COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 29.01.2012 "Speed-Dating am Laufband" - Fitnessstudios versprechen heute mehr als die Traumfigur Autorinnen: Ute Burtke und Margarete Wohlan 01 O-Ton Melana (0:27) Raten Sie mal, wo ich meinen Partner gefunden habe, vor 17 Jahren?! In einem Fitnessclub! Da war der Marcolino 26 und ich schon fast 39, juhu, durch Sport, bis heute zusammen! In einem Fitnessclub! Der rannte so lang, ich rannte so lang, wir rannten dann immer mehr auf der gleichen Linie, bis heute rennen wir auf derselben Linie - Ja, genau! Beim Sport kennengelernt, im Fitnessstudio. 01 Atmo Fitness Center (weiterlaufen lassen) 01 Sprecherin Melana, 57, sitzt an der Hantelbank und trainiert ihre Armmuskeln. Drei Mal die Woche kommt sie zu "Fitness First" am Berliner Alexanderplatz, seit sieben Jahren ist sie hier Mitglied. Ein Leben ohne Fitness-Training kann sie sich nicht vorstellen. 02 O-Ton Melana (0:25) Ich habe eine eigene Firma, ich bin mit meinem Büro in einem Tower, ich muss Ihnen sagen, das ist mein Socialising abends, ja. Ich habe nicht so'n großes Team, weil wir ziemlich allein mit viel notebooks und ipads und so weiter unsere Firma führen, das heißt, ich hab nicht einen riesigen Mitarbeiterstand. Und wenn ich aber ... braun bin aus dem Urlaub, und hören möchte, man Melana, bis du schön braun, dann geh ich doch in meinen Club, damit's jemand sieht! 02 Sprecherin Ein Grund, in ein Fitness-Center zu gehen, aber nicht der wichtigste. Denn zuallererst will hier jeder seinen Körper in Form halten oder ihn dahin bringen - immerhin über sechs Millionen hierzulande, laut Studien. Der Mensch ist eitel, möchte schön sein - für sich und für andere. Und das verspricht der Besuch im Fitness-Studio auch. Ja, Fitness liegt im Trend - und am liebsten wird sie in Studios und Centern betrieben. Es gibt Ketten und Einzel-Studios, für Männer und Frauen, Junge und Alte, im Neonlicht-Look oder als heimeliges Wohnzimmer, seriös medizinisch oder als Lifestyle-Beilage. Dahinter steckt immer ein Konzept, ein Profil, eine Philosophie. Denn die Welt der Sportgeräte und Muskeltrainer ist nie nur auf den reinen Sport ausgerichtet. Die, die hierher kommen, wollen häufig mehr. Da schwingt eine Sehnsucht nach Zugehörigkeit mit, nach Freunden, manchmal auch nach Partnern. Und die Hoffnung auf Bestätigung, dass man okay ist, vielleicht sogar attraktiv. 01 Musik 01 "Wurfsendung - Szene 1" 01 Sprecher: Aus einem unvollendeten Roman - Szene Eins: 01 Autorin Astrid Mein erster Tag im Fitnessstudio! War nicht leicht in der Gemeinschaftsdusche mit all den durchtrainierten Sportprofis! Beim Duschen hab ich den Bauch eingezogen. Doch was höre ich da beim Anziehen? "Zu dünn ist auch nicht schön", sagt eine Frau im Spind-Gang nebenan. Eine zweite schnaubt, "Ich war neulich in New York, also da könnte ich nicht leben. Die tragen ja alle Jeans Größe Null." Die erste ist entsetzt: "Essen die nur Rohkost oder was? Igitt!" Ihre Freundin kichert. "Na, es heißt doch: Ab vierzig muss man sich zwischen Gesicht und Arsch entscheiden!" Beide lachen herzlich. Und ich verstehe: Wir sind alle hier, weil wir das gleiche Problem haben. Kein Grund, sich zu schämen. Als ich um die Ecke biege, sage ich im Vorbeigehen: "Recht habt ihr, zu dünn ist auch nicht schön!" - und erstarre. Die Blonde steigt gerade in ihre Jeans Größe Null, die Brünette macht ein Gesicht wie ein Pferd, dem ein Apfel aus dem Maul gefallen ist. Den beiden könnte man einen Schwebebalken zwischen den Schenkeln durchschieben, sie würden es nicht merken. Sie mustern mich und sagen nur: "Zu dick aber auch nicht." 