KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur / Werkstatt Titel der Sendung : Neue Kicks für den Spielplan Theaterautoren im Aktualitätsdruck Autor : Anke Schaefer Redaktion : Kolja Mensing Sendetermin : Sonntag, 16. Juni 2013 / 0.05 Uhr Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Anmoderation Theater lieben Uraufführungen! In der vergangenen Spielzeit wurden allein im deutschsprachigen Raum mehr als 600 neue Stücke auf die Bühne gebracht. Besonders begehrt sind Dramentexte von jungen Schriftstellern und Schriftstellerinnen – und auf den ersten Blick werden die Spielpläne von nachrichtenaktuellen und betont wirklichkeitsnahen Stoffen beherrscht. Finanzkrise, Schulden und Arbeitslosigkeiten, Neonazis und soziale Netzwerke, Wutbürger und Patchwork-Familien: Theaterprogramme lesen sich wie die Inhaltsverzeichnisse von Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazinen. Doch wie erleben eigentlich Autoren und Autorinnen die erhöhte Nachfrage nach neuer Theaterliteratur? Und unter welchen ökonomischen und ästhetischen Bedingungen arbeiten sie selbst? Kann man vom Schreiben für die Bühne überhaupt noch leben? Diese Fragen wurden zuletzt auf dem „Stückemarkt“ des Berliner Theatertreffens diskutiert, der in diesem Jahr zum 35. Mal ausgerichtet wurde. Aus Anlass dieses kleinen Jubiläums haben junge Dramatiker, aber auch gestandene Schriftsteller und Schriftstellerinnen kurze Stücke geschrieben – die in der mittlerweile historisch anmutenden Kulisse der Berliner „Pan Am Lounge“ in Szene gesetzt wurden. Unsere Kulturreporterin Anke Schaefer hat die Spielpausen genutzt, um die Stimmungslage der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik zu erkunden und nach alten und neuen Utopien zu fragen. Hören Sie eine Sendung in unserer Reihe „Literatur“: „Neue Kicks für den Spielplan. Theaterautoren im Aktualitätsdruck“. ANFANG Atmo 1 auf der Terrasse / Stück „Verzeihung, Verzeihung, ich störe nur ungern, aber gibt es hier irgendwo eine Holzhandlung, eine Sägerei, einen Baumarkt.......?!“ (bleibt drunter) Autorin 1: Ein Mann mit Hut und Regencape auf der Terrasse der Pan Am Longe. 10 Stock. Der Blick über Berlin ist atemberaubend. Aber dafür hat der Mann keinen Sinn. „Der Gott“ hat ihm den Auftrag erteilt, eine Arche zu bauen. Eine Sintflut steht bevor. Der Mann sucht einen Baumarkt, um Holz zu kaufen. Atmo 2 - O-Ton Stück Zuversicht ist Ansichtssache und Zukunftsgläubigkeit nicht zeitgemäß! Für Sie ist in circa 40 Tagen alles vorbei, denn mir, dem aus unerfindlichen Gründen Auserwählten, ist es ausdrücklich nicht erlaubt, andere Menschen mit an Bord des Schiffes zu nehmen, das zu bauen ich leider nicht in der Lage sein werde, weil ich nicht über die geringste handwerkliche Begabung verfüge. Ich kann nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen! Atmo 3 Stück – bleibt drunter – geht unter Text über in Atmo 4 - Lounge Autorin 2: Thomas Jonigk hat dieses Kurz-Drama für den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens geschrieben. Das vorgegebene Thema: „Verfall und Untergang der westlichen Zivilisation?“, mit Fragezeichen. Ein Thema, das zum Ort des Jubiläums-Stückemarkts passt. Zur einst modernen und heute so altmodischen Pan Am Lounge. Einst, als es das alte West- Berlin – und die alten West-Utopien noch gab, trafen sich die Piloten und Stewardessen der amerikanischen Fluggesellschaft Pan Am hier auf ein Bier. weiterhin Atmo 4 A 4 Atmo Pan Am Lounge / leise Musik.... Atmo 5 Bei mir können Sie Euro in Dollar tauschen, mit denen Sie sich an der Bar dann Getränke kaufen können. (Atmo bleibt drunter) …dann wieder Atmo 4 Autorin 3: Die adrette Stewardess im hellblau-weißen Pan Am – Outfit wechselt echte Euro-Scheine in falsche Dollar-Noten. Die braucht man an diesen drei Tagen hier: An der Bar des Stückemarkts werden nur Dollar akzeptiert. Ein außergewöhnlicher Theaterort, diese Lounge. Hoch oben, im Eden-Hochhaus am Berliner Zoo. Gebaut 1966, der Name erinnert an das Luxushotel, das sich hier vor dem Zweiten Weltkrieg befand. Gleich neben den silbernen Fahrstuhl-Türen: die alten Holzschließfächer, in die die Piloten und Stewardessen ihre Wertsachen einschließen konnten. Wände aus rötlichem Backstein, niedrige Tische, grüne Sessel, die Lampen über der Bar tragen braune Kugellampenschirme. O-Ton 1 Thomas Jonigk Ich kann ja da jetzt nicht eine Analyse hinlegen, wie sind die Fakten, ich finde man muss die Lust am Spiel entwickeln und daher glaube ich, ist Komödie ein ganz guter Ausdruck um dieser Zwanghaftigkeit, auf das Ende zuzusteuern, entgegen zu gehen. Wdh. Atmo 4 Pan Am Lounge / leise Musik.... Autorin 4: Thomas Jonigk, heute erfolgreicher Autor, Regisseur und Dramaturg, sitzt mitten in der Lounge auf dem Podium und spricht über sein Arche- Noah-Stück. 1994 war er zum ersten Mal zum Stückemarkt eingeladen worden: O-Ton 2 T. Jonigk Ich fand das herrlich, das war im DT, die Lesung, das war das erste Mal dass ich meinen Namen annonciert sah. Ich hatte da noch keine Uraufführung gehabt. Und dann stand draußen am DT dran: „Thomas Jonigk: Rottweiler“ und dann bin ich sofort zusammen gebrochen und fand das großartig. Es war auch eine fantastische Lesung. Es war eine Lesung mit Sophie Rois und Michael Mertens. Und es gab schon bei der ersten Regieanweisung Lacher im Publikum und dann habe ich gedacht, das ist der richtige Beruf, als es war irgendwie eine gute Erfahrung! Wdh. Atmo 4 Pan Am Lounge / leise Musik.... Autorin 5: Thomas Jonigk ist nicht der einzige Autor, der den Auftrag bekommen hat, ein Kurz-Drama für den Jubiläums-Stückemarkt zu schreiben. Insgesamt 30 Dramatiker und Dramatikerinnen sind es. Ihre Texte hört man hier, in der Pan Am Lounge, inszeniert und gespielt von den großen Namen der Berliner Theaterszene: Unter den Regisseuren Stephan Kimmig. Unter den Schauspielern und Schauspielerinnen Susanne Wolf, Judith Engel, Ole Lagerpusch. Sie bespielen die Bar mit ihren hohen Lederhockern, das „Konferenzzimmer“, in dem ein langer, dunkler Holztisch glänzt, das „Kaminzimmer“ mit seinem offenen Kamin und den schwarzen Ledersesseln, die Suite im 8. Stock und – ja, eben