Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 10.9.2012, 19 Uhr 30 Titel - Im Netz der Interessen ... . Von Jan Uwe Stahr Besetzung: Sprecher Sprecherin Sprecher/in vom Dienst Produktion Do, 06.09.2012 beim Deutschlandradio Studio 3 Atmo: Begrüßung an der Baustelle, (drunter legen Länge:1´24´´) Sprecher: Baustellen-Besprechung auf einem Getreidefeld zwischen Kiel und Rendsburg. Der regionale Stromnetzbetreiber, die Schleswig-Holstein Netz AG, verlegt hier eine neue Kabelstrecke. "Wir sind so gut wie fertig", sagt der Bauleiter Joachim Krabbenhöf und entfaltet einen farbigen Bauplan auf der Kühlerhaube seines Kombis. O-Ton 7:18 also das wäre jetzt der Übersichtsplan, den wir haben. (Plan falten) da ist Gettorf und da ist Holtsee, da waren wir an der Schaltanlage, .... Sprecher: Die neue 20Tausend-Volt-Leitung verläuft unterirdisch entlang der Landstraße, biegt dann ab - quer durch das Feld. Auf einer Anhöhe am anderen Ende des Feldes richtet ein schwerer Autokran riesige Stahltürme für Windturbinen auf. Sie müssen an das Stromnetz angeschlossen werden. O-Ton (Bauleiter) und wir müssen jetzt auch irgendwann sehen, dass wir unsere Leitung soweit in Betrieb kriegen, weil die, wenn sie die aufstellen, müssen die gleichzeitig oben ihre Befeuerung haben, das heißt da sind Lichter oben drauf, weil die sind Narbenhöhe 120 Meter und ohne dürfen sie es nicht und die müssen von uns die Mittelspannung haben 2:34 Sprecher: Die Kabel-Verleger haben alle Hände voll zu tun: Immer mehr Windparks, Biogaskraftwerke und Fotovoltaikanlagen tragen zur Stromerzeugung bei - nicht nur in Schleswig-Holstein. Die Energiewende ist bereits voll im Gange, über 20 Prozent des Stroms stammen schon heute aus erneuerbaren Energien. Täglich wird es mehr. Nun müssen dringend neue Stromnetze gebaut werden. Die Frage ist nur: Welche? Sprecher vom Dienst: Titel - Im Netz der Interessen - Was wird aus der Energiewende? Von Jan Uwe Stahr Sprecherin: Vor rund siebzig Jahren wurde in Deutschland mit dem großflächigen Aufbau der Stromnetze begonnen. Nieder, Mittel- Hochspannungsnetze wurden miteinander verknüpft, vergleichbar mit Landstraßen, Bundesstraßen und Autobahnen. Die Netze gehörten den Stromversorgern und diese nutzen sie gewissermaßen als Einbahnstraße: Um den elektrischen Strom von ihren großen Kraftwerken zu den Verbrauchern zu leiten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Mit der Liberalisierung des Strommarktes wurden die Stromnetze für jeden Stromeinspeiser zugänglich gemacht. Die Stromkonzerne mussten ihre Hochspannungs-Übertragungsnetze an neue, unabhängige Betreibergesellschaften abgeben. Auch die Aufgabe der Stromnetze selber wandelte sich: Seit dem Aufkommen der erneuerbaren Energien müssen die ehemaligen Verteilnetze quer durchs Land Strom einsammeln - Strom der, je nach Wind- und Sonnenverhältnissen, stark schwankt. Eine Herausforderung - auch für den Regionalnetzbetreiber im windigen Schleswig-Holstein. Atmo: Flur mit Stimmen Sprecher: Mathias Boxberger, Vorstand der Schleswig-Holstein Netz AG, auf Besuch in der Rendsburger Netzleitzentrale, einem unscheinbaren Backsteingebäude am Rande eines Wohngebietes. Von hier aus wird das gesamte Mittel- und Niederspannungsnetz der Region überwacht und gesteuert. O-Ton (Boxberger) Schritte ... Das ist genau 25 Jahre her, dass der erste