Nachspiel am 17.02.2013 COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Unser Held, der Verräter Die späten Einsichten des Hans-Georg Aschenbach Autorin: Alexa Hennings Histor. Atmo, Reporter 0.58 Schanze frei für Hans-Georg Aschenbach. Sprecherin 1974. Skiweltmeisterschaft in Schweden. Die halbe DDR sitzt vor dem Fernseher. Atmo weiter Er hat Warnsignale genug gehört von da unten hinauf auf den hohen Turm. Da ist der Zweite, Kasaja, gescheitert. Da ist der Dritte, Kaotchi, gescheitert. Sprecherin Die halbe DDR weiß: Aschenbach scheitert nicht. Der nicht. Atmo weiter Da konnte sich der Vierte, Tormänen, nicht halten, rutschte nach hinten. Karda, dem Fünften, ging es ähnlich. Und was machst du, Hans-Georg Aschenbach? Wir zittern mit dir, wir drücken dir die Daumen, machs gut! Und jetzt geht es ab, jetzt geht es hinunter auf die Rollbahn - Jubel im Hintergrund... O-Ton Aschenbach 0.03 Die Angst war immer da. Die Angst fliegt immer mit. Atmo weiter ...Und er ist da, er ist da wie eh und je! Zuverlässig, gut geflogen, sauber gesprungen, nichts Übertriebenes riskiert, ganz bombensicher gestanden. 101 Meter, das ist der Weltmeistertitel!! O-Ton Aschenbach 0.12 Die Angst, im Wettkampf zu versagen. Nach Hause zu kommen und nicht gewonnen zu haben. Es geht immer um Leistung, es geht immer um diese Orientierung. Und das macht letztendlich das Schöne am Erleben kaputt. Atmo weiter Der Doppelweltmeistertitel für Hans-Georg Aschenbach! Totalnote 240,4! Sprecherin Es hatte fast schon etwas Selbstverständliches: Aschenbach gewinnt. Er steht, wenn andere patzen. Überlistet Pappschnee und Seitenwind. Für ihn scheinen die Naturgesetze nicht zu gelten. Er steht. Steht für die kleine DDR, die sich gerade aufrappelt, Anfang der 70er Jahre. Histor. Atmo Paul Verner 0.18 Zu den bedeutendsten Ergebnissen der koordinierten Außenpolitik der sozialistischen Staaten - Sprecherin Paul Verner, Mitglied des Politbüros, auf dem 5. Turn- und Sporttag der DDR 1974. Atmo weiter ...gehört die Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in die UNO und die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit nunmehr 105 Staaten. Sprecherin Das kleine Land DDR. Lange geschnitten von den Politikern der Welt, immer um Anerkennung bemüht, immer dem wirtschaftlich starken und einflußreichen Westen hinterherhinkend. Außer im Sport. Im Sport, da war man wer. Und deshalb war der Sport so wichtig. Waren Siege so wichtig. Es war eine Zeit, die Helden brauchte. Sporthelden wie Aschenbach. Hist. Atmo 0.18 Hans-Georg Aschenbach führt in der Konkurrenz im Augenblick mit ca. 16, 17 Punkten. In etwa sechs, sieben Minuten ist das Springen zuende und wir verkünden offiziell den Einlauf. Wir geben ab nach Dresden - Waldefried Forkefeld. Sprecherin Geschafft! Das Fernsehvolk erhebt sich von seinen Sitzen. Kommt sich mit jedem Sieg auch ein Stück größer vor, irgendwie bedeutender. Irgendwie bestätigt. Denen haben wir es aber gezeigt! Dafür muß man nicht einmal Parteigänger der SED sein, um das zu fühlen. Das Volk liebt seine Sportler, damit es sich selbst lieben kann. Die Politiker lieben die Sportler, weil sie sie brauchen. Histor. Atmo Paul Verner 0.20 Durch ihr Auftreten als würdige Repräsentanten des Arbeiter- und Bauern- Staates und ihre sportlichen Erfolge bei