COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Jürgen Kalwa Nachspiel, 4.4.2010 "Museen, Medaillen, Mythen - Amerikas Ruhmeshallen des Sports" Deutschlandradio Kultur Redaktion: Johannes Ostermann Anmod.: Jede Sportart in Nordamerika verfügt über ein Museum, das an seinen Wänden und in seinen Vitrinen die Erinnerung an die namhaften Athleten wach hält. Der Personenkult, der an die Heldenverehrung der nordgermanischen Mythologie erinnert, begann in den dreißiger Jahren - mit der Baseball Hall of Fame in der kleinen Stadt Cooperstown, vier Stunden mit dem Auto von New York entfernt. Die Ruhmeshalle gilt heute als ein Schrein, zu dem mehr als 300 000 Besucher pro Jahr pilgern. Dieses quasi-religiöse Reverenz von der schönsten Nebensache der Welt wird in den USA besonders intensiv betrieben. Der amerikanische Schriftsteller Richard Ford etwa nutzte das Phänomen in seinem Roman "Unabhängigkeitstag" als Handlungsstrang. Das Buch erhielt den Pulitzer-Preis. So sehr sich die Institutionen der Sportgeschichte mittlerweile im Bewusstsein der Öffentlichkeit festgesetzt haben, so wenig hat sich an ihren Problemen geändert. Sie kosten mehr Geld, als sie einnehmen. So mussten 2009 gleich zwei Einrichtungen schließen: Das Sports Museum of America in Manhattan und die Soccer Hall of Fame in Oneonta ATMO: Zuschauerränge Yankees Stadium, New York DATEI: "01 Crowd Noise Yankee Stadium" GERÄUSCHE: Baseball-Schläger trifft einen Ball. Hot-Dog- Verkäufer rufen ihre Waren aus DATEIEN:"Baseball Game" "Firefox 20100215 0213""Baseball Vendor" SPRECHER (über Atmo): Wenn man im Sommer in Amerika in ein Baseball-Stadion geht und sich ein Spiel der obersten Liga anschaut, fällt einem vor allem eines auf: Auf den Rängen herrscht eine unbeschwerte Stimmung. Die produziert ein ständiges Raunen, durch das hin und wieder das Geräusch des Holzschlägers durchklingt. Und das Geschrei der Hot-Dog- Verkäufer. In dem Treiben gibt es keine Hooligans. Baseball-Fans sind Menschen, die sich beim Spiel eine entspannte Auszeit von ihrem Alltag gönnen wollen. 00:41 MUSIK: "Cooperstown 2" (freistehend von 01:36 bis 1:40, von Position 02:30 bis Ende Clip Pegel anheben und freistehend, Paukenwirbel klingt im Hall aus) SPRECHER: Wenn dann der Herbst kommt und die Saison langsam zu Ende geht, erfasst sie eine gewisse Melancholie. (MUSIK BEGINNT) Ein Gefühl, über das Bartlett Giamatti vor einigen Jahren einen ganzen Essay geschrieben hat. 00:47 O-TON A. BARTLETT GIAMATTI (Text "The Green Fields of the Mind" - Audiobook / ISBN: 0971921849 Verlag: Symphony Space, USA) DATEI: "02 Track 02 mp3" FREISTEHEND bis 00:54 und dann wieder ab 01:14 "It breaks your heart. It is designed to break your heart. The game begins in the spring, when everything else begins again, and it blossoms in the summer, filling the afternoons and evenings, and then as soon as the chill rains come, it stops and leaves you to face the fall alone. You count on it, rely on it to buffer the passage of time, to keep the memory of sunshine and high skies alive, and then just when the days are all twilight, when you need it most, it stops." 00:54 SPRECHER (VOICEOVER GIAMATTI-TEXT): Es bricht dein Herz. Es ist entwickelt worden, um dein Herz zu brechen. Das Spiel fängt im Frühling an, wenn alles andere wieder beginnt. Und es blüht im Sommer, wenn es die Nachmittage und Abende füllt. Und dann, sobald der kalte Regen kommt, hört es auf und lässt dich mit dem Herbst allein. 01:21 O-TON GIAMATTI: "Today, October 2, a Sunday of rain and broken branches and leaf-clogged drains and slick streets, it stopped and summer was gone." 01:23 SPRECHER (VOICEOVER GIAMATTI-TEXT): Heute, am 2. Oktober, einem Sonntag mit Regen und abgebrochenen Ästen und mit Blättern verstopften Gullys und rutschigen Straßen, hörte es auf. Und der Sommer war vorbei." 