COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 18. Februar 2008, 19.30 Uhr Billig geplant, teuer gebaut. Die Kostenexplosion bei öffentlichen Bauvorhaben. Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Atmo 1 Straße vor MARTa Sprecherin: Rot leuchten die Kliniker im Sonnenlicht. Wellenförmig zieht sich die Fassade an der Ausfall-Straße entlang. Fensterlos. Darüber wogen Dächer aus scharfkantigen Edelstahlplatten. Entworfen hat das bizarre Gebäude der amerikanische Star- Architekt Frank Gehry. Ein architektonisch einmaliges Bauwerk. An dem sich im ostwestfälischen Herford auch drei Jahre nach Fertigstellung die Geister scheiden: Take 1 Ich finde das ganz schön Scheiße, weil ich selber auf dem Bau arbeite und weil dieser Bau einfach zu viel gekostet hat. Sprecher vom Dienst: Billig geplant, teuer gebaut Die Kostenexplosion bei öffentlichen Bauvorhaben Ein Feature von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Atmo 2 (im Gebäude) Sprecherin: Heinz Günter Scheffer öffnet die gläserne Eingangstür. Deutet nach draußen. In Richtung Vordach. Dort oben sind ein paar Meter Regenrinne versteckt, sagt er. Obwohl Star-Architekt Gehry Regenrinnen ablehnt. Take 2 Wir haben hier z.B. heimlich eine eingebaut, das weiß auch kaum einer, weil wir auch gesagt haben - vor allen Dingen waschen uns hier die Steine aus und sie sehen das ja auch schon - von diesen riesigen Flächen kommt das Wasser dann aus einzelnen Punkten raus, wäscht die Fugen raus, führt zu grünen Flächen, sind alles so Dinge, das ist denen natürlich vollkommen egal... Sprecherin: Heinz Günter Scheffer - von Haus aus Bauingenieur - schüttelt den Kopf. Seit 1999 sitzt er im Rat der Stadt Herford. Zunächst für die FDP, dann für die Wählergemeinschaft "Liste 2004 - Initiative für Herford". Er hat für den Bau von MARTa gestimmt. MARTa - das bedeutet M wie Möbel, ART wie Kunst und A wie Ambiente. Dahinter verbirgt sich eine Mischung aus Museum, Veranstaltungsort und Büroräumen. Scheffer befürwortet das Projekt noch heute. Nur mit einem mag er sich nicht abfinden: Den immensen Baukosten-Steigerungen. Take 3 Das ist sicherlich schwierig zu beschreiben, aber irgendwann muss man sich dann auch einig werden und sagen: Was darf es kosten. Wir haben ja mal gelernt, es gäbe den 15-prozentigen Gehry-Zuschlag und der fange das auf, schließlich sei man Gehry-erfahren. Das kann dann auch mal 20 sein, aber unter dem Strich muss das wieder passen. Sprecherin: Im Fall MARTa betrug die Baukosten-Steigerung ganze 100 Prozent. Aus den ursprünglich veranschlagten Kosten von 30 Millionen DM wurden bis zur Eröffnung im Mai 2005 30 Millionen Euro. Damit schaffte es Herford sogar in das "Schwarzbuch" des Bundes der Steuerzahler. Darin prangert die Organisation Jahr für Jahr die Verschwendung öffentlicher Gelder an. Take 4 Wir beobachten ja alle öffentlichen Bauten. Sprecherin: Karl Heinz Däke, der Präsident des Bundes der Steuerzahler. Take 5 Vor allem die Kostenexplosion der Vergangenheit. Es hat sich fast immer gezeigt, dass die geplanten Kosten erheblich überschritten wurden. Ein ehemaliger nordrhein-westfälischer Minister hat mal gesagt: "Die öffentliche Hand kann nicht bauen". Wir beobachten seit langem dieses Phänomen, auch bei U-Bahn-Bauten jetzt in Köln und in Düsseldorf zeigt es sich ja auch wieder, dass die Kosten explodieren. In Köln haben sie sich sogar verdoppelt von 500 Millionen auf eine Milliarde, in Düsseldorf jetzt geht's schon wieder 120 Millionen mehr.... Sprecherin: Baukostensteigerungen sind fast schon an der Tagesordnung. Besonders wenn die öffentliche Hand baut. Take 6 Bei öffentlichen Gebäuden ist es zunächst mal ein Naturgesetz, dass zunächst mal der geplante Kostenrahmen nicht eingehalten werden kann, weil die öffentliche Hand bei der Planung eines Baues Kostensteigerungen nicht mit einbeziehen darf. Sprecherin: Däke spielt auf den sogenannten Baupreisindex an. Er wird regelmäßig vom Statistischen Bundesamt erhoben und zur Berechnung von Baukosten herangezogen. Jüngstes Beispiel: Der Neubau für den Bundesnachrichtendienst in Berlin-Mitte. 