kommerzielle Windpark in Schleswig-Holstein, eröffnet wurde, dieses Jahr 25 Jahre, die Schleswag hat ihn mit aus der Taufe gehoben. Damals gab es 30 Stromerzeuger in Schleswig -Holstein, heute haben wir über 30tausend. Atmo (ruhige Raumatmo) Sprecher: Private Wind- und Solarparkbetreiber, Landwirte mit Biogasanlagen und Hausbesitzer mit Fotovoltaikdächern - sie alle speisen ihren Strom in das Nieder- und Mittelspannungsnetz der Schleswig Holstein Netz AG ein. Damit es nicht zusammenbricht, muss die Rendsburger Netzleitzentrale es ständig im Gleichgewicht halten. Das heißt: Wenn mehr Strom eingespeist als gleichzeitig entnommen wird, wird der überschüssige Strom in die übergeordneten Hoch- und Höchstspannungsnetze weitergeleitet. Wenn der Bedarf größer ist als die Einspeisung fließt der Strom in umgekehrter Richtung. Thomas Jaquét, der Chef der Rendsburger Leitzentrale, zeigt auf einen der Flachbildschirme, auf denen acht Schaltmeister das Netz ständig im Blick haben: O-Ton (Jaquét ) Hier sehen Sie mal das ganze Mittelspannungsnetz in Schleswig-Holstein. Das sind die verschiedenen Farben. Das sind immer verschiedene Spannungsinseln. So ... und wir haben hier zum Beispiel, wenn zuviel Wind beispielsweise ist, was jetzt nicht in das 110KV-Netz aufgenommen werden kann, das heißt: wir können es noch in unser Mittelspannungsnetz aufnehmen. Aber die Kollegen vom übergeordneten Netz haben da schon Probleme, dann können die die Einspeiseleistung runterregeln. Atmo Schaltraum mit leisen Telefongespräch Sprecher: "Die Einspeiseleistung herunterregeln", das bedeutet, dass die Stromproduktion von Wind- und Solarkraftwerken nicht oder nicht mehr vollständig in das Netz aufgenommen wird. An den "Auffahrten zu den Stromautobahnen kommt es immer häufiger zum Stau", so beschreibt Regionalnetz-Vorstand Boxberger die Lage. Seine Techniker sind angewiesen alle technischen Möglichkeiten zum Stromtransport bis an die äußersten Grenzen auszuschöpfen. Dennoch: die Lage wird immer angespannter. O-Ton (Boxberger) Tatsächlich haben wir die Situation ... in Schleswig-Holstein, dass heute schon die Netzkapazitäten ausgeschöpft sind, bei knapp viertausend Megawatt, die Landesregierung das Ziel hat, diese Leistung, diese installierte Energieleistung zu verdreifachen und auch das Ziel hat, das Doppelte vom dem, was im Land verbraucht wird noch mal in den Rest des deutschen und auch des europäischen Marktes auch vermarktet und transportiert zu bekommen. Sprecher: Die rotgrüne Landesregierung möchte Deutschlands Ausstieg aus der Atomenergie nutzen, um das nördlichste Bundesland zu einem bedeutenden Stromexporteur auszubauen. In Nord- und Ostsee sind riesige Windparks geplant, die Millionen Haushalte mit Strom versorgen sollen. Auch in Süddeutschland, wo schon jetzt dringend Ersatz für die abgeschalteten Atomkraftwerke benötigt wird. Doch um diese gewaltigen Windstrommengen aufzunehmen, werden neue Höchstspannungs- Übertragungsnetze, die sogenannten Stromautobahnen benötigt. 