COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Literatur Sendung vom 3. Dezember 2013, 19.30 Uhr Blick nach vorn im Zorn Wie deutsche Theater das Beste aus der Krise machen Von Anke Schaefer Musik A9 LS 10 33 03 Dreigroschenoper-Song: ?Nur wer den Wohlstand liebt, lebt angenehm?.... Autorin 1 Revue-Stimmung im schmucken weißen Theater-Zelt, das noch bis Ende Dezember vor dem Saarländischen Staatstheater steht. Generalintendantin Dagmar Schlingmann hat hier persönlich die Dreigroschenoper inszeniert. Brav wird in Saarbrücken Nummer für Nummer abgespielt. Musik hoch ? endet mit Text: Du gemeiner Schuft, du! ? Autorin 2 Das Saarländische Staatstheater hat eine Außer-Haus-Spielzeit hinter sich, weil die Bühnentechnik im Großen Haus erneuert wurde. Es wurde nicht nur im Zelt gespielt. Auch im ehemaligen Eisenwerk Völklinger Hütte oder in einer Halle der ehemaligen Arbeiter-Siedlung ?Alte Schmelz?. Ein Besucher-Paar steht im Zelt-Foyer, in den Händen zwei Gläser Sekt: O-Ton 1 A 11 LS 10 33 05 (Mann im Publikum) 0:30 Ich würde auch direkt noch mal da hin gehen, oder auch in andere Vorstellungen, ich fand das sehr belebend, war sehr gut. (..) (Frau) Hier im Zelt ist auch ganz gut. Atmo 2 A 12 LS 10 33 06 0:30 ATMO im Zelt Autorin 3 Das Saarländische Staatstheater hat ein treues Publikum. In einer Zeit, in der Kulturhaushalte implodieren, in der den Theatern in Deutschland bereits insgesamt rund 6.000 der 45.000 Arbeitsplätze verloren gingen, steht man im Saarland vergleichsweise gut da. Mit Oper, Schauspiel und Ballett gibt es drei Sparten und dazu auch drei gut laufende Spielstätten. Dagmar Schlingmann residiert im Großen Haus, in einem eleganten Zimmer mit Konferenztisch. O-Ton 2 E 9 LS 10 32 52 4:25 Die Struktur des Saarländischen Staatstheaters, die stimmt in sich. Wir haben in allen drei Sparten gute Bedingungen, es kann hier gut gearbeitet werden. Autorin 4 Das war nicht immer so. 2005 kündigte die damalige CDU- Landesregierung einen Sparkurs an, der so rigide war, dass er in Saarbrücken zu einer Spartenschließung geführt hätte. Dann aber lenkte die Politik ein, und die neue Generalintendantin Dagmar Schlingmann konnte ? nachdem die Sparsumme insgesamt verringert worden war ? unter einigermaßen guten Bedingungen weiter arbeiten. O-Ton 3 E6 LS 10 32 50 2:05 Es hat dann schon eine ganze Weile gedauert, um so was wie Zuversicht in so?n Haus wieder reinzubringen und das war mein Ehrgeiz, dass es hier gut weiter geht auch mit weniger Geld und einer schlankeren Struktur. Atmo 3 E 1 LS 10 32 45 Atmo in Schlingmanns Büro Autorin 5 Heute steht die Landesregierung fest hinter dem erfolgreichen Theater. Dagmar Schlingmann lehnt sich entspannt in ihrem Stuhl zurück. Im Zuge der Sparmaßnahmen war die kleinste Spielstätte zwar geschlossen worden, dafür hat sie aber in einem ehemaligen Bürogebäude eine neue kleine Studiobühne aufmachen können ? die ?sparte 4?. Geleitet wird die von ihrem Mann, dem Regisseur Christoph Diem. Der kommt jetzt zur Tür rein, setzt sich kurz mit an den großen Tisch. Auch er hat eine Erfolgsgeschichte zu erzählen: O-Ton 4 E 18 LS 10 32 62 Im Moment besteht die Hauptaufgabe des Leiters der sparte 4 darin, die enorme Nachfrage nach den Inszenierungen, die wir haben oder hatten, und die immer noch nachgefragt werden, zu bedienen. Ich krieg dauernd Anfragen. Hier noch, da noch 120 Menschen, die in diese Inszenierung sehen möchten... Wann können wir sie denn spielen? Und dann versuche ich die Lücke zu finden. Das sind richtig schöne Luxusprobleme. Autorin 6 Aktuell läuft