COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Deutschlandrundfahrt - 23.6.2007 ?Die Bluthochzeit von Magdeburg. Spuren des Dreißigjährigen Krieges.? Von Sabine Korsukéwitz O-Töne über die Musik O 1 Otto Meine Frau stand hier mal vorm Kloster, als zwei alte Damen , die offenbar mit einem Reisebus hierher kamen, verzweifelt mit dem Stadtplan hantierten und sagten: Ja wo ist denn hier eigentlich die Altstadt?! O 2 Polte (44) Wenn irgendetwas sich positiv in der Stadt verändert hat, dann sagt ein Magdeburger: Na ja, da kann man nicht meckern. Und da klingt schon wieder so ein bisschen der Wunsch mit: eigentlich schade, ich hätte lieber gemeckert. O 3 Max Naja, wir fühlten uns ziemlich sicher und dachten: Der König von Schweden kommt und da haben wir ganz viele Soldaten ? ach, die Söldner, die schaffen wir schon! O 4 Elsner Hier in der Johanniskirche manifestiert sich der Überlebenswille der Magdeburger auf jeden Fall. O 5 Quast Auf dem Hauptbahnhof war ein Waggon angekommen mit einer Wagenladung ... auf dem Packzettel stand: ?Schlagstöcke, extralang.? Sprecher v.D.: Magdeburg ?Die Bluthochzeit von Magdeburg. Spuren des Dreißigjährigen Krieges.? Eine Deutschlandrundfahrt mit Sabine Korsukéwitz Opener Musik schnell übergehen lassen in Musik 1 Musik 1 (Instr.,moderne Klassik,drohende Stimmung, bleibt unterm Folgenden variierend, mal leiser, mal lauter) Interpret: Junge deutsche Philharmonie Titel: Konzert für Klavier und Orchester CD: Konzerte ?Masse und Individuum? Track: 2 Komponist: Hermann Keller Text: - LC/Best.-Nr.: k.A. / BMG 74321735542 DLR-Archiv#: 50-12 179 Autorin Dreißigjähriger Krieg ? Evangelische Fürsten gegen den katholischen Kaiser, Frankreich, Spanien, Schweden, die Niederlande und das Königreich Dänemark tragen auf deutschem Boden einen hegemonialen Konflikt aus. 20.Mai 1631: Seit Monaten schon belagert das kaiserlich-katholische Heer die protestantische Feste Magdeburg. Das Land ringsumher ist ausgeplündert und kahl gefressen, die Elbbrücken verbrannt. General Tilly hält die Stadt im Würgegriff. O 6 Elsner In dieser frühen Morgenstunde, wurde schon seit vier Uhr im Rathaus darüber diskutiert, ob man nicht doch das allerletzte Kapitulationsangebotannehmen sollte. Der Falkenberg hat die Magdeburger dann um Kopf und Kragen geredet, er hat die Magdeburger mit Durchhalteparolen besoffen gemacht, Gustav Adolf wird kommen, er steht praktisch schon vor der Stadt und jetzt aufzugeben wäre wirklich die schlimmste Sünde und da wurde schon die Kriegsflagge aufgesteckt, es wurden die Signalhörner geblasen, der Feind ist in der Stadt. Geräusch 1 : Kanonen mischen mit Geräusch 2: Schlachtgetümmel Autorin In der siebten Morgenstunde bricht die Hölle los: Die Tilly?schen Soldaten sind von der langen Belagerung gereizt, sie haben hohe Verluste hinnehmen müssen und wollen endlich ihren Sold in Form von Beute. Und jetzt liefern auch noch die Zivilisten einen erbitterten Straßenkampf: Kochendes Öl, ätzender Kalk und schmiedeeiserne Tret-Dornen werden auf sie geworfen, Musketenkugeln pfeifen ihnen um die Ohren. Es kommt zu einem Massaker bislang ungeahnten Ausmaßes, erzählt der heutige Domprediger Giselher Quast: O 7 Quast Die Söldner haben wahllos ermordet, geplündert, geschlagen, gefoltert, Kinder auf Hellebarden gespießt, in die flammenden Häuser geworfen, junge Mädchen und alte Greisinnen vergewaltigt, es gibt also Berichte, dass tausende von Leichen in die Elbe geworfen wurden, die Elbe sich aufschwemmte und sich rot färbte bis nach Tangermünde noch zich Kilometer weit (Stimme oben) Autorin Im einzig verbliebenen katholischen Kloster Unser Lieben Frauen drängen sich Flüchtlinge und vor allem im Magdeburger Dom, einem schwarzen, trotzig-klotzigen Bau aus Feldsteinen. Geräusch 3 Feuer mischen mit Geräusch 4 Sturmglocken O 8 Quast Die Türen des Domes wurden verriegelt , und drei Tage lang hielten diese ein paar wenigen Tausend Magdeburger aus und hörten wie draußen ihre Stadt geplündert wurde, verbrannte, wie die Sterbenden schrieen, wie die Flammen durch die Stadt tobten und sie wussten hier drinnen nicht was passiert. Und dann muss also am Ende der drei Tage, als die Flammen sich legten, Stille eingetreten sein, und damit auch die Angst auch aufs höchste gestiegen, denn dann ritt der Eroberer nach der Plünderung mit seine Offizieren und Soldaten vor den Dom und ließ den Dom gewaltsam öffnen. Und das war der berühmte Augenblick, als der damalige Domprediger Reinhard Bake, der bis dahin nach Kräften die verängstigten Menschen hier getröstet hat, der Kinder Not getauft hat, die hier im Dom in diesen Tagen entbunden worden sind, dann im vollen Ornat dem Eroberer entgegen getreten ist, sich vor ihm auf die Knie geworfen hat und den General Tilly pries als den größten Eroberer seit dem Fall Trojas. Das hat