COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 01. August 2011, 19.30 Uhr Flussausbau Ost - Ein Fass ohne Boden wird gedeckelt Von Susanne Harmsen Atmo 01 Take 1 (Scheurle/Schuster) Einmal hat sich gezeigt, wir können Verkehr nicht herbeibauen. Und es sieht nicht gut aus gegenüber dem Steuerzahler, Projekte in die Welt zu setzen, die nicht genutzt werden. Ja, das ist absoluter Blödsinn. Man versucht hier, irgendwelche finanziellen Einsparungen vorzunehmen. Und das Schlimme ist, dass sich das auf die Wasserstraßen in den neuen Bundesländern konzentriert. Und man hier den Eindruck gewinnt, dass man eine ganze Region abhängen will. Spr. vom Dienst Flussausbau Ost - Ein Fass ohne Boden wird gedeckelt. Eine Sendung von Susanne Harmsen. Atmo 02 Sprecherin: Vor 20 Jahren beschloss die Bundesregierung großangelegte Verkehrsprojekte für die Deutsche Einheit. Neue Straßen und Schienen sollten Ost und West über die einstige Grenze hinweg wieder verbinden. Projekt Nummer 17 sah vor, auch die Flüsse im Osten auf Westniveau auszubauen. Sie befahrbar zu machen für Großmotorschiffe wie auf dem Rhein: 110 Meter lang, über 11 Meter breit. Nur gibt es im Osten keinen Fluss, der dem Rhein das Wasser reichen könnte, weder in der Breite, noch in der Tiefe. Atmo 03 Im Hafen Königs-Wusterhausen, südöstlich von Berlin, manövriert ein Schubboot. Das kleine wendige Dieselfahrzeug kann bis zu drei große Transportschiffe, sogenannte Leichter, vor sich herschieben. Diese fassen je vierhundert Tonnen Ladung und haben, ähnlich wie ein Eisenbahnwaggon, keinen eigenen Antrieb. Das ganze nennt sich dann Schubverband. Der Mann im Führerhaus fährt seit über 45 Jahren auf den ostdeutschen Wasserstraßen, wie die Flüsse und Kanäle im Fachdeutsch heißen. Binnenschiffer Gerhard Trillhase: Atmo weg Take 2: Wir haben unsere Schiffe den Wasserstraßen angepasst und heute ist das umgekehrt. Heute versucht man, die Wasserstraße den Schiffen anzupassen. Durch diesen massiven Wasserstraßenausbau, die wollen ja, dass hier Schubverbände bis 185 m fahren können, vom Rhein bis hierher. Oder Motorschiffe bis 115 Meter Länge. Ja, in so einem Motorschiff sind dann 1500 Tonnen drin, und wenn du jetzt so ein kleines Schiff hast, da sind 400 Tonnen drin, damit kannst du nicht mehr leben. Die Frachttarife bringen das nicht ein. Deswegen ist ja der Trend zu immer größeren Schiffen. Die fahren mit drei Mann 1500 Tonnen, wir mit zwei Mann vier, fünfhundert Tonnen, das rechnet sich dann nicht mehr. Sprecherin: auf Atmo 04 Seit dem Beschluss zum Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit, sind rund 3,7 Milliarden Euro in die ostdeutschen Wasserstraßen investiert worden. Flaggschiff ist das Wasserstraßenkreuz bei Magdeburg. In der europaweit längsten Kanalbrücke überqueren die Binnenschiffe im Mittellandkanal die Elbe, inzwischen eine Sehenswürdigkeit für Busladungen staunender Touristen. Doch schon 2001 zeigte sich, dass trotz der Milliardeninvestitionen der Warenverkehr auf dem Wasser im Osten stagniert. Auch Binnenschiffer Gerhard Trillhase, der sich über größere Schleusen natürlich freut, fragt sich, wo die Transporte bleiben: Atmo weg Take 3: Den Containerverkehr Richtung Berlin, den wollten sie ganz groß machen, da haben sie ein Terminal im Westhafen gebaut. Vor einem Jahr oder vor zwei Jahren war da schon ein großes Motorschiff, was dort zur Probe