Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 03. Februar 2014, 19 Uhr 30 Warten auf Erfolg Europas Krisenländer und die Politik des Sparens Von Kristina Hille Atmo Sprecher vom Dienst Warten auf Erfolg Europas Krisenländer und die Politik des Sparens Ein Feature von Kristina Hille Sprecherin Ende 2013 - in Portugal, Griechenland und Spanien wird wieder einmal demonstriert. Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise machen den Menschen zu schaffen. "Die Zukunft wurde weggefegt" hat jemand an eine Häuserwand in Lissabon gesprüht. O-Ton Fernando Maurício CGPT The situation is getting worse ... hitting the middle classes tremendously. Sprecher 1 Die Situation wird jeden Tag schlimmer. Und ein Beweis dafür ist, was gestern passierte: Zum ersten Mal in der Geschichte Portugals haben sich die Sicherheitskräfte versammelt, einschließlich aller Polizeibeamten des Landes, alle, um gemeinsam vor dem Parlament zu demonstrieren. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Krise die Mittelklasse stark getroffen hat. Sprecherin Ein weiteres finanzielles Hilfspaket für Portugal sei nicht notwendig, das Land sei auf einem guten Weg, sagen Regierungsvertreter. Im Gegensatz zu den offiziellen Erfolgsmeldungen beschreibt Fernando Maurício, Leiter der Abteilung für Internationale Angelegenheiten der Gewerkschaft CGPT die Lage in Portugal wenig optimistisch. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 18 Prozent. Der Haushalt für 2014 sieht weitere drastische Einsparungen vor. Die Sonderabgabe von 3,5 Prozent auf Löhne und Gehälter wird beibehalten. Die Gehälter im öffentlichen Dienst werden erneut gekürzt. Stufenweise je nach Einkommen. 2,5 Prozent weniger für alle, die über 675 Euro im Monat verdienen. 12,5 Prozent für Gehälter über 2.000 Euro. O-Ton Fernando Maurício, CGPT The gap is obviously widening ... private companies, from Angola. Sprecher 1 Die Kluft wird größer, die Ungleichheit nimmt zu. Das Vermögen der Multi-Millionäre in Portugal stieg 2012 um über 11%, das Vermögen der reichsten Familien stieg um 621 Millionen Euro, allein im Jahr 2013. Das wesentliche Staatsvermögen wurde privatisiert. Es ist fast nichts mehr übrig. Eine Bahnlinie wurde noch nicht privatisiert, der Bahnservice wurde noch nicht vollständig privatisiert, obwohl er bereits in verschiedene Einheiten zerschlagen wurde, um die Privatisierung vorzubereiten, der Hafenservice wurde privatisiert, die Elektrizität wurde gerade vollständig privatisiert und die Wasserversorgung ist im Gespräch. Die Investitionen sind zurückgegangen, mit ein, zwei Ausnahmen im Bankensektor, von ein, zwei Ländern oder privaten Unternehmen aus Angola. Atmo S-Bahn Kochstraße Sprecherin Berlin, Nähe Gendarmenmarkt. Hier residiert der Botschafter Griechenlands. Wie Portugal steht sein Land unter Aufsicht der Troika, muss die Sparauflagen von EU- Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds erfüllen. Gleichzeitig soll die Wirtschaft wieder in Fahrt kommen. Wie bewertet Panayotis Zografos die Situation in seinem Land? O-Ton Panayotis Zografos Der Tourismus blüht, die griechischen Exporte wachsen ständig und in diesem Jahr hat man zum ersten Mal einen doppelten Überschuss, das bedeutet die Exporte lagen höher als die Importe. Es sieht so aus, als ob wir uns in die richtige Richtung bewegen, aber bis die Leute dies in der eigenen Tasche spüren, wird es noch eine kleine Weile dauern. Sprecherin Während der Botschafter auf die Erfolge pocht, die bereits eingetreten sind, erklärt der Botschaftssekretär Ioannis Salavopoulos, dass