01:41 SPRECHER: Giamatti, ein kleiner, korpulenter Mann mit einer kräftigen Stimme, war einer jener zahllosen amerikanischen Intellektuellen, die in dieser eigentlich profanen Sportart etwas mehr sehen als nur ein Mannschaftsspiel mit einem Holzknüpel und einem harten, faustgroßen Lederball. Seine berufliche Laufbahn begann er als Literaturprofessor und Kenner der Renaissance. Als Präsident der Elite-Universität Yale macht er Karriere. Und schließlich - als Chef der amerikanischen Profi- Baseball-Liga genannt Major League Baseball - machte er sich einen Namen. Eine seiner Hinterlassenschaften ist der Baseball-Essay "The Green Fields of the Mind", der eine ureigene Rezeptionskultur widerspiegelt: Eine Mischung aus Nostalgie und Poesie. 02:37 MUSIK: "Baseball Boogie" ( Mabel Scott) freistehend bis 02:55 DATEI: "03 Baseball Boogie" 02:55 SPRECHER: Bart Giamatti starb 1989. Im Alter von nur 51 Jahren. Der Kettenraucher erlitt einen Infarkt. An einem Ort weit weg von Yale und ebenso weit weg von dem Treiben des Profi-Baseball hat man ihm eine Art von Denkmal gesetzt. 03:14 O-TON CRAIG MUDER, Pressesprecher der Baseball Hall of Fame (freistehend): "This is the library. Let me take you to the library." 03:17 SPRECHER: Craig Muder ist Pressesprecher der Baseball Hall of Fame in Cooperstown, einer der angesehensten Institutionen im amerikanischen Sport. Eröffnet in den dreißiger Jahren und seitdem Inbegriff des Personenkults im Sport. Der Kult geht über die Athleten hinaus. Sonst stünde nicht über dem Eingang zur Bibliothek in großen Lettern der Name der Bibliothek: Giamatti Research Center. 03:43 O-TON JÜRGEN KALWA (freistehend) "Over the door there's a name. Maybe you can talk about the name." O-TON CRAIG MUDER: "Absolutely..." 03:46 SPRECHER: ...sagt Craig Muder und erzählt, dass der Bücher schreibende Akademiker damals in seiner kurzen Zeit als Commissioner den Aufbau dieser Bibliothek besonders gefördert hatte. 03:48 O-TON CRAIG MUDER: (freistehend von 03:56 bis 04:00) "It was through his help that we were able to establish this library and this research center. I know he was an extremely passionate baseball fan and wrote extensively on the topic before he was named Commissioner. Giamatti is not a Hall of Famer, but he is the benefactor of our library, absolutely." 04:00 VOICEOVER "Ich weiß, dass er ein passionierter Fan war und ausgiebig über das Thema geschrieben hat. Giamatti ist kein Hall of Famer, aber er hat diese Bibliothek erst möglich gemacht." 04:14 SPRECHER: Auf dem Weg zu dieser Bibliothek geht man durch einen hohen Licht durchfluteten, eichengetäfelten Raum, der wie das Mittelschiff einer Kirche wirkt. An den Wänden hängen 292 Bronzetafeln mit den Gesichtern von Spielern, Managern, Trainern und Schiedsrichtern aus mehr als hundert Jahren Baseballgeschichte, die alle etwas gemeinsam haben: Durch ihre Leistungen auf dem grünen Rasen und ihre Rolle hinter den Kulissen sind sie unvergesslich geworden. Oder wie der Pressesprecher zu sagen pflegt: unsterblich. Muder bleibt einen Moment lang vor den Bronzetafeln stehen: 04:50 O-TON CRAIG MUDER: (freistehend bis 05:01) DATEI: "Cooperstown Soundbites" "This is where the 292 members of the Hall of Fame are immortalized with bronze plaques on the oak walls. The Hall of Fame is also a history museum. We have more than 38,000 three-dimensional artefacts, bats, balls, gloves, shoes. You see about ten per cent on display today, as you walk through the museum. The rest are in storage under our feet in climate-controlled vaults. We are the keeper of the history of the game." VOICEOVER "Die Ruhmeshalle sind drei Einrichtungen unter einem Dach. Es ist auch ein Museum. Wir haben mehr als 38.000 Objekte, Schläger, Bälle, Handschuhe, Schuhe. In der Ausstellung können Sie jeweils nur zehn Prozent sehen. Der Rest befindet sich in einem klimatisierten Archiv unter unseren Füßen. Die Geschichte des Spiels. Wir bewahren sie auf." SPRECHER: Es handelt sich um mehr als nur um bloßes Aufbewahren. Die Einrichtung ist das Gegenstück zu einer religiösen Kultstätte, sagt der New Yorker Journalist Zev Chafets. Er hat das Buch "Cooperstown Confidential" geschrieben, ein kritischer Blick in die Geschichte der Einrichtung. 