COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandrundfahrt Ein Dorf im Rhein - Deutschlands einzige Flussinselgemeinde Niederwerth in Rheinland-Pfalz von Thomas Doktor Prod.: 01. Und 02. Juni 2010 Sdg.: 05.06.2010; 15.05 Uhr Redaktion: Margarete Wohlan Regie: Roswitha Graf Ton: Inge Görgner Jingle Deutschlandrundfahrt, darauf: 1. O-Ton: Rolf Mettler (0'16") / NW 1 / 10:29 (WIND) Spargel, Erdbeeren, das sind die Sachen, wofür die Insel jetzt so bekannt ist, () 2. O-Ton: Madeleine Vogel (0'09") NW 1/ 281:22 Toll ist eben, dass die Kinder hier wirklich geschützt sind. Die Kinder kennen jeden im Dorf und jeder kennt die Kinder ... 3. O-Ton: Michael Schäfer (0'13") / NW 1 / 101:04 Wenn wir ganz Hochwasser haben, ist kaum noch was da (lacht). Wenn wir Flachwasser haben, ist Niederwerth groß. 4. O-Ton: Josef Gans (0'08") NW 1 / 317:10 Wenn man merkt und spürt, dass alle mitmachen, wenn sie gebraucht werden - und sie machen alle mit, wenn es um unsere Insel geht. Sprecher v. Dienst: Ansage Ein Dorf im Rhein - Deutschlands einzige Flussinselgemeinde. Niederwerth in Rheinland-Pfalz. Eine Deutschlandrundfahrt mit Thomas Doktor Musik Ende Atmo 1: Morgenstimmung Atmo 2: Stufen des Kaiser-Friedrich-Turms in Vallendar Autor: Ein Höhenzug oberhalb der Stadt Vallendar am Rhein. Die ersten Vögel in der kleinen Baumgruppe begrüßen die Morgenröte zwischen grauen Wolken. Auf der Kuppe thront seit 1899 der Kaiser- Friedrich-Turm - 25 Meter hoch, ein eiserner Aussichtsturm im Jugendstil. Rund 80 Stufen führt eine Wendeltreppe auf die Aussichtsplattform. Zu Füßen des Turms liegt das Rheintal. Ein Blick nach links: die Festung Ehrenbreitstein. Auf der anderen Seite: die Moselmündung in den Rhein am Deutschen Eck in Koblenz. Von dort öffnet sich eine weite Ebene, das Neuwieder Becken. Atmo 1: Morgenstimmung Autor: Im Vordergrund die Rheininsel Niederwerth, durch einen 150 Meter breiten Rheinarm vom Vallendarer Ufer getrennt. Sie ist rund 4,5 Kilometer lang und bis zu 800 Meter breit. Entlang des Ufers wachsen schlanke Pappeln, Weiden und Büsche. Hier leben 1400 Rheininsulaner. Ein regelrechter Flickenteppich schmaler, rechteckiger Felder bedeckt fast die ganze Insel. Das Braun des gepflügten Bodens wechselt mit dem Schwarz und Weiß von Parzellen, die mit Folien oder Gewächshäusern bedeckt sind. Dazwischen Wiesen und Streuobstbestände in sattem Grün. Auf halber Höhe der Insel, dort wo das Dorf Niederwerth sein Nordende hat, schiebt sich eine zweite, kleinere, Rheininsel zwischen Niederwerth und Festland: Graswerth, unbewohnt und dicht mit Buschwerk und Bäumen bedeckt. Gemeinsam bilden die Inseln die Ortsgemeinde Niederwerth. Atmo 4: Feld (entfernte Traktoren, Vögel, Zugdurchfahrten auf dem Festland) und Atmo 5: Schritte 5. O-Ton: Michael Schäfer_02 (0'08") / NW 1 / 199:55 `ne schöne klare Luft, wenn's jetzt'n bisschen kühler ist. Autor: Eine schmale Straße inmitten der Felder auf der Südhälfte von Niederwerth. 6. O-Ton: Michael Schäfer_Anton Zengler_01 (0'24") / NW 1 / 114:05 (Schritte) darauf Autor: Zwei Männer vor einem jungen Kirschbaum, der die Blätter hängen lässt. 6. O-Ton weiter: (SCH, undeutlich): Was ist denn mit dem Baum hier? (Z): Ich hab schon mal gedacht Wassermangel, aber ich .. (SCH) Ja, der ist nicht schlecht der Tipp ... (Z) lässt die Ohren hängen, gegenüber den anderen Bäumen (SCH) Das kann aber sein, dass der grad'n bisschen mehr Sand drunter hat (Beide) Und dann ist es schon passiert. Autor: Sachkundige Erklärungsversuche zweier gebürtiger Niederwerther. 7. O-Ton: Michael Schäfer (0'07") / NW 1/ 108:24 Ich bin noch einer der ganz wenigen, die tatsächlich auf der Insel geboren wurden, ... direkt neben dem Kuhstall (lacht) ... Autor: Michael Schäfers Blick geht von dem jungen Kirschbaum am Wegesrand über die angrenzenden Felder, dann wendet er sich wieder an Anton Zengler: 8. O-Ton: Michael Schäfer_Anton Zengler (0'09") / NW 1/ 180:05 Haben wir noch einen Erwerbsbauern - oder zwei? (Z) einen Vollerwerb (SCH) Früher waren das 50, 70, 80. Autor: Damals in den 50ern, als Schäfer und Zengler noch Kinder waren, lebte die ganze Insel von der Landwirtschaft, gaben die Alten den Jungen ihr Wissen weiter: 9. O-Ton: Michael Schäfer_Anton Zengler (0'20") / NW 1 / 110:37 Gibt ja so viele Kniffe, die (...) man sich im Laufe der Zeit an Erfahrung (), die hat man halt und ich hab von meinem Vater und meinem Großvater welche. Und es ist auch manchmal wirklich so, wenn man die Bäume schneidet, (...) dann hört man den Opa: Schneid den weg (Z) ja (SCH) Das wird zu dicht (lacht), hört man den immer noch reden ... Autor: Obwohl von Kindesbeinen an mit der Landwirtschaft vertraut, haben weder Zengler noch Schäfer den Anbau von Obst und Gemüse zum Beruf gemacht. 10. O-Ton: Anton Zengler_ Michael Schäfer (0'11") / NW 1 / 105:09 (Z) Nie, nie gemacht, immer im Nebenerwerb. Man kann schon fast sagen, Hobby, das, was hier läuft ... (SCH) Da könnte keiner von leben. Also man könnte davon leben, aber man müsste dann halt seinen 16 Stunden Tag schaffen. Autor: Der 59jährige Michael Schäfer ist Richter am Koblenzer Landgericht, Anton Zengler hat bis zur Frühverrentung bei der telekom gearbeitet. 