre das was anderes gewesen, aber in der Umbruchzeit war man ja noch richtig miteinander verfeindet, und hat, wenn man der Akademie etwas wegnehmen konnte, das in der Neugründung oder Umgründung in Mainz als einen Triumph gefeiert , dass man der Akademie in Berlin eins ausgewischt hat, Musikzäsur aus Take 9, ca 11-22" Sprecherin 1 Fritz Schwarz hat sich inzwischen habilitiert und erlangt 1955 einen juristischen Lehrstuhl in Mainz. Dort residiert mittlerweile die "Akademie der Wissenschaften und Literatur", deren Generalsekretär ist Helmuth Scheel, der Berliner "Akademiedirektor" von 1939 bis 1945.. Unter den Gründungsmitgliedern dieser neuen Akademie finden sich mehrheitlich Leute, die1945 aus der Mitgliederliste der Preußischen Akademie gestrichen worden sind. Aktive Nazis wie der Rassenmediziner Otmar von Verschuer, der Rechtsphilosoph Carls August Emge, der Philologe Franz Specht. Musikzäsur aus Take 9, ca 11-22"/variieren In dieser Gesellschaft betätigt sich Fritz Schwarz als Mitarbeiter der Kommission für Rechtswissenschaft und werkelt weiter am Wörterbuch des römischen Rechts. 1964, nach einer Pause von 25 Jahren erscheint dann wieder ein Heftchen: von "ira" bis "ita" 1970 wird Schwarz emeritiert, schreibt er einen Brief nach Ostberlin und bittet um die Materialien von L bis M, er wolle als Emeritus das Vokabular fertig stellen. Er bekommt sie . 12 O-Ton Simon Anders, als man es heute noch wahrnehmen kann, waren gerade diese historischen Wissenschaftler, soweit sie nicht an sozialistisch oder kapitalistisch sensiblen Punkten gearbeitet haben - also sagen wir mal: am Bild von Preußen oder so - also wenn sie auf dem Gebiet er alten Geschichte gearbeitet haben, da waren die gesamtdeutsch. Und haben diese Gesamtdeutschheit eigentlich erst mit der Wiedervereinigung verloren. Vorher haben die sich ganz gut verstanden und sich ihre Sachen gegenseitig zugeschickt, und haben in dem Maße, wie es unterhalb der offiziellen Schwelle geht, durchaus freundschaftlich miteinander kooperiert. Habe ich ja auch so gemacht. Sprecherin 1 Machen wir `s kurz: Als Fritz Schwarz 1974 stirbt, ist der Buchstabe I immer noch nicht abgeschlossen, und eigentlich bemerkt es auch im Westen kaum noch jemand. Nach der Entstaubung des humanistischen Bildungsideals durch die 68er sinkt die Zahl der romanistisch interessierten Jurastudenten und der entsprechenden Lehrstühle. Schließlich lässt Max Kaser alles Material - auch das aus Ostberlin - nach Österreich schicken. Eine Gruppe um Marianne Meinhardt, Professorin an der Johannes-Kepler- Universität Linz, bringt das VIR zu Ende. Still, zügig und unspektakulär. 1987 ist das Werk komplett. 100 Jahre, nachdem Theodor Mommsen das Projekt ins Leben gerufen hat. Musik : Alfred Schnittke, Die Kommissarin, Filmmusik, Take 12, mit Textende weg 13 O-Ton Simon Dieses Wörterbuch ist überall dort, wo römisches Recht betrieben wird, ein nützliches Hilfsmittel. Das heiß also - da sehr viele romanistische Studien dieser Art - in Deutschland abnehmend, in Italien auf einem festen Plafonds, in Österreich abnehmend, in der Schweiz ganz stark abnehmend, in Frankreich praktisch erledigt - gilt das etwa in diesem Umfang, dass überall, wo geforscht wird am römischen Recht, dieses Wörterbuch den Leuten zur Verfügung ist, die brauchen das. Sprecher Abraham Keine Forschung ist ohne Zeitgeist. Immer trägt sie die Spuren ihrer Herkunft mit sich herum. Manchmal zeigt sich, dass die Erkenntnis zu spät kommt. Musik : Alfred Schnittke, Die Kommissarin, Filmmusik, Take 12 Sprecher Abraham Wenn eine Sprache nicht mehr gesprochen wird und ihre Zeugnisse in den Wandschränken verstauben, ist es unzweckmäßig, das Leben über einem Wörterbuch zu verhauchen. Musik hoch in Straßenatmo übergehend Sprecherin 1 Wer in den Katalogen der Universitätsbibliotheken inzwischen nach dem VIR fahndet, wird nur selten fündig. Im Internet-Katalog des Zentralverzeichnisses Antiquarischer Bücher steht: Sprecher 2 (normal und schalltot) Vocabularium iurisprudentiae Romanae. Teil 3. Halbband 1, H - K von Friedrich Schwarz (Autor), und Marianne Meinhart (Autor) Musikzäsur aus Take 9, ca 11-22"/variieren Sprecher Abraham Aber der Vergeblichkeit gebührt gleichwohl eine Gedenktafel. Sprecherin 1 Fritz Schwarz hat es geschafft, in die Annalen des VIR als Autor einzugehen. Über Bernhard Kübler, Ernst Heymann, Johannes Stroux, Paul Koschaker, Helmuth Scheel, Max Kaser erschienen umfängliche, größtenteils hymnische Beiträge. Paul Abraham, der 30 Jahre seines Lebens übrigens auf insgesamt drei Wörterbuchprojekte verwandt hat, findet keine Erwähnung. Umso größer ist das Verdienst des Berliner Historikers Jens Thiel, der das Schicksal Paul Abrahams jetzt erforscht hat. Jens Thiel hat angeregt, in den Fußweg vor dem Haus, in dem Paul Abraham wohnte, einen Stolperstein einzulassen, eine jener messingfarbenen Platten mit Namen und Geburtsdaten des ermordeten Juden. (auf Straßenatmo) Sprecherin 1 Am Askanischen Gymnasium, Paul Abrahams Schule, erinnert eine Tafel an ihn: Sprecher 3: Das Vermächtnis des Paul Abraham. Das römische Recht, der Jude und die deutsche Akademie Sie hörten ein Feature von Ulrike Bajohr und Dieter Simon Es sprachen: Marietta Bürger, Michael Wittenborn, Sigrid Burkholder, Walter Gontermann und Simon Roden. Ton und Technik: Alexander Dorniak und Dagmar Schonday Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2008 2