Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62120 Organisationseinheit: 46 Reihe : Zeitreisen Titel : Sandbostel. Das letzte erhaltene Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht Autor : Godehard Weyerer Redakteur : René Aguigah Sendung : 26.01.2010 / 19:30 Uhr Regie : Beate Ziegs Besetzung : Joachim Schönfeld; Romanus Fuhrmann Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 CUT 01: 1-A) 44-80 0:06 Volland: Herr Cottyn, wir haben hier einen Plan. Vielleicht kommen Sie hier mal rum. Klaus Volland bittet Roger Cottyn ((sprich: Kott'inn) näher an den Schaukasten heranzutreten. Als 20jähriger Wachtmeister kam der Belgier ins Kriegsgefangenenlager Sandbostel. 1940 war das, vor 70 Jahren. CUT 02: 1-A) 44-80 0:30 Volland: Das Original hat ein amerikanischer Kriegsgefangener nach der Befreiung am 29. April 1945 im Gebäude des Kommandanten von der Wand weggenommen. Der Sohn hat uns vor wenigen Jahren diesen Plan als Attachment zu einer e-mail geschickt. Klaus Volland ist pensionierter Geschichtslehrer und Vorsitzender der Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel. Er führt den 90jährigen durch die provisorischen Ausstellungsräume. In ein paar Jahren soll die Gedenkstätte in eine der sanierten, historischen Lagerbaracken umziehen. CUT 03: 1-A) 44-80 0:22 Volland: Das ist ein Plan des Heeresbauamtes Bremen von 1943. Da sehen wir ja auch die Barackenreihe, in der Sie gewohnt haben. Cottyn: Ja, in diesen Baracken. Das ist die Straße .. Fünf Jahre lang war Roger Cottyn in deutscher Kriegsgefangenschaft. Ins Lager Sandbostel kehrt er regelmäßig zurück - an den Jahrestagen Befreiung jeweils am 29. April; im Sommer, wenn sich auf dem Gelände jungen Menschen zu einem 14- tägigen Workcamp treffen; oder wenn er, der zu den letzten noch lebenden Gefangenen zählt, zu einem Rundgang gebeten wird. Nach dem Krieg blieb Roger Cottyn in Deutschland - als Soldat der belgischen Besatzungstruppen. Seine deutsche Ehefrau ist mittlerweile verstorben. Er selbst lebt in einem Seniorenheim in Schleswig-Holstein. CUT 04: 1-A) 44-80 0:38 Volland: Sie wissen, dass diese Baracken seit 1948 nicht mehr stehen. Die sind damals abgebaut worden. Die Baracken auf der anderen Seite sind ja schon im Mai 1945 abgebrannt wurden, wo die KZ-Häftlinge ... Cottyn: Ah, die waren da. Die sind wegen des Typhus von den Engländern fast am gleichen Tag wie in Bergen-Belsen mit Flammenwerfern abgebrannt worden. Da ist Ackerland seit damals. Cottyn: Aber unsere Küche steht hier irgendwo. In der Nähe von Bremervörde, auf halbem Weg von Hamburg nach Bremen liegt Sandbostel. Hinter wildem Gebüsch und dicken Baumstämmen versteckten sich über Jahrzehnte die kümmerlichen Reste des Kriegsgefangenenlagers. Rund eine Millionen Soldaten waren im Krieg hier interniert. 