COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Der Kampf um das Geschlecht Chancen und Schwierigkeiten inter- und transsexueller Athleten Nachspiel, 27.6.2010 Autorinnen: Jutta Heess/Katrin Weber-Klüver Redaktion: Jörg Degenhardt Radio-Reporter zu Caster Semenyas WM-Lauf: "Wir zweifeln jetzt in diesem Augenblick, weil die weltbesten Frauen laufen doch jetzt zehn Meter hinter dieser Dame hinterher. Möglicherweise gibt es sogar eine Zeit, die wir lange, lange nicht gesehen haben..." Berlin, 19. August 2009. Die 18 Jahre alte Südafrikanerin Caster Semenya wird über 800 Meter in 1:55,45 Minuten Weltmeisterin. Doch es brandet kein Jubel auf, als Semenya die Ziellinie passiert. Ihre Leistungsexplosion über die Mittelstrecke in diesem WM-Jahr ist zu gewaltig, um nicht Misstrauen zu erregen. Noch verdächtiger: Sie tritt zwar bei den Frauen an - irritiert aber durch ihre männlich wirkende Erscheinung. Die Zweifel geistern nicht nur durch die Zuschauerreihen im Olympiastadion, sondern auch mit einer Art wohligem Schauer durch die Zeitungsschlagzeilen: 2. Sprecher/in - Collage - Tausende Augen fragen: Was ist das? (Frankfurter Allgemeine Zeitung) - XY ungelöst (die tageszeitung) - Ist diese Lady eine Frau? (Frankfurter Allgemeine Zeitung) - Frau oder Mann? (Die Welt) - Sextest bei Caster Semenya! - ist diese Weltmeisterin ein Mann? (Bild- Zeitung) O-Ton Sabine Hark, Soziologin: Solange nicht widerlegt ist, dass sie eine Frau ist, ist sie eine Frau. Jetzt mal abgesehen davon, dass sie natürlich eine ist, weil sie selbst sich so definiert. Die Soziologin Sabine Hark ist Leiterin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der Technischen Universität Berlin und hat den Fall Semenya aufmerksam verfolgt. Für Hark geht es um die grundsätzliche Frage, wie geschlechtliche Identität in unserer Gesellschaft definiert wird. Im Sport muss eine Frau messbar und nachweisbar eine Frau sein. Bei Caster Semenya ist das vermutlich nicht der Fall. Biologisch gesehen ist die Südafrikanerin allerdings sehr wahrscheinlich auch kein Mann, sondern intersexuell. Bereits vor den Weltmeisterschaften hatte der Internationale Leichtathletikverband, der IAAF, einen Geschlechtstest bei Caster Semenya angeordnet, um ihre Startberechtigung bei den Frauen zu prüfen. Doch der südafrikanische Leichtathletikverband ließ die junge Athletin in Berlin antreten - ohne dass ein Test- Ergebnis vorlag. Waren die Funktionäre einfach zu begierig auf eine Medaille? Die Juristin und ehemalige 800-m-Läuferin Sylvia Schenk hat bereits intersexuelle Sportler beraten. Das Verhalten der Funktionäre sowie die Diskussion über Semenyas Geschlecht hält auch sie für unsäglich: O-Ton Sylvia Schenk, Juristin: Angefangen hat es ja vor dem Gewinn der Weltmeisterschaft und es ist von vorne bis hinten sowohl vom südafrikanischen Verband als auch vom internationalen Leichtathletikverband sowas von schlecht gemanagt worden, das ist das Hauptproblem. Was aber nur ein Symptom dafür ist, wie die Verbände auf nationaler und internationaler Ebene, wie hilflos und unprofessionell die mit dieser Problematik umgehen. Aber so was muss vorher geklärt werden, dass man einen jungen Menschen nicht in so eine Situation bringt, da haben alle Systeme versagt. Caster Semenya ist es nach ihrem Weltmeisterlauf nicht vergönnt, ihren