die Lage ähnlich sei, wie in Portugal. Es sei die tiefste Rezession der griechischen Wirtschaft in der modernen Geschichte des Landes. Obwohl die Märkte gegenüber der griechischen Wirtschaft Vertrauen wiedergewonnen hätten, bliebe der Zugang zur Finanzierung insbesondere für den griechischen Mittelstand extrem schwierig. Die öffentliche Verschuldung sei in den letzten Jahren sogar gestiegen: O-Ton Ioannis Salavopoulos Die Staatsverschuldung Griechenlands betrug im Jahr 2012 - 156 ,9%, im Vergleich zu 2009, da war die Verschuldung 129,7% und im Jahr 2008 bei 112,9%. Die Hauptbondsholder von den griechischen Staatsanleihen, außer den griechischen Banken und dem griechischen Altersvorsorgefonds ist das Eurosystem, aber vor allem immer noch europäische Banken und die großen davon sind deutsche und französische Banken. Atmo S-Bahn Friedrichstrasse Sprecherin Berlin, Friedrichstrasse. Hier befinden sich zwei der großen deutschen Institute, die die Politik in Sachen Wirtschaft beraten: das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Hauptstadtbüro des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft. Beide Leiter, Professor Marcel Fratzscher und Professor Michael Hüther, sind Verfechter der Sparpolitik. O-Ton Marcel Fratzscher Ja, Strukturreformen sind enorm wichtig für alle europäischen Länder, übrigens auch für Deutschland. Strukturreformen sind eine fundamentale Voraussetzung, um ein nachhaltiges Wachstum in dem Land generieren zu können. Es ist also die Grundvoraussetzung. Jedes Programm, jede finanzielle Hilfe sollte an eine solche Reform gekoppelt sein. Sprecherin Seit einigen Jahren nun schon stützt die EZB mit expansiver Geldpolitik und niedrigem Leitzins das Finanzsystem, seit Jahren halten EU und Internationaler Währungsfonds Portugal und Griechenland zum Sparen und zu Reformen an. O-Ton Michael Hüther Die Entwicklung gerade im Jahr 2013 zeigt ja, dass die Struktur und Logik der Krisenpolitik in der Eurozone im Grunde funktioniert. Es ist einfach mühsam, wenn man in eine solche Überschuldung hineingerät, dann ist es für Volkswirtschaften erst einmal ein härterer Prozess, das ist mit Verlust an Produktion und Beschäftigung verbunden. Atmo Demo Sprecherin Lissabon. Während auf den Straßen gegen die Sparpolitik der Regierung demonstriert wird, spricht der US-Ökonom Michael Ash in der Mário Soares Stiftung vor Politikern, Gewerkschaftern und Studenten über Verschuldung und Wachstum. Für Ash, Professor an der Universität von Massachusetts ist die Sparpolitik gescheitert. Das sehe man an den Notlagen in Griechenland und Portugal ebenso wie an dem extrem niedrigem Wachstum in Großbritannien, das auch ein sehr drastisches Sparprogramm durchgeführt hat. O-Ton Michael Ash I think there is a combination of ideology ... to stimulate the economy back to something like normal. Sprecher 2 Ich denke, es ist ein Zusammenspiel aus Ideologie und Ignoranz, das die Menschen an diese Sparpolitik bindet und es ist absolut selbstzerstörerisch. Man versucht zu sparen, doch löscht man dadurch die wirtschaftliche Aktivität aus und der Staat verfügt am Schluss über weniger Ersparnisse als vorher. Wenn die Regierung während einer Rezession ihre Ausgaben erhöht, dann ist dies gut, nicht schlecht. Es stimuliert die Nachfrage, die dringend gebraucht wird. Ich denke, das Hauptproblem, mit dem Europa heute konfrontiert ist, ist die Erwerbslosigkeit und wenn die Nachfrage angekurbelt wird, indem die öffentlichen Ausgaben erhöht werden und die öffentliche Verschuldung steigt - ich möchte hier sehr klar sein, die