dem siebzigjährigen Generalissimus so geschmeichelt, dass er daraufhin den Magdeburgern im Dom Pardon gewährt hat, und sogar Brot an die Hungernden verteilen ließ. O 9 Max Da waren halt überall Aufstände auch in ganz Deutschland, also das Deutsche Reich an sich gab?s da ja noch gar nicht, das war noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Autorin Max ist ein Zwölfjähriger, ein Kind von heute, strubbelig blond mit Jeans und Zahnspange. Er lernt Karate und spielt Ballerspiele am Computer, wie alle in seinem Alter. Im Geschichtsunterricht hat er aufgepasst: O 9 Max Und da waren halt riesige Söldnerheere von den einzelnen Fürsten und die haben sich halt untereinander ganz doll bekriegt und der größte Teil der Bevölkerung lebte in Armut. Autorin Ging es da nicht um Religion? O 10 Max Generell werden bei Kriegen meistens anscheinend edle Gründe vorgelegt aber in Wirklichkeit geht es da meistens um Macht, mehr Einfluss, mehr Macht. Darum geht?s da eher meistens. Autorin Seit Max in einem Film über den Dreißigjährigen Krieg mitgespielt hat, kann er sich durchaus in die Lage seines Altersgenossen von damals einfühlen: O 11 Max Als dann zum Beispiel der Kanonendonner über das Haus gefegt ist und dann dieser ganze Kunststaub nieder rieselte. Da konnte ich mich schon rein versetzen, wie sich der Daniel Friese damals gefühlt haben muss, also da bekommt man schon ein Gefühl von Beklemmung und auch irgendwie Todesangst. Autorin Max hat Daniel Friese gespielt, den Sohn eines Ratsherren. Der hatte als damals Zehnjähriger die Erstürmung der Stadt überlebt und konnte später seine Erinnerungen aufschreiben. Die Magdeburger rechneten sich gute Chancen aus, Tilly widerstehen zu können: O 12 Max Wenn du so an den Soldaten vorbei gehst und sie siehst, wie sie so ihre Waffen stopfen und die Kanonen laden, und du gehst so dazwischen durch und die schauen alle so zu dir auf, und dann siehst du auch das feindliche Heer aber siehst auch die großen mauern und die vielen Leute, da fühlt man sich einfach optimistisch und gut irgendwo auch. Na ja, wir fühlten uns ziemlich sicher, da waren wir ja noch froh und dachten, der König von Schweden kommt und da haben wir ganz viele Soldaten ? ach, die Söldner, die schaffen wir schon! Musikakzent 1a Autorin Tatsächlich stand Gustav Adolf mit dem schwedischen Heer schon vor Potsdam, wenige Tagesmärsche von Magdeburg entfernt. Sein Bote wurde von Tilly abgefangen, der nun wusste: Jetzt oder nie. Als die Stadt überrannt wurde, hatten sich der Ratsherr Friese und seine Familie auf dem Dachboden versteckt. Durch die Ziegel hindurch mussten sie mit ansehen, wie Nachbarn gefoltert und ermordet wurden. Geräusch 5: G 2 (Schlacht) + G 3 Feuer Autorin Die Erwachsenen haben versucht, Max zu erklären, wie Menschen zu Bestien werden... O 13 Max Na ja, das lag daran: Sie hatten eigentlich gehofft, dass die Stadt einfach kapituliert, sie niemanden umbringen müssen, einfach eine gewisse Summe bekommen. Aber es war ein ganz großer Widerstand da, es wurden auch von diesem Söldnerheer fast die Hälfte getötet und da ist schon eine gewisse Wut verständlich, wenn zum Beispiel meine drei besten Freunde getötet worden wären, könnte ich das schon nachvollziehen. Aber gut finde ich es trotzdem nicht, weil wir haben da Karikaturen gesehen, da haben die wirklich Leute, die um Hilfe gebeten haben ins Feuer gestoßen, erstochen oder manchen haben sie den Bauch aufgeschlitzt und verbluten lassen. Musikakzent 1b Autorin Der kleine Daniel Friese wurde mit seiner Familie gefangen genommen und verschleppt. Übergangslos schlüpft Max in seine Filmrolle: O 14 Max Da hat erstmal die Frau von dem Söldner gefragt: Wieso bringst du hier Menschen? Ich dachte, du bringst hier Beute mit! Das geht aber gar nicht! Und da dachten wir jetzt schon, jetzt werden wir doch noch umgebracht, aber wir wurden nicht umgebracht, und dann wollten die uns für Lösegeld verkaufen und ... ja... wir haben da kaum was zu essen bekommen, wir lagen da wirklich auf dem Stroh und die Söldner sind immer wieder zur brennenden Stadt gezogen und haben soviel geplündert, wie sie nur konnten, und unser Schicksal war total ungewiss und wir wussten halt nicht so Recht wie wir uns verhalten sollten. Autorin Und ? ein Funken Menschlichkeit mitten im Grauen des Krieges: Am Ende ließ der Söldner die Familie Friese gehen und schenkte ihnen sogar noch ein paar silberne Löffel, damit sie sich auf der Flucht ernähren konnten. Daniel Friese hat als Erwachsener seine Erinnerungen aufgeschrieben, ein Zeugnis des Dreißigjährigen Krieges. Auch Max, der Junge von heute, ist aus dem Spiel verändert hervorgegangen. Kriegsbilder in den Abendnachrichten berühren ihn: O 15 Max Jetzt kann ich es mir schon irgendwo vorstellen, und kann das auch nachvollziehen, wie sie sich fühlen. Da werde ich auch immer richtig traurig, wenn ich so was sehe. Autorin 20.000 Menschen wurden an einem einzigen Tag ermordet, die reiche Hansestadt Magdeburg innerhalb von nur zwei Stunden vollkommen vernichtet. Zwei Stunden, die die Zukunft dieser Stadt und die Machtverhältnisse in der Region radikal verändert haben. Musik 2 : Blonker ?Cape Ladiko? 