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Da sitzt der große, stämmige Südafrikaner weit nach vorn gebeugt am Steuer seines Geländewagens, fährt langsam durch das große Zeltlager auf dem Universitätsgelände im stark zerstörten Stadtteil Carrefour, im Süden von Port-au-Prince. Atmo 2; De Friss / Text auf Atmo I wanna cry ... Autor: Die Situation im Lager bringt ihn, diesen Riesen, immer wieder an den Rand seiner Kräfte. Ein Zelt dicht neben oder hinter dem anderen. Dazwischen immer wieder ein paar grüne Flächen. Dort wurden bereits erste Zelte abgebaut, die Menschen konnten zurück auf ihre Grundstücke in eine nahegelegene Siedlung, in der De Friss für die freikirchliche Hilfsorganisation ADRA immer neue Hütten aus Press-Spanplatten baut, sogenannte Shelter. Jede einzelne 14 Quadratmeter groß und auf einem erhöhten Betonfundament, erbeben- und hurrikansicher. O-Ton de Friss (OV); take 1: Wir haben errechnet, dass die Menschen hier vorher auf rund 10 Quadratmeter gelebt haben, jetzt haben wir vier Quadratmeter mehr, also verbessern wir ihre Situation. Wir geben ihnen ein Dach über dem Kopf, stärken damit die Gemeinschaft. Das, was wir machen, ist nicht nur ein Shelter bauen, es ist die Entwicklung einer ganzen Gemeinde. Wir möchten, dass es den Menschen besser geht als vorher. Und ich garantiere ihnen, sie werden nicht nur ein Jahr in den Sheltern wohnen, sondern viel viel länger. Atmo 3; Siedlung / Text auf Atmo Bon soir, bon soir Autor: Die Siedlung liegt hinter einem dicken Stacheldraht. Zwischen eingestürzten Hauswänden und Wellblechhütten, stehen die grün, rot oder gelb gestrichenen Unterkünfte, manche mit Gardinen im Fenster, Wäscheleinen von Tür zu Tür. Vor einer dieser Hütten sitzt Marie Lucie Joseph, 58 Jahre alt, eine große Frau in Unterhemd und Wickelrock. Sie verliert beim Beben 2 Enkelkinder, ihr Haus und ihren Marktstand mit all ihren Waren. Bis vor ein paar Wochen lebte sie in einem Zelt. O-Ton Marie-Lucie (OV); take 2: Wir sind sehr dankbar, dass man uns diese schönen Häuser gebaut hat. Autor: ... sagt sie und hat genau genommen sogar zwei Dächer über dem Kopf. Zwischen den beiden Hütten hat Marie-Lucie eine Plane gespannt und jetzt so etwas wie einen Flur. Dort steht auf einer Kommode eine große Schüssel für den Abwasch, daneben liegen Seife, Haargel, Bürsten. Atmo 4 / Text auf Atmo Autor: Wenig später kommt De Friss an einer Werkhalle vorbei, grüßt seine haitianischen Mitarbeiter. O-Ton De Friss (OV); take 3: Jeder einzelne hier hat eine sehr wichtige, verantwortungsvolle Aufgabe. Das ist mein Team, das sind alles meine Leute. Ich liebe mein Team! Autor: Wir lieben dich auch, ruft einer der Männer. Autor: Zweieinhalb Jahre später, knapp drei Jahre nach dem Beben. Ob Marie- Lucie noch immer in der Siedlung, noch immer in ihrem Shelter wohnt? Ihre Kinder vielleicht in die Schule gehen, die die Helfer von ADRA inzwischen auf das Universitätsgelände nebenan gebaut haben? Ketteline weiß es nicht. Und will auch nicht hinfahren, um zu gucken. Dieser Teil von Carrefour ist ihr momentan zu gefährlich, sagt sie nur. Die vielen Zelte auf dem Uni-Campus aber, die ihrem Kollegen damals die Tränen in die Augen trieben - sind weg. O-Ton Ketteline (OV); take 4: Die sind alle weg. Wir haben genau ein Jahr gebraucht, um die Shelter zu bauen. Und um die Menschen dann aus den Zelten in die Häuser umzusiedeln 15 