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Wenn ich nicht da bin, ist sie 32, in meiner Gegenwart 43. Dafür hasst sie mich. (Gelächter im Publikum) Musik: Gabriel Yared & Underworld: A Thing Happens Sie: Anton Tschechows Komödie "Die Möwe" am Deutschen Theater in Berlin. Regie: Jürgen Gosch. Dessen Tschechow- Interpretation von "Onkel Wanja" steht dort ebenfalls auf dem Spielplan. O-Ton 2 "Onkel Wanja", Insz. Jürgen Gosch: Ob die, die nach uns kommen werden, in zwei-, dreihundert Jahren, für die wir hier den Weg freischaufeln, ob die wohl einen Gedanken an uns verschwenden werden? Glaube ich nicht, oder? / Die Menschen vielleicht nicht, aber Gott. / Ja, danke. Das hast du sehr schön gesagt. (Gelächter im Publikum) Er: In beiden Inszenierungen stellte Jürgen Gosch seine Schauspieler in einen nahezu leeren Raum. Sie: Für "Onkel Wanja" in einen mit feuchten Lehm ausgespachtelten Kasten. Er: Für "Die Möwe" auf ein schwarzes Plateau vor einer gleichermaßen schwarzen Rückwand. Sie: Nichts, woran sich die Spieler festhalten konnten. Er: Und ihr Regisseur trieb sie allesamt zu einer beispiellosen Intensität. Sie: "Onkel Wanja" wurde 2008, "Die Möwe" 2009 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Er: Beide Aufführungen wurden von der Jury der Fachzeitschrift "Theater heute" zur Inszenierung des Jahres gewählt. Sie: Ein Triumph, posthum. Nicht nur für den jüngst verstorbenen Jürgen Gosch, sondern auch für Anton Tschechow. Er: Was aber ist an diesen beiden Tschechow-Inszenierungen so anders, so neu, dass sie aus der aktuellen Tschechow- Rezeption derart auffällig herausragen, von Kritik und Publikum gleichermaßen gefeiert werden? Sie: Die Frage geht an Bühnenbildner Johannes Schütz, dem seit langer Zeit und bis zuletzt wichtigsten künstlerischen Partner von Jürgen Gosch. O-Ton 3 Johannes Schütz: Neu war, dass sie so einfach sind. Formal. "Wanja" und auch "Möwe" waren natürlich eine Folge von zwölfjähriger Arbeit. Ich hab "Kirschgarten" schon viermal gemacht, "Wanja" mit Gosch zweimal. "Möwe" zweimal mit Gosch, einmal mit Harald Clemen. "Drei Schwestern" habe ich, bevor ich es mit Jürgen gemacht habe, schon mal mit einem anderen Regisseur gemacht. Also, es ist ja eine langjährige Auseinandersetzung mit diesem Autor, und man schraubt die Schraube ja in irgendeiner Form immer weiter rein. Es wird natürlich eine Konzentration sein, eine Reduktion auch. Weil man glaubt, das braucht man nicht, das braucht man nicht, das braucht man nicht, aber das braucht man ganz besonders. Man radikalisiert sich dann ja auch. Musik: György Ligeti: Ramifications For String Orchestra Er: Tschechow pur. Sie: Die Essenz der Stücke. O-Ton 4 Johannes Schütz: Das versucht ja jeder: eine Aufführung der Essenz des Stückes zu machen. Aber das muss man bei Tschechow gar nicht. Man muss einfach das spielen, was da drin steht. Und möglichst wenig verändern. Denn die Figuren beschreiben sich in dem, was sie sagen, und wie sie reagieren auf andere, sehr genau. Und sie sind uns sehr nahe, glaube ich auch. Das merkt man, wenn man anfängt, die Stücke zu lesen. Und das ist aber auch der Schwierigkeitsgrad, der auf den Proben relativ schnell zutage tritt. Bis das glaubwürdig ist. Dass das keine auswendig gelernten Texte mehr sind, sondern mit sehr großem Sauerstoffgehalt von den Schauspielern produzierte Situationen. Er: Ein Spiel mit großem Sauerstoffgehalt: Gibt es überhaupt etwas Beglückenderes im Theater? Sie: Wenn es denn gelingt. Er: Allzuoft aber wird dieses Spiel mit Lebenswirklichkeit verwechselt. Sie: Um die ja immer wieder gern auf den Bühnen gerungen wird. Er: Gerade bei Tschechow. Sie: Kein Wunder, meint Johannes Schütz. Musik: György Ligeti: Chamber Concerto for 13 Instrumentalists II. Atmo: Ticken einer Uhr O-Ton 5 Johannes Schütz: Tschechow ist eigentlich der erste Autor, der beschrieben hat... - das Zeitphänomen. Wie Zeit vergeht. Dass wir nicht unsterblich sind, das war ihm als Arzt vertrauter als vielen. Und da war er ein großer Realist. Aber auch die Zeit, die innerhalb einer halben Stunde auf der Bühne vergeht. Dass das nicht dreißig Minuten sind immer. Aber es können auch dreißig Minuten sein. Und wie sie über die Zeit reden. Auch über die Zeit, die vor Beginn des Stückes vergangen ist. Man denkt in einer halben Stunde am Nachmittag über eine halbe Stunde nach, die vor Jahren stattgefunden hat, als der Sohn ertrunken ist. Und guckt auf denselben Fluss vielleicht. Sie: Ich liebe dieses Haus, ohne den Kirschgarten würde ich mein eigenes Leben nicht mehr verstehen, und wenn unbedingt verkauft werden muss, dann verkauft doch auch mich, zusammen mit dem Garten. - Mein Sohn ist hier ertrunken... O-Ton 6 Johannes Schütz: Da ist er ein wirklicher Großmeister. Und das ist neu in der Literatur. Das hat dann Beckett sechzig Jahre später weiterentwickelt. Sie: Anton Tschechow notierte einmal... Atmo: Papier blättern Musik: Jonny Greenwood: Tehellet Er: (liest) Im wirklichen Leben verbringen die Menschen nicht jede Minute damit, einander zu erschießen, sich aufzuhängen und Liebeserklärungen zu machen. Sie widmen nicht ihre ganze Zeit dem Bestreben, gescheite Dinge zu sagen. Sie sind damit beschäftigt zu essen, zu trinken, zu flirten und Dummheiten zu sagen - und das ist es, was auf der Bühne vor sich gehen sollte. Man sollte ein Stück schreiben, in dem die Menschen kommen, gehen, speisen, über das Wetter reden und Karten spielen. Leben sollte genauso sein, wie es ist, und Menschen sollten genauso sein, wie sie sind. Auf der Bühne sollte alles genauso kompliziert und gleichzeitig genauso einfach sein, wie es im Leben ist. Die Menschen nehmen ihre Mahlzeit, und inzwischen ist ihr Glück gemacht oder ihr Leben ruiniert. Sie: Tschechow wollte das Leben abbilden. Und wurde erst einmal missverstanden. O-Ton 7 Amélie Niermeyer: Das Interessante ist ja, dass jeder Regisseur das anders empfindet, weil jeder auch die Lebenswirklichkeit anders sieht. Er: Regisseurin Amélie Niermeyer, Jahrgang 1965. O-Ton 8 Luk Perceval: Ich glaube nie Realismus auf der Bühne. Wenn ich im Theater sitze, sehe ich Schauspieler. Sie: Regisseur Luk Perceval, Jahrgang 1957. O-Ton 9 Luk Perceval: In