auch die Terrasse. Break Atmo Übergang: von Atmo 4 Lounge zu Atmo 6 Terrasse – geht unter Text über in Atmo 7 Autorin 6: Draußen ist es Nacht geworden. Die Lichter Berlins funkeln in weiter Ferne. Und es stellt sich raus: Jonigk ist nicht der Einzige, der auf die vorgegebene, die große, existenzielle Frage danach, ob die westliche Zivilisation womöglich im Begriff ist, unterzugehen, mit einem Text antwortet, der sich von biblischem Personal inspirieren lässt... Thea Dorn, 1999 Teilnehmerin des Stückemarkts, lässt in ihrem Jubiläums- Werkauftrag Jesus auftreten - und auf den Titanen Prometheus treffen. Atmo 7: Stück Thea Dorn (ab 0’30 frei stehen lassen) Oh, oh (Schmerzensschreie) Am Felsen hängt der Gott, der nicht an Götter glaubt. Zuwider ist ihm all das himmlische Gebaren.... Am Kreuze hängt der Menschensohn, der Gott vertraut, der einz’ge Weg zum Licht, zur Rettung seiner Seel’, aus Demut, Reue wird ein neues Reich gebaut! (Stück noch als Atmo drunter lassen) Wdh Atmo 6 Atmo Terrasse Autorin7: Thea Dorns Stück changiert zwischen klassischer und moderner Sprache, holt die beiden antiken Protagonisten, Prometheus und Jesus, in die Gegenwart. O-Ton 3 Thea Dorn A 16 6:14 Warum mich diese beiden Figuren interessieren ist, dass ich den Eindruck habe, dass sie beide ihre Strahlkraft für uns verloren haben. Der flammend an die Emanzipation glaubende Mensch, was in die Gegenwart übersetzt ja heißt, der, der massiv an die Technologie, an den Fortschritt, an die Machbarkeit glaubt – da sind wir skeptisch geworden. Das klassische christliche Konzept – übt Demut, fügt Euch in Gottes Hand, da haben wir auch keine Anhängerschaft mehr. Und das wäre für mich auch der Grund einer gewissen Erstarrung oder Lähmung. Der Stückemarkt hat sich ja die Frage gestellt – „Untergang und Zerfall der westlichen Zivilisation?“ – und das wäre für mich, auch wenn ich es weniger pathetisch ausdrücken würde, das wäre für mich die Erstarrung dieser westlichen Zivilisation des Abendlandes, dass beide Prinzipien nicht mehr richtig funktionieren, ein drittes haben wir nicht. Wir wissen auch nicht, wie wir die beiden richtig in Relation setzen. Und das ist für mich aber die zentrale Frage, die mich beschäftigt, wenn ich mich mit unserer Gegenwart beschäftige. Atmo 8: Stück Thea Dorn Du Sündengärtner! Was? Sinn pflanzte ich ihm ein! Was taten die Menschen, bevor ich ihnen Sprache gab, wenn sie einander sagen wollten – ich bin dir gut? Was taten Sie bevor zum Ackerbau ich riet, wenn vorratslos sie vor dem Winter standen? Was taten Sie, bevor durch mich die Heilkunst kam, wenn Krankheiten sie überfielen, was? Taten sie? Sie beteten....? Ja! Zu Göttern, nicht minder ohnmächtig als sie selbst......! Wdh Atmo 6 Atmo Terrasse Autorin 8: Prometheus und Jesus in einem leidenschaftlichen Dialog. Oder: ein verzweifelter Mann, der eine Arche bauen will. Thea Dorn und Thomas Jonigk entwickeln Figuren – und beiden ist daran gelegen, zusammenhängende, unterhaltsame Geschichten zu erzählen. Das ist bemerkenswert. O-Ton 4 Jens Groß B5 4:15 Hat auch was zu tun mit der vergangenen Zeit der Postmoderne. Mit der Auflösung von Formen und logischen Erzählweisen. Mit einer neuen Sehnsucht nach dem Wieder- Erzählen von Dingen. Im Moment ist es schon - gegen den Mikrokosmos, der in den 80ern und 90ern von den Autoren kam, den Makrokosmos zu setzen: Den großen Epos, den großen Romanstoff, vielleicht sogar die Bibel, die großen archetypischen archaischen Sagen aufzunehmen, die großen welt-umfassenden Stoffe herzunehmen und sie für die Bühne zu übersetzen. Wdh Atmo 6 Atmo Terrasse Autorin 9: Jens Groß, noch Dramaturg am Berliner Maxim Gorki-Theater, bald am Schauspiel Köln. Er steht auf der Terrasse der Pan Am Lounge und sieht zu den beiden Schauspielern in ihren blutbefleckten Hemden hinüber, die gerade noch Prometheus und Jesus waren und jetzt Mineralwasser trinken. Neben ihm Thea Dorn. Sie nickt. Goethe, Schiller und Kleist hätten doch große Stoffe aufgegriffen, um ihre Gegenwart zu beschreiben. In unserer Zeit, sagt Thea Dorn, hätten das zuletzt Botho Strauß und Heiner Müller gemacht. Und danach? Postmoderne. Trümmer. Fragmente ... O-Ton 5 Thea Dorn Natürlich, wer will heute noch anfangen, 5-Akter oder ähnliches zu schreiben. Aber diese Formlosigkeit, das ist - glaube ich - kann ich für mich als Autorin sagen - ein Problem... wo ich denke, die Avantgarde hat so ziemlich alles ausprobiert, was ging. Das ist eine Sackgasse. Die Frage ist, wie kann man sich die großen alten Formen aneignen, dieser über 2000 Jahre alten Kunstform, ohne jetzt nur nostalgisch da Sachen zu zitieren, die da neo-antik oder was sind. Und da bin ich nicht sicher, ob das nur ein Autorenbedürfnis ist - ob das die Theater mitgehen? Das sind mir ganz unklare Fragen, wenn ich im Augenblick mich im Theater umschaue. BREAK Atmo 8 Terrasse mit Stimmen im Hintergrund Atmo 9 Glockenläuten auf Terrasse Autorin 10: Was wollen die Theater von ihren Autoren? Welche Inhalte? Welche Form? O-Ton 6 Jens Groß Das ist schwierig, weil es gibt keine normativen Vorschriften. Die Zeiten sind vorbei wo man wusste, wenn das und das erfüllt wird, dann wird es ein Erfolg oder nicht. Wdh Atmo 8 Terrasse mit Stimmen im Hintergrund (oder Atmo 6 Terrasse) (geht über in Atmo 10) Autorin 11: Dramaturg Jens Groß vom Gorki Theater in Berlin. Hier, auf der schmalen Holzbank, die sich vor der Glaswand auf der Terrasse entlang zieht, hat sich nach dem Jesus-Prometheus-Stück ein kleines Grüppchen Kritiker und Dramaturgen zusammengefunden. O-Ton 6a Matthias Günther Wir haben keine Matrix im Kopf, wie ein Stück auszusehen hat. Es gibt von uns keine spezielle Suchbewegung, sondern was uns interessiert, das sind Texte und Themen, die junge Leute für sich entdecken und mit jungen Leuten meine ich eine neue Generation. Atmo 10 ((aus Hotel Lobby – kommt hier aber gut)) Autorin 12: Matthias Günther von den Münchner Kammerspielen, die jedes Jahr den Förderpreis für Junge Dramatik vergeben. Im deutschsprachigen Raum werden so viele neue Stücke auf die Bühnen gebracht, wie nirgendwo sonst. Mehr 600 waren es in der vergangenen Spielzeit. Zwar werden