gefahren ist, der hat auch wieder aufgegeben. Ja und da frage ich mich, für ein großes Containerschiff in der Woche werden die Brücken auf eine Durchfahrtshöhe von 5,25 m angehoben, und die Wasserstraßen ausgebaut für Millionen und Milliarden, ob det det Wahre ist? Sprecherin: auf Atmo 05 Inzwischen sind diese Zweifel auch im Bundesverkehrsministerium in der Berliner Invalidenstraße angekommen, nun wird zurückgerudert. Vom Verkehrsprojekt 17, kurz VDE 17, werden nur die schon begonnenen Abschnitte nach Berlin und der Anschluss über den Oder-Havel-Kanal bis zur Oder für die Großmotorgüterschiffe fertig gebaut. Atmo weg Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle: Take 4: Mit der Planung dieser Projekte gingen Erwartungen einher, die sich so nicht erfüllt haben. Also ich selber bin überrascht, wie doch wenig Verkehr nach Berlin kommt auf der Wasserstraße. Und das ist jetzt, was wir in den neuen Bundesländern auch vorsehen, wir haben jetzt Kapazitäten bereitgestellt, und wir werden ja diese Projekte auch abschließen, und dann werden wir schauen, wie sich diese Kapazitäten füllen. Und wenn sich eines Tages diese gefüllt haben, dann werden wir auch an weitere Ausbauten denken. Sprecherin: Generelles Problem des Verkehrsministeriums ist das fehlende Geld. Für die Wasserstraßen bedeutet das, obwohl auf ihnen bundesweit über 10 Prozent aller Transporte fahren, bekommen sie nur 9 Prozent der Investitionen aus dem Bundeshaushalt. Eine nur scheinbar geringe Differenz, rechnet Jürgen Stamm vor, Professor für Wasserbau an der TU Dresden: Take 5: Mit der deutschen Einheit sind die Aufgaben eindeutig größer geworden und die Haushaltsmittel in dem Maße nicht mitgewachsen. Bei einer angenommenen Lebensdauer von wasserbaulichen Maßnahmen von, sagen wir, 80 Jahren, ergibt sich bei einem Anlagevermögen der Wasser- und Schifffahrts-Verwaltung von 40 Milliarden Euro ein jährlicher Ersatz-Investitionsbedarf von 500 Millionen Euro. Und da kommen noch einmal Ausbaumaßnahmen dazu in der gleichen Größe. Da haben sie einen Gesamtfinanzbedarf pro Jahr von etwa einer Milliarde Euro. Zur Verfügung standen bis 2008 so 5,6,700 Millionen Euro. 2009 und 2010 waren es wegen der Konjunkturpakete eins und zwei mehr. Das sind ja Riesenzahlen, aber dennoch liegen sie unter dem Gesamtinvestitionsbedarf. Und das heißt, Ersatz und Ausbau der Wasserstraßen, gleichzeitig in Ost und West, ist nicht finanzierbar. Und richtig ist, dass deshalb in der jüngeren Vergangenheit Ersatzinvestitionen in den alten Bundesländern verschoben wurden, zugunsten von Investitionen in den neuen Bundesländern und den Ausbaumaßnahmen. Sprecherin: Einige hundert Millionen jährlich, die für Erhaltungsmaßnahmen an Rhein, Neckar und Mosel fehlen, damit soll laut Bundesverkehrsministerium jetzt Schluss sein. Anfang Mai dieses Jahres gab der Staatssekretär eine neue Netzstruktur bekannt, nach der die Wasserstraßen künftig mit Geld versehen werden. Und die Einteilung folgt nur einem Prinzip, Klaus-Dieter Scheurle: Take 6 Wir haben dort das Kriterium eingeführt, wo findet viel Verkehr statt, und wo findet wenig Verkehr statt. Haben wir an der beförderten Tonnage festgemacht. Warum? Weil wir sagen, das ist schon ein geeignetes Kriterium und zweitens es ist auch ein sehr leicht feststellbares und transparentes Kriterium. Sprecherin: Vorrang im Netz haben demnach Wasserstraßen, auf