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Fock lebt dort mit einem anderen Obdachlosen. Der liegt auf der Bank, verborgen unter einem Berg Decken. Schläft noch. Fock geht zum Springbrunnen hinunter. Morgentoilette. Brille absetzen, ein paar Wasserspritzer ins Gesicht. Unten fehlen ihm zwei Schneidezähne. 4 O-Ton Harald Fock: Etwas gepflegt, schon, auf dem unteren Niveau. Das einzige was mir fehlt, ist, dass ich nicht duschen kann, ich weiß halt nicht wo ich duschen kann. Keine einzige Möglichkeit. Autor: Jetzt ist er bereit für einen weiteren Tag auf Mallorca. Es ist die Lieblingsinsel der Deutschen. Dreieinhalb Millionen kommen jährlich. Im Sommer zu Ballermannfeten, Bräunen am Strand, ansonsten gepflegter Seniorentourismus. Für den 61jährigen Fock und seinen Landsmann auf der Bank geht es ums Überleben ganz unten. 5 O-Ton Harald Fock: Ich mache Parking in der Bonaire, da bin ich seit 13 Monaten, betteln tu ich nicht, das kann ich nicht, das habe ich noch nie gekonnt, Ja, das ist der Absturz eines Börsenmaklers zum Bettler, das ist meine Karriere. 6 Atmo Harald läuft durch Palma (mono) Autor: Aber das soll nicht so bleiben. Fock hat noch Pläne. Er stakst mit seinen langen Beinen eilig die baumgesäumte Flaniermeile hoch. Vorbei an Passanten mit hochgeklappten Krägen. Schließlich biegt er rechts in eine Einbahnstraße mit kleinen Geschäften und einem Supermarkt. Carrer Bonaire. Ist er zu spät, machen andere den Job des ungebetenen Einparkhelfers. Über ein Jahr macht er das schon. 18 Parkplätze. 7 Atmo Bonaire/Straße 8 O-Ton Harald Fock: Ja was soll man sonst machen. Autor: Er hat das Rennen gemacht. Und es gibt gleich etwas zu tun. Direkt vor dem Supermarkt wird ein Parkplatz frei. Fock stellt sich davor und winkt einen Wagen heran, der die Straße heraufkommt. 9 O-Ton Harald Fock: Jetzt kommt wieder einer, das ist ein Clio, das ist eine Frau, die kenne ich, die gibt nichts. Trotzdem freundlich bleiben. Das habe ich gewusst, gibt nichts. Autor: Fock bezieht jetzt bei einer Baumgruppe mit Parkbank Stellung. Von hier hat er alles im Blick. Warten. Wie eine Schleiereule wirkt er dabei. Nur der Kopf mit der Kapuze bewegt sich hin und her. Er beobachtet geduldig... Parkplätze, Anfahrtsrichtung, Bürgersteige... Sein Revier. Die Polizei lässt ihn, obwohl es verboten ist. Und die Anwohner mögen den Deutschen. 10 O-Ton Harald Fock: Oh, oh, oh, heute will er. Señor, Señor, por favor uno momento, Gemüseh... ¡Señor! Gracias, si wunderbar. ¡Gracias señor! Autor: Der Gemüsehändler steckt ihm ein Zwei Euro Stück zu. Seine Frau im Laden direkt gegenüber gönnt es ihm. 11 O-Ton Milagros Muñoz: Es un señor maravilloso ... confianza. VO.: Das ist ein wunderbarer Herr, weil er sich für die ganze Nachbarschaft aufopfert. Er kümmert sich um uns, um unsere Autos, um den Laden wenn du mal wegmusst. Ich weiß, dass er als Broker gearbeitet hat, irgendwas mit Finanzen und seine Firma ist pleite gegangen und er ist auf der Straße gelandet. Ich vertraue ihm. Autor: Focks Spanisch ist spärlich. Manches bleibt bei der Kommunikation auf der Strecke, sagt die Verkäuferin und winkt dem Einpark-Helfer draußen zu. Fock wedelt eifrig zurück. Das Wesentliche hat er rübergebracht. Fock, einer der vielen Deutschen, die hier ihr Glück gesucht haben, gescheitert - und dann auf der Insel hängen geblieben sind. 12 O-Ton Harald Fock: Ich bin im Grunde genommen von Düsseldorf runter gelockt worden, weil ich Aktienverkäufer war. Dann haben die irgendwann mal einen Verkaufsleiter eingestellt, das war so ein dämliches Arschloch, dann haben wir uns gestritten und dann habe ich gesagt, pass auf und habe Feierabend gemacht. Autor: 2005 war das, seitdem ist er auf Mallorca. Im Sommer hält er sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Die Konstante in seinem Leben ist sein Job als Einpark-Helfer hier. Er versieht ihn gewissenhaft, ist immer pünktlich, ganz deutsch. 