05:45 O-TON ZEV CHAFETS DATEI: "Chafets Soundbites" "Getting into the Baseball Hall of Fame is the equivalent in this country of a knighthood. It's the highest honor that almost anyone can aspire to. The Baseball Hall of Fame is referred to as a shrine, people go there and they call that a pilgrimage. It's spoken of in religious terms. If America has a secular religious institution, which is almost universal it's Cooperstown and the Baseball Hall of Fame." VOICEOVER: DATEI: "Kalwa 1" "Für Amerika ist Baseball etwas Besonderes. Es hat sich zu einer Heldenmaschine entwickelt. Das gibt es sonst nur in Hollywood. Baseballgeschichte und Baseballtradition sind viel populärer als Football oder jede andere Sportart. In die Baseball Hall of Fame aufgenommen zu werden, ist so etwas wie durch den Ritterschlag in den Adelsstand erhoben zu werden. Eine größere Ehre gibt es nicht. Die Baseball Hall of Fame wird von Leuten gerne als Schrein bezeichnet. Die Reise dahin nennen sie eine Wallfahrt. Cooperstown ist eine säkulare religiöse Institution." 06:15 MUSIK: Passage aus "Bull Durham", Gesangsstimme: "Yeah, yeah" (freistehend von 06:33 bis 06:38) 06:38 SPRECHER: Weshalb einem auf einer Reise nach Cooperstown, die kleine Stadt vier Stunden von New York, die Worte von Annie Savoy einfallen, der selbstbewussten und sportbegeisterten Hauptfigur in dem feinsinnigen Baseball-Spielfilm "Bull Durham". 06:52 O-TON FILM "DULL DURHAM", Stimme: Susan Sarandon (Annie Savoy), eingebettet in Musik aus dem Film (freistehend bis 07:08 DATEI: "Church of baseball" "I believe in the church of baseball. I've tried all the major religions and most of the minor ones. I've worshipped Buddha, Allah, Brahma, Vishnu, Shiva, trees, mushrooms, and Isadora Duncan. I know things. I prefer metaphysics to theology. Y'see, there's no guilt in baseball, and it's never boring. Which makes it like sex." (FADE-OUT auf abfallenden Orgelakkorden) 07:08 VOICEOVER DATEI: "Ürlings Bull Durham" "Ich glaube an die Kirche des Baseball. Ich habe alle großen Religionen ausprobiert und die meisten kleinen. Ich habe Buddha, Allah, Brahma, Vishnu, Shiva, Bäume, Pilze und Isadora Duncan angebetet. Ich ziehe die Metaphysik der Theologie vor. Es gibt keine Schuldgefühle im Baseball. Und es ist nie langweilig. Das ist so wie Sex." 07:34 MUSIK: Like My Fire SPRECHER: In Amerika gibt es hunderte von Religionen und Konfessionen, Sekten und Kulte. Und fast ebenso viele Ruhmeshallen des Sports. Manche zeigen bei der Wahl des Standorts einen Sinn für die Wurzeln der Disziplin. So entstand die Basketball Hall of Fame in Springfield/ Massachusetts, der Stadt, in der Ende des 19. Jahrhunderts Basketball erfunden wurde. Und die Tennis Hall of Fame wurde in Newport/Rhode Island gegründet, dort, wo die ersten US Open ausgetragen wurden. Aber es gibt auch das Konzept "grüne Wiese" wie im Fall der World Golf Hall of Fame in St. Augustine/Florida. Oder wie bei der Soccer Hall of Fame, der Fußballruhmeshalle. Das Haus, nur 35 Kilometer vom Touristemagneten Cooperstown entfernt, steht allerdings noch für etwas anderes. Das Museum schloss vor ein paar Monaten die Pforten. Die Einrichtung existiert seit dem nur noch virtuell - im Internet. Das Projekt war schlichtweg zu ehrgeizig, wie der letzte Direktor der Ruhmeshalle, Jack Huckel, zugibt. 08:38 O-TON JACK HUCKEL: Datei: MZ000001 HINWEIS für die Montage: Es handelt sich um zwei Passagen aus der vorliegenden Datei, die erste beginnt bei 03:45, die zweite bei 04:02 Teil eins: "What it boils down to: We built a building, but in the end could not afford it." Teil zwei: "You take great leaps, you take calculated risks that do not always work out. The hope was we would draw enough fans and financial support through donations. We got through ten years, but then the money got tight. And then you add this year's economy. We were unable to survive the downturn." 