denen mehr als zehn Millionen Tonnen Fracht pro Jahr unterwegs sind. Das sind hauptsächlich der Rhein mit seinen Nebenflüssen und der Mittellandkanal. Andere Strecken, auf denen weniger als eine Million Tonnen Güter pro Jahr transportiert werden, heißen nun Randnetz und werden nur noch instand gehalten. Die Verkehrsminister der Länder haben die neue Netzstruktur heftig kritisiert. Im Verkehrsausschuss des Bundestages fordern die Vertreter der Regierungskoalition nun, zusätzliche Kriterien, wie etwa Transportprognosen einzubeziehen. Auch der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt lehnt die Pläne aus dem Bundesverkehrsministerium ab. Wolfgang Duffner: Take 7 Das Ziel des Projektes 17 war die Anbindung des ostdeutschen Raumes an das europäische Wasserstraßennetz. Das heißt, die vollwertige Anbindung für das Großmotorgüterschiff und den großen Schubverband, also Schiffe, die durchaus im gesamten Wasserstraßenraum der Bundesrepublik sonst verkehren, wobei wir von Europa reden müssen, Deutschland ist nicht allein. Und insoweit brauchen wir da den vollwertigen Anschluss. Sprecherin: Auf Atmo 04 Der Verband der Binnenschiffer fühlt sich vom Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer im Stich gelassen. Es sei falsch, anhand der heutigen Transportmenge auf Elbe, Havel, Oder und ihren Kanälen über die künftigen Investitionen zu entscheiden, weil überall noch Nadelöhre den Weg versperren für die großen und kostengünstigen Schiffe. Erst wenn ausgebaut ist, könne man absehen, wie viele Güter auf dem Wasser fahren, sagt Wolfgang Duffner. Atmo weg Take 8 Man schaue einmal, da wo es fertig ist, und wo der Anschluss an das Wasserstraßennetz gegeben ist, also in den Großraum Magdeburg, mit den Kanalhäfen Vahldorf, Bülstringen, Haldensleben, was sich dort alles angesiedelt hat. Und welche riesigen Umschlagsmengen inzwischen dort realisiert werden. Jahr für Jahr mit steigender Tendenz. Und die Magdeburger Schleusen profitieren. Und werden das mit Vollendung der Niedrigwasser-Schleuse nächstes Jahr noch in einem viel stärkerem Maße können. Sprecherin: Auf Atmo 06 Über 80 Prozent aller Binnenschifftransporte finden rund um den Rhein statt. Trotz der Neubauten am Mittellandkanal. Ist also Flaute im Osten? Im Hafen Königs- Wusterhausen läuft das Geschäft, obwohl keine Großmotorschiffe fahren. Von hier aus versorgt Vattenfall sein Berliner Kraftwerk Rummelsburg mit einer Million Tonnen Braunkohle jährlich, die per Zug aus der Lausitz kommen. Und auch andere Unternehmen lassen sich vom Wasser aus beliefern. Binnenschiffer Gerhard Trillhase: Atmo weg Take 9 Gerade heute Morgen ist ein Schubverband mit Schrott Richtung Peine abgefahren, den haben sie beladen. Die Woche davor hatten wir Klinker für das Zementwerk Rummelsburg, jede Woche sind das auch noch einmal so 1200 Tonnen. Dann kommen zwischendurch Schiffe von Stettin mit Dünger, der wird hier auch ausgeladen. Dann haben wir hinten noch ein Biomassekraftwerk, da werden immer Holzspäne oder andere Holzreste gelöscht, dass verheizen die ja dann gleich. Sprecherin: Auf Atmo 06 Der Hafen Königs-Wusterhausen gehört zur Logistik- und Transportgesellschaft, kurz LUTRA. Am Kreuzungspunkt von Straße, Schiene und Wasserweg bekommt der jeweils kostengünstigste Anbieter den Auftrag. Geschäftsführer Reinhard Schuster: Atmo weg Take 10 Selbstverständlich werden wir die