3800 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen braucht die Energiewende in ganz Deutschland, sagen die dafür zuständigen vier Übertragungsnetz-Betreiber. Zudem müssten 4400 Kilometer bestehender Leitungen ausgebaut werden. Doch ihre Pläne sind umstritten. Atmo 5 Autos rauschen vorbei. Sprecherin: Rund fünfhundert Kilometer südlich von Schleswig-Holstein liegt der Thüringer Wald - das "grüne Herz von Deutschland" wird die Mittelgebirgsregion auch genannt. Atmo 6 Quelle plätschert ruhig Sprecherin: "Friedensquelle" steht eingemeißelt auf dem runden Felsstein neben dem fröhlich plätscherndem Rinnsaal. Es entspringt auf dem Rennsteig, einem jahrzehntelang fast unberührten Naturparadies im ehemaligen deutsch-deutschen Grenzgebiet. Doch seit der Wiedervereinigung bekommt das "Grüne Herz von Deutschland" immer mehr zu spüren: Es liegt inmitten eines verkehrsreichen und energiehungrigen Industrielandes. Atmo: polternder Baustellen-Lkw ... plätschern Sprecherin: Unter dem Rennsteig hindurch bohrt die Deutsche Bahn gerade ihre neu ICE- Verbindung von Berlin nach München. Oben drüber möchte das Unternehmen "50 Hertz", einer der vier Übertragungsnetzbetreiber, jetzt eine breite Trasse durch die Wälder schlagen - für eine neue Stromautobahn - eine 380Tausend Volt Höchstspannungsleitung. Sie soll zukünftig vor allem den Windstrom von Nord- nach Süddeutschland transportieren, so ist es geplant. Doch die eigentlich als duldsam geltenden Thüringer rebellieren gegen das Bauvorhaben. "Bürger auf 380" nennt sich die Initiative, die Jürgen Töpfer aus Großbreitenbach vor sechs Jahren mit gegründet hat. Atmo 8 Wald neutral O-Ton 6 (Töpfer) Sie sehen, dass da mal früher ne wunderschöne Waldgegend, ein paar Restbäume sieht man da drüben noch, die sind so 120 Jahre alt, aber das Umspannwerk hat dann jede Menge davon gefordert. Sprecherin: Das Umspannwerk mitten im Wald wurde bereits kurz nach der Wende geplant und wenig später gebaut, zusammen mit einer ersten Hochspannungsleitung, sagt der pensionierte Mathematiklehrer Töpfer. Damals habe man - noch im gewohnten DDR- Gehorsam - die Bauten mitten im Wald einfach hingenommen. Doch dann kam ein großes Pumpspeicherwerk zur Stromspeicherung dazu, später die neue ICE-Strecke und jetzt soll auch noch die gigantische Stromautobahn mit 90 Meter hohen Masten auf hundert Meter breiter Schneise hier durchgezogen werden. O-Ton 7 (Töpfer) Uns reicht das! Sprecherin: sagt der drahtige Pensionär O-Ton 8 (Töpfer) Wir haben so viele Eingriffe hier in der Natur erdulden müssen, es bleibt nichts mehr übrig von dem grünen Herzen von Deutschland. Der Thüringer Wald ist ein so großes zusammenhängendes Waldgebiet und wird jetzt systematisch zerstückelt und es werden Schneisen rein geschlagen - das wollen wir verhindern Sprecherin: Eine unterirdische Verlegung der Höchstspannungsleitungen lehnt der Betreiber ab - sie wäre um ein mehrfaches teuerer als die Freileitung. Die Thüringer fürchten um den Natur- und Wandertourismus am Rennsteig und bekämpfen die neue Stromverbindung mit voller Energie. Erst einmal müssten die schon vorhandenen Stromleitungen verstärkt werden, sagt Petra Enders, die Landrätin des Kreises Arnstadt. Sie verweist auf Experten-Gutachten, die das für ausreichend halten. Aber der Naturschutz, das gibt sie zu, ist nur ein Grund für den erbitterten Widerstand gegen die neue elektrische Nord-Süd-Verbindung: O-Ton 9 (Enders) Aber der zweite Grund warum, wir auch gegen diese Höchstspannungsleitungen sind, ist viel wichtiger: Wir wollen eine andere Energiepolitik: wir wollen dezentrale Lösungen vor Ort. Regenerative Energien sind geradezu prädestiniert dazu, vor Ort erzeugt und verbraucht zu