DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Feature Ware Welt – Themenwoche Wohin mit der ganzen Musik? Bericht eines freischaffenden Improvisators Von Matthias Mainz Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 12. Dezember 2014, 20.10 - 21.00 Uhr (Kanada I) Musik Autor Sommer 2013. Ich sitze im Grant Avenue Studio in Hamilton/ Ontario, Kanada. Ich besuche den fast siebzigjährigen kanadischen Stimmkünstler Paul Dutton. Dessen Mäzen, Bill Blakeney - ein erfolgreicher Anwalt, der als Hobby das traditionsreiche Studio unterstützt – hat uns fünf volle Aufnahmetage geschenkt. Sprecher Autorenstimme Im Grant Avenue Studio haben die Lanois-Brüder Popstars produziert - U2 zum Beispiel, Bob Dylan und Peter Gabriel, hier haben die Komponisten der New York School um John Cage gearbeitet sowie mit Brian Eno und Jon Hassel die Begründer der Ambient-Musik. Autor: Reise und Unterkunft ermöglichte mir ein Stipendium aus Deutschland. So ungefähr hatte ich mir das Musikerdasein als Teenager immer erträumt…. Ansage Wohin mit der ganzen Musik? Bericht eines selbstständigen Improvisators von Matthias Mainz Autor Morgens werde ich mit einer schwarzen Lincoln-Limousine von meinem Bed-and-Breakfast in Toronto ins eine Autostunde entfernte Hamilton gefahren. Die Atmosphäre im Studio ist nicht nur sehr professionell, sondern außergewöhnlich freundlich und warmherzig. Bill agiert als aufmerksamer Produzent und lässt uns alle Freiheit. Amy King, die junge Multiinstrumentalistin und Toningenieurin, ist so schnell und zugewandt, wie man es sich nur wünschen kann und vermittelt uns das Gefühl, dass die merkwürdigen Geräusche unserer Instrumente und unsere elektronischen Soundscapes für sie wirklich neu klingen. Weil sich Paul wegen seiner Erkältung und der nächtlichen Behandlung mit Whiskey eine Auszeit nimmt, ermuntert mich Bill, Solo-Aufnahmen im Studio zu machen. Als ich mit meiner Trompete und dem Computer genug eingespielt habe, entdecke ich den kleinen Yamaha-Flügel. Traumhaft. Sprecher Autorenstimme Eine absolut traumhafte Situation. Autor: Trotzdem kann mich nichts darüber hinweg täuschen, dass es absolut unverkäufliche Musik ist, die wir hier improvisieren. Dass es zwar möglich sein wird, die Aufnahmen später zu veröffentlichen und vielleicht auf dem einen oder anderen Festival zu spielen. …. Sprecher Autorenstimme …dass dabei aber auf keinen Fall Honorare herauskommen, die auch nur im Ansatz an einen wirtschaftlichen Gewinn denken lassen. Musik Autor: Ich bin studierter Jazzmusiker, Absolvent der Kölner Musikhochschule, und habe in den fünfzehn Jahren seit Ende meiner Studien alle mögliche Musik, Tanztheater, Theater und bildende Kunst gemacht. Die Vierzig habe ich inzwischen überschritten. Mein zweites Kind ist unterwegs und für die ewigen Nachwuchsförderungen bin ich langsam zu alt. Sprecherin/Reflexion: Jahr für Jahr verlassen rund 2000 Absolventen die deutschen Musikhochschulen. Der Musikinformationsdienst beziffert das Jahresdurchschnittseinkommen ausgebildeter Musiker mit 12 000 Euro. Autor innere Stimme Musik kann so schön sein, aber als Beruf … Warum bist du nicht Jurist geworden. Oder Arzt. Oder – Manager. Autor: Höchste Zeit für eine Bestandsaufnahme. Sprecher Autorenstimme Wie sieht es denn wirklich aus im Musikmarkt? Sprecherin/Reflexion: Wie beeinflusst das Internet die Musikproduktion und die Verdienstmöglichkeiten? Sprecher Autorenstimme Wie funktioniert das Geschäft mit den Live-Konzerten? Sprecherin/Reflexion: Was ist die Zukunft der Kulturförderung? Autor innere Stimme: Wer braucht denn immer neue Musik? Sprecher Autorenstimme Wie machen es die anderen? Kapitelzäsur (Musik) Alex Gunia Ich hab ja in Amerika studiert, bin dann wiedergekommen, Anfang der Neunziger - und da hab ich mir die gleiche Frage gestellt, hab mir exakt die gleiche Frage gestellt: Sprecher Autorenstimme Alex Gunia, Gitarrist, wir kennen uns seit über 10 Jahre.n Alex Gunia da hab ich mir die gleiche Frage gestellt: ich war jetzt in Amerika, hab `ne Collegeausbildung, die haben mir erklärt, wie der Musikmarkt funktioniert in Amerika, aber wie funktioniert`s jetzt eigentlich hier? Und das wurde mir ziemlich schnell - war das ganz klar: man macht Platten, sucht sich `nen Produktionsort, man übt, man stellt `ne Band zusammen, geht auf Tour und so langsam konnte man das wie so`n Legohäuschen aufbauen. Und das hat sich auch gerechnet am Ende, nicht nur musikalisch-künstlerisch, sondern das hat sich auch gerechnet. Sprecher Autorenstimme In den neunziger Jahren wurde Gunia mit der Crossover Band Matalex bekannt, die mit Jazz-Stars wie Randy Brecker oder Jean-Paul Bourelly Platten veröffentlichte und ausgedehnte Tourneen spielte. Alex Gunia Das war durchschaubar, die Mechanismen waren durchschaubar und das Geld war da. Also ich bin immer wieder auf Leute getroffen, die das Geld einfach hatten, die einen Scheck schreiben konnten - ich hab mir oft einen Scheck abgeholt - Betreffzeile Matalex. So. Und ich wüsste jetzt nicht wo ich hingehen sollte, mir einen Scheck abholen. Wo ich jetzt was beantragen soll, zu was für `nem Label ich gehen soll. Das einzige was mir einfällt ist, das alles selber machen. Sprecher Autorenstimme Gunia erzählt von den goldenen Zeiten der kommerziellen Musikbusiness. ---- Sprecherin/Reflexion: Wer ein paar Jahre später in Deutschland Jazz studiert hat, realisiert seine Projekte mit Fördergeldern. Holt sich keine Schecks ab – sondern schreibt ein Jahr vorher Anträge an Stiftungen, Kulturämter usw. und hofft. Mittlerweile schreibt jeder Anträge. Aber das Antragsgeschäft ist endlich. Entweder wird Nachwuchs bis dreißig gefördert. Oder es gibt Geld für die Erarbeitung eines Projektes, aber danach nie mehr für die Aufführungen. Das Projekt ist dann ja nicht mehr innovativ. Es soll sich am Markt behaupten – aber… es gibt keinen Markt... Forts.Alex Gunia: Und ich wüsste jetzt nicht, wo ich hingehen sollte, mir einen Scheck abholen. Wo ich jetzt was beantragen soll, zu was für `nem Label ich gehen soll. Das einzige was mir einfällt ist, das alles selber machen. Autor innere Stimme Wo holst Du Dir denn deine Schecks ab? Schreib doch mal was,  was die Leute auch hören wollen! Schreib doch mal `n Hit! Deine eigene Musik kannst du  später immer noch machen!   