COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitfragen 14.11.2016, 19:30 Uhr Elternblogs: Mehr als "backe, backe Kuchen" Von Ulrike Jährling & Timo Grampes Beliebteste Blogthemen: Arbeiten mit Kind, Ausflüge mit Kind, Backen für Kinder, Basteln mit Kindern ... Kita und Kindergarten, Kochen für Kinder, Mami-Blog, mit dem Bloggen Geld verdienen ... Familie mit drei Kindern, Familienalltag mit Humor, yeah... Baby, erste Schwangerschaft, Familie, Familie mit drei Kindern Kürzen wir es ab. Meine eigenen Kinder sind halbwegs groß und als sie klein waren, schrieben Eltern keine Blogs, das Netz war noch nicht das, was es heute ist. Ehrlich gesagt hatte ich bis vor kurzem auch keine Idee, wann Eltern zum Bloggen überhaupt Zeit finden sollten. Und warum überhaupt das Private im Netz ausbreiten? "Für mich ist das Bloggen vor allem ein politisches Statement. Eine Sichtbarkeit zu schaffen. Eine Sichtbarkeit für Personen, die mit Themen im Leben beschäftigt sind, die auf den ersten Blick nicht cool sind. Also niemand hebt den Arm, wenn er gefragt wird, ob er ein behindertes Kind will." Mareice Kaiser, Mutter eines behinderten und eines nichtbehinderten Kindes. Ihr Blog: kaiserinnenreich.de "Klar, ich gehe ins Internet oder ich blogge, weil ich will, dass meine Geschichte gelesen wird. Weil ich will, dass meine Geschichte - genauso wie hunderttausend andere Geschichten auch - öffentlich wahrgenommen werden." Jochen König. Er lebt mit zwei Kindern von drei verschiedenen Müttern. Sein Blog: jochenkönig.net. "Also es ist schon sehr aus dem Leben gegriffen bei mir. Es gibt Tagebuch-Bloggen wie das so abläuft bei uns. Von morgens bis abends mit Gehetze. Manchmal schreib ich auch - ich bin ehrenamtlich Stadträtin in Konstanz - über meine letzten zwei, drei Monate als Politikerin. Ich habe mich früher auch nicht so doll dafür interessiert, ehrlich gesagt. Bis ich in die Situation kam, dass ich mich interessieren musste..." Christine Finke, alleinerziehend mit drei Kindern. Ihr Blog ist Programm: "Mama- arbeitet.de". Ungefähr 2000 registrierte Elternblogger tummeln sich im Netz. Fast alle sind weiblich, bloggende Väter sind eher die Ausnahme. Jochen König ist einer von ihnen. Der 35jährige zweifache Vater steckt in der typischen Mutter-Rolle. Schon seit der Babyzeit lebt seine große Tochter bei ihm und ist nur alle zwei Wochen am Wochenende bei der Mutter. Dazu kam ein zweites Kind, bewusst ohne Liebesbeziehung, zusammen mit einem lesbischen Paar. Dieses Kind wechselt zwischen beiden Haushalten. Jochen König ist studierter Sozialpädagoge. Auf seinem Blog vertritt er feministische Ansichten und postet fast genderwissenschaftlich anmutende Texte. Und er erzählt von seiner Co-Elternschaft, die viele als "queer" ansehen. Denn die erste Idee von Familie sei immer noch Mama, Papa, Kind... "Dass so 'ne Normalität konstruiert wird, das stört mich, und da will ich auch gegen anschreiben so ein bisschen. Aber ich hab jetzt nicht so das Gefühl auf so einer Mission zu sein oder so. Sondern das ergibt sich einfach so dadurch, dass ich so bin wie ich bin." Vor seinem Blog veröffentlichte Jochen Koenig sein Buch "Fritzi und ich", schrieb über den radikalen Rollentausch nach der Geburt seiner Tochter, und über seine Angst, als Vater keine gute Mutter zu sein. Mit dem Bloggen begann er, als das Buch fertig war. Nachträglich Seiten ins Buch kleben ging ja nicht, sagt er. Seine Blogartikel