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Müller Meine Herausgeber wühlen in alten Texten manchmal, wenn ich sie lese, überläuft es mich kalt. Kunert Sie wollen Schriftsteller werden? Bringen sie sich in eine ausweglose Lage und sie werden merken, wie ihnen Kreativität zuwächst. Musik: Peter Horton Track 2 Pomo d'Oro 3:19 - 3:28 Autorin: Auftritt der Jubilare: Jahrgang 29. Der Dramatiker Heiner Müller setzt gleich im Januar ein Ausrufezeichen, im März haben sich Günter Kunert und Christa Wolf eingeschrieben und über das Jahr werden auch Walter Kempowski, Reinhard Lettau, Peter Rühmkorf und Hans Magnus Enzensberger 80. Dieser Generation hat deutsche Geschichte einen Stempel aufgedrückt, durch sie hat das geteilte und wieder vereinigte Deutschland literarische und streitbare Begleiter gefunden. Jubiläen liefern für die Kalender die Koordinaten, darauf können sie ihre Spielwiesen in Zitaten und Bildern anlegen. Beim Blättern finde ich die erwarteten Namen, aber auch Überraschendes. Der Lyrikkalender "Fliegende Wörter" des Daedalus Verlages feiert unter den 80jährigen die Dichter und setzt ganz auf typographisch gestaltete Verse - ohne zusätzliche Erklärungen. Im Oktober 1993 - 2 Jahre vor seinem Tod entstand Heiner Müllers Gedicht: "Blaupause": Sprecher Schlaflos im Fenster die Nacht Fragt wozu das Ganze Weil ich die Antwort nicht weiß Das Dunkel lässt nicht mit sich reden Geh ich zurück in den Schlaf Der Morgen vielleicht weiß es anders Autorin: Im kommenden Jahr wird im Alexander-Verlag eine Sammlung mit Originalton Heiner Müller, der 1995 gestorben ist, als Hörbuch erscheinen, gefördert vom deutschen Literaturfond. Take 8: Müller 32'' Selbstkritik: Meine Herausgeber wühlen in alten Texten. Manchmal, wenn ich sie lese, überläuft es mich kalt. Das habe ich geschrieben im Besitz der Wahrheit. 60 Jahre vor meinem mutmaßlichen Tod. Auf dem Bildschirm sehe ich meine Landsleute mit Händen und Füßen abstimmen gegen die Wahrheit, die vor 40 Jahren mein Besitz war. Welches Grab schützt mich vor meiner Jugend. Autorin: Der Kalender des Aufbau-Verlages ehrt den Aufklärer und Dramatiker Heiner Müller. Ein Foto erinnert an die Premiere der "Winterschlacht" 1985 im Deutschen Theater Berlin. Auf der Bühne zwischen Regisseur, Bühnenbildner und Schauspielern der Dramatiker. Das originellste Cover druckt der Kalender "Literarisches Berlin" der Edition Ebersbach, aufgenommen von Joseph Gallus Rittenberg -- Heiner Müller schaut aus einem geöffneten Gullideckel. Der Kalender von Artemis & Winkler zitiert aus den "Gesammelten Irrtümern": Sprecher: Ich habe einen großen Spass daran, Illusionen zu zerstören. Vielleicht, weil sie bei mir sehr früh zerstört worden sind. Und nun will ich diesen Effekt bei anderen auch erleben. Autorin: Der Arche-Literatur-Kalender zeigt ein Foto von Heiner Müller und Brigitte Maria Mayer von 1994, ein Schnappschuss, aufgenommen in Bayreuth, da ist die gemeinsame Tochter zwei Jahre alt: Sprecher: ... .Wie soll man die Endzeitszenarien, die man sehr gut beschreiben kann und die auch völlig logisch und schlüssig sind, seinem Kind erklären? Musik: Charles Ives : Over the pavements Track 3 Take 9: Christa Wolf 30'' Es hat sich das Thema oder der Konfliktstoff, der in der DDR mich und viele Autoren bewegt hat, hat sich für mich zu einem größeren, allgemein gültigeren Thema ausgeweitet, das ich wahrscheinlich ohne meine sehr intensiven Erfahrungen aus der DDR so