08:52 VOICEOVER: DATEI "Kalwa 1" "Wir haben ein Gebäude errichtet, dass wir uns nicht leisten konnten. Man riskiert schon mal bewusst etwas, aber die Rechnung geht nicht immer auf. Wir haben zehn Jahre durchgehalten, aber dann wurde das Geld knapp. Und dann kam die Wirtschaftslage dazu. Das konnten wir nicht überleben." 09:25 SPRECHER: Im Vergleich dazu wirkt der Betrieb in Cooperstown sehr solide. Aber bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass Heldenverehrung in den Dimensionen der Baseball Hall of Fame kein lukratives Geschäftsmodell ist. Wollte die Ruhmeshalle allein vom Verkauf von Eintrittskarten und Souvenirs leben, wäre sie längst pleite. Das Loch füllen großzügige Spender jedes Jahr mit Millionen von Dollar. Auf dem Spiel stehen - unter anderem - die Arbeitsplätze von hundert Angestellten. 9:50 MUSIK (Hintergrund): Baadenheimer SPRECHER: Ganz anders sieht es für die ehemaligen Baseballprofis aus, die den Ritterschlag erhalten haben. Ein Hall of Famer hat schlichtweg für den Rest seines Lebens ausgesorgt. Kein Wunder, dass chancenreiche Aspiranten inzwischen Public-Relations-Experten einschalten, damit sie von den Mitgliedern der Vereinigung der amerikanischen Baseball-Journalisten in die Ruhmeshalle gewählt werden. Die Organisation entscheidet exklusiv über die Aufnahme. Über diesen säkularen Teil der Vergötterung irdischer Idole wird allerdings meistens nicht gesprochen. Seit der Zeit von Mark Twain, der damals das Spiel zu einem Symbol für die Triebkräfte und den Kampf des "rasenden, zerrenden, dröhnenden 19. Jahrhunderts" erklärte, wird die Realität mit viel Pathos verhängt. Nicht das Sein, sondern der Schein bestimmt das Bewusstsein. Baseball allerdings scheint wie geschaffen als perfekte Projektionsfläche für eine technologiebesessene Gesellschaft, die in ihren kollektiven Sehnsüchten von einer simpleren Welt träumt. Das Museum in Cooperstown ist das Sammelgefäß einer solchen romantischen Weltsicht, wie sie der für mehrere Oscars nominierte Hollywood-Film "Field of Dreams" - "Feld der Träume" vorführte. 11:17 O-Ton Film "Field of Dreams". Stimme: James Earl Jones (Terence Mann), eingebettete Musik aus dem Orginalfilm DATEI: "Field of Dreams" "The one constant through all the years, Ray, has been baseball. America has rolled by like an army of steamrollers. It has been erased like a blackboard, rebuilt and erased again. But baseball has marked the time. This field, this game: it's a part of our past, Ray. It reminds of us of all that once was good and it could be again. Oh... people will come Ray. People will most definitely come." 11:25 VOICEOVER: DATEI: "Kalwa 1" "Baseball war all die Jahre lang die einzige Konstante. Amerika ist wie eine Armee von Dampfwalzen vorbeigerollt. Es wurde abgewischt wie die Kreide auf einer Schiefertafel, wieder aufgebaut und wieder weggewischt. Aber Baseball hat die Zeit markiert. Dieses Feld, dieses Spiel sind Teil unserer Vergangenheit. Es erinnert uns an all das, was einmal gut war und wieder sein könnte." 11:59 SPRECHER: Wie dieses Denken funktioniert, hat zum ersten Mal ein deutscher Emigrant erklärt. Der Rechtshistoriker und Soziologe Eugen Rosenstock-Huessy, der Ende der fünfziger Jahre in einem Interview in der Sendereihe "Auszug des Geistes" für Radio Bremen den Zusammenhang zwischen Sport und seiner Arbeit als Geisteswissenschaftler an der Universität in Dartmouth beschrieb: 12:24 O-TON EUGEN ROSENSTOCK-HUESSY (Quelle: Archiv Radio Bremen, aus der Sendereihe "Auszug des Geistes", Sendetermin 21. 5. 1959): Teil eins: "Die Welt, die dem amerikanischen Studenten, der zu mir kommt, 20 Jahre etwa alt ist, wirklich lebhaft vertraut ist, ist die Welt des Sports. Da hat er all seine Tugenden, seine Erfahrungen, seine Neigungen und sein Interesse. Ich habe also meine ganze Soziologie um die Erfahrungen, die ein Amerikaner im Sport und im Spiel macht, aufgebaut." Teil zwei: "Und im Sport sind natürlich viele lyrische, dramatische Elemente. Während man in Europa vielleicht eine Soziologie auf eine Soziologie der Kunst aufbauen könnte, weil die Menschen Erfahrungen haben mit Wagner, Bach und Beethoven, muss man dieselben Erfahrungen transponieren, sozusagen, in das Gebiet des sportlichen." 