720 Millionen Euro wurden vor einigen Jahren dafür veranschlagt. Berechnet nach dem Baupreisindex. Der aber hat - nachdem er jahrelang stabil war - 2007 angezogen. Trotzdem heißt es weiterhin: Der BND-Neubau werde nicht mehr als 720 Millionen Euro kosten. - Gerechnet wird in der Gegenwart. Abgerechnet in der Zukunft. Das aber wird der Öffentlichkeit bei kaum einem Bauprojekt so vermittelt. Doch nicht nur Großprojekte sprengen mit schöner Regelmäßigkeit den Kostenrahmen. Auch kleine, überschaubare Bauvorhaben laufen aus dem Ruder. Das dokumentiert ebenfalls das aktuelle Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Ein Beispiel: Für die Sanierung des städtischen Campingplatzes Landshut waren ursprünglich 210.000 Euro veranschlagt worden. Am Ende wurden es 782.000 Euro, fast das Vierfache. Take 7 Ich vermute immer wieder, dass man die Planungen auf niedrigem Niveau hält, auch die Kosten auf niedrigem Niveau hält, um ein Projekt durchzubekommen. Um überhaupt die politische Entscheidung durchzubekommen, also auch Mehrheiten in den Ausschüssen oder im Rat zu finden oder in den Parlamenten zu finden und wenn es später zu Nachforderungen kommt, dann ist es keiner gewesen. Sprecherin: Erst billig planen und politisch durchsetzen. Dann teuer bauen und politisch aussitzen. Alltag bei öffentlichen Bauvorhaben vermutet der Präsident des Bundes der Steuerzahler. Die Kostenseite der Bilanz ist für einzelne Projekte Jahr für Jahr im Schwarzbuch nachzulesen. Einen Nachweis der krummen Kalkulation aber sucht man vergeblich: Take 8 Das ist sehr schlecht nachzuweisen - aber die Praxis bestätigt es immer wieder. Atmo 3 Bahnhof Leipzig Tür auf, Bahnhofsatmo, Ansage, Baulärm Sprecherin: Leipzig Hauptbahnhof. Mit großen Schritten eilt Peter Hettlich den Bahnsteig entlang. Take 9 Mein größtes Projekt war Anfang der 90er Jahre die Sanierung und Umwidmung der Bundgangwerke, einer ehemaligen Kammgarnfabrik in Leipzig, ein riesiges Areal mit über 100.000 Quadratmeter historisch ganz bedeutsam, aus der Jahrhundertwende, das war so eine Bausumme von etwa 100 Millionen DM damals, das war schon ein richtig heißer Job. Sprecherin: Peter Hettlich arbeitete als Projektsteuerer. Musste im Auftrag des Bauherren dafür sorgen, dass die Kosten auf der Großbaustelle nicht aus dem Ruder liefen. Take 10 Man bekommt ja einen Vertrag wo auch ein Bonus Malus-System vereinbart wird, das heißt, überschreite ich die Kosten, verliere ich dabei auch signifikante Teile meines Honorars. Bleibe ich unter den Kosten bei gleichbleibender Qualität bekomme ich einen Bonus. Das gleiche gilt auch für die Bauzeit. Und insofern ist da ein Anreizsystem da, was im privaten, finde ich, ganz gut funktioniert. Sprecherin: Vor einigen Jahren hat Peter Hettlich die Baustelle mit dem Bundestag getauscht, die Projektsteuerung mit der Politikarbeit. Seit 2002 ist er für die sächsischen Grünen im Bundestag. Baustellen aber interessieren ihn immer noch: Take 11 Jetzt gucken wir hier mal rechts durch das kleine Fenster, da können wir mal einen Blick auf die Baustelle werfen. Sprecherin: Bagger, Lastwagen, Bautrupps arbeiten an einem der größten Bauprojekte der Republik. Dem City-Tunnel in Leipzig Take 12 Beim City-Tunnel geht es um die Verwirklichung eines uralten Traums, nämlich die Verbindung des Hauptbahnhofs nach Süden. Man hat sich hier schon einmal in den 20er, 30er Jahren mal versucht, ist