Tage. Die anderen, die Geld von der Regierung bekommen haben, um sich eine Wohnung zu mieten - wo die alle sind, das weiß ich nicht. Atmo 5 / Text auf Atmo Over there were tents, now there is zero. Autor: Weiter vom Campus ins ADRA-Dorf. Atmo 6 Fahrt & 6a Village / Text auf Atmo We call this village, because we built ... Autor: Eine Shelter-Siedlung nur ein paar Kilometer entfernt. Dort hat die Hilfsorganisation in unmittelbarer Nachbarschaft einer Petroleum- Fabrik mehr als 100 Hütten auf einen Schlag gebaut und direkt davor einen Container gesetzt, in dem eine Schule untergebracht ist. Daneben eine Wasserstelle und Latrinen. In drei Längsreihen stehen die quietschbunten, frisch gestrichenen Hütten da. Direkt ans Wasser gebaut. Auf den ersten Blick ein schönes, buntes Vorzeigeprojekt, das ein paar hundert traumatisierten Frauen, Männern und Kindern ein Dach über dem Kopf gibt. O-Ton Ketteline (OV); take 5: Die Häuser dieser Menschen waren total zerstört, sodass sie auf der Straße lebten. In einer riesigen Erdspalte, gleich hier um die Ecke. Ein Jahr lang in Zelten. Autor: Bis sie im Januar 2011, am 1. Jahrestag des Bebens, in die Shelter zogen. Damals kam auch Carrefours Bürgermeister. Der Mann, der mit ADRA dafür verantwortlich ist, dass die Menschen hier in einer Todesfalle sitzen, wenn der nächste große Wirbelsturm über Port-au- Prince fegt. So nah, so ungeschützt stehen sie da. "Wir haben dem Bürgermeister gesagt, dass das Grundstück viel zu dicht am Wasser liegt", rechtfertigt sich Ketteline energisch, "die Leute hier unmöglich länger bleiben können." Dann aber ist ihre Organisation offenbar eingeknickt. Einen Plan B gibt es nicht. O-Ton Ketteline (OV); take 6: Bis jetzt haben wir keine Pläne, kein Projekt, um sie umzusiedeln. Das größte Problem ist Land. Weil sie auf der Straße gelebt haben, können die meisten von ihnen nicht nachweisen, dass sie irgendwo Land besitzen. Autor: "Natürlich, habe ich Angst vor dem Wasser", sagt Modeleine, eine junge Frau, die auf einem Stuhl vor ihrer Hütte sitzt und an einer Zuckerrohrstange knabbert. Sie will aber mit ihrer Familie in der Hütte, die die Helfer für sie gebaut haben, bleiben. Immer noch besser als in einer Erdspalte. "Wir warten einfach", sagt sie, "ADRA wird sich schon kümmern ..." Sätze wie diese machen Ketteline richtig wütend. Die Projektleiterin dreht sich demonstrativ weg, stemmt die linke Hand in die Hüfte, zeigt mit der Rechten auf eine Gruppe Kinder und einen flachen Containerbau keine 50 Meter weiter - die Schule. O-Ton Ketteline (OV); take 7: Wir haben die Schule gebaut, sie ist umsonst, sie zahlen nichts, warum lungern all diese Kinder hier um diese Tageszeit rum? Warum? Der Unterricht läuft gerade. Ich weiß es nicht. Weiß nicht mehr, was wir tun sollen. Autor: Kettleline scheint sich regelrecht für ihre Landsleute zu schämen. Dafür, wie passiv, wie abhängig viele die ganze Hilfe macht. Atmo 7; Schule / Text auf Atmo Autor: An der Wand im Klassenzimmer hängen Poster, auf denen steht, wie man sich vor Cholera schützt und, dass man beim Hurrikan schnell weglaufen soll von der Küste. Da es kein einziges Schulbuch gibt, betet Avegelaine Despierre immer wieder dieselben Vokabeln, die sie vorher an die Tafel geschrieben hat, vor - und die Schüler sprechen ihrer Lehrerin laut nach. ADRA sorgt für Hefte, Stifte und einen Rucksack, zählt Ketteline auf. Bücher, so