nicht bearbeiten könnte. Aber der Stoff muss nicht mehr DDR sein und wird es nicht mehr sein. Autorin: Am 18. März wird Christa Wolf 80, die Autorin von "Kindheitsmuster", "Kassandra", von "Medea" und dem profunden Tagebuch "Ein Tag im Jahr", das vor allem die Prägungen in der DDR und die Hälfte ihres Lebens spiegelt. Im kommenden Jahr soll der lang erwartete neue Roman "Die Stadt der Engel" erscheinen. Während die großen Literaturkalender überraschend auf eine Würdigung der Schriftstellerin verzichten, entdecke ich sie auf dem Harenberg-Abreißkalender. Ein Schnappschuss zeigt, wie Günter Grass Christa Wolf auf der Leipziger Buchmesse den von ihm entworfenen Bücher-Butt überreicht, eine Skulptur, die nur einen kurzen Auftritt als Deutscher Bücherpreis erlebt hat. Privates und Weltgedächtnis trieben auch Walter Kempowski, den Autor des kollektiven Tagebuches "Echolot" um: Take 10 : Kempowski 31'' Ich hätte es nie verantworten können, dass ich die Chronik als eine Geschichte der deutschen Bürgerlichkeit aus der eigenen subjektiven Sicht so hätte darstehen lassen können, immer wollte ich, dass die Allgemeinheit, unser Volk sozusagen ein Wörtchen mitzureden hat ... .Alles persönliche Leben ist in diesem Gebrabbel enthalten, dieses Gerede, Gerede, das Beschwören der eigenen Existenz und das ist im "Echolot" geschehen. ... Autorin: Dem "Echolot" folgte das Tagebuch des Jahres 1989. Walter Kempowski nennt es das "große Gedächtnisjahr", das sich 2009 zum 20. Mal jährt. Der Arche-Kalender zitiert einen Eintrag am 1. April: Sprecher: "Schwiegermutter war heute aggressiv. Sanguinisches Gemüt, kann leicht in ein aggressives umschlagen, das lernt man nun ... .Zu ihrer Einsamkeit kommt ja noch, dass sie als Süddeutsche in einem norddeutschen Kaff gelandet ist. Versuche mit ihr in ein Tonbandgespräch einzutreten, sind natürlich Misserfolge. Sie will nicht das Interesse an ihren Lebenserlebnissen, sondern an ihr selbst" Autorin: Auch er kehrte der DDR den Rücken, später, 1967, der Bundesrepublik, und blieb bis zum Mauerfall in den USA: Reinhard Lettau, Dichter, Esayist, Prosaautor, Universitätsprofessor: Der Arche-Literaturkalender zitiert aus "immer kürzer werdende Geschichten" - "Wo befindet sich die Familie?" Sprecher Eingeladen abends bei großer Familie. Am Esstisch Hausherr mit Frau, aber wo Familie? Tochter Stadt, Enkel Bett, Oma Küche. Beim Weggehen bemerken wir noch: den Opa im Garten, immerhin. Autorin: Als junge, radikale Stimme trumpfte Reinhard Lettau Anfang der 60er mit den Erzählungen "Schwierigkeiten beim Häuserbauen" auf, gab mit "Auftritt Manigs" in der Gruppe 47 seinen Einstand und schloss sich entschieden den rebellierenden Studenten an. Seit 1967 lehrte Lettau, ausgewiesen aus der Bundesrepublik und trotz seiner Proteste gegen Amerikas Krieg in Vietnam, in Kalifornien. Seiner tatsächlichen Heimkehr in das wieder vereinigte Deutschland Anfang der 90er folgte die literarische mit dem Roman "Flucht vor Gästen": Take 11: Lettau 43'' Beim Anblick von Gästen, wenn sie vor der Türe erscheinen, braucht man Überraschungen nicht zu fürchten, man lud sie ja ein, kannte sie also. Dennoch ist es immer wieder erstaunlich, zu beobachten, wie schlecht sie insgesamt aussehen. ... . wer sich so kleidet hat sich beurlaubt von den Kümmernissen der Welt (37'') ... ..Es stellen sich traurige Fragen: Könnte es sein, dass ich Gäste nicht mag. Autorin: Eine Lesung, im Berliner Studio von