11. O-Ton: Anton Zengler (0'14") / NW 1 / 192:21 Im Moment noch, möchte ich zu der Struktur noch erwähnen, dass wir noch eine handvoll Nebenerwerbsbetriebe haben, die noch einige Flächen bewirtschaften Atmo 6: Autotür (NW 2 / 0:09) Autor: So wie Rolf Mettler. Der Mittfünfziger steigt gerade aus dem Auto, das er am Rand seines Spargelfeldes abgestellt hat. 12. O-Ton: Rolf Mettler_03 (0'15") / NW 1 / 09:31 Wenn wir hier an dem Platz vor 15, 20 Jahren gestanden hätten, dann hätten Sie jede Menge Salat gesehen, was alles verfrüht unter Folien unter Fließ, das wär jetzt alles schon da gewesen und das ist jetzt nur noch sporadisch. Autor: erinnert sich der frischgebackene Großvater an die Zeit, als Niederwerth im ganzen Umland als "Gemüseinsel" bekannt war. Er pflegt den Spargelanbau auch heute noch auf die traditionelle Art: 13. O-Ton: Rolf Mettler 02 (0'08") / NW 1 / 07:34 (Zugdurchfahrt im Hintergr.) Das ist jetzt eigentlich die konservative Art, nicht abgedeckt, keine Folien; einfach: Man muss noch richtig gucken, wo es reißt ... und praktisch den Spargel suchen. Autor: Rolf Mettler beugt sich über den dreieckigen Erdaufwurf von einem halben Meter Höhe. Rund ein Dutzend dieser Aufwürfe ziehen sich schnurgerade über sein 50 Meter langes Spargelfeld. 14. O-Ton: Rolf Mettler_03 (0'08") / NW 1 / 15:14 Das hier könnte jetzt ein Spargel sein ... so einfach mal hin, graben wir mal ... Autor: Kleine Risse in der Erdoberfläche zeigen an, dass hier ein Spargeltrieb kurz vor dem Durchbruch steht. Mit zwei Fingern gräbt sich Rolf Mettler entlang des Spargels in die Tiefe. Atmo 7: Spargelernte (ab 14:55), dann weiter Atmo 04 Autor: Er setzt den Spargelstecher, der mit seiner gekröpften Klinge wie ein kleines Brecheisen aussieht, am Fuß des Spargels an, sticht durch den Trieb und zieht den Spargel aus der Erde. Dann glättet er das entstandene Loch mit einer Kelle, um noch vorhandene kürzere Triebe vor Lichteinfall zu schützen. 15. O-Ton: Rolf Mettler 04 (0'13") / NW 1 / 08:52 Wir sind klimatisch ein bisschen bevorzugt, also ist ein sehr schönes warmes Klima Boden: Schwemmböden, fruchtbar, ganz klar, wenig Steine, also lässt sich sehr gut bearbeiten Autor: zählt Mettler die Vorzüge der Insel für die Landwirtschaft auf. Der Mittfünfziger in Jeans und Lederjacke ist Vorsitzender des Bauern- und Gartenbauvereins von Niederwerth. 16. O-Ton: Rolf Mettler_03 (0'16") / NW 1 / 10:29 (WIND) Spargel, Erdbeeren, das sind die Sachen, wofür die Insel jetzt so bekannt ist, () das sind die Sachen, also die man jetzt früher auch höher im Westerwald oder auch in Richtung Eifel/Hunsrück nicht produzieren konnte. Autor: Rolf Mettler wendet sich wieder dem Spargel zu. Währenddessen setzen Michael Schäfer und Anton Zengler den Weg Richtung Südspitze der Insel fort. Atmo 8: Felder mit leichtem Regen Atmo 9: Schritte Autor: Der Himmel hat sich zu gezogen, ein paar Tropfen fallen auf das Erdbeerfeld auf der anderen Seite des Weges. Der sattbraune Boden ist mit gelbem Stroh bedeckt. Zwischen den Halmen ragen die grünen Pflanzen mit ihren weißen Blüten heraus. Das Stroh verhindert, dass bei Regen Sand und Erde aufspritzen und die Erdbeeren beschädigen oder verschmutzen. 17. O-Ton: Anton Zengler / Michael Schäfer (0'14") / NW 1 / 234:38 (Z) Das Stroh ist schon ideal, das ist nur der Halm, wo die Erdbeere drauf liegt, geringe Kontaktflächen, durchluftig - (SCH) Der Engländer: "strawberry" - daher kommt das - (Z) deshalb habe ich mir das am besten merken können - strawberry (SCH) lacht ... Musik 1: Titel: Strawberry fields forever Interpret: The Beatles Komponist: John Lennon, Paul McCartney Verlag: bel BIEM, LC 0299 Atmo 10: Hilden, Stimmen der Eltern und der Kinder aus dem Flur (NW 2/ 1:49) Autor: Ein schmuckes Einfamilienhaus inmitten eines Neubaugebietes am nördlichen Rand von Niederwerth. Christoph und Andrea Hilden bereiten Sohn Nico und Tochter Lara auf den Weg zur Grundschule und zum Kindergarten vor: Ziehen Regenjacken an, holen Schirme. Atmo 11: Vater "Tschüss", Weg zur Schule (NW 2 / 3:16) Atmo 12: Dorf Atmo 13: Gang mit Hilden Autor: Während Christof Hilden den 1jährigen Sohn Jan betreut, begleitet Andrea Hilden heute ihre beiden älteren Kinder. Der AG Tag der Grundschule am Wochenende muss noch besprochen werden. Sonst schickt sie ihre Kinder alleine los. 18. O-Ton: Hilden (0'06 ") / NW 2/ 3:57 Meine Tochter wird jetzt sechs, die geht zum Beispiel seit einem Jahr allein in den Kindergarten, da hab ich überhaupt keine Angst. Autor: Der morgendliche Weg von Nico und Lara führt eine frisch gepflasterte Spielstraße entlang. Links und rechts großzügige ein- und zweigeschossigen Wohnhäuser, mit den gepflegten Vorgärten. 19. O-Ton: Hilden (0'12 ") / NW 2/ 15:48 Das ist schön, die haben nur über den Bürgersteig zu gehen und einmal die Straße zu kreuzen und wenn irgendwann mal was sein sollte - hier kennt jeder jeden, da würd' auch jeder auf das andere Kind aufpassen. Autor: Die Kinder der Niederwerther wachsen so auf wie schon ihre Eltern und Großeltern, sie kennen sich seit dem Kleinkindalter, gehen gemeinsam zur Grundschule. 20. O-Ton: Nico (0'07 ") / NW 2/ 15:48 Meinen besten Freund, den kenne ich schon seit der Geburt, also wir sind fast schon Brüder. Atmo 14: Schulhof, hinein Flur, Kinderstimmen Autor: Ein großer Hof, daneben ein weißes zweistöckiges Gebäude. An der Wand neben dem Eingang gut vier dutzend bunter kleiner Handabdrücke - die Grundschule der Ortsgemeinde. Zugleich Heimat der Freiwilligen Feuerwehr, des Seniorencafés, der St. Sebastian Schützenbruderschaft, des Modellbauclubs und Sitz des Ortsbürgermeisters von Niederwerth. 