internationalen Wettkämpfen haben sie mitgeholfen, ein realistisches Bild von unserer Republik in der Welt zu vermitteln. O-Ton Aschenbach 0.34 Unter anderem wurde ja auch aufgrund meiner tollen Erfolge und meiner Vorbildwirkung auf die Jugend und das Volk an sich mir ein Denkmal errichtet beim ASK Oberhof. Vor dem Portal war eine Skispringer-Statue, die mich im Flug, bei der Landung und in Siegerpose zeigte. Die war schon so fünf Meter hoch, das war ein monumentales Teil lacht - und da war ich auch ganz stolz drauf. Sprecherin Das Volk kürt seine Helden. Daß man einen Sportler in Bronze gießt, bleibt fast einmalig in der DDR-Geschichte. Das Volk will seine Helden verehren, ein Leben lang. Bei einem wie Täve Schur, dem legendären Radsportler, hat es geklappt. Der Sportheld, der dann Mitglied der Volkskammer wurde, kann sich bis heute überall sehen lassen und ist sich der Ehre und Bewunderung gewiß. Und das, obwohl er bis heute die Schattenseiten des Sportsystems ausblendet. Hans- Georg Aschenbach dagegen ist der gefallene Held. 1988 ging er in den Westen. Sein Denkmal wurde sofort abgerissen. Keine zwei Jahre später wurde der Armeesportklub der NVA, dem Aschenbach diente, friedlich von der feindlichen Armee übernommen. Seine ehemaligen Mannschaftskollegen streiften die Uniform des einstigen Feindes über. Jener Feind, zu dem Aschenbach keine zwei Jahre früher "übergelaufen" war. Aschenbach, der Verrräter. O-Ton Aschenbach 0.22 Also nicht nur Stalin oder Lenin ist gefallen - lacht - auch Aschenbach wurde geköpft und sein Denkmal fiel. Sprecherin Die Absurdität, mit 25 Jahren in Bronze gegossen zu sein. Das Abheben, nicht nur vom Schanzentisch. Die Eitelkeit. Der Sturz. Was ist das für einer, dieser Hans-Georg Aschenbach? Mit seinem Buch ist er noch einmal ins Rampenlicht gerückt. Man schreibt wieder über ihn in den großen Zeitungen. Erinnert sich an ihn nach so vielen Jahren. Das tut gut. O-Ton Aschenbach 0.34 Na gut, einmal bin ich ein eitler Mensch. Und eitle Menschen produzieren sich manchmal. Meine Frau sagt dann: Jetzt reicht es, jetzt find' mal deine innere Ruhe! Mein Tatoo als Buddha unterstützt mich dabei auch und sagt mir jeden Morgen: Denk dran heute, mach langsam. Sprecherin Den Buddha für die innere Ruhe konnte Aschenbach nach der Veröffentlichung seines Buches gebrauchen. Es ist keine Ach-ja-damals-noch-Lektüre. Keine netten Anekdoten, keine Sieger-Geschichten. "Euer Held, Euer Verräter" heißt das Buch. Und es polarisiert. Bis heute. Doch eigentlich begann alles schon ein paar Jahre früher, im Jahr 2009. Hans-Georg Aschenbach nahm an einer Gesprächsrunde der "Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur" teil. Erst wollte er nicht. Ließ sich dann doch überreden. Es ging um die sogenannten "Sportverräter" - so hießen im Stasi-Jargon jene Sportler, die die DDR verlassen hatten. Die erste Veranstaltung war in Berlin, die zweite in Suhl, Aschenbachs Thüringer Heimat. O-Ton Aschenbach 0.52 Im Rahmen dieser Veranstaltung, wo 500 Menschen in den Saal hineingelassen wurden, mehr ging nicht aus Sicherheitsgründen. Im Saal Freund und Feind säuberlich getrennt. 