in der sparte 4 unter anderem eine Theaterfassung des Kleinen Prinzen ? geschrieben und inszeniert von Christoph Diem. Gertrud Kohl spielt den Kleinen Prinzen. Erst liegt er bzw. liegt sie - im Krankenbett. Im Fieberwahn trifft er bzw. sie den verunglückten Piloten Saint-Exupery: Atmo 4 O-Ton aus Stück ?Kleiner Prinz? (11.9.) LS 10 3398 Es ist eine Frage von Leben und Tod. ? Bei mir zuhause gibt es eine Blume. Sie redete immer als erste. ? Ich habe mich also zum Schlafen in den Sand gelegt. Weit von jedem bewohnten Fleck. Ich bin allein?. (flirrende Töne drunter lassen) Atmo 5 a -- leise Musik aus ?Kleiner Prinz? Autorin 7 Nicht unbedingt die beste Inszenierung, die man in Saarbrücken je gesehen hat, nicht unbedingt der brisanteste Stoff. In der Anfangszeit gab es in der sparte 4 mal einen ?Stadtsalon?, in dem darüber diskutiert wurde, wie in städtebaulich die Zukunft Saarbrücken aussehen könnte. So etwas findet nicht mehr statt. O-Ton 6 E 15 LS 10 32 59 0:35 0:40 (Christoph Diem) In der sparte 4 machen wir Stoffe, die nicht fürs Theater rumliegen und versuchen sie heutig zu erzählen. (..) 1:05 Ob das jetzt das ?Schlichte Herz? von Flaubert ist, die 20.000 Meilen unter der Erde oder jetzt den Kleinen Prinzen in einer Version dezidiert für ein erwachsenes Publikum. Und da geht es eher um eine Ästhetik, als darum zu sagen, wir kümmern uns um drängende soziale oder politische Probleme. Atmo 6 E 21 LS 103263 Schritte im Treppenhaus geht über in D 11 LS 10 33 91 Atmo Straße Autorin 8 Saarbrücken ist klein und vom Theater braucht man nur ein paar Minuten zu Fuß um in die Stadtmitte, zum St. Johanner Markt, zu kommen. Das ist einer der wenigen Orte im Saarland, wo die barocken Häuser von Friedrich Joachim Stengel aus dem 18. Jahrhundert überlebt haben. Die Kritikerin Reingart Sauppe sitzt auf einer Bank im Hof des Museums für Zeitgenössische Kunst. Sie lebt gern in Saarbrücken. Aber das Theater ? wünscht sie sich anders: O-Ton 7 C 1 LS 10 33 14 0:40 Insgesamt fragt man sich manchmal, was will das Theater ? will es überhaupt etwas? Oder versteht es sich als Dienstleistungsbetrieb, das jedes Jahr einen Spielplan aufstellt, bei dem das dabei ist, was man so erwartet: Ein bisschen Klassiker, ein bisschen Moderne, wenig Zeitgenössisches, mal ein bisschen gewagt. Aber das erinnert mich manchmal an das Erstellen eines literarischen Kanons, dass man seinem Publikum eine Aufgabe gibt ? schau dir das an, und dann das und dann kommt noch mal jenes. Autorin 9 Reingart Sauppe blinzelt in die Sonne und wird noch deutlicher: O-Ton 8 4:40 Ein bisschen habe ich hier das Gefühl, dass eine Entwicklung verschlafen wird. Es gibt da an anderen Staatstheatern die Bemühungen, Themen zu setzen, auch über Themen gesellschaftliche Themen zu diskutieren, das Theater zu öffnen für die Bürger. Hier im Südwesten gucken wir nach Freiburg, wo sich das Theater bewusst öffnet und sagt: Wir müssen doch uns umhören, was geht denn da in der Welt vor sich? Es fehlt einfach die Idee, was will man hier ? was will man mit dieser Region ? was will man in dieser Region bewirken - gestalten? Musik Autorin 10 Saarbrücken ist eine Stadt mit großen sozialen Unterschieden: Manche Saarbrücker, die am westlichen Stadtrand leben, waren noch nie in der Innenstadt ? zum einen, weil ihnen das Geld für die Straßenbahnkarte fehlt, zum andern aber auch, weil ihnen die Fahrt in die Innenstadt wie eine Fahrt in die Fremde vorkäme. Saarbrücken ist außerdem an vielen Stellen eine sehr hässliche Stadt. Sie zukunftsfähig zu machen, ist eine große