21. O-Ton: Madelaine Vogel (0'17 ") / (NW 1 / 254:44) Das ist jetzt hier ein Chaos, weil wir ein Schulfest haben, am Samstag haben wir AG Tag wir haben Arbeitsgemeinschaften, und die stellen sich vor. Mit ein bisschen Fußball ... haben wir noch Sachen dabei vom DFB ...es wird ein größeres Event. (O-Ton Überhang zum Unterlegen ab 257:35) Atmo 14: Kinder im Flur oder Atmo 15: Raumatmo Autor: Schulleiterin Madeleine Vogel betritt das Büro im Obergeschoss. Kartons mit Werbematerial vom DFB stapeln sich auf dem Boden. An der Tafel der Ablaufplan für den AG-Tag am Wochenende. Die 50 Schüler der Grundschule werden sich in sieben Arbeitsgemeinschaften präsentieren. 22. O-Ton: Madeleine Vogel (0'17 ") / (NW 1 / 259:34) Im Moment haben wir drei Klassen im Haus, eine kombinierte erste und zweite Klasse und ein drittes und ein viertes Schuljahr - letztes Jahr - sehen Sie hier - sind 8 Kinder im ersten Schuljahr eingeschult worden. Autor: Die zierliche Frau mit den halblangen grauen Haaren zeigt auf das Einschulungsfoto des Vorjahres an der Wand. Die wenigen Schüler könnten zur Schließung der kleinen Inselschule führen. Das wäre schade, findet Madeleine Vogel: 23. O-Ton: Madeleine Vogel (0'14 ") / NW 1/ 274:00 Kinder, die von Anfang an in ihrer Altersgruppe groß werden, haben Vorteile davon. Sie kennen die Stärken und Schwächen ihrer Freunde von Klein auf und akzeptieren das auch. Autor: Das Gruppenverhalten der Inselkinder ist sogar so gut, 24. O-Ton: Madeleine Vogel (0'43 ") / NW 1/ 274:48 ..., dass wie hier in diesem fast heilen Sozialgefüge Kinder aufnehmen, auf der Schule, die an einer Schule mit 400 Grundschülern so schwerwiegende Sozialprobleme hatten, dass eine Entscheidung gefällt werden musste, auf welche Schule sie sollten. Da haben wir uns die letzten Jahre immer bereit erklärt, solche Kinder aufzunehmen und die haben auch immer in kurzer Zeit ihr Verhalten eingestellt. Das war nicht nur das Verdienst der Lehrer, ganz und gar nicht, sondern das war einfach, dass sie in eine ziemlich heile Gruppe kamen und ihr Verhalten da auch gar keinen Platz mehr hatte. Und dann haben sie es auch einfach sein gelassen. Musik 2: Titel: Crossing over the bridge Interpret: Inex Foxx Komponist: Foxx/Rice Verlag: ZYX, LC 00914 Atmo 16: Ufer mit Motorsensen dann weiter Atmo 17 / 18 Autor: Zwei Arbeiter mähen Unkraut am Ufer. Ein paar Boote wippen auf den Wellen, ein Entenpaar mit zwölf Küken im Schlepptau schwimmt vorbei. Josef Gans beobachtet wohlwollend die Szenerie. Seit 2004 ist er Ortsbürgermeister von Niederwerth. Ehrenamtlich, denn hauptberuflich ist er Ausbildungsberater an der Handwerkskammer in Koblenz. Er zeigt auf eine gepflasterte Rampe, die zum Wasser führt. 25. O-Ton: Josef Gans (0'15") / NW 1/ 313:54 Wir sind hier an der ehemaligen Fährrampe, hier ist also Fährverkehr betrieben worden bis 1958, dann wurde die Brücke gebaut, wir hier im Hintergrund sehen. Autor: Die Brücke - Niederwerths bedeutendstes Bauwerk des 20. Jahrhunderts, eingeweiht am 5. Juli 1958. 180 Meter lang, davon 150 Meter über dem Wasser. Auf zwei Pfeilern ruht die schlanke hellgraue Spannbetonbrücke im Rheinarm. Ein lang gehegter Traum ging in Erfüllung: Endlich konnten die Insulaner das Festland ohne Gefahr für Leib und Leben erreichen. Das war vor dem Brückenbau noch ganz anders: Musik 3: Titel: Köln Concert pt. IIa Interpret: Keith Jarret Komponist: Keith Jarret Verlag: ECM, LC 02516 (kurz frei darauf) Sprecherin Im Juli 1948 verunglückte ein Gemüsehändler bei der Auffahrt auf die Fähre. Der Motor setzte aus, sprang aber dann stotternd wieder an und das Auto rollte über die Fähre hinaus. Der Mann stürzte mit seinem Wagen ins Wasser. Der Fährmann und weitere Helfer leiteten sofort Bergungsarbeiten ein. Oberhalb der Unglücksstelle wurden zwei Kähne an den Seiten mit einem hundert Meter langen Drahtseil verbunden. Bei der Fahrt flussabwärts schleifte dieses Seil nun zwischen den Kähnen über den Grund des Rheins. Fünfzig Meter unterhalb der Unglücksstelle trieben die Kähne gegeneinander: Das war das Zeichen, dass sich das Seil am Grund verfangen hatte. Die Kahnbesatzung ruderte ans Ufer. Dort nahmen sie das Seil auf und zogen das Auto ans Ufer. Obwohl die Bergung keine Stunde gedauert hatte, kam für den Gemüsehändler jede Hilfe zu spät. Musik: Keith Jarret: Köln Concert pt. IIa kurz frei Autor: Der alte Ruf "Färjer holl iwwer" - Fährmann hol über - gehörte mit dem Bau der Brücke der Vergangenheit an. "Färjer holl iwwer" heißt auch das Heimatbuch, in dem die Geschichte des Unglücks auf der Fähre erzählt wird. 26. O-Ton: Josef Gans (0'32") / NW 1/ 315:22 (WIND) Dank der Initiative des damaligen Ortsbürgermeisters Peter Schemmer ist es dann gelungen, dass hier die Brücke nach einjähriger Bauzeit erstellt wurde. Es war die erste Spannbetonbrücke, die gebaut wurde - ist auch im Deutschen Museum in München ausgestellt - und das war natürlich ein Segen, dass die Brücke gebaut wurde. Mit dem Brückenbau öffnete sich das Leben hier auf unserer Insel, auch die Einwohnerzahl ist kontinuierlich gewachsen, weil die jungen Leute hier geblieben sind. Autor: Wohnen auf der Insel und arbeiten auf dem Festland - das wurde mit dem Bau der Brücke überhaupt erst möglich, betont Ortsbürgermeister Josef Gans. Seitdem ist die Bevölkerung um die Hälfte gewachsen, und das sichert die Existenz der einzigen Flussinselgemeinde in Deutschland. Atmo 12: im Dorf Autor: Die Zukunft der Insel sichern - das ist bis heute eine wichtige Aufgabe der Gemeinde geblieben. Vor allem sie für Familien mit Kindern attraktiv zu machen, damit die Bevölkerung nicht irgendwann ausstirbt. Josef Gans zeigt in eine Gasse in der Nähe der Uferstraße. 