20 Jahre, wie nie gewesen. Die gleich Diskussion wie in der Parteiversammlung, wenn jemand die DDR, die damalige DDR, verlassen hatte. Wie kannst du nur und wir haben doch und alles war gut! Immer so dieses: Euch ging's doch gut, Auto, Wohnung, was weiß ich. Wo ich sag: Leute, seid ihr stehen geblieben, habt ihr gar nix gelernt? Histor. Atmo, Reporter 0.28 Ehe das Jahr 73 zuende geht ein Gespräch mit einem Mann, der 73 als sein Jahr ganz zweifelsohne bezeichnen kann: Hans-Georg Aschenbach, der Spezialspringer der DDR... O-Ton Aschenbach 0.52 Aber letztendlich dieser politische Druck, dieser Parteiauftrag den wir dort hatten, davon wußte ja die Bevölkerung nie was. Darüber wurde nie diskutiert, und wir durften ja darüber auch nicht sprechen. Und es war dann irgendwann mal zu sagen: Leute, ich glaube, ich muß euch mal wirklich sagen, wie es uns als Leistungssportlern gegangen ist. Zitat Im gesamten Club stießen die gefärbten Haare auf Ablehnung. Sprecherin Auszug aus der Stasi-Akte des Hans-Georg Aschenbach. 3000 Seiten legten die Genossen über ihren Genossen und Oberstleutnant der Nationalen Volksarmee und Sporthelden an. Ein Held, dem man nicht über den Weg traute. Zitat Darauf sagte A. sinngemäß: Das kann hier keiner verstehen, weil sie alle "armeeblind" sind. Ich möchte niemals mit den verspeckten und verqualmten Majoren auf einer Stufe stehen. Es ist jeder so alt, wie er sich beninmmt. O-Ton Aschenbach 0.16 Das Problem Stasi-Akte: Die habe ich vergessen, die wollte ich nicht sehen. Aber dann im Rahmen Suhl und anderer Diskussionen auch mit Regina, wo sie gesagt hat: Wenn du nicht aufhörst, die Vergangenheit zu vergessen und zu bekämpfen, wirst du nie frei sein. Lied Sportmarsch der DDR Lieber Sturmwind, blas noch fester, mach die Brust und den Kopf uns kühl und frisch! Nur wer jung bleibt, bleibt auch Bester, und der Wind macht mit Grillen reinen Tisch... Sprecherin DDR, Anfang der 60er Jahre. Hans-Georg Aschenbach, genannt Hansi, ein kleiner, etwas pummeliger Junge aus dem Thüringischen Städtchen Brotterode, kommt als 12jähriger an die KJS - die Kinder-und Jugendsportschule - in Zella- Mehlis. O-Ton Aschenbach 0.32 Ich stand in der Reihe immer ganz weit links, wo die Kleinen stehen. Sportlich war ich auch nicht besonders gut. Mein Bruder war älter, war A die Nr. 1, und B war er sportlich auch immer besser als ich, weil er einfach talentierter war. Und später über die Jugendjahre gab es eigentlich immer einen Besseren. Das war schon nervig! Und das gibt aber einfach - der Zweite hat immer die Motivation, Erster zu sein. Lied Sportmarsch der DDR Refrain: Unsre Körper, unsre Herzen bleiben jung davon, bleiben jung davon, bleiben jung davon. Keine Angst vor Hitz und Kälte, härte froh dich ab. Sport voran, ja, voran... O-Ton Aschenbach 0.42 Es sind viele, die immer Erster waren, die viel talentierter waren, die sind alle weggebrochen. Die habe ich alle hinter mir gelassen auf meinem sportlichen Weg. Das hat sich so dann auch in mir manifestiert, da war auch, wie ich heute sage, ein bißchen kranker Ehrgeiz. Aber auch kranker Ehrgeiz treibt einen zu Höchstleistungen, das war bei mir glaube ich auch der Fall. Lied Sportmarsch der DDR , kurze Sequenz ...seid bereit, seid bereit, seid bereit. Sprecherin In seinem Buch "Euer Held, euer Verräter", das wir hier immer wieder zitieren, nennt der Skispringer die KJS eine "Kinderkaserne". Auch das polarisiert. Bis heute. Zitat Eine Maschinerie, in