13 O-Ton Harald Fock: Ja es fährt einer raus. Der fünfte Wagen, mal kucken was jetzt passiert. Autor: Ein roter Peugeot fährt ran. Fock steht parat. Ein Mann sitzt drin. Gut. 14 O-Ton Harald Fock: (Fahrer: Ya tengo) Ein Euro es gab einen Euro! Autor: Ein vielversprechender Morgen - für Palma de Mallorca. Ein ähnlich beflissener Bettler in einer deutschen Innenstadt würde nur mitleidig lächeln. 15 Geräusch Geld zählen O-Ton Harald Fock: So zwei Euro von dem Gemüsehändler und ein Euro von dem hier. Autor: Ein routinierter Blick auf die Straße. Rauf, runter. Alles ruhig! 16 O-Ton Harald Fock: So ich muss mal einen Schluck Bier trinken. Autor: Die Halbliter-Dose holt er sich für 40 Cent im Supermarkt. Blende Atmo Straße/Atmo 1 Brunnen Autor: 40 Cent - das ist mehr als die Hälfte dessen, was Markus heute einnehmen wird. Der andere Deutsche von der Verkehrsinsel. Markus aus Datteln im Kreis Recklinghausen. Kein Nachname - die deutsche Polizei sucht ihn, sagt er. Ein bemützter Kopf durchstößt den Kokon der getigerten Decken. 17 O-Ton Markus: [Stöhnt] Mir ist so kalt. Mir ist kalt, das ist schon immer so gewesen. Ich bin halt so ein Frostköttel. Autor: Es hat klamme sechs Grad. Gestern hat es gehagelt. Marcus Nase ist bläulich, aber das liegt nicht an der Temperatur. Er greift unter die Steinbank, neben seine Kleidertüte. Ein Plastikfläschchen, in dem ursprünglich mal Fruchtsaft war. 18 O-Ton Markus: Wein, kein Rotwein, ein Rosado. Autor: Er hockt gekrümmt wie ein Eichhörnchen auf seinen Decken und dreht sich erstmal eine Zigarette aus den Tabakkrümeln, die er aus weggeworfenen Kippen herausbröselt. Vor ihm schnürt eine Ratte über die Fliesen. Markus sieht aus wie 65, sagt aber er sei 49. Der frische Wind vom Meer kommt nicht gegen seinen bittersüßlichen Körperdunst an. Ledrige Haut. Auch er lebt schon acht Jahre auf der Straße, vermutlich sogar länger. Den Flug nach Palma will er jedenfalls noch mit D-Mark bezahlt haben. Damals, als er mit seiner großen Liebe hier landete. 19 O-Ton Markus: Wir sind beide nach hierher geflogen. Zuerst wollten wir ja nach Ibiza, aber da sind wir hier hängengeblieben und es dauerte nicht lange, eineinhalb Monate, dann hat sie sich entschieden: Markus ich verlasse Dich. Ciao bella grüß die Welt von mir. Dann habe ich den Typen kennengelernt. Ein Deutscher, der unheimlich gut Spanisch konnte. Ich kein einziges Wort außer sí und no. Seitdem nie wieder gesehen. Autor: Dieselbe Story gibt es auch mit einem Spanier, der unheimlich gut Deutsch konnte. Jeder, der hier gestrandet ist, hat eine gute Geschichte parat, warum. Oder besser gleich mehrere. Die Konstante, die Markus' Leben strukturiert, ist das Rote Kreuz. Die Helfer bringen ihm dreimal die Woche Essen, die örtliche Zentrale bewahrt seine Dokumente auf und sorgt medizinisch für ihn. In Deutschland könnte er relativ einfach auf Hartz IV gehen. Hier bekommt er nichts, außer milden Gaben. Aber trotzdem: Mallorca findet er einfach besser als das Ruhrgebiet. Gestrandet unter Palmen. 