erscheinen in unregelmäßigen Abständen, eben, wenn es etwas zu erzählen gibt. Oder zu kommentieren. "jochenköenig.net" "Hier: Ein update aus meiner Co-Eltern-Familie", "Jochen im Fernsehen", "Morgen bin ich zu Gast beim ZDF-Donnerstalk", "Und hier, ganz aktuell: Deutscher Juristentag fordert Sorgerecht für mehr als zwei Personen zuzulassen". "Da gibt es zwei Ebenen, würde ich sagen. Einmal ist es natürlich einfach mein Leben. Mein Blog heißt ja auch so wie ich: Jochen König. Und das heißt, die Themen sind das, was mir passiert und worüber ich nachdenke. Und dann wähle ich natürlich schon noch mal aus, was passt für den Blog? Familie, Geschlechter - so!" "Kaiserinnenreich.de" "Eltern von einem behinderten Kind zu sein macht dich ja im ersten Moment erstmal klein. Das ist ja jetzt nichts, womit man in die Öffentlichkeit geht und sagt: Juhu, ich habe ein behindertes Kind, voll super, was ich hier grad alles lerne. Sondern die meisten Menschen ziehen sich erstmal zurück, haben mit sich selbst zu tun. Aber ich hab gemerkt, immer wenn ich von meiner Tochter erzählt habe, dass das total viele Leute interessiert." Für Elternblogs hatte Mareice Kaiser nach der Geburt ihrer Tochter nichts übrig. Das Wochenbett verbrachte die junge Familie komplett im Krankenhaus, denn Mareice Kaisers erste Tochter war mit einem Chromosomenfehler und schwerstbehindert zur Welt gekommen. Taubblind, dazu mit einer schweren Darmerkrankung und hypotonen, also schlaffen Muskeln. Leserin von Elternblogs wurde Mareice Kaiser nach der Geburt ihrer zweiten Tochter, als auch "gewöhnliche" Eltern-Probleme ein Thema wurden. Und natürlich gab es auch Blogs von anderen Müttern mit behinderten Kindern. "Aber wenn ich die gefunden habe wollte ich die eigentlich immer sofort wieder wegklicken, weil die so unsexy aussahen. Und da drüber immer so ganz viel Krankheit und Schicksal standen. Und die sahen dann auch so aus. Und das wollt ich mir nicht antun. Und gleichzeitig habe ich mich dann aber natürlich mit einem behinderten und einem nichtbehinderten Kind auf Blogs, auf denen es nur um nicht- behinderte Kinder geht, auch nicht wiedergefunden. Und was für mich - was so beide Seiten vereint und wo ich gern draufgehe - gab's nicht. Und das war halt eben auch schon eine Überlegung: Gut, wenn es das nicht gibt, dann mach ich's einfach selbst." Mareice Kaiser gründete ihr Kaiserinnenreich. "Behinderte Momente" heißt eine Rubrik auf ihrem Blog. Hier schrieb sie über nicht alltägliche Alltagsgeschichten mit Kaiserin 1, ihrer mehrfach behinderten Tochter. Ihrer besonderen Tochter. Und über Resonanzen in der Gesellschaft. "Im Gespräch mit einer Ärztin, die den kranken Darm unserer Tochter operieren soll. Nachdem alle Details der bevorstehenden Operation geklärt sind, fummeln ihre Hände an den fehlgebildeten Ohren meiner Tochter herum. ,Wenn ich die so sehe, zuckt es mir schon in den Händen', meint die renommierte Chirurgin. ,Ein kleiner Schnitt da, ein kleiner Schnitt hier - und schon würde sie normaler aussehen'." "Und ich habe auch durch das Schreiben und durch das Erzählen der Geschichten manchmal erst danach gespürt, was für eine Relevanz das eigentlich hat. Also habe durch das Schreiben und die Reaktionen auf die Blogposts viele gesellschaftliche Schieflagen erkannt." Die Ausgrenzung Behinderter. Desinteresse und Vorurteile. Kälte. Die Themen von Christine Finke sind andere. "Solche Dinge wie: "Mensch, steuerlich sieht's ja gar nicht so super aus" und "Ups! Man kann den Exmann ja gar nicht zwingen, sich um seine Kinder zu kümmern und mit dem Unterhalt ist's irgendwie auch nicht so toll" sind mir natürlich früher nicht aufgefallen, damit hat man nichts zu tun sonst." Mama-arbeitet.de Christine Finke gründete ihren Blog aus der Arbeitslosigkeit heraus. Die ehemals erfolgreiche Redakteurin eines Elternportals sah für sich als dreifache Mutter und nach der Scheidung alleinerziehend keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dafür aber jede Menge Themen rund um Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. Ihr Blog "Mama-arbeitet" hat an manchen Tagen über 8000 Leser. Der Computer geht bei Christine Finke morgens an und am späten Abend erst wieder aus. Per Twitter lässt sie durchaus mehrmals am Tag von sich hören. In ihrem Hinterkopf läuft dabei stets der innere Scanner: Welches Thema aus ihrem Alltag taugt für einen Blog-Artikel? Ungefähr zwei pro Woche veröffentlicht sie und beschreibt durchaus unterhaltsam die Mühen der Ebene, wenn Mama arbeitet. Was hat die denn für Überschriften? "S.O.S.! Alleinerziehend, krank, selbstständig" - "Familienarbeit: Sysiphos war eine Mutter" - "Stellenausschreibung Alleinerziehende, Vollzeit". Das Begrüßungsfoto des Blogs zeigt Christine Finke mit ihren Kindern. Ihr Gesicht ist ungeschminkt, wirkt ausgezehrt. Mit ironisch und taff geschriebenen Artikeln lässt sie die Leser durchaus in ihr Leben hinein. Manchmal berichtet sie auch von der totalen Erschöpfung. "Ich bin sehr direkt und tatsächlich auch sehr offen. Also ich bin manchmal auch durchaus anstrengend durch diese Nahbarkeit für meine Mitmenschen. Aber beim Bloggen ist das ein Vorteil, weil ich keine Angst habe, mich in irgendeiner Form zu blamieren. Also ich kann diese Sachen erzählen, und wenn meine Nachbarn lesen oder meine Stadtratskollegen lesen, dass ich Sex hatte, dann ist mir das egal." "Selbstständigkeit als Notlösung" - "Feste Schlafenszeiten? Nicht bei uns" - "Autsch! Schimpftirade einer Alleinerziehenden" "Ich versuche mich an den Riemen zu reißen, was die Kinder betrifft natürlich. Die haben Privatsphäre und ein Recht darauf, dass ihre Mutter nicht ihr ganzes Leben im Internet ausbreitet. Aber die wissen zumindest, dass ich hehre Motive habe, also dass ich das nicht tue um sie breitzutreten und berühmt zu sein, sondern weil ich die Welt ein bißchen besser machen möchte." "Das Private ist politisch, deshalb: alles was ich mache ist politisch. Dass ich zu Hause mich hauptsächlich um meine Kinder kümmere, ist hochpolitisch. Und wenn ich dann noch darüber schreibe..." "Letztendlich war es ganz oft so, dass, wenn ich in mein Büro gegangen bin morgens, ich erstmal vier Stunden den Job hatte Mutter eines behinderten Kindes zu sein und Anträge schreiben musste für die Krankenkasse oder Widersprüche oder Telefonate führen musste mit irgendwelchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von der Krankenkasse ... (Also dadurch sieht man halt schon auch, dass behinderte Menschen nicht gewollt sind von der Gesellschaft. Und sich damit die ganze Zeit beschäftigen zu müssen ist total nervenaufreibend) und dann ist es ein super Ventil, wenn man danach darüber schreiben kann." Auch Mareice Kaiser stellen wir die Frage: Gibt es keine Angst davor, zu persönliche Dinge zu posten? "Immer! Bei jedem Text! Mit ganz viel Überlegung, was kann