werden und das muss die Zielstellung sein. Musik-Akzent Sprecherin: Die bisher marktbeherrschenden und politisch einflussreichen Energiekonzerne stellen sich die Energiewende anders vor. Sie sind in eine schwierige Lage geraten: Nicht nur ihr Wettbewerbsvorteil mit dem billigen Atomstrom schwindet nun dahin. Auch ihr klimaschädlicher Kohlestrom droht durch die CO2-Zertifikate zukünftig sehr teuer und damit weniger konkurrenzfähig zu werden. Jedenfalls dann, wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien - die sie einst so belächelt hatten - weiter so schnell voranschreitet, wie in den letzten Jahren. Nun wollen sich die großen Energieversorger mit Hilfe ihre riesigen Offshore-Windparks einen bedeutenden Marktanteil bei den Erneuerbaren Energien sichern. Sprecher: Doch der Bau verzögert sich, denn die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber haben Probleme die notwendigen Stromanschlüsse und die neuen Stromautobahnen fertig zu stellen. Die Zeit drängt auch für die Energiekonzerne. Die Pläne mancher Bundesländer für eine eigene, dezentrale Stromversorgungs-Infrastruktur mit immer mehr privaten Solar- und Windstromerzeugern können den Betreibern zentraler Großkraftwerke nicht gefallen, sie machen die Zukunft ihres Stromgeschäftes unkalkulierbar. Auch die Bundesregierung steht unter Zeitdruck. Die Energiewende ist eines ihrer wichtigsten Projekte. Doch ob sie gelingt - ist noch keineswegs sicher. Dem neuen Umweltminister Peter Altmeier ist das sehr wohl bewusst. O-Ton 11(Altmeier) Sie ist die größte wirtschaftspolitische Herausforderung seit dem Wiederaufbau und die größte umweltpolitische Herausforderung überhaupt Musik-Akzent Atmo: Empfang Bundesnetzzentrale Sprecher: Bonn, Tulpenfeld Nummer 7: Ein graues, etwas antiquiert wirkendes Bürohochhaus ragt in den Himmel der ehemaligen Bundeshauptstadt. Früher waren hier die Büros der Abgeordneten, jetzt sitzt hier eine zentrale Aufsichts- und Planungsbehörde: Die Bundesnetzagentur. Sie ist dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellt und ihre Arbeit von enormer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Energiewende: O-Ton 12 (Franke) Das ist unser Ziel: Planungssicherheit zu gewährleisten und vor allem auch bundesweit verlässliche und einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Sprecher: ...sagt Peter Franke, der Vizepräsident der Bundesnetzagentur. Viele Jahre hat der Verwaltungsjurist im Wirtschaftsministerium des Kohlelandes Nordrheinwestfalen gedient, war dort in der Energieabteilung wichtiger Ansprechpartner der Energiekonzerne. Jetzt ist Franke bei der Bundesnetzagentur mitverantwortlich für die Planung der künftigen Stromnetze. O-Ton 13 (Franke) Das Problem ist, dass wir die Kernkraftwerke zurücknehmen in einem gesetzlich definierten Zeitplan und das fossile Kraftwerke durch den vorrangigen Einspeise- Anspruch der Erzeugungsanlagen auf Basis Erneuerbarer Energien tendenziell zurückgehen. Sprecher: Immer weniger Atomstrom - immer weniger Kohlestrom - immer mehr Strom aus erneuerbaren Energien. Was Franke als Problem beschreibt, ist das offizielle Ziel der Bundesregierung: die Energiewende. Trotz der klaren Vorgabe erweist sich das Manöver als durchaus schwierig, schließlich müssen verschiedenste, teilweise widersprüchliche, Anforderungen erfüllt werden: Die Stromautobahnen