20 O-Ton Markus: Ich konnte mir manchmal noch nicht mal eine Pommes leisten. Noch nicht mal. Hier gehe ich irgendwohin und frage, hast du mal 'nen Euro und dann krieg ich den Euro und schwupp bin ich bei McDonalds, da gibt's nämlich Pommes für einen Euro. Ich bin froh, dass ich hier bin. In Deutschland hätte ich keine Chance. Autor: Markus streicht sich über die fingerlangen Barthaare. Im Sommer könnte er vielleicht Boote schrubben im Yachthafen. Jetzt aber ist es ihm einfach zu kalt dafür. Beim Einparken helfen, das hat er hinter sich. Soll Harald sich doch die Beine in den Bauch stehen. Markus hat ein anderes Geschäftsmodell. 21 O-Ton Markus: Schnorren, schnorren schnorren. Warum schnorren - erstens ich brauch was zu Essen und zweitens ich brauch ein bisschen Salz. Sprich Pommes. Das kostet mich schonmal einen Euro. Autor: Es ist Zeit für seine Runde. Markus steckt sich sein Rosado-Saftfläschen in die Jackentasche und wankt los. Blende Atmo 1 Brunnen/Atmo 7 Bonaire/Straße 22 O-Ton Harald Fock: Jetzt ist gerade ein Mann gekommen mit seinem Hund. Der kennt mich schon. Siehste jetzt setzt er sich hin. Na mein kleiner süßer wie geht es dir denn? Hä, geht es dir gut? Und dann will er immer spielen. Na, nicht anfangen zu beißen. Hör auf. Autor: In der Carrer Bonaire hat sich inzwischen nicht allzu viel getan. Es ist Mittag und Harald Fock hat sich um diese Zeit früher gerne ein Hamburger mit Pommes-Menü geholt. Aber dann stehen hier vielleicht wieder zwei Polen und machen seinen Job. Also lieber hier bleiben. Essen? Unter einer Parkbank holt er eine Bierdose hervor. 23 O-Ton Harald Fock: Also das ist jetzt mein zweites Frühstück, bestehend aus Hopfen und Weizen. Sehr gesund. 24 O-Ton Harald Fock: Mich hat man noch nie besoffen gesehen. Ich habe immer einen gewissen Level, wo ich sage jetzt ist Schluss, es reicht. Aber man kann nur mit Alkohol auf der Straße leben. Um [zögert] - das verdrängt viele Dinge, Probleme. Autor: Und der Alkohol macht die Gedanken an die alten Zeiten erträglich. Die guten als Aktiendrücker per Telefon, jede Menge Kohle, mit Familie. Inzwischen hat Fock keine Papiere mehr. Bloß noch einen abgelaufenen Führerschein. Als er das erzählt, lässt er die Schultern sacken. 25 O-Ton Harald Fock: Ich habe gute Zeiten gehabt, aber ich habe nie daran gedacht, mir etwas zurückzulegen. Ich habe gedacht, es geht immer so weiter. Und dann macht es Peng und dann ist es halt so. Autor: Dieses Gefühl plötzlich blank dazustehen, das kennt Fock. Immer wieder. Wie damals mit der Filmagentur und dem Model: 26 O-Ton Harald Fock: ...und die sollte die neue Emanuelle werden. Emanuelle, das kennt man ja, dieser etwas erotische Film. Die hat von mir jeden Monat 4.000 DM bekommen und dann ist mir diese dumme Kuh abgehauen, weil da ist jemand aus der Branche gekommen, aus der Pornobranche, der hat ihr 10.000 geboten. Da war sie natürlich weg. Autor: So viel hat nicht geklappt. Doch er hat immer weiter gekämpft. Und jetzt? Da steht er mit leerem Magen in einer Seitenstraße von Palma de Mallorca und belagert Autofahrer. Warum tut er sich das an? Er, der so gut mit den Leuten kann, so gewissenhaft seinen Betteljob ausübt. Selbst mit seinen 61, ginge da in Deutschland nicht mehr? Nein, Fock will nicht zurück. Er hat einen ganz anderen Traum. Seine Gesichtszüge entspannen sich. 27 O-Ton Harald Fock: Ich möchte erreichen, Ende April nach Südfrankreich runterzugehen. Du das ist traumhaft da, du kommst da runter und da gibt es eine Fürsorgestelle, wenn die dich sehen, dass du da sitzt, dann fragen sie dich erstmal, die sprechen auch deutsch, hast du Probleme? Ich sag ja, ich lebe auf der Straße. Dann geben sie dir als Handgeld erstmal 70 Euro und bringen dir dreimal am Tag essen oder sie fragen dich, ob du irgendwo ins Hotel möchtest, das bezahlen die und ob du Arbeit haben möchtest und wenn die Fragen, ob ich Arbeit haben möchte, dann sage ich sofort ja. Egal welche, denn ich will ja arbeiten. Autor: Zweifel an diesem wunderbaren Ort lässt der deutsche Einparkhelfer nicht zu. Er will, dass es wahr ist, wahr wird. Er will hier raus. Allerdings gibt es noch einige Hürden. 