10.000 KZ-Häftlinge wurden in den letzten Kriegstagen nach Sandbostel verschleppt, 3.000 von ihnen starben, viele an Typhus. In den Baracken, die stehen blieben, internierten die Engländer Nazi- Funktionäre und SS-Offiziere. Später, in den 50er-Jahren, war für kurze Zeit hier eine Außenstelle des Zuchthauses Celle. Anschließend dienten die Baracken als Übergangslager für geflohene DDR-Jugendliche. Seit 1974 ist das Gebiet Gewerbefläche. Von den ehedem 150 Baracken stehen noch 23; sie sind denkmalgeschützt. Ein Großteil des ehemaligen Lagergeländes ist heute wieder das, was die Gegend hier ursprünglich war: Ackerland. CUT 05: 1-A) 145-150 0:19 (Atmo) Klaus Volland und Roger Cottyn sehen sich mittlerweile draußen auf dem Gelände um. Noch vor drei Jahren, erzählt Volland, seien die teilweise völlig maroden Baracken von Gestrüpp und Büschen zugewuchert gewesen. Tannen und Kiefern hatten sich ausgesät und waren über die Jahrzehnte mächtig in die Höhe geschossen. Heute ist das Areal für Besucher wieder frei zugänglich. Holzstöße säumen die Wege links und rechts und zeugen von den Fäll- und Einschlagarbeiten. Die Baracken sind von weitem schon zu sehen - geradezu wie im Krieg, als die Wehrmachts-Posten entlang der hohen Stacheldrahtzäune freie Schussbahn auf Unruhestifter und Flüchtlinge hatten. Und wie damals weht auch heute ein eisiger Wind über den flachen Landstrich. CUT 06: 1-A) 322-324 4:03 Cottyn: In 43, wenn ich hier lebte, dann hatte man eine dünne graue Decke und den Mantel zum Zudecken, als Kopfkissen hatte man die Jacke, die gefaltete Jacke war das Kopfkissen. Man lag wirklich auf Brettern Volland: Wir sind hier in einem Bereich, wo man noch Baracken der ersten Bauphase erkennen kann. Man sieht vier, es sind in der Reihe sechs oder soeben sogar. Die sind nach Gründung der Stiftung nach und nach saniert worden, mit Ausnahme der Baracken links, die sind sozusagen Monumente, die dafür stehen, wie man nach dem Krieg damit umgegangen ist. Cottyn: Wir hatten Öfen in den Baracken. Man bekam nicht viel, das war gepresster Torf. Da konnte man abends den Ofen anmachen. In jedem Abteil war einer, der den ganzen Tag da war, der musste sorgen, dass das Abteil sauber war, dass wir unser Essen bekamen und alles. ... Dünne Steckrüben- oder Kohlrübensuppen, ein Achtel vom Kommissbrot, einen Löffel Zucker und mal ein Scheibe Ersatzleberwurst und auch mal ein Harzer Käse. Aber alles Ersatz, nichts echtes dabei. Musik 1: Sommer 1940 war es, als der junge Kriegsgefangene Roger Cottyn nach Sandbostel kam. Er glaubte, Weihnachten wieder zuhause zu sein. Doch es wurden fünf lange Jahre, die der Belgier in deutscher Gefangenschaft blieb. Seine Erlebnisse schrieb er später auf. Das kleine Heft liegt in der Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel aus. Zitat: Am 19. Juni 1940 verlassen wir die Westfalenhalle und marschieren zum Güterbahnhof von Dortmund. Ich höre, wie jemand vom Begleitkommando einem Offizier meldet: "800 Stück angetreten". Wir werden in Viehwaggons eingepfercht, wir können nur stehen. Kein Essen, nichts zu trinken, kein Licht und nur sehr wenig Luft. Einmal bleibt der Zug unterwegs stehen und wir können austreten. Am 20. Juni sind wir in Bremervörde. Eine Kolonne müder, hungriger, durstiger und unrasierter Männer setzt sich in Bewegung. Einige Anwohner haben Eimer mit Wasser an den Straßenrand gestellt. Die Wachleute stoßen die Eimer mit den Stiefeln um. Endlich kommt die Kolonne in einem Lager an. Unterwegs habe ich auf einem Straßenschild den Namen "Sandbostel" gelesen. CUT 07: 1-A) 180-173 2:30 (draußen) Volland: Hier sehen wir vier Baracken - das war so eine Art Modul. In jeder dieser Großbaracken wohnten