Wirtschaftskraft, wie sie der Rhein mit sich bringt, nicht erreichen können. Wir haben hier einen Anteil der Schiffstransporte zum gesamten Verkehr von unter drei Prozent. Das ist gegenüber den Verhältnissen auf dem Rhein sehr sehr wenig. Aber wir müssen uns vorstellen, wenn es uns gelingt, diesen Anteil in den nächsten Jahren nur zu verdoppeln, haben wir die Straße in dieser Region um vielleicht weitere sieben, acht Millionen Tonnen entlastet. Und das ist, glaube ich, wichtig. Sprecherin: Auf Atmo 07 Bundesweites Ziel ist es, den Anteil der Gütertransporte per Schiff von 10 auf 14 Prozent zu steigern. Das entlastet die Straßen und das Klima, weil ein Schiff viel weniger Treibstoff verbraucht. Denn selbst ein kleiner Schubverband kann so viel transportieren wie 50 LKW. Reinhard Schuster plädiert für das Schiff: Atmo weg Take 11 Wenn wir die Transporte, die von uns aus nach Berlin laufen, betrachten, dann muss man sich einmal vorstellen, dass über eine Million Tonnen Kohle mit dem LKW nach Berlin transportiert werden. Ich glaube, dass das nicht den Effekt bringt, den man sich wünscht. Und dass das zu einer Belastung führt, zu Staubentwicklungen führt, zu Ärgernis an jeder Ampel, hier ist mit Recht der Weg der Binnenschifffahrt gewählt worden. Das Binnenschiff ist von der Belastung her dreimal so günstig wie der LKW, und zu einem Drittel günstiger als der Verkehrsträger Bahn. Sprecherin: Ausgerechnet die Umweltschützer melden hier aber Protest an. Flussexperte Winfried Lücking vom BUND: Take 12 Das Binnenschiff ist dann ein umweltverträgliches Verkehrsmittel, wenn es den Fluss so nutzt, wie er ist. Da aber die Forderung der Schifffahrt dahin geht, dass sie immer größere Schiffe haben wollen, und die dann nur fahren können, wenn der Fluss weiter begradigt und vertieft wird, wird aus den Flüssen eigentlich nichts anderes als ein Kanal. Und dadurch greift man letztendlich eigentlich sehr stark in die Flussökologie ein, und dann ist das Schiff nicht mehr umweltfreundlich. Der umweltfreundlichste Verkehrsträger ist eindeutig die Bahn. Braucht am wenigsten Fläche, ist vom Energieverbrauch sehr ähnlich wie die Binnenschifffahrt aufgestellt. Wenn es Möglichkeiten gibt, LKW-Ladungen zu reduzieren, ist es in der Regel immer die Bahn, die das machen kann, weil sie natürlich viel besser in der Fläche vernetzt ist, als das Schiff. Und das Schiff tritt eigentlich immer als Konkurrent zur Bahn auf. Sprecherin: Auf Atmo 08 Daher unterstützen die Umweltschützer die neue Netzstruktur aus dem Bundesverkehrsministerium. Schon vor 20 Jahren hatten sie das Verkehrsprojekt VDE 17 als überdimensioniert kritisiert. In den vergangenen zwei Jahren haben die andauernden Proteste erste Erfolge erzielt. So konnten die Umweltschützer entlang der Havel, dort wo die ganz großen Schiffe zum Westhafen nach Berlin fahren sollen, einiges zugunsten der Natur und des Flusses erstreiten. Winfried Lücking: Atmo weg Take 13 Wir haben, glaube ich, ein ganz guten Kompromiss hier an der Unteren Havel finden können. Im Zusammenhang mit dem Ausbau von VDE 17, wo wir gesagt haben dann letztendlich, ja o.k., macht die Vertiefung, wenn es denn sein muss, aber dafür wollen wir eine ökologische Aufwertung. Und die ökologische Aufwertung in diesem Sinne sieht zum Beispiel aus, dass Uferbefestigungen zurückgebaut werden, dass Flachwasserzonen geschaffen werden, und dass