28 O-Ton Harald Fock: Dafür brauche ich den Ausweis und dafür brauche ich Geld für die Fähre, denn ich muss erstmal von der Insel runter. Der Stefan besorgt mir ja eventuell den Ausweis, der muss ja zur Botschaft hin und dann kann er das vielleicht auch gleich regeln. 29 Atmo Friseur (darin: Kundengespräch/Nur Geräusch/Verabschiedung) 30 Atmo Effilierschere Autor: Ein Friseurgeschäft nur ein paar Blocks weiter. Stylisch, duftend, sauber. Ganz anders als draußen die Penner. Stefan, der Mann auf den sich die Hoffnung Harald Focks richtet, ist hier. Stefan Werner, Friseurmeister: Mitte vierzig, sportlich. Zwölf Jahre auf der Insel. Erfolgreich auf Mallorca, wo so viele Deutsche scheitern. Gerade verpasst er einer Kundin einen neuen Look. 31 1O-Ton Stefan Werner: Ich habe das Problem, bei den Jungs, die ich da hab, bei der Hälfte da fehlen die Zähne. Der älteste, den ich habe der ist 61 und die anderen sind so 25..... Autor: Seine Jungs, das sagt er oft, wenn er seinen Kunden erzählt, wie er den Obdachlosen in Palma Kleidung und Zahnbürsten bringt. Und mancher Kunde kümmert sich dann mit. Die Alteingesessenen, die deutschen Migranten, die Reichen aus dem Yachthafen: Sie spenden Geld und Sachen. Werner deutet auf zwei Plastiktaschen neben dem Eingang. 32 O- Ton Stefan Werner: Das sind Tüten von Kunden, da sind die Kleider drin, die mir die Kunden bringen. Das sind unterschiedliche Sachen, T-Shirts, Socken, Hosen und da habe ich jetzt wieder zwei Tüten bekommen. Autor: Zweimal die Woche geht Stefan Werner die Schlafplätze der Wohnungslosen ab. Er hat das zu seiner Mission gemacht. Es liegen immer mehr dort. In Spanien ist Wirtschaftskrise. Sein großes Projekt derzeit: Harald Fock von der Insel zu bringen. Am besten nach Deutschland, zurück ins soziale Netz. Aber, wenn Fock unbedingt will, auch nach Südfrankreich. Ein zweifelhafter Traum, meint Werner, aber immer noch besser als Mallorca. Wo es in seinen Augen eher die zupackenden, toughen Typen schaffen. Vorhin hat Werner wegen Fock mit dem Konsulat telefoniert. Kompliziert. 33 O- Ton Stefan Werner: Ich habe versucht jetzt ausfindig zu machen, wie wir den Pass organisieren können, wieviel das kostet, was wir dafür brauchen und jetzt wollen wir mal schauen, was er dazu sagen wird. Autor: Beim nächsten Termin wird seine Kundin dann erfahren, wie es weitergegangen ist mit Werners Schützling. Für heute ist sie erst mal zufrieden. Mit ihrem Haarschnitt und den Nachrichten von ganz unten. Auf Werner wartet schon die Nächste. Aber am Abend ist Harald Fock dran. 29 Atmo (1'40) Verabschiedung 30 Atmo Verlassen des Geschäfts 34 Atmo Betteln mit Ende no tenemos nada Das war das 35 Atmo Betteltour Straßenmusik Vie en Rose (28": Jetzt wohin?) 36 Atmo Betteltour Markus summt Vie en Rose (Ende: Lohnt sich nicht) Autor: Draußen hat sich der Himmel zugezogen. Feuchtkalt. Markus fröstelt, während er in der Innenstadt auf der Suche nach ein paar Cent umherirrt. Er versucht sein Glück bei drei eingemummten Frauen an einem Bistrotisch. 