Jojo Berger: Die Sachen, womit ich mit Gema noch Geld verdiene, sind  hauptsächlich Compilations,  Sprecher Autorenstimme Jojo Berger ist Songwriter und  Produzent von Electronic Dance  Music und Schlager, die Namen würde ich kennen, sagt er... Jojo Berger: Da gibt es in Deutschland zwei, drei, vier, vielleicht fünf erfolgreiche Compilations und jeder versucht auf diesem Dance-Markt auf die  Compilations zu kommen und Teilweise gibt es Projekte die vielleicht talentiert oder hoffnungsvoll sind, die aber vorher sag ich mal überhaupt keine Perspektive haben, wenn klar ist, dass sie überhaupt nicht auf diese Compilations kommen. Sprecher Autorenstimme: Die Plattenfirmen veröffentlichen neue Dance-Titel auf CDs, die vorgeben, Best-Of CDs mit dem Besten der Genres zu sein. Die Titel sind vorher nirgendwo anders veröffentlicht worden. Jojo Berger: Das heißt, der Markt hat sich dahingehend verändert, dass Songs  sich nicht mehr auf Alben so gut verkaufen, auch nicht mehr einzeln  aber auf diesen Best of Compilations, dass die noch sehr viel gekauft werden  Sprecher Autorenstimme: Berger komponiert einen Teil vom Hit Jojo Berger: Man bekommt `n Playback und schreibt dann darauf, daß heißt, das  meiste ist schon vorproduziert, und man schreibt noch Melodie und Text darauf. Es ist teilweise so, dass man einen Deal vorher braucht, oder eine Zusage vorher braucht dass ein Song auf einer Compilation  landet, um überhaupt mit der Musik loszulegen. Weil sonst würde die  Musik vielleicht gar nicht existieren. Autor innere Stimme: …sonst würde die Musik vielleicht gar nicht existieren... Jojo Berger: also ich meine, es ist schon krass, viele Bekannte von mir, die hier kleine Labels haben die waren sehr  erfolgreich, hatten vor vier, fünf Jahren noch Hits oder Buchungen und  die gehen jetzt alle schöne wieder studieren oder machen was anderes, weil man einfach sagt: es lohnt sich auch einfach nicht mehr zu investieren, also Marketingbudgets für einzelne Songs, die gibt`s bei kleinen Plattenfirmen auch überhaupt nicht mehr. Man versucht einfach in so `ne Playlist zu kommen bei Beatport, dann versucht man sich da hochzuvoten,  Sprecherin/Reflexion:  Die Kleinen geben sich also in Musikforen im Netz gegenseitig hohe Bewertungen, um ihre Songs irgendwie zu verkaufen. Die große Industrie aber lässt Titel Direct-to-Best-Of produzieren und verkauft mit diesem Trick noch CDs. Ist das der Anfang vom Ende der Musikindustrie?  Oder nur ein neuer, leicht perverser Nischenproduktions- und Marketingzirkus? Wie ist das mit den großen Plattenfirmen: produzieren die noch richtig, oder schöpfen die nur die Sahne ab von dem, was die jungen Produzenten fertig anliefern? Kapitelzäsur (Musik) Prof. Wandjo In den achtziger Jahren hatten sie eine Fernsehsendung, die hieß der Musikladen von Mike Leckebusch, wenn Sie sich da dran noch erinnern können. Da waren Sie drin und wenn der Song halbwegs in Ordnung war, hatten sie danach einen Riesenhit gehabt. Und Nena startete so mit „nur geträumt“ zum Beispiel, viele andere auch - das war viel eindimensionaler, sie mussten eben nicht so viele Instrumente, nicht so viele Pfeile aus dem Köcher holen, um zu treffen. Heute müssen sie ein Waffenarsenal haben, um wirklich alles überall abzudecken. Sprecher Autorenstimme Hubert Wandjo hat in den achtziger und neunziger Jahren alle wichtigen Positionen in der Schallplattenindustrie durchlaufen - bis zur Geschäftsführungsebene. Angefangen hat er in der Produktentwicklung, die in der Branche A&R für Artist and Repertoire - oder Ablehnen und Rücksenden genannt wird... Prof. Wandjo Die Deals waren früher ja so gestrickt, dass ein Teil dieser Vorschüsse auch ganz bewusst darauf angelegt war, den Künstler im Grunde genommen bereit zu halten für Marketing, Promotion, für Livegeschäfte, um eben an seiner Karriere zu arbeiten, und da wurde ein Vorschuss gezahlt, der das auch beinhaltet. Man muss ja eine große Lostrommel nehmen, weil die Floprate ist extrem hoch, man spricht ja immer von neun zu eins - also einer funktioniert, neun funktionieren nicht - und der Eine der funktioniert, muss dann eben auch das Geld einspielen, was die anderen verlieren. Sprecherin/Reflexion Neun zu eins. Zehn werden produziert, einer macht den Hit - Sprecher Autorenstimme Seit 2003 ist Hubert Wandjo Professor und Geschäftsführer der Pop-Akademie Baden-Württemberg, verantwortlich für die Musikbusiness-Ausbildung. Prof. Wandjo Sie müssen wirtschaftlicher denken, sie müssen im Vertrieb sehr viel mehr Kanäle bedienen, sie müssen nach wie vor die CD haben, inzwischen wieder die Vinyl, sie müssen die Downloads, die wieder eigene Vermarktungsgesetze haben, jetzt kommen Streams dazu, die wiederum ganz anders funktionieren in der Abrechnung, das ist sehr, sehr komplex geworden. Sprecherin/Reflexion: Die Umsätze der Plattenindustrie sind durch das Internet um 50% eingebrochen