dann 250 Gefangene, mal vier macht 1.000. Für diese Tausend gab es dann eine quergestellte Außentoilette, die tagsüber benutzt wurde. Cottyn: Die Baracken waren wieder geteilt wieder in Abteile. Man kam durch die Türe rein, da war ein Mittelgang, links waren die Betten, das heißt die Pritschen in drei Etagen und rechts waren die Aufenthaltsräume, die bestanden aus ein oder zwei Tischen und zwei Bänke. Die Betten waren nur Bretter, da lagen wir dann drauf in drei Stockwerken. Ich lag oben, weil ich noch jung war und gut klettern konnte, aber ich konnte nicht gerade sitzen. Das war nur so weit von der Decke weg.... auf so einer Pritsche konnten fünf Mann nebeneinander liegen. ... Die Latrinengebäude, da waren keine Tür dran. ... da waren keine Türen dran 43, die haben sie alle weggenommen, weil sich ein paar Russen da aufgehängt hatten.. Das waren dann zwei Reihen. Hier saß ich und guckte den Mann, der vor mir saß, an. Wir guckten uns ins Gesicht, wenn man da auf Toilette saß. ... Nur abends, nach 10 Uhr, wurde die Tür von der Baracke geschlossen und dann hatte man dieses Reserve-Klo, an jeder Ecke der Baracke war ein Klo. Geplant wurde das Kriegsgefangenenlager Sandbostel bereits, bevor Deutschland in den Krieg zog. Im Mai 1939 begannen die Arbeiten. Die Bauern, auf deren Grund und Boden das Lager entstand, erhielten Pacht; Holz, Mauersteine, Zäune und andere Baustoffe stammten aus der Region, ebenso später Lebensmittel für Häftlinge und Wachmannschaft. Schulklassen machten Ausflüge an den Zaun des Lagers - das, zur besseren Überwachung, von allen Seiten einzusehen war. CUT 08: 1-A) 391-439 3:05 Cottyn: Ganz Sandbostel lebte davon. ... Weil die Männer waren Soldat oder arbeiteten hier als Zivilisten. Volland: Die Gefangenen, die auf den Höfen gearbeitet haben, die wurden hier abgeholt, die marschierten auf die Höfe. Und die Bauern haben das Lager auch beliefert mit Lebensmitteln. Teilweise mussten sie auch die Toten-Transporte übernehmen; mit ihren Pferdefuhrwerken wurden sie verpflichtet, als dieses Massensterben ... Cottyn: Ja, 43 war das gewaltig. ... In 43 hatten Russen Typhus im Lager. Wir wurden versorgt durchs Rote Kreuz, wir bekamen Spritzen. Aber die Russen nicht. Dann sah man jeden Tag aber wirklich von morgens bis abends so einen Bauernwagen mit einem Pferd davor vom Anfang des Lagers fahren bis ganz Ende, wo dann das Tor war zum Friedhof, mit Leichen, die wie Holz auf den Wagen geschmissen waren, meistens nackt, die hatten nichts mehr an. Das hat ein par Wochen gedauert, bis das vorbei war. ... Die haben dieselbe Lebensmittelration wie wir, das heißt Suppe und Brot und so. Das war dasselbe. Nur die bekamen nicht die medizinische Versorgung. Das kam, weil Russland, die Sowjetunion, die war in der Zeit nicht bei der Genfer Konvention. Volland: Ja, damit wurde das offiziell begründet. Die sind auf dem Lagergelände wie die Fliegen gestorben. ... Musik 2: Besonders hart traf es sowjetische Kriegsgefangene. Zwei Drittel von ihnen starben in deutschem Gewahrsam. Zum Vergleich: Unter westalliierten Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft lag die Todesrate bei zwei Prozent. Diese bloßen Zahlen, die Historiker ermittelten, belegen den Hunger, die Seuchen, die Gewalt - die Maßlosigkeit, denen sowjetische Kriegsgefangene ausgesetzt waren; auch im Lager Sandbostel. Roger Cottyn schreibt in seinen Erinnerungen: Zitat: Bei den Sowjets kommt es auch schon mal zu tödlichen Tragödien. Einem Essensträger, der unterwegs strauchelt und dadurch etwas Suppe aus dem Eimer verliert, wird von einem ukrainischen Lagerpolizisten mit einem schweren Schopflöffel der Schädel eingeschlagen. Einige Tage später kommt dieser Lagerpolizist durch einen Unfall ums Leben. Wahrscheinlich hat jemand etwas nachgeholfen. Es kommt vor, das verstorbene Sowjets in der Baracke versteckt werden, um so an ihre Essensrationen zu kommen. Wenn sowjetische Kriegsgefangene das Badehaus verlassen und draußen auf ihre Klamotten warten, sind immer welche von ihnen vor Schwäche umgekippt. Die bleiben liegen, bis der Leichenwagen kommt und sie einsammelt. CUT 09: 1-A) 493-503 0:52 (Volland, draußen) Das ist die Russenküche. Im Hintergrund hören wir die Hunde. Das ist der ehemalige Reiterhof seit 1980 und da ist jetzt eine Tierpension untergekommen. Das ist schon etwas makaber, aber was will man machen. Dort sind auch Hunderte von Menschen zusammengeschossen worden, KZ-Häftlinge, die versucht haben, das Magazin und diese zweite Lagerküche zu erstürmen, um sich da was zu Essen zu ergattern. Da ist dann eingegriffen worden und man hat die Menschen zusammengeschossen. Das war in der Nacht vom 19. auf den 20. April, als die SS abziehen wollte, Unruhe im Lager war, kam es dann eben zu dieser Hungerrevolte. Ein Bild des Grauens bot sich den britischen Soldaten, als sie am 29. April 1945 das Kriegsgefangenenlager Sandbostel erreichten. Zitat: Als unsere Männer das Lager übernahmen, mussten sie über Leichen und Sterbende, die zu schwach waren, sich zu bewegen, steigen; wir fanden sie zu Hunderten in eigenen und fremden Exkrementen liegen, und ihre Körper waren damit verklebt. So erinnerte sich der britische Major Adams, der an der Befreiung des Lagers beteiligt war. Englische Soldaten berichteten von Mengen skelettierter Kadaver. Die, die noch am Leben waren, hätten nicht mehr das Aussehen von Menschen gehabt. Schockiert über die grausamen Zuständen, schickten die Engländer Männer und Frauen aus den umliegenden Dörfern ins Lager. Sie mussten die Kranken pflegen, Baracken säubern, die Toten begraben. Eine erzieherische Maßnahme, die sich als demütigendes Erlebnis ins kollektive Gedächtnis der Gemeinde einbrannte. Und doch verdrängt wurde. CUT 10: 1-A) 506-523 1:09 (Volland, draußen) Als dann die Nachkriegszeit gekommen war, hatte man in diesem Bereich in den 50er-Jahren junge Männer aus der DDR, Flüchtlinge untergebracht und in dem Zusammenhang ist dann dieses Gebäude erweitert worden und auch zu anderen Zwecken genutzt worden. Da konnte man dann Tischtennis spielen und so etwas. ... Die waren relativ kurz hier, die mussten einen umfangreichen Laufzettel absolvieren und wurden gründlich befragt und untersucht und am Ende in der Regel in die Arbeit vermittelt. Hier waren auch die Landesarbeitsämter vertreten und sie fanden in der Regel Arbeit in Westdeutschland oder sie kamen in Pflegefamilien, es waren ja auch vierzehnjährige, die mussten erst noch zur Schule. Da wurden Familien gesucht, Die meisten