Klassiker wie Shakespeare, Schiller oder Brecht weiterhin gespielt, aber der Prozentsatz der Ur- und Erstaufführungen liegt nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins bei fast 20 Prozent. Darunter sind auch Roman- oder Filmstoffe, die für das Theater adaptiert werden, oder Übersetzungen von zeitgenössischen Stücken aus dem Ausland, aber es waren allein hundert brandneue, deutschsprachige Stücke, die in der letzten Spielzeit uraufgeführt wurden. O-Ton 7 Stefan Keim Das ist ein Stück über eine Gruppe von Ärzten, Hirnforschern, die kein Geld mehr haben um weiterzuforschen. Um Investoren anzulocken, machen sie ein ultimatives Experiment und begeben sich damit in den Bereich der Kriminalität: Sie kidnappen einen Menschen, entnehmen ihm sein Gehirn und lassen ihn in seinem Hirn, in seinen Vorstellungen, entkörpert, weiter leben. Und sie haben eine Technologie entwickelt, dass die Leute sehen können, was in diesem Kopf passiert. Das ist eine Thriller-Geschichte, mit absurdem Humor und mir hat sie viel Spaß gemacht. Sie hat aber auch gesellschaftlichen Biss. Die These: Wissen Sie, damit könnten wir auch dem Problem der Überalterung der Gesellschaft Herr werden. Diese teuren alten Körper, die wir in den Heimen versorgen müssen. Wir entnehmen ihnen einfach die Gehirne und sagen, soundsoviel Jahre darfst du noch rein geistig weiter leben. Und die Leute merken es ja nicht, denn ihnen wird vorgegaukelt, es ist reales Leben. Wdh Atmo 10 ((aus Hotel Lobby – ) Autorin 13: Theaterkritiker Stefan Keim ist begeistert über das Stück, das der junge Autor Konstantin Küspert geschrieben hat – Titel: „Mensch-Maschine“. Es sind aktuelle und gefühlt wirklichkeitsnahe Themen, die zur Zeit auf deutschsprachigen Bühnen verhandelt werden. Hirnforschung, Finanzkrise und Schuldenproblematik, Einwanderung und Integration, Wutbürger, Terror, Gender-Themen, Patchwork-Familien, Gewalt gegen Kinder. O-Ton 8 Stefan Keim Nämlich Sexueller Missbrauch. Also da merkt man, dass die Fritzel Affäre, oder der Skandal um die Odenwaldschule, und da merkt man dass das in den jungen Autoren gearbeitet hat. Aber auch in Elfriede Jelinek. Und dass das dann mit der üblichen Verzögerung von zwei bis drei Jahren den Weg auf die Bühne gefunden hat. Break/Pause: Atmo 11 – Terrasse leise Autorin 14: Kritiker und Dramaturgen lassen den Blick von der Terrasse der Pan Am Lounge weit über den nächtlichen Berliner Westen schweifen. Rechts im Bild: Die eingerüstete Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. O-Ton 9 Jens Groß Natürlich haben wir heute, sagen wir mal, Theatersprachen entwickelt, die nicht mehr auf einen Dialog angewiesen sind. Da gibt es viele Möglichkeiten, was es den Autoren nicht einfacher macht, weil die große Freiheit ist ja nicht unbedingt immer gleich ein Gewinn, sondern das macht es den Autoren auch schwer. Wdh Atmo 11 – Terrasse leise Autorin 15: Formal will sich Dramaturg Jens Groß nicht festlegen. Die große Freiheit also. Dass die Autoren im deutschsprachigen Raum durchaus in der Lage sind, diesen Freiraum zu nutzen, das merkt man an den Kurz- Beiträgen, die die 30 Autorinnen und Autoren zum Thema „Verfall und Untergang der westlichen Zivilisation?“ in diesem Jahr für den Stückemarkt geschrieben haben. Stefanie Hoster, Hörspiel-Leiterin bei Deutschlandradio Kultur hat sich zu uns auf die Terrassen-Holzbank gesetzt. Sie hat alle Texte gelesen, auf der Suche nach neuem Material: Wdh Atmo 11 – Terrasse leise O-Ton 10 Stefanie Hoster Ich fand es erstaunlich amüsant. Ich fand, dass die Autoren sehr schön spielerisch damit umgegangen sind und sich zum Teil auch selbst veräppelt haben oder – das Theater veräppelt haben. Und auf der anderen Seite gab es auch philosophische Texte oder denkende Texte. Und das ist ja eine Art zu schreiben heute, wo man gar nicht mehr genau weiß, für welche Form geschrieben wurde. Ob das im Theater enden soll oder im Roman. Im Unterschied zu früher, wo viel mehr szenische Rollenverteilungen da waren, auf Menschen, die miteinander reden. Das Ganze war für mich doch ein Überblick über das dramatische Schaffen. Selbst diese 30 Kurztexte haben ein bestimmtes Zugehen auf Welt und Gesellschaft gezeigt. Wdh Atmo 8 Atmo Terrasse geht über in.... Atmo 12 O-Ton aus Stück von Elfriede Jelinek (steht frei von 0’13 – bis 0’46…. …dann drunter lassen) Sie Mensch…. …sich zu offenbaren… Autorin 16: Drei Frauen in kitschigen Cocktail-Kleidern, mit Hütchen und Handschuhen, sitzen an einem Esstisch in der Pan Am Suite. Im 8. Stock des Eden-Hochhauses am Berliner Zoo. Über ihren Köpfen prangen auf dem glänzenden Holzfurnier drei Uhren, die drei verschiedene Zeiten zeigen: Berlin, Moskau, Washington. Atmo 13 O-Ton aus Stück von Elfriede Jelinek steht freit von 0:11 – Stimmen vom Tape – bis 0’59 „als eingebildeter Hinsteller“ (dann drunter lassen) Autorin 17: Die drei unterhalten sich, aber manchmal bewegen sie auch nur die Lippen zu einem Text, der aus einem Kassettenrekorder scheppert. „Prolog?“ heißt das Stück, mit Fragezeichen. Elfriede Jelinek, die 1978 zum Stückemarkt eingeladen war, hat es für die Jubiläums-Ausgabe des Autorentreffens geschrieben. Es gehört in seiner sprachlichen Rätselhaftigkeit sicher zu den anspruchsvollsten Arbeiten des dreitägigen Theater-Marathons, in Szene gesetzt von Christoph Mehler und Philipp Preuss. Der Untergang der westlichen Zivilisation, so scheint Elfriede Jelinek sagen zu wollen, findet zwischen den Zeilen statt, im Suchen nach Identität, im Reden und im Schweigen, im Hörbaren und im Unhörbaren... - O-Ton 11 -- SZ Kritikerin Christine Dössel Das war so ein kleines Stück, aber das war typisch Jelinek, wie sie mit der Sprache umging. Ich fand das sehr schön in Szene gesetzt, als Kaffeekränzchen dreier Frauen, die aber nicht eigentlich reden... zwischendrin wurden die ja synchronisiert und wurden nur mit ihren Playbackstimmen gesprochen. Das hat das sehr verdeutlich, wie die außer sich waren, wie mit ihnen geredet worden ist. Was sehr gut passt, zu der Art wie Jelinek schreibt, dass die Sprache selbst die Hauptfigur schon ist und die Figuren, die sprechen, dass die passiv geführt werden durch die Sprache – und die Sprache ist übermächtig, übermenschlich und übermächtig. Autorin 18: Christine Dössel, Kritikerin der „Süddeutschen Zeitung“, steigt in den Fahrstuhl, der uns aus dem achten wieder hoch in den zehnten Stock bringt, in die Lounge. Atmo 14 Stimmen im Fahrstuhl / oben in Lounge - frei ab 0’14: Türen öffnen sich -- Hallo, willkommen, gleich geht’s los, in 10 Minuten ungefähr noch! (dann drunter lassen) …unter Text übergehend in Wdh Atmo 4 (Lounge) Autorin 19: Diesmal empfängt uns ein Pan-Am-Steward mit nettem Flugbegleiter- Lächeln. Umringt wird er von seinen Kolleginnen, deren hellrot geschminkte Lippen im starken Kontrast zu den blauen Röcken, den weißen Blusen und den blauen Hütchen stehen. Schade, dass Elfriede Jelinek nicht nach Berlin gekommen ist, um das hier zu erleben. Sie reist nicht gerne. 