02 Musik 02 Atmo McFit 03 Sprecherin Ein McFit-Studio in Berlin, Prenzlauer Berg. Gewöhnlicher Wochentag, gegen 17 Uhr. Im Eingangsbereich zwei Lasergeräte, durch die man seine "Member-Card" zieht, um hineinzukommen; seitlich eine kleine Theke, dahinter das Büro der Trainer. Eine langgestreckte ehemalige Fabrikhalle mit unzähligen Trimmgeräten: Power Racks, Multipressen, Bauchtrainer, Rückentrainer, Hantelbänke. Alles, um Muskeln zu straffen oder aufzubauen. Für die Ausdauer und Kondition gibt es Sitz- und Liegefahrräder, Rudergeräte, Crosstrainer, Stepper und Nordic Walker. Eine Mischung aus Schweiß und Parfum liegt in der Luft. Auf Fernsehschirmen laufen Musikvideos. Es ist voll, aber nicht zu voll. Nur die Plätze vor den Spiegeln sind belegt. Seit 14 Jahren ist das Unternehmen auf dem Markt, mit 134 Fitnesszentren, im März wurde das millionste Mitglied begrüßt. Das Motto "Einfach gut aussehen" dient als erster Wegweiser, dahinter steht ein ganzes Universum - und eine Fitness- Community, die dazu passt. Michael, 41, Amerikaner, seit drei Jahren bei McFit: 03 O-Ton Michael (0:15) Weil McFit einfach gut ist, wir haben hier sehr, sehr gute ausgebildete Trainer, der wirklich um die Leute kümmert, ja, ich hab auch hier viele Freunde, weil mir das Spaß macht, einfach Freunde hier zu treffen, zusammen zu trainieren, die Atmosphäre ist einfach geil. 04 Sprecherin Uwe, 24. Auch er trainiert seit drei Jahren bei McFit. Ausschlaggebend war für ihn der günstige Monatsbeitrag: 16,90 Euro bei einer Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr. Das sei unschlagbar, auch wenn Duschen und Wellness nicht im Preis enthalten sind. 04 O-Ton Uwe (0:51) Und daran hab ich dann eben Geschmack gefunden und bin dann halt auch bei McFit geblieben, weil's einfach so von Preis-Leistung, von den Leuten her wunderbar und auch das Klima ist einfach wunderbar. Ich hab nen Bürojob, sehr stark eben kopftechnisch, und hier kann man eben mal so'n bisschen den Tag Revue passieren lassen und so'n bisschen auch abschalten. Dass man so dann wieder mit nem klaren Kopf hier raus geht und dann wieder in den Abend starten kann. 05 Sprecherin McFit verspricht aber noch mehr - Zitat: 02 Sprecher: "Leidenschaft, Erfolg, Fairness und Teamgeist bestimmen unsere Arbeit. Deshalb unterstützen wir nach dieser Philosophie auch unsere Mitglieder bei ihrem Wunsch, besser auszusehen und ein positives Selbstbild zu entwickeln." 06 Sprecherin Da ist sie, die Verheißung auf mehr als Fitness- und Krafttraining. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Attraktivität - wird sie aber auch gestillt? 03 Musik 05 O-Ton Sophie (0:20) Ich bin Sophie, ich bin 19 Jahre alt, werd bald 20, leider, und mach jetzt gerade Abitur und abgesehen davon, dass ich regelmäßig natürlich zu McFit gehe (lacht), spiele ich noch zwei Instrumente, und zwar Klavier und Schlagzeug und ja, nehme da auch noch Unterricht drin. 06 O-Ton Lea (0:28) Ich bin Lea, bin 19 Jahre alt, und geh auch zur Schule und mach mein Abi dieses Jahr, hoffentlich, und ja, neben McFit spiel ich noch Theater in unserer Schule, wo auch ziemlich viel Zeit für drauf geht. Immer im Sommer haben wir eigentlich gesagt, wir müssen jetzt aber mal zum Fitnessstudio gehen, weil wir vor allem im Sommer feststellen (LACHT), dass wir zu dick sind und dass wir abnehmen müssen, und dann haben wir gedacht, Fitnessstudio hilft vielleicht (LACHT). 