37 O-Ton Szene Markus Betteltour: Perdón, tiene 20 centimos, nada más no un millión. Muchas Gracias. Hat man doch schon mal ein bisschen - 25 Cent, das reicht - noch nicht. Autor: Eine halbe Stunde später hat er sein Tagesziel dann aber doch geschafft. 38 O-Ton Markus: 75 cent. Bis jetzt. Das reicht für einen Liter Wein morgen früh. Ein Liter kostet 68 Cent, den hole ich mir immer. Autor: Markus beschließt wieder zu dem kleinen Park mit dem Brunnen zurück zu kehren. Er wird schneller, als er die steinerne Bank unter den Palmen sieht. 39 O-Ton Markus: Zuhause. Ja! Meine Decken und noch ein bisschen was zu Essen. 40 O-Ton Markus: Ich habe mein Leben hier ganz gut im Griff und das reicht auch. Autor: Markus kuschelt sich wieder in sein Lager. Die Kälte. Eigentlich müsste er nicht frieren, nicht hungern. Auch auf Mallorca gibt es Herbergen für Obdachlose. Markus verzieht das Gesicht. Die kennt er schon. 41 O-Ton Markus: Ich war nur ein einziges Mal in einer Alberge und das hat mir nicht gefallen, weil die Vorschriften sowas von hoch sind, Alberge, das ist Ca L'ardiaca, das ist die größte Alberge. Ich bin froh, dass ich hier bin, hier lassen sie mich wenigstens in Ruhe. 42 Atmo Ca L'ardiaca (Rundgang/Treppen/Essraum) 43 O-Ton Biel Gelabert beginnt Rundgang (Hola qué tal) Autor: Ca L'ardiaca, die Obdachlosenunterkunft der Inselvewaltung liegt am nördlichen Stadtrand von Palma de Mallorca. Irgendwann kommt fast jeder hier durch, der ohne Bleibe auf der Insel lebt. Ein heruntergekommener Altbau. Biel Gelabert, ein untersetzter Mallorquiner mit modischer Hornbrille, leitet die Einrichtung. 1,2 Millionen Euro kostet der Betrieb hier im Jahr. 95 der 100 Plätze sind heute belegt. Gelabert inspiziert einen der Schlafsäle. Enggedrängt Stockbetten aus Stahlrohr, PVC-Boden. 44 O-Ton Biel Gelabert: Bueno, si quieres ver ... atendemos a la gente. VO.: Na gut, das hier ist der erste Trakt der Einrichtung. 22 Leute schlafen hier. Da schnarcht einer, der andere spuckt, Privatsphäre gibt's hier nicht. Aber gut, wir kümmern uns um die Leute. Autor: Nach dem Sozialgesetz der Balearen hat jedermann ein Recht auf ein Bett, Essen und Kleidung. Hinter dem Resopaltresen der Rezeption hängen die wenigen Regeln der Herberge gerahmt an der weißgetünchten Wand, auf Spanisch, Katalanisch, Englisch und Deutsch. 45 O-Ton Biel Gelabert: Tres normas básicas ... respete a la gente VO.: Es gibt hier drei Regeln. Keine Drogen in der Einrichtung, Rauchen nur an gekennzeichneten Orten und die Schließzeiten. Und die ungeschriebene Regel: gegenseitiger Respekt! Autor: Die deutsche Übersetzung ist wichtig. So an die 100 Deutsche kommen im Laufe eines Jahres hierher. Schlafen, essen, ziehen weiter. Sicher ist die Zahl der Obdachlosen aus Deutschland auf der Insel viel höher, meint Gelabert und tippt auf eine Liste am Tresen. Sie sind die drittgrößte Gruppe nach Spaniern und Marokkanern. Die Deutschen: Im Schnitt ein bisschen jünger als die obdachlosen Spanier. Sonst ganz ähnlich. Bis - auf eine Geschichte, meint Biel und lächelt amüsiert. 46 O-Ton Biel Gelabert: Todos los alemanes ... solo los alemanes VO.: Da gibt's was Komisches mit den Deutschen: Alle Deutschen sind, am Flughafen ausgeraubt worden. Wahrscheinlich gibt es da ein Gerücht, dass sie sonst nicht hier bleiben dürfen. Aber das ist Quatsch, jedermann kann hier schlafen. Aber sie erzählen das alle. Nur die Deutschen, kein Pole, kein Slowake, nur die Deutschen. Autor: Gelabert muss jetzt wieder in sein Büro im Obergeschoss. Dort hat er ein Gespräch mit einem mittellosen Mann aus Düsseldorf. Der will unbedingt wieder zurück. Er wird ihm vorschlagen, das Flugticket abzuarbeiten. 