Deutschlandradio aufgenommen, aus seinem letzten Roman "Flucht vor Gästen". Reinhard Lettau starb 1996, der Harenberg- Literaturkalender erinnert an ihn. Für jeden Tag wartet der Abreißkalender mit Foto, Werk-und Lebensdaten von Autoren, mit Rätsel oder Buchtipps auf. Auch der in diesem Jahr verstorbene Peter Rühmkorf und Hans Magnus Enzensberger erhalten je ein Gedenkblatt. Der "nonkonformistische Querdenker" aus München, war gerade beim deutsch-arabischen Lyrikgipfel in Dubai zu sehen. Zu Jahresbeginn hatte er mit "Hammerstein oder der Eigensinn" ein Buch über einen preußischen General veröffentlicht: Take 12: Enzensberger 22'' Ich hab da gar keine Berührungsprobleme. Manche Leute glauben ja, man sollte sich nicht mit Bankern unterhalten oder Großkapitalisten oder Generälen. Man muss Sozialkritik machen und am besten geht man in 'nen Slum, das ist immer gut. Aber ich finde das überflüssig, ein Schriftsteller darf sich so was gar nicht leisten, der muss seine Fühler ausstrecken ... Autorin: In der Liste der 80 jährigen Jubilare sind anno 2009 der Schweizer Hugo Loetscher, der Philosoph Jürgen Habermas und der in Paris lebende Milan Kundera zu finden. Und auch sie entstammt dem 29er Jahrgang: die am 12. Juni in Frankfurt/ Main geborene Anne Frank. Artemis und Winkler zitiert aus dem Tagebuch der 14jährigen, das bis heute anrührt durch die unerschrockenen Beobachtungen des Zusammenseins und der Zumutungen im Amsterdamer Dachbodenversteck: Sprecherin Reichtum, Ansehen, alles kann man verlieren, aber das Glück im eigenen Herzen kann nur verschleiert werden und wird Dich, solange Du lebst, immer wieder glücklich machen ... Solange Du furchtlos den Himmel anschauen kannst, so lange weißt Du, dass Du innerlich rein bist und dass Du wieder glücklich werden wirst Musik: George Antheil: Ballet mécanique Track 4 -Anfang Autorin: Daedalus In das literarische Konzert der Jubilare mischen sich bei den "Fliegenden Wörtern" des Daedalus Verlags Dichterstimmen von Ilse Aichinger, Volker Braun, er wird im Juni 70, von Edgar Lee Masters, Friederike Mayröcker, bis Adam Zagajewski - bekannte und unbekannte Verse, die andere Zeiten und Räume mit unserem Hier und Jetzt verschmelzen lassen, mit Farben und Formen spielen und mit immer neuer typografischer Raffinesse den Strophen ein künstlerisches Kleid geben. Sprecher Die Alleen trotten In Koppeln von Sonnenstrahlen Rief jemand? Tomas Tranströmer Sprecherin Du schliesst Deine Augen und sagst: Wo ist der helle Tag? Die Sonne klopft an Deine Lider und sagt: Hier bin ich, öffne die Tür Dschalal un-DinRumi Sprecher Gestern trat ein Fräulein an mein Bette Und behauptete, die Märchenfee zu sein, Und sie fragte mich, ob ich drei Wünsche hätte, Und ich sagte, um sie reinzulegen: nein! Werner Finck Sprecherin Frage Von ferne ... liebe ich dich, aber aus der Nähe ... will ich dich. Sind wir verschieden? Sa'di Yusuf Musik: Schostakowitsch Klavierquintett g-Moll Track 5 Autorin: ARCHE Beziehungen und Begegnungen verspricht der Arche-Literaturkalender: Briefe, Gedichte, Prosa-Zitate kommentieren die Momentaufnahmen in schwarz- weiß. Das Titelblatt zeigt James Joyce und Sylvia Beach im Hauseingang. Er: schlank, groß, dandyhaft mit Spazierstock, Fliege + Hut, sein Blick in die Kamera scheint nur eine kurze Unterbrechung zu dulden. Sie, mit hoch geknöpfter Bluse und Strickjacke, schaut, angelehnt an den Türflügel, zum dem Dichter auf. Nichts in ihrer Haltung weist darauf hin, dass sie die Hausherrin von Shakespeare & Company in Paris ist, dem Ort dieser Aufnahme. 