und verharren auf diesem Niveau. Vorschüsse und Produktionen werden kaum noch gezahlt. Wer verdient noch in der Kette? Sprecher Autorenstimme Die Pop-Akademie Baden-Württemberg hat eine eigene Musikagentur. Neben der Akademie siedelte die Stadt ein Gründerzentrum für Musik und Kreativwirtschaft an. Ich spreche mit dem Leiter der Agentur und einem Absolventen, der sich als Festivalveranstalter selbstständig gemacht hat. Beide betonen, dass auch die avancierte Popkultur öffentlich gefördert werden müsse. Ich wundere mich. Sprecherin/Reflexion: Bisher bezogen Popmusiker ihr Selbstwertgefühl unter anderem aus der Tatsache, dass sie im Gegensatz zur hochsubventionierten Klassik oder der Avantgarde mit ihren marginalen Publikumszahlen eben gerade keine Förderung brauchten. Was hat sich hier verändert? Ist überall weniger Geld im System? Kapitelzäsur (Musik) Autor innere Stimme: Steh zu deiner Musik! Brennst du auch genug dafür? Dann investiere! Spiele um jeden Preis, zeig dein Talent, bau Dir dein Publikum auf! Erwarte nicht am Anfang sofort Geld, dann kommt am Ende schon der Erfolg! DJ Ipek: Aus welchem Bereich komm ich? Ethnomusic, ethnoelektronische Musik. Die Leute zahlen keine 20€ Eintritt dafür, es kommen nicht Tausende von Menschen da hin. Als ich als DJ begonnen habe, hab ich auch sehr viel umsonst gespielt, damit mein Name erstmal überhaupt in den Flyern auftaucht. Das gehört mit zu eigener Promotion, wo du denkst, je öfter ich wo auflege, desto mehr hören die Leute meine Musik und merken sich meine Namen, also werde ich irgendwann auch bessere Jobs bekommen, was ja auch ne Investition ist. Kapital, das dich erstmal nichts kostet, außer Zeit und Eigenengagement, was ich denke das bei jedem Musiker erstmal gegeben sein müsste, weil du auch Erfahrung sammelst. Martin Posegga Also wir waren eigentlich zu zweit Geschäftsführer. Aber wir haben halt komplett alles gemacht. Am Anfang haben wir sogar - selber veranstaltet. Also wir haben dann Räume angemietet, und eben vom Layout über Programmgestaltung bis Probenorganisation: alles, komplett. Sprecher Autorenstimme DJ Ipek und Martin Posegga stammen aus völlig konträren Musik-Welten: Ipek bewegt sich in der Clubmusikszene Berlins, Martin ist studierter klassischer Saxophonist. Beide sind Musiker und Manager zugleich. Martin trägt Verantwortung als Kopf eigener Ensembles, Ipek als Konzertveranstalterin, und beide überschreiten mittlerweile die Grenzen ihrer musikalischen Milieus in die jeweils entgegengesetzte Richtung.. Ipek treffe ich in ihrer Küche in Berlin, Martin in meiner in Köln... Martin Posegga Natürlich haben wir erstmal angefangen mit kaum Förderung und dann alle umsonst gespielt, also ohne Gagen und so weiter und so fort, naja musst du halt irgendwie, musst du durch, durch so `ne Zeit. DJ Ipek Und später natürlich müsstest Du anfangen ab einem bestimmten Punkt, deine eigene Musik wertzuschätzen, und auch Geld dafür zu verlangen. In Berlin ist es limitiert, und woanders kannst du halt mehr dafür verlangen. Letztens meinte ein Künstler zu mir - ich wollte ihn für etwas engagieren, es war klar, ich kann nicht viel zahlen, es kommt in einen Flyer rein, wir machen großflächige Werbung, also er wird seinen Profit haben und es wird eine gute Referenz sein. Er sagte: ich möchte aber mehr haben! Meinte ich: OK, es gibt andere Künstler, die für weniger auftreten und die haben bereits ein Album. Entweder Du bist dabei, oder du bist nicht dabei, sag`s mir jetzt. Ich hab auch andere Künstler, die ich anfragen kann. Autor innere Stimme: Entweder, du bist dabei – oder eben nicht. Sprecher Autorenstimme Für Ipek sind alle Musiker gleich und sollten sich zu Beginn ihrer Karriere kostenlos zur Verfügung stellen. Autor innere Stimme: Aber… zu leise Sprecherin/Reflexion: Studierte Musiker und Musikerinnen haben durchschnittlich fünfzehn Jahre konsequenter Ausbildung hinter sich, in die zuerst die Eltern und dann der Staat ziemlich viel investiert haben … Soll diese staatliche Musikausbildung am Ende zu einem sozialdarwinistischen Markt führen, auf dem sich die Musiker gegenseitig die Löhne drücken? Katja Lucker Weil ich selbst aus diesem Business komme und ganz lange ewig Konzerte veranstaltet habe, weiß ich, was das bedeutet, wenn man immer wieder auch jüngere Bands zeigen will und dann so kurz vor der Insolvenz ist, weil das einfach nicht funktioniert, weil Du immer nur Geld verlierst. Sprecher Autorenstimme Katja Lucker ist die offizielle Pop-Beauftragte der Hauptstadt: Sie leitet das Musicboard Berlin, das seit 2013 Pop-Förderung im Umfang von zunächst einer Million Euro jährlich umsetzt, die Summe soll bis 2015 auf zwei Millionen aufgestockt werden. Katja Lucker Dann kann man sich Modelle ausdenken und Bands gegen die Tür spielen lassen - jetzt ist es in Berlin schon ganz oft so, dass du als Band erstmal `n bisschen Geld vorausschießen musst, das heißt, Du musst die Gema, den Tontechniker, den Lichttechniker, meinetwegen noch die Security unten, das heißt du musst 400€ erstmal hinlegen. Alles was wir fördern, alles wo wir irgendwie drin hängen, oder wo uns Leute fragen, wird jeder Künstler Geld bekommen. Wenn der das nicht bekommt, hat uns irgendjemand verarscht. Also das kann eigentlich nicht sein, wenn junge Bands auftreten und auch unbekannte Bands, und mit `ner andern spielen - wir sagen immer: der Künstler bekommt eine Gage für das, was er da macht. Sprecher Autorenstimme Aber kann es denn einen automatischen Anspruch auf ein Honorar geben? Was bedeutet eigentlich die Mindestlohndebatte für Musiker? Ich frage