3:22 Interpret: Blonker Titel: Cape Ladiko CD: Zeitreise Track: 2 Komponist: Blonker Text: - LC/Best.-Nr.: 01622 DLR-Archiv#: - Geräusch 6: Regionalzug hält an Autorin Magdeburg, Landeshauptstadt von Sachsen Anhalt empfängt den Reisenden spröde. Steigt man am Hauptbahnhof aus, stößt man zunächst auf einen weiten, windigen Vorplatz. Eine moderne Skulptur steht darauf. Sie sieht ein bisschen wie ein aufgespießter Kuchenkringel aus. Man weiß nicht so recht... Auch wenn man die Stadt betrachtet, weiß man nicht so recht.... O 16 Tullner Die DDR Stadt Magdeburg ist eine unvollkommene, unvollendete geblieben, ich glaube nur die Magdeburger selber haben ? man kann?s ihnen ja nicht übel nehmen ? ihre Stadt als besonders schön angesehen; jeder Besucher hatte eher den Eindruck, dass es keine Stadt war, sondern nur eine Ansammlung von vielen Häusern. Autorin Es sieht eigentlich nicht aus wie e i n e Stadt, sondern so, als hätten Kulissenarbeiter die Überbleibsel von Filmen aus verschiedensten Epochen wahllos hier abgestellt. Atmo 1 Straße Magdeburg (f. O-Töne haben Atmo. A 1 zum Auffüllen unter Aut) Autorin Ein Stadtrundgang mit Dr.Tobias von Elsner vom Kulturhistorischen Museum bestätigt den ersten Eindruck... O 17 Elsner Wir haben hier so richtig ein Sammelsurium, wir haben die Reste der historischen Altstadt, die mittelalterliche Bebauung bis auf den Dombereich fehlt allerdings völlig, wenige, zwei, drei barocke Häuser noch, und dann Gründerzeit, DDR-Bauten und dann eben die Stadterneuerung seit der friedlichen Revolution 1989, den Bauboom Mitte der 90er Jahre und da haben wir dann so gelandete UFOs, die hellblau glitzernde Landeszentralbank, das rosa Hundertwasserhaus, überformte DDR-Fassaden und so weiter und in der ferne grüßt das Alleecenter, das Einkaufscenter, das gerade noch in die Stadt hinein gebaut werden konnte, bevor die Zentren auf der grünen Wiese die Innenstadt endgültig zum Museum gemacht hätten, ne? Autorin Und so sind die Wege zu den Spuren von 1631 kurz. Nur eine Handvoll Gebäude von damals steht noch: Das Westwerk, Teil der mittelalterlichen Befestigung, wo 1631 Pappenheims Truppen durchbrachen ? heute ist dort ein kleines Otto-von-Guericke Museum - , dann das Kloster Unser Lieben Frauen, ein Stadttor, ein paar Kirchen... O 18 Elsner Wir schauen jetzt auf den Dom und er schaut in der Tat ein bisschen finster aus, es fehlt ihm eben die Leichtigkeit der Spätgotik, Baubeginn: 1209, der erste gotische Dom in deutschen Landen und das französische Vorbild grüßt eben nur von Ferne. Autorin Düster und kastig, zwei Türme, die ohne jede Grazie und erdenschwer dem heiteren blauen Himmel widersprechen: Der Dom, in dem die Dreitausend 1631 überlebt haben - und der 1945 das Inferno des Bombenkriegs überstand... O 19 Elsner Er hat natürlich auch alle Ingredenzien, Formen, Bauschmuckteile, figurale Plastik, die zu einem veritablen gotischen Dom gehört - (Straßenbahn fährt laut quietschend/ratternd vorbei) Das ist übrigens die gute alte Tatra Straßenbahn die hier seit den 70er Jahren unterwegs ist und die immer noch fährt. Geräusch 7 Domtür auf/zu ? aus dem Straßenlärm in den Dom Atmo 2 Dom (O-Töne haben Atmo, A 2 zum Auffüllen unter Autorin) Autorin In Ehren ergraut, innen ein bisschen schäbig und staubig wirkt dieser Dom, ganz unscheinbar das Grab von Kaiser Otto I., mit dem im Jahr 936 eine durchgehende deutsche Geschichte begann. Vorbei an grauen Säulchen blickt man auf ein steinernes Herrscherpaar, das still auf seinen Sarkophagen liegt. Man ist seltsam unbeeindruckt und geht weiter. O 20 Elsner Für manchen ist das ja noch eine Neuigkeit, dass Magdeburg zu den größten und reichsten Städten des Reiches gehörte, wohl an die 30.000 Einwohner, sechs Hauptkirchen, der Dom, die zahlreichen Klöster, die Bürger, die das Monopol auf die Kornverschiffung hier (hatten), die Ernten von der Börde, die der Stadt den Reichtum brachten, die Magdeburger galten als stolz und eigensinnig und eigensinnig haben sie sich frühzeitig für die Lehren Martin Luthers entschieden; 1524 predigte Luther hier in der Johanniskirche und Magdeburg wurde dann ziemlich schnell ein Vorposten der Reformation, war Bündnispartner der protestantischen Fürsten im Schmalkaldischen Bund... (Stimme oben) Autorin ...die sich bei der Belagerung der Stadt 1631 aber vornehm zurück hielten, ebenso wie die Hansestädte, die ja durchaus auch Konkurrenten waren. ? Im Dom, der ja selbst zu einem Kriegsdenkmal