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Viele Einheimische empfinden die vielen, jetzt schon für die Olympia Bewerbung unterzeichneten Verträge" als Bevormundung aus München". Ein guter Anlass für unseren Bayern Korrespondenten Michael Watzke, einmal auf das schwierige Verhältnis von Stadt und Gebirge" zu schauen. Der Marienplatz in München. Die Glocken des Alten Peters läuten zu Mittag. Rosi Mittermaier schlendert hinüber zur berühmten Pfarrkirche, zeigt auf den Turm: "Von dort oben kann man bei gutem Wetter die Berge in Partenkirchen sehen" sagt sie. Es ist ein Blick Richtung Heimat - denn die ehemalige Skirennläuferin kommt aus Partenkirchen, In München ist sie nur sehr oft zu Besuch. 1 ROSI MITTERMAIER "Es ist ja ganz nah. Das ist ja praktisch von Autobahnende bis Anfang nur 30 Minuten Fahrzeit. Deshalb ist uns München sehr, sehr nah. Man ist sehr oft in München." Verena Bentele aus Lindau am Bodensee hingegen hat München irgendwann ganz zu ihrer Wahlheimat gemacht. Auch für die sehbehinderte Biathletin, die bei den Paralympischen Winterspielen 12 mal Gold abräumte, sind die Alpen und München eine Einheit:.Die Berge sind von München jederzeit schnell und problemlos zu erreichen, . Ein guter Grund sich für die Stadt zu entscheiden findet Bentele . 2 VERENA BENTELE "Also ich bin zum Training oft außerhalb von München. Ich bin in Ruhpolding, manchmal auch in Garmisch. Ich fahre viel in die Richtung, auch um dort wandern zu gehen. Man ist mit dem Zug so schnell dort, das ist toll. Ich kann überall mit dem Zug hin, was super ist, weil ich ja kein Auto hab. Es ist alles gut erreichbar." So dicht liegt München an den Alpen, dass für Ex-Skistar Rosi Mittermeier manchmal sogar die Identitäten von Stadt und Land verschwimmen. 3 ROSI MITTERMAIER "Immer da, wo man gerade lebt, ist Heimat." In Garmisch-Partenkirchen definiert man den Begriff Heimat nicht ganz so kosmopolitisch. Elisabeth Koch schaut aus dem Fenster ihrer Rechtsanwaltskanzlei in der Schnitzschulstraße. München und Berge - das sind ganz eindeutig zwei paar Schuh, sagt die geborene Partenkirchnerin. 4 ELISABETH KOCH "Schauen Sie, wenn ich in meinem Büro sitze, habe ich das Glück, dass ich das ganze Wettersteingebirge sehe. Diese Berge prägen unseren Charakter. Absolut. Das heißt nicht, je enger das Tal, desto beschränkter der Horizont seiner Bewohner. Sondern dass diese Berge dazu führen, dass wir ein ganz, ganz tiefes Heimatbewusstsein hier haben. Wir haben eine ganz große Liebe zu unserer Umgebung. Gerade wenn Sie sehen, wie schön es hier ist, achten Sie besonders drauf. Wenn ich auf dem platten Land lebe und nicht jeden Tag dieses Felsmassiv vor mir habe, das sich mit jedem Licht, jeder Witterung verändert, dann kann ich das vielleicht gar nicht so verstehen." München ist plattes Land. Aber das Millionendorf wächst immer näher an die Alpen heran. Wie ein Krake streckt die Großstadt ihre Siedlungsarme Richtung Alpen aus. Der Erlanger Geographie-Professor Werner Bätzing fürchtet gar: 5 WERNER BÄTZING " ... dass wir eine sehr starke Verstädterung in Garmisch-Partenkirchen bekommen werden. Die Grundstückspreise werden steigen. Die Nachfrage wird steigen. Und dadurch wird die Spirale der Verstädterung, die jetzt schon läuft, vorangetrieben werden. Es werden weitere Investitionen folgen. Aus einer Investition folgt die nächste und die dritte. Da wird ein Investitions-Karussel in Gang gesetzt, das immer weiter geht. Und das geht letztlich zu Lasten der Einheimischen." Ein Prozess, der sich durch eine erfolgreiche Olympia-Bewerbung von München und Garmisch-Partenkirchen noch beschleunigen könnte. Professor Bätzing glaubt, dass große Städte wie München davon profitieren und die viel kleineren Alpenstädte verlieren. Wenn Bätzing in den Bergen unterwegs