dann in den schweren Baugrund geraten und gescheitert und hat jetzt mit Hilfe der Gelder aus dem Aufbau Ost zunächst einmal 900 Millionen DM damals locker gemacht... Sprecherin: Zwei Röhren durch den Leipziger Untergrund. Jede mit neun Meter Durchmesser. Vier Kilometer Eisenbahn-Tunnel direkt unter der Innenstadt. Eine Verbesserung der Verkehrs-Infrastruktur versprachen vor gut acht Jahren die verantwortlichen Politiker. Take 13 Das war hier in Leipzig von vornherein so, Hauptakteure, das war natürlich der Oberbürgermeister Tiefensee, aber auch die sächsische Staatsregierung, die hatten überhaupt kein Interesse, die Kosten hier ehrlich auf den Tisch zu legen, hier wurde immer irgendwas erzählt, es ging immer nur drum, wir müssen das Ding bauen, wir kriegen ja die Olympischen Spiele. Sprecherin: Im Jahr 2002 wurde eine Vereinbarung für den City-Tunnel geschlossen. Bund, Land, EU, Bahn und Kommune einigten sich auf die Finanzierung, bezifferten die Gesamtkosten auf 571,62 Millionen Euro. Take 14 (Atmo) Wir gehen hier einfach mal rum....Und dann sieht man eben hier in Leipzig ist versammelt das "Who is Who" des deutschen Tunnelbaus und vor allen Dingen der Baugrundverfestigung und hier, wenn man auf die Schilder schaut: Alpine Gleitschalungsbau, Strabag, Dywidag, die Großen, hier links Keller Grundbau, die machen die ganze Baugrundverfestigung. Sprecherin: Seit dem letzten Jahr fräst sich der Riesenbohrer "Leonie" Meter für Meter durch den Untergrund. Sichern Spezialfirmen die Gebäude der Leipziger Innenstadt. Die veranschlagten 571-Millionen gelten schon lange nicht mehr. Take 15 Dann waren es auf einmal 630 oder 640 Millionen Euro und jetzt sind wir bei 730 Millionen Euro, Ende offen, sage ich. Bis zum Jahr 2013 soll das fertig sein, das Ding, die Milliarde werden wir wohl noch packen. Sprecherin: "Leonie" bohrt, der Bürger blecht. Bisher hat der Riesenbohrer gerade mal ein Viertel der vorgegeben Strecke geschafft. Und die Baukosten sind schon um mehr als 20 Prozent gestiegen. Hettlich geht weiter. Richtung Innenstadt. Passiert eine Baustelle nach der anderen. Überall Sicherungsmaßnahmen für die Gebäude. Take 16 Da ist eines der Löcher, von da werden die Injektagen unter die Gebäude gemacht, damit die sich nicht absenken, wenn die Bohrmaschine durchgeht, das ist ja die wackeligste Situation und da haben sie eine Riesenpanik, dass sich die Gebäude absenken. Es gibt wenig Firmen, die das machen können. Sprecherin: Und die sind fast komplett in Leipzig versammelt, weiß Bauprofi Hettlich. Mehr als 400 Nachträge haben sie bisher gestellt. Das heißt: Mehrkosten geltend gemacht für unvorhersehbare Arbeits- oder Materialleistungen, die nicht in der Ausschreibung berücksichtigt waren. Take 17 Wir sind an so einem Punkt, wo man nicht mehr zurück kann, den "Point of no return", den haben wir überschritten. Jetzt heißt es: Fertigmachen, da wird nicht mehr gefragt, was es kostet, da hat man keine Chance mehr, da heißt es nur noch: Ich brauche morgen eine HDI hier auf der Baustelle, egal woher, egal was das kostet, weil sonst pfeift uns der Karstadt ab. Ein Ding, was von vornherein unrealistisch gerechnet war und das war der Citytunnel, das lässt sich halt, wenn man mal angefangen hat, nicht mehr stoppen. Da muss man halt die Zähne zusammenbeißen und durch. Sprecherin: Zähne zusammenbeißen und durch - das könnte auch das Motto für Dr. Hartmut Mangold sein. Auch wenn der Jurist es selbst so wahrscheinlich nie formulieren würde. Take 18 Die Leute haben verstanden, dass es zwar nicht schön ist, was da passiert, niemals ist es schön, wenn wir mehr öffentliche Mittel in ein Projekt stecken müssen, dass es aber Ursachen dafür gibt, die wir zwar beklagen, aber nicht vermeiden