geworden ist, befindet sich an einer Wand ein weiteres Bild von einem anderen Krieg: O 21 Elsner Das ist das Barlachdenkmal. Das Barlachdenkmal erinnert an die Toten, die Soldaten, die körperlich und seelisch verletzten Männer des Ersten Weltkriegs und war in den 20er Jahren als das hier im Dom aufgestellt wurde, sehr umstritten. Der damalige Museumsdirektor Walter Greischel, sah darin die Ehre der Jünglinge Deutschlands befleckt. Er wollte dieses Denkmal damals hier nicht haben, und hat sich zusammengetan mit rechtsnational gesinnten Kreisen in der Stadt und das Denkmal ist dann noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wieder aus dem Dom raus gekommen, hat dann aber überlebt in Güstrow, und nach dem Zweiten Weltkrieg hat es dann die Domgemeinde geschafft, dass dieses Denkmal hier wieder aufgestellt wurde. Geräusch 8 Dom mit Gesang/ Mittagsgebet (einen Moment stehen lassen), unter Autorin weiter verwenden Autorin Im Mittelschiff finden sich bunte Säulen aus ägyptischem Porphyr, Herrschafts-Symbol der Kaiser von Rom und Byzanz, die Kaiser Otto nach Magdeburg hat bringen lassen, als Zeichen seiner Nachfolge zu Rom. Aus der Renaissance stammen die schönen Steinmetzarbeiten an der Kanzel: O 22 Elsner Hier sehen wir also wie Eva aus der Rippe von Adam erschaffen wird, mystische Tiere, im Hintergrund sogar ein Einhorn - das erinnert mich daran, dass Otto von Guericke im 17.Jahrhundert im Laufe seiner Forschungen meinte, aus dem Knochen eines Mammuts ein Einhorn rekonstruieren zu können. Aber ob nun dieses Einhorn vielleicht Guericke ermuntert hat an eine solche Deutung zu denken ? er muss es ja bei seinen Dombesuchen gesehen haben ? das kann ich nicht sagen. Und von der Schöpfungsgeschichte ,führt dann ein kurzer Weg zum Sündenfall Eva mit dem Apfel und dann die Strafe Gottes: die Sintflut. Also hier hat man die Genesis sehr knapp in drei Bildern zusammen. Weiter Atmo 2 Dom Autorin In diesem alten Dom ist die Geschichte der Stadt konzentriert wie in einem Suppenwürfel, von Otto I. über die Nazizeit bis zur so genannten ?Wende?. Immer wieder Querverweise: O 23 Elsner Hier haben wir den Heiligen Mauritius, aus der Zeit des 13. Jahrhunderts, eingestaubt... Autorin Der Heilige Mauritius ist ein Afrikaner, schwarz, mit wulstigen Lippen und in der Uniform eines römischen Legionärs... O 24 Elsner Der Dom ist dem Heiligen Mauritius geweiht; vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass eine Stadt wie Magdeburg, die in den 90er Jahren mit Fremdenhass in Verbindung gebracht worden ist, einen schwarzen Schutzpatron des Domes hat. Geräusch 9 Domtür auf/zu, Übergang: Straße/Übergang: Musik Musik 3 Georg Philip Telemann ?Légerement... 2:13 Interpret: Tokyo Baroque Trio Titel: ?Légérement? aus: 2.Pariser Quartett CD: Track: Komponist: Georg Philip Telemann Text: - LC/Best.-Nr.: DLR-Archiv#: Autorin ?Légérement? aus dem 2. Pariser Quartett von Georg Philip Telemann, 1681 in Magdeburg geboren. Die Deutschlandrundfahrt führt uns heute nach Magdeburg in Sachsen-Anhalt, eine Stadt, die zweimal bis auf den Grund zerstört worden ist. Das Massaker im Dreißigjährigen Krieg war eine Grenzüberschreitung, die ganz Europa aufgerüttelt hat. Der Museumsmann Tobias von Elsner hat für eine Ausstellung nach Gegenständen aus der Zeit gesucht. Dabei kamen nicht nur alte Waffen, Kanonenkugeln, Handgranaten zum Vorschein, sondern kurioserweise auch regelrechte Andenken, wie zum Beispiel Vasen mit Bildern des brennenden Magdeburg. O 25 Elsner Das hat zu tun mit dem Mythos der eigenen Opfergeschichte. Die Zerstörung Magdeburgs war ja ein unglaubliches Ereignis und das ist so entsetzlich und so sinnlos, dass man das einfach nicht aushalten konnte, und das kriegte dann eben den Namen des Martyriums der Magdeburger Jungfrau, Magdeburg hat sich für die gute Sache, für den evangelischen Glauben hingeopfert. Und das Sinnstiften, das spiegelt sich in solchen Devotionalien. Autorin Ähnliche Entgleisungen wurden von da an als ?magdeburgisieren? bezeichnet. ? Noch ein anderes morbides Erinnerungsstück war im Kulturhistorischen Museum zu sehen, der Knochenarm von Herzog Christian, der seinen im Kampf abgeschlagenen Arm abkochen und aufheben ließ, damit er einmal zusammen mit ihm begraben werden konnte: O 26 Elsner Na ja und wir haben den Knochenarm präsentiert, es ist ein bisschen zwiespältig - aber ist natürlich ein schlagendes Relikt, das die ganze Grausamkeit und auch den Mythos von Selbstaufopferung und Furchtlosigkeit in einem Objekt zusammenfasst. Geräusch 10 (Trickfilm)?morbid? Autorin Man kann sich das tatsächlich wie eine biblische Plage vorstellen, was da über das Umland der belagerten Stadt her fiel: 26a Tullner Man sagt, dass so auf solche Soldaten zwei Leute, vielleicht mehr kamen, die in dem Tross sich mitbewegten, die also