Martin, ob er mit seinen Ensembles jemals Programme hatte, die ihre Kosten eingespielt hätten. Martin Posegga Wie meinst Du? Ohne Förderung? Ne, das geht gar nicht im klassischen Bereich geht das gar nicht - ist mir eh fremd. Ne es gibt so `ne Faustregel: wenn du richtig gut bist, schaffst Du fünf bis fünfzehn Prozent über die Eintrittskarten einzunehmen, dann bist du schon richtig gut, also so ein Standard ist so fünf Prozent und manchmal halt eben auch unter fünf Prozent. MUSIK (Kanada II) Autor: Sommer 2013. Vor den Studioaufnahmen spielen wir zwei Konzerte. Zu dem in Toronto kommen: ein mit Paul befreundetes Ehepaar und eine Frau von der Sorte, die eigentlich lieber selbst auf der Bühne stehen möchte. Wir spielen trotzdem ein sehr schönes Konzert. Als wir danach zu dritt in einer mexikanischen Bar abhängen, ereifert sich Paul: er hat die Ignoranz der Musikerkollegen satt, die sich nicht mal durch gegenseitige Konzertbesuche unterstützen. Nie wieder ein eigenes Konzert in Toronto! Sprecher Autorenstimme Ich kann seine Wut gut verstehen. Aber Autor …erstaunlicherweise ist es in Toronto für mich ganz anders, als wenn mir das gleiche in Köln passieren würde. Vor wenig Publikum spielen Jazzmusiker immer wieder. Aber im Ausland fühlt es sich einfach viel besser an - und zu Hause klingt es gleich viel wichtiger. Das zweite Kanada- Konzert veranstaltet ein Musiker in der Kleinstadt Guelph - diesmal vor immerhin fünfzehn Besuchern, darunter ortsansässige Kollegen und Kolleginnen. An der Tür gibt es einen CD- und LP-Verkauf, der einen passenden Namen trägt: Department of Lost Records – Sprecher Autorenstimme Abteilung der verlorenen Platten . In Deutschland gilt nur der Musiker wirklich etwas, der es über die Grenzen, geschafft hat, am besten in die USA. Reisen bildet und inspiriert, aber auch der Hauch der Ferne, den ich mit nach Hause bringe, nutzt meiner Reputation. Autor innere Stimme: Warum bewirbst du dich nicht öfter um Auslandsstipendien! Versuch`s beim Goethe-Institut. Oder bemüh Dich um ein Fellowship an einer amerikanischen Universität! Kapitelzäsur (Musik) Katja Lucker Sagen wir mal so: wir lassen die Leute dahin, wo sie hin wollen - und wir haben nur dieses eine LA-Stipendium, und ansonsten bekommen unsere 14 anderen Stipendiaten pro Jahr ungefähr- sagen was sie wollen. Und da ist dann mal ein Mensch dabei, der will nach Indonesien, weil er da Gamelanmusik erforschen will und die meisten wollen in ihrer Stadt, in Berlin an etwas arbeiten. Auch zum Teil, weil sie Familie und Kinder haben und das können sie natürlich tun - wir würden niemals sagen: du musst jetzt aber irgendwo hin, sondern nimm das Geld und mach damit, was du jetzt machen musst, um deine Platte aufzunehmen, was auch immer. Sprecherin/Reflexion: 20`35 Das Musicboard Berlin vergibt jährlich 14 Arbeitsstipendien zwischen vier- und neuntausend Euro für eine Dauer von drei bis sechs Monaten. Daneben können sich Musiker und Musikerinnen um einen dreimonatigen Aufenthalt in der Künstlerresidenz Villa Aurora, dem ehemaligen Wohnsitz Lion Feuchtwangers in Los Angeles, bewerben. Einmal im Jahr können die Anträge online gestellt werden - unter Angabe von künstlerischem Lebenslauf, Projektbeschreibung und ungefährem Kostenplan. Katja Lucker Leute von mir oder auch Künstler, mit denen ich früher Sachen gemacht habe, die sind zum Teil - ein paar von denen sind nur noch in der Welt unterwegs - die haben aber keine Familie, nicht mal mehr `ne Freundin, weil das nicht funktioniert. Die sind aber über Goethe-Institut weltweit und Stiftungen, die so weltweit Dinge machen -und immer wieder Rechercheaufträge und immer wieder auch Aufträge - das ganze Jahr nur unterwegs - mit denen ich früher jeden zweiten Abend in der Kneipe saß, die sehe ich jetzt maximal einmal im Jahr, weil sie dann vielleicht auf der Durchreise sind und drei Tage in Berlin und ihre Wohnung alle untervermietet haben - dass ist wirklich ein echt schräges Phänomen -was aber auch wirklich krass ist, weil ich weiß immer nicht wie glücklich - aber dann irgendwie, klar - es gibt dieses Unterwegssein-Gen - dass man das toll findet - auf der ganzen Welt seine Produktionen zu machen - aber es hat wirklich auch was sehr: ja, man hat einfach wirklich nicht mehr so viele Freunde! Sprecher Autorenstimme Das klingt nach dem romantischen Künstlerbild des 19. Jahrhunderts: Der Außenseiter, der ein spannendes Reiseleben führen darf und dabei zur Einsamkeit des Erfolgs verdammt ist. Autor innere Stimme: Es klingt nach einer freien Wahl! Sprecher Autorenstimme Aber die Stipendien sind oft so niedrig dotiert, dass vom Geld auf Reisen nichts übrig bleibt und ich meine Wohnung in Deutschland untervermieten oder auflösen muss, um mir den Aufenthalt überhaupt leisten zu können. Mit Familie ist das undenkbar. Die Künstler und Künstlerinnen, die erfolgreich in diese Struktur reingekommen sind, müssen die Stipendien auch bis zum Rand auskosten. Lucker Bei denen, die ich kenne, würde ich das bestätigen, da frage ich mich dann, wie lange machen die das noch? Da kommen aber mittlerweile so erste Verschleißerscheinungen: eigentlich hätte ich doch gerne `ne Freundin oder `n Freund, eigentlich hätte ich vielleicht doch auch wirklich gerne ein Kind - komplett unmöglich in der Konstellation, es geht einfach irgendwie nicht - Die Frage ist: sind die dann am Ende die neuen jungen Intendanten von Häusern, werden die dann am Ende die neuen Frank Castorfs? Autor innere Stimme: Und: Es gibt doch auch Projektförderung in Deutschland! Es gibt doch so viele Stiftungen!, Such dir `n