Erfolg zu genießen. Zwar darf sie Titel und Siegprämie behalten, aber ihr steht ein Marathon der Demütigungen bevor. Sie wird Gegenstand von Spekulationen und Spott; sie wird in Bildern, die mal ihre Weiblichkeit, mal ihre Männlichkeit belegen sollen, zur Schau gestellt; ihre persönliche Aufrichtigkeit wird bezweifelt, die Glaubwürdigkeit des südafrikanischen Verbandes erschüttert, Juristen schalten sich ein. Und: Was vor der WM diskret geklärt werden sollte, wird nun ein entwürdigend öffentlicher Vorgang: die Überprüfung von Semenyas Geschlecht. Die für den Wettkampfsport entscheidende Frage ist, ob und wie in Semenyas Körper männliche Sexualhormone wirken. Anders gesagt: Ob durch einen erhöhten Testosteronspiegel ein Fall von sozusagen Naturdoping vorliegt. Offiziell ist das Ergebnis allerdings auch zehn Monate nach der WM nicht veröffentlicht worden. Caster Semenya hat seit ihrem WM-Sieg kein Rennen mehr bestritten, die Fortsetzung ihrer Karriere ist ungewiss. MUSIK Intersexuelle Menschen werden auch Hermaphroditen oder umgangssprachlich Zwitter genannt. Sie verfügen über Ähnlichkeiten sowohl mit dem weiblichen als auch dem männlichen Geschlecht in Hinblick auf Chromosomensatz, Keimdrüsen oder Hormonproduktion. Damit passen Intersexuelle offenbar nicht in unser gesellschaftliches Ordnungssystem. O-Ton Sabine Hark, Soziologin: Schon da, wo man erwarten würde, es gibt eine eindeutige Definition, nämlich in der Medizin, die schließlich auch den Terminus der Intersexualität geprägt hat, gibt es eine große Grauzone, was die Geschlechtsbestimmung angeht. Wo schon die Gesellschaft insgesamt Probleme hat, die geschlechtliche Uneindeutigkeit eines Menschen zu akzeptieren, ist es für den Sport erst recht schwierig. Im Sport ist das Geschlecht das wichtigste Kriterium, wenn Leistungen verglichen werden, fast durchweg treten Männer gegen Männer und Frauen gegen Frauen an. Der höhere Anteil von Sexualhormonen wie Testosteron im Körper verschafft Männern immer einen von Frauen nicht einholbaren physischen Wettbewerbsvorteil. Lange Jahre war es Praxis, dass alle Frauen sich bei Olympischen Spielen sogenannten "Sex-Tests", einer Überprüfung des Geschlechts, unterziehen mussten. Männern blieb diese Prozedur von jeher erspart. Ein Intersexueller, der als Mann antritt, hat durch seine hormonelle Ausstattung allenfalls Nachteile, und das stört keinen Konkurrenten. Zu den Olympischen Spielen in Sydney 2000 hob das Internationale Olympische Komitee, das IOC, den Geschlechtstest bei Frauen auf. Jetzt wird er nur noch zur Einzelfallprüfung eingesetzt. Sozusagen auf Verdacht - wie bei Caster Semenya oder der indischen Mittelstreckenläuferin Santhi Soundarajan. Bei den Asien-Spielen 2006 gewann sie eine Silbermedaille über 800m, die sie zurückgeben musste, nachdem der Geschlechtstest einen männlichen XY-Chromosomensatz offenbarte. Ein Dreivierteljahr später versuchte sie sich das Leben zu nehmen. MUSIK Im Sport existiert bisher keine klare Regelung, wie mit Menschen uneindeutigen Geschlechts umgegangen werden soll. Seit 2006 gibt es immerhin ein Dokument der IAAF, das umreißt, in welchen Fällen Intersexuelle bedenkenlos bei den Frauen starten können. Eine Gruppe sind beispielsweise Frauen, die zwar statt der weiblichen XX- Chromosomen die männlichen XY-Chromosomen haben, in deren