der Deal mit dem Bürgermeister, würde die Kommune subventionieren, vorausgesetzt die Eltern geben etwas dazu. Doch das tun sie nicht. "Wir haben wirklich alles versucht, sie zu ermutigen", sagt Ketteline. Leider ohne Erfolg. Atmo 7; Schule / Text auf Atmo Autor: Seit 3 Monaten werden Avelaigne Despierre und ihre Kolleginnen nicht mehr bezahlt. Ketteline quittiert das nur noch mit einem Schulterzucken. O-Ton Ketteline (OV); take 8: Die Abmachung mit dem Bürgermeister war. Wenn er die Lehrer zahlt, dann bauen wir ihm die Schule, statten sie aus. Das hat er uns garantiert, also haben wir gebaut. Autor: Hütten direkt am Wasser - für Familien, die Angst vor Sturm und Wasser haben. Eine Schule ohne Bücher. Mit Lehrern, die für ihre Arbeit nicht mehr bezahlt werden. Anton de Friss, der zupackende Südafrikaner, würde wahrscheinlich weinen, wenn er das hier sehen könnte. Doch er ist längst weg, wie so viele der Helfer. Atmo 9; Terasse (Archiv) / Text auf Atmo Autor: 3 Jahre nach dem Beben, bei dem 250.000 Menschen starben, ist der Ausnahmezustand längst vorbei. Leichen und Mauerteile sind weg. Vor allem das Areal um den Präsidentenpalast, wo am 12. Januar 2010 der gesamte Staat geköpft wurde, 13 von 15 Ministerien einstürzten, ist weitgehend frei von Trümmern. Und dennoch leben noch immer rund 350.000 Menschen in Zeltstädten zwischen Müll, Ratten, Schweinen und überlaufenden Toiletten. Und das trotz elf Milliarden Dollar, die angeblich bei Geberkonferenzen und Spendengalas gesammelt wurden. Egal wie viel Geld in den kaputten Staat gepumpt wird: 80 Prozent der Haitianer leben nach wie vor von weniger als zwei Dollar am Tag und einen festen Job hat höchstens jeder dritte. Gleichzeitig steigen die Preise für Mieten und Lebensmittel. Der Wiederaufbau hat in den Augen von Michèle Duvivier Pierre-Louis, ehemalige Premierministerin des Landes, noch gar nicht richtig begonnen. Sie findet, dass in Haiti vor allem staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen fehlen. O-Ton Pierre-Louis (OV); take 9: Hast du einen schwachen Staat, dann hast du eine schwache Zivilgesellschaft. Und in einem Staat wie Haiti, in dem wir lange eine Diktatur hatten und alle Dinge, die eine starke Zivilgesellschaft ausmachen, unterdrückt wurden, dauert es naturgemäß lange, bis diese erstarkt. Autor: Die groß gewachsene Frau mit dem klaren Blick sagt das am Rande einer Konferenz der Welthungerhilfe. Auf der Terrasse des Hotels Montana, hoch oben in dem Vorort Pétionville. Wo sich wie früher Diplomaten und Helfer treffen und darüber diskutieren, wie man dem Elend unten in der Stadt begegnet. Pierre-Louis fordert vor allem eins für ihr Land: Zeit. Und richtet ihren Appell an die Helfer. O-Ton Pierre-Louis (OV); take 10: Die Weltbank hat Haiti einen Friedhof der Hilfsprojekte genannt und genau das ist es! Du kommst, glaubst die Antwort zu haben, hast ein kleines Projekt hier, ein kleines dort. Und nach ein, zwei Jahren bist du wieder weg. Und du glaubst ernsthaft, dass die Leute im Land mit dem, was du angefangen hast, weitermachen und es aufblühen lassen? Vergiss es! In der wirtschaftlichen und sozialen Situation, in der sich Haiti befindet - eine Gesellschaft, die regelrecht marginalisiert wurde und in der die Menschen jetzt für sich in Anspruch nehmen endlich mitzureden und zu partizipieren - das braucht ganz einfach Zeit. Autor: Das meiste Geld