waren aber schon ein bisschen älter. Die kamen in Westdeutschland dann unter. Klaus Volland, der Vorsitzende des Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel, kämpft seit 20 Jahren für den Erhalt dieses Ortes, an dem sich unterschiedliche Kapitel deutscher Geschichte fokussieren: das Grauen des Krieges, die Teilung Deutschlands, der Umgang mit der Vergangenheit. CUT 11: 1-B) 69-121 2:00 (Cottyn, Volland; windig) Cottyn: Dieses Denkmal ist gesetzt worden, ist das vier oder fünf Jahre her? Volland: 2003, also sieben. Cottyn: Schon sieben Jahre her, durch eine belgische Familie. Der Vater war hier als Kriegsgefangener. Die Familie, das sind Steinmetze. Die haben das hier gestiftet. Volland: Wir hatten damals uns entschieden, bei der jährlichen Gedenkfeier die belgischen Häftlinge und Kriegsgefangenen zu thematisieren. In dem Zusammenhang ist im Februar 2003 Herr Kooks. Cottyn: Wir sagen Kocks ... Volland: nach Bremerförde gekommen. ... Wir haben den Text überlegt, dann ist dieser Stein gemacht worden und von der Familie mit aufgestellt worden. Ja: "Allen Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, die im Lager Sandbostel gelitten haben und gestorben sind, zum ehrenden Gedenken.". Da gab es anfangs noch Schwierigkeiten, die Leute hatte Probleme mit dem Begriff KZ-Häftlinge hier zu akzeptieren. ... Man durfte lange Zeit nicht vom KZ-Sandbostel sprechen. Es ist auch ein KZ gewesen, aber im wesentlichen ein Kriegsgefangenenlager. ... Inzwischen wird geradezu formelhaft gesprochen vom Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager Sandbostel. Vor der Lagerkirche, die nach dem Krieg errichtet wurde, in jenen Jahren, als im Lager NS-Größen und SS-Offiziere interniert waren, steht seit 2003 der Gedenkstein. Die Inschrift erinnert an das Leiden und Sterben der Kriegsgefangenen und KZ- Häftlinge im Lager Sandbostel. Sind im Lager Verbrechen passiert, Menschen wie in den KZs systematisch ermordet worden? Im Dorf wiegelt man ab. Natürlich, die Kriegsgefangenen hätten auf Bauernhöfen gearbeitet, wo sie die Söhne und Väter ersetzten, die im Krieg dienten. Ja, die Lagerinsassen wurden auch in der Rüstungsindustrie eingesetzt, das will man nicht verkennen. Auch sind Menschen zu Tode gekommen, vor allem in den letzten Jahren und nach der Hungerrevolte. Aber letztendlich - so der Tenor im Dorf - seien sie an Mangelerscheinungen gestorben und keineswegs systematisch ermordet worden. CUT 12: 2-A) 412-415 0:10 (Ehresmann) Das ändert sich, wobei man sagen muss, von den Höfen, von der landwirtschaftlichen Bevölkerung ist nie infrage gestellt, dass es diese Zusammenarbeit gab. Andreas Ehresmann, Historiker und Gedenkstättenleiter der Stiftung Lager Sandbostel. Im Dezember 2004 wurde sie gegründet. Das Land Niedersachsen ist an der Einrichtung beteiligt, die Gemeinde Sandbostel und der Gedenkstättenverein. 3,2 Hektar des ehemals 35 Hektar großen Lagergeländes wurden erworben. 