07 O-Ton Sophie (0:10) Vor allem, weil wir vorher nicht regelmäßig Sport gemacht haben und ...na ja, Diät hatten wir davor schon mal ausprobiert. 08 O-Ton Lea (0:12) Da nimmt man natürlich nen bisschen was ab, aber das hält sich jetzt auch nicht so lange und da dachten wir, mit Sport wird das jetzt helfen, so Muskelaufbau und so weiter (LACHEN). 07 Sprecherin Lea und Sophie wollen eine gute, eine bessere Figur. Und McFit verspricht sie ihnen. Dafür gehen sie zwei bis drei Mal die Woche hin - Dauer des Aufenthalts: zweieinhalb Stunden. 09 O-Ton Lea (0:15) Wenn wir zusammen gehen, dauert es ein bisschen länger, weil wir uns dann zwischendurch immer verquatschen, aber sonst: na machen wir erst 5 bis 10 Minuten laufen kurz, dann halt 10 Geräte, die wir machen, und dann laufen wir noch mal ne halbe Stunde und dann ist die Zeit schon weg. 10 O-Ton Sophie (0:12) Das dauert natürlich auch, weil bei jedem Gerät macht man immer drei Sätze, und dazwischen halt ungefähr ne Minute Pause, damit sich die Muskeln entspannen können, und wenn man zehn Geräte hat, dann dauert das halt seine Zeit. 08 Sprecherin Die Welt der Jungen und Schönen mit durchtrainierten Körpern - ein Image, das McFit gern bedient. Nicht nur im hauseigenen TV Channel, sondern auch in der kostenlosen Monatszeitschrift des Unternehmens, die im November 2010 die Homestory "Doppelherz" brachte. 11 O-Ton Lea (0:08) Also, ich hab das auch irgendwo gelesen, dass man ja im Fitnessstudio total die Chancen hat, seinen unglaublichen Traumpartner zu finden, ist uns jetzt noch nicht aufgefallen. 12 O-Ton Sophie (0:16) Ich glaube auch nicht, dass uns da jemand attraktiv finden würde, beim Sport sieht man ja doch nicht immer so frisch aus. Aber ansonsten, man guckt sich schon die Leute an, aber ... Lea (lachend): mehr zur Belustigung. 13 O-Ton Lea (0:31) Also da ist so einer, also der kommt immer und hat so ne Muskelshirts an, aber mit ganz weitem Ausschnitt (lacht), also man sieht auch seine Nippel und so, (lacht) und der ist halt ein bisschen ulkig, also der läuft, kann ich das sagen? Der läuft auch ganz komisch und das erste Mal als wir da waren, der hat da so sit ups gemacht und hat uns dabei so angeguckt und immer so, dass der total cool da seine sit ups macht (lacht). Der ist immer da, ist ein bisschen witzig. 04 Musik 02 "Wurfsendung - Szene 2" 03 Sprecher: Aus einem unvollendeten Roman - Szene Zwei: 02 Autorin Astrid Der Bauch-Kurs ist eine einzige Qual: Sprossenwand, Liegestütze, Situps - der Sadist von Trainer lässt nichts aus. Das einzige, was uns hier hält, ist unser heimlicher Vorturner: So klein er ist, so majestätisch ist sein Bauch. Er trägt ihn vor sich her wie ein Regierungsgeschäft, wie einen Feind, den man im Auge behalten muss, wie eine launische Ehefrau. Und zäh ist der Mann. Schon nach fünf Minuten betteln wir um eine Pause, nur der kleine Dicke, der rackert sich ab, bis ihm der Schweiß ausbricht. Jeder sieht, dass er einen aussichtlosen Kampf kämpft, doch er gibt nicht auf. Irgendwann tut alles weh. Ich habe einen Krampf im Kiefer von den Situps. Wir kriechen nur noch von Gerät zu Gerät. Meine Blicke suchen den BAUCH. Der hat einen roten Kopf, doch hält eisern durch. Das kann ich auch. Endlich sind die längsten 15 Minuten meines Lebens vorbei. Wir haben keine Kraft mehr, die Matten wegzuräumen. Der BAUCH springt auf und übernimmt das. Beim Gehen unterhält er sich lachend mit drei Frauen. Später sehe ich ihn in der Pizzeria. Er sitzt vor einer Calzone und einem Weizen in der Sonne. Ich proste ihm mit einer Cola zu. Man wird sich wiedersehen. 