COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 12. Januar 2009, 19.30 Uhr "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig" Das Genossenschaftswesen in Deutschland Von Stefan Schmid Musik Miraphone Bayerischer Defiliermarsch, darüber Take Argstatter Die Genossenschaft ist von 54 Bauern gegründet worden, also wir sind von Anfang an dabei. Take Lind IUnser zentraler Vorteil liegt einmal im Genossenschaftsgedanken, dass wir nicht von Aktionären, Shareholder-Value-Gedanken getrieben sind. Take Meissner Grundsätzlich ist es so, dass die Genossenschaft für Kleingewerbetreibende die Rechtsform ist, wo das einzelne Mitglied am meisten Mitspracherecht hat. Take Martens Letztendlich können wir als Historikergenossenschaft eben sagen, wir haben für die unterschiedlichen Bereiche auch unsere Experten, das kommt bei den Auftraggebern doch sehr gut an. Musik Miraphone Bayerischer Defiliermarsch, darüber Spr. vom Dienst "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig" Das Genossenschaftswesen in Deutschland Von Stefan Schmid Musik Miraphone Bayerischer Defiliermarsch, darüber Sprecher Geldinstitute und ihre Kunden haben derzeit wenig Grund zur Freude. Während viele Privatbanken und Landesbanken stark unter der Finanzkrise leiden, erweisen sich jedoch die Genossenschaftsbanken bislang als recht stabile Säule des Bankensystems. Genossenschaften sind in auch in anderen Branchen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, 8000 gibt es insgesamt in Deutschland, mit 20 Millionen Mitgliedern. Sogar die eben gehörte Musik ist sozusagen genossenschaftlich, das "Miraphone Tuba Quartett" spielt nämlich auf Instrumenten der Musikinstrumenten- Erzeugergenossenschaft Miraphone. Holger Martens von der Arbeitsstelle für Genossenschaftsgeschichte der Universität Hamburg: Take Martens Genossenschaften werden in der Regel von Menschen gegründet, die sich in gleichen oder ähnlichen Problemlagen befinden und gemeinsam nach Lösungen suchen. Der Genossenschaftsgedanke setzt dabei auf Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Und der Zweck einer Genossenschaft ist darauf gerichtet, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern. Sprecher Genossenschaften sollen also nicht mit hohen Gewinnen oder fetten Dividenden glänzen, sondern den Mitgliedern nachhaltig geldwerte und andere Vorteile bieten. Helmut Lind, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG, wobei das "eG" für "eingetragene Genossenschaft" steht: Take Lind Jeder, der ein Girokonto hat und Mitglied wird, bekommt automatisch die komplette Gebührenfreiheit. Und zwar ohne Haken und Ösen, das heißt nicht erst, wenn er 1000 oder 2000 Euro Einkommen hat. Oder wenn er so und so viel Guthaben auf dem Girokonto hat. Er bekommt die, egal welches Einkommen er hat. Sprecher Wer in den Genuss dieses geldwerten Vorteils kommen will, muss aber zuvor 52 Euro aus der Hand geben und einen Genossenschaftsanteil erwerben. Dieses Geld ist aber gut angelegt, die Genossenschaft schüttet jedes Jahr 5,5 Prozent Dividende aus. Das Angebot ist offenbar attraktiv: Take Lind Die Sparda-Bank München hat aktuell um die 4,9 Milliarden Euro Bilanzsumme, es ist die größte Genossenschaftsbank in Bayern, wir haben 212.000 Mitglieder, wir sind mit 42 Geschäftsstellen in ganz Oberbayern verteilt, und die Sparda-Bank München ist seit 16 Jahren die Nummer Eins in der Kundenzufriedenheit. Sprecher Die unabhängige "ServiceBarometer AG" ermittelt nämlich seit 1992 jedes Jahr durch eine repräsentative Umfrage die Kundenzufriedenheit bei privaten Verbrauchern. Und die Sparda-Banken sind klarer Spitzenreiter in der Branche Banken und Sparkassen. Helmut Lind: Take Lind Unser zentraler Vorteil liegt einmal im Genossenschaftsgedanken, dass