öffentliche - , dann ist das die richtige Antwort. Dazu sollte man meiner Meinung nach das Haushaltsdefizit kurzfristig erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln, bis sie sich normalisiert hat. Sprecherin Es geht derzeit in der EU aber nicht nur darum, dass der Staat sparen soll. Der Staat soll privatisieren, um Geld einzunehmen. Die Einnahmen in die Staatskasse sprudeln jedoch nicht immer wie erhofft. Investoren zögern und kaufen dann meist zu extrem niedrigen Preisen. In Griechenland investierte die chinesische Firma COSCO in den Hafen von Piräus, der Konzern Fonsun, ebenfalls aus China, in die portugiesische Staatsbank Caixa Geral de Depósitos. Der aserbaidschanische staatliche Öl- und Gaskonzern SOCAR kaufte sich in das griechische Gastransportnetz von DEFSA ein. O-Ton Max Otte Europa liegt im Moment leider als Beute da, als Beute für die großen Finanzkonzerne, als Beute für mächtige Gruppierungen. Sprecherin Professor Max Otte, deutsch-US-amerikanischer Ökonom und Fondsmanager: O-Ton 1 weiter Wir wollen das nicht verschwörungstheoretisch sehen aber es fügt sich doch zu einem gewissen System. Sehen Sie, wie pervers das System ist. Die Länder werden runtergestuft, von irgendwelchen internationalen Rating Agenturen, keine Instrumente der Marktwirtschaft, die völlig unkontrolliert sind und die in London und Washington sitzen oder in New York und dann geht es den Ländern schlechter und die Schulden steigen trotzdem. Griechenland steht makroökonomisch zum Beispiel viel besser da als die USA oder als England. Trotzdem werden sie schlecht gemacht. Sprecherin Die Veräußerung staatlichen Besitzes kann auch an einheimische Investoren erfolgen. In ihrem Buch die Schock-Strategie beschreibt die kanadische Autorin Naomi Klein, dass Veräußerungen in Krisenzeiten funktionieren durch ein Zusammenspiel von einem Teil der politischen Elite und der Oligarchie, die in Privatisierungen investiert. O-Ton Max Otte In der Tat ist auch in dieser Krise eine massive Umverteilungspolitik aus der Mitte ganz nach oben. Nehmen Sie den Fall Griechenland, dort waren natürlich die Hauptgläubiger der Staatsanleihen die griechischen Banken und die griechischen Banken sind wiederum fast ausschließlich im Besitz der griechischen Superreichen. Wenn es also jetzt einen Schuldenschnitt gegeben hätte, dann hätten die Reichen zunächst einmal massiv Vermögen eingebüßt. Und das wäre richtig gewesen, es waren die Banken, die sich mit den Anleihen verkalkuliert haben und die müssten eigentlich auch die ökonomischen Konsequenzen tragen. In Griechenland gibt es zehn Familien, die das Land als Privatbesitz betrachten und die schützen ihr Vermögen. O-Ton Michael Ash I think the ideological attachment to austerity ... at the same time unemployment in the US remains shockingly high. Sprecher 2 Ich denke, die ideologische Überzeugung und die materiellen Vorteile, die die Sparpolitik einem Teil der Elite bringt, hat diese Politik zum eisernen Gesetz gemacht, dem Europäische Kommission und EZB weiterhin folgen. Die Ungleichheit ist extrem gestiegen, mehr in den Vereinigten Staaten, in meinem Land, als in Europa. In den USA machen große Konzerne enorme Gewinne, wenn man den Börsenindex betrachtet. Er ist so hoch wie nie, doch zugleich bleibt die Erwerbslosigkeit schockierend hoch. Sprecherin Auch in der Eurozone ist die soziale Ungleichheit in den letzten Jahren massiv gestiegen. Parallel dazu machen laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers 2013 auch in Europa große Unternehmen enorme Profite, vor allem aus