dem Sinne mache ich auch nie den Versuch, reale Bühnenbilder auf die Bühne zu stellen. Mit Türen... Er: Anton Tschechow aber hat in seinen Stücken sehr genaue Vorgaben notiert. Musik: György Ligeti: String Quartet No. 2 Sie: Onkel Wanja. Erstes Bild. Ein Garten. Teil eines Hauses mit einer Terrasse. Auf der Allee unter einer Pappel ein gedeckter Teetisch. Eine Gitarre auf einer der Bänke. Stühle. Eine Schaukel. Nachmittag, zwischen zwei und drei Uhr, dunstiges Wetter. Marina, die dicke, alte Kinderfrau, sitzt am Samowar und strickt einen Strumpf. O-Ton 10 Amélie Niermeyer: Jede Tür steht bei Tschechow drin. Requisiten, Räume und so weiter beschreibt er ja ganz detailliert. Wie er sich einen bestimmten Raum vorstellt... - Vorne ein großer Raum, hinten der kleinere Raum. Das hat ja Stanislawski dann auch ganz genau nachgezeichnet. Er: Der russische Schauspieler und Regisseur Konstantin Stanislawski war es, der dem Dramatiker Anton Tschechow einst zum künstlerischen Durchbruch verhalf. Sie: Auf der Suche nach neuen, interessanten Stoffen war Stanislawski 1897 auf Tschechows "Möwe" gestoßen. Er: Tschechow erzählt darin von der berühmten Schauspielerin Arkadina. Auf dem Landgut ihres Bruders möchte sie die Ferien mit ihrem Geliebten Trigorin verbringen, einem angesehenen Schriftsteller. Ihr Sohn Konstantin will für die anwesende Gesellschaft ein selbst verfasstes Stück aufführen, mit dem er die theatralischen Konventionen sprengen will. Nina, eine junge angehende Schauspielerin, in die er verliebt ist, soll die Hauptrolle verkörpern. Doch Konstantin findet weder Anerkennung bei den arrivierten Künstlern, noch erwidert Nina seine Zuneigung. Sie: Ach so. Jetzt soll das Ganze plötzlich tiefe Dichtung sein. Dieses Geschwafel plus Schwefelgestank sollte gar nicht komisch sein, sondern eine Demonstration. Er wollte uns beibringen, wie man Theaterstücke schreibt und spielt. Gott, ist das langweilig...! Er: Es geht um die Liebe im Überstehen des Unglücks, um das Entkommen aus der Öde der Provinz - und um die wahre Kunst - gegen jede Konvention. Musik: Gabriel Yared & Underworld: A Thing Happens Sie: 1896 wurde Tschechows "Möwe" im Alexandrinski-Theater in Petersburg uraufgeführt - und fiel gnadenlos durch. Er: Stanislawski aber war von dem Stück begeistert, und er wollte "Die Möwe" in seinem neu gegründeten Moskauer Künstlertheater noch einmal aufführen, geradezu neu erfinden. Sie: Tschechows Stück, davon war Stanislawski überzeugt, vertrug nicht diese damals allerorts übliche Theatralik, dieses falsche Pathos. Hier durften die Schauspieler ihre Texte nicht bloß deklamieren, sie mussten sie tatsächlich empfinden. Er: Stanislawski wollte ein Theater der Wahrhaftigkeit, der Wirklichkeitstreue und Lebensechtheit. Sie: Eine Tasse Tee auf der Bühne war bei Stanislawski echter Tee, eine gebratene Gans kam frisch aus dem Ofen. Einige seiner Mitarbeiter schickte er für die Inszenierung von Shakespeares "Othello" zu Lokalstudien nach Zypern, für die Ausstattung der Dramen von Ibsen ließ er Interieur aus Norwegen importieren. Er: Wenn sich im neutralen Grau des Moskauer Künstlertheaters der schlichte, gleichsam graue Vorhang öffnete, tat sich für das Publikum eine Welt auf, die in ihrer Atmosphäre so dicht und lebensecht war wie nur möglich. Sie: Wie in einer Orchesterpartitur notierte er auf das Genaueste Stimmungen und Geräusche, die er dem Stück als Atmosphäre hinzufügte. Musik: György Ligeti: String Quartet No. 2 Er: Das Stück beginnt im Dunkeln, an einem Abend im August. Das trübe Licht einer Laterne, das entfernte Singen eines herumbummelnden Trunkenboldes, das ferne Geheul eines Hundes, das Quaken der Frösche, der Schrei eines Wachtelkönigs und die vereinzelten Schläge einer Turmuhr - helfen dem Zuschauer, das traurige, monotone Leben der handelnden Person zu erfühlen. Wetterleuchten, aus der Ferne klingt schwach Gewitterdonner. Bevor der Vorhang aufgeht, eine Pause von zehn Sekunden. O-Ton 11 Luk Perceval: Was mich am Realismus sooft irritiert, ist, dass sie so gern kokettieren mit ihren Emotionen. Der Mensch, der mich am meisten berührt, ist immer ein Mensch, der seine Emotionen verdrängt. Weil das ist am menschlichsten. Das ist das, was uns gelehrt wird. Unsere Emotionen sollen wir beherrschen. Wir sollen das Leben unter Kontrolle behalten. Das ist einer, glaube ich, der Irrtümer von Stanislawski. Der sehr viel Wert darauf gelegt hat, dass ein Schauspieler durch ein tiefes Tal gehen muss, um damit Mitgefühl zu erzeugen bei den Zuschauern. Ich bin überzeugt von dem Gegenteil. In so einem Stück kommen die Emotionen oft während der Probe, aber ich werde nie fragen, die zu bedienen. Nie! Weil es dann oft sehr pathetisch und unglaubwürdig wird. Unglaubwürdig in dem Sinne, dass es nicht dem Leben entspricht. Sie: Doch Stanislawski führte "Die Möwe" mit seiner auf der Bühne abgebildeten Lebenswirklichkeit 1898 zu einem triumphalen Erfolg. Er: Und auf ähnliche Weise entstanden unter seiner Regie später auch die ersten Aufführungen von "Onkel Wanja", den "Drei Schwestern" und schließlich dem "Kirschgarten". Sie: Stanislawskis erfolgreiche Tschechow-Inszenierungen am Moskauer Künstlertheater sollten lange Zeit das Bild des russischen Dramatikers auf den Bühnen der Welt prägen. O-Ton 12 Sebastian Hartmann: Die Wenigsten gehen doch tatsächlich damit um, wie sehr sich Tschechow an den Aufführungen von Stanislawski getäuscht hat. Und trotzdem ist das Erbe von Tschechow über Stanislawski in die Welt gebracht worden. Er: Regisseur Sebastian Hartmann, Jahrgang 1968. Seit Sommer 2008 Intendant am Centraltheater Leipzig. O-Ton 13 Sebastian Hartmann: Sie müssen das mal machen, müssen mal auf YouTube gehen und das mal durchgoogeln: Landauf, landab, ob in Japan, in Amerika oder so... haben die Leute die ähnlichsten Kostüme an, bewegen sich in der ähnlichsten Form. Da scheint irgendwas in der Rezeption da zu sein, wo ich nicht ganz genau weiß, ob der Tschechow das tatsächlich so wollte. Ich glaub's nicht. Sie: Für die Deutschen, so schreibt "Die Zeit", sei Tschechow heute gar das Lieblingssofa. Atmo: Papier blättern Musik: György Ligeti: Ramifications For String Orchestra Er: (liest) Melancholie kann ja etwas so Wunderbares, so Behagliches sein im Theater. Wenn die Kirschbäume blühen, die Birken im Abendschein leuchten; wenn der Wind den Gesang aus der Ferne übers Wasser trägt, die Menschen sich vor der feuchten Kälte in die Gutshäuser flüchten und am dampfenden Samowar beim Kartenspiel von ihren verlorenen Hoffnungen zu sprechen beginnen... Sie: Bühnenbildner Johannes Schütz: O-Ton 14 Johannes Schütz: Das weiß ich nicht, ob man das braucht. Also, wir haben uns da im Falle von "Wanja" drüber weggesetzt. Und wir haben uns in "Möwe" drüber weggesetzt. Wenn man das alles hinbaut, und wenn da jemand mit einem Obstkörbchen hineinkommt, wird ja vielfach gemacht, auch in erfolgreichen Aufführungen, dann muss man damit rechnen, dass - wenn man den Schauspieler ins Zentrum stellen will - sich das natürlich so ein bisschen auflöst. Also, das wird dann so eine Großtheaterwelt, so ein großes Genregemälde mit Theatermitteln, die auch, finde ich, so ein bisschen tautologisch sind. Weil, dass der Mann nicht schlafen kann und seine Frau tyrannisiert und im Stuhl sitzt bei geöffnetem Fenster und draußen ein Gewitter ausbricht, darüber wird ja hinlänglich geredet. Sie: Auch Tschechow selbst war mit den Inszenierungen Stanislawskis nicht uneingeschränkt zufrieden. Schon während der Proben zur "Möwe" erklärte er: Er: Ich habe kein Drama geschrieben, sondern eine Komödie, stellenweise sogar eine Farce. Sie: Und Stanislawski konterte. Er: Das ist keine Komödie, keine Farce, wie Sie schreiben, es ist eine Tragödie. Ich habe geweint wie eine Frau. Sie: Tschechow kritisierte immer wieder die Technik der psychologischen Verlangsamung, die Stimmung von gelähmter Schwermut. Er: Alles wird qualvoll in die Länge gezogen. Ein Akt, der zwölf Minuten maximum dauern soll, läuft bei euch 40 Minuten. Sie: Stanislawski beeindruckte das bis zuletzt wenig. Er: Anton Tschechow konnte sich bis zu seinem Tod nicht damit abfinden, dass wir in seinen Stücken die Tragödie des russischen Lebens erkannten. Sie: Auch Meyerhold, der am Moskauer Künstlertheater in der Inszenierung der "Möwe" noch als junger Konstantin auf der Bühne stand, schlug sich schließlich auf die Seite Tschechows - und wandte sich von Stanislawski ab. Er: Das naturalistische Theater suchte unermüdlich nach der vierten Wand. Es wollte, dass alles wie im Leben sei, und verwandelte sich in einen Trödlerladen: Im Glauben an Stanislawski, dass der Theaterhimmel dem Publikum einmal als echt erscheinen wird, sorgten sich die Theaterdirektoren darum, den Himmel auf der Bühne so hoch wie nur möglich zu hängen. Musik: Daniel Lentz, Harold Budd & Ruben Garcia: Iris O-Ton 15 Johannes Schütz: Ich glaube, dieser melancholische Blick auf eine aussterbende Spezies, das ist bei Tschechow auch da. Das kann aber nicht zu einer Fortführung einer pathetischen Weinerlichkeit führen. Was jahrzehntelang so ein bisschen das Tschechow-Bild geprägt hat. Die Tschechow-Figuren sind so komplex, die haben immer zwei, drei Probleme am Köcheln. Nicht nur die Traurigkeit über die Welt, sondern es gibt auch kleine, triviale Dinge, die sie genauso umtreiben. Geldprobleme. Emotionale, hormonelle Probleme. Alkoholprobleme. Und das macht die Stücke so komplex. Deshalb sind die auch so gut. Er: Während Stanislawski Stimmungen beschwor, um Authentizität zu schaffen, ging es Tschechow um Stilisierung: Auf die Bühne gehöre nichts Überflüssiges. Sie: Zu Beginn der Arbeit an seinem letzten Stück, dem "Kirschgarten", informierte er Stanislawski: Er: Hören Sie, ich werde ein neues Stück schreiben, und es wird folgendermaßen anfangen: ,Es ist so herrlich, so still! Man hört weder Vögel noch Hunde, noch den Kuckuck, noch den Uhu, noch die Nachtigall, noch die Uhr, noch die Glöckchen und nicht ein einziges Heimchen.' O-Ton 16 "Die Möwe", Insz. Jürgen Gosch: Der Vorhang geht hoch, und in einem Zimmer mit drei Wänden und abendlicher Beleuchtung führen diese... begnadeten Künstler, diese Oberpriester der heiligen Kunst, uns vor, wie Menschen essen, trinken, gehen, lieben, ihre Jacketts tragen. Sie strengen sich an, aus geistlosen Bildern und Sätzen eine Moral zu basteln, eine kleine, harmlose und praktische Moral... Sie: Theaterspiel, das das Leben nachzeichnet. Damit hatte Tschechow eben letztlich weniger das Äußerliche gemeint, Interieur und Ausstattung, sondern vielmehr das Innenleben. Die Personen seiner Stücke sollten dem Leben entsprungen sein, aus sich selbst agieren. Und Tschechow verzichtete dabei auf jede Moralisierung. Er: Ihr kommt mir alle vor wie Käfer, die ich unters Mikroskop gelegt hab. Sie: Lässt Tschechow in "Onkel Wanja" einmal den Arzt Michail Lwowitsch Astrow sagen. O-Ton 17 Michael Thalheimer: Also, wie ein Seismograph hat er jede tektonische Verschiebung der Seelen wahrgenommen. Er hat einen Witz, er hat einen Humor, und er erzählt unglaublich - sage ich! - spannende Geschichten. Er: Regisseur Michael Thalheimer, Jahrgang 1965. O-Ton 18 Michael Thalheimer: Bei Tschechow herrscht ja meistens die große Langeweile, aber wie die Langweile durch diese Menschen immer wieder totgeschlagen wird, das macht es eben spannend und humorvoll bei Tschechow. Man spürt in den Stücken: Irgendwas wird heraufziehen und heranbrechen, eine Änderung wird kommen, und diese Menschen werden an dieser Änderung weder aktiv teilhaben, noch die Änderung miterleben, ja? Musik: Gabriel Yared & Underworld: A Thing Happens Sie: Anton Tschechow wurde am 29. Januar 1860 in der südrussischen Provinz als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach dem Abitur begann er in Moskau das Studium der Medizin, das er mit 24 Jahren abschließen sollte. Nebenbei schrieb er amüsante Kurzgeschichten, um sich selbst, aber auch seine Familie finanziell über Wasser zu halten. Mit 32 Jahren kaufte er für sich, Eltern und Geschwister ein Landhaus in der Nähe Moskaus. Erst sehr spät, während der Proben zu seiner "Möwe" am Moskauer Künstlertheater, lernte er seine Frau, die Schauspielerin Olga Knipper, kennen. Die beiden heirateten 1901; nur drei Jahre danach starb Tschechow im Alter von 44 Jahren an Tuberkulose. Er: Seit seiner Jugend war Tschechow fasziniert vom