eine biologische Durchgängigkeit geschaffen wird. Wenn man das dann berücksichtigt, haben wir neben dem Ausbau auch eine ökologische Aufwertung und damit können wir sicherlich leben. Sprecherin: Auf Atmo 08 Den Fluss nicht nur als Wasserstraße zu behandeln, sondern als Ökosystem voller Leben, zeitigt erste Erfolge. So haben sich Biber wieder bis ins Berliner Stadtgebiet vorgewagt und dank Fischtreppen an all den Schleusen im Fluss, kommen auch Wanderfische wie der Lachs zurück in die Brandenburger Gewässer. Mit dem kombinierten Argument aus fehlender Wirtschaftlichkeit und drohender Umweltzerstörung gelang es einer Bürgerinitiative in Kleinmachnow, südlich von Berlin, den geplanten Ausbau ihrer Schleuse im Teltowkanal zu verhindern. Dabei ist das aufwändige Planfeststellungsverfahren für eine 190 m lange Schleuse, anstelle der alten, 85 Meter langen, seit 2002 abgeschlossen. Zuerst alarmierte ein Biologe seine Nachbarn. Durch seine Arbeit kannte er sowohl die wertvolle Natur entlang des 1906 gebauten Kanals, wie auch die Baupläne für die neue Riesenschleuse. Gerhard Casperson: Atmo weg Take 15 Der Teltow-Kanal, sollte ja nicht weiter ausgebaut werden, d.h. die großen Schiffe können gar nicht in den Teltow-Kanal einfahren. Und deshalb ist es unsinnig, eine Schleuse zu bauen für Schiffe, die gar nicht fahren können. Man hat ja 1906 diese Sache gebaut, da hat man zum Teil auch Dünenlandschaften geschaffen, man hat Sand aufgefüllt. Und in diesen Dünenlandschaften ist eine ganz seltene floristische Vielfalt entstanden. Oder die Waldgebiete, sind ja 100 Jahre jetzt alt und haben einen alten Baumbestand der sehr schön ist, und dazu auch die Fauna, dass es ein wunderbares Erholungsgebiet geworden ist. Was wir besonders um die Schleuse und den Kleinmachnower See haben, sind die Fledermäuse. Wir haben seltene Käferarten an den alten Bäumen. An solch einer alten Eiche sind bis zu hundert verschiedene Käferarten zu finden. Also das ist doch ganz erstaunlich. Und wir versuchen diese alten Bäume auch zu erhalten. Sprecherin: Auf Atmo 09 Engagiert in der Bürgerinitiative ist auch Gerhard Hallmann, Ingenieur für Luftfahrt. Obwohl durchaus technikbegeistert, hält er Augenmaß für angebracht, beim Zusammenspiel von Wasser und Transport. : Atmo weg Take 16 Wir sind keine Totalverweigerer, wir sehen in bestimmten Rahmen die Vorteile der Binnenschifffahrt. Wir sehen auf der anderen Seite auch, dass man Bedingungen schaffen muss, dass dieser Verkehrsträger wirtschaftlich agieren kann. Und das ist nicht der Ausbau, sondern man müsste eine andere Schiffsklasse schaffen, die Schiffe müssten modernisiert werden, damit sie den Umweltanforderungen überhaupt genügen, es gibt keinen LKW, der so alt ist wie so ein Schiff und keine Lokomotive, auch nicht. Und wenn man dann diese Klasse der Boote so gestaltet, dass er bei jedem Wetter fahren kann, auch wenn Nebel ist und dass er Beladetechnik hat, dass er keinen Hafen braucht sondern nur eine Anlegestelle. Die großen Schiffe - welches Unternehmen lässt es sich denn gefallen, wenn so ein Riesenschiff vier Wochen irgendwo liegen muss, bis es beladen ist? Das lässt nicht einmal VW zu. Sprecherin: Auf Atmo 06 Nun wird die Schleuse also nur saniert, nicht erweitert. Nutzer des Teltowkanals sind darüber enttäuscht, weil sie das letzte Nadelöhr für die Super-Schubverbände von 185 Meter Länge ist, um zum