Großbritannien, Irland, Norwegen, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Deswegen sei es auch ein Fehler davon zu sprechen, welche Staaten die Gewinner und Verlierer seien, meint Ash. Auch der griechische Botschafter ist der Ansicht, dass diese Diskussion nicht weiterführe. Panayotis Zografos: O-Ton Panayotis Zografos Die EU-Politik soll nicht nur die Zahlen sondern auch die gesellschaftliche Kohäsion in der EU mitberücksichtigen, denn es ist notwendig auch ins Auge zu fassen, dass wir in einigen Monaten die Wahlen für das Europaparlament vor uns haben und man muss Maßnahmen ergreifen, um zu zeigen, dass mehr Europa vorhanden ist. Sprecherin Trotz aller Schwierigkeiten in Europa und in der Eurozone, die Vorteile überwiegen weitaus gegenüber den Nachteilen, meint Michael Ash. Gegenüber der Dollarzone gäbe es allerdings einen wichtigen Unterschied: O-Ton Michael Ash3 The dollar is a currency ... it's so dependent on the rest of Europe for so many aspects of trade. Sprecher 2 Der Dollar ist eine Währung mit enormer finanzpolitischer Verantwortung für alle Regionen der Vereinigten Staaten. Wir sortieren nicht Mississippi oder Arkansas aus und sagen: oh, wisst ihr, ihr habt wirklich gravierende Fehler gemacht, jetzt müsst ihr abwerten, bevor ihr wieder mit den Bürgern von Kalifornien oder New Jersey Handel treiben könnt. Portugal ist ein Land, mit nur 10 Millionen Einwohnern. Ich denke es ist sehr schwierig für ein so kleines Land seine eigene, unabhängige Finanzpolitik zu haben. Es ist so abhängig vom Rest Europas, in so vielen Aspekten des Handels. Sprecherin Der Dollar ist also eine Währung für eine stark verflochtene Föderation, die ganz entschieden ist, in welche Richtung sie gehen will. Wenn sich die EU selbst als Einheit ernst nehmen würde, so Ash, dann fände sie Wege, um durch Finanzpolitik das Gleichgewicht wiederherzustellen. O-Ton Marcel Fratzscher Wir hatten im 19. Jahrhundert eine Reihe von Bankrotten, von einzelnen Bundesstaaten, die federale Ebene, die US Regierung hat damals nicht geholfen, sondern diese Staaten Bankrott gehen lassen. Das war eine wichtige Erfahrung für die Amerikaner. Und seitdem funktioniert es eigentlich sehr gut. Sprecherin Sagt der Ökonom und Finanzwissenschaftler Marcel Fratzscher und Wirtschaftswissenschaftler Michael Hüther ergänzt. O-Ton Michael Hüther Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein Staat, sie fungieren als Bundesstaat. Sie haben eine gemeinsame politische Geschichte in einer Verfassung. Damit ergibt sich auch ein Verständnis von Volkssouveränität, das sich nicht auf Iowa oder Wisconsins oder Kalifornien beschränkt, sondern auf die Vereinigten Staaten von Amerika. O-Ton Marcel Fratzscher weiter Wir haben zwar Regeln, einen Fiskalpakt, ein europäisches Semester, aber wenn es hart auf hart kommt, fehlt uns noch das Durchgriffsrecht auf europäischer Ebene, um mit Ländern, mit Regierungen umzugehen, die absichtlich und nachhaltig gegen diese Regeln verstoßen. O-Ton Max Otte Wir haben zwei grundsätzliche Ideen von Staat und Gesellschaft. In Kontinentaleuropa hat die Idee der sozialen Gerechtigkeit eine große Rolle gespielt, in den angelsächsischen Ländern eher nicht. Sprecherin In Bezug auf die USA bemängelt der Ökonom Max Otte die starke Verflechtung zwischen Politik und Finanzbranche, die schon immer existierte: O-Ton Max Otte Unser Finanzwesen war viel funktionstüchtiger, viel weniger spekulationsanfällig als das angelsächsische. Die Genossenschaftsbanken, Volks- und Raiffeisenbanken, die Sparkassen haben hohes Eigenkapital. Sie