Aufgabe. Aber natürlich gibt es Ideen. Zum Tag des Offenen Denkmals kamen viele Bürger z.B. zu der Führung durch eine Eisenbahn-Straße, die von zwar arg runtergekommen ist, aber durch ihre Nachkriegsarchitektur besticht. O-Ton 9 LS 10 33 15 2:45 Und 100 Meter weiter ist die Studiobühne des Saarländischen Staatstheaters, die sparte 4. Und ich habe spontan gedacht, ja, das wäre die Bühne, wo dieses Thema, wie kann eine Stadt, in der alles runtergekommen ist und die sich aber trotz Geldmangels bemüht, etwas zu verändern und bürgerschaftliches Engagement zu entwickeln, wie kann das voran gehen? Stattdessen eröffnet die sparte 4 mit einer Dramatisierung des Kleinen Prinzen. Musik Autorin 11 Und wie ist das mit dem Jubiläum, das im Saarländischen Staatstheater dieses Jahr gefeiert wird? Vor 75 Jahren wurde das Große Haus im Beisein von Adolf Hitler eingeweiht. Das Saargebiet hatte sich in einer Abstimmung 1935 für den Anschluss an das Deutsche Reich entschieden - das belohnte Hitler mit dem Bau des ?Gautheaters Saarpfalz?. Erwähnt wird das in allen Grußworten des goldenen Jubiläums-Spielplanhefts. Dort wird betont, dass das Haus als Bollwerk gegen Frankreich geplant war, dass es aber heute alles andere als ein Bollwerk, sondern vernetzt sei und in verschiedenen Theaterprojekten z.B. mit Luxemburg und Frankreich zusammenarbeite. Doch ? reicht das? Atmo 7 E 26 LS 10 32 71 Atmo Kantine Autorin 12 In der Kantine, unten im Bauch des Großen, 75 Jahre alten Hauses, sitzt bei einem Pfefferminztee die Regisseurin Deborah Epstein. O-Ton 10 E 27 - LS 10 32 72 0:15 Ich war auch der Meinung, man müsste vielleicht Lohengrin machen und damit eröffnen, womit eröffnet worden ist, aber um Gottes Willen, ist es denn etwas, was man feiern soll? (..) 1:25 Ich finde es eigentlich falsch, wenn man die Saison damit bestreitet, dass jetzt Hitler da im Ersten Rang da seine Privatloge hatte. Atmo 8 E 29 Blättern im Manuskript ? Text.... Autorin 13 Deborah Epstein hat als einzige den Auftrag bekommen, im Saarländischen Staatstheater explizit etwas zum Thema ?Wurzeln des Hauses im Nationalsozialismus? zu machen. Am 2. November hatte ihre Inszenierung ?Sein oder Nichtsein? nach dem Film ?To be or not to be? von Ernst Lubitsch Premiere: O-Ton 11 E 28 E 10 32 73 Als Jüdin kann ich in Dingen ?Drittes Reich? immer herrlich politisch inkorrekt sein. Also alles auspacken, worauf ich gerade Lust habe und das ist ein herrliches Privileg. Autorin 14 Eine kritische Stimme kommt vom Kulturjournalisten Stefan Schmidt. Er wird recht deutlich, wenn man ihn fragt, wie viel Vergangenheitsbewältigung denn in Deborah Epsteins Abend steckt: O-Ton 12 Viel, viel zu wenig. Und das ist schon ärgerlich. Es erwartet nun ja niemand, dass das Staatstheater im braun-belasteten Jubiläumsjahr die geballte Betroffenheit auf die Bühne bringt, aber wenn schon ein Stück über Knallchargen und Schmierenkomödianten im Dritten Reich, dann stiert einen die Geschichte des Hauses so unglaublich an, dass man sich als Regieteam schon aktiv wegducken muss, um damit nicht irgendwie umzugehen, um sich irgendwie dazu zu verhalten. Statt dessen gerät an diesem Abend die Nazi-Vergangenheit zur Staffage. Autorin 15 Deborah Epsteins Inszenierung läuft nicht im Großen Haus, sondern in der kleineren Spielstätte, in der ?Alten Feuerwache?. Wer im Publikum sieht die Verbindung zu dem schwierigen Jubiläum? Wo sind wirklich aufrüttelnde Inszenierungen im Schauspiel? Verpasst das im Vergleich zu anderen Häusern so gut situierte Theater in Saarbrücken seine Chance, eine -kritische