Sponsor! Dann kannst Du auch deine eigene CD finanzieren! Veröffentliche und sei erfolgreich! Sprecher Autorenstimme Die Kunstförderung verspricht Freiheit von den Zwängen der Ökonomie, damit es eben nicht heißen muss: wes Brot ich ess`, des Lied ich sing. Stiftungen geben nicht unbedingt Themen vor. Aber sie fördern eben nicht alles, was sich die Künstler gerade wünschen. Martin Posegga weiß das auch: Posegga Naja, Du bist immer irgendwie auf so `ner Gratwanderung. Es ist halt nie wirklich absolut, dass Du das machst, was du machen willst - das geht halt nicht - das wird einem dann irgendwann klar. Man muss sozusagen doppelt Kreativität aufbringen: die Kreativität überhaupt, die aus einem selbst rauskommt und dann sozusagen mit den Limitierungen, die halt durch das Musikbusiness sind umgehen zu können. Und dann hast du `ne Idee von `nem Konzept, das aber nirgendwo reinpasst. Sagen wir du hast ein Programm, das orange ist. Und jetzt hast du die zwei, drei Stiftungen, die in dem Jahr jetzt eben `n Programm fördern, was blau ist und `n anderes, was gelb ist. Und dann kannst du dein oranges Programm nicht anbringen. Du kannst versuchen, es irgendwie Gelb zu basteln, weil`s vielleicht nahe dran ist, aber Blau wirst du`s vielleicht gar nicht kriegen, deine ursprüngliche Idee kannst du dann wegschmeißen. Prof. Wagner Also es kommen immer mehr Anträge rein und die Versuche ein Projekt finanziell abzusichern, fleddern sich quasi aus - also es gibt immer mehr mögliche potenzielle Mitfinanziers. Also: private Stiftungen, Crowdfunding, Sprecher Autorenstimme Professor Hans-Joachim Wagner ist Musikreferent der Kunststiftung NRW, die seit 1990 Visuelle Kunst, Musik, Theater, Tanz und Literatur mit einem jährlichen Volumen von etwa 7,5 Millionen Euro fördert. Prof. Wagner Produktionen der Rundfunkhäuser sind ohne die Stiftung nicht mehr möglich, es gibt kaum noch eine große CD-Firma, bei der ein Künstler, eine Künstlerin nicht selbst Geld mitbringen muss - also sogar Sony verlangt von seinen Künstlerinnen und Künstlern, dass sie Geld mitbringen für die Produktion einer CD. Prof. Wandjo Ich würde es jetzt den Sonys, jetzt gar nicht vorwerfen wollen, den Universals, wenn sie auch von den Künstlern erwarten - wenn die wiederum Möglichkeiten haben - da sitzen ja jetzt keine dummen Menschen, das sind ja auch Kaufleute, gleichzeitig auch Kulturmanager - die wissen natürlich auch, dass es diese Fördermöglichkeiten gibt - Sprecherin/Reflexion: Den Plattenfirmen kann man nicht übelnehmen, dass sie versuchen, öffentliche Fördergelder abzuschöpfen – man kann es ihnen nicht mal verdenken, dass sie alles tun, um Kosten zu senken und Profit zu maximieren. Künstler müssen in den letzten Jahren aber auch zunehmend Drittmittel mitbringen, um mit den Rundfunkanstalten, den Goethe-Instituten zusammenarbeiten zu können. Mit öffentlichen Institutionen, die früher selbstverständlich Konzertveranstalter, Musikproduzenten waren. Warum macht die Kunststiftung das mit? Prof. Wagner Das ist natürlich `ne sehr schwierige Entscheidung. Also wenn ein junger Musiker eine junge Musikerin die Möglichkeit hat, auf Ostasientournee zu gehen und sich wirklich an herausragenden Orten der Region zu präsentieren, dann muss man schon abwägen, ob man sagt: Nein, oder ja - und wir ermöglichen damit einem jungen Musiker, einer junge Musikerin womöglich einen sehr wichtigen Schritt weiter in der künstlerischen Biographie - also so einfach ist die Entscheidung dann eben nicht. Oder wenn eine Musikerin, ein Musiker die Möglichkeit hat, eine Debut-CD bei Sony zu veröffentlichen, muss man sich als Kunststiftung schon fragen, wollen wir das ermöglichen oder sagen wir strikt politisch: nein, weil wir wollen diese Entwicklung nicht unterstützen. (auf Musik) Autor innere Stimme: Kannst du die Institutionen verändern? Kümmer` dich lieber um die digitale Revolution! Profitiere von den neuen Modellen im Netz, werde unabhängig! Kapitelzäsur (folgendes auf Musik) Jonas Weber Natürlich sind wir da noch am Anfang - wir haben massive Wachstumszahlen, jetzt im ersten Halbjahr sind wir 77% gewachsen, das ist enorm, so ein starkes Wachstum gab es für ein Geschäftsfeld mal, als die CD neu als Produktform gefunden wurde. Sprecher Autorenstimme Jonas Weber, Absolvent der Pop-Akademie Baden-Württemberg, leitet den neuen Geschäftsbereich Musikstreaming im Internet bei der Universal Music GmbH in Berlin. Jonas Weber Die Herausforderung, oder das, womit sich ein Label beschäftigt, ist, immer zu schauen, dass der Künstler, durch welche Kanäle das ist, für die Werke und die Musik die er schafft, vergütet wird. Das ist ja die Kernfrage. Und Streaming sehen wir ganz klar als ein ganz aktuelles Beispiel dafür, wie man eben auf einen gesellschaftlichen Wandel, sich diesen anschaut und ein passendes Geschäftsmodell darum entwickelt, das eben auch angenommen wird. Sprecherin/Reflexion Musik-Streaming per Internet - ein neuer Vertriebsweg, der Plattenläden und physische Tonträger wie CDs und Schallplatten überflüssig macht. Jonas Weber Es gibt in anderen Branchen, wenn man zum Beispiel auf die Automobilindustrie schaut, einen Trend der sich Carsharing nennt. weil: das natürlich auch ein Trend ist, der sich in unserer Gesellschaft widerspiegelt. On-demand, wenn mir die Lust nach etwas steht, etwas zu haben oder zu konsumieren, dass dann auch zu bekommen. und ich glaube dass da streaming-services sich diesem gesellschaftlichen Wandel entsprechend anpassen. Sprecherin/Reflexion Zeitlich unbegrenzte Musiknutzung, Auswahl aus Millionen von Titeln und