1922 verlegte sie den "Ulysses" trotz der Pornographievorwürfe. Sprecher Und Ihnen, Miss Beach, gebührt viel Lob, weil sie den Mut haben, das Buch zu verlegen. Befreundete Feministinnen haben mir jedoch erzählt, dass man sich stets auf eine Frau verlassen kann, wenn ihr Mut auf eine Zerreißprobe gestellt wird. Sprecherin: "Ihm brachte es Weltruhm, sie fast in den Bankrott. Gedankt hat es James Joyce Sylvia Beach kaum" ... Autorin: und sie ist fast vergessen. Die Kalendermacherinnen von Arche kommentieren Bild und Text knapp und kenntnisreich und haben ein gutes Gespür für Szenen, die zu ihrem weit gesteckten Thema passen. Musik: Kabarett CD 3 Track 6 (10'' intro / hoch: Wenn die beste Freundin) In ihren guten Zeiten sind sie meist zusammen aufgetreten: Klaus und Erika Mann. Gleich zweimal präsentiert der Arche-Literatur-Kalender die Geschwister: Am 21. Mai 1949 hat sich Klaus Mann das Leben genommen, 20 Jahre später, am 27. August 1969 stirbt Erika. Auf dem Foto: Erika und Klaus, Pamela Wedekind und Gustav Gründgens. Wer gehört zu wem? Pamela war mit Klaus verlobt und Erika mit Gustav Gründgens verheiratet, später lebte und arbeitete Erika mit Therese Giehse, der Brechtschauspielerin, Pamela Wedekind heiratete Carl Sternheim ... . Der Selbstmord ihres Lieblingsbruders Klaus belastete auch Erikas Verhältnis zu den Eltern. Sprecherin Liebe Pamela, - (Mein Gott, seit wie langem habe ich keinen Brief so begonnen), ich war sehr froh von Dir zu hören, - und so zu hören. Trotz den Jahren der Trennung und der traurigen Entfremdung, weißt Du gewiß und kannst es ganz ermessen, was dieser Tod mir bedeutet. Er liegt in Cannes begraben, - ich komme eben von dort zurück.. Zur Beerdigung von Stockholm aus - konnte ich nicht fahren, - der Eltern wegen, oder doch unserer Mutter wegen ... . Zürich, 16. Juni 1949 Autorin Beziehungskrisen, vor allem wenn dritte im Bunde sind wie der Teufel Alkohol. Malcolm Lowry arbeitete zwischen 1936 und 1944 an der "authentischen Trinkergeschichte" über einen britischen Ex-Konsul in Mexiko. Mit dem Titel "Unter dem Vulkan" wird er ihm bleibenden Ruhm eintragen. Ohne die selbstlose Hilfe seiner Frau wäre er wohl nie fertig geworden, wie ein Brief an die Schwiegermutter zeigt. Sprecher Margerie und ich beenden soeben einen langen Roman von mir über Mexiko" Autorin Der Wandkalender von Artemis& Winkler stellt das Bild - mal Fotografie, mal Zeichnung, Gemälde, Porträt oder auch Filmszene - in den Mittelpunkt, um wöchentlich auf einen Autor aufmerksam zu machen. Die literarischen Zitate lehnen sich an den Bildhintergrund an. Die Text- und Bildauswahl ist international, erinnert beispielsweise an den Prager Jaroslav Hasek und seinen "braven Soldaten Schwejk", feiert den 200. Geburtstag des Vaters von Krimi- und Horrorgeschichten Edgar Allen Poe und auch Amos Oz. Der international geschätzte israelische Schriftsteller, der gerade mit der Gründung einer neuen Partei überraschte und gestern auf dem "Blauen Sofa" in Berlin zu Gast war, wird 70, Nobelpreisträgerin Doris Lessing 90. Ein Zitat aus "Heimkehr" erinnert an die 'afrikanische Tragödie'. Die russische Seele in zaristischen Zeiten beschrieb kaum einer treffender als er, so dass gar Dostojewski meinte: "Wir stammen alle aus Gogols Mantel". Nikolai Gogol erblickte am 1.April 1809 das Licht der Welt. Der Kalender macht