nicht an militärischen Handlungen unmittelbar dabei waren, die aber dann auch mit von dem Feldzug lebten und von dem, was durch die militärischen Züge an Gütern, an Speisen, an Beute herein kam. Handwerker aller Art, Händler, bis hin zu den ... Damen, die da...zu ....anderen Zwecken angestellt waren. Autorin Professor Matthias Tullner von der Otto-von-Guericke-Universität kennt das mittelalterliche Magdeburg ebenso gut, wie das, was daraus geworden ist. Der tiefe Fall von Magdeburg 1631 betraf den ganzen mitteldeutschen Raum: O 27 Tullner Also es fällt an der Mittelelbe die bis dahin dominante Stadt aus. Keine andere Stadt an der Mittelelbe, selbst etwa Halle, oder die erste brandenburgische Hauptstadt Tangermünde oder Stendal tritt in diese Leerstelle ein, so dass sich ein politischer Schwerpunkt nicht heraus bilden konnte. Die Möglichkeit von der Mittelelbe her Prozesse zu prägen war nicht mehr gegeben, weil jetzt nur noch die starken Pole Brandenburg und Sachsen hier einwirkten, so dass dieses Mittelelbegebiet in die zweite Reihe geriet in dem Machtkampf zwischen Brandenburg und Sachsen, der schließlich zu Gunsten Brandenburgs ausgegangen ist. Autorin Ein Jahr nach der Zerstörung hausten noch rund 500 Menschen in den Ruinen, wo vorher 30.000 gewohnt hatten... O 28 Tullner Der Kurfürst lässt hier eine Zitadelle errichten, zum Schutz des Kernlandes um Berlin. Und da wird etwas gemacht, was eigentlich den Wiederaufbau der Stadt richtig in Gang bringt. Dort wird festgelegt, dass in bestimmten innerstädtischen Bereichen die Bauwilligen sich ein Bauprojekt von der Festungskommandantur abzuholen hätten. Damit gesichert wird, dass dort nicht elende Hütten und so etwas stehen, dadurch entsteht eine innerstädtische geschlossene Barockzone, das ist der Stil der damaligen Zeit. Geräusch 11: Baulärm ohne Maschinen Autorin Ein zweites Magdeburg entsteht auf den Trümmern des ersten. Es ist nun Garnisonsstadt und hat politisch nicht mehr viel zu melden. Die dezimierte Einwohnerschaft wird durch Glaubensflüchtlinge aufgestockt: O 29 Tullner Das sind zum Teil mehrfach Vertriebene, Leute, die ursprünglich mal aus dem Französischen, Belgischen kamen, ja, aber die dann zum Beispiel nach Salzburg vertrieben worden sind und von dort aus dann hierher kamen also schon in der zweiten und dritten Station; deswegen haben wir heute in Magdeburg auch noch eine der großen evangelischen Kirchen hier, die heißt bis heute ?Wallonerkirche? das ist ein sprachlicher Hinweis der hugenottischen Herkunft derer die die Kirche lange Zeit betrieben haben. Autorin Wie auch in Brandenburg brachten diese Flüchtlinge neue Wirtschaftszweige und ihre verfeinerte Kultur mit. O 30 Tullner Die waren auch sonst sehr segensreich in dieser Gegend, die haben zum Beispiel den werten einheimischen Vorfahren etwa beigebracht, dass es nicht unbedingt notwendig ist mit einem Holzlöffel aus einer großen Schüssel zu essen, es geht auch mit Messer und Gabel. Autorin Dann geht die Reise weiter ins Zeitalter von Industrie und Eisenbahn, zwar nach 1631 eher bescheiden, aber immerhin liegt ja Magdeburg weiterhin günstig an der wichtigen Nord-Süd-Achse, der Elbe und auf der West-Ost-Achse, der späteren Reichsstraße Nummer Eins Aachen-Königsberg. Apropos ?Eisenbahn?.... O 31 Tullner Die Quelle des Reichtums der Stadt Magdeburg, die seit Kaiser Otto besteht, ist die Elbe. Dass Verkehrs- und Handelsverbindungen ganz woanders lang gehen könnten, mit dem neuen Verkehrsmittel Eisenbahn ist ihnen nicht eingängig. Als Leipzig beizeiten an Magdeburg herantritt, um eine Eisenbahnverbindung zu bauen, sagen sich die Magdeburger hier: Wir sind ja nicht töricht, wir liegen doch schon an der Elbe. Wir werden doch nicht so dumm sein und den Leipzigern eine Eisenbahn an die Elbe bauen. Autorin Und schneiden sich damit selbst den Weg zum Fortschritt ab. Endlich kam doch die Eisenbahn und die Industrialisierung, Dampfschiffe, Maschinenbau, Fabriken, Rübenzucker, bis der Zweite Weltkrieg das barocke Magdeburg vernichtet. Musik 4 Police ?We are Spirits in the material world? 2:54 Interpret: Police Titel: We are spirits CD: Ghost in the machne Track: 1 Komponist: Sting Text: Sting LC/Best.-Nr.: 00485 DLR-Archiv#: - Übergang: Atmo 3 Treppensteigen in der Johanniskirche Autorin Auf Spurensuche in Magdeburg nach dem Massaker von 1631, der so genannten Magdeburger Bluthochzeit. Den Namen bekam das Ereignis, weil Magdeburg eine Jungfrau im Wappen führte. In der Propaganda des Symbol verliebten Barock verweigerte sich die Jungfrau Magdeburg dem Kaiser und wurde dafür von seinem greisen Heerführer Tilly ?Zwangs verheiratet?. Ende Treppensteigen (O-Ton hat Atmo) O 32 Elsner Wir sehen auf die Elbe und wir sehen auch, dass sich neben dem Dom auch das Wasser kräuselt, da ist der Domfelsen. Und hier ist also die Schwelle: Vom Mittelgebirge fließt nun die Elbe in die norddeutsche Tiefebene, von hier bis Hamburg und darüber hinaus bis Cuxhaven ist alles weites flaches Land. (schnauft) Noch Treppe bis ?Stadt? Autorin 236 grobe, ausgetretene Feldsteinstufen führen in die Spitze des Nordturms. Zur Belohnung gibt?s einen Atem beraubenden Rundblick über die buntscheckige Stadt. In der Johanniskirche predigte 1524 Luther. 