ich jetzt eigentlich aus meinem privaten Leben erzählen und was nicht? Und es war - gerade am Anfang - eine große Diskussion mit dem Vater meiner Kinder - wie viel wir preisgeben wollen. Er war da ganz kritisch, ich war eher so: Och, ist doch nicht schlimm, kann man doch erzählen." Das Paar einigte sich: Keine Namen, keine Fotos. Auf ihrem Blog erscheint die vierunddreißigjährige Mareice Kaiser als gezeichnetes Icon: freundlich mit Pilzkopf und schicker Brille. "Eine ganz große Frage oben drüber ist und war immer: Wie viel muss ich erzählen, damit eben diese Nachricht ankommt. Und ich glaube, man kann Menschen nur berühren, wenn man ehrlich ist und wahrhaftig. So weit man es kann." "Behinderung ist ja ein Tabu-Thema, nach wie vor. Also wir versuchen alle damit total locker und lässig umzugehen, aber es ist ein Tabu-Thema. Und damit bin ich an die Öffentlichkeit gegangen. Und danach kam das nächste Tabu-Thema." Ein Auszug aus einem Blogpost. Mareice Kaiser beschreibt einen Morgen in der Kita, sie hat ihre gesunde Tochter, die Kaiserin 2, gerade noch rechtzeitig zum Morgenkreis gebracht... "Wer fehlt denn heute?", fragt die Erzieherin am Ende, wie jeden Tag. "Kaiserin 1 fehlt", rufen mehrere Kinder im Chor. Ich schlucke. Erzieherin: "Stimmt, Kaiserin 1 fehlt. Wisst ihr auch, warum?" "Die ist gestorben", rufen die Kinder fröhlich durcheinander. "Eine Kerze für Kaiserin 1 anmachen", fordert eines der Kinder. "Ich will, ich will", rufen alle durcheinander. Ich schließe die Kita-Tür hinter mir, weinend und lächelnd. "Warum sollen immer nur die positiven Dinge im Internet stattfinden? Also ich möchte keine Facebook-Seite oder keinen Twitter-Account, wo es nur um die Sonnenseiten im Leben geht. Ich finde, zum Leben gehört eben auch der Tod. Und zum Leben gehört Vielfalt und dazu auch Behinderung, und dazu gehören sexuelle Identitäten und unterschiedliche Hautfarben. Warum soll das nicht auch abgebildet sein im Internet? Wenn wir in der Offline-Welt 'ne vielfältigere Welt haben wollen dann können wir vielleicht in der Internet-Welt damit anfangen." Online-Welt. Offline-Welt. Die Grenzen sind fließend. Die Elternblogger-Szene illustriert das anschaulich. Fänden die Diskussionen, die Mareice Kaiser, Jochen König und Christine Finke anzustoßen versuchen, nur online in Kommentarspalten statt - dann wäre Christine Finke nicht hier. Vor dem Bundesfamilienministerium in Berlin. In bester Fotografier-Laune. "Vor allem sieht man so schön "Bundesministerium für...". Christine Finke: Ja, das ist gut! Genau! Vielen Dank." Christine Finke hat gemeinsam mit zwei weiteren Bloggerinnen einen Forderungskatalog im Ministerium übergeben. Stellvertretend für alle Frauen, die sich an der Aktion "Hashtag Muttertagswunsch" beteiligt haben. Dahinter verbirgt sich eine Geschichte, wie sie nur das Netz schreibt - auf Elternblogs, bei Facebook. Oder wie hier, bei Twitter. Beiläufig fragte eine Bloggerin auf Twitter "Was wünscht ihr euch zum Muttertag?" Die allein erziehende Mutter Annette Loers, die unter dem Namen "Mutterseelesonnig" blogt, denkt genervt: Das willst du nicht wirklich wissen - und setzt ihrerseits einen Tweet ab. "Ich brauche keine Pralinen, ich brauch Steuerklasse 3". Aus der Idee wird eine Aktion und auch Christine Finke ist federführend dabei. Pünktlich vorm Tatort am Sonntag geht der Aufruf an die Twittergemeinde raus: Was wünscht ihr euch zum Muttertag? Der Hashtag "Muttertagswunsch" überholt an diesem Abend in den Twitter-Trends sogar Anne Will. "Ich brauch' kein Candle-Light-Dinner. Ich brauch ein kostenfreies Monatsticket für den Schulweg meiner Kinder." "Ich brauch' keinen Wellnesstag. Ich brauch' eine unbürokratische Haushaltshilfe, wenn ich krank bin!" "Ich brauch' keine Blumen, ich brauch ermäßigte Mehrwertsteuer für Kinderklamotten." Alle Tweets wurden ausgewertet, nach Themen sortiert und zu Forderungen verdichtet. Und schließlich mit Petra Mackroth diskutiert, der Abteilungsleiterin Familie im Bundesfamilienministerium. Eine Idee der Bloggerinnen außerdem:den Muttertag endlich umbenennen! Der Arbeitstitel bislang: "Muttertag plus". Nach zwei Stunden Debatte im Ministerium ist Christine Finke zufrieden. Auf jeden Fall bleibe man im Gespräch. Die Bloggerin sieht darin mehr als einen Allgemeinplatz. Denn der Austausch zwischen ihr und der Politik ist auch sonst sehr lebendig. "Ich twittere gerne mit den Politikern und geb' meinen Senf zu dem, was die so meinen. Und tatsächlich kommt da auch Feedback. Und erstaunlicherweise werde ich dann auch manchmal eingeladen. Letzten Dezember war ich eingeladen zu ´ner Diskussion mit Katja Kipping, Robert Habeck und Kristina Schröder. Und Frau Schröder sagte zu mir: Ich lese übrigens ihren Blog! Und ich dachte: Wups! Was? Und Katja Kipping folgt mir auf twitter. Und die teilt manchmal was von mir. Die lesen mit, die bekommen meine Inhalte mit." "Sigmar Gabriel und die offensive Vaterschaft" "Wenn mich irgendein Politiker empört, wie zum Beispiel, als Herr Gabriel sagte: Er möchte - nein, er muss, weil seine Frau drauf besteht - auch mal dem Amt fernbleiben, um sein krankes Kind zu pflegen. Da habe ich schon kundgetan: Das muss jetzt nicht so eine Riesen-Welle sein. Denn da hat der Spiegel damals ihn relativ groß auf ein Podest gehoben. Und ich dachte so: Naja, wenn man das immer so machen würde, wenn Mütter zu Hause bleiben oder normale berufstätige Eltern. Dann wären wir den ganzen Tag am Jubeln hier im Deutschland. Aber so ist es ja nunmal nicht." Guter Artikel von ihr zu der Gabriel-Geschichte...aber nicht viel los bei den Kommentaren... Das meiste hat sich auch nach Facebook verlagert, inclusive übrigens auch der gehässigen Kommentare. Wobei die auch schnell wieder gelöscht werden im Zweifelsfall. Sowas wie: "Genderwahn-Hipster" bei Jochen Koenig. "Ja, ja. Das ist teilweise auch genau das Problem dabei, weil der gesellschaftliche Diskurs ja auch einfach diskriminierend ist ganz oft und das zeigt sich dann eben natürlich auch in so Kommentaren, aber genau, ja, ich finde das bildet das ganz gut ab." Vor allem bilden sich die Schulterklopfer ab. Leser, die die Blogger ermutigen. "Ich kriege viele Nachrichten von Leuten, die aufgrund meiner Texte sagen, oh wow, da habe ich so noch nie drüber nachgedacht, das finde ich total spannend. Oder: So wie du lebst, das kommt für mich auch in Frage. Ich krieg auch viele Anfragen von Leuten, die noch weiter mit mir reden wollen, die mich fragen, ob sie mich mal anrufen dürfen, weil sie vielleicht ähnliche Pläne haben. Also ich merk' schon, dass da was bei rumkommt." "Die Übergänge sind fließend. Manchmal schreiben einem Leute und sagen: Du, ich bin in Konstanz. Hast du Zeit auf einen Kaffee? Und wenn ich die habe und diejenigen interessant finde, dann treffe ich mich mit den Leuten und red' mal ein paar Takte. Das ist Online-Dating, aber