sollen so schnell wie möglich gebaut werden. Die Versorgungssicherheit mit Elektrizität muss jederzeit gesichert sein. Der Um- und Neubau der Stromnetze muss bezahlbar bleiben. Und über allem liegt die Verteilungsfrage. O-Ton 14 (Franke) Das Problem ist, dass die bevorzugten, die besten Standorte für erneuerbare Energien in anderen Gegenden sind, als da wo, die Verbrauchsschwerpunkte sind das bleibt das Kernproblem. Sprecher: Im Süden fehlt der Atomstrom und der Windstrom wird vor allem im Norden produziert - wo die Energiekonzerne ihre großen Off-Shore-Windparks bauen wollen. Diesen Strom aus dem Norden möglichst kostengünstig in die vorhandenen Verteilnetze im Süden zu transportieren, darum geht es zunächst einmal, sagt der Netzaufseher: O-Ton 15 (Franke) Das ist auch die wirtschaftlich günstigste Methode, weil man das vorhandene Netz, das auf die Kernkraftwerke ausgerichtet war, weiterhin nutzt. Sprecher: Im Mai legten die Übertragungsnetzbetreiber ihre Ausbaupläne für die bis 2023 und die bis 2033 benötigten Stromautobahnen vor. Sie werden derzeit von der Bundesnetzagentur geprüft. Bis zum Jahresende sollen die Ausbaupläne für die nächsten zehn Jahre verbindlich vom Bundestag beschlossen werden. Sprecherin: Nicht nur Verbände und Nichtregierungsorganisationen sondern auch jeder einzelne Bürger konnte von Ende Juli bis Ende August Fragen, Bedenken und Einwände direkt bei der Bundesnetzagentur vorbringen - per Email oder per Telefon. Auch bei den zukünftigen Überprüfungen der Ausbaupläne wird die Öffentlichkeit von der Bundesnetzagentur eingebunden. Das war der Bundesregierung wichtig. Denn zeitraubende Konflikte - wie der um die Strombrücke im Thüringer Wald - sollen zukünftig vermieden werden. So viel Offenheit ist neu für die deutsche Energiepolitik und findet Anerkennung, auch bei Oliver Krischer, dem energiepolitischen Sprecher von Bündnis90/Die Grünen. O-Ton 16 (Krischer) Der Ansatz ist völlig richtig, weil bisher war das Thema Stromnetzausbau ausschließlich eine Sache der Übertragungsnetzbetreiber, das waren früher die Stromkonzerne, inzwischen ist das getrennt, die mussten ihre Netzsparte verkaufen, an andere abgeben. Das war letztlich die Entscheidung eines Stromunternehmers selber, welche Netze er wie mit welcher Priorität baut - das haben wir jetzt in einen öffentlichen Prozess überführt, wo auch andere Umweltorganisationen, Nicht- Regierungs-Organisationen sich beteiligen können, ihre Meinung dazu abgeben können, wo vor allen Dingen der Prozess transparenter wird. Sprecherin: Oliver Krischer stammt aus dem rheinischen Braunkohlerevier. Schon im Kindergartenalter habe er sich mit Fragen der Energieerzeugung beschäftigt, sagte der heute 42jährige Bundestagsabgeordnete. Geblieben ist Krischer bei seiner kritischen Haltung gegenüber der vermeintlich so preiswerten Braunkohleverstromung, für die riesige Areale alter Kulturlandschaften einfach weggebaggert werden: O-Ton 17 (Krischer) Weil der große Teil der Energie, die man ja unter großem Aufwand gewinnt, Landschaftszerstörung, Umsiedlung von Menschen gewinnt, einfach nutzlos verloren geht und bin dann über Engagement zum Thema Braunkohle - auch gegen neue Tagebaue - zur Energiepolitik gekommen. Sprecherin: Unter Energiewende verstehen die Grünen deshalb nicht nur einen Ausstieg aus der Atomenergie sondern auch einen