11 historische Gebäude stehen auf dem Areal der Gedenkstätte. CUT 13: 2-A) 415-427 1:06 (Ehresmann) Letztendlich hatten alle Höfe Kriegsgefangene, das ist gar nicht umstritten. Wir kennen viele Besucher, die erzählen, wir hatten auch unseren Russen, Franzosen. Was dann auch kommt, ist das gängige Sujet, dem ging es gut, der hatte was zu essen, der durfte am Tisch sitzen. Wobei wir wissen, dass es in der Tat so war, dass es vielen gut ging. Wir kennen auch das Gegenbeispiel, wo die grausam behandelt wurden und wenig zu essen bekamen. Es gibt eben beide Seiten. Nachdem wir vermitteln konnten, uns geht es nicht darum, alle per se anzuklagen, sondern die Geschichte aufzuarbeiten und alle Facetten darzustellen, auch die Facetten, die schmerzhaft sind, aber auch die, wo man in der Tat sagen kann, ja wir haben hier ein Beispiel, dem ging es gut, der hat mehr zu essen gekriegt. Seitdem das angekommen ist, habe ich den Eindruck, dass wir anders wahrgenommen werden. Andreas Ehresmann, der Gedenkstättenleiter, hat sein Büro behelfsmäßig in den Räumen einer ehemaligen Hausmeisterwohnung eingerichtet. In den übrigen Zimmern ist die Ausstellung zu sehen. Das schmucklose Flachdach-Gebäude war in den 50er-Jahren das katholische Gemeindezentrum im DDR-Flüchtlingslager. Musik 3: Roger Cottyn, der 90jährige früherer Kriegsgefangene nimmt sich eine kleine Verschnaufpause. Die Gedenkstättenmitarbeiterin Dörthe Engels führt ihn in den Seminarraum. Roger Cottyn zeigt ihr einige Erinnerungsstücke. CUT 14: 2-A) 493-515 5:05 (wird auf max. 2:30 gekürzt) Das ist meine Erkennungsmarke. ... Und die haben Sie immer um den Hals getragen? Mussten wir um den Hals tragen. Und wenn ich bei den Bauer arbeitete und im Sommer, wenn es schön heiß war, das war lästig, dann haben wir das in die Hosentasche gesteckt. Ein Wachmann haben wir gehabt, der hat uns dann wirklich zur Sau gemacht, wie das so schön heißt auf deutsch, weil wir die Erkennungsmarke nicht am Hals hatten, sondern in der Hosentasche. Sagen Sie, was ich Sie fragen wollte, im Sommer 45 hatte Sie da mal nicht genug von der Armee? Warum haben Sie sich entschieden, dass Sie bei der Armee bleiben? Das ist eine sehr gute Frage. Wenn ich wieder nach Hause kam, da sagte mein Vater zu mir, jetzt hast du schon acht Jahre Dienst, wenn du noch zwei Jahre machst, kannst du in Pension gehen. Mit Mitte 20? Das ist so ein Traum gewesen, mit 10 Jahren in Pension zu gehen. In Belgien war das so, man konnte bleiben, weil ich in der Zeit Berufsunteroffizier geworden, das heißt, ich war dann Oberwachtmeister. Dann wurde man 56 Jahre und man wurde automatisch pensioniert. Das ist ein Porträt von einem der Russen, mit denen ich gearbeitet. Dann hat er mich so gezeichnet. Es scheint, dass ich das bin. Sagen Sie, diese Mütze, als Sie in Gefangenschaft waren, haben Sie bis zum Ende des Krieges diese Mütze gehabt? Immer. Und die musste man immer tragen? Die musste Man immer tragen, selbst wenn man arbeitete beim Bauern, damit man von weitem uns ansehen konnte, das ist ein Gefangener. Auf dem Rücken stand mit weißer Farbe KGF - Kriegsgefangener. Das war am Anfang. Als die Farbe weg war, ist keine neue drauf gekommen. Haben Sie noch Kontakt zu anderen Kriegsgefangenen? Nicht mehr, die sind alle tot, gestorben. Wie war das eigentlich, wenn man auf einen Bauernhof angekommen ist? Da kam dann die Bäuerin raus, die hatte vielleicht noch ein paar Kinder. Dann hat man sich begrüßt und ... Begrüßt? Und dann gings los? Ja, wie ist das. Man kommt auf den Hof. Männer waren nicht da. Die