Musikvideos, Suche nach einzelnen Stücken, oder automatisierte Berieselung für den individuellen Geschmack. Der Nutzer zahlt entweder gar nichts und akzeptiert Werbung, oder zahlt eine monatliche Flatrate. Eine Alternative zum Besitz eines Musikmediums – auch ein Download ist nicht mehr nötig. Jonas Weber Also den Paradigmenwechsel haben wir auf jeden Fall und sicherlich ist Streaming eine ausgereifte Form dessen, wie man eben den Konsumenten trotzdem zu einer gewissen Monetarisierung von Musik bewegen kann. Sprecher Autorenstimme Jonas Weber erzählt mir von spinnup. Über diese Universal-Plattform können Musiker und Musikerinnen im Internet eigene Produktionen vermarkten und sind automatisch in allen wichtigen Downloadportalen und Streamingdiensten wie Itunes, Spotify usw. präsent. Die Musiker zahlen eine jährliche Gebühr an spinnup und behalten ihre Rechte. Falls auf der Plattform ein im Netz sehr erfolgreiches Projekt auftaucht, fischen es die Scouts von Universal ab und bieten einen konventionellen Vertrag an, um es mit der geballten Marketingmacht des Konzerns in den internationalen Zielmärkten optimal vermarkten zu können. Sprecherin/Reflexion: Wenn früher eine Plattenfirma zehn Künstler unter Vertrag nahm und einer davon den Hit machte, hatten die neun anderen zumindest über Vorschüsse auch an ihrer Produktion verdient. Wenn die Musiker und Musikerinnen ihre Ideen heute komplett alleine produzieren und den Majorcompanies kostenlos im Internet anbieten - wer trägt dann wohl das Risiko? Musik Autor : Und ich frage mich, welche Veränderungen das Streaming generell für Musiker mit sich bringt. Bedeuten hohe Nutzerzahlen über längere Zeit viel Umsatz – und keine Nutzer - null Umsatz? Jonas Weber Was sich für mich wie ein sehr faires Modell anhört Autor Zumindest ist es ein sehr genaues Modell. Jonas Weber Es ist sehr liberal. Sprecherin/Reflexion: Wird in Zukunft individueller Besitz durch das kollektive Nutzen gemeinsamer Dinge abgelöst? Autor innere Stimme: Musik wird endlich wieder komplett frei sein von der Ökonomie! Sprecherin/Reflexion: Das wäre das optimistische Modell. Die Ökonomie des Teilens könnte aber auch zur Totalkommerzialisierung des Lebens führen, zu einem Konkurrenzdruck, einem Optimierungsdruck, der so tief ins individuelle Leben eingreift, dass jeder Misserfolg, jedes Nicht-Gelingen, auch nur jede vermeintliche Benachteiligung nur noch als persönliches Versagen aufgefasst werden kann. Autor: Entgrenzte Selbstversklavung! Sprecher Autorenstimme Dann wäre die Freiheit der Musik im Internet ein Vorbote der Totalkommerz-Hölle. Sind die großen Musik-Konzerne wie Universal oder Sony am Ende doch die Guten - wie Jonas Weber meint: Jonas Weber Die Herausforderung, oder das, womit sich ein Label beschäftigt, ist, immer zu schauen, dass der Künstler, durch welche Kanäle das ist, für die Werke und die Musik die er schafft, vergütet wird. Das ist ja die Kernfrage. Sprecher Autorenstimme Das klingt so, als sei Weber von der Marketingabteilung gebrieft worden. In Wirklichkeit ist es für das Label mittlerweile entscheidend, dass überhaupt noch an der Musik verdient werden kann. Sprecherin/Reflexion Zwischen 3,99 und 9,99€ im Monat liegen derzeit fast alle Abopreise der Streamingdienste… Autor innere Stimme Deezer, Spotify, Googleplaymusic, Sony Music Unlimited, Musicload nonstop Sprecherin/Reflexion Laut der New York Times plant Apple, den Streamingservice des frisch übernommen Kopfhörerherstellers Beats auf seinen Ipods und Ipads vorzuinstallieren und den Abopreis des Streamings auf 5 Dollar zu senken. Die Downloadzahlen auf Apples Musikplattform sind rückläufig, während die Streamingdienste Wachstum melden. Autor Aber der Wert meiner Musik sinkt doch, wenn ich sie einem Streamingkatalog überantworte. Möchte ich, dass meine Musik Teil eines Flatrateangebots ist? Welchen Anteil an 3,99€ für Millionen Musiktitel bekomme ich am Ende? Sprecherin/Reflexion Jetzt entstehen die neuen Monopole: wer die meiste Musik zu den günstigsten Bedingungen anbietet, zieht die meisten User, macht den größten Umsatz und wird die Erlöse für die Musiker am radikalsten senken - immer mehr Musik für immer geringere Abo-Preise. Und wenn dann die Politik noch gegen die Netzneutralität entscheidet? Wenn der, der am meisten zahlt, die schnellsten Leitungen im Internet anbieten kann? (Musik weg) Autor Vielleicht sollten wir uns die Verhältnisse der achtziger Jahre zurückwünschen, in denen Plattenfirmen zwar per se böse waren und Popmusik per se gut, aber beide wenigstens gut Geld verdient haben. MUSIK (Kanada III) Autor: Ich sitze also in Hamilton, Ontario, Kanada und nehme meine avantgardistische Geräuschmusik auf mit `nem 70jährigen Kanadier, und die Toningenieurin sagt: ich finde das alles total interessante Musik… (Gespräch Autor-Sprecher) Sprecher Autorenstimme Aber, also aber ist das - für wen machst du Musik? Dann, in dem Falle machst du doch eigentlich die Musik für dich? Autor Genau, absolut. Aber ich hab` mir jetzt gerade als du die Frage gestellt hast, überlegt, ob ich möchte, dass jemand für mich Musik macht. Will ich gar nicht. Ich will auch niemanden sehen, der für mich irgendwas macht. Sondern ich will jemanden sehen, der was macht, weil er das selber will, was dann so interessant ist, dass es mich irgendwo fesselt. Also ich hab ja nichts davon, wenn jemand mich komplett spiegelt, weil das hab ich ja alles schon. Aber es muss mich irgendwo berühren, es muss irgendwo was bringen, wo ich denke: ich verstehe aber es muss mich auch umschmeißen, dass ich denke- Sprecher Autorenstimme