können. Sprecherin: Die normative Kraft des Faktischen. Die angeblich unvermeidlichen Mehrkosten. Im Leipziger Untergrund. Seit dem 1. August 2007 muss Hartmut Mangold die rechtfertigen. Von Amtswegen. Im Sommer letzten Jahres wurde er Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Dresden. In einer Zeit, als gerade die Landesregierung wackelte. Die Landesbank in Schräglage war. Und der Wirtschaftsstandort Sachsen im Gerede. Jurist Mangold kommt aus dem Berliner Bundesverkehrsministerium. Hier war Wolfgang Tiefensee sein Chef. Der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister. Und Tunnelplaner. Take 19 Die Kostenkalkulation summierte sich im Anfang, nach der ersten Planung und Projektierung auf grosso modo 570 Millionen Euro. Der Kostenkalkulation lag zugrunde natürlich eine Planung, die die Strecken festgelegt hatte, nachdem gewisse Prüfungen der Bodenbeschaffenheit und der Bausubstanz über der Strecke natürlich stattgefunden haben. Sprecherin: Alles geprüft, alles begutachtet. Alles kalkuliert. Im Jahr 2003. Weit vor Mangolds Zeit in Dresden. Als Mangold sein Amt in Dresden antritt, sind die Kosten bereits um 73 Millionen nach oben geschnellt. Wenige Monate nach seiner Berufung musste er die nächste Mehrkosten-Meldung verkünden: Noch einmal 60 Millionen Euro. Erklärungsversuche: Take 20 Wenn von einer bestimmte Boden- und Baubeschaffenheit bei der Planung ausgegangen werden konnte, wenn man an eine bestimmte Stelle innerhalb des Prozesses bekommt und sich dann im weiteren Verfahren herausstellt, oben drüber hat sich etwas verändert, etwa ein Gebäude ist ausgebaut worden, von dem man vielleicht dachte, es wird abgerissen oder im Boden befindet sich etwas, mit dem man nicht kalkulieren konnte. Man muss es jetzt beseitigen oder in irgendeiner Weise mit in die Planung mit einbeziehen, dann ist das der Moment, wo sie wissen, an dieser Stelle wird etwas teurer. Sprecherin Und derartige Stellen scheint es reichlich zu geben im Leipziger Untergrund. Die überraschend auftreten. Unvorhergesehen. Und die Bauarbeiten zuverlässig teurer, aber nie billiger machen. Und das trotz aller Gutachten und peniblen Prüfungen der Bodenbeschaffenheit. Auch über der Erde ist von Planungssicherheit wenig zu merken: Take 21 Es gibt Ursachen, die in Veränderungen, in den Aushandlungen der Tarifpartner liegen, also Personalkosten können steigen. Und es gibt solche, die in der Veränderung der Weltmarktpreise für Material liegt. Stahl und Energie spielen hier die Hauptrolle. Und wie die Energiepreise gestiegen sind, erlebt jeder von uns, wenn er einmal im Monat eine der entsprechenden Rechnungen öffnet. Sprecherin: Geänderte Gesetze, gestiegene Lohn-, Material- und Energiekosten. Das sind nachvollziehbare und nachrechenbare Faktoren. Wenn die ursprüngliche Planung und Kalkulation über Jahre zurückliegt. Auch Insolvenzen von Bauunternehmen, die vorher dank des günstigsten Angebots den Zuschlag bekommen, dann aber während der Bauphase Pleite gehen, können die Kosten nach oben treiben. Wenn dringend eine Nachfolgefirma gefunden werden muss. Aber keine zu einem günstigen Preis einsteigen will. Allerdings hat in Leipzig nie jemand die Öffentlichkeit über die zu erwartenden Preissteigerungen informiert. Die erste Mitteilung über die Mehrkosten im Untergrund - in Höhe von 73 Millionen Euro - gelangte nur durch eine gezielte Indiskretion ans Tageslicht. Wurde von der Opposition veröffentlicht. Und erst später von der der Landesregierung bestätigt. Dazu kann Hartmut Mangold nichts sagen. Auch das war vor seiner Berufung zum Staatssekretär. Wie so viele Ereignisse, die heute den Tunnel-Bau beeinflussen. Take 22 Und es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass man am Anfang zu niedrig