der Talente wie ich als Kraftstoff dienten. Die Maxime waren Rivalität und Sieg über die Konkurrenz, die Meßlatte dafür - wenn keine offiziellen Wettkämpfe stattfanden - waren meine Klassenkameraden. Die Folge war, daß wir uns alle sehr egoistisch verhielten. O-Ton Aschenbach 0.32 Die Tausende von Freunden, Kameraden, die durch Nichterfüllen der Normen, also letztendlich durch Versagen, die Kinder-Und Jugendsportschule verlassen hatten, die kamen zurück in ihren Ort als Verlierer. Als Versager. Und das hat glaube ich, sehr, sehr viele Schicksale geprägt. Um die hat sich niemand gekümmert. Genauso wie später um mich, wenn du irgendwann mal ausscheidest oder irgendwann mal verlierst: Da kümmert sich niemand um dich. Da kriegst du nur Schläge, Schläge, Schläge. Und das willst du einfach nicht. Zitat Es gab immer ein erstes und ein zweites Frühstück. Beim ersten bekamen alle das Gleiche. Beim zweiten bekam der das Beste, der der Stärkste war, der sich den Weg nach vorn freigeboxt hatte. Das führte zu handfesten Rangeleien. Die Letzten kriegten nichts mehr. Am Anfang ging mir das auch immer so, später hob man mir dann etwas auf - als ich schon der war, mit dem man sich zeigen konnte, weil ich erfolgreicher war als andere. Und ja, natürlich, gefiel mir das besser, als ganz hinten in der Reihe zu stehen. O-Ton Aschenbach Und dann versuchst du, durch Erfolge vorne dazuzugehören. Daß du nicht die Schläge kriegst. Niemand will geschlagen werden. Nicht physisch und schon gar nicht psychisch. Und das ging in der KJS schon los. Diese Ausbildung gezielt auf diese absolute, gnadenlose Leistungsentwicklung. Und wenn du nicht ´ne Freundin hast, mit der du nicht abends mal rumknutschst am Kriegerdenkmal, da bleibt gar nix, was schön ist - lacht - Aber das ist schön. Und das hält dich auch bei der Stange: die Erfolge und die Jugendliebe. So eine Jugendliebe ist das Schönste, was du haben kannst. Das bügelt alles aus. Das hält dich überall dabei. Sprecherin Der junge Aschenbach heiratet seine Jugendliebe, die auch eine Sportlerin ist. Wird mit 20 zum ersten Mal Vater. Eine junge Vorzeigefamilie, passend zu den ersten internationalen Erfolgen. Mit 18 tritt er in die SED ein, das war als Mitglied eines Armeesportvereins gar nicht anders denkbar. Er wird Soldat, Sportsoldat - so wie es bis heute Sportsoldaten gibt, gerade im Wintersport, wo Elite-Sportclubs zu Bundeswehr und Polizei gehören. Histor. Atmo Aschenbach 0.32 Geboren am Beginn des 3. Jahres unserer Republik kann ich heute mit Stolz sagen: Ich bin ein Kind unserer sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik. Gleichermaßen wie sie gewachsen und anerkannt. Sprecherin Hans-Georg Aschenbach, 22 Jahre alt, 1974 auf dem 5. Turn- und Sporttag der DDR. Atmo weiter Die sozialistischen Verhältnisse in unserem Lande und die ständige Förderung von Körperkultur und Sport durch die Partei und Regierung waren neben dem persönlichen Willen, das Beste für unsere Republik zu geben, die entscheidenden Grundlagen für meine Entwicklung. Lied Sportmarsch der DDR Sonne, Sonne, scheine heller, deine goldenen Strahlen breite aus. Auf, ihr Freunde, schreitet schneller, gleicher Schritt bringt uns stärker noch voraus. Unsre Körper, unsre Herzen bleiben jung davon, bleiben jung davon, bleiben jung