1978 war sie eine neue, noch ganz unbekannte Stimme. Heute ist sie Nobelpreisträgerin. O-Ton 12 -- Christine Dössel Jelinek wird ganz viel nachgespielt! Früher war Jelinek sperriger, inzwischen hat sie sich mit ihren Stücken sehr durchgesetzt. Jetzt ihr neues Stück „Faustin and out“, das wird auf vielen Bühnen gespielt und steht auch in der nächsten Spielzeit auf vielen Spielplänen. Wdh Atmo 4 Lounge Autorin 20: Es dauert noch, bis hier, hoch über den Dächern von Berlin, das nächste Stück beginnt. Christine Dössel setzt sich an eines der Lounge- Tischchen, neben Matthias Günter, den Münchner Dramaturgen. Für „Faustin and out“ hat sich Elfriede Jelinek nicht nur von Faust und Gretchen inspirieren lassen, sondern auch von der Affäre um Josef Fritzel, also dem Mann seine Tochter im Keller eingesperrt und missbraucht hat. „Faustin and out“, ebenso wie „Prolog?“, das gerade gesehene Kurz- Stück für den Jubiläums-Stückemarkt, sind keine klassischen, dialogisch aufgebauten Theaterstücke. O-Ton 13 Matthias Günter Frau Jelinek schickt exakt 129 Seiten, an jedes Theater, das ist so eine Durchschnittsgröße, es gibt keine Rollenzuschreibungen, das heißt, man hat einen großen Fließtext, der gelegentlich unterbrochen wird durch eine sehr vage Beschreibung, wer da jetzt spricht und das ist die Möglichkeit des Theaters da hinein zu geraten und selbst etwas zu erfinden. Das heißt, bevor der Jelinek- Text da ist muss man schon ein Bühnenbild gemacht und eine Besetzung gemacht haben und die ist meistens sieben Leute. O-Ton 14 Christine Dössel Also, das ist wie Material, das sie den Theaterleuten gibt, ich finde das toll! Wdh Atmo 4 Lounge Autorin 21: Es ist wahrscheinlich nicht unbedingt eine gute Idee für eine junge Autorin oder einen jungen Autor, Elfriede Jelinek zu imitieren. Aber - die Theater freuen sich über diese Textform, weil sie eben den Regisseuren den Freiraum gibt, selbst Figuren und Dialoge herauszudestillieren. O-Ton 15 Jens Groß Die Frage ist ja eher: Wie viel Stück braucht man noch? Das ist eine Frage, die uns natürlich beschäftigt. Autorin 22: Jens Groß, der Berliner Dramaturg, hat sich auch noch einmal zu Christine Dössel und Matthias Günter an das Lounge-Tischchen gesetzt. Er unterrichtet am Literaturinstitut in Leipzig „Szenisches Schreiben“. O-Ton 16 Jens Groß Ich versuche es meinen Studenten immer wieder zu erklären: Theater hat viel mehr als man denkt, mit Lyrik zu tun, als mit Prosa. Es hat etwas mit Verdichtung zu tun. Es hat was mit starken Setzungen zu tun. Mit Behauptungen, mit Kontrasten, mit Reibungen, die müssen nicht alle gelöst sein, die können auch roh sein. Die Theaterautoren müssen immer wissen, dass sie nur ein Gerüst liefern. Atmo Lounge hoch... O-Ton 17 Jens Groß Das ist eine bestimmte Kunst, die man lernen muss: Durch Weglassen Möglichkeiten zu schaffen. Ich finde jedes Stück, ob es freier montiert ist, ob es experimenteller ist, oder ganz klassisch, oder konventionell, das spielt alles keine Rolle. Es geht immer um diese Qualität – ob aus den verdichteten Sätzen genug Raum bleibt, ob genug Luft ist, damit die, die weiter an dem Produkt arbeiten, ihre Phantasie da mit einbringen können und dann im weiteren Sinne auch die Zuschauer wieder Phantasie aufmachen können –. Wdh Atmo 4 könnte übergehen in Atmo 10 ((aus Hotel Lobby)) Autorin 23: Jens Groß holt Luft und nippt an dem Mineralwasser, das ihm eine der Pan Am Stewardessen gebracht hat. Zur Kunst, ein gutes Stück zu schreiben, gehört also auch die Kunst, den Text, den man geschrieben hat, aus der Hand zu geben und zuzulassen, dass Regisseure und Schauspieler ihn zum eigentlichen Bühnenereignis machen. Loslassen – wo kann man das lernen? Nur am Theater. O-Ton 18 Jens Groß Ich überlege die ganze Zeit, oder wir überlegen unter Dramaturgen oft, wie man eine Situation schaffen könnte, Autoren näher ans Theater heranzuholen, um sie in diese Produktionsprozesse zu integrieren, um ihnen auch die Situation zu schaffen, Erfahrungen zu machen, ohne gleich Ergebnisse produzieren zu wollen. Autorin 24: Leider ist der Theaterbetrieb reichlich strikt und auf Erfolg getrimmt. Die Häuser achten darauf, dass die Auslastung stimmt. Daher wollen Intendanten zwar neue Stücke aufführen, aber nur unter der Bedingung, dass die jeweilige Uraufführung auch Publikum zieht – und gebührend Medieninteresse erregt. Das tut sie zum Beispiel, wenn der Autor bereits einen Namen hat. Also z.B. Rinke, Lauke, Kricheldorf, Löhle, von Düffel oder Jonigk heißt. Oder aber das jeweilige Stück hat bereits einen Preis bekommen.. Und Auszeichnungen gibt es viele. Zum Beispiel den Kleist- Förderpreis, die auf dem Berliner und dem Heidelberger Stückemarkt vergebenen Preise, den Münchner Förderpreis für Junge Dramatik oder die Preise des „Stückauf“-Wettbewerbs in Essen. O-Ton 19 Christine Dössel Es gibt ja eine Flut von Stücken und in den Theatern eine Jagd nach neuen Stücken, dass ich dem ganzen schon so überdrüssig bin! Vor 15-20 Jahren, da war alles noch anders, da war die Frage – wo sind eigentlich die Autoren, wo sind eigentlich deren Stücke, wer fördert die? Und das hat sich komplett geändert und zwar so, dass es sich fast umgedreht hat. Es gibt so viele Fördermaßnahmen, Werkstätten und Preise, dass man fast schon von einer Überförderung sprechen muss! Und das hat dann die Nachteile, mit den schnell produzierten Uraufführungen, mit Stücken, die dann im Grab verschwinden.... Und die Suche geht dann nach den noch jüngeren Stücken, statt dass man ein Stück, das schon da ist, anders liest und sorgfältig weiter damit arbeitet. Da fehlt einfach die Nachhaltigkeit in dem überhitzten Betrieb, wie er sich darstellt, im Moment. (Break) Atmo 14 Ausschnitt aus Rebekka Kricheldorf, „Der Weg des Kriegers“ ab 0’03 bis ca. 1’18 – „Leider etwas stumpf…. …das kommt, weil ich zu wenig gefrühstückt hab.