1631 spielte sich auch hier eine symbolhafte Episode ab: O 33 Elsner Als die kaiserlichen Soldaten zur Zeit des Frühgottesdienstes eindrangen, da wusste sich der Pastor, Andreas Kramer, nicht anderes zu helfen, als das Evangelienbuch vom Altar zu nehmen, ein Buch dass er selber zusammen gestellt hatte mit Predigttexten für das ganze Jahr und Texten aus dem Neuen Testament und das hielt er sich dann über den Kopf und er parierte mit diesen Worten Gottes, mit diesem Schutzschild die Säbelhiebe der herandrängenden kaiserlichen Soldaten. Autorin Die so genannte ?Magdeburger Blutbibel? mit Blutflecken und Säbelspuren wird von den Nachfahren des Pfarrers Kramer in Ehren gehalten. Unter dem Turm steht in einem kleinen Raum eine weitere Zeugin der Geschichte, die überlebensgroße Bronzefigur einer sitzenden Frau, die Hände hängen mutlos und schlaff, der Blick ist gesenkt und nach innen gerichtet: (Der nächste O-Ton ist an zwei verschiedenen Orten aufgenommen, ggf. bitte durch Atmo 2 Dom angleichen) O 34 Elsner Jetzt gehen wir zu dieser ?trauernden Magdeburg?, einem Nachguss der Begleitfigur des Wormser Lutherdenkmals. Die trauernde Magdeburg ist im 19. Jahrhundert entstanden als Begleitfigur des Lutherdenkmals in Worms. 1931 hat ein Industrieller diese ?trauernde Magdeburg? nach Magdeburg geholt. Dieser schon angesprochenen Museumsdirektor Walter Greische mochte diese trauernde Magdeburg nicht im Museum. Also es gibt von ihm ein charakteristisches Zitat: ?Es muss mal Schluss sein mit diesem ewigen Getrauere um 1631? und hat die trauernde Magdeburg in die Johanniskirche expediert, und als dann im Zweiten Weltkrieg die Johanniskirche bombardiert wurde, überlebte diese Bronze unter dem Turm des Westportal. Und da verschmelzen eben die Zerstörungen von 1631 und von 16. Januar 1945, diese beiden großen Zerstörungen der Stadt Magdeburg. Autorin An der Wand hängt ein Foto, dass die Bronze zeigt, wenige Tage nach dem Bombenangriff, in dem die zweite, die Barockstadt, untergegangen ist. Um die Statue herum liegen die Trümmer des eingestürzten Kirchenturms ? die ?Magdeburg? ist unversehrt. Gleich daneben eine Tafel mit den Namen der Bürger, die nach der Wende für die Restauration der Kirche gespendet haben und der Spruch: ?Magdeburg wird auch das schaffen?. O 35 Elsner Die Magdeburger haben das in ihrem Bewusstsein, dass die Stadt gelitten hat in ihrer Geschichte und ich bin mir nicht so ganz sicher, ob dieser zähe Wiederaufbauwille auch immer so formuliert wird. Hier in der Johanniskirche manifestiert sich der Überlebenswille der Magdeburger auf jeden Fall. Geräusch 13 altmodischer Fahrstuhl Autorin Magdeburg ist eine Steh-Auf-Stadt. Einer, der die Brüche im Stadtbild zu deuten weiß, ist der Architekt Peter Otto. Er hat sein Büro im Penthaus eines großzügigen 50er Jahre Wohngebäudes; der Blick von der Terrasse ist nicht weniger Atem beraubend als der von der nahe gelegenen Johanniskirche. O 36 Otto Hier neben der Johanniskirche - kann man sich gar nicht vorstellen: Die Gegend hieß das Knattergebirge, angeblich zur damaligen Zeit ein Gebiet mit der höchsten Einwohnerdichte Europas: winzige Gassen, zwei, drei-, viergeschossige Fachwerkhäuser, die alle in einem furchtbaren Inferno im 2 Weltkrieg abgebrannt sind, und danach, ich hab Fotos hier, wo man die Gegend sieht, Anfang der 50er Jahre ? das ist nur eine Steppe aus der zwei Kirchen herausragen und diese Gegend wurde halt wie ein Neubaugebiet mit Plattenbauten, die man damals eben brauchte, aufgebaut. Autorin Andere deutsche Städte sind auch zerstört worden, aber keine wirkt so seltsam leer: wie ein kleiner Mann in einem viel zu großen Anzug. O 37 Otto Dieser leere Eindruck entsteht ja auch dadurch dass man nach dem Zweiten Weltkrieg ja versucht hat, großflächig Wohngebiete in der Innenstadt zu bauen. Autorin Wie übersetzt sich für einen Architekten dieses Buntgescheckte, was ist das alles? O 38 Otto Also es gibt um den Domplatz herum noch einige Gebäude aus dem Barock, die sind also so kurz nach 17oo erbaut worden, interessanterweise gab es damals ein Förderprogramm. Wer sich den Gestaltungsrichtlinien des alten Dessauers, der also damals der Gouverneur der Stadt war, unterwarf, bekam Fördermittel, das heißt Steuererleichterungen, es gibt auch noch zwei Häuser auf dem Breiten Weg aus dem Barock, ansonsten gibt es in der Innenstadt die gründerzeitliche Stadterweiterung (Stimme oben) Autorin Und diese auffälligen, gelb-weißen Kästen, die auch in New York stehen könnten? O 39 Otto Ja, stehen sie auch ? so ähnlich (lacht). Das sind Häuser die ab 1871 gebaut wurden, sie haben viel Stuck, sind prächtig geschmückt, haben zum Teil also fantastische, riesige Wohnungen, hohe Räume, es sind Häuser mit zum Teil sechs Geschossen, sieben Geschossen, sehr prunkvoll, sehr prächtig gemacht... Akzent Musik 5 Charleston/20er Jahre (kurzer Eindruck) (1:53) Interpret: The Charleston Kids Titel: Yes sir, that?s my baby CD: Charleston Track: Komponist: k.A. Text: - LC/Best.