ist, hört er bisweilen: 6 WERNER BÄTZING " ... die böse Bemerkung der bayerischen Heimatvertriebenen. Das heißt, gerade der Menschen im Alpenraum, die aufgrund der hohen Miet- und Grundstückspreise durch den Tourismus ihre Heimat verlassen müssen und in andere Orte gehen müssen zum Wohnen, weil dort die Preise niedriger sind. Diese Entwicklung wird weitergehen. Das betrifft genauso die lokalen Handwerker, die lokalen Gewerbetreibenden und kleine Tourismus-Anbieter, die bei dieser Investitionsspirale ebenfalls schlechtere Chancen haben, weil sie höheren Preise nicht realisieren können, und wo dann zu befürchten ist, dass sie vom Markt verdrängt werden." Tatsächlich gibt es in Garmisch-Partenkirchen heute keine Vollerwerbsbauern mehr. Die Landwirte mit ihren kleinen Berghöfen können nicht genug erwirtschaften, um nur von der Milchproduktion zu leben. Manche verdienen mit Berg- Tourismus etwas Geld dazu, andere geben die Landwirtschaft ganz auf. Garmisch-Partenkirchen hat sich gewaltig verändert. Immer mehr Pendler leben nun in den Bergen und arbeiten in der Großstadt, sagt Bürgermeister Thomas Schmid. 7 THOMAS SCHMID "Das ist für uns ganz normal, nach München reinzufahren, die Münchner hier raus. In meinem Freundeskreis haben sehr viele ihre Familien hier draußen und arbeiten unter der Woche teilweise in München. Und andersrum. Das ist eine ganz enge Verbindung, und da gibt's überhaupt keine Vorbehalte. Im Gegenteil." Thomas Schmid sieht die Chancen dieser Entwicklung. Auch deshalb ist er ein glühender Verfechter der Olympia-Bewerbung. Mit ihrer Hilfe möchte er Garmisch-Partenkirchen modernisieren. Etwa das Kongresszentrum erneuern, um vom Münchner Wirtschaftsboom zu profitieren. 8 THOMAS SCHMID "Wir sind ja auch über die Bewerbung für Olympia eine Projekt-Kommune, eine Modell- Kommune für Elektro-Mobilität und für andere zukünftige Transport-Möglichkeiten. So nah an der Metropole München dran zu sein, ermöglicht eine große Zukunft. Wir wollen das so umweltschonend wie möglich für uns abwickeln. Wir wollen aber auch die Chancen daraus ziehen. Denn davon leben wir." Die Strategie des Bürgermeisters ist in Garmisch-Partenkirchen umstritten. Der Streit um Olympia hat seine Wurzeln zum Teil in genau dieser Diskussion. Für Axel Döring, den Leiter der Umwelt-Organisation Bund Naturschutz in Garmisch, leidet der Ort am Fuße der Zugspitze unter den - wie er sagt - neoliberalen Plänen des Bürgermeisters: 10 AXEL DÖRING "Das überfordert das Tal, das überfordert den Ort, das überfordert die Menschen, und das überfordert auch die Finanzen." Döring glaubt, dass der Streit um Olympia letztlich eine Diskussion darüber ist, in welche Richtung sich die Alpen und ihre Bewohner in Zukunft entwickeln werden: 11 AXEL DÖRING "Die Olympiabewerbung hat für den Bürgermeister einen ganz, ganz großen Vorteil: sie überdeckt alle Strukturprobleme, die wir hier haben. Olympia wird alles richten. Und Du brauchst Dich den eigentlichen Problemen nicht stellen. Das heißt: so lange Du Dich um Olympia bewirbst, hast Du ein bequemes Leben. Olympia ist ein Zauberwort mit sehr viel Glanz. Aber wie dunkel die andere Seite der Medaille ist, das ist sowohl den Menschen hier als auch uns Gegnern nicht im ersten Moment aufgegangen. Das kommt nach und nach." ATMO ZUG Der Regionalzug von Garmisch nach München fährt durch Partenkirchen. Am Bahnübergang steht Rentner Georg Schäfer aus dem nahegelegen Städtchen Weilheim, ärgert sich: 12 GEORG SCHÄFER "Wenn man überlegt, dass von Weilheim nach Garmisch die Bahntrasse neu gebaut wurde, nach ich-weiß-nicht-wie-viel Jahren. Die ist gerade erst vor ein paar Wochen fertig geworden. Ich wohne direkt an der Trasse, deshalb kann ich mitreden. Die ist nur einspurig geplant. Und wenn die Olympiade kommen sollte, dann kommt die