Theater, und so versuchte er sich sehr früh schon als Dramatiker. Doch die Liste seiner dramatischen Werke blieb übersichtlich. Neben dem Fragment "Platonow" hat Tschechow nur eine Handvoll abendfüllender Stücke geschrieben: "Iwanow", "Die Möwe", "Onkel Wanja", "Drei Schwestern" und "Der Kirschgarten". Sie: Tschechows Dramen sind gleichermaßen wortgewaltig und handlungsarm. Die Menschen reden viel, doch sie hören einander nicht zu, reden immer wieder aneinander vorbei. Er: Sie reden, um die Leere in ihrem Leben zu vertreiben. O-Ton 19 Michael Thalheimer: Letztendlich ist das etwas, was wir auch jeden Tag tun. Im Alltag, ja? Wir wollen überleben, und der Alltag von uns ist ja auch nicht gerade jeden Tag Weltgeschichte und der spannendste Moment des Lebens, sondern es ist eben ein Tag von vielen Tagen. Und das klug auf die Bühne zu bringen, dann können diese Geschichten unglaublich tiefschürfend sein. Und uns natürlich auch im Höchstmaße berühren. O-Ton 20 Sebastian Hartmann: Das ist ja was, wenn man sich trifft, in der Familie, Weihnachten... Dann setzt man sich an den Tisch, packt das Rotkraut aus oder die Gänsekeule, und wenn man dann da reinbeißt oder es verdaut, dann guckt man seinem Vater, seiner Mutter, seiner Schwester, seinem Bruder, seinem Kind in die Augen, und man weiß, wer gestorben ist, dieses Jahr, oder wer wen betrogen hat. Man hält aber eine bestimmte Form, und darin entsteht ja auch eine Spannung, in diesem Wissen. Musik: György Ligeti: Chamber Concerto for 13 Instrumentalists II. O-Ton 21 Karin Henkel: Die fühlen sich, glaube ich, auch alle gescheitert im Leben. Weil die Ansprüche, die man ans Leben hat, dass man eben glücklich wird, da merken sie, dass sie auf dem falschen Weg sind, um das zu erreichen. Und deswegen ist das schon auch ein Kämpfen, dass sie nicht untergehen. Die sind ja auch wirklich versoffen oftmals. Spucken große Töne und schaffen gar nichts. Er: Karin Henkel, Jahrgang 1970, hat im Oktober 2009 am Schauspiel Frankfurt Tschechows "Drei Schwestern" inszeniert. O-Ton 22 "Drei Schwestern", Insz. Karin Henkel: Als ich heute Morgen aufgewacht und gleich aufgestanden bin, da hatte ich plötzlich das Gefühl, dass mir alles klar ist auf dieser Welt, und dass ich weiß, wie man leben soll. Ja. Ja, ich weiß es jetzt. Der Mensch soll... / Der Mensch soll lieben. Nur für die Liebe allein lohnt es auf der Welt zu sein. / Nein. Nein. Der Mensch soll arbeiten. Dann hat das Leben einen Sinn. Wie schön wäre es, nützlich zu sein... Er: Für ihre Interpretation von Tschechows Frühwerk "Platonow" am Schauspiel Stuttgart wurde Karin Henkel 2006 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. O-Ton 23 Karin Henkel: Die Menschen erzählen sich auch immer wieder das Gleiche. Das ist ja einfach so. Das ist bei "Platonow" am Anfang... Das hat uns immer unglaublich Spaß gemacht bei den Proben... Die haben sich den ganzen Winter über nicht gesehen und sehen sich jetzt im Sommer wieder, nach dem Winterschlaf quasi... Alle ein bisschen dick geworden... Der Satz kommt immer wieder: Mein Gott, bist du dick geworden, mein Gott, bist du aber dick geworden. Aber schön, dich zu sehen. Das ist aber im normalen Leben auch so. Wenn man sich länger nicht gesehen hat, erzählt man sich zwischendurch auch immer wieder: Ach, Mensch, gibt's doch gar nicht, dass wir uns jetzt wieder sehen. O-Ton 24 "Platonow", Insz. Karin Henkel: Platonow...! Platonow...? Platonow...! O-Ton 25 Karin Henkel: Das ist ja eins dieser Tschechow-Stücke, wo eine Figur extrem so im Mittelpunkt steht. Das ist bei "Platonow" eben so. Da ist er der Spielmacher. Sie: Aus Platonow, einem einst hochbegabten Studenten, ist ein melancholischer, zynischer Dorflehrer geworden. Von Selbstmitleid zerfressen philosophiert er über den Zustand der Welt, sucht Trost im Alkohol und nimmt die Liebe nur als Zeitvertreib. O-Ton 26 Karin Henkel: Es ist ja eigentlich ein Schwein, wie der mit Menschen umgeht. Also, kein netter Charakter, und trotzdem ist man fasziniert von ihm und liebt ihn. Also, auch in Beziehung zur Erotik und so. Das ist ein versoffener Nichtsnutz, mit dem man trotzdem mitleidet. Und man mag ihn trotzdem. Man leidet sogar, wenn er am Ende stirbt. Man leidet. Musik: Alfred Schnittke: Klavierquintett O-Ton 27 Karin Henkel: Man hat dann ja doch vielleicht in Deutschland ein Tschechow-Bild, wie man Tschechow spielt, im Kopf. Das ist für mein Empfinden oftmals viel zu sentimental. Ich finde die wirklich brutal, die Stücke. Wie die Menschen miteinander umgehen, was die sich um die Ohren hauen, wie die wirklich sehr egoistisch an ihr eigenes Überleben denken, das kann richtig wehtun. Und ich glaube, an diesen Schmerzpunkt, da muss man ran. Und den muss man auch erzwingen, immer wieder. Weil sonst ist es so ein gepflegtes Leiden, und ein gepflegtes Leiden reicht... also mir sowieso gar nicht als Regisseurin. Aber auch als Zuschauerin nicht. O-Ton 28 "Drei Schwestern", Insz. Karin Henkel: Ausgerechnet heute hat er sich volllaufen lassen, unser Doktor. / Glaubst du denn, ich bin Arzt und kann dir helfen? / Zumindest heute hast du niemandem geholfen. / (schreit) Weil ich nichts mehr weiß! Weil ich alles vergessen hab. Weil mein Kopf leer ist. Soll ich mal sagen, was schlimm ist, du? Letzten Mittwoch habe ich eine Frau behandelt. Die ist gestorben...! Musik: Alfred Schnittke: Klavierquintett O-Ton 29 Karin Henkel: Also, ich bin jetzt nicht jemand, der sagt: Also, man muss jetzt da auf die Pointen gehen, oder man muss es komisch machen oder sowas. Ich mach das eigentlich, in dem ich da probiere, sehr tief zu graben. Insofern wird es nicht nur erzählt, sondern quasi auch durchlitten, das Ganze. Das kann ja schon eine Spannung haben. Einfach, wie die aufeinander reagieren. Das sind ja immer so große Gesellschaftsbilder. Allein dadurch gibt es ja unterschiedliche Spannungen zueinander. Sie: In dem Stück "Drei Schwestern" ist niemand, der nicht ein verfehltes Leben zu beklagen hätte, keiner, der nicht viel lieber anderswo wäre und etwas anderes täte. Olga findet ihren Beruf als Lehrerin sinnlos. Mascha hat auf eine Künstlerkarriere verzichtet und stattdessen einen Oberlehrer geheiratet. Irina, die