wir nicht von Aktionären, Shareholder-Value-Gedanken getrieben sind. Das heißt wir sind nicht gezwungen, zum Quartal den und den Wertzuwachs, den und den Gewinn zu realisieren, sondern wir haben eine nachhaltige Geschäftspolitik, die auf mehrere Jahre ausgerichtet ist, und nicht auf eine vierteljährliche Gewinnsteigerung. Das Zweite ist, dass unser Geschäftsmodell klar fokussiert ist, auf den privaten Kunden, mit privat meine ich nicht den gehobenen Kunden, sondern den Otto Normalverbraucher, und dass wir über die Fokussierung auf diese Kunden dann auch keine Geschäftskredite vergeben, und damit auch keine Risiken in diesen Maßen drin haben, und wir dass, was wir an Risiken weniger drin haben, indirekt natürlich wieder über günstigere Konditionen direkt an den Kunden zurückgeben können. Sprecher Allerdings ist die Sparda- Bank München nicht bei allen Konditionen Spitze. Bei den Zinsen für Tagesgeld, die Direktbanken gerne als Lockvogel nutzen, liegt sie nur im Mittelfeld. Doch in der Finanzmarktkrise ist Sicherheit plötzlich wieder ein Trumpf: Take Lind Interessant ist, dass das, was wir vor wenigen Monaten unseren Kunden zum Teil gesagt haben, dass nicht jeder Zins, der einen hohen Zins ausdrückt, der seligmachende ist, sondern dass sie einfach schauen sollen, bei welcher Bank sie das anlegen und auch gucken sollen, inwieweit Rahmenbedingungen da sind, dass das Geld auch sicher ist. Wir haben auch Kunden, die von uns Geld zur Kaupthing-Bank überwiesen haben. Wir haben auch Kunden, die heute bei uns sind und sagen: können Sie mir helfen, wie krieg ich das Geld zurück? Wir haben auch viele Kunden, die in der Vergangenheit gesagt haben: Also das Viertelprozent, das hätte ich gerne noch, und ich geh mit der Einlage doch woanders hin. Und das sind aber die Kunden, die momentan auch wieder zurückkommen. Die jetzt sagen: Zins ist zwar wichtig, aber Zins ist nicht alles. Und ich weiß, dass ich bei der Sparda-Bank gut aufgehoben bin. So dass wir allein in den letzten Wochen 100 Millionen Rückfluss haben, von anderen Banken, insbesondere auch von Direktbanken. Musik Miraphone Greensleeves, darüber Take Martens Die Ursprünge kommen aus England. Hier gab es schon zu Beginn des 19.Jahrhunderts zahlreiche Landlose und auch die ersten Fabrikarbeiter. Und hier wurden die ersten Konsumgenossenschaften gegründet. Und zwar deshalb, weil diese Menschen ihre Lebensmittel von Händlern beziehen mussten, die häufig nicht davor zurückschreckten, verdorbene, verfälschte, gestreckte, gepanschte oder überteuerte Ware anzubieten. Und hier taten sich Menschen zusammen, um gemeinsam den Einkauf von Lebensmitteln zu organisieren. Aus diesen ersten Anfängen gingen dann die "Rochdale Pioneers" hervor, die 1844 eine Genossenschaft gründeten. Sie gelten als Begründer des modernen Genossenschaftswesens, und ihre Prinzipien gelten bis heute. Sprecher Genossenschaftshistoriker Holger Martens. Das Motto der "Hilfe zur Selbsthilfe" fiel auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Musik(leise) Miraphone Preussens Gloria, darüber Zitator Verbunden werden auch die Schwachen mächtig Sprecher ...formulierte Friedrich Schiller anno 1804 im Wilhelm Tell. Zitator Mehrere kleine Kräfte vereint bilden eine große Kraft, und was man nicht allein durchsetzen kann, dazu soll man sich mit anderen verbinden. Sprecher ...schrieb Hermann Schulze-Delitzsch anno 1858. Der Sohn des Bürgermeisters Schulze aus dem sächsischen Delitzsch war Pionier der Genossenschaftsidee in den Städten. Nach der Einführung der Gewerbefreiheit gerieten viele Handwerker und Kleinbetriebe in Not. Sie bekamen nur sündhaft teuren Kredit bei Wucherern, viele steckten bald tief im Schuldensumpf. Schulze erkannte, dass dieser