“ (und dann drunter lassen) Autorin 25: Drei Männer sitzen an der Bar mit den braunen Kugellampen, ihre Oberkörper sind nackt, sie tragen Baströcke. Das Publikum des Stückemarkts amüsiert sich königlich. Alle drei haben einen Stock in der Hand. Nachdem sie also geprüft haben, wer den schönsten und spitzesten Speer hat, stellt sich heraus, , dass sie auf einem „Maskulinisten-Seminar“ sind und den „schlafenden Krieger in sich“ wecken wollen. Atmo 19 O-Ton Stück frei von 0’03 – 1’34 Was ist denn an dem Wort „Wildem“ nun wieder falsch? Darf ich das jetzt auch nicht mehr sagen? (lachen) …. …der kann geradewegs nach Hause gehen….. O-Ton 20 Rebekka Kricheldorf Ich arbeite mit einem gewissen Humor, der auch böse sein kann. Was diese schwarzen Komödien mir bieten, ist eine gewisse Distanz, weil ich dem Einfühlungstheater auch sehr misstraue. Wenn man eine größere Distanz zu seinen Figuren hat, dann bekommt man eine größere Klarheit. Wdh Atmo 4 Lounge Autorin 26: Autorin Rebekka Kricheldorf steht an der Lounge Bar, die gerade noch Teil der Inszenierung war, und trinkt einen Schluck Cola. 2002 war sie zum Stückemarkt eingeladen. Für das 35. Jubiläum hat sie die Farce „Der Weg des Kriegers“ über die drei „Maskulinisten“ mit den Speeren geschrieben. Die Frage, was einen Mann heute zum Mann macht und wie „er“ sich in einer kapitalistisch-globalisierten Welt selbst sieht, hat sie auch in ihrem in Kassel erfolgreich uraufgeführten Stück „Testosteron“ schon beschäftigt. Schnell leert sie ihr Glas, , denn es wird zu einer neuen Gesprächsrunde auf dem Podium gerufen. Thema, noch einmal: Der Run auf die schnell produzierten Uraufführungen und die fehlenden Nachspiele: O-Ton 21 Rebekka Kricheldorf Diese Argumente, warum man diese Stücke nicht nachspielen kann, die finde ich dann ein bisschen windig. Theater sagen dann: Ja, wir brauchen doch auch eine Aufmerksamkeit – eine mediale und dann kommt die Presse nicht. Aber ich glaube das könnte man anders regeln. Man hört ja ganz oft den Satz: Das letzte Stück war ganz toll, dann schreib uns doch mal ein neues, aber dann sag ich: Warum spielt ihr denn nicht das, was ihr so toll findet? Das ist irgendwie ein bisschen absurd. Das halte ich für das größte Problem. (Applaus –) Wdh Atmo 11 – Terrasse leise Autorin 27: Eine Folge des Drucks: Die jungen, aufstrebenden Autoren geraten in Schreibstress und liefern Texte ab, die es nicht wert sind, inszeniert zu werden. Oder die einfach noch nicht fertig sind. Rebekka Kricheldorf etwa hatte den Auftrag, für November 2012 ein Stück mit dem Titel „Alltag und Extase“ für das Deutsche Theater in Berlin zu schreiben. Aber als der Text dort eintraf und eine Besetzung und ein Regisseur ausgesucht werden sollte... O-Ton 22 Christa Müller .....da war das Stück in einem Zustand, wo wir gesagt haben – das ist nicht fertig, wir verschieben das lieber noch mal, um auf der sicheren Seite zu sein. Weil das passiert ja immer mal wieder, dass man sagt – ok, ein Stückauftrag und dann passiert es, dass es nicht ganz fertig ist, das kann gut gehen, dass während der Proben sich das dann zurecht ruckelt, aber wir haben auch schon andere Erfahrungen gemacht, mit Stücken die nicht fertig sind. Finde ich im Prinzip richtig, sich mehr Zeit zu lassen. Vor allem wenn man am Anfang ist. Wdh Atmo 8 Terrasse Autorin 28: Christa Müller, Dramaturgin am Deutschen Theater Berlin. Sie hat dem Autorengespräch mit Rebekka Kricheldorf zugehört, jetzt steht sie am Glasgeländer der Hochhaus-Terrasse der Pan Am Lounge und guckt runter auf die blauen Liegen der Europa-Therme, auf der sich weit unter uns die Badegäste räkeln. Die einen nackt, die anderen in weißen Bademänteln. „Alltag und Extase“ kommt nun ein Jahr später auf die Bühne. Das Deutsche Theater hat trotzdem nie an Rebekka Kricheldorf gezweifelt. Christa Müller stand hinter ihr, sie kennt das Problem: O-Ton 23 Christa Müller Da muss man sagen: Lasst ihnen Zeit, und zwar allen dreien eigentlich. Sowohl den Theatern, als auch den Verlagen, als auch den Autoren selbst. Vor allem wenn man am Anfang ist. Wdh Atmo 8 Terrasse Geht über in Wdh Atmo 10 Lobby Autorin 29: Manchmal übernehmen auch Verlage die Aufgabe, Theatermacher über Durststrecken zu retten. Der heute gefeierte Autor und Regisseur René Pollesch etwa schrieb in den 1980er und 1990er Jahren Stücke, die niemanden interessierten. Zum Berliner Stückemarkt war er auch nie eingeladen. Also hat er seine Stücke selbst inszeniert, tat das in Luzern oder Hamburg, Stücke wie „Java in a Box“ oder „www-slums “,schnelle Texte, tolle Schauspieler – und das setzte sich durch. Dennoch gab es für ihn immer wieder Durststrecken, die er nur mit Hilfe des Rowohlt- Verlags überlebt hat. O-Ton 24 Matthias Günther Da muss man den Rowohlt-Verlag unendlich loben, dass er an Pollesch immer geglaubt hat, immer. Als es dann Durststrecken gab dann hat Corinna Brocher eben dem Pollesch einen Übersetzungsauftrag gegeben. Das finde ich großartig, dass solche begabten Autoren, wie Pollesch, aber auch z.B. John Birke oder Marius von Mayenburg ihre anderen Talente einbringen können. Das heißt, es bedarf einer Gemeinschaft von Autoren, Theatern und Verlagen – und ich finde die Verlage ganz wichtig! Break – Musik Atmo 16 – Terrasse / Stimmen (immer drunter lassen) Autorin 30: Es ist windig, hier oben auf der Terrasse, so hoch über den Dächern Berlins, aber keinen der Anwesenden stört das. Was für ein Ort, um neue Dramatik zu sehen und über neue Dramatik nachzudenken! Ein Mann im Publikum wartet, bis der nächste Durchlauf, der nächste Marathon aus Mini-Stücken