zweite Spur. Für 14 Tage. Normalerweise sind die Züge den ganzen Tag leer. Aber für 14 Tage kommt dann eine zweite Trasse. Und dann muss der ganze Krampf, der jetzt gebaut worden ist, wieder weggerissen werden, weil die ganzen Über- und Unterführungen nur einspurig geplant waren. Die sind alle in den letzten anderthalb Jahren gebaut worden. Da muss ich sagen: das ist ne Sauerei." Ob ein-, zwei- oder sogar dreispurig: Der Ausbau der Infrastruktur, ob nun Straße oder Schiene, reißt tiefe Wunden in die Alpen-Landschaft. Trotzdem ist die gute Verkehrs- Anbindung der Alpen-Gemeinden das A und O für den Garmisch-Partenkirchner Bürgermeister Schmid 9 THOMAS SCHMID "Gerade der Ausbau der Schiene. Wir sind ein Skigebiet und ein Wandergebiet. Das kann vom Hauptbahnhof München direkt erschlossen werden. Wir machen das jetzt schon im Winter: da fährt am Samstag und Sonntag der Zug direkt durch unseren Bahnhof durch zum Hausberg, da steigen die Skifahrer aus. Und gegen 16 Uhr wieder den umgekehrten Weg. Also ökologischer und schonender kann man es nicht machen. Also wenn der Münchner noch schneller und bequemer zu uns kommen kann, dann ist das eher von Vorteil für uns." Jörg Ruckriegel fährt regelmäßig mit dem Zug nach Garmisch. Der Ressortleiter Umweltschutz beim Deutschen Alpenverein DAV sitzt in seinem Büro in einem Münchner Vorort. Weil er die Berge von hier aus nicht sehen kann, hat er einen Alpenkalender aufgehängt. Ruckriegel findet es richtig, dass die öffentlichen Verkehrsmittel zwischen München und Garmisch ausgebaut werden. Andererseits fürchtet er, dass durch schnellere Zugverbindungen in die Alpen der Siedlungsdruck auf die Bergtäler steigt. 13 JÖRG RUCKRIEGEL "Das kann natürlich zur Zersiedlung führen im Alpenraum. Und da muss man gut drauf achten, dass die Siedlungen nicht zu weit ausufern in die Alpenlandschaft hinein. Die Alpen sind tatsächlich an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Es gibt sehr viele unterschiedliche Interessen, sehr viele Funktionen, die da aufeinander treffen und um die letzten Naturräume konkurrieren." Wenn Professor Werner Bätzing die Lage der bayerischen Alpen anschaulich schildern will, dann umfasst er mit beiden Händen seinen Hals und dreht daran wie an einem Gemüseglas. Bätzing, der bayerische Fachmann für Kulturgeographie, sieht die bayerischen Alpen im Würgegriff der Landeshauptstadt. Das große Problem sei die unausgewogene Entwicklung in den Bergen. In bestimmten Alpentälern, vor allem entlang der Transitrouten Brenner und Gotthard, siedele sich immer mehr Industrie an. Das Etschtal Richtung Verona beispielsweise platze fast aus allen Nähten. 15 WERNER BÄTZING "Aber der eigentliche Alpenraum, da wo es steil wird, da, wo wir im Prinzip keine gute Erreichbarkeit für den LKW mehr haben, dieser eigentliche Alpenraum, der wird abgehängt." Tatsächlich verlieren viele abgelegene Seitentäler und periphere Alpendörfer immer mehr Einwohner. Sie veröden. Ein Prozess, den Bätzing vor allem in Deutschland und der Schweiz beobachtet. Im Gegensatz zu Österreich: 14 WERNER BÄTZING "Deswegen, weil sich Österreich darum kümmert, dass die Unterschiede nicht zu groß werden. Und dass auch ganz abgelegene Alpentäler nicht abgehängt werden. Das ist irgendwie in der österreichischen Mentalität ein Stück weit drin. Und auf dieser Schiene hab ich das Gefühl, dass die Österreicher das derzeit am besten machen, weil sie davon nicht abrücken." Die große Kulturleistung der Alpen-Bevölkerung, sagt Bätzing, sei es über Jahrhunderte gewesen, ein gesundes Mittelmaß zu finden zwischen Nutzen und Schützen. 