Jüngste, hat ihr Leben noch vor sich, und sie träumt davon, endlich "nach Moskau, nach Moskau" zu gehen. - Moskau ist hier überhaupt der Inbegriff der Sehnsucht, ein Ort der Fantasie, an dem alles besser sein soll. Aber dorthin kommt keine von Anton Tschechows drei Schwestern. Für alle bleibt Moskau die Utopie vom eigentlichen Leben, und das liegt in der Zukunft. Die Zeit bis dahin ist tote, leere Zeit. O-Ton 30 "Drei Schwestern", Insz. Karin Henkel: Irgendwann werden wir verschwinden. Man wird uns vergessen. Unsere Gesichter, unsere Stimmen. Keiner wird mehr wissen, dass wir drei waren. Aber unser Leben ist noch nicht zuende. Wir werden weitermachen, immer weiter. Durchhalten. Und ich glaube, bald werden wir wissen, warum wir leben. Und warum das so wehtut. Man weiß es einfach nicht. Man weiß es einfach nicht. Er: Was denkt Karin Henkel, warum Tschechow heute neben Shakespeare der meistgespielte Dramatiker ist? O-Ton 31 Karin Henkel: Liegt ganz bestimmt daran, dass diese Alltagsprobleme der Menschen einem heute noch so nahe sind. Man kann sich wirklich sehr leicht mit diesen Figuren identifizieren. Man kennt die Situationen. Es ist wahrscheinlich, würde ich denken, sogar leichter als bei Shakespeare, weil da sind es dann oftmals irgendwelche Königsdramen, und die Morde etcetera, die dort auf der Bühne stattfinden, die haben wir nicht erlebt. Und bei Tschechow sind das ganz viele Situationen, die wir wirklich kennen. Sie: Amélie Niermeyer stimmt ihr zu. O-Ton 32 Amélie Niermeyer: Ich glaube, Tschechow trifft einfach insgesamt einen Nerv dieser Zeit. Ja, weil die Menschen heute doch sehr viel über Reformen reden, weil sie merken, dass es so in Deutschland nicht weitergeht. Aber dann in dem Moment, wo es um Veränderungen geht, sind sie nicht bereit, sie zu tragen. Und diesen Mechanismus zeigt Tschechow ja sehr deutlich bei seinen Figuren. Und das oft auf sehr komische und gleichzeitig tragische Weise. Gerade bei den "Drei Schwestern", die immer davon träumen, dass sie Entscheidungen treffen, damit endlich etwas besser wird in ihrem Leben. Dann aber im konkreten Moment, wo sie zupacken müssten, fehlt ihnen der Mut. Sie: Zweimal hat sich Intendantin Amélie Niermeyer am Düsseldorfer Schauspielhaus an einen Tschechow gewagt: 2006 an seine "Drei Schwestern", 2008 an den "Iwanow". O-Ton 33 Amélie Niermeyer: Also, bei uns war es so, dass wir bei Tschechow zwei Wochen lang am Anfang nur geredet haben. Wer mit wem welchen Konflikt hat. Warum wer welche Vorgeschichte hat. Jede Figur musste zu jeder anderen Figur sein Verhältnis beschreiben. Damit man auch merkt, dass es nicht nur darum geht, dass die Schwestern zu ihren Geschwistern ein Verhältnis haben, sondern zu jedem einzelnen Offizier, der reinkommt, haben sie eine Geschichte. Und diese Geschichten muss man ja erstmal erfinden. Also, wir haben sehr, sehr lange am Tisch gesessen, haben sehr viel geredet. Um dann den Zustand auszupegeln, wie stark das ist, wie emotional das ist. Musik: György Ligeti: Chamber Concerto for 13 Instrumentalists II. Er: Regisseur Nicolas Stemann, Jahrgang 1968, begegnet den Texten von Tschechow eher mit Skepsis. O-Ton 34 Nicolas Stemann: Tschechow lädt erstmal zu einer Interpretation oder einer Rezeption ein, die so tut, als wäre sie heutig und relevant. Man vergisst dabei, dass es in einer ganz anderen Zeit entstanden ist. Und dieser zeitliche Abstand macht es ziemlich leicht, sich in diese Tschechow-Welt hineinzukitschen. Man hat dann so schöne, romantische Gefühle für diese Tschechow-Welt und hat den Eindruck, unsere heutige Sprach- und Richtungslosigkeit hat vielleicht auch was Schönes. Und das ist eine große Gefahr bei der Tschechow- Rezeption. Dann tut nämlich gar nichts mehr weh. Er: Heute arbeitet Nicolas Stemann an allen großen deutschsprachigen Theatern zwischen Wien, Hamburg und Berlin. Bereits während seines Regie-Studiums entstanden mit seiner "Gruppe Stemann" 1997 und 1998 seine ersten Inszenierungen, unter anderem eine Bearbeitung von Tschechows "Möwe" - als Terrorspiel. O-Ton 35 Nicolas Stemann: Es geht nicht darum, auf irgendeine Art Figuren zu spielen, die mit sich selber identisch sind. Also, dieses alte Schauspieler-Missverständnis, ich trete auf einer Bühne auf und glaube mir selber, dass ich Hamlet bin und will andere Leute dazu bringen, das auch zu glauben. Hier im Theater wird natürlich gelogen. Wenn ein Schauspieler auf die Bühne kommt und sagt: Ich leide, weiß ich ja, dass er eigentlich nicht leidet, sondern uns kommuniziert, dass er leidet, sonst würde er vielleicht keinen Monolog halten, sondern nur schreien oder so. Und auch dann wäre es natürlich gespielt. Das ist alles ein riesengroßes Spiel. Sie: Andreas Kriegenburg, Jahrgang 1963, sieht das ganz ähnlich. O-Ton 36 Andreas Kriegenburg: Also, Figuren mit solch einer Empfindsamkeit und solch einer Sprachgewalt, einem solchen Reichtum von Sprache, die gibt es in unserer Wirklichkeit nicht mehr. Außer auf deutschen Bühnen. Das heißt, Tschechow bedient - für deutsches Publikum, aber vor allem auch für deutsche Schauspieler - das Bedürfnis nach Empfindsamkeit, nach Wehmut und nach dieser... ja, zurücklehnenden Selbstbespiegelung. Sie: Erst nach 22 Jahren, in denen Andreas Kriegenburg an den größten deutschsprachigen Theaterhäusern Regie geführt hatte, wagte er sich erstmals an ein Stück von Tschechow. O-Ton 37 Andreas Kriegenburg: Äh... - Ich hab einfach Angst vor Tschechow. Weil Tschechow zum Inszenieren in einer Weise schwierig ist, wie man es eigentlich kaum bei einem anderen Autor findet. Er hat eine so große Komplexität in der Verwebung von verschiedenen Geschichten ineinander, die alle so als Erzählfäden aufgenommen werden müssen, aber dennoch so dezent von einem Akt in den anderen weitergesponnen werden müssen. Sie: An den Münchner Kammerspielen kam 2006 seine Inszenierung der "Drei Schwestern" heraus. O-Ton 38 "Drei Schwestern", Insz. Andreas Kriegenburg: Mein Gott, heute früh bin ich aufgewacht, habe das viele Licht gesehen, den Frühling gesehen, und mein Herz füllte sich mit Freude. (Musik, Gejuchze) O-Ton 39 Andreas Kriegenburg: Für mich war beim Lesen des Stückes immer die Frage: Wie kriege ich das, was er schreibt, wieder hörbar, unbelastet durch... das klingt jetzt ketzerisch, aber: unbelastet durch die Empfindsamkeitskunst des Spielers, der mit seiner Biographie sich in diesem Text einnistet. Ich habe nach einem Weg gesucht, dass man die Texte Tschechows und die Beziehungsbegegnungen der Figuren quasi von der Mimik des Schauspielers erlöst. Dass ich das in eine Distanz bekomme, vor allem den Schauspielern die Figuren nicht gleich auf sich selbst als Schablone aufzulegen auf die eigenen Biographien, sondern sie erstmal von sich zu entfernen. Darüber entstand der Gedanke des Maskenspiels. O-Ton 40 "Drei Schwestern", Insz. Andreas Kriegenburg: Die Zeit ist da. Etwas Ungeheueres kommt auf uns zu. Ein heftiger Sturm bereitet sich vor, ist schon da, ganz nah...! Und er wird die Gleichgültigkeit, die Trägheit unserer Gesellschaft, ihr Vorurteil gegen Arbeit hinwegfegen. Und in 25, 30 Jahren wird jeder Mensch arbeiten. Jeder! / Ich nicht. / Sie zählen nicht! Sie: In Kriegenburgs Inszenierung stülpen sich Tschechows Akteure immer wieder überdimensionale, verbeulte Pappmaché-Köpfe über. Auf diese Weise verwandeln sich die Schauspieler in fast abstrakte Menschenpuppen mit viel zu kleinen Körpern, schlenkernden Beinchen, weit aufgerissenen, starren schwarzen Kulleraugen - und die Dialoge Tschechows hallen wie Sprachhülsen durch den leeren weißen Raum. O-Ton 41 Andreas Kriegenburg: Die Schauspieler spielen in einer hoch artifiziellen Weise, weil sie die Puppen als Eigenwesen beglaubigen müssen. Das ist für Schauspieler sehr ungewohnt, weil man sich plötzlich nicht mehr auf die Sprache verlassen kann, sondern man muss vor allem das körperliche Spiel in die Konzentration setzen. Man muss eben die Puppe tatsächlich verlebendigen, und das ist ein ganz schmaler Grat. - Große Teile der Aufführung leben natürlich auch von den Gesichtern der Spieler und von der Empfindsamkeit der Spieler. Aber mir war eben wichtig, gerade für die Exposition innerhalb des ersten Aktes, eine Situation oder einen Raum oder einen ästhetischen Zugriff zu schaffen, der die Figuren Tschechows auf der einen Seite authentisch werden lässt, in dieser Bühnenrealität. Aber sie dennoch von uns in einer Weise distanziert, dass wir sie als Erinnerungsfiguren - wie aus der eigenen Kindheit - wahrnehmen, aber nicht sagen, das sind unsere Nachbarn. Musik: Alfred Schnittke: Klavierquintett O-Ton 42 Amélie Niermeyer: Also, mir ist einfach wichtig, dass die Schauspieler - gerade eben bei diesem Tschechow - das, was sie sagen, dass sie das wirklich sehr, sehr ernst meinen. Und das aber trotzdem mit einer Leichtigkeit und Unverschämtheit dann auch überspielen. Das heißt, diese Mischung zu finden. Dass die Figuren nicht in Schmerz und Wehmut verfallen, sondern dass sie den sehr depressiven Zustand eigentlich immer wieder vor sich selber, aber auch vor dem anderen nicht zulassen. Und dadurch, finde ich, entsteht immer diese Reibung, dass man auch über die Figuren lachen muss. Weil sie alle so ums Leben strampeln, so kämpfen ums Leben. Und wenn das an guten Momenten in Proben gelingt, dann empfinde ich das als sehr authentisches Theater. Musik: György Ligeti: String Quartet No. 2 Er: Bereits beim Lesen der Stücke von Anton Tschechow taucht man sofort hinein in die Welt, die er beschwört. Aber das kann eben auch leicht zu einer Falle werden. Sie: Wie wär's mit einem Tee, mein Alter. Na, nimm schon. Er: Mir ist nicht nach Tee. Sie: Wohl mehr nach Wodka, was? Er: Zu schwül für Wodka . - Außerdem: nicht jeden Tag. Man muss auch mal eine Pause einlegen können. - Wie lange kennen wir uns jetzt eigentlich schon. Sie: Wenn ich das wüsste. Du bist hier angekommen, als... warte mal... Sonjas Mutter war noch nicht tot... an die zwei Jahre hat sie noch gelebt... ja... also ungefähr elf Jahre. Oder mehr. Er: Hab ich mich eigentlich sehr verändert? Sie: Ziemlich, würd ich sagen. Ist auch kein Wunder bei all dem Schnaps, den du so in dich reinschüttest. Als strahlenden Jüngling würde ich dich jedenfalls nicht mehr bezeichnen. Er: Wie könnt ich das auch sein bei der Schinderei all die Jahre über. O-Ton 43 Karin Henkel: Ich lese diese Tschechow-Stücke natürlich unglaublich gern. Weil mir diese Menschen gleich so entgegenspringen. Also, durch die Texte ist das gleich ein lebendiger Mensch. Den muss man nicht erst viel erfinden. Da kann man ganz viel aus den Texten heraus nehmen. O-Ton 44 Sebastian Hartmann: Obwohl mich natürlich dieser sonore Ton, den man so bei Tschechow kriegt, so ein bisschen langweilt. Also, dieser Hang zum Sommerleinenanzug und zu diesem etwas melancholischen Stehen im Raum und an der Zigarette ziehen... und am Ende gibt es dann noch eine Diskussion, ob jemand wirklich geweint hat oder nicht. Also, das ist ein bisschen komisch. O-Ton 45 Michael Thalheimer: Ich glaube, das ist das große Missverständnis: Dass man nur diesem Stück vertraut. Dass man glaubt, wenn man das Stück nur zum Klingen bringt, egal wie... - und auf diesem Klischee einer Atmosphäre vertraut, die sich automatisch herstellt, indem der Text gespielt wird... - Das ist der unglaubliche Reiz und die unglaubliche Gefahr: in einer atmosphärischen Langeweile dahin zu dümpeln. O-Ton 46 Johannes Schütz: Das Theater ist ein Reproduktionsmedium. Man verabredet ja mit den Schauspielern Dinge, die sie dann dreißig oder vierzig Mal reproduzieren müssen. Als Ganzes. Zweieinhalb oder drei Stunden. Und das führt oft zu diesen formalen Verkarstungen. Und dann interessiert es einen nicht mehr, wenn man das abends sieht. Und das möchte man im Fall Tschechow möglichst wenig haben, weil der natürlich aus völlig alltäglichen, schläfrigen Gefühlen heraus die Chemie dieser Menschen zeichnet. Und man muss es so verabreden, dass es, wenn es dann reproduziert wird, trotzdem noch was Aktuelles hat. Die Menschen sagen das, weil sie es gerade denken und empfinden. Und das ist bei Tschechow ein extremes Problem. Eine Aufführung, die das nicht beherrscht, an der wird man nicht so viel Freude vielleicht haben. Sie: Karin Henkel und Sebastian Hartmann, Michael Thalheimer und Johannes Schütz bestätigen: Er: Die eine Frage stellt sich immer