Appetit auf seinen wohl bekanntesten Roman "Tote Seelen", der im kommenden Jahr bei Diogenes und bei Artemis und Winkler neu erscheint: Sprecherin "Hierher! Seht nur diese Brezel! Diese Mohnkuchen! Diese Fleischpasteten! Diese Honigkuchen! Ach, sind die gut! Bei Gott, sind die gut! Besonders diese Honigkuchen. Ich habe sie selbst gebacken Autorin Zu kulinarischen Genüssen später mehr, zunächst begeben wir uns in eine alte Garage, die der Abrissbirne beim realsozialistischen Aufbau der DDR entgangen war. (Musik : Pudhys ab "Garage" unterlegen + kurz frei stehen lassen) Die Dialoge aus dem Kinoklassiker "Die Legende von Paul und Paula" stammen von Ulrich Plenzdorf. Im nächsten Oktober wäre er 75 geworden. Wenn man 2009 an den Mauerfall vor 20 Jahren erinnert, wird seine Stimme fehlen. Aber seine Texte und Filmszenarien sprechen noch immer von unerhörten Träumen, die den verriegelten DDR-Alltag aufbrachen, zeigen, wie er auf neue Absurditäten in der Nachwendezeit und auf alle Neunmalgerechten mit ihrer Deutungshoheit über die gelebte Zeit in der DDR reagierte. Artemis &Winkler bildet eine Szene mit Angelika Domröse und Winfried Glatzeder ab, erinnert an die Fernsehserie "Liebling Kreuzberg" und an den Theatererfolg "Die neuen Leiden des jungen W." Take 13 Plenzdorf 38'' 'ne Zeit lang habe ich gesagt, ja Leute, vielleicht ist der Text einfach gut, aber das reichte in so politischen Zeiten nicht aus, da musste etwas dahinter sein. Aber wieso ein Text im Osten geschrieben im Westen so erfolgreich sein konnte und der war im Westen mindestens so erfolgreich wie im Osten. Schon mal, weil da mehr Leute wohnten und weil die Auflagen im Westen viel höher waren, sie waren ja nicht begrenzt, im Osten waren sie ja immer beschnitten und begrenzt und es war immer sogenannte Bückware das Buch, war keiner mit dieser Erklärung einverstanden. Bis ich dahinter kam: Die Leute im Westen dachten, das Buch ist so geschrieben, das kann nur einer im Westen geschrieben haben. Autorin Der "Klassiker" unter den Literaturkalendern wirbt mit dem Foto von Lion Feuchtwanger. Am 7.Juli jährt sich sein 125. Geburtstag. Das Werk des Romanciers, der aus dem amerikanischen Exil nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt ist, wird im Aufbau-Verlag herausgegeben. Der Literaturkalender bleibt sich selbst treu, er konzentriert sich auf die Textaussage, die scheinbar von Porträtfoto, Karikatur, von Holzschnitt oder Gemälde, die auch den einen oder anderen Farbtupfer setzen, an die Seite gedrängt wird und sich dennoch behaupten kann. Die Kurzfassung gibt es wieder für den Schreibtisch, auch hier hat der Aufbau-Verlag eine neue Kalenderwelt eröffnet. Blätternd registriere ich 2009 Goethes Geburtstag, dem aber der 10 Jahre später geborene Dichterfreund Schiller die Show stielt, am 10. November ist sein 250. Geburtstag. Ein Muss für alle Literaturkalender, den Dichter, den Dramenautor und den Briefeschreiber zu platzieren. Artemis & Winkler steuert zudem einen Schiller- Kalender bei, der die Lebensstationen von Marbach bis Weimar, zwischen Berlin und Tübingen mit Glanzfotos aus deutschen Landen auflistet. Geburtshaus, Wirkungsstätten, Orte der Schillerverehrung sind abgelichtet zu einem Kaleidoskop aus Gedichten, Monologen und Sentenzen: Sprecher Willst du dich selber erkennen, so sieh wie die andern es treiben, Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz. Der Schlüssel Sprecherin "Was bedeutet dein Werk?" So fragt ihr den Bildner des Schönen. Frager, ihr habt nur die Magd, niemals die Göttin gesehn. Bedeutung Sprecher Wen der Wolf nicht zerriß, den prellte der Fuchs. Wer diesem entrann, den tölpelte der Esel nieder Die Verschwörung des Fiesco zu Genua Sprecherin Vor dem Schrecklichen Verkriecht sich unsre Feigheit, aber eben diese Feigheit überliefert uns dem Stachel der Satire. Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet Sprecher Dem spielenden Kind glückt, Was dem Weisen misslingt Natur und Schule Sprecherin Das Ärgste weiß die Welt von mir und ich Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf. Maria Stuart Sprecher Welches Genie das größte wohl sei? Das größte ist dieses, Welches, umstrickt von der Kunst, bleibt auf der Spur der Natur. Die Neue Entdeckung Autorin Ein kurzer Blick auf die "Lesenden Frauen" bei Artemis & Winkler. Von August Macke und Max Liebermann, bis Hopper, Picasso und Renoir in Farben verewigte sitzende und liegende Schöne. Kurze Prosazitate korrespondieren mit den Gemäldeausschnitten. 1871 hat Renoir Madame Monet, ins Buch vertieft, porträtiert. Dazu lese ich "Aus einem zeitlosen Tagebuch" von Marie von Ebner-Eschenbach Sprecherin: Ein vortreffliches Buch: erstens verschlingt man's, zweitens liest man's, drittens schafft man sich's an. Autorin Der Kalender ist eine Verführung zum Lesen. Prosafunde von Viel-Leserinnen wie Bettine von Arnim, George Sand, Virginia Woolf schmücken die farblich mit Bildzitaten gut komponierten Kalenderwochen. Das Kalenderbuch durchs Jahr steuert der S. Fischer-Verlag bei. "Lichtspiele. Geschichten vom Kino" sein Motto. Vor allem Autoren des Verlages haben aus der Pionierzeit der laufenden Bilder mit Für und Wider nicht gegeizt: Sprecher: Im Kino gewesen, geweint. Autorin notierte Franz Kafka, der sich gern Filmplakate ansah und ganze Wochenprogramme der Kinematographen in Prag auswendig kannte, allerdings eher selten in eine Vorstellung ging. Dazu Thomas Mann, Alfred Döblin - mit einer Hardcover- Werkausgabe feiert das Traditionshaus gerade die späte "Rückkehr" des Romanciers ins Verlagsprogramm - und Francois Truffaut, der in einem Interview mit Alfred Hitchcock auf eine Film-Szene anspielt. (Musik - kurz: Track 5 0:12 -0:22 ) Sprecherin: Wenn Cary Grant die Treppe raufgeht? Das ist wirklich gut. Sprecher: Ich hatte eine Lampe in das Milchglas getan. Sprecherin: Sie meinen, einen Scheinwerfer auf das Glas gerichtet? Sprecher: Nein, in die Milch, in das Glas. Weil es wirklich strahlend erscheinen musste. Cary Grant geht die Treppe hinauf, und man muss wirklich nur auf das Glas schauen. Musik: (Musik - kurz: Track 5 0:12 -0:22 ) Autorin Literarische Landschaften erkunden die Kalender der Edition Ebersbach. Mit Einheimischen, zufälligen Besuchern oder wiederkehrenden Reisenden kann man in deutschen Landen, an den Küsten aber auch in Berlin unterwegs sein. Der Wandkalender "Literarisches Berlin" zeigt und beschreibt die geteilte und wieder vereinigte Stadt, in deren Gedächtnis sich untrüglich Spuren ihrer Teilung eingenistet haben. Sprecherin: Wenn wir aus dem Fenster geguckt haben, waren wir mit dem Kopf im Westen und mit dem Hintern im Osten. Wir waren also in der schönen Situation, dass uns niemand nötigte, am 1. Mai eine Fahne herauszuhängen. Autorin: Legendär waren Witz und Durchsetzungsvermögen von Regine Hildebrand bei der Bürgerbewegung und später als Ministerin in Brandenburg. Schweizer