05 Musik 09 Sprecherin "Kraft ist nicht alles - aber ohne Kraft ist alles nichts!" Diesen Slogan hat er erfunden: Werner Kieser, der Gründer von "Kieser-Training". Und den auch: "Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen". Die Welt, die er anbietet, ist nicht auf Glanz, Glamour und Geplauder ausgerichtet. Es gibt keinen Wellnessbereich, weder Sauna noch Solarium oder Saftbar. Er biete auch keine Fitness-Studios an, sagt der 70jährige, sondern Krafttrainingsstudios. Dennoch besuchen knapp 300.000 Menschen in zehn Ländern das Kieser-Training. 14 O-Ton Kieser (1:03) Es sind auffallend viele akademische Titel, viele intellektuelle Leute, die auch, wie soll ich sagen, in Lehrpositionen sind, also Kernzielgruppe sind Leute, die anderen Leuten sagen, was Sache ist, eben Journalisten, Professoren und so weiter. Ja, das ist ein minimalistisches Konzept wie die Architektur, die wir haben. Es hat natürlich trotzdem ne gewisse Attraktivität, vor allem für Ästheten, die finden die Fitnessstudios furchtbar mit Fototapeten und solchen Dingen, haben wir sehr viele Architekten, Fotografen und Künstler, die bei uns trainieren, und die würden nie, nie in ein Fitnessstudio gehen, ganz einfach wegen dem Erscheinungsbild, verstehen Sie, dieses Ambiente, wo, das ist ja, dass man die Leute duzt und weiß ich was. Das möchte ja nicht jeder. 10 Sprecherin Werner Kieser ist Schweizer, bodenständig und direkt. Er verspricht keine Illusionen, sondern argumentiert mit Fakten. Die Geschichte, die er dabei gern erzählt, ist auch die Gründungsidee von Kieser-Training - es ist seine eigene: 15 O-Ton Kieser (1:08) Ich war ein junger Boxer und das war kurz vor der Schweizer Meisterschaft, holte ich mir ne Rückenfellquetschung beim Sparring. Der Arzt sagte: sechs Monate kein Training und keine Wettkämpfe mehr. Zufällig war einer dabei, Ramon, spanischer Profi, und der sagte, der junge Mann soll mit Gewichten trainieren, ist er schneller wieder gesund. Da haben die ihn ausgelacht, gedacht, der hat was mit dem Dachschaden. Ich vertraute Ramon mehr als diesen Experten in Anführungszeichen. Und er brachte mir das bei -Und in zwei Wochen waren die Schmerzen weg. 11 Sprecherin Werner Kieser ist von seinem Konzept überzeugt: Zehn Geräte, jede Übung bis zur lokalen Erschöpfung der betroffenen Muskeln, aber nicht länger als zwei Minuten. Das Ganze ein- bis zweimal pro Woche. Dabei geht es nicht um Spaß und Vergnügen, sondern um Trainingserfolg, der immer auch Überwindung kostet: 16 O-Ton Kieser (0:43) Denn was machen Sie? Sie müssen etwas bezahlen und nachher müssen Sie schuften dafür. Das ist ja völlig absurd, wenn man das mal aus einer bestimmten Perspektive anschaut. Also: Sie müssen bezahlen und müssen sich dann anstrengen. Das setzt ja die Einsicht in die Notwendigkeit voraus, um mit Hegel zu sprechen. Das müssen Sie vorher vollziehen: Es ist wichtig für mich, es tut mir gut, ich mach das, und ich mach's nicht, weil es unmittelbar attraktiv ist. Das ist schon ein Erkenntnisprozess, den eben im gewissen Sinne nicht alle vollziehen, sondern sie wollen hipp sein, sie wollen Spaß haben. Das verstehe ich auch bei jungen Menschen, das ist auch durchaus natürlich, ich war ja auch mal jung. 12 Sprecherin Da erzählen wir Werner Kieser von Lea und Sophie, den beiden 19jährigen, die für eine bessere Figur sowohl an Geräten als auch auf Laufbändern trainieren. Er reagiert prompt: 16 O-Ton Kieser (0:37) Es ist ein Mangel an Aufklärung, schauen Sie, wenn die straffer werden wollen, ist Krafttraining das einzige, einzig sinnvolle, dann sollen