Naja: und was begeistert einen? Es begeistert einen, wenn jemand etwas macht, das denjenigen, der das macht, das ihn begeistert, und diese Begeisterung steckt an - also so denk ich manchmal- Autor Ja. Wenn Leute Musik brauchen, um miteinander zu tanzen und die Musik eben geil sein soll, damit sie besser tanzen: dann ist das natürlich gute Tanzmusik, so- Schluss, völlig in Ordnung, braucht`s, klar. Aber das ist nicht - dafür mach ich keine Musik, weil mich das nicht interessiert. Sprecher Autorenstimme Also ich hab gerade eben gedacht: also ich diesen Typen da singen hab hören: ... da hab ich gedacht irgendwie: wenn ich den sehen würde, wie er das macht, würde mich das glaub` ich ziemlich mitreißen. Es gibt nichts Schöneres als konzentrierte Menschen, die in voller Überzeugung mit allem was sie haben in dem Moment etwas versuchen - ob in der Musik oder im Tanz... Autor Das ist genau der Punkt. Sprecher Autorenstimme Die Frage ist nur: wie kommst Du damit- Autor Genau. Wie kommen wir damit auf den Markt? Kapitelzäsur (Musik) Prof. Wandjo Ich würde folgendes sagen: wenn Sie das jetzt machen und Sie wären Internet-affin und würden die ganzen Marktmechanismen des Internets beherrschen und die Instrumente bedienen können und die Zeit dafür haben und auch die Lust - das muss man auch, das ist sehr zeitintensiv: hier geht`s interaktiv zu und wenn sie nicht online sind und wenn sie nicht reagieren, sind sie raus, aus dem Spiel. Also Sie müssen einfach immer da sein und immer parat sein - also wenn Sie das nicht wollen, müssen Sie jemanden haben, der das für Sie macht. (KOMMENTARE AUS DEM OFF, SPRACHKLANGWOLKE… ) Alex Gunia Das Einzige, was mir einfällt… DJ Ipek nein das bringts nicht. Also je mehr Internet…. angeht/es gibt, desto mehr musst Du daran arbeiten, dass Du überall in den Seiten bist. Also mixed-cloud-resident-adviser, keine Ahnung, Soundcloud, Facebook Fanpage, Facebook normaler Page, dann gibt es ja Bandcamp, so viel andere Seiten, wohin soll ich mich überall drum kümmern, und das Alex Gunia … .. ist das alles selber machen. DJ Ipek würde soviel Zeit einfach aufessen. Jojo Berger Wenn man sich wirklich… Alex Gunia Und da muss man dann aber `ne Strategie entwickeln: was kann man selber machen? Jojo Berger nur auf eine Sache konzentrieren würde und sagen: Alex Gunia was kann man selber machen? Jojo Berger …. dass man das auch gut ohne Plattenfirma machen kann. Alex Gunia Pressen kann man noch selber, oder die Internetseite selber machen, das kann man ja alles machen aber dann... Jojo Berger Was die natürlich haben, ist `ne direkte Verbindung zu Multiplikatoren. Bei itunes kommt dann halt dann deine Werbung - Alex Gunia aber dann, wo geht man dann hin, wer hilft einem weiter, wer lässt einen spielen, wer zahlt einem Gagen? Jojo Berger und das hast du selber nicht, das kriegst du mit `nem eigenen Label nicht hin. Alex Gunia Wer lässt einen spielen, wer zahlt einem Gagen? Autor innere Stimme: Hm. Ja. Jetzt kann nur noch die Politik helfen. Ja - die Politik muss helfen, die soll es richten. Die Politik muss nach den Banken die Musik retten! Kapitelzäsur (Musik) Sprecher Autorenstimme In der ersten Hälfte der Nullerjahre war Alex Gunia fasziniert von der norwegischen Jazzszene. Er zog mit Frau und Kind nach Oslo, unterrichtete sechs Jahre an der dortigen Musikhochschule und veranstaltete eine aufsehenerregende Reihe von Improvisationskonzerten - in einem eigens dafür eingerichteten Raum mit einem automatisierten Videoschnittsystem für Internet- Livestreams. Alex Gunia Mir ist halt aufgefallen, dass die komplette Branche subventioniert ist. Da gibt es verschiedenste Töpfe, in denen du deine neuen Gitarrensaiten subventioniert bekommen kannst, du kannst dir `n neues Laptop kaufen, du kannst Proberaum-Miete - du kannst für alles Zuschüsse beantragen. Autor innere Stimme: Traumhaft Wenn ich dann Studenten hatte, 24-jährige Musikstudenten, die jetzt fertig sind: die hatten alle konkrete Karrierevorstellungen: ich mach jetzt `n Jazztrio und mach `ne Welttour, danach mach ich Platten und mein eigenes Studio-und ich hab das gar nicht verstanden am Anfang: wie, du bist Musikstudent! Du bist natürlich arbeitslos, Autor innere Stimme: Du bist natürlich erstmal arbeitslos… Du musst unterrichten, oder in `ner Galaband spielen oder großes Glück haben, `ne große Ausnahme sein, dass Du von deiner Musik leben kannst. Und das ist in Norwegen - ist es eher die Ausnahme, dass ein Musikstudent nach seinem Studium nicht sofort `ne professionelle Karriere beginnt - das ist eher die Ausnahme. Der Output der Szene ist ja auch sehr hochwertig und sehr groß - also es gibt ja wirklich sehr viele, sehr gute Musiker, viele Musiker mit `ner ganz eigenen Identität. Sprecher Autorenstimme Liegt das an der Tradition? Sind die Norweger bessere Musiker? Oder liegt das daran, dass die Szene seit Jahrzehnten aus öffentlichen Kassen so massiv unterstützt wird? Sind die Jazzklubs in Norwegen das, was in Deutschland die Opernhäuser sind? Sprecherin/Reflexion: 140 öffentlich finanzierte Theater gibt es in Deutschland – pro Kopf der Bevölkerung mehr als irgendwo anders auf der Welt.1 Der Betrieb eines Opern- und Schauspielhaus kostet eine mittlere Großstadt –zum Beispiel Bonn - mit allem Drum und Dran rund 30 Millionen Euro im Jahr. Die gesamte freie Kultur bezuschusst dieselbe Kommune mit knapp einem Zehntel dieser Summe. Dieses Subventionsverhältnis von städtischen Kultureinrichtungen zu freier Szene ist charakteristisch für die meisten Städte in Deutschland. Sprecher Autorenstimme: Das wird nicht mehr