kalkuliert hat. Natürlich werden wir prüfen, ob dergleichen vorliegt. Im Moment kann ich nur sagen, haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass wir das mit Sicherheit sagen können. Aber wir sind mit diesen Prüfungen auch noch nicht am Ende. Das ist ja auch ein äußerst komplexes Verfahren, denn sie müssen ja tatsächlich sich in den Wissensstand von damals versetzen und dann entscheiden, haben die da einen kalkulatorischen Fehler gemacht. Was konnten die tatsächlich wissen, was mussten die tatsächlich ahnen. Das ist ein ziemlich schwieriger Prozess. Und wer Jurist ist und weiß, was notwendig ist um Fahrlässigkeit und Vorsatz in einem Verhalten nachzuweisen, der weiß, wie genau man das nachweisen können müsste. Sprecherin: Ein fast unmögliches Unterfangen. Zumal die Planungen Jahre zurückliegen. Und sich nicht alle Beteiligten en detail erinnern werden können. Da blickt der Staatsekretär doch lieber in die Zukunft... Take 23 Wir müssen dieses Projekt zu Ende bringen, wir müssen den Versuch machen, es so sparsam und so effizient zu Ende zu bringen. Und irgendwann 2011 werden wir uns freuen, wenn wir durch diesen Tunnel fahren können. Sprecherin: Wie viel Geld der City Tunnel am Ende wirklich kosten wird, darüber will der Staatssekretär aus Sachsen aber lieber keinen Tipp abgeben. Take 24 Wenn sie sich entschieden haben, die Aufgabe zu übernehmen, die ich übernommen habe, geben sie solche Tipps nicht ab. Und der Tipp wäre auch eine völlig gegriffene Zahl und am Ende ist sie zu hoch oder zu niedrig, man wird jeweils die Stirn runzeln, wenn es dann tatsächlich dazu kommt. Atmo 5 Atmo in Halle, Kaffeetasse, Sprecherin: Im ostwestfälischen Herford hat Heinz Günter Scheffer in einem Restaurant gegenüber dem umstrittenen MARTa-Museum Platz genommen und erzählt von einer Ratssitzung 1999, die er damals als Zuschauer besuchte. Und in der es um die Finanzierung von MARTa ging. Take 25 Nämlich darum, dass der Bürgermeister Dr. Klippstein offen legen sollte, wie er das Projekt finanzieren wolle. Da sagt er dann in der Sitzung - etwa wörtlich: Er müsse Stillschweigen bewahren, aber man dürfe davon ausgehen, dass in seinem Tresor entsprechende Unterlagen vorhanden seien... Sprecherin: Dann kam die Kommunalwahl, der Bürgermeister wurde abgewählt, der "Tresor", sprich: die Unterlagen gesichtet. Nach Auskunft des neuen Bürgermeisters gegenüber dem Stadtrat fand man: Nichts! Für den Alt-Bürgermeister blieb das folgenlos. Heinz Günter Scheffer: Take 26 Ich weiß, dass dann die Diskussion damals dahin ging, ob man sich nicht von diesem Projekt MARTa verabschieden solle oder müsse. Denn man hatte ein schlecht bestelltes Haus, schlechter als man geahnt hatte, vorgefunden... Sprecherin: Trotzdem stimmte der Rat der Stadt im Jahr 2000 einstimmig für die Fortführung des Projektes. Auch das neue Ratsmitglied Scheffer votierte für den Bau. Und das finanzielle Verhängnis in der 65.000 Einwohner-Stadt Herford nahm seinen Lauf. Take 27 Der Rat der Stadt Herford war in alle finanziellen Entscheidungen involviert. Und - ich greife mal vor - als ich dann irgendwann anfing, genauere Zahlen wissen zu wollen, da wurde mir dann durch den damaligen Geschäftsführer - begründet mit einem Votum der Gesellschafter-Versammlung - gesagt, ich dürfe nicht einmal Akteneinsicht nehmen, egal in welche Unterlagen des Projektes, dies stehe mir nicht zu. Worauf ich gesagt habe, wenn ich nicht Akteneinsicht nehmen darf, stelle ich mir doch die Frage, weshalb bedarf es meines Fingers, um den Mehrbedarf an Kapital abzunicken? Sprecherin: 2001 wird der Grundstein für das MARTa gelegt. Der Bau schreitet voran. Die Kosten steigen. Etwa weil die Vergabe der aufwendig konstruierten Dachlandschaft stockte. Eigentlich