Stimme im kleinen Bundesland im äußersten Westen der Republik zu sein? Musik Atmo 10 D 10 LS 10 33 90 Atmo Straße Rostock / Mofa heftig fahren lassen... Autorin 17 Ganz oben im Nord-Osten der Republik ist alles ganz anders. Von der finanziellen Ausstattung und dem politischen Rückhalt, den das Saarländische Staatstheater genießt, können die Kollegen am Volkstheater Rostock nur träumen. Auch hier gibt es drei Sparten, aber ab Ende dieses Jahres nur noch eine von ehemals zwei Spielstätten in der Stadt. Seit das Volkstheater Rostock in eine GmbH umgewandelt worden ist, muss es jedes Jahr 500.000 Euro einsparen. Personalkosten lassen sich wegen der laufenden Verträge nicht so schnell senken, das große Haus mit 500 Plätzen ist gerade saniert worden - also schließt man die Nebenspielstätte, das Theater am Stadthafen. O-Ton 14 A 33 LS 10 33 80 2:00 Das TIS hat `ne Kapazität von 200 Leuten, deshalb ist es nicht besonders intelligent es zuzumachen, weil das genau die Größenordnung ist, die man auch in Rostock gut bespielen kann. Autorin 18 Cornelia Crombholz weiß wovon sie spricht. Für ein Jahr arbeitet sie in Rostock als Interims-Schauspielchefin. Zum Volkstheater Rostock passt gut eine Geschichte aus dem Volk, findet sie und inszenierte ?Till Eulenspiegel? in einer Bühnenfassung der Autorin Paula Fünfeck. In einem Theatergebäude, das mit seinen großen, orange verspiegelten Scheiben von außen so hässlich ist, dass es fast schon wieder cool wirkt. Atmo 11 A 7 LS 10 33 52 Atmo vor Theater Autorin 19 Das Publikum kennt natürlich die Diskussion um das Theater. Im nächsten Jahr kommt mit Sewan Latchinian ein neuer Intendant, insofern scheint es durchaus den politischen Willen zu geben, das Theater zu erhalten, aber - was, wenn es eines Tages doch völlig kaputt gespart wird? O-Ton 15 A 6 LS 10 33 50 1:00 Es wäre schlimm, es wäre nicht auszudenken. Wir verstehen das auch gar nicht ? immer diese Hiobsbotschaften. Sparen, sparen, sparen, aber ich denke hier ist es das verkehrte Ende. Das ist meine Meinung. A 5 LS 10 33 49 0:20 Beschämend für die Stadt, beschämend! Atmo 12 Ton aus Stück: Eulenspiegel A 10 LS 10 33 54 1:26 Anfang Musik ? leise, schräg.... Autorin 20 Unvergleichlicher DDR-Duft empfängt die Besucher im Theatersaal des Rostocker Großen Hauses: beißend, fast giftig. Die Reihen der schwarzen Sessel mit ihren altrosa Polstern sind nur spärlich besetzt. Dabei beginnt die Inszenierung vielsprechend. Ein großes, mit bedacht komponiertes Bild: Hinter einem weißen Gazevorhang und einer Portion Nebel stehen über die ganze Bühnenbreite verteilt viele dunkle Menschen mit roten Kerzen: Eine finstere Beerdigungsgesellschaft. Sie singt. Und das so gut, dass schnell klar ist: Dies ist der Rostocker Opernchor. Atmo 13 2:20 Musik.... Gesang.... 3:44 Sehet den König der Taugenichtse! (Atmo bleibt drunter) Autorin 21 In wild flackerndem Stroboskop-Licht wird Till Eulenspiegel, der König der Taugenichtse, mit einem Ruck gen Bühnenhimmel gezogen, also: gleich zu Beginn der Inszenierung gehenkt. Im Stück wird posthum über ihn erzählt. Zwei dralle, vulgär überschminkte Frauen ? die Tugend und das Glück - führen durch den Abend. Es wird viel gelogen, gefressen, gefurzt und gevögelt. Man spürt förmlich, wie die ergrauten Rostockerinnen ? es ist eine Nachmittagsvorstellung und es sind fast nur ältere Damen, die da tapfer auf ihren Abo-Plätzen sitzen - die Köpfe einziehen. Atmo 14 A 18 LS 10 33 62 Atmo Foyer O-Ton 16 A 20 LS 10 33 65 Ich habe so was trauriges noch nicht gesehen, die Schauspieler tun mir leid und die