Gefilde durchstreift der neue Arche-Kalender für das Alpenland. Auf 52 Wochenseiten wird die Schweiz in Farbe setzt. Als Mark Twain 1878 zu Fuß durch Europa unterwegs war, kam er auch bei Zermatt vorbei und ließ sich von den Felsklippen beeindrucken: Sprecher ... "Liebende auf gegenüberliegenden Felsen küssen sich vermutlich durchs Fernglas und korrespondieren mit der Flinte Autorin Franz Kafka reiste mit Max Brod nach Zürich, Sommer 1911 und Emmy Ball- Hennings lebte hier. Die Diseuse, an der Seite von DADA-Gründer Hugo Ball (Musik: Take: Ursonate unterlegen Track 11 oder 9) berühmt geworden, schrieb für die Neue Zürcher Zeitung 1934 über eines der berühmten Treffen in der DADA-Galerie im Sprünglihaus. Sie hatte aus der Not eine Tugend gemacht und die Küchenhocker mit Ostereierfarben gebeizt ... Sprecherin ..aber dieses löbliche Tun bekam mir schlecht, weil gleich bei der ersten Soiree die zarten Kleider der Damen sich an ihnen abfärbten. So sahen auch sie ziemlich abstrakt aus: Kompositionen in Blau, Grün, Gelb, Rot. Unfreiwillige Farbsinfonien. Oh, diese wandelnden Paletten, die gerade ich, die ich mich nach Unauffälligkeit sehnte, verursachen musste!" Musik: George Antheil: Ballet mécanique Track 4 - 2:15 - 2:40 Autorin Musik von der CD, die dem "Arche" Musik- Kalender beigefügt ist. Für kulinarische Genüsse ist der Küchenkalender im neu gegründeten Arche- Kalender-Verlag zuständig. Sybill Gräfin Schönfeldt hat in Romanen beschriebene Eß- und Trinkgewohnheiten ausgewählt und mit Rezepten zum Nachkochen und Nachbacken angereichert. Sachertorte bei Martin Walser - als Sahnehäubchen gewissermaßen die Geschichte des Geheimnisses um das Ur-Rezept von 1832. Alfred Döblin lässt Franz Biberkopf, der 'vom Leben mehr verlangt als ein Butterbrot', in "Berlin Alexanderplatz" seiner Minna ein Kalbsfilet aufs Zimmer schicken. Eine Berliner Kneipe wird zum Treffpunkt für Ost- und Westler in Monika Marons Roman "Ach Glück" in jener Nacht am 9. November, als die Mauer fiel. Take:14 Monika Maron - o-Ton 56'' Sie bestellten Hefeweizenbier und Bouletten, für Elli noch einen Wodka. Hier ist wenigstens alles, wie es immer war, sagte Elli und vergewisserte sich mit einem dankbaren Blick, dass auch wirklich alle Bilder der Berühmtheiten, die hier je ein Bier getrunken hatten, noch an den tabakfarbenen, von den Ausdünstungen zweier Generationen durchtränkten Wänden hingen, die, wenn man dem Wirt glauben durfte, seit über 30 Jahren durch keinen Pinselstrich und keinen Tropfen Farbe entweiht worden waren. Autorin In der Wiener Küche von Jandl/ Mayröcker lande ich schließlich mit den "Fliegenden Wörtern" vom Daedalus Verlag. Sprecher in der küche ist es kalt ist jetzt strenger winter halt mütterchen steht nicht am herd und mich fröstelt wie ein pferd Sprecherin in der Küche stehn wir beide rühren in dem leeren Topf schauen aus dem Fenster beide haben 1 Gedicht im Kopf Autorin Er saß selbst gern an gut gefüllten Tischen, auch bei Kränzchen des verpönten Adels in Berlin oder London und konnte doch in schlechten Zeiten Frau und Kindern nicht einmal eine eigene Wohnung bieten: Theodor Fontane. Am 30.12.1819 geboren, verabschiedet er das neue Jahr auf dem Kalender von Artemis & Winkler mit einem Satz, für dessen Botschaft andere Romane brauchen: Sprecher (Fontane) Artemis Dies ist die Zeit, wo jeder Tag Viel Tage gilt in seinem Wert, Weil man's nicht mehr erhoffen mag, Dass so die Stunde wiederkehrt. 1