haben sichere Geschäftsmodelle. Was jetzt in Europa passiert, ein Import des angelsächsischen Gesellschaftsmodells, der Kontinentaleuropa zuwiderläuft. Wir holen uns also das schlechtere Betriebssystem ins Haus und hatten etwas viel besseres. Und in der Tat ist die FED sehr viel abhängiger von gesellschaftlichem Druck. O-Ton Michael Ash At the moment it looks to me ... and will increase the likelihood of a future crisis. Sprecher 2 Momentan scheint es, als ziele die europäische Politik darauf ab, die Banken im Zentrum zu schützen, auf Kosten der Menschen in der Peripherie. Ich denke, das ist ein gravierender Fehler, der zur Instabilität beiträgt und die Wahrscheinlichkeit einer neuen Krise erhöht. Sprecherin Ash plädiert daher zwar für eine Ausweitung der Finanzunion als Pendant zur Währungsunion. Doch warnt er eindringlich davor, dass dies nicht in dem bisher relativ undemokratischen Rahmen geschehen dürfe. Bisher hänge die EZB viel zu sehr von einzelnen Lobbygruppen ab, von großen Banken. Bereits im November 2011 erschien in der FAZ ein Artikel über die sogenannten Goldjungs, die sich an den Schaltstellen der europäischen Wirtschaft und auch in den höchsten Etagen der EZB installiert hätten. In den USA waren die Goldman Sachs Boys wesentlich an der Aufhebung des Glass Steagall Acts beteiligt, ein Gesetz, das die Trennung von Investment- und Kreditbanken vorschrieb. O-Ton Max Otte Die EZB hat mehrere Mandate, anders als die Bundesbank. Sie soll die Geldwertstabilität sichern, sie hat jetzt auch Mandate übernommen, Krisenmanagement zu betreiben und die Finanzkraft schwacher Staaten zu sichern. Damit überfrachten wir eigentlich die EZB. Ein weiteres Problem ist, dass dort die Abstimmungen politisch fallen, sie fallen hinter verschlossenen Türen, jedes Land hat eine Stimme, zumindest die Länder, die im Zentralbankrat vertreten sind und da hat natürlich der Süden ein Übergewicht. Das nächste ist, dass die großen amerikanischen Investmentbanken aufs Beste vernetzt sind, Goldman Sachs Leute, die verstehen sich auch ohne Worte wahrscheinlich, weil sie aus demselben Hause kommen. O-Ton Michael Ash The repeal of the Glass-Stegal Act ... change in the mindset, of what is the ECB for, of what is the credit system for. Sprecher 2 Die Aufhebung des Glass-Stegall Acts zeigt diese komplizierten und gefährlichen Finanzinstrumente. Ich denke, den Finanzmarkt zu zähmen, bedeutet eine Demokratisierung der EZB. Die EZB hängt viel zu sehr von den Interessen großer Banken ab und dient fast gar nicht den BürgerInnen Europas. Ich denke, es ist wirklich ein Bewusstseinswandel notwendig, wofür die EZB ist, wofür das Kreditsystem ist. Sprecherin Demokratie und die derzeitige Form des Finanzkapitalismus passen nicht zusammen. Bereits in den 1980er Jahren beklagte die Ökonomin Susan Strange in ihrem Werk Kasino-Kapitalismus die Spiele des Finanzkapitals, die gespielt werden und die die ganze Menschheit unfreiwillig in Mitleidenschaft ziehen, im Gegensatz zu einem herkömmlichen Kasino, das man betreten oder verlassen kann, und zwar dann, wenn man will. Finanzkapitalismus, die Herrschaft der wandelnden Finanzkonzerne, die Herrschaft des Geldes. Dem gegenüber steht die Demokratie, die Herrschaft des Volkes, in der Recht und Gesetz unabhängig und für alle angewendet wird, egal, ob arm oder reich. Und Demokratie basiert auf einem starken Staat, der zwar der Privatinitiative Freiraum lässt, sich jedoch das Recht vorbehält, in jedem notwendigen Moment zu intervenieren, wenn es der Schutz der Bevölkerung gebietet. Straßenatmo