möglichst baldigen Abschied von der klima- und naturzerstörenden Braunkohleverstromung. Das widerspricht allerdings den Interessen mancher Energiekonzerne: Die Eigentümer der Braunkohlevorkommen am Niederrhein und in der Lausitz zum Beispiel haben viel Geld in gigantische Braunkohlekraftwerke investiert. Ihre Kohle-Interessen versuchen die großen Energieversorger, deren Atomstrategie nach Fukushima gescheitert ist, nun beim Aus- und Umbau der Stromautobahnen zu wahren. Im Sinne des Klimaschutzes, so der grüne Energiepolitiker Krischer, sollte man deshalb sehr genau darauf achten. O-Ton 18 (Krischer) dass wir nicht Leitungen bauen, die dann am Ende dann alte Strukturen, wie Kohlekraftwerke zementieren, also dass man da Verbindungen schafft, die dann nachher den Neubau von Kohlekraftwerken rechtfertigen, weil man dann sagt: ja jetzt haben wir die Leitung gebaut, dann muss dann auch wieder das Kohlekraftwerk erneuert werden usw., also da muss man schon sehr genau jetzt beim Netzentwicklungsplan drauf achten: welchen Zweck erfüllt welche Leitung. Sprecher: Zwanzig Milliarden Euro veranschlagen die Übertragungsnetzbetreiber für den Um- und Ausbau der deutschen Höchstspannungs-Stromnetze bis zum Abschalten des letzten Atommeilers im Jahr 2022. Diese Netzausbaukosten und den gesetzlich garantierten Gewinn von neun Prozent dürfen die Netzbetreiber komplett auf den Strompreis aufschlagen - und der ist in den letzten Jahren schon erheblich gestiegen. Die Energiewende wird unbezahlbar warnen deshalb Kritiker - vor allem aus den Stromkonzernen - nun immer lauter. Johanna Voß, Bundestagsabgeordnete und Energiepolitikerin der Linken hält das für kalkulierte Panik-Mache. O-Ton 20 (Voß) Es werden die Netze gebaut, unter "Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten" und die sind nicht weiter definiert, in dem ganzen Plan nicht, so dick wie der auch ist, also die Netze sollen wirtschaftlich sein - da frage ich mich dann, für wen sind die wirtschaftlich? Sind die wirtschaftlich für die vier Netzbetreiber oder sind die wirtschaftlich für die, die Strom brauchen? Da gibt's schon ganz große Unterschiede zwischen dem, was von den Netzbetreibern gewünscht wird und was wirklich für eine Energiewende nötig ist. Sprecherin: Eine Energiewende mit dem Ziel hundert Prozent erneuerbare Energien, wie sie auch die Linke politisch anstrebt, setzt auf einen möglichst sparsamen Umgang mit dem Strom. Die Netzbetreiber dagegen hätten, ebenso wie die Energiekonzerne, ein geschäftliches Interesse an einem möglichst hohen Stromverbrauch. Die Linke fordert daher, alle Stromnetze in öffentliche Gesellschaften zu überführen und setzt auf die konsequente Entwicklung dezentraler Stromversorgungsstrukturen. Stromautobahnen, die weiterhin Großstrukturen befördern, lehnen sie deshalb ab. Bei den Grünen denkt man im Prinzip genauso, ist aber kompromissbereiter. Oliver Krischer: O-Ton 21 (Krischer) Ich glaube in einem hochindustrialisiertem Land wie Deutschland wird es keine reine dezentrale Energieversorgung geben, autarke Regionen oder so was geben, die dann quasi ihre Leitungen zum Rest der Republik durchschneiden weil die Erzeugung erneuerbarer Energien ist schwankend wenn sie mal ins Ruhrgebiet gucken, wo starke energieintensive Industrien wie Aluhütten dann vertreten sind, das werden sie nicht dezentral lösen