wieder bei Tschechow. Sie: Wie soll man umgehen mit den wortgewaltigen Entwürfen? O-Ton 47 Karin Henkel: Also, man muss da oftmals streichen, weil sonst dauert das acht Stunden oder so. Er: Michael Thalheimer hatte sich 2003 bei seinen "Drei Schwestern" in Berlin für eine besonders radikale Lösung entschieden. O-Ton 48 Michael Thalheimer: Wir haben tatsächlich den 4. Akt... nicht gestrichen, sondern alles, was im Text steht, gänzlich stumm gespielt. Ohne dass ein Wort noch gefallen ist, weil die Geschichte von "Drei Schwestern" bis dahin erzählt ist. Sie: Luk Perceval findet zu einer anderen Variante, die dann auch erklärt, warum Tschechow seine auf den ersten Blick eher melancholisch anmutenden Stücke gern Komödien nannte. O-Ton 49 Luk Perceval: Jeder Satz ist hintereinander geschrieben, nur funktioniert das nicht so auf der Bühne, wenn man das aufs Stichwort spricht. Dann wird es auf einmal Literatur. Es passiert Millionen von Mal pro Tag, dass ich jemandem zuhöre und schon antworte und ihn nicht aussprechen lasse, was sehr unhöflich ist, aber das macht es auch lustig und dumm und egoman. Das macht es viel komplexer. Wo man das sehr gut demonstriert sieht, ist in den Filmen von Woody Allen. Also, er gibt den Schauspielern sozusagen ein paar Sätze mit, damit sie wissen, was sie in der Szene zu sagen und zu vermitteln haben, und dann läuft er selber als Regisseur dazwischen und quatscht ohne Ende und gibt eigentlich niemandem den Raum, überhaupt in einen Dialog zu kommen. Und durch diese Zerstörung kreiert er natürlich so eine Alltäglichkeit, die macht, dass die Szene überhaupt nicht künstlich wirkt. Musik: Daniel Lentz, Harold Budd & Ruben Garcia: Iris O-Ton 50 Sebastian Hartmann: Wenn man sein Leben nicht mitnimmt, seine Schauspieler nicht auffordert, den Rucksack immer dabei zu haben, der individuelle Biographie heißt, um die Beträge darin zu klären, als wenn man nur Wörter verwaltet, dann gibt es halt so einen Singsang, so eine Bereitschaft zu sagen: Du weinst. Ja, ich weine. Das klingt ja erstmal ganz gut. Wovon das unterfüttert ist, ist dann ja eine zweite, dritte Frage. Ich glaube, man kann da ziemlich reinfallen, wenn man sagt: Das ist doch gut, oder? Und alle nicken: Ja, ist doch ein großer Schriftsteller, fertig, aus, Ende. Das haben wir bei dem "Kirschgarten" hier in Leipzig dadurch ein bisschen durchbrochen... Also, ein bisschen ist gut. Sie: Sebastian Hartmann, Jahrgang 1968 und Intendant am Centraltheater Leipzig, hat ebendort im November 2009 Tschechows "Kirschgarten" inszeniert. Und ist einen ungewöhnlichen Weg gegangen, um die psychologische Struktur des Stückes zu durchbrechen. O-Ton 51 Sebastian Hartmann: Ich hab einfach keine Rollen verteilt. Ich hab einfach 13 Akteure auf der Bühne, durch die mehr oder weniger alle Figuren durchwandern. Also, wir bearbeiten eher das Thema denn die psychologische Verwaltung einer Figur. Und dadurch entsteht ein völlig anderes Spannungsfeld auf der Bühne. Am Extremsten ist es im ersten Akt, wo ich eigentlich so gut wie gar nichts inszeniert habe, außer bestimmte Anweisungen für Haltung, Spannung, Stimmung, was vorkommen kann und was um Gottes Willen nicht vorkommen kann. Also, es war eher eine Moderation. Und da müssen die Schauspieler unglaublich schnell rechnen im Kopf, weil sie was sagen wollen, und dann sagt das aber schon ein anderer. Also, den ersten Teil des zweiten Aktes spielt ein Schauspieler komplett alleine. Und dann kommt der Rest des Ensembles auf die Bühne und geht als Chor mit diesem anderen in einen Dialog. Das ist ein ziemlich merkwürdiger Zustand. O-Ton 52 "Der Kirschgarten", Insz. Sebastian Hartmann: (im Chor) Es liegt doch auf der Hand. All die schöngeistigen Gespräche führen wir doch nur, um uns gegenseitig Sand in die Augen zu schaufeln. Zeigen Sie mir mal, wo die Kinderkrippen denn sind, von denen soviel geredet wird. Was es gibt, sind Schmutz, Gewöhnlichkeit, asiatische Steinzeit. Ich ekle mich vor diesen ernsten Fressen. Ich kriege Pickel von ernst gemeinten Unterhaltungen. Halten wir lieber den Mund. O-Ton 53 Sebastian Hartmann: Man nennt ja das Dekonstruktion, und da gibt es eben auch wieder Autoren, die solche Dekonstruktion gar nicht aushalten. Und das Enorme war hier bei dem "Kirschgarten", dass der Stoff so stark war, dass ich mit meinem landauf, landab bekannten Berserkertheater, was mir immer so nachgesagt wird, tatsächlich halten konnte. Also, wir wurden uns nicht fremd, der Stoff und ich. Ich habe das bei anderen Stoffen schon erlebt oder bei anderen Autoren, dass das dann oft einknickte. Also, dass man auch nicht weit genug gehen kann. Er: Was hat den oft als Theaterberserker beschimpften Sebastian Hartmann überhaupt an Tschechow interessiert? Musik: György Ligeti: Ramifications For String Orchestra O-Ton 54 Sebastian Hartmann: Ein Grund, mich Tschechow zu nähern, war, dass es sich hier tatsächlich um ein Stück handelt, wo man einen direkten politischen Hintergrund tatsächlich lesen kann. Also, es handelt sich um eine Aristokratie, die am Vorabend der Oktoberrevolution mehr oder weniger versteht oder verstehen lernen muss, dass es jetzt eine Paradigmenwechsel gibt. Und wie der vollzogen wird, ist allen nicht klar. Und das war das Interessante daran. Also, dass man jetzt so gute hundert Jahre später da eventuell auch wieder in einer ähnlichen Situation ist, wo man spürt... - im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe, die uns ja diagnostiziert ist... - Dann haben wir die Finanzkrise. Dann merken wir, dass wir uns eine Mauer um Europa drumherum bauen... Also, wir spüren schon hier in Mitteleuropa, dass da was kommt. Wir spüren das vielleicht auch global, aber was da kommt, wissen wir nicht. Diese Situation hat mich als Ausgangspunkt tatsächlich sehr interessiert. Er: Treffen Tschechows Stücke also doch den Nerv unserer Zeit. Sie: Michael Thalheimer, dessen Interpretation vom "Kirschgarten" am Schauspiel Stuttgart zu sehen ist, entgegnet mit einem Zitat. O-Ton 55 Michael Thalheimer: Der berühmte, schon lang verstorbene französische Schauspieler und Pantomime Jean-Louis Barrault hat das Stück mal so grandios zusammengefasst. Er sagte: Der erste