Teufelskreis nur durch Selbsthilfe nach dem Genossenschaftsprinzip zu durchbrechen war: Zitator Die Genossen gründen ein Unternehmen, um wirtschaftliche Vorteile zu erhalten, ohne die eigene selbständige Existenz auszugeben. Sie sind gleichzeitig Eigentümer und Kunden der Genossenschaft, die nach demokratischen Prinzipien geleitet wird: jeder Genosse hat nur eine Stimme. Sprecher Auf dem Land war Friedrich Wilhelm Raiffeisen der herausragende Vorreiter der Genossenschaftsbewegung. Nach dem Motto: Zitator An Predigern ist kein Mangel, nur an Handelnden fehlt es. Sprecher ... gründete er im Hungerwinter 1846/47 in Weyersbusch im Westerwald den ... Zitator Verein für Selbstbeschaffung von Brod und Früchten. Sprecher ...erkannte aber ebenfalls, dass der Mangel an fairen Krediten die Hauptursache des Elends war: Zitator Denn es müssen zunächst die zu einem intensiven Wirtschaftsbetriebe erforderlichen Geldmittel herbeigeschafft werden. Sprecher Aus all diesen Wurzeln entstanden im Lauf der Jahre die vielen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Der Vorstandsvorsitzende der Münchener Sparda-Bank, Helmut Lind: Take Lind Die Sparda-Bank München wurde im Jahr 1930 gegründet, und wie viele Genossenschaften ist es auch in der Bankgenossenschaft so gewesen, dass es aus der Not heraus, es war in der Phase der Weltwirtschaftskrise, sich einzelne Eisenbahner zusammengeschlossen haben, um hier Hilfe zur Selbsthilfe und für soziale Zwecke eine Bank zu gründen, die nicht das Ziel verfolgt der Gewinnmaximierung, sondern die Förderung der Mitglieder. Sprecher Die Sparda-Banken gehören aber - wie die Volks- und Raiffeisenbanken - zum großen genossenschaftlichen Finanzverbund. Nur so kommen die Mitglieder in den Genuss einer breiten Produktpalette, vom Bausparvertrag über die Lebensversicherung bis zum Investmentfonds. Der genossenschaftliche Finanzverbund besteht aus den zwei Zentralbanken DG-Bank und WGZ-Bank, der Bausparkasse Schwäbisch Hall sowie der Versicherung R+V. Und aus der Fondsgesellschaft Union Investment. Daniel Günnewick leitet dort die Abteilung Produktmanagement: Take Günnewick Union Investment wurde 1956 von 16 Privat- und Genossenschaftsbanken gegründet. Und die Idee dahinter war, im Jahr des Wirtschaftswunders, Privatanlegern die Chance zu geben, dass sie auch mit Kleinstbeträgen ab 50 D-Mark an der Vermögensbildung teilnehmen können. Sprecher Die privaten Banken sind mittlerweile ausgestiegen. Die Frankfurter Fondsgesellschaft entwickelte sich trotzdem zu einem der größten deutschen Vermögensverwalter. Sie kümmert sich um 150 Milliarden Euro, die 4,6 Millionen Kunden gehören. Union Investment verwaltet dieses Geld aber nur, die Aktien und Rentenwerte in den Fonds sind sogenanntes Sondervermögen, also Eigentum der Sparer. Verkaufsschlager ist eine Rente für Riestersparer: Take Günnewick Im Privatkundengeschäft haben wir eine Exklusivität und einen engen Schulterschluss mit den Genossenschaftsbanken, wir bieten über die Volks- und Raiffeisenbanken und die Sparda- Banken eine breite Palette von Fondsprodukten bis hin zu Riester- Produkten, oder auch in der betrieblichen Altersvorsorge. Und das Beispiel der Uni- Profirente zeigt ja, dass wir in dieser Zusammenarbeit sehr erfolgreich sind. Wir haben allein 1,7 Millionen Kunden in diesem Riestergeschäft und sind damit als Union Investment größter Anbieter in Deutschland und Marktführer. Sprecher Was wohl auch daran liegt, dass die Stiftung Warentest die Riesterrente aus dem Genossenschaftslager besonders gut benotet hat. Musik Miraphone Einzug der Gladiatoren, darüber Atmo: Kuh macht Muh (Atmo bitte aus dem Archiv!) Take Pointner Auch Untersuchungen der Stiftung Warentest, wo wir Testsieger geworden sind bei