Körper aber die männlichen Sexualhormone nicht rezipiert werden können und somit nicht leistungsfördernd wirken. Doch auch die Empfehlung der IAAF stößt schnell an Grenzen, da es zahlreiche verschiedene Formen der Intersexualität gibt. Für Zweifelsfälle schlägt die IAAF-Schrift die Prüfung durch eine interdisziplinäre Kommission aus Medizinern, Hormonspezialisten, Psychologen und Sozialwissenschaftlern vor. Und damit umschreibt das Dokument nichts anderes als Wunsch und Unmöglichkeit zugleich, durchweg eindeutige und unbezweifelbare Aussagen über das Geschlecht eines jeden Menschen zu machen. Wann ist eine Frau eine Frau? Wenn sie sich so fühlt, würde Sabine Hark sagen. Im Sport reicht das nicht. MUSIK Anders als bei Intersexualität ist das Bedürfnis nach klarer Zuordnung in die Kategorien Mann und Frau bei transsexuellen Sportlern einfach zu stillen. Transsexuelle Menschen gehören genetisch und organisch eindeutig einem Geschlecht an, identifizieren sich aber mit dem biologisch anderen. Viele entscheiden sich für eine Hormonbehandlung sowie eine geschlechtsangleichende Operation. Transsexualität wird von der Weltgesundheitsorganisation nicht als organische Abweichung von der Norm definiert, sondern als Geschlechtsidentitätsstörung. Diese Kategorisierung als psychische Krankheit ist umstritten. Wie Intersexualität ist auch Transsexualität im Sport nur bei Frauen ein Thema. Im Kern geht es allein um die Frage: Wie viel männliche Hormone wirken auf die Leistung ein? Wie testosterongestählt ist der Körper? Dass und wie der Hormonhaushalt Persönlichkeit und Leistungsfähigkeit bestimmt, erfahren transsexuelle Sportler sehr intensiv. Sie erleben es durch die Veränderungen in ihrem eigenen Körper, wie zum Beispiel die Triathletin Nicole Schnaß: O-Ton Nicole Schnaß, transsexuelle Triathletin: Ich wurde ja von meinen Ärzten auf diese Sache eingestellt, mir wurde ja gesagt, dass durch diese Operation und durch diese lange Verweildauer im Krankenhaus ich rapide Muskelmasse verloren habe und die nicht mehr aufgebaut werden kann. Dass durch die Hormonzufuhr ebenfalls die Leistungsfähigkeit von mir reduziert werden wird. Und so war es für meine Ärzte sehr erstaunlich, dass ich es geschafft habe, im Radfahren schließlich 2009 wieder an alte Leistungen anzuknüpfen. Zwar muss ich dadurch den doppelten Trainingseinsatz zeigen wie vorher, aber ich hab's geschafft. Im Schwimmen, Laufen, da bin ich eben immer noch sehr schlecht. Nicole Schnaß, 39 Jahre alt, sitzt in Jeans und Bluse auf dem Sofa ihrer Mansardenwohnung in Krefeld, umstromert von ihren Mitbewohnern, zwei schwarzen Katzen. Sie ist eine schlanke Frau mit kinnlangen dunkelblonden Haaren. Nicole Schnaß begann 1989 als Teenager mit dem Triathlonsport. Damals hieß sie noch Elmar. Vierzehn Jahre später war sie sich sicher: Die männliche Identität stimmte für sie nicht. Nicole Schnaß ließ sich Anfang 2007 operieren, und bereits seit 2003 nimmt sie täglich weibliche Hormone ein. O-Ton Nicole Schnaß, transsexuelle Triathletin: Wahrscheinlich auch durch diese Hormonzufuhr hat sich mein ganzes Gefühlsleben total verändert. Also, sagen wir mal so, ich bin ziemlich weinerlich geworden, ich bin total weich geworden, ich kann mich über Kleinigkeiten erfreuen, die ich früher nicht gesehen habe. Wenn da ein Blümchen heutzutage