lange gut gehen, meint Hans-Joachim Wagner von der Kunststiftung NRW. Prof. Wagner Ich glaube nämlich, dass wir vor einem großen Umbruch uns befinden. Es gibt einen Anachronismus, weil die Produktionsstrukturen an den kommunalen Häusern und auch an den kommunalen Orchestern aus dem 19. Jahrhundert stammen und tatsächlich nicht mehr zeitgemäß sind und auf der anderen Seite müssen wir uns in unseren Stadtgesellschaften darüber verständigen, welche Kunst und Kultur wir haben wollen - und dieser Diskurs findet - so sehe ich das - im Moment noch nicht statt. Wenn wir ihn aber nicht führen, dann - das hört sich jetzt so kulturpessimistisch an - aber dann werden wir innerhalb von kürzester Zeit einen absoluten Niedergang unserer Kultur in den Kommunen zu verzeichnen haben. Sprecher Autorenstimme: Also: weil die Kulturzuschüsse der Kommunen in städtischen Theatern und Orchestern feststecken –und die wiederum die Mittel für ihren Eigenbetrieb brauchen – können Intendanten, selbst wenn sie wollten, kaum Projekte der freien Szene kaufen. Sprecherin Reflexion. Da aber auch die Zuschüsse für die traditionellen Häuser sinken, besteht die Gefahr, dass eines Tages nicht nur diese Institutionen, sondern mit ihnen auch die Gelder für Kultur untergehen. Prof. Wagner Also deshalb wäre, wäre mein Ideal, wenn ich jetzt mal in die Zukunft spinne: ein Produktionshaus der Künste, in dem auf sehr demokratische Art und Weise alle Künste eine Struktur vorfinden, auf deren Grundlage sie Projekte, Kunst entwickeln können, das wäre in meinen Augen vorzuhalten auf kommunaler Ebene. Wenn man das weiterdenkt, bedeutet das aber andererseits auch eine Verabschiedung der existierenden Strukturen Opernhaus und Stadttheater. Das Produktionshaus wäre jetzt kein drittes, sondern es wäre eine Synergie all dessen. Sprecher Autorenstimme: Produktionsstätten, in denen man alles machen kann - die Oper des 19. Jahrhunderts, das Konzert des 18. Jahrhunderts, das Tanztheater des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die Klanginstallation, das Jazzkonzert, die interaktiven Game-Inszenierungen. Prof. Wagner Das wäre im Grunde das Ideal. Autor innere Stimme: Und Nun? Kapitelzäsur (Musik) Sprecher Autorenstimme Die politische Forderung ist klar: Es kann keine Musik ohne Subvention geben - zumindest nicht in der Breite und Qualität, die wir gewohnt sind. Es ist vermutlich genug Geld da - es muss nur ernsthaft über Verteilung und über Produktionsbedingungen von Musik diskutiert werden. Sind wir Musiker selbst schuld, wenn wir uns bis zur Selbstaufgabe unter Tarif anbieten? Ja und Nein. Sprecherin/Reflexion: Es ist das gesellschaftliche Klima der Selbstoptimierung, das in der Musikszene Selbstausbeutung durch Selbstdisziplinierung gedeihen lässt. Solange an den Hochschulen fleißig ausgebildet wird, als gäbe es einen Markt, für den man nur gut genug sein müsse, wird sich nichts ändern. Solange die besten Musiker jeder Generation nur als Professor überleben können - und von den Hochschulen aus keine Verantwortung für das Berufsfeld ihrer Absolventen übernehmen, wird sich auch nichts ändern. Autor innere Stimme Und du? Wie verhältst du dich zur Zukunft der Musik im Internet? Sprecher Autorenstimme Wache Teilnahme - die zweite und die dritte digitale Revolution wird kommen und ihre Eigendynamik entfalten. Manche trauern der Schallplatte und dem Konzeptalbum der Progressive -Rockgruppen der 1970er Jahre nach - als wären die fünfundvierzig Minuten einer Plattenseite schon ein künstlerisches Konzept gewesen. Dabei ist es nur Technik, die kommt und geht. Autor: Und meine Musik? Soll ich sie in Zukunft als schönes Hobby betreiben und mein Geld mit anderen Dingen verdienen? Soll ich mich von der Idee des Berufskünstlers verabschieden? Das ist eh eine total anachronistische romantische Überhöhung. (MUSIK) (Kanada IV) Autor: Sommer 2014. Nach fast einem Jahr hat mir Bill übers Netz die Mixes unserer Aufnahmen vom August 2013 geschickt. Sprecher Autorenstimme Ich bin begeistert von der Vielfalt der Klänge.– Autor: Ich hatte nur sehr ungefähre Eindrücke im Ohr - - beim Hören kommen mir konkrete Erinnerungen an das Raumgefühl im Studio, an das Licht in dem warmen Sandsteinhaus, an den Klang, an die konzentrierte Atmosphäre trotz der für improvisierte Musik ungewohnten Kommunikation über Kopfhörer. Ich erinnere mich, Amy gefragt zu haben, ob das nicht komplett hoffnungslos sei … unverkäufliche Musik - die wir da machten. Sie reagierte spontan, impulsiv: Nein, überhaupt nicht! Sprecherin/Zitat Es gibt genug erwachsene Musikhörer in der Welt, die gelangweilt sind von der Industrieware, die sie jeden Tag zu hören bekommen und sich sehr freuen würden, eine so differenzierte Musik wie eure zu hören! Autor: Ich werde diese Hörer niemals selber im Internet ausfindig machen können. Aber ich bin sicher, dass es sie gibt. Dass Musik nur im Moment existiert, vergänglich ist -und dass jedes Mal aufs Neue die Chance besteht, dass sie jemanden erreicht, der sie auf ganz eigene Weise versteht. Sprecherin/Absage Wohin mit der ganzen Musik? Bericht eines selbstständigen Improvisators Sie hörten ein Feature von Matthias Mainz Es sprachen: Sigrid Burkholder, Paul Baeck und der Autor Musik: Paul Dutton, Joe Sorbara, Matthias Mainz Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion von Markus Aust und Matthias Mainz im Auftrag des Deutschlandfunks 2014 1 S. Deutscher Bühnenverein --------------- ------------------------------------------------------------ --------------- ------------------------------------------------------------ 27