ohne irgendwelche Absichten. Das ist eine total spannende Sache, Leute kennenzulernen und immer wieder eigentlich schön. Also, ich hab' noch keinen getroffen, der doof war." Elternblogger sind nahbar. Und zunehmend werden sie medial präsent. Als Experten für ihr Thema. Jochen König, der zu einem seiner Kinder über das Modell "Co- Elternschaft" mit zwei lesbischen Frauen kam, streitet sich im ZDF zu bester Sendezeit mit dem Familien-Traditionalisten Martin Lohmann. Christine Finke hat es mit ihrem Buch über Alleinerziehende zur Empfehlung in der Väterzeitschrift "Mens- Health-Dad" geschafft. Und die Inklusions-Bloggerin Mareice Kaiser folgte nicht zuletzt auch dem ermutigenden Aufruf einer Leserin. "Das ist eine wertvolle und großartige Arbeit, die Du hier machst, Mareice. Du musst über scheiß viel Toleranz verfügen. Schreib bloß weiter, am liebsten auch ein Buch." "Das Buch ist tatsächlich als Folge des Blogs entstanden, weil Verlage und Literaturagenturen auf mich aufmerksam geworden sind, nachdem ich einen Blogger- Preis gewonnen hab. Also es gibt ja viele Menschen, für die es ein Lebenstraum ist, ein Buch zu veröffentlichen. Das war bei mir nicht so. Aber ich dachte, okay, wenn die das jetzt spannend finden, dann lass' ich mir die Chance nicht nehmen." "Alles inklusive: Aus dem Leben mit meiner behinderten Tochter" heißt das Buch von Mareice Kaiser, das dieser Tage erscheint. Damit haben sie, Jochen König und Christine Finke allesamt Sachbücher veröffentlicht. Blogger wirken als Autoren, als Experten, als erreichbare Mitbürger, die man treffen kann. Und sie wirken auch untereinander. Netzwerken wird großgeschrieben in der Elternbloggerszene. Anne-Lu Kitzerow ist eine der Spitzen-Netzwerkerinnen. Sie hat im Jahr 2015 die "Blogfamilia" mit ins Leben gerufen, die größte deutsche Konferenz für Elternblogger. "Blogfamilia hat ein ganz klare Marke: Es ist kostenfrei und es ist für alle offen. Wir wollen den Bloggern ne Möglichkeit geben sich zu sehen, sich zu vernetzen und weiterzubilden. Und wir hoffen, dass Blogfamilia so einen Status erhält, dass auch gefragt wird von politischen Initiativen: Habt ihr da jemanden zum Thema? Kennt ihr jemanden? Könnt ihr jemanden empfehlen? Also es hat ja schon einen Namen. Und wir hoffen, dass das wächst. Dass Elternbloggern politisches Gehör verschafft wird." Das soll auch dadurch gelingen, dass Blogfamilia sich als Verein gründet, dieses Jahr noch, am 18.November. "Letztendlich ist es schon toll, was da gerade passiert auch rund um die Blogfamilia. Weil es das einfach auch aufwertet. Zu Recht! Denn es gibt schon Leute, die das so ein bißchen belächeln, irgendwie so "die Muttis, die da Rezepte posten...". Letztendlich ist es aber für mich ein politisches Statement! Gerade auch für Mütter, einfach sichtbar zu sein und zu sagen, so und so sieht das aus und das haben wir zu sagen und es ist auch relevant." Es mangelt aber auch nicht gerade an Irrelevanz auf vielen Elternblogs. Was Harry Potter mit dem... Ist ein Drucker! HP-Envy-4520-Instant-Inc.