davon. Histor. Atmo, Aschenbach 0.42 Obwohl ich mit 22 Jahren noch nicht am Ende meiner sportlichen Laufbahn stehe, weiß ich heute schon, daß ich nach ihrer Beendigung und mit meinem erfolgreichen Abschluß meines Studiums an der Deutschen Hochschule für Körperkultur als Trainer und Funktionär am Armeesportverein Vorwärts die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, weiter vermitteln werde. Zitat Damals begann ich damit, mir zwei Welten aufzubauen. Zwei parallel benutzbare Leben: Das politisch-gesellschaftliche Leben mit dem Beruf als Skispringer im Armeesportverein - das war die eine Welt. Die andere bestand aus meinen Gefühlen, Gedanken und Fragen, die ich nicht haben durfte. Vertraute gab es nur in meiner Familie, Freunde, denen ich mich mitteilen konnte, gab es keine. Ich wußte, ich durfte mit niemandem darüber reden, was mich bewegte, sonst wären beide Welten zusammengekracht. Sprecherin Der junge Sportler erlebte, was mit den Unangepaßten geschah: Sportler, die Kontakte zu Westsportlern hatten, wurden gnadenlos aus dem System entfernt, egal, wie erfolgreich sie waren. Eine Langläuferin wurde wegen ihrer Beziehung zu einem Österreicher entlassen. Schweigen war Befehl. Die zwei Welten des Hans-Georg Aschenbach. Histor. Atmo Aschenbach 0.20 Es sei mir deshalb gestattet, daß ich mich dafür heute und von dieser Stelle bei der Partei- und Staatsführung und bei den Werktätigen unserer Republik herzlich bedanke. Beifall... Sprecherin Zwei Welten; das hieß auch: Sauberer Sport nach außen. Rechtzeitig zu Wettkämpfen clean sein. Und zu Hause: Doping, staatlich verordnet und genannt: unterstützende Mittel. Oral-Turinabol. Das Zeug macht ihn aggressiv und sexsüchtig und schwerer. Er findet, er wird schlechter dadurch und nicht besser. Er will es nicht nehmen. Er trickst. Aussprachen. Befehle. Zitat Dem A. wurde auch gesagt, daß es eine Masse junger Athleten gäbe, bei denen man medizinisch mit unterstützenden Mitteln wirken kann. Er sagte darauf, daß er sich diesem Problem offener und sachlicher stellen will. Sprecherin Der sogenannte "Vitamin-Cocktail" war unter Aufsicht einzunehmen. Darüber reden durfte man nicht. Risiken und Nebenwirkungen gab es nicht. Offiziell. Wenn ja, trug sie allein der Sportler. Zitat Meine Verschwiegenheit ließ man sich schriftlich bestätigen - mit dem Hinweis, daß ich unter keinen Umständen mit jemandem darüber sprechen dürfe, nicht mit meinen Sportkameraden, nicht mit den Eltern. Ein Verstoß gegen das Informationsverbot würde die sofortige Beendigung meines Leistungsauftrags bedeuten. Mir war klar, daß etwas Verbotenes passierte. Ich fand das sogar spannend. Wahrscheinlich würde das jedem Jugendlichen gefallen: Ich war stolz, daß ich jetzt dazugehörte. Sprecherin Die Erfolge häufen sich. Aschenbach gewinnt alles, was man gewinnen kann: Mehrere Weltmeisterschaften, die Vierschanzentournee, olympisches Gold 1976. Ein einziges Mal in seiner Karriere hat er enttäuscht. Histor. Atmo, Reporter 1.10 Der Mann, der viele Siege errungen hat in den letzten Wochen, im letzten Jahr, nachdem er in Sapporo vor genau zwei Jahren mit einem 31. Platz beim Springen von der kleinen Schanze zufrieden sein mußte und dann für das Springen auf der großen Schanze gar nicht mehr nominiert wird... O-Ton Aschenbach 0.57 