13:07 Musik: "Heart" aus dem Musical "Damn Yankees" (1994 Original Broadway Recording). Komponist: Richard Adler, Texter: Jerry Ross 13:37 SPRECHER: Die Querverbindungen zwischen Sport und Kultur haben viele Spuren im amerikanischen Kulturalltag hinterlassen. Im Kino. Am Broadway, an dem 1958 das gefeierte Baseball-Musical "Damn' Yankees" mit dem Gassenhauer "Heart" Premiere hatte. Und in der Literatur. Zum Beispiel in dem viel beachteten Buch "Unterwelt" von Don DeLillo, ein voluminöser Epochenroman, der mit einer 70 Seiten langen Beschreibung eines einzigen Baseballspiels aus dem Jahr 1951 beginnt und sie einem anderen Ereignis gegenüberstellt: Der Nachricht, dass die Sowjetunion eine Atombombe gezündet hat. Im Stadion in New York gewannen damals die Außenseiter. Mit einem Home Run im letzten Spielabschnitt, der in den Rang einer absoluten Sensation erhoben wurde. Gefeiert als "The shot heard 'round the world." Es war - auf seine Art - ein Bombenspiel. 14:33 MUSIK: "Till the Bitter End" 14:33 O-TON RADIOAUFNAHME: WMCA-AM, New York, Radioreporter Russ Hodges (freistehend): DATEI: The Giants Win the Pennant" "There's a long drive... it's gonna be, I believe...THE GIANTS WIN THE PENNANT!! THE GIANTS WIN THE PENNANT! THE GIANTS WIN THE PENNANT! THE GIANTS WIN THE PENNANT! Bobby Thomson hits into the lower deck of the left-field stands! The Giants win the pennant and they're goin' crazy, they're goin' crazy! HEEEY-OH!!!'' 14:46 SPRECHER: "The Giants win the Pennant", brüllte Radio- Reporter Russ Hodges ins Mikrofon. "Die Giants gewinnen den Titel." Solch eine Sportart braucht wohl einen Ort, an dem sich diese Begeisterung und das ferne Echo darauf wie die Parallelen im Unendlichen begegnen. Einen wirklichen Schrein, dessen Besucher sich fühlen, als unternehmen sie eine Pilgerfahrt. Und auch daraus lässt sich lesenswerte Literatur schöpfen. Wie im Fall des Romans "Unabhängigkeitstag", in dem der Schriftsteller Richard Ford eine solche Reise zum Hauptstrang der Handlung machte. Als der Icherzähler, ein ehemaliger Sportreporter, mit seinem Sohn im Auto nach einem vorausgegangenen Abstecher zur Basketball Hall of Fame in der Stadt Springfield in Cooperstown eintrifft, biegt er mit dem Wagen in die Main Street und findet eine Szenerie vor, die noch heute fast exakt so aussieht. 15:35 ATMO: O-TON MAIN STREET COOPERSTOWN 15:40 O-TON Zitat Textpassage aus dem Buch "Unabhängigkeitstag" von Richard Ford DATEI "Kalwa 2" "An der Ecke sehe ich unerwartet am Ende der nach rechts abgehenden Straße die Ruhmeshalle des Baseball, ein blassrotes Gebäude im klassizistischen Stil, das nach Postamt aussieht, und ich mache eine schnelle, gefährliche Rechtskurve von der Chestnut Street herunter auf die Straße, die sich als Main Street herausstellt. Die Main Street ist voller Baseball-Touristen und hat die seelenlos gleichmütige, geschäftige Atmosphäre eines Collegestädtchens, wenn die Studenten zum Herbstsemester zurückkommen. Die Läden an beiden Straßenseiten verkaufen alles, was mit Baseball zu tun hat: Trikots, Karten, Poster, Autoaufkleber, zweifellos auch Radkappen und Kondome; und diese Läden teilen sich die Straße mit gewöhnlichen Kleinstadtgeschäften - einer Drogerie, einem Herrenbekleidungsgeschäft, zwei Blumenläden, einer Gaststätte, einer deutschen Bäckerei und verschiedenen Immobilienmaklern." 