27. O-Ton: Josef Gans (0'10") / NW 1/ 310:13 Hier: Das war früher ein dunkles Loch und jetzt sehen Sie selbst: ein großer wunderschöner Platz ist hier mitten im alten Ortskern entstanden ... Autor: Hier wo vorher kaum zwei Leute aneinander vorbei passten, weitet sich die Gasse nun zu einem kleinen Platz. Die angrenzenden Häuser sind erst vor kurzem renoviert worden, die Fassaden hell gestrichen. 28. O-Ton: Josef Gans (0'19") / NW 1/ 305:20 Wir haben hier innerhalb des im alten Ortskern, ein kleines Neubaugebiet erschlossen, damit eben die jungen Leute nicht an den Ortsrand ziehen, wo wir noch Baugebiete haben, sondern möglichst im Ortskern drin bleiben, damit dieser auch so am Leben erhalten bleibt. Autor: Es funktioniert, wie der Blick auf das benachbarte Grundstück beweist. 29. O-Ton: Josef Gans (0'06") / NW 1/ 306:22 Sie sehen da die junge Famile auf der Hollywoodschaukel - es sind Verhältnisse wie im Urlaub. Autor: Das etwas umständliche Zauberwort, das für die Wandlung sorgt, heißt: staatliches Dorferneuerungsprogramm. Andere Verschönerungen, wie die neu gestaltete Uferstraße, haben die Bürger maßgeblich selbst finanziert. 30. O-Ton: Josef Gans (0'20") / NW 1/ 302:25 Wir haben also seit Ende der 90er-Jahre ein Programm hier der wiederkehrenden Beiträge, also Erschließungsmaßnahmen werden nicht spitz und nur mit der Bürgerschaft abgerechnet, wo sie stattfinden, sondern alle Bürger zahlen einen bestimmten Betrag an wiederkehrenden Beiträgen, das ist für 5 Jahre immer wieder festgelegt. Autor: Damit kann die Ortsgemeinde investieren, ohne Kredite aufzunehmen und ist so schuldenfrei. Ein Modell, das Schule macht. 31. O-Ton: Josef Gans (0'15") / NW 1/ 313:24 Ich krieg also als Ortsbürgermeister auch viele Anrufe von Kolleginnen und Kollegen aus der Region und ich weiß, dass jetzt vor ein paar Tagen noch mal eine Ortsgemeinde im Westerwald dieses Programm jetzt auch übernimmt und den gleichen Weg geht, wie wir ihn hier seit vielen Jahren schon bestreiten. Autor: Übrigens: Rund 90 Prozent der heutigen Insulaner stammen von der Insel. Und die wenigen Zugezogenen werden schnell in die Gemeinschaft integriert. Niemand weiß das so gut wie Josef Gans. Er stammt aus Koblenz und ist erst 1979 auf die Insel gezogen. Vor einem Jahr wurde er als Ortsbürgermeister wiedergewählt. Er sei stolz darauf, sagt er, vor allem, 32. O-Ton: Josef Gans (0'08") NW 1 / 317:10 Wenn man merkt und spürt, dass alle mitmachen, wenn sie gebraucht werden - und sie machen alle mit, wenn es um unsere Insel geht. Musik 4: Titel: Big River Interpret/Komponist: Johnny Cash Verlag: Bear Family Records, LC 05197 Atmo 20: Vor der Orchesterprobe Autor: Der große Saal im Gasthaus Rheinschanz. Grußworte und Scherze fliegen hin und her, Stühle werden zurechtgerückt. Eine Dame holt die Tuba aus ihrem Koffer, der Schüler neben ihr bläst seine Querflöte an. Orchesterprobe mit dem Musikverein Niederwerth 1922, einem von 14 Vereinen auf der Insel. 33. O-Ton: Heinz Schulte (0'17") NW 3 / 80:33 Wir spielen Polka, wir spielen Märsche, wir spielen Walzer - auch moderne Sachen. Vor allem diese modernen Sachen müssen wir spielen, damit wir die jungen Leute halten, sonst würden die uns alle weglaufen. Die möchten gerne etwas Modernes spielen. Immer in Anführungszeichen: modern. Autor: Heinz Schulte dirigiert das Orchester. Der gebürtige Ostwestfale lebt seit 59 Jahren in Koblenz. Im Niederwerther Musikverein ist er vor rund 20 Jahren aktiv geworden. 34. O-Ton: Heinz Schulte (0'13") NW 3 / 81:58 Ich habe erst mal hier schon mitgespielt, habe mit Tuba gespielt in einer kleinen Besetzung: Dann kam das so und so, die haben jemanden gesucht und haben mich gefragt: Heinz, willst Du das machen - da hab ich gesagt: OK. Autor: Schulte kann dirigieren, denn er war bei einem Musikchor der Bundeswehr in Koblenz beschäftigt. 35 . O-Ton: Heinz Schulte (0'07") NW 3 / 82:23 Da war ich die letzten fünf Jahr meiner Dienstzeit Chorführer, das heißt, wenn der Chef nicht konnte, hab ich den vertreten - aber nur musikalisch. Autor: Besonderen Wert legt der Dirigent auf die Nachwuchsarbeit: 36 . O-Ton: Heinz Schulte (0'20") NW 3 / 87:25 Gefragt ist: Trompete, Saxophon, Schlagzeug, das sind die Instrumente, die die jungen Leute meistens suchen, wenn wir so einen Informationstag haben, wo die kommen können - Kennenlerntag nennen wir das - für Jugendliche und Kinder, da können Sie gleich sehen, wo die sind. Autor: Dank der guten Kinder- und Jugendarbeit muss sich der Musikverein um den Nachwuchs keine Sorgen machen. Alexandra Steinebach kommt immer aus Vallendar zur Probe. Die junge Frau spielt Querflöte und erklärt, wie die Kinder an das Spielen im Orchester herangeführt werden: 37. O-Ton: Alexandra Steinebach (0'21") / NW 3 / 16:14 Wir haben zwei Jugendorchester: Ein Ausbildungsorchester, wo die Kleinen drin sind, die gerade mit der Ausbildung begonnen haben und seit einem halben Jahr dabei sind - und dann im Jugendorchester, das zweite Orchester, was wir haben, da kommen die Kinder rein, die schon weiter sind, das soll quasi auf das große Orchester vorbereiten und diese Jugendlichen werden dann nach und nach in das große Orchester übernommen. Atmo 18: Probenbeginn, Tonleitern: Autor: Nach den einzelnen Registern sortiert haben die Musiker im Saal Platz genommen. Heinz Schulte beginnt die Probe mit