16 WERNER BÄTZING "Hier haben die Menschen gewirtschaftet und haben die Natur bei ihrem Wirtschaften nicht zerstört. Das ist etwas, das die Industriegesellschaft verlernt hat. Das müssen wir neu lernen. Deshalb schmerzt es mich, wenn heute viele Experten sagen, die Wirtschaft ist umso effektiver, umso wettbewerbsfähiger, je mehr sie sich auf wenige, große Zentren konzentriert." Damit spricht Bätzing ein umstrittenes Gutachten an, über das die Bayern derzeit heftig diskutieren. Es empfiehlt, vereinfacht gesagt, der Freistaat solle vor allem leistungsstarke Zentren wie München, Nürnberg oder Regensburg unterstützen. Dagegen seien staatliche Investitionen in strukturschwache Regionen verlorene Liebesmüh. Das Gutachten hat der Zukunftsrat erstellt, ein Gremium von Wirtschaftswissenschaftlern und Unternehmern. In Auftrag gegeben hatte es die Staatsregierung. Geographie-Professor Bätzing bezeichnet das Gutachten als neoliberalen Unsinn. Er argumentiert, vor allem der ländliche Raum sei in den vergangenen Jahrhunderten die Triebfeder für Innovation und Fortschritt gewesen: 17 WERNER BÄTZING "Wie sähe Europa aus, wenn die Wirtschaft und die Bevölkerung sich nur auf einige wenige große Zentren konzentrieren würde? Den gesamten übrigen Raum braucht man dann nicht mehr, den lassen wir auf.? Dann, hätte ich das Gefühl, verliert Europa seine Identität." Die Alpenländer, sagt Jörg Ruckriegel vom DAV, müssten vor allem Einigkeit beweisen. Länderübergreifend handeln. Beispielhaft sei die Alpenkonvention. Ein völkerrechtlicher Vertrag, den die acht Alpenstaaten 1989 gemeinsam abschlossen. Ihr Ziel: die Entwicklung des Alpenraums in enger Abstimmung zu steuern. Grenzüberschreitend. Etwa bei Wasserkraftprojekten, im Tourismus oder bei Transitwegen. Derzeit aber kochen die einzelnen Alpenstaaten eher ihr eigenes Süppchen: 18 JÖRG RUCKRIEGEL "Die Alpenkonvention ist in ihrer Umsetzung gerade an einem Scheideweg. Sie ist mit sehr viel Elan auf den Weg gebracht worden, und momentan ist sie etwas ins Stocken geraten. Wir haben z.B. die Situation, dass in der Schweiz die Protokolle der Alpenkonvention nicht ratifiziert worden sind. Die Schweiz hat vor allem Angst vor einer Einflussnahme von außen, die sie dann in ihrer Autonomie bedroht. Wenn man sich die Alpenkonvention anschaut, kann man das nicht bestätigen. Und auch, wenn man die Staaten anschaut, die die Protokolle ratifiziert haben, ist da nicht zu beobachten, dass die Siedlungspolitik eingeschränkt werden würde." 19 WERNER BÄTZING "In der Alpenkonvention muss man international denken. Das ist heute immer noch extrem schwer. Italienische Befindlichkeiten gegen österreichische Befindlichkeiten, französische gegen bayerische - das ist immer noch eine ganz schwere Angelegenheit. Und zweitens: die Alpenkonvention erzwingt aufgrund dieser zugespitzten Problemsituation, dass man Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gemeinsam sieht. Die sind vernetzt miteinander. Und das widerspricht jeglicher Politik. Denn Politik ist in Ressorts geteilt. Wirtschaftsministerium. Gesundheitsministerium. Für jede Thematik ist ein anderes Ministerium zuständig. Das hat die Alpenkonvention am Anfang gar nicht gemerkt. Die Alpenkonvention war im Umweltministerium angesiedelt. Da ist sie falsch angesiedelt. Es geht darum, Wirtschaft und Umwelt in eine Balance zu bringen. Also muss das Wirtschaftsministerium dabei sein." Professor Werner Bätzing fordert, die Regierungsschefs der Alpenstaaten müssten das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen. Nur so könnten sie verhindern, dass die kleinen und mittelgroßen Alpenstädte wie Bozen, Chur oder Garmisch immer stärker in den Sog der großen Metropolen gerieten. Das sind vor allem München, Zürich, Wien und Mailand. 