Leute, die was anderes erwartet haben. Also so eine Mischung aus Posse und Frechheit ? so viel tragischen Hintersinn (..) Es gefällt mir überhaupt nicht, ich wollte einen fröhlichen Abend haben. Aber es ist kein fröhlicher Abend. Es ist alles so ein Lachen aus Verzweiflung oder so. Atmo 15 A 18 LS 10 33 62 Atmo Foyer Autorin 22 Schade, dass Cornelia Crombholz jetzt nicht da ist. Ihre bunte, derbe, manchmal auch nervenzehrende Inszenierung funktioniert gerade auch wegen der geschickten Einbeziehung des Opernchors, des Balletts und der Liveband eigentlich ganz gut. Aber jetzt müsste sie für ihr Publikum da sein. Sie müsste mit den Zuschauern und Zuschauerinnen diskutieren. Im Büro verrät sie ? was sie sich dabei gedacht hat, ausgerechnet Till Eulenspiegel hier in Rockstock auf die Bühne zu bringen: O-Ton 17 A 27 LS 10 33 74 1:15 So ne Figur - ich finde die gut. Ich finde, dass die manchmal fehlt und gerade in so einer Stadt wie hier, wo es so viele Diskussionen gibt um die Notwendigkeit von Theater und Kunst und so weiter, da fand ich so eine Setzung gut, die, das muss man sagen, vom Haus auch als was Neues und Frisches gewünscht war. Autorin 23 Wenn Cornelia Crombholz vom ?Haus? spricht, dann meint sie den Intendanten Peter Leonard. Er wird noch bis September 2014 amtieren und ist hier in der Stadt bereits der zehnte Intendant seit der Wende. Wer ihn besuchen will, der muss die Adresse ?Volkstheater Rostock, Patriotischer Weg 33? finden. Ein leer wirkendes Haus, dessen Fassade völlig runtergekommen ist. Wagt man sich hinein, führt der Weg an einem unwirschen Portier vorbei, eine gammelige Treppe hinauf. Hier hängt der gleiche Duft in der Luft wie im Theatersaal. Schließlich gelangt man in überraschend modern renovierte Büroräume und wird vom ganz in schwarz gekleideten Peter Leonard freundlich begrüßt. Woher kommt dieser DDR-Geruch? Liegt es an den alten PVC-Belägen? Atmo 16 10.10. LS 10 33 96 Atmo im Büro O-Ton 18 D 14 LS 10 33 94 Ha! Da bin ich überfragt, ich komme aus Amerika! Autorin 24 hat die DDR selbst nicht kennen gelernt. Aber natürlich kennt er die Geschichte des Theaters. 1895 wurde es eingeweiht. Es stand in der Stadtmitte, sah der Wiener Burg ein bisschen ähnlich und hatte 1100 Plätze. 1942 fielen Bomben auf Rostock, das Theater wurde zerstört. Später baute die DDR auf dem Theater-Grundstück eine Druckerei für die Ostseezeitung. Errichtete aber in den 70ern auch eine neue Tanzhalle. In der wird bis heute Theater gespielt. Doch ? wie lange noch? Der Bau ist völlig marode, musste jüngst saniert werden. O-Ton 19 D 14 1:00 Eine Brandschutzsanierung zu vier Millionen Euro ist erfolgt, die ist aber nur genehmigungsfähig bis 2018 ? und dann muss ein neues Theater stehen. Autorin 25 Über diesen Neubau wird seit sage und schreibe 20 Jahren gestritten. Wird es ihn je geben? O-Ton 20 D 14 LS 10 33 94 1:20 Ich bin Wahloptimist. Aber es ist klar: Es muss schnell gehandelt werden. Die Bürgerschaft hat mehr als einmal beschlossen, dass es ein neues Theater geben soll. (..) 