Bergbauernbutter, diese Dinge werden von den Verbrauchern schon gesehen, und wir merken es am Absatz natürlich sofort am nächsten Tag. Sprecher ... berichtet Helmut Pointner. Er ist seit 27 Jahren hauptamtlicher Direktor einer erfolgreichen Molkereigenossenschaft im südöstlichen Zipfel Bayerns: Take Pointner Unsere Molkerei, die Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG, wurde im Jahre 1927 gegründet, und zwar als landwirtschaftliche Verwertungsgenossenschaft. Dass heißt, die Eigentümer und Träger dieser Molkerei sind die Milchlieferanten, also die Bauern. Wir haben aktuell 1850 Milchlieferanten, davon sind cirka 800 Betriebe Bergbauernbetriebe und cirka 250 Betriebe sind Biomilchbetriebe. Sprecher Die übrigen Bauern liefern normale Milch aus dem Voralpenland. Die Molkerei liegt verkehrsgünstig direkt an der Salzburger Autobahn, in Piding. Auf dem Betriebsgelände stehen mehrere modernen Verwaltungsgebäude und Werkshallen, die nur durch Schmutzschleusen zugänglich sind. Dort wird die Milch in blitzsauberen Maschinen aus glänzendem Edelstahl verfüllt, veredelt und verpackt. Produktionsleiter Bernhard Staller: Take Staller mit Atmo Wir sind hier bei der Frischmilchabfüllung, ..., wir falten diese Zuschnitte auf, fahren sie auf ein Dornenrad, versiegeln den Boden, geht dann weiter ...dann wird oben wieder die Packung verschlossen und läuft auf dem Förderband weiter Richtung Packmaschinen. Eventuell über Betriebsatmo Take Pointner Wir haben uns festgelegt auf Produkte der weißen Linie, das ist der Bereich Konsummilch, sowohl frische Milch als auch haltbare Milch, das ist der Bereich Butter und Buttermilch, Schlagrahm, Trinkjoghurt, Fruchtjoghurt, Naturjoghurt und so weiter. Take Staller mit Atmo Hier wird Quark abgefüllt ...was man da hört sind die Luftzylinder, die den Karton schnappen und nach oben befördern. Atmo Schnappen Eventuell über Betriebsatmo Take Pointner Wir sind seit einigen Jahren absoluter Marktführer bei der Frischmilch in Bayern, und diese Entwicklung kommt auch den Mitgliedern, den Landwirten zu Gute, denn wir sind durch diese positive Entwicklung in der Lage, ihnen einen weit überdurchschnittlichen Milchpreis zu bezahlen. Der Milchpreis, den wir zahlen, lag in den ersten 12 Monaten an erster Stelle in Deutschland mit einem weiten Abstand zu den anderen Molkereien, lag in den letzten fünf Jahren unter den ersten fünf Molkereien in Deutschland. Sprecher Solche Erfolge kommen natürlich gut an bei den Landwirten, auch bei Andreas Argstatter. 40 Rinder stehen in seinem Stall, sogenanntes Fleckvieh. Die Rasse liefert neben guter Milch auch gutes Fleisch. Nebenbei leitet er den Vorstand der Genossenschaft: Take Argstatter Für die meisten Mitglieder ist natürlich der Milchpreis das Entscheidende, vom Milchpreis lebt er ja schließlich. Aber natürlich ist für viele ein Thema, in welche Richtung soll man gehen mit Investitionen, investiert man zu viel, investiert man zu wenig, das sind so die Hauptpunkte, um die es das ganze Jahr geht. Sprecher Andreas Argstatter gehört nicht zu den Bergbauern, sondern zu den Flachlandtirolern unter den Genossen. Denn sein Hof liegt kurz vor der eindrucksvollen Bergkulisse bei Bad Reichenhall. Dort produziert er jeden Tag bis zu 900 Liter Milch: Take Argstatter Wir melken noch im Melkstand, ich hab mal nachgedacht über ein automatisches Melksystem, Computer, Roboter, aber meine Frau sagt, da bist Du zu wenig Techniker, lass die Finger weg, ich weiß nicht, ob meine Frau recht hat. Sprecher Die Aufteilung in drei Milchsorten kompliziert zwar die Verarbeitung in der Molkerei etwas. Aber diese Mischung hat auch Vorteile: Take Argstatter Durch das können wir unsere Maschinen gut auslasten, weil wir so viel Milch haben. Wenn wir