16:43 SPRECHER: Das ist der Ort mit seinen 2000 Einwohnern, der die Kulisse für die Inszenierung liefert. Deren Höhepunkt besteht jeden Sommer aus dem sogenannten "Induction Weekend". Dann strömen tausende Besucher durch Main Street. Und die alte Bäckerei, an der übrigens nichts Deutsch ist außer dem Namen "Schneider", arbeitet auf Hochtouren, wie Jennifer Zachow, die Managerin, sagt: 17:07 O-TON JENNIFER ZACHOW, SCHNEIDERS' BAKERY DATEI: "Cooperstown Soundbites" "That's their second stop. They go to the Hall of Fame. And then they come here. A lot of the times they shut Main Street right off, where people can walk out in the streets. And it's just very busy. There's players on the sidewalks signing autographs and memorabilia. It is just nice to see people come from all over." 17:10 VOICEOVER:(fehlt noch!!) DATEI: "Ürlings Schneider's Bakery" "Das ist ihre zweite Anlaufstelle. Zuerst gehen sie zur Hall of Fame, dann kommen sie hierher. Oft wird die Hauptstraße für den Verkehr gesperrt. Spieler sitzen auf dem Bürgersteig und geben Autogramme. Die Leute kommen von überall." SPRECHER: Der Weg eines Sportlers vom Sieger zu einem ruhmreichen Star und schließlich in den Rang einer unsterblichen Legende ist ein mysteriöser Prozess. Nicht jeder Held aus der Arena taugt dazu, die Vorzeigefigur einer Gesellschaft oder einer ganzen Ära zu werden. Es liegt am Charisma der Sportart und nicht zuletzt am Charisma eines Menschen, ob die Metamorphose gelingt. Es liegt an jenem Millionenpublikum, das sich mit seinen Athleten und ihren Leistungen identifiziert. Und es liegt an den Medien. Man nehme den Kapitän und Spielmacher der deutschen Fußballnationalmannschaft von 1954: Fritz Walter. In der Pfalz hat man nach ihm immerhin vor ein paar Jahren ein Stadion benannt. Aber ein einziger kitschiger Kinofilm genügte 50 Jahre nach dem WM-Finale, um "Das Wunder von Bern" umzudeuten: zu einem Triumph des zweifachen Torschützen und Stürmers Helmut Rahn und zu einer Eloge auf die Fußballwelt des Ruhrgebiets. Es war eine Umfälschung. Fünf Weltmeister - fünf von elf - kamen so wie Fritz Walter aus einem einzigen Club, dem 1. FC Kaiserslautern. Aus dem Ruhrgebiet kam nur einer. Solche Manipulationen im Umgang mit der historischen Wahrheit sind auch in Amerika an der Tagesordnung. Schon die Entscheidung für den Bau der Hall of Fame in Cooperstown basierte auf einer Fama. Auf der Behauptung, dass exakt hier, in diesem kleinen Ort, im Jahr 1839 das Baseball-Spiel erfunden wurde. Von einem Mann namens Abner Doubleday, der später als General im Sezessionskrieg zwischen den Nord- und den Südstaaten kämpfte. So wurde die feierliche Eröffnung der Baseball- Ruhmeshalle bewusst in den Sommer 1939 gelegt. Ein solches Jubiläum wollte gefeiert werden. 18:59 MUSIK: "Pomp (History in the Making)" 19:23 SPRECHER: Die Mär vom General und seiner Erfindung ist längst widerlegt worden. Aber in den dreißiger Jahren wurde es von niemanden hinterfragt. Schon gar nicht von jener wohlhabenden Industriellenfamilie namens Clark, die Cooperstown wie eine Aristokratendynastie beherrscht. Die Erben des Singer-Nähmaschinen-Imperiums, die in der Gegend am Lake Otsego, dem Schauplatz der Lederstrumpf- Geschichten von James Fenimore Cooper, ein großes Hotel und sehr viel Land besitzen, hatten sich in die Idee verliebt, mitten in der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre den Tourismus anzukurbeln. Sie schlugen den Bau einer Hall of Fame vor und finanzierten das Projekt. Die Liga gab ihren Segen. Und so standen sie im Sommer 1939 auf den Stufen vor dem neuen Gebäude: Ty Cobb, Babe Ruth, Honus Wagner und andere Ex-Profis, die in der ersten Blütezeit des Spiels, als das Radio begann, die Begegnungen live zu übertragen, zu überlebensgroßen Figuren geworden waren. 