-Drucker zu tun hat. Hashtag "Werbung". Was wird im Wochenbett gelesen und gespielt? Enthält... Affiliate Links. Go-Kart. Der Traum vom eigenen Gefährt. Mit Verlosung. Jochen König, Mareice Kaiser und Christine Finke sind in ihren Blogs werbefrei. Aber natürlich werben sie durch ihre Blogs. "Mein Blog. Und dadurch, dass ich eine Marke bin, "Mama arbeitet", bekomme ich Aufträge. Im Bereich "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" habe ich einen großen Dienstleister, für den ich mehr oder weniger schreibe. Und ich schreibe jetzt auch für eine Nachhilfefirma. Auch im Internet tätig, Bildungsthemen. Da kommen Firmen auf einen zu und sagen: Du, Blogger, willst du für uns Kolumnen schreiben? Meistens denke ich so: Nee! 1,2,3 Firmen denke ich mir: Das passt zu mir. Und ne Kolumne schreiben ist kein sich verkaufen, das kann ich vereinbaren. Das ist eine klare Trennung von meinem Blog zu dem, was ich woanders tue. Und es macht mir Spaß, bringt gutes Geld und trägt mittlerweile mich finanziell." Das hilft ihr, denn: Ein Blog kostet. Bei Christine Finke, die ihre Website inzwischen technisch professionell betreuen lässt, knapp 500 Euro pro Monat. Wer anders fährt und mit Werbepartnern arbeitet, der erkundigt sich gern in geschlossenen Facebook- Gruppen bei anderen Bloggern: Wer sind die guten Werbepartner? Wie kann man das Beste rausholen? So funktioniert das Netzwerk. Man hilft sich. Es funktioniert aber auch über Business und Politik hinaus, und das ist die wohl größte Stärke der Elternblogs. Die zwischenmenschliche Ebene. Mareice Kaiser spricht von "Fernwärme". Mit der sie gar nicht gerechnet hatte... "Mein Blog ist ja eher so 'ne Nische. So 'ne Nische von ner Nische. Die Elternblogger sind ja schon ne Nische und dann die, die behinderte Kinder haben, noch mal mehr. Ich habe immer so ein bißchen zwischen den Stühlen gefühlt. Ich war nicht so die richtige Inklusions-Bloggerin, weil ich nur ein behindertes Kind habe aber nicht selbst behindert bin, aber auch nicht so richtig die Mama-Bloggerin, weil ich ja noch andere Themen hab als "nur" Elternschaft. Aber letztendlich habe ich von beiden Seiten nur offene Arme erlebt. Das war ganz toll für mich." "Ich habe viele Freundschaften schon übers Bloggen gewonnen. Leute, die ich dann einfach getroffen habe, weil ich spannend fand, was die geschrieben haben oder die mich angeschrieben haben und spannend fanden, was ich geschrieben hab." "Neulich hatte ich irgendwann einen richtig blöden Tag. Mein Kind, mein jüngstes, hatte eine Operation. Und ich hatte vorher Angst und Kummer. Und meine Bloggerfreunde haben mich getröstet. Vornerum, hintenrum. In Direktnachrichten, auf der Facebook Seite, einfach mit ihren Herzchen. und tatsächlich - das ist wie Familie." Bloggerfamilie - Blogfamilia. Vernetzte Freunde, vernetzte Werbepartner - politisch Vernetzte. Und was bleibt, am Ende? "Ich glaube, durch das Erzählen von Geschichten, von persönlichen Geschichten, die man selbst erfahren hat, kann man auf jeden Fall die Welt von einzelnen Menschen verändern und verbessern. Und das weiß ich, dass mein Blog das auf jeden Fall geschafft hat. Zum Beispiel eine ganz einfache Geschichte war, dass ich irgendwann erzählt habe, dass wir trotz aller widrigen Umstände mit Sauerstofftank und also wirklich ganz viel medizinischem Krimskrams trotzdem in den Urlaub gefahren sind und sich dann irgendwann Wochen später eine Mutter bei mir gemeldet hat und mir geschrieben hat, dass sie nur durch diese Geschichte ermutigt wurde, auch mit ihrem pflegebedürftigen Kind in den Urlaub zu fahren, das dann kurze Zeit später gestorben ist. Und sie war mir irgendwie total dankbar, dass sie das - initiiert durch meinen Text - gemacht hat. Das ist für mich relevant, dass man im Kleinen was verändern und verbessern kann."