Akt heißt "Der Kirschgarten soll verkauft werden." Zweiter Akt: "Der Kirschgarten wird verkauft." Dritter Akt: "Der Kirschgarten ist verkauft." Vierter Akt: "Der Kirschgarten ist verkauft worden." Mehr passiert in diesem Stück nicht. Der Rest: das Leben. Und darauf kommt es eben immer an. Musik: Alfred Schnittke: Klavierquintett Sie: Anton Tschechow lebte in Russland in einer Zeit des großen politischen und sozialen Umbruchs. Mit dem analytischen Blick des Mediziners versuchte er, die komplizierten inneren Bewegungen und Lebensversuche der Menschen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert aufzuzeichnen. Alle seine Figuren kämpfen mit der Sehnsucht, ihrer Zeit gerecht zu werden, Großes und Gutes zu schaffen, sich als wahrhaftige Menschen zu erweisen, Erfolg zu haben, gesehen und geliebt zu werden, wie sie sind. An einen Freund schrieb er damals... Atmo: Papier Er: (liest) Wir beschreiben das Leben, so, wie es ist und weiter weder piep noch pup. Wir haben keine Ziele, unser Herz ist wie leergefegt. Wir haben keine Politik, an eine Revolution glauben wir nicht, wir haben keinen Gott, haben keine Angst vor Gespenstern. Ob dies eine Krankheit ist oder nicht - es geht nicht um die Bezeichnung, sondern um das Eingeständnis unserer Lage. Musik: Gabriel Yared & Underworld: A Thing Happens O-Ton 56 Michael Thalheimer: Da ist mir was Erstaunliches passiert beim Lesen von einigen Tschechow-Stücken, die ich in letzter Zeit gelesen habe, um mich auf den "Kirschgarten" vorzubereiten. Sagen wir mal so: Vor zehn Jahren hatte ich eine unglaubliche Sympathie zu diesen Figuren, die Tschechow auf die Bühne stellt. Und das hat sich geändert. Mittlerweile beim Lesen werde ich unruhig und manchmal sogar so unruhig, dass das in eine Aggression ausschlägt und ich die Figuren unglaublich... - und das, bitte, möchte ich jetzt nicht missverstanden wissen, ich rede als Regisseur, ja? - unglaublich unsympathisch finde. Dass man ständig diese Figuren ohrfeigen möchte und wachrütteln möchte, um ihnen zu sagen: Sie sollen endlich mal was spüren, das Richtige wahrnehmen. Sie sollen handeln, sie sollen etwas tun, ja? Musik: Daniel Lentz, Harold Budd & Ruben Garcia: Iris Er: Bereits im Alter von 24 Jahren erfuhr Tschechow, dass er an Tuberkulose erkrankt war. Als Arzt war ihm bewusst, dass er damit keine wirkliche Zukunftsperspektive besaß. Sie: Ohne Mitleid hat Tschechow die Gesellschaft diagnostiziert. In der Rolle des desillusionierten Komikers. Er: Erst dann muss man sich ans Schreiben machen, wenn man sich kalt fühlt wie Eis. Sie: Er starb am 15. Juli 1904 im Alter von 44 Jahren. O-Ton 57 Michael Thalheimer: Es gibt keine Helden bei Tschechow, und es gibt vielleicht auch keine Helden im Alltag. Es ist erstmal das normale Leben auf die Bühne gebracht. Und auch, wenn das schon über hundert Jahre alt ist, werden wir uns trotzdem immer wieder in diesen Stücken entdecken, weil es einfach hervorragend geschriebene Stücke sind, und ich auch glaube, dass die Zeiten oder der Mensch sich so sehr - und schon gar nicht in hundert Jahren - so sehr verändert hat. Wir haben nach wie vor dieselben Probleme, Sehnsüchte, denselben Kampf, dasselbe Nichtwissen, dasselbe Ankämpfen gegen die Sinnlosigkeit vielleicht eines Daseins. Und da fühlt man sich dann zuhause, weil dieser Kampf, den gab es, den gibt es, und den wird es geben. Er: Das nächste Stück, das Tschechow geplant hatte, sollte von einem Gelehrten handeln, der - unglücklich verliebt - eine Reise in den hohen Norden antritt. Auf dem Schiff bleibt er schließlich im Eis stecken. Allein auf Deck, umgeben von der Stille und erhellt von den am nächtlichen Himmel aufscheinenden Nordlichtern gedenkt er seiner großen Liebe... O-Ton 58 Sebastian Hartmann: Tschechow hat sich immer sehr bemüht, sich nicht vordergründig in irgendeine Strömung hineinzuhängen. Natürlich hat sich dann die sozialistische Rezeption ihm eigen gemacht, und ein gutbürgerliches Denken kann ihn auch sofort moralisch einnehmen für sich. Aber letztlich, glaube ich, ist er so eigen. Und er berührt natürlich auch. Also, ich wäre nicht ehrlich, wenn ich nicht sagen würde, dass mich unzählige Erzählungen von ihm einfach tief rühren. Dass sie mich auch mit meinem Alltag konfrontieren, mit meiner Angst vor meinem Alltag, mit meiner Angst vor meinem Leben. Jetzt bin ich über vierzig, hab vier Kinder, und das ist alles nicht mehr so Sturm und Drang, wie mit 24, und ja, manchmal kommt man ja schon ins Grübeln, auch mit 41: Wieviel Jahre hab ich noch? Vielleicht nochmal 40. Wäre ja super. - Also, ich meine jetzt nicht Melancholie oder Depression, aber da gibt es dann solche Leute, die liest man nicht nur aus einem intellektuellen Hunger heraus, sondern weil sie einem einfach was für das Seelenleben geben. Wie eine gute Musik. Musik: Bühnenmusik aus "Drei Schwestern"; Insz. Andreas Kriegenburg Verwendete Musik: 4'05 aus: A Thing Happens; aus CD: Breaking & Entering (Soundtrack); Interpreten: Underworld & Gabriel Yared; Komponist: Gabriel Yared; V2 Records, LC-Nr. 01801 3'22 aus: Ramifications For String Orchestra; aus CD: Ligeti; Interpreten: LaSalle Quartett & Ensemble Intercontemperain; Komponist; György Ligeti; LC-Nr. 0173; Deutsche Grammophon 3'06 aus: String Quartet No. 2; aus CD: Ligeti; Interpreten: LaSalle Quartett & Ensemble Intercontemperain; Komponist; György Ligeti; LC-Nr. 0173; Deutsche Grammophon 4'35 aus: Klavierquintett; aus CD: Schnittke; Komponist: Alfred Schnittke, Interpreten: Yuri Smirnov, Gidon Kremer, Tatyana Grindenko, Yuri Bashmet & Karine Georgian; LC-Nr. 6969; BMG Music 1'16 aus: Chamber Concerto for 13 Instrumentalists II.; aus CD: Ligeti; Interpreten: LaSalle Quartett & Ensemble Intercontemperain; Komponist; György Ligeti; LC-Nr. 0173; Deutsche Grammophon 1'20 aus Tehellet; aus CD: Bodysong (Soundtrack); Interpret & Komponist: Jonny Greenwood; LC.-Nr. 08903; Warner Chappell Music Verwendete Zitate aus: Tschechow - Die großen Dramen; in der Übertragung von Thomas Brasch; Insel Verlag, Frankfurt/M. 2004; Seite/Zeilen: 344/5 (Kirschgarten) 199/6 (Onkel Wanja) 151/5 (Möwe) 214/2 (Onkel Wanja) 199/14 (Onkel Wanja Wolf Eismann - Tschechow - Seite 1