20:13 MUSIK: "Vintage News Short" O-Ton Tondokument von 1939 DATEI: Real Player 20100213 0938 Ansager: "Honus Wagner, the Flying Dutchman, the greatest shortstop in the game's history." Honus Wagner: "Ladies and Gentlemen. I was born in 1874. This organization was started in 1876. When I was a kid I said, I hope some day I will play up there in this league. And by chance I did." 20:29 Musik: "Pomp (History in the Making)" (Hinweis: Das Stück wird bewusst zweimal eingesetzt - wegen der Zeile "History in the making, you gotta love it") FREISTEHEND VON 20:39 bis 20:44 20:44 SPRECHER: Die Sache mit General Doubleday ist nicht die einzige Ungereimtheit in der Geschichte der Institution. So wurde bis heute einer der besten Baseball-Profis aller Zeiten, Pete Rose von den Cincinnati Reds, nicht in die Ruhmeshalle aufgenommen. Er hatte in den achtziger Jahren auf den Ausgang von Baseballspielen gewettet, war erwischt worden, hatte gelogen und war deswegen von niemand anderem als jenem Bartlett Giamatti, dem damaligen Commissioner, einem Agnostiker und Moralisten, auf Lebzeiten gesperrt worden. Die Tür zur Hall of Fame ging damit ebenfalls zu. Was mehr als bizarr wirkt. Unter den 292 Figuren in der Ruhmeshalle befinden sich jede Menge fragwürdige Charaktere: ein verurteilter Drogenhändler, ein ehemaliger Kokainsüchtiger, der knapp einer lebenslänglichen Baseball-Sperre entgehen konnte, zahllose Alkoholiker, ein Pitcher, der in einem Buch gebeichtet hat, dass er sich seinen Platz in der Hall Fame auf betrügerische Weise erschlichen hat. Dazu: wenigstens drei ehemalige Ku-Klux-Klan-Mitglieder. Darunter der berühmt-berüchtigte Ty Cobb, der nie den Verdacht ausräumen konnte, dass er einen Mord begangen hatte. Der Journalist Zev Chafets hat in seinem Buch "Cooperstown Confidential" auf die doppelte Moral hingewiesen, die im Verwaltungsrat der Hall of Fame herrscht, wo die Kriterien für die Aufnahme von Sportlern festgelegt werden. Es gibt eine besondere Moralklausel, die auf die Singer-Erben zurückgeht. Aber sie wird nicht auf jeden angewendet. Zur Zeit etwa gelten Spieler, die sich mit Anabolika gedopt haben als persona non grata. Doch da es sich dabei um die besten Profis einer ganzen Generation handelt, steht die Hall of Fame vor einem Dilemma. 22:33 O-TON ZEV CHAFETS: DATEI: "Chafets Soundbite" "There is an honest attempt by the Hall of Fame to do what it thinks is right. Baseball is a business. It's show business. But baseball to the extent that it prides itself - and here the Hall of Fame is the single leading factor on this - on being an exemplar of good character is more open to charges of hypocrisy than let's say boxing which doesn't really pretend to be more than a public exhibition featuring a lot of guys you would not want to in the alley in a dark night." 22:42 VOICEOVER: Datei: "Kalwa 1" "Die Hall of Fame versucht sicher ehrlich das zu machen, was sie für richtig hält. Aber da Baseball und die Hall of Fame sich so gerne als Musterbeispiel für Menschen mit untadeligem Charakter präsentieren, kann man sie leichter der Heuchelei bezichtigen als etwa das Boxen. Dort gibt man nicht vor, irgendetwas anderes zu tun, als solche Typen vorzuführen, denen man nachts nicht in einer dunklen Gasse begegnen möchte." 23:16 SPRECHER: Dass die Kritik an solch einer Heuchelei selten laut wird, liegt nicht zuletzt an der unwiderstehlichen Magie von Biographien wie der des Einwandererkindes Joe DiMaggio, der in den dreißiger Jahren aus San Francisco zu den New York Yankees kam, dem berühmtesten amerikanischen Sportclub. Dort wurde er zu einem der besten zehn Profis in der Geschichte des Spiels. Seine märchenhafte Aufsteiger- und Erfolgsgeschichte machte ihn zu einem Idol. Als DiMaggio Anfang der fünfziger Jahre seinen Abschied vom aktiven Sport nahm, gelang ihm mühelos der Übergang zu Teil zwei seines Aufstiegs ins öffentliche Bewusstsein. Als er wenig später in der Fernsehsendung "What's My Line?" auftrat, dem Vorbild für Robert Lembke's "Was bin ich?", brauchte das Rateteam trotz der Masken vor den Augen nicht lange, um seine Identität zu ermitteln. Er war schließlich erst kurz zuvor in die Baseball Hall of Fame aufgenommen worden. Er war ein Superstar. 24:13 O-TON Rateteammitglied der Fernsehsendung "What's My Line?" 1955 (freistehend): DATEI: Joe_DiMaggio_on_What_s_My_Line "...and probably the fanciest of his time and recently admitted into the Hall of Fame - the Hall of Baseball Fame - Joe diMaggio?" - "Joe DiMaggio..." 