Tonleitern. Sie dienen zum Einspielen und Anblasen, damit die Musiker den Ton besser treffen. Atmo 22: Choral Autor: Dann folgen die ersten Stücke aus dem Repertoire. Atmo 22: Choral (steht frei, dann Blende) Atmo 23: Rheinufer Wellen Atmo 24: Dampfer Autor: Auf dem Westufer von Niederwerth. Ein Frachter schiebt sich mit schwerem Diesel gegen die Strömung des Rheins. Ein Personenschiff aus der Schweiz kommt in schneller Fahrt flussabwärts entgegen. Die Wellen der Schiffsschrauben verlaufen sich zwischen den Kieselsteinen am Ufer. Oben auf dem Scheitel der Uferböschung erhebt sich eine Betonstele. Auf der Frontseite ist ein gelbes Metallband mit schwarzen Markierungen und Zahlen angebracht. Früher heißt es, hätte der erste Blick der Niederwerther am Morgen dem Pegelstand gegolten. Die Skala endet bei einem Stand von 9,70 Meter. Anton Zengler nimmt das Fernglas herunter, mit dem er den vorbeifahrenden Frachter beobachtet hat: 38. O-Ton: Anton Zengler (0'20") / NW 1/ 162:16 Wir haben jetzt einen extrem kleinen Wasserstand, 1,50 Meter, ca., immer bezogen auf Koblenzer Pegel, die Regel ist 2,50, wo die Schifffahrt dann sorglos durchfahren kann. Die haben jetzt schon Schwierigkeiten mit der Ladekapazität, wo sie dann nur zur Hälfte laden können usw. Autor: Das ist an dem Frachter draußen gut zu erkennen: Hoch ragt die Bordwand aus dem Wasser auf. Zengler ist mit der Rheinschifffahrt verraut, seine Tante heiratete einen Niederländer, der den Fluss befuhr. Der Rhein, der die Insel an diesem Frühlingstag so gemächlich umfließt, formt das Antlitz der Insel bis heute. 39. O-Ton: Anton Zengler (0'29") / NW 1/ 79:29 Durch den Bewuchs und Sand usw. sind die Inseln ja immer weiter gewachsen. Man kann feststellen: Bei jedem Hochwasser, was drüber geht, haben wir wieder Sand- und Schlammablagerungen von 1,2,3 cm, manchmal werden auch 10, 20 cm angelagert. Aber: Bei anderen Stellen auch wieder abgetragen. Aber grundsätzlich: Wo Wiese ist und Hochwasser kommt, wird in der Regel Schlamm und Sand abgelagert und die Insel wächst immer weiter. Atmo 25: insert: Karte Autor: Anton Zengler holt eine Karte aus der Fronttasche seiner grünen Latzhose. 40. O-Ton: Anton Zengler (0'18") / NW 1/ 78:00 Die Inseln, so sagt man, waren früher nicht zwei sondern fünf Inseln. () zum Beispiel: Hier steht Langenwerth - das müsste eine Extrainsel gewesen sein, hier ging der Rhein durch, hier: Lützelwerth, sehen Sie, die Spitze von Niederwerth, und dann gab's noch ein Hopfenwerth. Autor: Im Laufe der Zeit sind die alten Flussarme verlandet. So sind die Inseln zu ihrer heutigen Form zusammen gewachsen. Atmo 23: Rheinufer Wellen Autor: Eisgang und Hochwasser, die seit Menschengedenken die Inseln im Winter oder Frühjahr bedrohen, stellen auch die Bewohner jedes Mal wieder auf eine harte Probe. Musik 5: Keith Jarrett, Köln concert pt. IIa Sprecherin Im November 1925 hatten wir schwere Schneefälle und eine grimmige Kälte: - 18 bis - 25 Grad. Anfang Dezember kam wieder eine schwere Kältewelle. Sämtliche Nebenflüsse froren zu. Am Morgen des 7. Dezember kamen über die gesamte Breite des Rheins mächtige Schollen getrieben. Der Fährmann versuchte über zu setzen, aber er blieb im Eis stecken. Man musste ihm ein Seil zuwerfen und ihn damit an Land ziehen. Wieder einmal waren wir für einige Tage vollständig von der Welt abgeschnitten. Autor: ... berichtet das Heimatbuch aus dem Jahr 1925. Musik: Keith Jarrett, Köln concert pt. IIa Autor: Auch wenn Eisgang auf dem Rhein Geschichte ist, die Hochwasser schneiden die Insel heute noch von der Außenwelt ab, erzählt Michael Schäfer. 41. O-Ton: Michael Schäfer (0'30") / NW 1/ 158:30 Das 93er Hochwasser, man glaubte ja, das hört gar nicht mehr auf, das steigt immer weiter, und das kam so irrsinnig schnell, das ganz viele Öltanks ausgekippt wurden. Ich weiß, wir wohnen ja auch direkt am Rhein, wir mussten das Schlafzimmerfenster zu machen, weil der Ölgestank derart penetrant war vom Rhein aus, dass man () im Schlafzimmer nicht mehr atmen konnte. Autor: Die Gewalt der Wassermaßen hat nicht nur mit den Heizöltanks in den Kellern leichtes Spiel. Atmo 23: Wellen 42. O-Ton: Michael Schäfer (0'43 ") / NW 1/ 161:17 Vor meinem Haus ist so ein Holunderstrauch, wild gewachsen. Und dieser Holunderstrauch, der war auf einmal weg, ja. Wir saßen morgens da, da guckt man auf diese Fluten: Und auf einmal kommt ein Wochenendhaus raus, das rammte dann gegen den Busch. Kommt das Wochenendhaus raus - und ist wieder weg. Das war ein Gefühl ... (Z): oder Wohnwagen (SCH:) Hast Du dich gefragt: Hast Du jetzt eine Erscheinung gehabt oder war das wirklich? Autor: Einen Tag vor Weihnachten 1993 nähert sich der Wasserstand der 9,50 Marke. Nur noch wenige Zentimeter und die Stromversorgung der Insel muss abgestellt werden. 43. O-Ton: Michael Schäfer (0'30") / NW 1/ 158:30 FORTSETZUNG VON 35 Das war dann irgendwann am 24.12. oder am 23. (Z:) 23. (SCH): war der Höchststand dann und dann hat man aufgeatmet, das war so ein Aufatmen, man hat gesagt, Mann: Wir haben's gepackt (); jetzt: Schlimmer kann es nicht mehr werden, es wird nicht mehr, es geht runter und das war so eine Entspannung. Ich weiß, als ich dann mit meiner Frau eine Flasche Wein getrunken habe, was ich sonst nicht mache, ich hab' zum Schluss die Flasche in den Rhein geschmissen und habe gesagt: Du Scheiß Rhein (lacht), einfach die Wut rausgelassen. Autor: 9,52 Meter beträgt der Höchststand dieses Jahrhundert- Hochwassers. Die damit verbundene Gefahr war jedoch für die Inselbewohner nicht nur negativ, erinnert sich Anton Zengler. 