Beispiel den Hafen Königs-Wusterhausen erreichen zu können. Mit 350 Arbeitsplätzen und 45 Millionen Euro Investitionen im Hafen argumentiert Geschäftsführer Reinhard Schuster gegen die Sparpläne des Bundesverkehrsministeriums, das die Südumfahrung Berlins abschreibt: Atmo weg Take 17 Man muss die Möglichkeiten offen lassen, dass auch in diesem Bereich der Anschluss an das europäische Standardprogramm möglich ist. Also wir sehen einen ganzes realistischen Bedarf der zusätzlichen Frequentierung des Teltowkanals von 4,5 Millionen Tonnen. Damit würden wir in der Summe weit über fünf Millionen Tonnen kommen, die dann diese Wasserstraße passieren. Und damit würde diese Wasserstraße auch insgesamt volkswirtschaftlich an Bedeutung gewinnen. Das ist keine unrealistische Prognose, sondern das sind konkrete Ansagen der Wirtschaftsunternehmen, wie sie letztendlich das Binnenschiff nutzen würden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Sprecherin: Eben an diesen Rahmenbedingungen haben die Ausbaugegner so ihre Zweifel. Solange der LKW-Transport so billig ist, trotz der Umweltschäden, die zum Beispiel durch den Spritverbrauch und die Luftverschmutzung entstehen, und solange Güter auf Straße und Schiene nur Stunden fahren, während das Binnenschiff Tage unterwegs ist, würden selbst Großmotorgüterschiffe das Nachsehen haben. Welche Zukunft hat die Binnenschifffahrt unter diesen Bedingungen? Jürgen Stamm von der TU Dresden: Take 18 Das Binnenschiff eignet sich natürlich für den Transport von Massengütern, aber wir sehen auf allen Wasserstraßen auch eine deutliche Zunahme des Containerverkehrs. Wir haben auch Spezialtransporte, die so überdimensional große Stückgüter transportieren, die sie einfach auf der Straße mich transportieren können. Denken Sie an diese Windräder, an große Turbineneinheiten, an große Silos, wie sie nur auf der Wasserstraße transportiert werden können, oder an Güter, die besonders gefährlich sind. Weil die Wasserstraße ist auch mit der sicherste Verkehrsträger. Von daher: es gibt auch weiterhin Sinn, Wasserstraßen auszubauen, nicht überall, und natürlich auch angepasst an die Natur, aber grundsätzlich kann man nicht sagen, wir bräuchten keine Schifffahrt mehr. Auch nicht im Osten, das wäre wohl sicherlich falsch. Sprecherin: Auf Atmo 04 Eben im Osten aber soll nun Schluss sein mit dem weiteren Ausbau. Den Streichungen fällt neben der Südumfahrung Berlins auch der Bau eines Saalekanals zum Opfer, auf den der moderne Hafen Halle seit Jahren wartet. Jürgen Stamm: Atmo weg Take 19 Die Saale ist zwischen Halle und Calbe staugeregelt, schon seit Jahrzehnten. Und eben die letzten 20 km von Calbe bis zur Mündung in die Elbe ist sie freifließend und hat dort geringere Wassertiefen. Und jetzt haben wir genau wieder dieses berühmte Nadelöhr. Aber alle Anstrengungen des Verkehrsministeriums, eine technisch wie ökologisch optimierte und dennoch wirtschaftliche Lösung zu finden, blieben bislang ohne Erfolg. Rechtfertigt eine Verlagerungsmenge von ca. eins bis 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr den Ausbau der Wasserstraße? Hierzu gibt es bestimmt unterschiedliche Meinungen. Sprecherin: Auf Atmo 04 Der Bundesverband der Binnenschifffahrt ist natürlich für den Kanal, schließlich sind schon viele Millionen Euro in den Hafen Halle geflossen. Allerdings gibt es die Großindustrie nicht mehr, wie zu