nur Biomilch hätten, könnten wir das nicht. Das erkennen die Bauern schon, dass jeder von jedem ein bisschen lebt. Sprecher Die Mitglieder begnügen sich auch mit einem Milchpreis, der noch genügend Geld für Investitionen in die Molkerei übrig lässt. Andreas Argstatter: Take Argstatter Das ist aber auch zurückzuführen auf das, dass wir neben den Investitionen in der Lage sind, einen sehr guten Milchpreis zu zahlen...Denn ein Bauer, der denkt bei sich und in der Molkerei auf lange Sicht, der weiß, wenn wir nicht mehr investieren, werden wir auf Dauer nicht bestehen. Musik Miraphone Bayerischer Defiliermarsch, darüber Sprecher Agrargenossenschaften und Kreditgenossenschaften können also in der modernen Marktwirtschaft durchaus mithalten mit gewinnorientierten Unternehmen in Form einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH. Das gilt freilich nicht auf allen Geschäftsfeldern. So führen Konsumgenossenschaften nur noch ein Mauerblümchen-Dasein in der Wirtschaftslandschaft. Das hat aber zum Teil historische Ursachen - Holger Martens von der Universität Hamburg: Take Martens Da muss man noch mal in die NS-Zeit zurückgehen. Die Konsumgenossenschaften, da sie überwiegend der Arbeiterschicht zugetan waren, sahen die Nazis hier besondere Feinde in den Konsumgenossenschaften, auf der anderen Seite sind gerade die kleinen Einzelhändler von den Nationalsozialisten radikalisiert worden, oder die haben sich bei den Nazis engagiert. Das hat so weit geführt, dass die Nationalsozialisten Gesetze verabschiedet haben, die zum Nachteil der Konsumgenossenschaften waren, das war also nach dem Krieg ein schwieriger Prozess, die Konsumgenossenschaften wieder herzustellen, und es sind auch nicht alle Nazigesetze rückgängig gemacht worden, was sicherlich auch den Konsumgenossenschaften zu schaffen gemacht hat. Aber letztlich sind die Konsumgenossenschaften dann in den 60er und 70er-Jahren zunehmend in die Defensive geraten, weil es andere große Lebensmittelanbieter gegeben hat, und sie sind dem Konkurrenzkampf zum Opfer gefallen. Sprecher Gute Karten haben dagegen nach wie vor Genossenschaften, die Freiberuflern und Gewerbetreibenden Vorteile im Konkurrenzkampf verschaffen: Take Taxizentrale Atmo 2101, 16 Uhr ... Schottsysteme Herr A. ... ADAC, Frau W. Meissner Wir sind hier an der Vermittlungsstelle, an der die Aufträge, die von den Kunden eingehen oder als Vorbestellung bei uns gespeichert sind, an die Fahrer vermittelt werden. Was sie hier sehen an den Bildschirmen, das ist der Vermittlungsbildschirm, da stehen die Aufträge drauf, dann auf der linken Seite haben sie einen Bildschirm, auf dem die Kennungen erschienen, also eindeutige Zuordnung des jeweiligen Fahrzeugs, und zur Orientierung des Funk- Disponenten oder der Funk-Disponentin noch eine Anzeige der geographischen Darstellung der jeweiligen Adresse, die gerade zur Vermittlung ansteht. Sprecher Die Funkvermittlung von Taxis wird in München von einer Genossenschaft betrieben. Hans Meissner leitet die Taxi-München eG seit vielen Jahren: Take Meissner Der tiefere Grund für das Leben der Genossenschaft war die Einrichtung eines Telefonrufsystems, das über die ganze Stadt verstreut war. Diese Entwicklung gab es in jeder deutschen Stadt in den Jahren zwischen 1923 und 1930. In München ist es so, dass wir 240 Telefonanschlüsse an den Standplätzen haben, die Kunden rufen direkt dort an, der erste Fahrer nimmt das Telefongespräch ab, unterhält sich direkt mit dem Kunden, und holt den dann eben zu Hause ab. Sprecher Dieses Rufsäulensystem ist ein Grund dafür, dass die Münchner Taxigenossenschaft ihre Dienste relativ günstig anbietet, 80 Euro im Monat müssen die Mitglieder nur bezahlen: Take Meissner Im Zug der Zeit wurde Ende der 