20 WERNER BÄTZING "Das politische Fachwort dafür lautet: Chefsache. Eine Politik, die über Ministerien hinweg greift, die drei, vier, fünf Ministerien verbindet. Das kann nur der Chef machen. Der Ministerpräsident. Und da muss man sagen: auf dieser Ebene der Staatsführer ist die Alpenkonvention einfach kein Schwergewicht." Zusammenarbeit scheint besonders in den Alpen schwer zu sein. Mit ihren vielfältigen Kulturen, den zahllosen Sprachen und einer fast sprichwörtlich alpenländischen Dickköpfigkeit. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude macht sich immer wieder gern über die hinterwäldlerische Kommunalpolitik in Garmisch-Partenkirchen lustig. Besonders in Sachen Olympia-Bewerbung. Da brauche ein Ortsfremder ein fast schon übermenschliches Fingerspitzengefühl, stichelt Ude. 21 CHRISTIAN UDE "Der Grund ist, dass es dort immer verschiedenste Möglichkeiten gibt, ein Problem zu lösen. Wir haben ja bei der Ski-WM gesehen, dass um fünf vor zwölf plötzlich geht, was vorher monatelang unmöglich gewesen sein soll." Elisabeth Koch springt fast an die Decke, wenn sie solche Sätze hört. Dieser Ude, sagt die Partenkirchener Rechtsanwältin und örtliche CSU-Fraktionschefin mit bebender Unterlippe: 22 ELISABETH KOCH "... wie kommt der eigentlich dazu, unsere Befindlichkeiten zu klären? Wie kommt ein Münchner Oberbürgermeister dazu, Mitglieder des Juniorpartners Garmisch-Partenkirchen von oben herab zu diffamieren? Wie kommt dieser Mann dazu?" Der Einfluss Münchens auf Garmisch wird in Zukunft eher steigen als sinken. Am Fuße der Zugspitze hat sogar schon das P1 eröffnet - ein Garmischer Ableger jener Promi-Edeldisko, die für München steht wie Hofbräuhaus und Oktoberfest. Wenn irgendwann auch noch Oliver Kahn ins Werdenfelser Land zieht, spotten die Einheimischen, dann ist es passiert - dann ist aus Garmisch-Partenkirchen Münchisch-Partenkirchen geworden. Noch sei es nicht so weit, sagt Professor Bätzing. 23 WERNER BÄTZING "Wenn aber die Bahnverbindung ausgebaut wird und die Tunnels für die Autobahn fertig sind, wenn also dann Garmisch von München aus noch leichter zu erreichen ist, Größenordnung deutlich unter einer Stunde, dann wird der Prozess in Garmisch- Partenkirchen erst recht mit einer großen Dynamik ablaufen. Der Ort wird die eigene Selbstständigkeit mehr und mehr verlieren, und Münchner Interessen werden sich in dieser Region direkt durchschlagen. Meines Erachtens wäre die Aufgabe der Gemeinde GAP, dass sie sich als Knotenpunkt für einen ländlichen Alpenraum versteht, wo sie in einer Marktfunktion, als Vermittler, auch als touristisches Zentrum dafür Mitverantwortung trägt, dass das alpine Umland sich gut entwickelt. Und dass nicht bloß Garmisch-Partenkirchen punkthaft mit München verknüpft wird. Das ist die übliche Entwicklung: städtische Punkte werden mit anderen Punkten linienhaft vernetzt. Und aus der Fläche dazwischen zieht man sich zurück." 24 JÖRG RUCKRIEGEL "Momentan kann man beobachten, dass da so eine neue Erschließungswelle läuft, die Alpenregion, die unserer Meinung nach schon jetzt sehr hochwertig ist, durch technische Infrastruktur noch mal zusätzlich aufzuwerten, und das ist eine Entwicklung, die wir grundsätzlich ablehnen." Mag ja sein, das man vom Turm des Alten Peters in München bei gutem Wetter die Alpen sehen kann. Mag auch sein, dass die Berge zum Greifen nahe sind, wenn in Südbayern der Föhnsturm bläst. Doch in Wirklichkeit liegt zwischen München und Garmisch deutlich mehr als eine kurze Autobahnfahrt. Die Postkarten-Verkäufer am Marienplatz mögen Motive präsentieren, auf denen die Zugspitze fast schon in die Türme des Münchner Frauendoms hineinwächst. Aber das ist geschummelt. So dicht sind München und Garmisch-Partenkirchen nicht beieinander. Und wenn die beiden ungleichen Partner tatsächlich den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele 2018 erhalten, wird man in der Landeshauptstadt noch häufiger ein Grummeln aus Garmisch hören, ähnlich dem Donnergrollen eines mächtigen Berggewitters in den Alpen.