DDR-Zeiten, die Massengüter wie Kohle und Baustoffe braucht. So plädiert der Verband stattdessen für Containertransporte per Schiff, die benötigten auch die heutigen Firmen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Atmo weg Die Umweltschützer indes sehen mehr Transporte durch mehr Flussausbau nicht nur am fehlenden Geld scheitern. Klimaprognosen sagen vorher, dass den Mittelgebirgsflüssen im Osten Wassermangel bevorsteht. Dann aber läuft auch die Schifffahrt auf Grund. Auch Wissenschaftler raten zur Konzentration auf Kernstrecken für die Binnenschifffahrt. Selbst wenn teilweise Investitionsruinen drohen, sei es an der Zeit, sich von einigen Strecken zu verabschieden, sagt Jürgen Stamm von der TU Dresden: Take 21: Zum einen sehe ich das ganz konsequent, also ob Ost oder West ist hier völlig irrelevant, auf der Leine, aber auch auf der Aller, auf der Fulda, auf der Werra, der Lahn, finden keine Transporte mehr statt. Und hier muss man überlegen, welche touristische Zukunft haben diese Flüsse. Also ich denke, wir müssen nicht zwangsweise mit jedem beliebig großen Schiff auf die kleinen Flüsse, und die entsprechend massiv ausbauen, sondern wir haben da durchaus ein sehr touristisches Nutzungspotential. Sprecherin: Die neue Netzstruktur des Bundesverkehrsministers beinhaltet aber weit mehr als nur die Absage einiger Ausbaumaßnahmen. Sie ist Grundlage für einen Umbau der gesamten Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Deutschlands. Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle: Take 22 Dort wo, in dem Sinne wie ich es eben beschrieben habe, viel Verkehr stattfindet, diese Wasserstraßen müssen aufrechterhalten bleiben. Dann haben wir natürlich Wasserstraßen, die wenig benutzt werden. Und auf diesen Wasserstraßen werden wir die Kräfte eher etwas abziehen, insbesondere dort, wo gar keine Berufsschifffahrt mehr stattfindet, werden wir natürlich die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung schon deutlich zurücknehmen, oder dort, wo nicht mehr sehr stark neu gebaut wird, brauchen wir auch keine Neubauämter. Sprecherin: Auf Atmo 10 Seit 1990 sind deutschlandweit 5000 Stellen in den Wasser- und Schifffahrtsbehörden abgebaut worden. Das war Teil der bundesweiten Verwaltungsreform, führte aber dazu, dass in den weit verzweigten Ämtern viel zu wenige Mitarbeiter für die anstehenden Aufgaben verblieben sind. Im Berliner Wasser- und Schifffahrtsamt sind noch 460 Leute bemüht, das zu bewältigen, was eigentlich für 850 bemessen ist. Die Beschäftigten haben schon vielfach Vorschläge gemacht, wie ihre Aufgaben besser zu organisieren wären, fühlen sich jedoch von der Leitungsebene bis ins Ministerium nicht ernst genommen. Dort ist unter anderem die Zusammenlegung der Wasserstraßenämter Berlin und Magdeburg in der Diskussion, damit Leute frei werden, die zum Beispiel am Rhein aushelfen. Daher fürchtet man im Ministerium, der Widerstand der Beschäftigten sei in erster Linie eigennützig. Doch so einfach sei das nicht, meint Personalratsvorsitzende Christel Björkmann: Atmo weg Take 25: Ich habe überhaupt keine Idee, wie das zu realisieren ist. Weil schon jetzt die Aufgaben gar nicht mehr ordnungsgemäß durchgeführt werden können. Ich kann mir nur vorstellen, dass man eben, durch eine systematische Aufgabenkritik also sagt, die und die Aufgabe wird nicht mehr gemacht oder dann eben in einem anderen