50er-Jahre die Auftragsvermittlung über Funk eingeführt, und da machten sehr viele Genossenschaften den Fehler und demontierten ihre Rufsäulen. So dass alles über Funk vermittelt wurde, was sich dann bei steigenden Lohnkosten in den 70er und 80er-Jahren als sehr kostenintensiv erwies. So dass wir durch die Mischform - Direkt-Rufsystem und Funk - unschlagbar günstige Umlagen für unsere Mitglieder haben, und das ist der Garant dafür, dass wir in München eine Mitgliederzentrale haben, eine Genossenschaft, die durch die Vielzahl der Mitglieder sehr kostengünstig arbeitet. Sprecher Wer die Dienste der Münchner Taxigenossenschaft nutzen will, muss aber eine Aufnahmegebühr entrichten. Hans Meissner: Take Meissner Mitglied kann bei uns in München jeder werden, der im Besitz einer Taxikonzession im Bereich der Landeshauptstadt München ist. Der hat ein Eintrittsgeld zu bezahlen, derzeit 2000 Euro, das ist verloren, denn der partizipiert ja sofort an unseren Einrichtungen und unserem stillen Vermögen, und darüber hinaus einen Geschäftsanteil zu zeichnen, von 1000 Euro, den bekommt das Mitglied zurück, wenn er ausscheidet. Sprecher Mancher Taxifahrer ist freilich nicht zufrieden mit dieser Spielregel, er würde gerne etwas vom Vermögenszuwachs mitnehmen beim Abschied in den Ruhestand. Denn die Taxigenossenschaft ist reich, sie besitzt sogar Immobilien. Doch wer nach 30 Jahren ausscheidet, erhält trotzdem nur seine 1000 Euro, keinen Cent mehr: Take Meissner Das stimmt, er kriegt nichts mit, aber er hat die 30 Jahre partizipiert von dem Vermögen, dass andere Mitglieder in den 50 Jahren vorher angehäuft haben, um auch der Zukunft des Gewerbes die Existenz zu sichern. Wenn jeder die Einlagen sofort wieder raus nimmt, dann wäre das undenkbar, denn wir gehen mal davon aus, wenn wir heute die Genossenschaft auflösen würden, dann hätte ein Geschäftsanteil von 1000 Euro einen Gegenwert von 22.000 Euro. Der Zweck der Genossenschaft ist auch ganz klar, dass man einen Berufszweig gesund erhält und auch für die Zukunft wirtschaftlich gestaltet. Denn ohne unsere stillen Reserven hätten wir ganz andere Nutzungsgebühren, wahrscheinlich das Doppelte. Das ist der einzige Weg für Kleingewerbetreibende und mittelständische Unternehmer, gegen Großkonzerne zu überleben. Sprecher Die Genossenschaft bietet viele günstige Dienste, die der Einzelne nicht auf die Beine stellen könnte: Sie kümmert sich zum Beispiel um bargeldloses Bezahlen mit Taxischeinen, sie organisiert Sammeltaxis für Krankenfahrten, sie bietet Einkaufsvorteile und vieles mehr. Gleichzeitig sind die Mitglieder Herr im eigenen Haus: Take Meissner Grundsätzlich ist es so, dass die Genossenschaft für Kleingewerbetreibende die Rechtsform ist, wo das einzelne Mitglied am meisten Mitspracherecht hat. Bei der klassischen Genossenschaft wählt die Mitgliederversammlung den Aufsichtsrat, bei uns sogar auch den Vorstand, bei uns bestimmen die Mitglieder buchstäblich alles. Musik Miraphone, darüber Take Martens Die Reform des Genossenschaftsgesetzes erfolgte 2006 und hat insbesondere die Gründung von Genossenschaften vereinfacht. Jetzt müssen nur noch drei statt bisher sieben Mitglieder sich an der Gründung beteiligen, und auch die Kosten wurden für kleine Genossenschaften gesenkt. Auch wurde die Möglichkeit geschaffen, gemeinnützige Genossenschaften in sozialen und kulturellen Bereichen zu gründen, und dieses zusammen hat schon dazu geführt, dass zum Einen sehr viel stärker wieder über Genossenschaften und deren Gründung diskutiert wird, und in der Praxis ist tatsächlich zu beobachten, dass also in allen möglichen Bereichen wieder Genossenschaften gegründet werden. Sprecher Dennoch, so betont der Hamburger Wissenschaftler Holger Martens, gibt es