beginnt, und vertreibt sich die Zeit mit einem Blick auf die Europa-Therme, genau wie zuvor Dramaturgin Christa Müller. O-Ton 25 Mann Ja, ich denke - ob ich vielleicht voyeuristisch bin, wenn ich hier runtergucke und mir die Nackedeis in der Therme angucke? Ich habe beschlossen, das ist nicht voyeuristisch, es ist Teil der Inszenierung....! Autorin 31: Wirklichkeit und Theater gehen hier oben im 10. Stock eine interessante Liaison ein. Als wäre ganz Berlin um diese Pan Am Lounge herum, um das gesamte Eden-Hochhaus herum, nur eine Kulisse für die 30 Texte der eingeladenen Autoren. O-Ton 26 Besucher/ - in (Sie) Interessanter Ort! (Er) Es ist wie ein geheimer Ort! Kannte ich nicht! Wdh Atmo 8 Terrasse leise – geht über in Atmo 17 Fritsch Autorin 32: Noch ein kurzer Blick auf die nackten Badegäste - und dann wieder hinein: Es steht ein weiteres Podiumsgespräch auf dem Programm. Die Kurz-Stücke dieses Jubiläums-Stückemarktes zeigen, wie reich die Theaterszene in Deutschland an interessanten, unverwechselbaren Stimmen ist – und eine dieser Stimmen gehört Werner Fritsch. Er war zwischen 1990 und 2001 sechs Mal zum Stückemarkt eingeladen. O-Ton 27 Fritsch auf dem Podium Hatten sie ein gutes Verhältnis zu Klaus Völker oder wie kam das? Fritsch: Zu der damaligen Zeit haben Texte noch eine Rolle gespielt (Lachen im Publikum... Podium noch kurz drunter lassen -....) Wdh Atmo 17 Fritsch Autorin 33: Werner Fritsch vertritt die ältere Generation. 1960 geboren, hat er sein Handwerk bei Herbert Achternbusch gelernt. Als das Podiumsgespräch vorbei ist, hat Werner Fritsch noch Zeit für ein Gespräch im Konferenzzimmer der Pan Am Lounge. Sein Jubiläumsbeitrag ist kein Stück, sondern ein Film. Ein Mosaikstein aus dem großen Projekt „Faust – Sonnengesang“, an dem er seit zehn Jahren arbeitet. O-Ton 28 -- Fritsch Das ist die Feuerpredigt von Buddha, aktualisiert angesichts der Leichen, die verbrannt werden am Ganges. Das habe ich 2002 gesehen und dann im ersten Gestus nieder geschrieben. Und auch gefilmt. Das sieht man auch im Film. Es ist auch ein Amalgam, ein Albtraum, wie die Gegenstände verbrennen. Also Heraklid hat gesagt, dass das Feuer alle Gegenstände verwandelt und das Gold auch. Und es ist auch ein Paradigma für den Midas-Effekt in unserer Zivilisation, dass alles verbrennt und die Sachen sich verändern, um es mal wertneutral zu sagen. Wdh Atmo 17 Fritsch Autorin 34: Der feuer- und flammenspeiende Film erschließt sich nicht leicht. Aber Werner Fritsch pocht darauf, dass Film, aber auch Theater sperrig sein darf. O-Ton 29 Fritsch Ich denke, dass das Theater etwas erzählen sollte, was die anderen Medien nicht so erzählen und das ist sozusagen die existenzielle Situation, dass eben verschiedene Körper in einem Raum sind und dass man sich darüber verständigen muss, was die essentiellen Sachen sind. Wdh Atmo 17 Fritsch O-Ton 30 Fritsch Kunst ist ja immer, das zu sagen, was nicht gesagt wird und der Sinn der Schrift ist gegen das was ist, anzugehen. Und das fehlt mir vollkommen auf dem Gegenwartstheater. Autorin 35: Werner Fritsch rückt seine schwarz-gerahmte Brille zurecht und guckt zweifelnd auf die frisch polierte Holzfurnierplatte des Pan Am- Konferenztisches. Er unterrichtet szenisches Schreiben als Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und wünscht sich von seinen Studenten vor allem mehr Mut: O-Ton 31 Fritsch Natürlich sind die Rezeptbücher Hollywoods zur Verfügung und das bringt dramaturgisch große Fortschritte, aber ob es originäre Kunstwerke findet und erfindet, das ist die andere Frage. Meine Generation hat ja noch mal versucht, nicht mit diesen Rezepten, sondern noch mal neu über das Theater nachzudenken – nicht die aristotelischen Regeln, die immer noch das Fernsehen regulieren, zu beherzigen, sondern andere Wege zu finden. Und ich denke dass ist schon auf lange Sicht ein Verlust, dass sich alle auf diese Mainstream-Autobahnen werfen mit ihren Stücken und auch der Zuschauer immer unfähiger wird, etwas anderes zu rezipieren und auch nur mehr auf der Autorbahn rezeptiv unterwegs sein kann. Wdh Atmo 17 Fritsch Autorin 36: Werner Fritsch ist eine gewisse Bitterkeit anzumerken. Rund 40 Stücke und Monologe hat er für das Theater geschrieben. Er ärgert sich, dass die kaum mehr gespielt werden. Er verdient sein Honorar heute eher mit Hörspielen. O-Ton 32 Fritsch So schwer wie jetzt war es eigentlich in den letzten 25 Jahren nie! Aber ich mein, ich mach weiter.....! Wdh Atmo 17 Fritsch O-Ton 33 Fritsch Als ich jung war, konnte man nicht alt und tot genug sein, um gespielt zu werden, jetzt kann man nicht jung genug sein. Also: Man pflegt keine Kontinuitäten. Das heißt, eine ganze Generation wird mit zwei oder drei Ausnahmen – z.B. Dea Loher oder Roland Schimmelpfennig – eigentlich im Regen stehen gelassen. Und meine Studenten, die werden nach dem Silberdollar-Prinzip hochgeworfen und abgeschossen... und so geht das jetzt schon seit zehn bis 15 Jahren. Das ist eine merkwürdige Entwicklung, die dem Theater nicht gut tut, weil man ja nur durch Kontinuitäten das pflegt, dass ein Autor, ein Regisseur und ein Haus zusammenarbeiten. Da kommen dann erst Resultate heraus, die eine gewisse Wucht haben, denken Sie an Shakespeare, Moliere, Brecht. Das waren immer Leute, die mit der Praxis verbunden waren, die für ein Team geschrieben haben und das gibt dem Theater die eigentliche Kraft. Autorin 37: Werner Fritsch erhebt sich vom Konferenztisch, er will noch mit einer Kollegin sprechen, die draußen auf der Terrasse wartet. O-Ton 34 Fritsch Wissen Sie, wenn sie die Einnahmeverhältnisse kennen würden, dann würden Sie erschrecken. Im Theaterfördersystem wird jeder gefördert, nur der Autor nicht. Dann kriegt er vielleicht 2-3000 für ein Stück – ja was ist denn das? Das ist doch ein Witz, das kriegt doch eine Putzfrau im Monat! Break---- Musik Atmo 18 Terrasse (ist Stück aus Atmo 16, bleibt immer drunter) Autorin 38: Raus aus dem Konferenzzimmer, auf die Terrasse. Der Autor. Ist ein eher schlecht bezahlter Player im Theater-Team. Aber - braucht das Theater den Autor eigentlich überhaupt noch? Oder ist der Autor längst tot? Es ist ein