am Wegesrand steht, dann hole ich meine Kamera raus und mache ein Foto. Nach der Operation war Schnaß zwei Jahre lang für Wettkämpfe gesperrt. Sylvia Schenk, ehemalige Sportfunktionärin, erklärt die Empfehlung des IOC aus dem Jahr 2004, durch die transsexuelle Athleten wieder in den Wettkampfbetrieb integriert werden können. O-Ton Sylvia Schenk: Die Regelung vom IOC sagt eben, wenn jemand ursprünglich ein Geschlecht rechtlich hatte, dann kann er oder sie mit dem anderen Geschlecht starten - wobei die interessanten Fälle eigentlich immer nur von Mann zu Frau sind, umgekehrt ist es unter Leistungsgesichtspunkten aus IOC-Sicht nicht so entscheidend - kann also der ehemalige Er, jetzt Sie, nur dann entsprechend bei den Frauen starten, wenn nach den rechtlichen Voraussetzungen im jeweiligen Land das andere Geschlecht rechtlich anerkannt ist, eine irreversible Operation stattgefunden hat. Für professionelle Sportler wäre eine zweijährige Wettkampfpause in der Regel das Ende ihrer Karriere - allein schon weil ein erheblicher Ausfall an Einnahmen zu überbrücken wäre. Auch Nicole Schnaß betreibt Triathlon mit großem Aufwand und bis zu 25 Trainingsstunden pro Woche. Ihren Lebensunterhalt verdient die gelernte Chemielaborantin jedoch nicht mit dem Sport. O-Ton Nicole Schnaß, transsexuelle Triathletin: In der Phase, wo ich auch sehr viele Behördengänge machen musste, und auch von 2007 bis 2009 eine Sicherheitssperre, die vom Internationalen Olympischen Komitee verhängt worden ist für transsexuelle Sportler, die in ihrem Wunschgeschlecht starten möchten, in dieser Zeit hätte ich es wahrscheinlich nicht ohne meinen Triathlonsport ausgehalten. Dieses Training, das war für mich die Möglichkeit, in mir selbst aufgestaute Energien und Wut abzubauen. MUSIK Er war früher eine erfolgreiche Stabhochspringerin. An diesem Satz ist nichts falsch, beschreibt er doch genau die Vergangenheit von Balian Buschbaum: Yvonne Buschbaum gewann mehrfach die Deutschen Meisterschaften, bei den Olympischen Spielen im Jahr 2000 in Sydney wurde sie Sechste, die gleiche Platzierung errang sie bei den Weltmeisterschaften 2003. Danach folgte eine Zeit, die von Verletzungen geprägt war. Eine Zeit, in der Yvonne Buschbaum endlich zum Nachdenken kam. 2007 beendete sie ihre sportliche Laufbahn und kündigte an, dass sie von nun an als Mann leben wolle. Buschbaum begann eine Hormontherapie; im Jahr 2009 dann die geschlechtsangleichende Operation. Er habe sich schon immer als Mann gefühlt, erzählt Balian Buschbaum beim Treffen in seiner Heimatstadt Mainz: O-Ton Balian Buschbaum, transsexueller Stabhochspringer Ich wusste von Anfang an, irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas ist anders. Als ich in die Pubertät kam, da wurde es schwierig, weil ich da gedacht habe, das geht in die völlig falsche Richtung. Ich habe auch lange Zeit gebraucht, bis ich ein Wort dafür hatte. Als ich das nach und nach sortiert hatte, war dann die plötzliche Frage von meiner damaligen Freundin ihrer Mutter, warum lässt er sich denn nicht operieren? Und das Beste daran war: Es gab ja noch eine Lösung für mein Problem. Die Lösung seines Problems bedeutete aber auch den vorläufigen Abschied aus dem Hochleistungsport. O-Ton Balian Buschbaum, transsexueller Stabhochspringer: Für mich standen die zweiten olympischen