44. O-Ton: Anton Zengler (0'15") / NW 1/ 157:43 Ich weiß, dass bei dem 93er Hochwasser mir ein Nachbar gesagt hat, das Hochwasser hat auch was für sich, man spricht mal wieder mit den Nachbarn, also der Zusammenhalt wächst dann wieder. Und jeder hilft dem anderen: Wie weit ist es? Was kommt da oder brauchst Du noch was? Autor: Offenbar haben die Niederwerther mit der Zeit und wachsender Erfahrung eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit den Wassermassen entwickelt. Selbst der Sturz eines Niederwerthers in den Rhein ist noch lange kein Grund, aus der Fassung zu geraten: 45. O-Ton: Michael Schäfer (0'57") / NW 1/ 158:30 Ich kann mich an Szenen erinnern - Da war ein Bauer der hat da seine Möhren gewaschen und wir haben ein bisschen rheinaufwärts Fußball gespielt. Da war der Hilden gewesen, der hat Anlauf genommen rückwärts und wupps weg oder zack war der weg, wir haben das gar nicht begriffen, der war sofort weg, im Rhein und kam dann bei dem Bauern, der so 20 Meter unterhalb von uns die Möhren gewaschen hat wieder hoch. Der packt den an den Haaren, zieht ihn raus und stellt ihn auf's Land und schrubbt seine Möhren weiter - der alte Häuser war das und der hat sich ein paar Mal geschüttelt und ist dann heim gegangen, und das war's. Autor: Dabei legten die Niederwerther stets Wert darauf, ihren Kinder das Schwimmen frühzeitig beizubringen. 46. O-Ton: Anton Zengler (0'26") / NW 1/ 131:39 Früher war das halt so: Man hat probiert und es ging auf einmal. Quasi der Freischwimmer war gewesen, wenn man einmal über den Rhein geschwommen ist. Und beim ersten Mal hat man immer noch so einen alten Autoreifen vor sich geschubst, wo man sich dran festhalten kann. Und wenn man dann ohne festhalten einmal rüber war, dann war es gut. Beim zweiten Mal war der Autoreifen nicht mehr mitgeholt worden, - hat man die Probe bestanden. Autor: War den Inselkindern die Angst vor dem Wasser einmal genommen, konnten sie auch die angenehmen Seiten der Insellage genießen. 48. O-Ton: Michael Schäfer (0'31") / NW 1/ 132:40 Früher sind wir ganz häufig auf die Südspitze, Fußball spielen. Wenn wir dann fertig waren, dann hat einer die ganzen Kleider mitgenommen mit dem Fahrrad meistens und ist dann ins Dorf gefahren und wir sind dann ins Wasser und sind dann mit so einer ganzen Horde 2 Kilometer rheinabwärts, wenn der Strom dann stark genug war, muss man sich ja nur oben halten und dann hat man gemerkt, wie die Kraft des Wassers den ganzen Körper getragen hat. War für mich immer ein ungeheuerlich schönes Gefühl gewesen, sich so dann halt treiben zu lassen. Autor: Und so sind es naturgemäß beide Elemente, Wasser und Erde, die das Inselleben über die Jahrhunderte bestimmt haben. Musik 6: Titel: Saltarello Interpret/Komponist: Dead can Dance Verlag: Beggars Banquet Music, o. LC-Angabe Atmo 23: Dorf 2 Autor: Bis ins 19. Jahrhundert bestimmte das alte Kloster die Geschicke der Insel, die lange zum Erzbistum Trier gehörte. Im 15. Jahrhundert bewohnten Augustiner das Kloster. Unter ihrer Ägide wurde die Klosterkirche St. Georg errichtet. 1474 geweiht, erhebt sie sich noch heute am südlichen Ortsrand von Niederwerth - ein kleines Juwel. Atmo 24: Schritte Autor: Die Mauern strahlend weiß, die gotischen Fenster in hellem Rot. Auf dem Dach thronen zwei Dachreiter, einer im Stil des Barock, der andere in dem der Gotik. Regie: Atmo Kirchenraum 48. O-Ton: Vera Kreuter (0'35") / NW 1/ 371:06 Unser Altar, der ist von 1520, der ist holzgeschnitzt und stellt größtenteils die Jugend Jesu dar. Da war damals der Verwaltungsrat, wie man in den 70er- Jahren alles rausreißen wollte, da hat der Architekt gesagt, also vor der Renovierung: Der Altar, da kommt mal da ein Bild hin und da ein Bild und da war einer vom Verwaltungsrat und da hat er gesagt: Wissen Sie, wen wir rauswerfen? Sie werfen wir raus. Autor: Vera Kreuter ist sichtlich erregt, wenn sie nur an den Frevel denkt, den der am Zeitgeist orientierte Architekt beinahe an der Kircheneinrichtung begangen hätte. Die alte Dame ist seit 1980 Küsterin der alten Klosterkirche. Zuvor, in den 70er-Jahren, war die Kirche erneuerungsbedürftig und wurde aufwändig renoviert. 49. O-Ton: Vera Kreuter (0'35") / NW 1/ 371:06 Es wurde alles neu gestrichen: Altar und Figuren neu restauriert und dabei sind wir auf die Fresken gestoßen, die einfach früher überstrichen waren, sehen Sie hier oben an der Empore. Und die hat man dann das erste Joch dann schon freigelegt. Und nach gut einem Jahr, also Weihnachten 1972 erstrahlte dann die Kirche, hier die Farben waren so wie jetzt, in diesem Glanz. Autor: Doch lange Zeit blieb der Gemeinde nicht, sich an ihrer Kirche zu erfreuen. 50. O-Ton: Vera Kreuter (0'32") / NW 1/ 355:03 Denn am 16. Januar 1973 brach ein Brand oben aus der Empore aus. Es war so unfassbar will ich sagen, gerade die Kirche fertig gestellt, jetzt dieser Brand. Dabei ist auch unsere schöne Pfeifenorgel verbrannt, die ganze Kirche, die Wände waren mit einer dicken Rußschicht bedeckt: Altar, Figuren wieder alles dunkel und dann dieser Geruch. Autor: Es erforderte ein weiteres Jahr, die Kirche wieder herzustellen. 1974, zum 500. Jubiläum konnte die Gemeinde sie wieder in Besitz nehmen. Neben den wiederentdeckten Fresken fallen vor allem die kunstvollen Schlusssteine in den Kreuzgewölben und die zahlreichen Figuren auf. Ein ganz besonderer Schatz verbirgt sich in einer kleinen Nische in der Südwand des Chores, hinter einem schmiedeeisernen Rahmen und einer Glasscheibe. 