waren im Krieg Die waren Soldat. Da war meistens ein Opa und eine Oma, dann die Bäuerin. ... Naja, ich kann nicht sagen, dass wir da herzlich empfangen wurden, aber man sagte, das wird gemacht und das, da stehen die Kühe, da die Pferde, da die Kälber. Du kannst da pflügen gehen oder dort eggen. Das war dann in 1942, da wurden wir offiziell durch einen Fotograf fotografiert. Jeder mit unserer Nummer drauf. Sie sind der hier? Das bin ich , ja ... Da sieht man, dass die Zeichnung von vorhin sehr gut getroffen ist. Das war ein guter Zeichner. Ja,ja Die Gedenkstätte mit ihren wieder hergerichteten Baracken liegt im hinteren Teil des noch existierenden Lagergeländes. Vorne, im ehemaligen Eingangsbereich des Lagers, wo die Werkbaracken standen - heute sind sie abgerissen -, ist das Wasserwerk noch zu erkennen. Die Entlausungsbaracke ging in den Besitz einer Holzhandlung über. In die Kommandantur und in das Gebäude des Lagergefängnisses zog die Straßenmeisterei des Landkreises ein. Gewerbegebiet oder Gedenkstätte? Von einem Ort der Ruhe, der Besinnung und des Gedenkens kann im Eingangsbereich des früheren Kriegsgefangenenlagers kaum die Rede sein. CUT 18: 1-B) 491-496 4:33 Volland: Es ist ja in gewisserweise ein Glück, dass das Lager nachgenutzt worden ist, sonst würde hier ja nichts mehr stehen. 1974 ist das Gelände ja nun zum Gewerbegebiet gemacht worden, das heißt, das was noch mit Baracken bestanden hat. Seitdem haben sich hier eine Reihe von Firmen angesiedelt, die ihren Interessen hier eben nachgehen. Cottyn: Da Schneiderei, Schusterei, eine Trennerei, da wurden die Sachen, die ankamen, auseinander genommen und damit wurden andere repariert. ... und da kam das Zeug, das repariert war, gelagert. Das war für den ganzen Bezirk, für X B (LKW fährt vorbei) Schräg gegenüber waren wieder Werkstätten für die Leute, die im Lager waren. Volland: Mein Wunsch wäre, wenn man, wie wir es jetzt auch machen, stehen kann auch mit Gruppen und sagen, ja das ist auch ein Teil des Lagers gewesen, da war die Entlausungsanstalt. Cottyn: Man muss ja auch ein wenig realistisch gucken. Überall haben sie (LKW fährt vorbei) alles, wo früher Kriegsgefangenenlager war, verschwinden lassen. Ich bin schon froh, selbst wenn hier so profane Gebäude sind, dass man hier doch noch ein Stück von unserem Lager bewahrt haben. Das Kriegsgefangenenlager Sandbostel: Spuren in der Provinz. Die allermeisten Deutschen hatten Gefallen gefunden an Hitlers Übergriffen und billigten das Vorgehen der Wehrmacht und der SS. Da machten die Sandbosteler keine Ausnahme. Was sie von anderen unterscheidet, ist der Umstand, dass sichtbare Reste eines NS-Lagers direkt vor ihrer Haustür liegen. So sehen sie sich überrollt; manchmal an den Pranger gestellt. Klaus Volland, der Vorsitzende des Gedenkstättenvereins, dem der Unmut vieler Sandbosteler gilt, fühlt sich am Firmenzaun des Holzhändlers spürbar unwohl. Im hinteren Teil der Anlage, dort, wo die Dokumentations- und Gedenkstätte entsteht, ist man unter sich. So wird es auch Ende April sein, am 29., wenn die Befreiung des Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers Sandbostel gefeiert wird. Wenn auch Roger Cottyn zurückkehrt an die Stätte seiner fünfjährigen Gefangenschaft. 11