sei an den lokalen Institutionen vorbei geflossen. Auch weil ein Teil der Hilfsorganisationen von Anfang an keine Lust hatte, sich zu koordinieren. Weder mit den Haitianern noch mit der UN, die seit 2004 im Land für Ordnung sorgen soll. Was zählte, waren schnelle, sichtbare Erfolge. Und dabei kommt dann manchmal eben auch so etwas heraus wie das Shelter-Dorf direkt am Wasser. Oder Notunterkünfte in einem Hochwassergebiet, eine NGO baute sogar welche in eine Schlucht. Von Michel Martelly, dem Sänger und neuem Präsident Haitis, hält die Ex-Premierministerin nicht viel. O-Ton Pierre-Louis (OV); take 11: Dieses Land braucht eine politische Führung, die den Mut hat sich eine Auszeit zu nehmen um darüber nachzudenken, was müssen wir tun, damit unsere Kinder in zehn, fünfzehn Jahren ein anderes Land vorfinden. Diese Führung haben wir momentan nicht. Autor: Das einzige, worauf sich das Land wirklich verlassen kann, sagt sie schon fast zynisch, ist, dass kleine Erfolge immer wieder von neuen Katastrophen aufgefressen werden. Atmo 9; Terrasse / langsam raus - kurz trocken Autor: Nach dem Beben schleppten vermutlich nepalesische Soldaten der UN zuerst die Cholera ins Land, mehr als 7000 Menschen starben. Dann fegte im August 2012 erst Hurrikan Isaac, drei Monate später Hurrikan Sandy über die Karibikinsel. Haiti war da längst aus den Nachrichten verschwunden, die Welt schaute auf New York, nicht nach Haiti. Den Süden der Insel, die Region Jacmel, wo Sandy am schlimmsten wütete, erreicht man 4 Wochen später nur mit dem Flugzeug. Atmo 10; Flugzeug / Text auf Atmo Autor: Jean Véa Dieudonné steht auf einem angespülten Betonpfeiler, deutet über das Tal. Der Mitarbeiter der Welthungerhilfe lacht ein bisschen irre, als er beschreibt, wie es hier noch vor gut vier Wochen aussah. Atmo 11, Teil 1; stehen lassen Kleine Häuser mit Gemüsegärten, Felder mit Bohnen, Plantagen mit Bananen und Bewässerungsgräben liegen da noch friedlich am Ufer des Flusses Marigot. Atmo 11, Teil 2; stehen lassen The river was so high ... 40 meters. Autor: Bis Wind und Wassermassen alles wegreißen. Straßen, Häuser, 80 Prozent der Ernte. Und das 40 Meter breite Flussbett in einen 200 Meter breiten reißenden Strom verwandeln. Atmo 12; Steine / Text auf Atmo Autor: ... und eine gigantische Spur mit Steinen hinterlässt. Mittendrin im Geröll: 50 Männer und Frauen mit weißen Helmen und knallgrünen T-Shirts. Die Bauern und Bäuerinnen von Jacmel. Sie wollen ihre Felder zurück. O-Ton Jean / OV; take 12: Die Leute suchen die alten Bewässerungsstrukturen und versuchen sie von dem Geröll zu befreien. Sie wollen so die alten Kanäle wiederherstellen, genauso wie eine alte Wasserentnahmestelle. Autor: Und das mit bloßen Händen. Denn sie hoffen, dass der Boden, in den sie ihre Keimlinge eingesetzt haben, noch da ist, nur zugedeckt und nicht mit abgetragen wurde. Nur so können sie bald wieder ernten. Die Zeit, sie drängt. Atmo 12; Steine / Text auf Atmo Autor: Die kleinen Steine runter ins Flußbett, die großen nach oben, als Uferbefestigung. Bei 40 Grad Hitze wirkt das wie eine Strafarbeit. Für viele der Frauen und Männer ist das Nothilfe-Projekt der Welthungerhilfe aber die einzige Chance, in den nächsten Monaten zu überleben. "Cash for work" steht auf ihren T-Shirts. Und der Name ist Programm. Am Ende des Tages bekommt jeder, der mitmacht 400 Gourdes - das sind 5 Dollar. Damit