2:30 Jetzt sind alle einig ? mir egal auf dem Mond von mir aus ? aber bauen! (...) Atmo 17 D 11 LS 10 33 91 Atmo Straße D 13 LS 10 33 93 Atmo Straße / Mofa ab 0:40 Autorin 27 Zurück in Richtung Innenstadt. Wenn Intendant Peter Leonard von ?der Politik? spricht, dann meint er vor allem den Oberbürgermeister der Stadt Rostock, Roland Methling. Der wurde gerade für weitere sieben Jahre im Amt bestätigt, als Theaterfreund gilt er nicht. Als der Kulturminister des Landes Mecklenburg Vorpommern, Matthias Brodkorb, unlängst eine Fusion mit dem Theater Schwerin vorschlug, lehnte Methling das allerdings vehement ab. Wird es also das neue Theater doch geben? Antje Jonas ist Vorsitzende des Theaterfördervereins und geborene Rostockerin, wir treffen sie im Foyer eines Hotels, nicht weit entfernt von dem Ort, an dem früher das Theater stand. Atmo 18 D 4 10 33 84 Atmo Hotel-Foyer O-Ton 22 D 3 LS 10 33 83 2:50 Also vor 20 Jahren ist in der Bürgerschaft Rostock der Theaterneubau beschlossen worden und Sie sehen hier keinen Theaterneubau. Es wird gestritten um den Standort und die Größe eines zukünftigen Hauses. Und das dauert und das dauert. Vielleicht ist es auch unserer norddeutschen Mentalität geschuldet, dass hier oben alles etwas länger dauert? 4:00 Wir sind uns hier nur in wenigen Punkten in der Stadt einig. Autorin 28 Antje Jonas kann zwar über ihre Landsleute schmunzeln, aber vor allem spricht Bitterkeit aus ihr. O-Ton 23 D 8 LS 10 33 88 1:50 Rostock war zu DDR-Zeiten auch eine Stadt vieler junger Künstler. (..) Wir haben die Kunsthalle bekommen also da gab es Dinge, die Rostock haben erkennbar machen lassen und das fehlt ? (..) Was ist jetzt die Kultur der Stadt? Was ist das kulturelle Herz? ? Das Theater könnte es sein, ist es im Moment aber nicht. Atmo 19 A 23 LS 10 33 69 Monolog Eulenspiegel Aber was, wenn dein Leben am Ende nichts anderes war als ein armer kleiner Tod in Tüten? Nichts anderes als die Zeit rumgebracht. Wie soll denn dann dein Tod aussehen in Ewigkeit? Oder glaubst du etwa an die ewige Seeligkeit? Autorin 29 Diesen Monolog spricht Till Elenspiegel ganz vorne an der Rampe. Er setzt sich hin und fragt das Rostocker Publikum ? habt ihr heute schon gelebt? Regisseurin Cornelia Crombholz, die sozusagen mit dem Blick der Durchreisenden auf Rostock schaut und kann sich darum eine ketzerische Idee leisten: O-Ton 24 A 29 LS 10 33 76 9:15 Vielleicht sollte man mal eine Testschließung machen, um dann zu sehen, wer sein Theater noch haben will! A 32 LS 103379 ...es gibt viel Miesmacherei in der Stadt und mir ist es unverständlich warum man nicht einfach sagt ? Leute hier habt ihr das Geld, warum nicht 500.000 mehr, ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Stadt so arm ist. Macht doch einfach mal, wir sind dabei, wir freuen uns auf Euch! Statt dessen wird immer nur gemeckert und mies gemacht, ich kann das nicht nachvollziehen. Musik Autorin 30 Rostock steckt in einer Identitätskrise, und vielleicht ist der Streit um das Theater Ausdruck genau dieser tiefer gehenden Verunsicherung. Eigentlich eine interessante Situation, denn Theater hat die Kraft, aufzurütteln und aufzuwecken. Und eine Inszenierung wie die des ?Till Eulenspiegel? hätte auch das Zeug dazu - das Publikum müsste nur besser begleitet werden und in den kreativen Prozess eingebunden werden. In Dortmund macht man das vor. Atmo 20 Goldenes Zeitalter / Dortmund A 24 0:30 Das Goldene Zeitalter liegt nicht hinter uns, sondern vor uns. Wie sind nicht aus dem Paradiese vertrieben mit einem flammenden Schwerte, sondern wir müssen es uns erobern durch unsere flammenden Herzen. Die Frucht der Erkenntnis bringt uns nicht den Tod, sondern das ewige Leben. (Heine Zitat!) A 24 1:00 (Voges aus dem Hintergrund) Bitte noch mal.... Autorin 31 Die Inszenierung ?Das Goldene Zeitalter?. Im Schauspielhaus Dortmund. Schauspielchef Kay Voges sitzt als Autor und Regisseur eine Reihe hinter uns. Dann und wann nutzt er ein kleines Mikrofon, um während der Aufführung Anweisungen zu geben. Das Heinrich-Heine-Zitat, gesprochen von Schauspieler Carlos Lobo, hätte er gern anders.. O-Ton 25 A 25 0:15 Carlos, kannst du noch mal an die Rampe kommen und es da noch mal bitte sprechen? (Atmo weiter laufen lassen) Atmo 21 A 25 0:35 Alle irdischen Dinge reifen einer schönen Vervollkommenheit entgegen. (Atmo weiter...) Atmo 22 A 26 0:15 Alle irdischen Dinge reifen einer schönen Vervollkommenheit entgegen. Alle großen Helden und Heldenzeiten sind nur ..