Sprecherin Berlin, Unter den Linden. Humboldt-Universität. Hier diskutieren angehende Ökonomen mit zukünftigen Managern von der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht über die Wirtschafts-und Finanzkrise. Was halten sie von der aktuellen Krisenpolitik? O-Ton Julia Ich persönlich glaube, dass die Krisenpolitik bis hierhin ein bisschen chaotisch und unorganisiert war, wahrscheinlich auch, weil man nicht das ganze Ausmaß der Krise absehen konnte, dass man aber daraus lernen sollte, die Integration der Währungsunion weiter voranzutreiben, zum Beispiel eine gemeinsame Finanzaufsicht etablieren sollte oder eine Bankenunion, so dass man für die Zukunft besser gegen Krisen gewappnet ist. O-Ton Alban I'm from China ... huge foreign reserves of Euros. Sprecher Ich bin aus China. Ich denke, die Euro-Krise bereitet China wirklich große Sorgen, denn China verfügt über enorme Reserven in Euro. O-Ton Alma I'm from Ireland ... no jobs for young people. Sprecherin Ich bin aus Irland. Nach meiner Erfahrung, nach allem was in Irland passiert ist, denke ich, dass die Strukturanpassungsprogramme gut für uns waren. 2013 haben wir es erstmalig aus der Rezession geschafft. Ich allerdings habe Irland verlassen, weil es dort keine Arbeit gibt, keine Arbeit für junge Menschen. O-Ton Erik Die Staaten sind jetzt in der Verantwortung, meiner Meinung nach, Geld in die Märkte fließen zu lassen, die Leute zu unterstützen, die Märkte zu unterstützen. O-Ton Mark Ich denke, die Entscheidung Griechenland nicht austreten zu lassen, war wichtig und richtig. Problematisch ist, wenn man sagt nur auf dieses Sparziel zu setzen. Denn einem Land in einer Wirtschaftskrise oder nach einer Wirtschaftskrise zu sagen, man darf nur sparen ist auch immer sehr schwer. Atmo Portugal-Demo Sprecherin In Portugal haben mittlerweile selbst die Befürworter der Troika-Intervention Zweifel an der Sparpolitik, die das Dreigespann aus Europäischer Kommission, Zentralbank und Internationalem Währungsfonds fordert. Geändert habe sich bisher jedoch nichts, im Gegenteil, so Fernando Maurício von der Gewerkschaft CGPT: O-Ton Fernando Maurício, CGPT The IMF agrees that some of the measures may in fact aggravate ... measures insufficient, but that they should be extended. Sprecher 1 Der IWF gibt zu, dass einige Maßnahmen die Rezession verstärken und ein Wachstum der Realwirtschaft verhindern und, dass Änderungen im Programm daher sinnvoll wären. Doch sofort, wenn die Troika nach Portugal kommt, dann erklärt der IWF, dass die Maßnahmen nicht nur unzureichend sind, sondern, dass sie sogar noch verstärkt werden sollen. Sprecherin In der Eurokrise operiert der IWF erstmals zusammen mit einer supranationalen Organisation, der EU. Es ist auch das erste Mal, dass der IWF überhaupt im "alten Europa" tätig wird. Bisher kamen die Kunden aus den Entwicklungs- und Schwellenländern. Doch diese, allen voran die sogenannten BRICS, haben sich in den letzten Jahren vom IWF abgewandt. Sie hatten die Diktate der Institution aus Washington satt und wollten ihre finanzpolitische Unabhängigkeit behalten. Als im Sommer im IWF-Länderbericht Portugal Fehler auftauchten, bekam das ohnehin bestehende Misstrauen gegen den internationalen Währungsfonds neue Nahrung. Es handele sich um eine selektive Auswahl vorhandener empirischer Daten, erklärt der Politiker und Ökonom Professor Francisco Louçã von der Universität Lissabon: O-Ton Francisco Louçã The document of the ... IMF keeps pressing for a reduction of the minimum wage. Sprecher 1 Der IWF wurde beschuldigt, und zu Recht, im