Spiele auf dem Speiseplan, sag ich mal so, und als ich dann diese Frage gestellt bekommen habe, warum lässt du dich nicht operieren, war mir alles egal, weil ich wusste, das Leben, das mich jetzt erwartet, das ist viel, viel größer als ein Olympiasieg, das hat mich nicht mehr interessiert. Zu diesem Zeitpunkt hätte man mir wirklich alles nehmen können, meine Wohnung, mein Auto, ich wollte einfach nur frei in mir sein. Die gewonnene Freiheit, nun im richtigen Körper zu leben, merkt man Balian Buschbaum an. Er ist selbstbewusst, trägt einen tief ausgeschnitten Pullover, der seine männliche Brust zeigt. Gerade hat er ein Buch über sein Leben verfasst und ist ein gern gesehener Gast in Talkshows. Dem Sport ist er nach wie vor verbunden, zurzeit arbeitet er als Stützpunkttrainer beim USC Mainz. Eine Rückkehr zum Leistungssport möchte er nicht ausschließen. Als ehemalige Frau hätte er es allerdings nicht leicht, bei den Männern vorne mit dabei zu sein - trotz Testosteronbehandlung. Nachteile in der Körpergröße und im Skelettbau bleiben. Balian Buschbaum hat durch seine Hormoneinnahme einen Einblick in die Effektivität von Doping bei Frauen: O-Ton Balian Buschbaum, transsexueller Stabhochspringer Durch das Testosteron hat sich natürlich viel bei mir verändert, nicht nur das Äußere mit Bartwuchs und tieferer Stimme, sondern auch die Körperstruktur, wo ich einfach merke, das Unterhautfettgewebe ist zurückgegangen, dieser berühmte Stiernacken, wo man einfach nachgesagt bekommt, wer dopt, der bekommt diesen Stiernacken. Oder auch, was sich bei mir rauskristallisiert hat, ist die Wadenform, das hat sich schon alles erheblich verändert - ohne Training. Und da denke ich mir, wenn ich bei manchen Sportlerinnen auf die Waden oder auf diesen Stiernacken oder auf den Unterkiefer, der ein bisschen vorgeschoben wurde, gucke, dann weiß ich auch, Mädel, das geht nicht mit rechten Dingen zu. Vor allem, wenn die Leistungsentwicklung innerhalb von ein paar Monaten wirklich explodiert. Balian Buschbaum erfährt am eigenen Leib, wie leistungsfördernd männliche Hormone sind. Er erzählt, dass seine Kraft und seine Schnelligkeit immens zugenommen haben - obwohl er viel weniger trainiert als früher. Während Balian Buschbaum sich entspannt auf ein mögliches Comeback im Leistungssport vorbereiten kann, war es für Nicole Schnaß von Anfang an schwierig, als ehemaliger Mann nun im Spitzensport der Frauen mitzumischen. Buschbaum wird unter Männern keine körperlichen Vorteile haben, aber wie ist das bei einer Frau, die einst ein Mann war? Nicole Schnaß gewann 2009 auf Lanzarote in ihrer Altersklasse das Qualifikationsrennen für den Ironman auf Hawaii. Für die Zweitplazierte - eine Athletin, die Nicole Schnaß seit vielen Jahren als Triathlet Elmar Schnaß kannte - hätte das normalerweise das Aus für Hawaii bedeutet. Die Organisatoren lösten das Problem, indem sie beide Frauen zu Siegerinnen in ihrer Klasse erklärten. O-Ton Nicole Schnaß, transsexuelle Triathletin: Und als sie dann auch einen zweiten ersten Platz angeboten bekommen hat, hat sie mich gefragt, ob ich denn was unternehmen würde dagegen, weil rechtlich hätte ihr das nicht zugestanden. Und ich habe ihr dann gesagt, dass sie doch genauso gefightet hat im Wettkampf wie ich, dass wir uns sportlich fair gemessen haben und ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn wir gemeinsam in Hawaii auch an den Start gehen können. Das ist eine meiner besten Freundinnen geworden. Und wir haben uns auch in Hawaii ins Ziel gepusht. Und das ist wirklich eine Geschichte, die auch mich selber geprägt hat. MUSIK Nicole Schnaß sagt von sich, sie sei eine Motivationsbombe. Und das bezieht sie nicht nur auf sich selbst, sondern auch auf ihr öffentliches Bekenntnis zu ihrem Leben als transsexueller Sportlerin: O-Ton Nicole Schnaß, transsexuelle Triathletin: Dadurch dass ich jetzt auch andere Sportler als Vorbild diene, dass sie sich auch raus trauen, dass sie ihre Sportart, Triathlon oder was auch immer sie unternehmen, weiter betreiben, das zeigt doch, dass, was ich bis jetzt erreicht habe, sehr positiv für einen Teil der Bevölkerung ist. An die Öffentlichkeit zu gehen, statt das Besondere ihrer Situation zu verstecken, das ist auch Anja Kumst ein Anliegen. Die Hamburgerin hat den Verein Intersexuelle Menschen e.V. mitgegründet; ein Verein, der sich für Rechte und Chancen Intersexueller einsetzt und aufklären will. Integration von Trans- und Intersexuellen - der Sport macht hier nach wie vor keine glückliche Figur. Davon kann auch Anja Kumst berichten. Die 40-Jährige hat einen weiblichen Vornamen, ist rechtlich eine Frau und jeder Mensch, der sie sieht, würde sie auch als Frau beschreiben. Sie ist groß, sportlich, trägt die langen Haare als Pferdeschwanz. Anja Kumst ist jedoch intersexuell, sie hat einen XY-, also männlichen Chromosomensatz. Ihr Körper produziert überhaupt keine Hormone. Als sie auch mit 18 Jahren noch keine Monatsblutung hatte, ließ sich Anja Kumst untersuchen. Erst da wurde ihre Intersexualität entdeckt. Die Diagnose habe sie nicht geschockt, im Gegenteil, erklärt sie in ihrer Hamburger Wohnung. Sie habe immer geahnt, dass sie anders sei. Kumst geht sehr offen mit ihrer Intersexualität um, spricht auch mit Kollegen darüber, benutzt ganz unverblümt den Begriff "Zwitter": O-Ton Anja Kumst, intersexuelle Läuferin Weil es ein abfälliger Begriff ist, haben wir es ok gemacht. Wenn man Leuten erzählt, ich bin intersexuell oder ich bin Hermaphrodit oder irgendwas, dann gucken die einen an wie ein Bahnhof. Wenn man aber sagt, ich bin Zwitter, ach ja, in zehn Prozent der Fälle heißt es dann, das sind doch die, die das Geschlecht wechseln. Dann haut man den mal ein bisschen und dann weiß der auch Bescheid. Aber die meisten können sich unter Zwitter irgendwas vorstellen. Anja Kumst ist eine ambitionierte Sportlerin. Sie läuft Langstrecken-Rennen im Betriebssport. Die Debatte um Caster Semenyas Geschlecht hat sie aufmerksam verfolgt. Sie kämpft dafür, dass Intersexuelle als solche anerkannt werden. Die Schätzungen, wie viele Menschen auf der Welt intersexuell sind, gehen auch in der Fachwelt weit auseinander, sie liegen zwischen knapp zwei und nicht einmal 0,02 Prozent - letzteres würde bedeuten, dass einer von 5000 Menschen intersexuell ist. Eine Operation aus gesundheitlichen Gründen ist nur in seltenen Fällen notwendig, wird aber vielfach schon bei Kindern vorgenommen, um ihnen ein medizinisch indiziertes, eindeutiges Geschlecht zu geben. Man könnte auch sagen: aufzuzwingen. Sabine Hark spricht von einer "extrem tabuisierten Lebenssituation": O-Ton Sabine Hark, Soziologin: In der Regel