hätte es gar keine Ausschreibung geben sollen, bekamen Scheffer und seine Kollegen zu hören. Aus dem betreuenden Architekturbüro hieß es immer wieder: Take 28 Ihr baut mit Frank, das ist eine Ehre, das ist eine Gnade. Eigentlich wird gar nicht ausgeschrieben. Sprecherin: Schließlich wurde die Dachlandschaft doch ausgeschrieben. Zwei Bieter bewarben sich. Den Zuschlag bekam ein heimisches Unternehmen. Ein millionenschwerer Auftrag. Take 29 Ich erinnere mich sehr gut, dass der Unternehmer am Telefon wörtlich sagte: Nein, dies ist ein sehr auskömmliches Angebot. Ich hatte diesen Begriff, obwohl ich vom Bau komme, noch nie gehört. Er sagte wörtlich: Nein, dies ist ein sehr auskömmlicher Preis. Ich sage mal dazu: Es hat einen schlimmen Nachlauf ausgerechnet mit dem Unternehmen gegeben, im Hinblick auf die vielen, vielen Nachforderungen, die hinterherkamen. Sprecherin: Kostensteigerungen, die die Ratsmitglieder abnickten. Immer wieder. Unter anderem auch Ende 2004. Laut Vorlage war ein Mehr von 3,8 Millionen Euro abzusegnen. Darunter etwa 1,5 Millionen Euro für die Veränderung der Dachlandschaft und des Innenausbaus. Über eine halbe Million für Planungsänderungen. Hatte man doch während des Baus umgeplant, eine Ausstellungshalle nachträglich in einen Veranstaltungsbereich umgewandelt. Mit 700.000 Euro schlugen die Mehrkosten für Bauzeitverlängerungen zu Buche. Zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Gesamtkosten auf 28,8 Millionen Euro. Zur Erinnerung: Bei 15,3 Millionen war man gestartet. Heinz Günter Scheffer platzte der Kragen. Er forderte Einsicht in die Bauabwicklungsunterlagen. Immer wieder. Nach Wochen wurde ihm die gewährt. Scheffer - von Beruf Bau-Ingenieur und Inhaber eines kleinen Architektur-Büros - glaubte seinen Augen nicht zu trauen: Take 30 Und habe dann festgestellt bezüglich dessen, was ich gesehen habe, und mehr gab's angeblich nicht, was diese Dinge betrifft: Ich habe keinen einzigen Werkvertrag, wie er üblich ist am Bau, finden können, keinen einzigen. Ich habe mal in einem Gespräch gesagt: So würde keines der Ratsmitglieder auch nur eine Doppelgarage bauen. Sprecherin: Werkverträge regeln nach der Ausschreibung die Geschäftsbeziehungen zwischen Bauherren und Handwerkern. Normalerweise... Take 31 Ich will hier jetzt gerne konzedieren, dass es sich hier um ein außergewöhnliches Bauvorhaben mit einem Star-Architekten handelt, aber normalerweise schreibt man Gewerk für Gewerk aus. Und versucht die Handwerker festpreismäßig zu binden, schreibt dann eine Werkvertragsurkunde, die beide unterschreiben, wo nach Möglichkeit ein Pauschal-Festpreis vereinbart wird - ich weiß, dass ist hier schwierig... Sprecherin: Aber es deswegen einfach zu unterlassen? Scheffer schüttelt den Kopf. Take 32 Meine Bauherren würden mich in die Wüste schicken. Atmo 6 Schritte Sprecherin: Im Rathaus der Stadt Herford regiert mittlerweile SPD-Mann Bruno Wollbrink. Er ist der dritte Bürgermeister seit Baubeginn. Wollbrink, der MARTa im Mai 2005 eröffnete, nennt drei Gründe für die Explosion der Baukosten. Zum einen die Abhängigkeit vom Architekten: Take 33 Wir konnten aber nicht das Risiko eingehen, am Ende des Bauwerkes dazustehen und Herr Gehry hätte nicht gesagt: "It's my baby". Das ist sein klassischer Ausspruch. Von daher waren wir in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis dem Architekten gegenüber. Sprecherin: Als Erklärung reicht das allein nicht. Wusste man doch, wie Gehry baut. Und konnte sich ausrechnen, dass es nicht billig werden würde. Aber die Stadt wollte den Bau - um jeden Preis - so scheint's heute. Take 34 Und das ist natürlich auch politisch motiviert gewesen, um das Projekt nicht zu gefährden, sicherlich eine Strategie, die Zahlen