(unverständlich) des Menschengeschlechts... und .. (geht über in manisches Geschrei....) A 26 1:26 Zwischenapplaus.... (Atmo drunter lassen...) Autorin 34 Es ist irritierend, es ist seltsam und die ersten Zuschauer verlassen bereits den Saal ? aber eines ist sicher: Wir erleben hier etwas besonderes, im Dortmunder Schauspielhaus. Ein Stück über die Wiederholung. Kay Voges und der Dramaturg Alexander Kerlin habe es sich zusammen ausgedacht. Acht Stunden Material haben sie kreiert und mit den Schauspielern geprobt. Daraus wird dann jeweils ein etwa dreistündiger Abend improvisiert. Immer wieder neu. Atmo 22A Büro Voges / mit/ohne Martinshorn (kann später wiederholt werden) O-Ton 26 A 17 16:10 Ich habe Schwierigkeiten mit der Wiederholung, ich habe Angst vor der Wiederholung und der Langeweile und deswegen sage ich: Da muss doch was raus, ich muss doch die Angst suchen! Wie Goethe gesagt hat: Tue einmal täglich etwas, wovor du Angst hast, nur so kommst du weiter. So hab ich ein bisschen diese Adrenalin-Sucht, um mich dieser Angst zu stellen. Wo sind denn die Dinge, die weh tun könnten, die Angst machen, um da einen Schritt weiter zu kommen. Autorin 35 Zwei Stunden zuvor. Kay Voges sitzt vor der Vorstellung in einem tiefen Sessel an einem niedrigen Tisch in seinem spartanisch eingerichteten Büro. Goethe guckt ihm über die Schulter ?eine große weiße Büste steht auf dem Schreibtisch. Voges platziert die Zigarettenschachtel in Griffweite, blinzelt - und was er über die Angst sagt, das meint er auch so. Er ist nervös - vor jeder neuen Aufführung des ?Goldenen Zeitalters?. O-Ton 27 A 17 - 17:00 Ich glaube wenn wir anfangen Theater zu machen, was gefällig sein möchte, dann verlieren wir unsere Notwendigkeit in der Stadt ? es geht nicht ums Gefallen, sondern es geht darum ein Erlebnis zu kreieren und Grenzen zu erweitern und zu sprengen. Autorin 36 Das ist mutig. Dortmund ist ein Fünf-Sparten-Haus. Der Etat des Schauspiels liegt bei nur 1,4 Millionen Euro im Jahr. Davon werden zu allererst die Personalkosten bezahlt, unter anderem die Gehälter der 16 Ensemble-Schauspieler. Nur 450.000 Euro bleiben frei verfügbar, etwa für Einladungen an Regisseure oder Gast-Bühnenbildner . Atmo 23 A 19 103442 Atmo Foyer mit leiser Musik (schon eher drunter ziehen) O-Ton 29 A 20 LS 103443 Ja, meine Damen und Herren - herzlich willkommen im Schauspielhaus Dortmund! Ich begrüße Sie sehr herzlich zur Veranstaltung ?Das Goldene Zeitalter? ? so `ne halbe Stunde vor der vierten Vorstellung, der ?vierte Versuch?, wie wir das nennen. Mein Herz klopft immer (..) Wir wissen nicht genau, wie es heute wird. Wir wissen nicht genau, was heute passiert und auch nicht, wie lange es wird... Atmo 24 Geht über in Atmo: A 23 LS 10 34 46 0:15 Feines Klirren, schwebende Töne... drunter lassen.... Autorin 37 Dramaturg Alexander Kerlin begrüßt sein Publikum im Foyer betont leger, in dünnem T-Shirt und Jeans. Er ist sympathisch, ein Theatermann zum Anfassen, sehr präsent. Vor jeder Vorstellung des ?Goldenen Zeitalters? gibt er eine kleine Einführung. Er möchte, dass die Leute die vollen drei Stunden durchhalten. Viele Theaterbesucher, warnt Alexander