51. O-Ton: Vera Kreuter (0'27") / NW 1/ 373:17 Und zwar ist das die Mütze des Bernhard von Clairveaux. Und zwar hat Bernhard die Mütze beim Abendgebet getragen. Eine Benina von Helfenstein hat sie 1147 von ihm erbeten und er hat ihr die Mütze 1152 geschenkt, weil deren Mann Wilhelm so großzügig war bei seiner Deutschlandreise und weil sie so gastfreundlich war. 52. O-Ton: Vera Kreuter (0'10") / NW 1/ 373:45 Und diese Mütze hat sich vererbt auf die Namenscousine und das war die Zisterzienserin, wie die bei ihrem Einzug nach Niederwerth kamen. Autor: Dem heiligen Bernhard ist neben einer Figur im Kirchenraum auch eines der Kirchenfenster gewidmet. Das alte Bleiglasfenster stammt noch aus der Zeit, als die Kirche erbaut wurde. Die St. Georgskirche stellt heute eine der am besten erhaltenen Sakralbauten am Mittelrhein dar. Musik 7: Titel: Boat on the River Interpret: Styx Komponist: Tommy R. Shaw Verlag: Reader's Digest, o. LC-Angabe Atmo 25: Anleger, Einsteigen ins Boot Autor: Der Garten hinter dem Haus von Anton Zengler endet unmittelbar am Vallendarer Rheinarm. Ein selbst gebauter Anleger führt zu einem offenen Boot, einem Nachen, der bis zur Einführung des Fährbetriebes in den 20er-Jahren das Transportmittel für die Niederwerther darstellte. Früher aus Holz gefertigt, sind die wenigen heute noch betriebenen Boote aus Stahl. Atmo 29: Starten des Motors, Fahrt Atmo 30: Wellen am Boot Autor: Unter einer Abdeckhaube schlägt das Herz des rund achteinhalb Meter langen Bootes: der Boxermotor eines alten VW-Käfers. Michael Schäfer macht die Leinen los und Anton Zengler kuppelt die Antriebswelle des Boots ein. Rasch entfernt sich das Boot vom Ufer. Vor der Einfahrt in die "Rote Nahrung", dem Rheinarm zwischen Niederwerth und Graswerth, dümpelt ein Schwimmkörper mit einem Sperrschild. Die Einfahrt ist nur dem landwirtschaftlichen Bootsverkehr der Niederwerther gestattet. Anton Zengler lässt die Rote Nahrung linker Hand liegen und steuert einen Platz am Westufer der Insel Graswerth an. Atmo 29: Boot landet am Ufer an, dann Atmo 30: Graswerth Autor: Das Ufer von Graswerth ist von zahlreichen Silberweiden gesäumt. Eingestürzte Stämme sind ins Wasser gefallen. Ein Hauch von Wildnis liegt über der Insel, die 1978 zum Naturschutzgebiet erklärt wurde. 53. O-Ton: Anton Zengler(0'10") / NW 1/ 68:28 Jeder meint es ist Naturschutzgebiet, aber zu 85-90 Prozent in privater Hand und Landwirtschaft darf da nach wie vor gestaltet werden. Autor: Denn wie Niederwerth ist auch Graswerth in eine Vielzahl kleiner Parzellen unterteilt. Sie gehören den Niederwerther Familien. 54. O-Ton: Michael Schäfer (0'25") / NW 1/ 83:37 Das war mal ein Paradies, bis so 1970, da gab's fast 200 Kähne, die lagen hier so an der Insel vorbei - und heute gibt's überhaupt keine mehr. Und dann sind die halt gerudert und nur teilweise mit Hilfsmotor aufs Graswerth - und da war jeder Meter unkrautfrei, da war gepflegt bis ..., da haben die sich Konkurrenz gemacht gegenseitig. Musik 8: Keith Jarrett, Köln Concert pt. IIa Sprecherin Kurz nach dem Krieg wollte ein Niederwerther Bauer sein Feld auf dem Graswerth pflügen. Aber dafür musste er seine Kuh mit dem Nachen übersetzen. Mit Futter lockte der Bauer das Tier zum Boot. Das stand nun bereits mit den Vorderbeinen im Boot, als es sich weigerte weiter zu gehen. Die weiteren Bemühungen des Bauern endeten mit einem gewaltigen Sprung der Kuh ins Wasser. Auch ein weiterer Versuch am folgenden Tag blieb erfolglos. Erst als der Bauer am dritten Tag eine Plattform über zwei Boote legte, ließ sich das Tier übersetzen. Am Abend beschloss der Bauer also das Tier auf dem Graswerth zu lassen und schloss es in der Laube seines Nachbarn ein. Als er jedoch am nächsten Morgen auf seinen Hof sah, stand dort seine Kuh und hatte von diesem Tag an keine Angst mehr vor dem Wasser. Musik: Keith Jarrett: Köln concert pt. IIa Autor: Der Niedergang der Landwirtschaft traf Graswerth zuerst. Der Aufwand, für jeden Arbeitsgang alle Geräte mit dem Boot auf die Insel fahren und abends wieder mitnehmen zu müssen, lohnte sich nicht mehr. So entstand der Plan, weite Teile der Insel verwildern zu lassen. Damit sollte sich hier wieder eine Auenlandschaft herausbilden. So wie sie vor dem Einzug der Zivilisation typisch für das Rheintal war. Atmo 31: Uferböschung Autor: Eine steiler Erdhang führt vom Ufer auf die Insel. 55. O-Ton: Anton Zengler_ Michael Schäfer (0'16") / NW 1/ 117:24 Ja, jetzt fängt der Urwald an (SCH:) ... so sehen die Bäume dann auch aus hier, so zugewachsen bis oben raus, der hat also eine Chance von 2,3,4 Jahren und dann: pfft, wird er es irgendwann aufgeben müssen ... Autor: Die Wiederherstellung der alten Auenlandschaft scheitert hauptsächlich an zwei äußerst widerstandsfähigen Pflanzenarten, die sich auf der Insel ausgebreitet haben. 56. O-Ton: Michael Schäfer (0'35") / NW 1/ 98:15 Das größte Problem sind die Brombeeren, die sich flächenartig ausdehnen. Da kommt kein Baum mehr drunter hoch und deswegen kann sich auch die übliche Entwicklung einer Insel, dass rund um die Insel Weichholz wächst, Weiden, und innen drin Hartholzaue wächst, wie Ulmen und verschiedene andere Bäume, dass sich da so ein Naturwald entwickelt, das wird hier nicht funktionieren, auch in 200 Jahren nicht, wage ich mal zu prognostizieren. Autor: Die Brombeeren sind ebenso mit dem Hochwasser auf die Insel gespült worden wie die gemeine Waldrebe. Gemeinsam verdrängen diese Arten anderen Bewuchs, wie zum Beispiel die alten Kirschbäume, die es noch auf der Insel gibt. Ein schmaler offenbar erst vor kurzem gemähter Weg führt zwischen einem regelrechten Dickicht aus Grün hindurch. 