relativ schön darzustellen, so will ich es mal vorsichtig formulieren. Skeptiker und Leute, die vom Fach was verstehen, haben immer gesagt: Eure Ansätze sind zu unrealistisch. Ihr müsst davon ausgehen, dass ihr einen höheren Faktor einrechnet, was Kostenüberschreitungen anbelangt. Sprecherin: Erst wurde schön gerechnet. Dann die Rechnungen nicht ausreichend kontrolliert. Der Bürgermeister nennt das Kostencontrolling dann auch "suboptimal". Take 35 Also, das professionelle Projektmanagement hat von Anfang an gefehlt. Es ist der Eindruck erweckt worden, das kann man innerhalb einer Verwaltung nebenbei regeln und das kann man in einem solchen Projekt nicht. Das ist sehr deutlich, bitter zu Tage getreten. Atmo 7 Ordner blättern Take 36 Wenn sie mit den Kommunen sprechen, dann geben die das auch offen zu, dass die gar nicht mehr in der Lage sind, den Vollzug zu kontrollieren. Sprecherin: Peter Hettlich sitzt in seinem Berliner Bundestagsbüro. Oft hat er den Eindruck, dass die örtlichen Bauämter mit größeren Projekten schlicht überfordert sind. Hinzu kommt: Take 37 Dass wir durch die Entbürokratisierung und das Schleifen von Stellen in den Behörden eine ganze Menge Kompetenz in den öffentlichen Behörden verloren haben. Insofern sehen wir hier an dieser Stelle das Ergebnis unserer harten Entbürokratisierung. Wobei ich hier sage, profitieren tut hier eine Seite: Nämlich die Seite der Auftragnehmer, die Seite der deutschen Bauindustrie, die ja wie der BDA und BDI immer schön gefordert hat: "mehr Entbürokratisierung", weil das heißt ja: weniger Kontrolle. Sprecherin: Hinter Hettlich steht ein Regal mit Aktenordnern. "Humboldtforum" steht auf einem, "City-Tunnel Leipzig" auf einem anderen, "Flughafen Berlin-Brandenburg- International" auf einem dritten. Alles Großprojekte kurz vor oder in der Bauphase. Take 38 Wir haben eine ganze Menge Projekte die unterwegs sind, da werden wir noch viele Späße erleben: Berlin-Brandenburg International, das Schloss Berlin mit der ersten Zwischenphase Abriss, da werden wir mal ganz genau schauen, was das da gekostet hat, ich denke, die Kosten werden sich da verdoppeln, nach meiner Prognose, und so geht das lustig weiter.... Sprecherin: Mit den Kostensteigerungen. Um die bei den laufenden Projekten in Grenzen zu halten, sieht Hettlich vor allem eine Möglichkeit: Take 39 Deswegen plädiere ich auch für eine Professionalisierung und eindeutig dafür, dass man die Projektsteuerung international ausschreibt und dann beispielsweise keinen deutschen, sondern einen englischen, französischen oder niederländischen Projektsteuerer nimmt, da gibt es wirklich gute Firmen, die auch bretthart an so einer Baustelle auch das Regime führen. Im Interesse des Auftraggebers, wenn der das will, das ist die Frage.... Sprecherin: Denn ein externes Controlling würde das über Jahrzehnte eingeübte Zusammenspiel zwischen öffentlichen Bauherren und privaten Baufirmen auf eine andere Grundlage stellen. Allerdings: Ein vernünftiges Controlling funktioniert nur auf Grundlage einer vernünftigen Kostenkalkulation: Take 41 Zu allen Zeiten fiel das auf, dass man bei der öffentlichen Hand mit relativ unrealistischen niedrigen Kosten rein ging, damit man in den Vergabeausschüssen auch den Zuschlag bekam, das war auf der kommunalen Ebene in Köln, Leipzig oder in den Staatshochbauämtern eigentlich der rote Faden. Sprecherin: Billig geplant, teuer gebaut. Ob aus Versehen oder mit Vorsatz, wegen mangelnder Planungskompetenz, schlechter Verträge, fehlender Kontrolle oder politischer Profilneurose - fest steht: Politiker bekommen die Prestigeobjekte, Baufirmen die Profite. Ein einträgliches Geschäft. Take 42 Wenn bestimmte Annahmen falsch sind, dann ist es so dass nach der Verdingungsordnung