werden die Kinder noch als Säuglinge oder als sehr kleine Kinder den entsprechenden Interventionen unterworfen, sprich: wie auch immer geschlechtseindeutigend chirurgisch behandelt. Medizinisch gesehen ist es ja eigentlich keine Störung, es ist jetzt nicht gesundheitsgefährdend, es ist keine Krankheit. Auch Anja Kumst lehnt diese geschlechtsangleichenden Operationen ab. Gerade hat ihr Verein eine Informations-Broschüre für Hebammen erstellt. Jedem Kind, auch einem intersexuellen, sei damit geholfen, wenn es so sein darf wie es ist, so Kumst. Es müsse nicht für die Gesellschaft passend gemacht werden. Wenn noch nicht einmal die Gesellschaft bereit für die Akzeptanz Intersexueller ist, wie schwierig ist es dann erst im Sport, vor allem im Wettkampfsport. Eine Erfahrung, die auch Anja Kumst gemacht hat. Sie fühlt sich weder in der Frauen- und noch in der Männerkonkurrenz richtig aufgehoben. Aus gesundheitlichen Gründen trägt sie jeden Morgen Testosterongel auf ihre Unterarme auf. O-Ton Anja Kumst, intersexuelle Läuferin Ich bin eingestellt auf einen Testosteronspiegel für einen normalen männlichen Wert, damit mein Stoffwechsel entsprechend funktioniert, würde nie die Leistungsfähigkeit eines Mannes erreichen. Auch wenn ich genauso trainiert wäre, wäre ich auf zehn Kilometer sicher fünf Minuten langsamer. Ich mache viel beim Betriebssport, ich laufe da im Moment wieder bei den Frauen mit. Ich habe mich lange als männlich angemeldet, weil ich das als unangenehm empfand, mit diesem normalen männlichen Testosteron-Spiegel bei den Frauen mitzulaufen, fühlte mich, als ob ich gedopt mitlaufe, und wollte das den Frauen, die nach mir sind eventuell, nicht antun. Habe mich dann als männlich angemeldet, wurde immer wieder wegen des Vornamens in die weibliche Ergebnisliste eingegliedert, tja, und irgendwann habe ich es dann aufgegeben. Aber selbst jetzt bei den Frauen mitzulaufen, fühle mich immer wie ein Außerirdischer. Das ist und bleibt das eigentliche Problem: Dass Intersexuelle, die bei den Frauen starten, durch einen höheren Wert männlicher Hormone - sei es naturbedingt oder substituiert - leistungsstärker sein könnten als andere Athletinnen. Falls Caster Semenya tatsächlich intersexuell ist, könnte sie über einen höheren Testosteron- Spiegel verfügen als andere Frauen. Das könnte den großen Zeitvorsprung im WM- Finale erklären - muss es aber nicht. Sie war in Berlin knapp zweieinhalb Sekunden schneller als die Zweitplatzierte. Aber sie war immer noch zehn Sekunden langsamer als der 800-Meter-Weltmeister bei den Männern. Mit ihrer Siegerzeit wäre sie allenfalls vor 100 Jahren noch konkurrenzfähig in der Weltelite der Männer gewesen. Das gleiche gilt aber auch für die Siegerin des Hochsprungwettbewerbs der WM in Berlin. MUSIK Sabine Hark sieht es als Erfolg des Falles Semenya, dass die Geschlechterfrage überhaupt thematisiert und interdisziplinär diskutiert wird. O-Ton Sabine Hark, Soziologin: Dass in der Berichterstattung über den Fall Caster Semenya vermehrt Mediziner und Medizinerinnen, Genetiker, Sportmediziner sich geäußert haben dahingehend: Wir wissen es nicht. Wir wissen letztendlich nicht, was Geschlecht ist und wir können es auch nicht eindeutig bestimmen. Das fand ich bemerkenswert. Doch die Frage, wie nun der Sport mit intersexuellen Athleten umgehen