-Nr.: 08367 DLR-Archiv#: 90-48757 Autorin In den 20er Jahren dann fügte einer der herausragenden Vertreter des Neuen Bauens seine Marke hinzu: O 40 Otto Bruno Taut war eigentlich nur ganz kurz ? ich glaube nur zwei Jahre ? hier in Magdeburg tätig. Er hat einen völlig frischen Wind hier rein gebracht, und er hat einen Generalbebauungsplan für die Stadt entwickelt, auf dessen Basis im Prinzip bis heute noch die Stadt weiter entwickelt wurde. Das brachte also einmal diese sehr guten Wohngebiete und auch einzelne Richtungs weisende Gebäude des Neuen Bauens der 20er Jahre. Autorin Der berühmte Ratsherr von Magdeburg, der Ingenieur und Gelehrte Otto von Guericke, war nach der Katastrophe von 1631 mit der Messkette durch die Trümmer gelaufen und hatte sich bemüht, alles genau aufzuzeichen, damit seine Stadt wenigstens in ihren Grundstrukturen erhalten bleiben konnte. Damit war es nach dem 16.Januar 1945 endgültig vorbei. O 41 Otto Magdeburg hatte ein Straßenraster, das stammte im Prinzip aus dem Mittelalter. Das hat man ad acta gelegt und wollte hier so wie vielleicht in der Gründerzeit gebaut wurde 1870 Stadtquartiere aufbauen. Dazu kam es aber nicht, denn dann begann ein eher ideologisch motivierter Städtebau, es gab dann Wettbewerbe, in deren Ergebnissen man die so genannte sozialistische Stadt errichten wollte mit großen Promenaden, mit monströsen Plätzen ... Ich habe also einen, der ganz maßgeblich diese Dinge mitgeplant hat jetzt vor zwei Jahren mal befragt, also was war das Vorbild, dem die Politiker, die ja diese Vorgaben gemacht haben für die Häuser, nachhingen. Und er sagte ganz eindeutig: Es war Paris (Lacher) . Autorin Die Magdeburger mögen verzeihen: An Paris erinnert ihre Stadt nun gerade nicht. O 42 Otto Sie stehen also vor einem romanischen Kloster, dass mindestens 800 Jahre alt ist und auf dem Stadtplan steht ?Altstadt? und rundrum sind achtgeschossige Plattenbauten. Das ist Magdeburg. O 43 Tullner Ich glaube nur die Magdeburger selber haben ? man kann?s ihnen ja nicht übel nehmen ? ihre Stadt als besonders schön angesehen... Musik 6 Instrumental: Trip to Bali? Sunday people (nicht im Takeband) Autorin (möglichst auf Ende/Musik) Die Deutschlandrundfahrt in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. O 44 Polte Wenn irgendetwas sich positiv in der Stadt verändert hat, dann sagt ein Magdeburger: Na ja, da kann man nicht meckern. Und da klingt schon wieder so ein bisschen der Wunsch mit: eigentlich schade, ich hätte lieber gemeckert. Autorin Am Domplatz Nummer 6 sitzt in schmuckem hellgelben Militär- Barock der Landtag von Sachsen-Anhalt. In der Kantine empfängt uns Dr.Wilhelm Polte, klein, rund und quirlig, mit gepflegtem weißen Bärtchen. Er war Polit-Büro-Mitglied und Oberbürgermeister zur DDR-Zeit, einer Zeit, in der Magdeburg wieder mal auf?s Abstellgleis geriet: O 46 Polte Ich hab die These aufgestellt: So wie heute Gesamtdeutschland noch darunter leidet unter dem Aderlass durch die Nazis verursacht, so leidet heute noch unsere Stadt darunter, dass wesentliche Ideengeber und hervorragende Geister, die einer Stadt gut tun, dass wir die noch heute nicht wieder so haben, wie wir sie uns wünschen, Aber wir sind auf einem guten Weg ,so was wächst über Jahrzehnte und wenn auch die wirtschaftliche Basis da ist. Autorin Für Kirchen und Schlösser war im Arbeiterstaat kein Geld vorhanden. Nach der Wende änderte sich das. Zunächst wurde die Infrastruktur der Stadt und die Energieversorgung saniert, dann ging es ans Stadtbild.... O 47 Polte Wenn man nun weiß, dass mit der Johanniskirche sieben Kirchen im Innenstadtbereich zerstört wurden, da kann man sich vorstellen, wie viele Türme, die auch eine Silhouette prägen, verloren gegangen sind. Und deswegen sagte ich dann: Die Johanniskirche muss wieder aufgebaut werden. Über Spenden haben wir das finanziert und gibt der Stadt ein Stückchen neues Gepräge. Autorin Durch den Anschluss an Westeuropa verlor die Maschinenbaustadt zunächst massenhaft Arbeitsplätze: O 48 Polte Wir haben ja ein leistungsfähiges Werk gehabt, dass Dieselmotoren hergestellt hat und hat vorwiegen die sowjetische Fischflotte mit diesen Motoren versorgt. Die haben weiterhin sehr schöne