können sich die Männer und Frauen auf den lokalen Märkten Lebensmittel kaufen. Und später Saatgut für ihre Felder. Atmo 12; Steine / blenden in Atmo 13 Autor: Das eigentliche Problem liegt weiter oben in den Bergen, sagt Beate Maaß, Projektleiterin bei der Welthungerhilfe. Und es ist hausgemacht. Die 37jährige sitzt in einem weißen Geländewagen, der von Marigot ins hundert Kilometer entfernte Petit-Goave steuert, quer über ein gebirgiges Relief. Haiti ist fast nackt, erklärt Maaß, nur noch zwei Prozent der Fläche sind bewaldet. Die kleine, grüne, glückliche Insel von einst ist ökologisch zerstört. Die Bergwälder wurden fast komplett abgeholzt. Regen bleibt aus und wenn es regnet, wird der letzte Rest fruchtbaren Bodens ins Meer geschwemmt. Dabei nehmen Wasser und Schlamm alles mit, was sich ihnen in den Weg stellt. Und das ist fast immer die Siedlung Nan Sinistré. Weil sie direkt an der Biegung eines Flusslaufes liegt. O-Ton Maaß; take 13: Es ist so, dass hier das Wasser mit einer unvorstellbaren Macht runterkommt und regelmäßig diese Gemeinde hier überflutet. Atmo 13; Klettern Autor: Deshalb braucht es Schutzwälle wie diesen, sagt Maaß und klettert, in der Siedlung angekommen, eine Böschung mit Müll hinab. Sie zeigt auf riesige mit Steinen gefüllte Drahtkörbe, aufeinander gestapelt wie eine Treppe für einen Riesen. "Hat gehalten", sagt sie und findet, dass 30.000 Euro Hilfsgelder hier gut investiert sind. Viel wichtiger aber sei es, dass endlich die Ursachen bekämpft werden. O-Ton Maaß; take 14: Das sind alles nur die Bekämpfungen von den Symptomen. Die eigentliche Arbeit, die man machen muss, sind die Erosionsprojekte oben in den Bergen. Das Problem liegt höher und das ist ja der Grund, warum diese Wassermassen hier so ungebremst ankommen und auch so viel Erde mit sich bringen. Atmo 14; Aufbruch Autor: Seit März 2012 arbeiten wir an einem solchen Projekt erzählt Maaß und schwingt sich wieder in den Jeep. Nach über 2 Jahren in diesem kaputten Land sprüht sie nur so vor Energie und Idealismus. "Wenn ich hier keinen Fortschritt sehen würde", sagt sie, "wäre ich längst weg." Atmo 15; Fahrt zum Pilothaus / Telefonat Autor: Jetzt geht es in die Berge. Der Wagen legt sich quer, quält sich die rote Sandpiste hinauf, im Slalom um tiefe Risse und Erdrutsche. Alles Spuren von Sandy. Nach dem Beben 2010 waren die Häuser fast aller Familien hier oben zerstört. Die Menschen zogen in Zelte. Bis die Welthungerhilfe für 110 von 180 Familien Shelter baute. O-Ton Maaß; take 15 Wir haben die Technik geändert, bauen jetzt nicht mehr mit Sperrholz, sondern mit einem Bambussgeflecht was wir dann mit einem Zementmörtel verputzen. Das ist leichter zu transportieren und sehr solide und hält viel viel länger als reine Holzhäuser. Autor: Vor einem möchte sie unbedingt halten. Ein 19 Quadratmeter Eigenheim, taubenblau-gelb gestrichen. Es liegt gegenüber einer zerstörten Schule auf einem Plateau. Auf der gelben Hauswand prangt eine große blaue Nummer 1. Das Neue an dem Haus ist die Konstruktion des Verandadachs. Separat mit Sollbruchstelle montiert - und nicht direkt mit dem Dach des Hauses verbunden. Ein System, das sich bei Sandy bewährt hat. O-Ton Maaß; take 16: Die Veranda ist weggeflogen, die haben wir ganz da unten wiedergefunden, aber das Haus ist stehen geblieben und das Dach ist vor allem stehen geblieben und das war für uns jetzt