soll, steht weiter im Raum. Wäre möglicherweise eine dritte Wettkampfklasse eine Lösung? O-Ton Anja Kumst Ich könnte mir vorstellen, dass die Leistungsdichte unter Zwittern etwas besser vergleichbar ist als jetzt zwischen Männern und Frauen, tja, es ist auch für mich schwer zu sagen. Ich bin nur recht unglücklich, bei Männern oder bei Frauen mitlaufen zu müssen. Da müsste man eigentlich ähnliche Leistungsgruppen zusammenstellen, die gegeneinander antreten dürfen. Wie man die definiert, das ist so ne Sache. Denn bei Boxern geht es nach Gewichtsklassen, letzten Endes, wenn man es gerecht macht, ist es auch wieder ungerecht, weil dann nicht Hein Daddel gegen He-Man kämpfen darf. O-Ton Sylvia Schenk, Juristin: Ich kenne diese Forderungen nach einem dritten Geschlecht, aber man wird keine olympischen Spiele für ein drittes Geschlecht machen oder man wird auch nicht sagen: Jetzt kommt der 800m-Endlauf der Intersexuellen, weil man es ja offensichtlich auch noch in Stufen unterscheiden muss. Insofern, selbst wenn man einzelne Wettkämpfe macht oder irgendwelche Sonder-Games macht, ich glaube nicht, dass den Intersexuellen damit gedient wäre. Man muss dann im Grund, so wie es die Regelung vom IOC vorsieht, im jedem Einzelfall sehen, ob es machbar ist oder nicht. Caster Semenya, so heißt es, nehme inzwischen Hormone, um ihren Körper für ein weibliches Starterfeld akzeptabel zu machen. Es bleibt ihr, so sie weiter Leistungssport treiben will, wohl kaum etwas anderes übrig als diese zwangsweise Anpassung an ein binäres System. Sabine Hark meint allerdings, dass es sich lohnt, über alternative Kategorien zumindest nachzudenken. O-Ton Sabine Hark, Soziologin: Männlich - weiblich ist eine Weise, wie wir klassifizieren im Sport, wie wir Leistungsklassen erst einmal organisieren und das ist für uns in unserer Kultur die scheinbar evidenteste. Wie ist es im Golf? Im Golf ist es über Handicaps geregelt, durch die Spielpraxis, die man hat. Da spielt das Geschlecht auch keine Rolle. MUSIK Das Problem des Hochleistungssports, angemessen mit inter- und transsexuellen Menschen umzugehen, wird vermutlich nicht pauschal lösbar sein. Und im Breitensport? Nicole Schnaß sagt, sie sei bislang bei Wettkämpfen weder aus dem Publikum noch von Konkurrentinnen angefeindet worden. Sylvia Schenk und Anja Kumst berichten hingegen, dass selbst bei einem Volkslauf Schmähungen gegen Inter- und Transsexuelle keine Ausnahme seien. Sport wird eine soziale Kraft nachgesagt. Die besondere Schwierigkeit, Menschen uneindeutigen Geschlechts sowie Menschen, die das Geschlecht gewechselt haben, zu integrieren - diese Herausforderung muss der Sport annehmen. Gerade dann werden es Inter- und Transsexuelle auch innerhalb der Gesellschaft leichter haben. O-Ton Balian Buschbaum, transsexueller Stabhochspringer: So wie sich die Homosexualität jetzt zum Beispiel entwickelt hat - das war vor 20 Jahren auch noch ein Tabuthema - das hat sich heutzutage alles geändert, in den Großstädten ist es zur Normalität geworden. Und da bin ich mir fast sicher, dass - wenn man weiter zur Aufklärung beiträgt - Intersexualität, Transsexualität, dass das in den nächsten zehn, 15 Jahren auch so aussehen wird. MUSIK the xx "the xx" LC 05667 young turks 1. intro 2. vcr 3. crystalised 4. islands jeweils 15 Sekunden, Islands 50 Sekunden 18