für das Bauwesen die Anbieter verpflichtet sind darauf hinzuweisen, dass die Kalkulation unrealistisch ist. Bei öffentlichen Bauten habe ich das Gefühl das die Verdingungsordnung für Bauwesen gar nicht gilt, die halten alle still und sagen sich: Unsere Nachträge die kriegen wir so oder so durch. Insofern ist das auch so ein Kartell, wo ich auch den Auftragnehmern ganz klipp und klar sage, ihr könnt euch da nicht aus der Verantwortung schleichen, ihr seid da auch mit in der Verantwortung. Sprecherin: Wenn mehr Kostenehrlichkeit bei öffentlichen Bauvorhaben Einzug halten soll, dann müssen schon am Anfang die Kalkulationsgrundlagen auf den Prüfstand, fordert Hettlich. Take 43 Deshalb muss die Kalkulationsgrundlage den Leuten im Vergabeausschuss offengelegt werden, nicht in der Öffentlichkeit, da würde man ja auch Geschäftsgeheimnisse verraten, aber diese Transparenz muss gewährleistet sein. Und ich sage ganz ehrlich, wenn wir im Bundestag so etwas fordern, bekommen wir entweder gar keinen Einblick oder wenn wir einen Einblick bekommen, dann bekommen wir den in der Geheimschutzsstelle und dann dürfen wir nicht drüber reden. Sprecherin: Peter Hettlich erinnert sich noch gut an den Fall Toll Collect. Die Einführung des LKW-Maut-Systems auf deutschen Autobahnen. Nach immer neuen Verzögerungen und Ankündigungen, wollte er die Planungsunterlagen einsehen Take 44 Die Kalkulationsgrundlagen wurden uns offengelegt: In der Geheimschutzstelle. Mit dem Vermerk: Geheim. Sprecherin: So erfuhr Hettlich die Daten und Fakten. Zum Maut-System. Sein ganz privater Erkenntnisgewinn. Denn in der Öffentlichkeit durfte der Volksvertreter nicht darüber reden. Take 45 Da waren wir selber in der Koalition damals, da merkt man dann auch wie so eine Wagenburg gebaut wird, man sich dann nach außen abschottet und die Anwürfe der Opposition auf das Abscheulichste verdammt. Und ich muss zum Teil schon realistisch sagen, das war zum Teil schon mit krimineller Energie, wie man da den Bund und den Steuerzahler betrogen hat. Sprecherin: Die Details aber darf er nicht verraten. Geheim ist geheim. Dass eine Geheimhaltung zum Schutz von Geschäftsinformationen in einigen Fällen berechtigt ist, zweifelt Hettlich nicht an. Er plädiert aber für eine größtmögliche Offenheit. Bei allen Bauvorhaben. Take 46 Ganz einfache Antwort: Hosen runter, Transparenz. Offenheit, ich meine, wenn sie beispielsweise eine Submission machen, d.h. sie haben eine Ausschreibung für ein bestimmtes Gewerk, sagen wir Rohbauarbeiten für ein bestimmtes Projekt, und sie legen dann erstmal die Angebote auf den Tisch, das muss natürlich aus meiner Sicht öffentlich erfolgen und die Frage der Kalkulationshintergründe, die kann man erstmal umgehen, in dem ganz einfach sagt, das billigste und das teuerste Angebot fällt erstmal per se raus.... Sprecherin: Das könnte ein Schritt in Richtung mehr Kostenehrlichkeit sein. Die aber muss politisch gewollt werden. Denn bisher gilt: Die Politik beschließt, die Verwaltung lässt bauen. Abgerechnet wird zum Schluss... Take 47 Was wir nicht hinkriegen: Eine stärkere politische Kontrolle und eine stärkere politische Verantwortung hinzubekommen, dass, wer eben halt so ein Projekt vermasselt, dafür halt auch den Kopf hinzuhalten hat. Sie müssen heute manchmal wegen einer Lappalie zurücktreten, aber wegen Mehrkosten an einem Flughafen von vielleicht 100 Prozent ist mir jedenfalls noch nicht bewusst, dass dort ein Oberbürgermeister zurücktreten würde... Sprecher v. D.: Billig geplant, teuer gebaut - Die Kostenexplosion bei öffentlichen Bauvorhaben. Eine Sendung von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Es sprach: Uta Prelle Technik: Peter Seyffert Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1