für genossenschaftlich organisierte Unternehmen natürlich keine Erfolgsgarantie. So laufen bei vielen Molkereigenossenschaften die Geschäfte derzeit schlechter als in den Milchwerken Berchtesgadener Land. Und es kommt auch vor, dass Genossenschaften fusionieren müssen oder gar scheitern. In der Ära der Jagd nach hohen Renditen, großen Kurssprüngen und riesigen Ausschüttungen waren biedere Genossenschaften zudem nicht besonders sexy. Doch nach den Exzessen der Shareholder-Geschäftsmodelle hat nachhaltigeres Wirtschaften plötzlich wieder Charme. Und das entstaubte Genossenschaftsgesetz eröffnet Chancen, diese Unternehmensform häufiger zu nutzen. Etwa in der Energieversorgung. So wirbt Sybilla Ettlich im fränkischen Dorf Hirschfeld für eine zentrale Dorfheizung auf der Basis eines Hackschnitzelheizwerks: Take Ettlich Das gehört dann einer Genossenschaft, sprich all den Haushalten, die sich mit bereit erklärt hatten, das zu bauen, Zielrichtung ist ja, möglichst günstig zu heizen, nicht um Geld zu verdienen, sondern um möglichst günstig zu heizen. Sprecher Auch im Wohnungsbau, einer weiteren Säule des Genossenschaftswesens, entwickeln sich wieder interessante Wohnprojekte. Etwa solche, die Menschen aller Altersklassen neben günstigem Wohnraum auch Geselligkeit und Nachbarschaftshilfe bieten. Holger Martens sieht noch viele Wachstumsfelder für Genossenschaften: Take Martens Da sind zum Beispiel kommunale Unternehmen oder kommunale Einrichtungen, die vielleicht defizitär sind, oder Kommunen setzen auf Privatisierungen, da wird also überlegt: was mache ich mit einem Schwimmbad. Und plötzlich sind da Bürger und Bürgerinnen, die sagen: das ist ein öffentliche Einrichtung, die wir erhalten wollen, und wir tun uns zusammen und gründen eine Genossenschaft, die dann dieses Schwimmbad betreibt. Da gibt es inzwischen Beispiele, die sehr erfolgreich sind. Also hier eine Möglichkeit, das Engagement von Bürgern einzubeziehen und durch eine große Zahl von Mitgliedern diese Einrichtungen zu erhalten, ist eines der Erfolgsmodelle. Sprecher Auch für Freiberufler bietet eine Genossenschaft gute Geschäftschancen ohne großes Risiko. So gründete Holger Martens selbst eine Historikergenossenschaft: Take Martens Wir haben damit Fähigkeiten gebündelt, unser Kompetenzfeld erweitert, und das Können aller kommt somit zum Tragen, und wir haben damit durchaus Erfolg gehabt. Die Vorteile sind eine gemeinsame Werbung, die öffentliche Wahrnehmung ist deutlich besser... Sprecher ... und die Honorare sind höher. Weil Genossenschaften offenbar so unterschiedliche Produkte wie Geschichte und Milch professionell vermarkten können. Unterm Strich ist die Unternehmensform der Genossenschaft also eine interessante Lösungsmöglichkeit für sehr unterschiedliche Problemstellungen. Das belegt auch Helmut Pointners Bilanz seiner langjährigen Erfahrung in der Milchwirtschaft: Take Pointner Ich halte die Genossenschaft für die beste Rechtsform einer Molkerei. Denn die Bauern sehen genau, was mit der Vermarktung ihrer Milch erlöst werden kann, und sehen auch, dass es keine Gelder gibt, die irgendwo auf der Seite rausgehen. Bei einer Genossenschaft gibt es keine Aktionäre, die auf eine möglichst hohe Dividende warten, es gibt auch keine privaten Inhaber, die für private Zwecke Geld abzweigen. Das, was übrig bleibt, wird verwendet, um das Eigenkapital der Genossenschaft zu stärken, das heißt es kommt mittel- und langfristig allen Milchlieferanten zu Gute. Musik Miraphone, darüber Spr. vom Dienst "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig" Das Genossenschaftswesen in Deutschland Von Stefan Schmid Es sprachen: Thomas Holländer und Gerd Grasse Ton: Ralf Perz Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1