24:23 SPRECHER: Es dauerte nicht lange und der Rest der Welt wurde ebenfalls auf ihn aufmerksam. Der Anlass? Seine Heirat mit der Schauspielerin Marylin Monroe. Als sie die berühmte Szene mit dem von der vobeifahrenden U-Bahn aufgewirbelten Rock für den Film "Das verflixte Siebte Jahr" drehte, stand er auf der gegenüberliegenden Seite der Lexington Avenue von Manhattan und schaute zu. 24:42 O-TON FILMSZENE "THE SEVEN YEAR ITCH" (freistehend) DATEI: "Subway 7 Year Itch" Männerstimme: "That's a very interesting point of view." Marilyn Monroe: "Do you feel the breeze of the subway? Isn't it delicious?" 24:53 SPRECHER: Die Ehe mit Marilyn Monroe ging nach nur neun Monaten auseinander. Joe DiMaggio versilberte seinen Ruhm weiter wie gewohnt - mit Werbespots für einen Kaffeemaschinen-Hersteller und mit Autogrammstunden, für die er viel Geld verlangte. Doch dann - man schrieb das Jahr 1967 - passierte etwas Unerwartetes. Da wurde aus dem Über-Sportler eine Legende der Popkultur. (Musik drunter)Und alles nur wegen ganzer vier Zeilen in dem anspielungsreichen Lied "Mrs. Robinson". Ein Song, der für den Erfolgsfilm "Die Reifeprüfung" komponiert worden war und in einer späten Strophe die unschuldige und symbolisch gemeinte Frage stellte: "Where have you gone, Joe DiMaggio?" - "Wohin bist du gegangen, Joe DiMaggio? Unsere Nation richtet unsere einsamen Augen auf dich. Was meinen Sie, was das heißt. Mrs. Robinson? Joltin' Joe, ist weg und gegangen." 25:47 O-Ton: Song "Mrs. Robinson" (freistehend) DATEI: Simon___Garfunkel_-_Mrs._Robinson "Where have you gone, Joe DiMaggio? Our nation turns its lonely eyes to you. What's that you say, Mrs. Robinson? Joltin' Joe has left and gone away." 26:14 SPRECHER: Da klang Nostalgie nach dem Zuschnitt der sechziger Jahre durch. Geprägt von Verlustgefühlen. Amerikas Soldaten starben in Vietnam. Studenten revoltierten an den Universitäten. Der Baseball-Profi schien die ideale Figur, um diese Gefühle - konfliktfrei, generationenübergreifend - widerzuspiegeln.(Musik weg!) Einer allerdings konnte mit dieser Allegorie überhaupt nichts anfangen: Joe DiMaggio. Als er Song-Texter und Komponist Paul Simon in einem Restaurant in New York zufällig begegnete, beschwerte er sich: "Ich bin nirgendwo hingegangen". Der Sportler selbst hatte den Symbolwert seiner Existenz nie verstanden. Als DiMaggio 1999 starb, ging er allerdings wirklich. Wohin? An den Ort an den Bart Giamatti gegangen war und die vielen berühmten Baseball-Profis vor ihm. Brad Horn, der Abteilungsleiter für Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der Hall of Fame: 27:13 O-TON BRAD HORN: Datei "Cooperstown Soundbites" "He became a part of what Cooperstown represents, this mythical celebratory iconic status. He became part of that mythical all-time greatest team ever that ends up in Cooperstown. And I think that's what people look to in terms of this American celebration of sport and society coming together. That's why Cooperstown is still relevant. You can come and touch those individuals who are icons or were just great ball players that our history once adored and revered. Joe DiMaggio ending up in Cooperstown is a way for every fan of the game now and whoever comes forward to say: Here is, where he is at. I can touch his plaque. I can take my fingers and run them across his bronze facial likeness and know Joe DiMaggio." 27:23 VOICEOVER: DATEI: "Kalwa 1" "Er wurde ein Teil von dem, was Cooperstown symbolisiert, dieser mythische, gefeierte ikonenhafte Status. Und ich glaube, das ist es auch, wonach sich die Menschen sehnen, wenn sie die Schnittstelle von Gesellschaft und Sport feiern. Das ist der Grund, weshalb Cooperstown noch immer relevant ist. Man kann hierherkommen und diese Individuen berühren und sagen: "Hier sind sie. Ich kann mit meinen Fingern ihre Bronzegesichter betasten und sagen: Ich kenne Joe DiMaggio." Ende Text (28:00) 27:55 MUSIK: "Cooperstown" (bis 30:00) Zur Aussprache: Giamatti = Dschamatti Muder = Mjuder Chefets = Schafets Rosenstock-Huessy = ... Hüssi Damn Yankees = Dämn 1