Bericht zur letzten Revision des Programms in Portugal sensible Daten zur Erwerbslosigkeit und zu den Löhnen im Privatsektor weggelassen zu haben. Es ist bewiesen, dass der IWF in dem Bericht die Öffentlichkeit getäuscht hat, indem er Daten wegließ, genauer gesagt die Daten, die belegen, dass die Löhne in Portugal bereits massiv gesunken sind. Stattdessen drängt der IWF auf eine Senkung des Mindestlohns. O-Ton Max Otte Es gibt genug Studien, die zeigen, dass Länder mit Mindestlohn gut dastehen, dass sie keine größeren Probleme haben. Ich halte diese brutale Lohndrückerei, die passiert und auf der anderen Seite die Explosion der Vorstandsgelder, die durch nichts gerechtfertigt ist, für wirklich skandalös. Die Strukturanpassungsprogramme des IWF aber auch der EU gehen in jedem einzelnen Fall zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger und zwar im Süden Europas, wie auch im Norden Europas. O-Ton Michael Ash It's in my opinion really outrageous ... in domestic political and economic affairs. Sprecher 2 Meiner Meinung nach ist es wirklich unmöglich, dass der IWF diese Anpassungen vornimmt, die manchmal sogar gegen die Verfassungen verstoßen, nicht nur gegen das geltende Recht, -als Voraussetzung, um Unterstützung vom IWF zu erhalten. Ich denke, der IWF hat eine sehr schlechte Vergangenheit in den sogenannten Entwicklungsländern und jetzt zunehmend auch in der Peripherie Europas, indem er diese Eingriffe in die politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten diktiert. Sprecherin Für den US-Ökonomen Michael Ash ist es an der Zeit, das aktuelle Krisenmanagement im Euro-Raum zu ändern. Auch für Max Otte. O-Ton Max Otte Die jetzige Rettungspolitik ist grundverkehrt, wenn man sich überlegt, dass Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig war. Bei einer normalen Sanierung wäre es erst mal so, dass der Schuldner bezahlt, wenn das nicht reicht, dann diejenigen, die das Geld gegeben haben, also die Gläubiger und erst im dritten Schritt sollte die Allgemeinheit, die EU, die EZB einspringen. Wir haben hier den Prozess umgekehrt. Durch die Art der Rettungspolitik haben wir eine Re-Nationalisierung der Finanzmärkte, indem spanische Staatsanleihen von spanischen Banken gehalten werden, französische von französischen Versicherungen. Da fährt der Zug wieder in die Vergangenheit. In Europa insgesamt, das im Moment wirklich belächelt wird, das sich selber zerfleischt, das in einer Abwärtsspirale ist, müssen wir zu einer Idee der Gründerväter, und das ist ein subsidiäres Europa, wo einige Dinge auf europäischer Ebene geregelt werden, viele andere Dinge föderal. Sprecherin Um den Staat, also die Vertretung der BürgerInnen Europas wieder zu stärken bedarf es einheitlicher Steuersysteme und Sozialstandards, Hedgefonds müssen gezähmt, Großkonzerne und Oligarchen besteuert werden. Kleine und Mittlere Unternehmen, Genossenschaftsbanken und Kreissparkassen geschützt, der große Ausverkauf Europas beendet werden. Das Europäische Parlament muss massiv aufgewertet, die EZB demokratisiert werden. Der Ökonom und Fondsmanager Otte plädiert außerdem für einen zeitweiligen Austritt einiger Staaten aus der Euro-Zone, verbunden mit einem offiziellen Staatsbankrott, einer Abwertung und Restrukturierung: O-Ton Max Otte Eine Akutmaßnahme wäre, dass Griechenland und vielleicht zwei, drei weitere kleine Länder die Eurozone verlassen. Wir würden dann weiter Hilfskredite geben aber diese Hilfskredite wären Infrastrukturkredite, die würden dem Land zugutekommen und nicht gleich wieder als Schuldendienst an