1 Atmo Brunnen Autor: Was die am Flughafen geklauten Papiere angeht, ist Harald Fock wohl die große Ausnahme unter den Deutschen. Er sagt, dass ihm sein Reisepass ausgerechnet im Obdachlosenheim geklaut worden ist. Monate lang war ihm das egal. Aber jetzt, wo er doch bald nach Südfrankreich weiterziehen will? Fock ist wieder zu seinem Schlafplatz zurückgekommen. 47 O-Ton Markus: Guten Abend junger Mann. Autor: Etwas früher als sonst. Gespannt, ob Stefan Werner mit den erhofften Neuigkeiten zu ihm kommt. Richtig gelohnt hat sich das Einparken heute nicht. 48 O-Ton Harald Fock: Etwas über sieben Euro, dünn, aber es reicht für den Tagesbedarf, für Zigaretten, für Wein mit Cola und dann habe ich mir heute Fischfilet gekauft und Muscheln, da in dieser Dose, Baguette - das muss reichen. 49 O-Ton Stefan Werner: (Harald) Hallo. (Stefan) Hallo Grüß dich, geht es dir gut (Harald) Naja. Autor: Harald Fock setzt sich auf das Mäuerchen, Stefan Werner, jetzt mit Wollmütze, geht vor ihm in die Hocke. Er hat schlechte Nachrichten. 50 O-Ton Stefan Werner: Ich habe heute Abend mit dem Konsulat telefoniert. Ich habe ihr den Fall erklärt, dass wir nur einen Führerschein haben und sie haben mir ganz klar zu verstehen gegeben, dass wir keinen Personalausweis und keinen Reisepass bekommen, wenn du nicht nach Deutschland zurückgehst. Weil du eine Abmeldebescheinigung in Deutschland, eine Anmeldebescheinigung in Spanien brauchst. Und das haben wir alles nicht. 51 O-Ton Harald Fock: Meine Mutter hat mich doch abgemeldet (Stefan) Hast du eine Abmeldebescheinigung? (Harald) Die habe ich natürlich nicht. Autor: Harald schaut starr auf Stefan Werner. Der sollte ihm doch helfen, nicht das. Sein Traum, Frankreich. Ausgeträumt? Und jetzt sagt Stefan auch noch, er soll nach Deutschland zurück. 52 O-Ton Stefan Werner: Ich helfe dir nach Deutschland. (Harald) Nach Deutschland will ich ja nicht, ich habe keine Lampe in Deutschland, gar nichts, ich habe keinen Bezug mehr nach Deutschland. Autor: Der Friseurmeister lässt nicht locker. Er hat schon mal einen nach Berlin vermittelt. Dem geht es dort ganz gut! Mit Wohnung und Job. Werner sagt, er kümmert sich um alles. 55 O-Ton Stefan Werner: Ich habe von Kunden Geld. Das Geld das fehlt, das lege ich drauf. Dann gibt es ein Ticket, one way, ich kann dir eine Riesentasche packen. Ich habe eine Komplettausstattung für Leute, die zurück wollen. Autor: Da kann auch Harald Fock nicht mehr Nein sagen. 56 O-Ton Harald Fock: Ich bin so ein Typ der spontan entscheidet und wenn ich eine Entscheidung treffe, dann steht die auch. Also für mich ist definitiv klar: Sobald er alles erledigt hat, sobald das Ticket da ist, freue ich mich auf einen Flug nach Berlin. 57 O-Ton Stefan Werner: Okay? Das ist ein Wort. Okay! Autor: Ein Obdachloser weniger auf den Straßen von Palma. Werners Augen leuchten, als er geht. Fock dagegen sieht erschöpft aus. Ein langer Tag, ein Abschied von seinem Traum und die Aussicht auf eine Reise ins Ungewisse. 58 O-Ton Harald Fock: Jetzt lege ich mich schlafen, jetzt ruhe ich mich aus, dann bereite ich mich auf den kommenden Tag vor, der hoffentlich positiv verläuft. Autor: Er schlüpft wieder unter seine Decken, die Plane. Wie jede Nacht. In Palma, im Park unter Palmen. Vielleicht ja nicht mehr lange. 59 O-Ton Harald Fock: Markus Bis morgen.