Kerlin in seiner Einführung, würden gehen. Aber - O-Ton 30 A 20 1:05 ...aber die, die bleiben sagen ? warum sind diese Idioten schon eher gegangen ? es wurde doch noch so schön! Autorin 40 Und es stimmt. Als an diesem Abend der Schlussapplaus verklungen ist, sagt eine Zuschauerin mit dem Namen Gerlinde, die sich überraschender Weise zwischenzeitlich selbst auf der Bühne wieder fand: O-Ton 31 A 37 LS 10 34 62 Ich bin noch ganz benommen, wir waren immer kurz davor, raus zu gehen und jetzt finde ich es richtig gut, dass wir geblieben sind. Autorin 42 Der Theaterkritiker Stefan Keim hat die vier Spielzeiten, die Kay Voges in Dortmund bisher als Schauspielchef verantwortet hat, genau beobachtet. Früher fuhr man im Ruhrgebiet für gutes Theater nach Bochum. Jetzt ist das Dortmunder Schauspielhaus in den Fokus gerückt. O-Ton 32 B 2 LS 10 34 68 1:55 Ich halte es für das lebendigste Theater des Ruhrgebiets, wenn nicht sogar Nordrheinwestfalens.... O-Ton 33 (Keim) Allerdings muss man natürlich auch hier sagen, es ist für ein bestimmtes Publikum. (..) Wenn man eine Geschichte von Anfang bis Ende erzählt bekommen will ? dann ist man meistens im Dortmunder Schauspiel jetzt nicht gut aufgehoben. Atmo 28 LS 103475 Atmo ? Schritte auf Holz (schon unter O-Ton Keim ziehen) Autorin 43 Auch in ?Das phantastische Leben der Margot Maria Rakete? wird keine Geschichte von Anfang bis Ende erzählt. Dieses Stück hat Dramaturg Alexander Kerlin aus den Biografien des so genannten ?Dortmunder Sprechchors? destilliert. Atmo 29 LS 103475 1:03 (Chor) Ich habe 79 Herzen und 79 Nasen. Ich habe 789 Zehennägel. Ein Zeh ist ab. Kann passieren. Autorin 45 100 Mitglieder hat der Sprechchor, - Bürger, die teilweise zuvor nur selten im Theater waren, auf einer Bühne standen die meisten zuvor noch nie. Die Proben waren entsprechend hart, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Dortmunder Sprechchor wirkt in die Stadt hinein. Gleichzeitig bringt er Zuschauer ins Theater. Chormitglied Peter Jacob hat z.B. schon viele Stammtisch-Freunde mit Karten versorgt. O-Ton 35 A 5 LS 1034 28 0:20 Weil viele die mich kennen, fragen ? was machst du? Theater? Super! (...) Man muss das auch ein bisschen puschen ? jetzt gerade habe ich für meinen Stammtisch 16 Karten besorgt ? 24. November gemeinsames Auftreten! (lacht) Damit will ich weitermachen. Musik Autorin 48 Drei Städte, drei Theater in Deutschland, eher am Rand des Betriebs. Und drei ganz unterschiedliche Wege, mit Sparzwang und politischem Druck umzugehen. In Dortmund konfrontiert das Theater sein Publikum - fast liebevoll mit dem Neuen und hat damit Erfolg. In Rostock wagt es eine Schauspielchefin ihr Publikum und ihre Stadt aufzurütteln aus einer lang schon anhaltenden Lethargie. Bislang zwar mit ungewissem Ausgang, aber immerhin. Nur in Saarbrücken ist es vor allem ? gemütlich. Dabei hatte sogar die dortige Generalintendantin Dagmar Schlingmann selbst angemerkt: O-Ton 39 E 10 LS 10 32 54 1:35 Ein volles Theater ist ja kein Markenzeichen. 1:45 Das spricht ja nicht für die Qualität des Hauses, wenn es voll ist. Autorin 49 Das deutsche Kulturland kommt in Bewegung, allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Es ist schon merkwürdig, dass eine Forderung, wie die Saarbrücker Theaterkritikerin Reingart Sauppe sie er erhebt, für die kreativen Köpfe an einem Stadttheater nicht schlicht selbstverständlich ist. O-Ton 40 C 2 LS 10 33 15 4:50 Mein Aufruf wäre einfach - geht auch mal raus aus dem Theater. Öffnet euch, öffnet euch für die Themen, die in dieser Stadt sind. 2