positiv. Autor: Die Familien hier oben, erzählt Maaß, sind keine passiven Hilfsempfänger. Sie müssen beim Bau ihrer Häuser richtig mit anpacken. O-Ton Maaß; take 17: Wir laden das Material da ab, wo man mit dem LKW hinkommen kann. Und die Familie ist dafür zuständig das ganze Material dahinzubringen. Bei den Latrinen hilft die Familie mit das Loch auszugraben, also wir haben verschiedenen Elemente. Autor: Nur so identifizieren sich die Leute auch später mit ihrem Haus, sagt sie und ist in Gedanken schon längst beim nächsten Projekt. O-Ton Maaß; take 18: Wir wissen, dass wir damit noch keine Hilfe zur Selbsthilfe im eigentlichen Sinn machen. Es gibt Familien, wo es ausgereicht hat, ihnen dieses Haus zu geben, die sich inzwischen wieder ökonomisch so weit gefangen haben. Es gibt andere Familien, denen es noch immer sehr schlecht geht. Und deswegen haben wir hier in der gleichen Region ein Komplementärprojekt, wo wir jetzt Gemüsegärten anlegen werden, wo wir Aktivitäten mit Frauengruppen machen und wo es genau darum geht, Aktivitäten zur Einkommensschaffung zu machen. Atmo 16; Place St. Pierre / Text auf Atmo Autor: Endlich wieder ein Einkommen, danach sehnt sich auch Raymond Blaise. Deshalb lungert der kleine, schmale Mann mit den traurigen Augen den ganzen Tag am Place Saint Pierre in Pétionville rum, jenem Vorort von Port-au-Prince, der vom Beben einigermaßen verschont blieb und sich deshalb zum neuen kommerziellen Zentrum entwickelt hat. Raymond trägt ein frisch gebügeltes Hemd und hofft hier den Bürgermeister zu treffen, der ihm vielleicht einen Job als Fahrer oder Wachmann zuschanzt. O-Ton Raymond (OV); take 19: Ich bin Fliesenleger. Habe aber momentan keinen Job. Einen Monat kann ich noch die Miete zahlen. Meine Vermieterin hat mir schon angedroht, mich rauszuschmeißen. Was nächsten Monat ist, ich weiß es nicht. Dabei hat uns die Regierung doch versprochen, dass sie uns helfen will. Sie versprach uns Arbeit und Unterstützung. Aber bisher kam nichts. Autor: Die Hilfsorganisation World Vision zahlte ihm 600 Dollar dafür, dass er mit seiner Familie den Platz verlässt. Damit war das Problem für die NGO gelöst. Und Raymonds Probleme fingen an. Die Hilfe wurde zur Last. Denn 600 Dollar, das ist gerade genug für 6 Monate Miete in einem Rohbau ohne Strom und fließend Wasser, in dem er jetzt allein lebt. Seine Frau und seine drei Kinder hat Raymond aufs Land geschickt. Port-au-Prince ist zu teuer. Atmo Saint Pierre / Text auf Atmo Autor: Gleich dort, sagt Raymond und deutet auf das Beet, auf dem das Zelt seiner Familie stand. Dort packte er alles, was beim Beben übrig blieb, in Tüten und zog in das gemauerte Haus ein paar Kilometer weiter. Und kann sich seitdem vor lauter Angst wieder herauszufliegen kaum über das bisschen mehr Privatsphäre freuen. Im Zelt, sagt er leise, da ging es uns eigentlich besser. Wir hatten Wasser, Elektrizität. Manchmal gab uns die Hilfsorganisation ein bisschen Geld, damit wir uns Essen kaufen konnten. Wenn er nicht ganz bald Arbeit findet, weiß er, wird er genau dort wieder landen. In einem Zelt. O-Ton Raymond; take 20: Ja, wenn ich die Miete nicht zahlen kann, muss ich wieder zurück. Zurück in ein Zelt. Autor: Wieder auf dem Boden schlafen, wie nach dem Beben. Wie ein Tier, zwischen all den anderen Menschen und dem vielen Müll. Mit einer Familie, sagt er, braucht man doch ein Haus und Arbeit. ENDE 2