Ich habe eine schlimme Gelegenheit gehabt, wo wir 1972 von den olympischen Winterspielen zurückkamen. Wenn du dann nachhause kommst und bist ein Nichts. Hast vier Jahre trainiert, und es gibt nur Schimpf und Schande. Ihr Versager, Parteiauftrag nicht erfüllt. Wie steht ihr da vor euerm Volk, die euch das alles finanziert haben! Dieses schlechte Gewissen, in jeder Parteiversammlung, wo du auch warst. Und dann Gott sei Dank irgendwann: Okay, jetzt lernen wir aus den Fehlern, das ist jetzt Verpflichtung, das ist jetzt Ansporn, jetzt geht's weiter. Das nächste Ziel und der der nächste Parteiauftrag. Und die Leistungsorientierung hat dich dann wieder aus dem psychischen Tief geholt, in das sie dich letztendlich vorher gebracht haben. Aber ganz bewußt nach dem Motto: Ich glaube, jetzt ist er tief genug. Jetzt können wir ihn wieder aufbauen. Jetzt will er wieder. Histor. Atmo, Reporter weiter Aber nun haben wir einen anderen Hans-Georg Aschenbach im Visier, eine Autorität der Schanzen. Und das will er beweisen, hoch die Flugkurve - Jubel - und weit, weit hinunter, weit über die kritischen Meter, in die 90 Meter hinein. Ist das möglich? Ist das möglich?... O-Ton Aschenbach 0.49 Ich hab dann später als Funktionär ein paar Sachen mitbekommen: Das war einfach System. Die Leute so kaputt machen und dann so kurz davor zu sagen: Jetzt machen wir wieder alles, jetzt bist du wieder der Liebe und Gute, jetzt mußt du durchstarten, jetzt kriegst du wieder alle Unterstützung. Das ist, wie wenn du einen Hund schlägst, und der guckt dich an und wenn du dann das Stückchen Zucker und das Plätzchen gibst, dann wedelt er wieder. Und ist wieder der Allerliebste. Aber erst mußt du ihn schlagen. Und dieses System ist in der DDR gewesen: Erst schlagen und dann wieder aufbauen. Nix mit Makarenko, gar nicht. Ich hab's gelernt, aber ich hab's nie gespürt. Hist. Atmo Reporter weiter ...Und er hat gestanden, er hat gestanden! 19.5, 19.0. 19.0, zweimal 17.5 . 132,3 Punkte für Hans-Georg Aschenbach. Eine souveräne Führung, eine Autoritätsführung, um diese Vokabel noch einmal aufzugreifen. O-Ton Aschenbach 0.42 Das ging ja auch bis in die Familien. Dieser Stolz und dieses für das System sein. Nachhause zu kommen, und dann die Kinder, die Eltern - die haben ja auch Erwartungen. Dein Sohn ist an der KJS, dein Sohn hat die Möglichkeit, du kriegst die Möglichkeit - und nun hat er versagt. Da kriegst du nochmal den Druck. Daß du's deinen Eltern richtig machst, deiner Frau oder deinen Kindern. Dein Vater, der Olympiasieger. Oder: Dein Vater, der Versager. Dann sagen sie: Papa, was ist ein Versager? Hist. Atmo Reporter weiter ...Daß man hier 90 Meter stehen kann, bei einem Schanzenrekord bis vor einer halben Stunde von 85 und einem halben Meter - das war eigentlich nicht zu erwarten. Das konnte nur ein Mann der Superklasse, der Sonderklasse fertigbringen! O-Ton Aschenbach 0.43 Es gab nichts dazwischen. Und das wollte ich auch in dem Buch so rüberbringen: Dieses Schwarz und Weiß. Ende. Und ich hab halt grau draus gemacht für mich. In dieser Grauzone hab ich gelebt. Da dann auch später rauszukommen - es ist was Wunderherrliches, sich in so eine Grauzone zu flüchten. Das ist die Depression, das sind diese ganzen Erkrankungen, das ist das Internet. Da flieht man einfach vor