zeitlichen Abstand. Was dann aber eben auch zu Lasten ginge von Sicherheit und Leichtigkeit der Schifffahrt, was ja unser oberstes Gebot ist. Es wird immer Aufgaben geben, die wir wahrnehmen müssen, also hier Hochwasserschutz, Eisbekämpfung im Winter, da wird einfach Personal gebraucht. Ansonsten geht das zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger, die am Wasser wohnen, oder zu Lasten des Landes, der Uferbefestigungen, der Anlagen und so weiter und so fort. Sprecherin: Auf Atmo 10 Schon jetzt seien 100 Kilometer der Berliner Wasserstraßen in so schlechtem Zustand, dass sie eigentlich gesperrt werden müssten, unter anderem auch die Spreeufer am Reichstag. Und der Bund als Eigentümer sei nun einmal in der Pflicht, seine Wasserstraßen in Schuss zu halten, auch wenn kein weiterer Ausbau stattfindet. Obwohl die Umweltschützer gegen den weiteren Flussausbau sind, wollen sie doch mehr Personal für die Wasserstraßenämter. Das scheint paradox, hat aber mit den gewachsenen Aufgaben der Ämter zu tun. Zunehmend sollen sie nämlich auch den Wasserhaushalt und die Lebensräume entlang der Ufer pflegen. Dafür aber fehlen ihnen die richtigen Mitarbeiter, meint Winfried Lücking vom BUND: Take 27: Ich sehe im Moment, dadurch, dass wir eigentlich auch im Bereich der Wasser-und Schifffahrtsverwaltungen jetzt die Aufgabe haben, dass sie zuständig sind für die Gewässerökologie, dass sie natürlich auch dafür stark gemacht werden müssen. Auch mit Fachpersonal, dass sie auch diese Aufgabe umsetzen können. Auch da haben wir großen Mangel. Aber auch eine große Chance gerade in dieser Umstrukturierung, die angedacht ist, in der Wasser-Schifffahrtsverwaltung, auch entsprechend das Personal zu verstärken, dass diese Maßnahmen auch im ökologischen Bereich mit entsprechendem Fachpersonal vorgenommen werden können. Sprecherin: Ende Juni diskutierte der Verkehrsausschuss des Bundestages die neue Netzstruktur für die Wasserstraßen. Trotz aller Widerstände von Schifffahrt und Ländern bleibt es dabei, dass der Rhein und seine Nebenflüsse, der Mittellandkanal und der Verkehr zu den großen Seehäfen Vorrang bekommen. Staatssekretär Klaus-Dieter Scheurle hat es eilig: Take 28: Wir haben uns vorgenommen, bis Ende nächsten Jahres die Konzeption vorliegen zu haben und dann mit der Umsetzung zu beginnen. Das bedeutet, dass wir dieses Jahr eine Personalbemessung machen werden, eine Aufgabenkritik im Detail, so dass wir dann auch klar unterlegen können, welche Zusammenlegungen, erforderlich sind, und in welchem Maße wir Personal von A nach B auch verlagern sollten, oder gewisse Standorte eben mit mehr Personal versehen sollten, als das heute der Fall ist. Sprecherin: auf Atmo 11 Eine Konzentration auf das Wesentliche erscheint sinnvoll in Zeiten knapper Kassen. Zusätzlich will das Bundesverkehrsministerium auch Freizeitkapitäne mit Schleusengebühren sowie Wasserkraftwerke zur Kasse bitten. Ob die ostdeutschen Flüsse eine Chance auf kleinere angepasste Schiffe und mehr Freiheit für ihre Natur bekommen, verrät das Konzept noch nicht. Das entscheiden aber auch die vielen Menschen an und auf dem Wasser, die seine Zukunft mit gestalten. Atmo weg Sprecher vom Dienst Flussausbau Ost - ein Fass ohne Boden wird gedeckelt Eine Sendung von Susanne Harmsen Es sprach: Viola Sauer Ton: Alexander Brennecke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 3