lauer Abend, die letzten Sonnenstrahlen wärmen die Terrasse der Pan Am Lounge. Auf der schmalen Holzbank, die sich am Panoramafenster der Lounge entlang zieht, sitzt mit Blick auf die Baustelle des Bikini-Hauses, Felix Meyer-Christian und kempelt sich die Ärmel hoch. Er ist der künstlerische Leiter der „costa compagnie“, einer Hamburger Nachwuchs-Performance-Gruppe. Felix Meyer-Christian ist nach Japan gereist, um Menschen zu interviewen und zu erkunden, wie sich die „zeitliche, räumliche und kulturelle Distanz zu den Ereignissen der Fukushima-Katastrophe verringern lässt“. O-Ton 35 Felix Meyer-Christian Also wir recherchieren dann und dann entstehen daraus auch Texte. Die schreiben wir halt selbst. Und so ist es halt in der freien Szene, dass man sich der Gegenwart widmet und irgendwie muss man aus sich selbst heraus und aus der Gruppe heraus arbeiten, aber da besteht doch eine große Sehnsucht, dass es Leute gibt, die sich in diese Szene hineinbegeben und an so etwas mitarbeiten und ich empfinde dass sehr häufig die Zusammenarbeit mit Gegenwartsautoren strukturell Geburten der Dramaturgie- Abteilungen sind und dass von den jungen Regiepersonen nicht Gegenwartsdramatik gewählt wird. Autorin 39: ...aber, halt, Zwischenfrage: Felix Meyer-Christian ist 33 Jahre alt, ist eigentlich Geograf, hat dann aber in Hamburg Regie studiert – er ist also selbst so eine „junge Regieperson“ und könnte ja das Stück eines jungen Dramatikers auf die Bühne bringen... O-Ton 36 Felix Meyer-Christian Hab ich auch! (...lacht) am Theater Mainz. Mit Natascha Gangl, Österreicherin. Ich hab das auch genossen, aber – ja, wie soll ich das sagen – gibt es unter jungen Theatermachern die Sehnsucht danach, an Themen heranzugehen, die auf den Punkt tiefgreifend oder existenziell sind. Und in der Postdramatik, da werden dann doch die Probleme ...umschifft... will ich nicht sagen... ja, zerstückelt. Und vielleicht gibt es dann doch die Sehnsucht danach, die Dinge wieder zu bündeln und konstruktiv zu problematisieren. Vielleicht ist es das. Wdh Atmo 8 Terrasse leise Autorin 40: „Fukushima, my love“ heißt das Stück, an dem die „costa compagnie“ arbeitet und in dem sie genau das versucht: die Katastrophe „konstruktiv zu problematisieren“. O-Ton 37 Felix Meyer-Christian Wie entwickeln wir wieder eine Haltung gegenüber der Gegenwart, anstelle des Aufgebens, indem man sagt – es ist überhaupt keine Haltung mehr möglich, weil das Subjekt sich so divergiert hat. Und dennoch existieren wir ja als Subjekte in einer politischen Gemeinschaft. Und es ist auch ein politischer Akt, zu sagen, es gilt aber wieder das politische Subjekt wieder zu formen und wahrzunehmen und auch wieder eine Haltung zu beziehen. Und die Haltung muss keine autoritäre oder absolute sein, aber ich denke es ist notwendig, wieder Haltungen in den Diskurs zu stellen, damit man auch wieder Reibungsflächen hat, und die Probleme oder die Kritikpunkte oder Diskurse schon auf der Bühne gelöst haben. BREAK Autorin 41: Als fast perfekter Feuerball geht die Sonne hinter der Bikini-Haus- Baustelle am Zoo langsam unter. Felix Meyer-Christian steht mit seiner Idee, wieder Haltung einzufordern, nicht allein da. Performance-Gruppen wie She She Pop oder Gob Squad machen das seit den neunziger Jahren. Ebenso der Schweizer Theatermacher Milo Rau. Der hat großen, wenn auch umstrittenen Erfolg mit dem „Reenactment“ von Texten, die er der Wirklichkeit entnimmt. Er hat z.B. die Rede, die der norwegische Extremist Anders Breivik vor dem Amtsgericht in Oslo hielt, auf die Bühne gebracht. Ist der Autor also doch tot? Die „costa compagnie“ macht die „Erzählten zu Erzählern“, arbeitet mit den Interviews und den Geschichten aus der japanischen Realität – und entwickelt daraus natürlich kein klassisches Theaterstück, sondern eine Theater-Tanz-Video Performance. O-Ton 38 Felix Meyer-Christian Und da sind wir doch gerade dabei zu sagen, das Ultimative, Gegenwärtige, ist dann letzten Endes doch auch der Körper, da er nicht über den Geist geht, wir versuchen gerade an einer Verbindung zwischen Körper und Text zu arbeiten, die auch in der Gegenwart mehr verankert ist, als im Zurückgreifen sozusagen. Wdh Atmo 16 Terrasse Autorin 42: Felix Meyer-Christian packt seine Tasche und bricht auf, in Richtung Fahrstuhl. Er hat einen Termin, unten. In der Stadt. Atmo Terrasse hoch Autorin 43: Hier oben, über den Dächern der Stadt, ist die Frage, ob der Autor und mit ihm der klassische Theater-Text vielleicht einfach überflüssig geworden sind, allerdings noch nicht abschließend beantwortet. O-Ton 39 Stefan Keim Ich glaube schon, dass sich junge Autoren auch unterschiedlich orientieren müssen. Es gibt ein schönes Beispiel: Laura Naumann, die auf der einen Seite selbst Theatertexte schreibt, aber als Performerin auch in einer Performance Truppe dabei ist und da Video-Spiele für die Bühne adaptiert und den Zuschauer als Mitmacher mit hineinzieht. Das heißt es gibt einige Autoren, die auf mehreren Schienen arbeiten. In ganz verschiedenen auch Phantasiewelten. Autorin 44: Stefan Keim arbeitetet als Theater-Kritiker für verschiedene Radiosender und auf allen großen Foren für junge Autoren ist er dabei. Er saß in der Jury des Stückemarkts in Heidelberg, er beobachtet seit Jahren die Mühlheimer Dramatikertage. – Jetzt erinnert er daran, wie der 1980 geborene Oliver Kluck, der auch hier auf dem Jubiläums-Stückemarkt mit einem Werkauftrag vertreten ist, vor einigen Monaten vehement für einen seiner Texte kämpfte: Kluck protestierte, als das Schauspiel Frankfurt sein Stück „Was zu sagen wäre warum“ kürzte und veränderte. O-Ton 40 Stefan Keim Ich habe den Eindruck, dass einige junge Autoren großen Wert auf ihren Text legen, auch solche, die nicht so bekannt sind, wie Oliver Kluck, die großen Wert auf ihren Text legen. (..) Das heißt, es gibt eine Rückbesinnung auf den Text, natürlich auch als Antwort auf die Performances. Break Atmo 19 Sirtaki auf der Terrasse / 0:45 Applaus.... …geht über in Wdh Atmo 8 Terrasse Autorin 45: Der Autor lebt. Er ist sogar quietschfidel. Drei Tage Jubiläums- Stückemarkt in Berlin beweisen das. Die Frage ist