der Realität. Sonst kannst du nämlich nicht überleben damit. Sprecherin Was ist gut, was ist richtig? Was ist Verrat, was ist Lüge? Mit diesen existenziellen Fragen sah sich Hans-Georg Aschenbach sein Leben lang konfrontiert. Das arbeitete in ihm, bis er es aufschreiben konnte. Späte Einsichten. Aber Einsichten. Endlich konnte er erklären, warum er das tat, was so viele seiner Bewunderer als Verrat empfanden: Die DDR verlassen. Im Westen als erster über das Doping-System der DDR öffentlich aussagen. Noch dazu in der Bild-Zeitung. Damit wollte er die Genossen erpressen: Laßt meine Familie raus, laßt nicht eure Wut über mich an ihnen aus. Er pokerte hoch. Verlor. Erst einen Monat vor der Maueröffnung konnte er seine Familie mit Hilfe der Vereinten Nationen und seines Zeitungs-Honorars freikaufen Erst der Verrat, dann die Lüge, titelte die Zeitung "Junge Welt" damals. Zitat Aschenbach gab in der Öffentlichkeit etwas anderes vor, als er war. Die Grundorganisation verurteilt den Verrat von Aschenbach und schließt ihn aus ihren Reihen einstimmig aus. Aschenbach ist zum Werkzeug unserer Feinde geworden. Sprecherin Noch nie war ein so ranghoher Offizier wie Oberstleutnant Hans-Georg Aschenbach abgehauen. Die Stasi plante - so las es Aschenbach 22 Jahre später in seiner Stasi-Akte - ihn zurückzuholen, nach James-Bond-Manier. Oder besser: nach der des "Unsichtbaren Visiers", wie eine bekannte DDR- Agentenserie mit Armin-Mueller Stahl - der auch längst die DDR verlassen hatte - hieß. Und Aschenbach war Geheimnisträger als Arzt - das war noch prekärer als der Geheimnisträger Offizier. Zitat Täter: Ein international bekannter Skispringer, mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger von 1976. Als Sportmediziner hat er umfangreiche Kenntnisse über die Anwendung unterstützender Mittel, deren Anwendung der Geheimhaltung unterliegt. Sprecherin Hans-Georg Aschenbach hatte nach seiner Karriere als Skispringer Sportmedizin studiert und promoviert. War Arzt geworden beim Armeesportklub Oberhof und später Mannschaftsarzt der DDR-Skisprung-Nationalmannschaft. 1988, die Mannschaft nahm an einem Wettkampf im Schwarzwald teil, blieb er im Westen. O-Ton Aschenbach 0.50 Ich war nun mal in der Situation als Arzt, Verantwortung für Kinder und Jugendliche zu übernehmen. Und das war glaube ich die Hauptmotivation für mich, dieses System zu verlassen: Ich wollte diese Verantwortung nicht tragen. Ich wollte es nicht. Ich kam mit Idealen aus dem Studium, ich wollte auch die Welt verändern. Und war dann auch wieder Befehlsempfänger. Und das wollte ich nicht sein, schon gar nicht mit der Verantwortung, zu wissen, ich bin jetzt Arzt, ich will heilen. Und ich schade. Ich will helfen, ich will nicht schaden! Und irgendwann wußte ich, was man mir geschadet hat und was ich mir selbst geschadet habe in meinem Ehrgeiz. Weil, ich habe es ja gewußt, was ich mache. Aber irgendwann zu erkennen: Wenn ich das jetzt als Arzt mache, dann bin ich nicht besser als die alle. Sprecherin Er kommt wohl nie mehr aus der Täter- und aus der Opferrolle heraus. Er hat gedopt, er ist ein Täter. Er mußte es tun, um weiter Sportler sein zu dürfen - er ist ein Opfer. Bis heute fordert sein stärkster Konkurrent von damals, der österreichische Skispringer Toni Innauer, daß Aschenbach