57. O-Ton: Michael Schäfer (0'11") / NW 1/ 97:29 Wir haben hier die () Waldrebe vulgaris, () die geht 15 Meter hoch, bildet dann ein dichtes Blätterdach und erstickt alle Bäume, ja. Denn 15 Meter ist kein Kirschbaum hoch. Autor: Michael Schäfer zeigt einige Meter voraus: Neben dem Weg beginnt ein Brombeergestrüpp, dass sich übermannshoch bis zu einer Gruppe von alten Kirschbäumen ausbreitet. Waldreben haben die alten Bäume bereits weitgehend überwuchert. Man merkt Schäfer und Zengler das Bedauern über den Zustand der Insel an. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie lieber heute als morgen schweres Gerät auf die Insel schaffen, ohne das wäre ein Kampf gegen Rebe und Beere zum Scheitern verurteilt. Ein heiserer Vogelschrei erklingt, Schäfer schaut nach oben: 58. O-Ton: Michael Schäfer (0'10") / NW 1/ 112:59 Das ist ein Milan ... das ist'n Zugvogel, der erst seit ein paar Wochen hier ist, da sieht man wie der Wind ist (Z:) Der macht nicht viel, der holt nur den Aufwind ... Autor: Die Vögel sind vielleicht der größte Nutznießer der verwilderten Insel. Zählungen haben übers Jahr rund 160 Vogelarten ermittelt, die sich zumindest zeitweise auf Graswerth aufhalten. Atmo 32: Zugdurchfahrt Autor: Ein vorbeifahrender Güterzug klingt von der Bahntrasse auf dem Festland über das Wasser. 59. O-Ton: Anton Zengler (0'19") / NW 1/ 206:11 Das war früher das Zeichen der Graswerths Bauern: Wenn abends der 5.00 Uhr Zug durchkam durch Vallendar: Der 5.00 Zug war da, wir müssen bald Feierabend machen. Musik 9: Titel: Symphony Nr. 3, E-Dur, Op. 97 Komponist: Robert Schumann Interpret: Wiener Philharmoniker, Ltg. Riccardo Muti Verlag: Philips, LC 0305 Atmo 34: Rheinschanze Küche Autor: In der Küche des Gasthauses Rheinschanze auf Niederwerth geht es lebhaft zu: 60. O-Ton: Vinzenz Schemmer (0'09") / NW 3 / 15:30 Hier können Sie sagen, haben wir die drei Spargelköchinnen von Rheinland-Pfalz ... (lacht) Autor: Wirt Vinzenz Schemmer scherzt. Ein Grandseigneur in schwarzer Hose und Weste. Er schaut Tochter Rita Klöckner über die Schulter. Ein Reisebus wird erwartet. Gleich müssen 50 Portionen Spargel, die noch am Morgen auf dem Feld gestanden haben, die Küche verlassen. 61. O-Ton: Rita Klöckner (0'21") / NW 3 / 16:14 Bei uns im Gasthaus gibt s immer ein Pfund Spargel zu essen, also keine Portion, sondern ein ganzes Pfund, mit sieben, acht verschiedenen Sorten, also verschiedenen Beilagen. Und dieses Pfund: Meine Mutter nimmt also Baumwolle, umwickelt das und jedes Pfund wird auch extra gekocht, sodass jeder Gast auch ein Pfund immer hat. Atmo 35: Gang in den Saal Autor: Der Reisebus ist da. Rund 50 ältere Herrschaften drängen in die geräumige Gaststube. In der Rheinschanze werden seit über 200 Jahren alle wichtigen offiziellen und privaten Feiern der Niederwerther abgehalten. Von Anfang an waren es Vorfahren der Familie Schemmer, die das Gasthaus betrieben. Zum Spargel, der Genießer von nah und fern auf die Insel lockt, bietet Vinzenz Schemmer eine reichhaltige Auswahl an Weinen deutscher Winzer an. Atmo 36: Probe Filmthemen: River Kwai Autor: Nebenan im Großen Saal probt das Orchester des Musikvereins mittlerweile Stücke aus dem umfangreichen Repertoire. Zwischen zwei Stücken fragt Dirigent Heinz Schulte, wer beim nächsten Auftritt dabei sein kann und wer nicht. Atmo 39: Absprache Auftritt Autor: Rund 40 bis 50 Auftritte absolviert das Orchester im Jahr. Im vergangenen Jahr ging es sogar nach Rom: 62. O-Ton: Anton Klöckner (0'30") / NW 3 / 85:36 Das war die Benediktparade und im Petersdom haben wir gespielt, da waren wir, 10 Vereine oder 7 Vereine haben wir da im Petersdom gespielt und denn nächsten Tag auf der Benediktparade. Dann haben wir anschließend auf der Engelsburg gesessen, da gab's da zu essen und zu trinken. Da haben wir zusammen gefeiert. Die einzelnen Kappellen, die haben dann mal hier eine angefangen zu spielen, dann da mal eine - das hat die ganzen Musiker so zusammengeschweißt, also ich möchte diese Tour nicht mehr missen, da denke ich dran, so lange ich lebe. Autor: erinnert sich Gerd Klöckner an die Fahrt im Vorjahr. Bei einem Benefizkonzert des Orchesters kam nicht nur Geld für die eigene Nachwuchsarbeit zusammen, sondern auch eine Spende für die Orgel in der alten Klosterkirche, die der Brand seinerzeit zerstört hat. Dirigent Heinz Schulte hebt die rechte Hand. Ein kurzer Moment der Konzentration - dann geht es los: Atmo 33: Michael Jackson: Free World überblenden in Atmo 34: Abendstimmung Autor: Während im großen Saal der Rheinschanze die Probe weitergeht, wehen auf der Brücke lange blaue Fahnen in der abendlichen Brise. Sie zeigen die Insel als grüne Kontur und ihre Wahrzeichen: Neben dem Wappen, einen Nachen und: die Brücke selbst, die die wichtigste Voraussetzung für Niederwerths Weg in die Gegenwart begründet hat. Musik Sprecher v. Dienst: Absage Ein Dorf im Rhein - Deutschlands einzige Flussinselgemeinde. Niederwerth in Rheinland-Pfalz. Das war eine Deutschlandrundfahrt mit Thomas Doktor. Ein Dorf im Rhein - Deutschlands einzige Flussinselgemeinde Niederwerth in Rheinland-Pfalz von Thomas Doktor 1