nur – wo werden die Beweis-Stücke außerhalb der Pan Am Lounge zu sehen sein? Philipp Löhle, einer der erfolgreicheren jungen Autoren, in Jeans, mit ungebändigten Locken, schlägt er vor: Theater könnten ja drei Kurz- Stücke hintereinander zu einem Abend zusammenfügen. O-Ton 41 Philipp Löhle Ich mag diese kurze Form total, weil man kann ganz komprimiert eine Idee auf den Punkt bringen und das würde nicht hinhauen – das zu verlängern. Man kann da viel absurder werden und das würde zusammenbrechen, wenn man da versucht ein 90-minütiges Stück draus zu machen, das würde nicht funktionieren. Wdh Atmo 8 Terrasse Autorin 46: „Afrokalypse“ heißt Phillip Löhles Kurz-Drama, das im Kaminzimmer der Pan Am Loung gespielt wird Es greift auf eine ganz typische Theaterform zurück. Auf einen Dialog zwischen zwei genau definierten Figuren: Es unterhalten sich jetzt im Kaminzimmer der Pan Am Lounge ein europäischer Präsident und sein Adjutant: Cutten. Die beiden befinden sich in misslicher Lage: Ihr Europa geht unter. Die Afrikaner haben es überfallen. Der Präsident entpuppt sich als Mann voller Vorurteile, der im Namen der Freiheit einen Zaun zwischen sich und den Afrikanern ziehen will. Atmo 20 O-Ton Stück „Afrokalypse“ Cutten, - der Afrikaner denkt, die Freiheit sei an einen Ort gebunden, an einen geografisch zu verortenden Ort. Denkt der Afrikaner. Er denkt, Freiheit und Europa, das sei miteinander verbunden. Er denkt, die Freiheit sei in Europa. Aber das ist falsch, frei kann man überall sein – weil die Freiheit hat – wenn dann ihren Ort in ihm drin… im Afrikaner. (noch drunter lassen) Autorin 47: Die alte, westliche Welt geht bei dieser Jubiläumsausgabe des Stückemarktes immer wieder unter, formal und inhaltlich. Aber eigentlich war diese Welt mitsamt ihren Utopien ja schon längst am Ende. Die Postdramatik hat sie nicht retten können, auch mit ihr es nun vorbei. Tiefgründig zeigt sich das Theater jetzt wieder - und gleichzeitig unterhaltsam. O-Ton 42 Christine Dössel Jetzt haben wir heute natürlich so ein „best of“ erlebt, beim Stückemarkt. Das war eine erfreuliche Erfahrung – dass man sagt – ja, das hat schon alles was gebracht, in den letzten 35 Jahren, da sind schon gute Autoren hervorgegangen. Autorin 48: Christine Dössel, die Kritikerin der Süddeutschen Zeitung, ist gerade der „Afrokalypse“ entronnen. O-Ton 43 Christine Dössel Ich fand das prima, man wollte sofort mehr von diesen Stücken wissen. Das hat so viel Lust gemacht auf mehr. Und auch die Sprache war toll, man hat sofort immer den Autor als den Autor erkannt, der er ist. Weil das sind Autoren, die haben ihre eigene Sprache gefunden – und das fand ich toll. Das hat ein gutes Gefühl gegeben! Ja, das hat doch was gebracht! Wdh Atmo 16 Terrasse Autorin 49: Das ist das Geheimnis des Jubiläumsstückemarkts: Dreißig Autoren haben ihre Sprache gefunden - und sie haben durchgehalten, im überhitzten deutschsprachigen Theaterbetrieb. Nun sollten sie einfach mutig sein und Stücke für die großen Bühnen schreiben, meint Dössels Kritiker-Kollege Stefan Keim, der gerade noch im Kaminzimmer der Pan Am Lounge der „Afrokalypse“ zugesehen hatte. , Jetzt lässt er auf der Terrasse den Blick über den nachtdunklen alten Westen Berlins schweifen. O-Ton 44 Stefan Keim Es ist ja nun auch so, dass das Bildungsbürgertum weniger wird, was zur Folge hat, dass die Erwartung, Klassiker zu sehen, ebenfalls weniger wird. Es ist ja – wenn Sie sich mal anschauen, was ist denn ein richtiger Kassenknüller. Vielleicht Faust. Aber machen Sie mal einen unbekannteren Goethe. Machen Sie mal an einem mittleren Stadttheater in der Provinz „Clavigo“ – das ist nicht unbedingt ein Kassenfüller, wenn es nicht gerade Schulstoff ist. Das heißt – diese Spielplanposition im Großen Haus die werden derzeit gefüllt durch Roman- und Filmbearbeitungen. Und da müssten die Autoren reinstoßen, und das würde aber auch bedeuten: Sie müssten wieder erzählen! Oder zumindest wider zu Formen finden, die auch für ein breiteres Publikum interessant sind.) Die Chancen gibt es meiner Ansicht nach. Autorin 50: Die Lust am Erzählen ist da. Wie aber kann man sich die Tiefe eines Peter Handke, eines Botho Strauss, eines Franz Xaver Kroetz oder einer Dea Loher erarbeiten? Wie wird man irgendwann zu einem modernen Klassiker? Das braucht Zeit und Geld – nicht nur wenn man ein junger Autor ist. O-Ton 45 Christine Dössel Ja, deswegen finde ich ja dass Mühlheim das Beste und würdigste Festival in diesem Zusammenhang ist. Da werden die besten Stücke prämiert des Jahres und mit einem stattlichen Geld gefördert und da ist keine Altersbeschränkung. Das ist eigentlich ein Unding... die Altersbegrenzung die wir so haben – das ist 35 – gut, es gibt vielleicht einige mit 40 – und wer dann anfängt zu schreiben oder sich gehalten hat, der fällt dann raus aus diesen Förderrastern, der muss schauen, wie er dann Geld verdienen kann. Um aber ein gutes Stück zu schreiben, braucht man ja vielleicht einfach auch ein bisschen Lebenserfahrung und muss schon etwas durchlebt und durchlitten haben – und deswegen fände ich das gut, wenn man diese zum Teil irrsinnigen Altersbegrenzungen abschaffen oder ändern würde und das flexibler gestaltet. Autorin 51: Förderung für Autoren jenseits der 40, das ist eine der großen Forderungen, die auch in den Podiumsgesprächen in Berlin immer wieder zu hören ist. Und die zweite: Theater sollten junge Stücke nicht nur uraufführen, sondern dann auch nachspielen. Theater müssen Risiken eingehen können, bei der Spielplangestaltung.. Brauchen die Häuser dafür nicht die Unterstützung der Politik? Aber wo waren die Politiker, die über Kürzungen im Kulturbereich entscheiden, während Autoren und Autorinnen in der Berliner Pan Am Lounge gezeigt haben, wie man die Gegenwart in Worte fasst? Atmo 21 Stück „Afrokalypse“ (frei ab: 0’17) Die Politik ist fest verankert im Realismus. Verstehen Sie? Und was habe ich gesagt, Cutten? Der Mensch ist ein freies Wesen. Frei von Geburt, frei im Kopf. Ein freies Gefäß, das gefüllt werden kann. Ein Gefäß, das frei entscheidet, womit es gefüllt wird. Das habe ich gesagt. Ja. Großer Applaus! (Applaus) ENDE