und qualitätsvolle Dieselmotoren produziert, aber auf einmal, weil wir jetzt zum Währungsgebiet West gehörten und Russland nicht, hatten die keine Devisen um die hier produzierten Dieselmotoren zu bezahlen. Und auf dem übrigen Weltmarkt ? der war ja schon verteilt, dann gingen die Leute nach Haus. Geräusch 14 Traktor Autorin Der nächste Einbruch ist schon programmiert durch das Ende der Zuckersubvention: Rübenzucker war einmal wichtig, vielleicht geben die Wuken ja einen ordentlichen Biotreibstoff ab, wie bereits der Raps. Wilhelm Polte ist optimistisch, hofft auf Zukunfts weisende Industrien und Investoren und beruft sich dabei auf dieselben Faktoren, die schon der mittelalterlichen Stadt zu Reichtum und Einfluss verholfen hatten: O 49 Polte Schauen Sie an, wo Magdeburg liegt: an der A14, an der A2 also Ost-West, Nord-Süd, an der Elbe, wir haben ein dichtes Schienennetz in alle Himmelsrichtungen, wir haben den leistungsstärksten Hafen in den neuen Bundesländern, also von der Infrastruktur her, wir haben Flächen noch und nöcher zu günstigen Konditionen... Autorin Domprediger Giselher Quast sieht durchaus Parallelen im Heute und im Damals: O 50 Quast Am 9 Oktober 1989 bei den Montagsgebeten in der politischen Wendezeit waren hier im Magdeburger Dom fast zweieinhalb Tausend Menschen versammelt, die um gesellschaftliche Erneuerung beteten und - wir wissen das nachträglich aus den Unterlagen der Staatssicherheit - , dass um den Dom herum an diesem Montagabend etwa 10 bis 20.000 Mann Sicherheitskräfte waren, schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei, die all die Menschen, die gekommen waren, gesehen hatten, gepanzerte Fahrzeuge, Wasserwerfer, leere Mannschaftswaren zum Aufladen der Verhafteten, die Stadtbeleuchtung war abgeschaltet, die Kampftruppen aus den Betrieben lagen in den öffentlichen Gebäuden und Schulen ringsherum verschanzt, auf dem Hauptbahnhof war ein Waggon angekommen wenige Tage zuvor, mit einer Wagenladung ? auf dem Packzettel stand: ?eine Ladung Schlagstöcke extra lang?. Das alles wussten die Magdeburger und sie kamen also mit weichen Knien in den Dom an diesem Abend und wir wussten genau: An diesem Abend durften wir nicht in die Knie gehen, wenn wir etwas für die Erneuerung und für uns selbst tun wollten, jede Zeit verlangt ihre eigenen Haltung. Autorin Den ehemaligen Oberbürgermeister Polte und den Domprediger Quast verbindet eine Don Camillo-und-Peppone-Beziehung. Schon häufiger hat sich der Prediger in weltliche Belange eingemischt: O 51 Quast Ich kann mich gut an eine Situation erinnern, wo nach einer Predigt, sich ein Neumagdeburger, der hier ein hohes politisches Amt bekleidet hat, sehr aufgeregt hat und gesagt hat: Herr Quast, Sie haben nicht das Recht, ihre politische Meinung auf der Kanzel zu sagen! Damit predigen Sie Leute wie mich aus der Kirche hinaus! Und wie dann zwei Gemeindemitglieder am Ausgang zu mir die sagten: Herr Quast, wenn Sie so predigen, dass der zufrieden ist, dann gehen wir und dann gehen mehr! Und dann war die Welt für mich wieder in Ordnung. Autorin Gestritten hat man auch über die nächtliche Anstrahlung des Doms. O 52 Quast Wir haben es verloren, mit der natürlichen Kraft der Dinge zu leben. Auch mit Tag und Nacht, mit der Macht, die Dunkelheit haben kann auf uns. Wenn ich mal ? es gibt noch ein paar Tage, wo die Beleuchtung ausgeschaltet ist, in der Karwoche oder in der Passionszeit oder am Buß- und Bettag ? wenn man mal an so einem Tag über den Domplatz geht und der Dom steht trutzig schwarz vor einem dunklen Nachthimmel, das ist ein unwahrscheinliches Erlebnis, und genauso schön ist es, ihn im strahlenden Sommerlicht zu sehen, beides kann auf Menschen einen tiefen Eindruck machen und ich finde, man sollte den Dingen auch oft ihre Natürlichkeit lassen und alle Eindrucke gelten lassen. Ich weiß, damit liege ich nicht ganz im Trend, wir haben inzwischen die Nacht zum Tage gemacht und wir mogeln uns auch um die dunklen Eindrücke herum aber für mich gehören sie zum Leben. Autorin Da die Scheinwerfer auf dem Gebiet der Stadt liegen und es noch keine Gesetze gegen Lichtverschmutzung gibt, hat sich die Politik durchgesetzt ? weit gehend. An besonderen kirchlichen Feiertagen aber, das hat sich der Pfarrer ausbedungen, bleibt das Licht aus. Dann stehen die Türme schwarz und geheimnisvoll vor den treibenden Wolken ? man kann sich dann vorstellen, welchen Eindruck die Dunkelheit auf die Menschen damals gemacht hat und welche Macht dieser Dom einmal besaß. Geräusch 15 Magdeburger Dom ? kurz: Stille/Stadt Abends Atmo 4, dann einsetzende Domglocken, unter der Schlussmusik wegblenden Spr.v.D: ?Die Bluthochzeit von Magdeburg. Spuren des Dreißigjährigen Krieges.? Eine Deutschlandrundfahrt mit Sabine Korsukéwitz Schlussmusik zum Ausblenden überstehen lassen.