können, da glaube ich, brauchen wir einen Energieverbund und deshalb ist auch der Stromnetzausbau richtig. Sprecher: Die Vorstellungen einer überwiegend dezentral organisierten Stromversorgung aus erneuerbaren Energien, betrachtet man auch im Bonner Tulpenfeld, bei der Bundesnetzagentur mit großer Zurückhaltung, Vizepräsident Franke: O-Ton 22 (Franke) Die Süddeutschen Länder - das verbirgt sich ja hinter dem Schlagwort dezentrale Erzeugung vor allem, wollen den Bestand ihrer Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien massiv erhöhen, etwa durch sehr große Anlagen zur Windkrafterzeugung im Schwarzwald. Das sind dann Anlagen, die in der Größenordnung von Höhe 150 Meter sind. Ob das unter Akzeptanz-Gesichtspunkten oder sonstigen Genehmigungs-Gesichtspunkten Planungen sind, die in absehbarer Zeit realisiert werden können, kann man derzeit noch nicht verlässlich einschätzen. ... Sprecher: Zudem sind die energiepolitischen Vorstellungen der 16 Bundesländer höchst unterschiedlich. O-Ton 23 (Franke) Die norddeutschen Länder haben ja auch gar nicht die Absicht den Bau von Windanlagen im Norden irgendwie zurückzufahren - das heißt: selbst wenn ich mal unterstelle in Süddeutschland kann man die Zahl der Anlagen zur Stromerzeugung aus Erneuerbaren massiv erhöhen - das Problem aus den norddeutschen Anlagen abzuleiten haben wir trotzdem Sprecherin: Mit dieser Sicht der Dinge wollen sich die Anhänger der dezentralen Energiewende nicht zufrieden geben. Gegen die Macht der Großen im Stromgeschäft hilft nur hartnäckiger Widerstand und Beharrlichkeit, das hat die Abgeordnete Voß zuhause im Wendland gelernt. O-Ton 24 (Voß) Ich muss auch noch mal sagen: das beachtet gar keiner: Vor 30 Jahren hat niemand gedacht, dass mit Biogas mit Wind oder mit Sonne überhaupt irgendwas Vernünftiges gemacht werden kann, sie wurden ausgelacht, sie wurden diffamiert wie sonst was. Sprecherin: Heute dagegen, weiß man mancherorts oft nicht mehr wohin mit dem ganzen grünen Strom. Aber die Entwicklung der erneuerbaren Energien ist noch lange nicht zu Ende. Und sie geht immer mehr in Richtung einer dezentralen Versorgung, davon ist Johanna Voß überzeugter denn je. Anzeichen dafür gibt es tatsächlich: Die immer weiter steigenden Strompreise sorgen schon jetzt dafür, dass sich immer mehr Verbraucher mit eigenem Strom versorgen möchten - ausgerechnet mit dem angeblich so teurem Solarstrom aus der Fotovoltaik. Musik-Akzent Atmo 10 Klaas im Zählerraum Sprecher: Elektromeister Albert Klaas steht in einer kleinen Kammer, die als Energiezentrale dient, prüft den Stromzähler und blättert in den Stromrechnungsunterlagen seiner Kundin Kerstin Schrum. Seit über einem Jahr ist die große Fotovoltaikanlage auf dem Dach ihres Geschäftshauses in Betrieb. O-Ton 25 (Geschäft) So jetzt haben sie verbraucht: letztes Jahr, im Hochtarif 13tausend Kilowattstunden (Kirsten) Ja. (Klaas) Was hatten wir die Jahre vorher? Das war mehr ne? Da waren sie irgendwo bei 60tausend, 60-70tausend? (Kirsten) Gesamtverbrauch. Und das ist das was wir jetzt nur noch bezahlen? (Klaas) Ja! Sprecher: Die Chefin von Norddeutschlands größtem Jagdwaffen- und Bekleidungsgeschäft ist zufrieden. Ihre neue Solaranlage hat der mittelständischen Unternehmerin im vergangenen Jahr noch mehr Stromkosten eingespart als ursprünglich kalkuliert. Das liegt daran, dass