die großen Vermögen fließen. Und die großen Vermögen würden beim Schuldendienst mitbezahlen. Ein Staatsbankrott wäre die Chance für einen Neuanfang. Staatsinsolvenz ist nicht das Ende der Welt. Wir sehen das in Argentinien. Es wird natürlich erst mal die Kreditwürdigkeit des Staates in Frage gestellt, aber die ist sowieso in Frage gestellt. Und der Rest der Eurozone könnte sich darauf konzentrieren, diesen Kern-Euro zu verteidigen und das hielte ich für schonender und demokratischer als das, was wir jetzt machen. Sprecherin Für Professor Michael Hüther vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist das nicht der richtige Weg. O-Ton Michael Hüther Ein Staatsbankrott, der ja immer nur bedeutet, dass diejenigen, die die Papiere dieses Staates gehalten haben entweder keine Zinszahlungen mehr bekommen oder keine Rückzahlungserwartungen mehr haben können. Insofern ist ein Bankrott etwas, was man wirklich nur in allerletzter Instanz, wenn gar keine andere Möglichkeit mehr besteht, über einen Verhandlungsweg, versuchen kann. Es muss darum gehen, durch eine kluge Politik auf der Einnahmen-, wie auf der Ausgabenseite des Staatshaushaltes die Schuldenstandsquote herunterzufahren. Politik, die auf der einen Seite Märkte öffnet, so dass aus wettbewerbsfähigen Unternehmen Steuereinnahmen entstehen, auf der anderen Seite eine disziplinierte Ausgabenpolitik. Durch eine eigene Regelbindung den Kapitalmärkten Glaubwürdigkeit signalisieren. Sprecherin Der US-Ökonom Professor Michael Ash hält eine hohe Staatsverschuldung zwar auch für ungut, dennoch ist er fest davon überzeugt, dass es ein Fehler sei, ausgerechnet während einer Krise zu sparen. Stattdessen solle das Wachstum angekurbelt werden: O-Ton Michael Ash It's really a solution of stimulating ... than trying to feed money to Portugal and Greece. Übersetzer 2 Die Lösung besteht wirklich darin, den Markt zu stimulieren, im Zentrum und in der Peripherie, damit die Bevölkerungen wieder vermögend werden und dann werden die Banken wieder solvent, weil die Menschen Geld verdienen, Steuern zahlen und ihre Darlehen bezahlen können. Dies wäre eine sehr viel einfachere und humanere Lösung als zu versuchen, Portugal und Griechenland mit Geld zu füttern. Sprecherin Während also Michael Ash ein klarer Gegner der aktuellen Sparpolitik ist, mahnt Professor Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zumindest zur Vorsicht. O-Ton Marcel Fratzscher Das Problem mit der Staatsverschuldung im Augenblick umzugehen ist, dass wir eine Weltwirtschaft haben, vor allem in Europa auch eine Wirtschaft haben, die noch immer sehr schwach ist. Deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein, Ausgaben zu stark zurückzuschrauben, weil das einen großen negativen Effekt auf die Volkswirtschaft hat. Sprecherin Und während die Troika wieder einmal von Griechenland Nachbesserungen in Sachen Sparen und Privatisieren fordert, glaubt der griechische Botschafter, Panayotis Zografos, dass sein Land alle Auflagen erfüllt habe: O-Ton Panayotis Zografos Es ist notwendig, dass die EU sich jetzt auf die Wachstumspolitik und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konzentriert. Sie soll sich an die Euro- Gruppenscheidung vom November 2012 über die Erleichterung der Staatsschulden Griechenlands halten, Griechenland hat die Ziele erfüllt. Sprecher vom Dienst: Warten auf Erfolg - Europas Krisenländer und die Politik des Sparens Ein Feature von Kristina Hille Es sprachen: Julia Brabandt, Kai Scheve und Robert Frank Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014 1