seine Medaillen zurückgibt. Er findet, er muß das nicht tun. Er hat nicht nur gedopt, er hat auch 15 Jahre seines Lebens überaus hart trainiert. Das Doping, weil es undifferenziert angewendet wurde, habe ihm mehr geschadet als genutzt, meint er. Wer will da richten? Und die Österreicher hatten die besseren Skier und die besseren Anzüge, damit konnten sie auch Meter schinden. Aschenbach trat damals in einem Anzug aus umgenähten Miederhöschen an - die Antwort der DDR auf die technische Aufrüstung der West-Sportler. Das Medaillen- Problem hat Aschenbach elegant gelöst: Er gab die Medaillen ins Museum. In seiner Arztpraxis in Freiburg hängen in einem kleinen Rahmen Repliken. Er will auch die jetzt abnehmen, die Praxis wird renoviert. Histor. Atmo, Reporter 0.40 ...Zuschauer jubeln - Reporter: Da ist auf einmal ein Jubelschrei, 85 und einen halben Meter für unseren Schorschi, für unsern Schorschi! 258,9, eine Traumnote, eine Traumnote für Hans-Georg Aschenbach. Ich habe mit ihm gebangt, ich habe mit ihm gebangt, mit ihm gezittert... Sprecherin Er hatte ein Denkmal. Den Vaterländischen Verdienstorden. Den Armeeorden "Für Volk und Vaterland". Er war ein Held. Er konnte sich nicht mal eine Bockwurst kaufen, ohne auf dem Bierdeckel ein Autogramm geben zu müssen. Unser Held, toll, können wir ein Foto machen? Dann die Verdammung. Eine ungeheure Fallhöhe. Die Wende war seine Erlösung. O-Ton Aschenbach 0.39 Und für mich war es eine Rechtfertigung. Für mich- und auch vor allen Dingen für meine Eltern - zu sagen: Ich hab ja doch recht gehabt. War ganz wichtig für mich. Weil man sich natürlich Vorwürfe macht, wenn man so konfrontiert wird von Hunderten, Tausenden, mit so einer Negativmeinung. Da sagst du auch: Was hab ich jetzt wirklich falsch gemacht? Hab ich was falsch gemacht? Und dann zu sagen: Ich hab nicht gelogen, ich hab die Wahrheit gesagt. Ich hab`s vorausgesehen. Und das tut richtig gut. Sprecherin Die Wende war eine Erlösung, aber noch nicht das Ende seiner Geschichte. Bei den Buchlesungen, vor allem, wenn er sie im Osten Deutschlands macht, kommt immer noch, 24 Jahre nach seiner "Tat", die vorwurfsvolle Frage: Warum hast du uns verraten? O-Ton Aschenbach 0.27 Manchmal macht's mich furchtbar wütend, wenn ich drüber nachdenke. Manchmal kann ich Gott sei Dank drüber lachen. Aber wenn ich mich so richtig reindenke, dann packt mich so'ne ohnmächtige Wut. Daß du damals nichts tun konntest und einfach heute auch immer noch vor diesem Scherbenhaufen der Geschichte stehst. Und du schaufelst da so ein bißchen was mit weg mit so'n paar Gleichgesinnten. Aber so richtig vorwärts kommen wir da auch nicht. Histor. Atmo, Reporter weiter ...Und nun , meine Hörer zuhaus', wo Sie gerade sind: Freuen Sie sich mit ihm! Halten Sie mit Ihrem Auto an, wenn Sie unterwegs sind, gönnen Sie sich eine Pause auf dem Weg zum Parkplatz und machen Sie irgendetwas! Freuen Sie sich mit uns, mit Hans-Georg Aschenbach aus der DDR! Lied Sportmarsch der DDR Unsre Körper, unsre Herzen bleiben jung davon, bleiben jung davon, bleiben jung davon. Keine Angst vor Hitze und Kälte, härte froh dich ab. Sport voran, ja, voran. Ja Sport voran, voran, voran! Seid bereit! Ob Tag, ob Nacht, ja, zu jeder Zeit, zu jeder Stunde immer bereit, seid bereit, seid bereit, seid bereit. 1