der große Laden im kleinen schleswig-holsteinischen Tellingstedt seinen Solarstrom überwiegend selber nutzt. Vor allem an den langen Sommertagen bringt das viel, erklärt Elektriker Albert Klaas aus dem benachbarten Albersdorf. Er hat die solare Geldsparanlage auf das Geschäftsdach gebaut. O-Ton 26 (Klaas) Dieses Geschäft hat ja einen hohen Eigenstromverbrauch, durch das Ladengeschäft, morgens um sieben, acht Uhr, Öffnungszeiten, wird alles hochgefahren, die ganze Beleuchtungsanlage und abends wenn die Sonne untergeht wird eben ausgeschaltet, also das geht eigentlich mit dem Sonnenertrag, Tagesertrag, Stromertrag geht das eigentlich optimal einher, deshalb hat dieses Geschäft auch einen so hohen Eigenstromverbrauch und das rechnet sich eben halt. Sprecher : Die Bundesregierung hat die Einspeisetarife für Solarstrom mehrmals drastisch gekürzt. Angesichts der steigenden Preise wird jedoch die Herstellung für den Eigenbedarf zunehmend attraktiver. Zumindest wenn man die Anschaffungskosten der Solaranlage auf die Lebensdauer von 20 Jahren umrechnet. O-Ton 27 (Klaas) Jetzt auch durch die neuen Speichermedien, Akkuspeicher ist es für die Kunden ja immer noch sehr interessant, lohnenswert sich ne kleine Fotovoltaikanlage oder Windrad, aufs Dach zu packen und seinen Strom selber zu machen also dezentral. Das wird immer mehr werden, weil die Stromkosten bei den Kunden doch ein großes Loch in die Haushaltskasse reißen und deshalb ... . Sprecher: Um über 70 Prozent sind die Strompreise in den letzten zehn Jahren gestiegen. Der geplante Ausbau der Stromautobahnen wird ihn weiter in die Höhe treiben. Albert Klaas aus Albersdorf ist überzeugt: Je teurer der Strom aus dem Stromnetz wird, desto mehr werden seine Kunden in eigene Solaranlagen und Stromspeicher und ein eigenes, intelligentes Hausstromnetz investieren. Ein Lächeln huscht über sein sonnengebräuntes Gesicht. Er weiß: Den Dithmarschern ist ihre Unabhängigkeit seit jeher viel wert. O-Ton 28 (Klaas) Unser System ist intelligent, da kann man auch einprogrammieren dass es auch automatisch Steckdosen ansteuert Waschmaschinen, Geschirrspüler je nach Ladezustand des Akkus. Das kann man auch alles schon machen, da gibt es das smart metering, das intelligente Hausnetz, das wird ja jetzt auch immer mehr weiterentwickelt werden. Sprecherin: Auch für unser Stromversorgungssystem als Ganzes gilt: Je besser sich der Strom aus erneuerbaren Energien speichern lässt und je intelligenter der Stromverbrauch an das Stromangebot angepasst wird, desto weniger klimaschädliche Kohlekraftwerke werden benötigt. Und desto weniger teure Stromautobahnen. Der Netzentwicklungsplan, der bis Ende des Jahres Gesetzeskraft erhalten soll, berücksichtigt das: Jedes Jahr muss er neu überprüft werden und neuen Entwicklungen Rechnung tragen: Etwa einem langsameren oder schnelleren Zuwachs bei der grünen Stromproduktion oder der Entwicklung neuer Speichertechnologien. Wie viel der Strom in Zukunft kosten wird, kann heute deshalb keiner wirklich sagen. Klar ist nur: die Energiequellen Wind und Sonne bleiben kostenlos. Sprecher/in vom Dienst: Im Netz der Interessen - was wird aus der Energiewende? Eine Sendung von Jan Uwe Stahr Es sprachen: Marina Behnke Lutz Riedel Ton: Alexander Brennecke Regie: Klaus Michael Klingsporn Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 1 1