sie nicht noch laufen, abgesehen davon, dass wir keine Lauftiere sind, Pferde sind das, der Fuß ist ein Greiforgan, die machen die Gelenke kaputt mit dem Laufen. Die Damen, die hier schön werden wollen, sollen die Kraft trainieren, dann kriegen sie die Konturen, die schön sind. 06 Musik 03 Atmo 13 Sprecherin Die Welt von Kieser ist überall gleich: weiße Wände, Holzfußboden, Neonlicht. Funktional eben. Eine schwarze Maschine reiht sich an die nächste, vom Gerät A2 geht es zu F3, wo gezielt die Rückenmuskulatur gestärkt wird. Spinde und Duschkabinen aus Stahl, keine Musik, statt Fitnessdrinks gibt es gekühltes Leitungswasser. Roland Schmidt, 35, ist zum Kontrolltraining gekommen. Alle sechs Monate haben die Mitglieder darauf einen Anspruch. Dabei werden einige Maschinen ausgetauscht - neue kommen dazu, alte werden rausgenommen. Die Trainerin Marty wartet schon. 04a Atmo (0:24) T: "Wir sind angekommen"... T: "also das ist unser Multifunktionstrainer - mehrere Übungen, ein Gerät sozusagen. Es kommt jetzt die J 9 rein, statt der F 1, auch für die .... innere und äußere schräge Bauchmuskulatur und den viereckigen Lendenmuskel dort hinten. ... R: hm. .. 14 Sprecherin Die Trainerin ist nicht viel älter als Roland, der Umgangston gut gelaunt, man mag sich. Dennoch sind Überwindung und Schmerz im Spiel, die Erschöpfung der Muskeln fordert Tribut. Ist also Roland Schmidt typisch für die Klientel von Kieser- Training? Kommt er, weil es für ihn wichtig ist und ihm gut tut, auch wenn es schmerzt, wie Werner Kieser behauptete? Hat der 35jährige den "Erkenntnisprozess" vollzogen, die Einsicht in die Notwendigkeit? 17 O-Ton Roland (0:40) Also, ich bin nen freier Journalist, bin viel zu Hause, viel unterwegs, lebe bisschen wie halt ein Freiberufler so lebt, zumal in Berlin, in den Tag rein, abhängig von Aufträgen, mal viel zu tun, mal wenig zu tun, mal gar nichts zu tun, immer auch so ein bisschen Sorgen um den nächsten Auftrag, oder um die nächste Miete, wie man die so zahlen will, so ne Gemengelage. Und ich hab das einfach angefangen nen bisschen als Ausgleich für den Lebenswandel, der ist halt bei mir geprägt durch viel abends weg sein, auf Terminen, aber auch viel ohne Termin abends weg sein, mal einen trinken, rauchen, das sind so die Geschichten, wo man sich dann auch denkt, ja, da könntest du mal was gegen tun. 15 Sprecherin Also doch! Es geht nicht um Spaß, sondern um Gesundheit und Prävention, nicht um Lifestyle, sondern um Therapie. Die Hygiene des Bewegungsapparates eben, wie Werner Kieser in unzähligen Interviews immer wieder betont. Jugend, Schönheit, die Suche nach Freunden oder Flirtgelegenheiten stehen hier also nicht zur Debatte? 18 O-Ton Roland (0:41) Die Mehrzahl der Leute, was meine Wahrnehmung betrifft, die hierhin kommen, sind Rentner oder ältere Leute, sagen wir es mal so, ältere Leute, die wahrscheinlich auf ärztlichen Rat hierhin kommen, und die Gefahr ist hier eben nicht so groß, dass es eine Sehen- und Gesehen-werden-Kategorie einnimmt. Und wenn ich das hätte haben wollen, dann wäre ich wahrscheinlich irgendwie zu McFit oder so gegangen oder zu weiß ich nicht wohin, aber darum geht es nicht. Ich hab ne Frau, ich hab ein Kind und ich muss da auch nicht jemanden kennenlernen. Und ich möchte hierhin gehen und hinterher sagen, oh bah, ich fühl mich wohl, ich hab was für mich getan, ich hab was für meinen Körper getan, der Tag nimmt einen guten Ausklang oder einen guten Anfang, weil man einfach was getan hat. 16 Sprecherin Und dann will Roland noch etwas hinzufügen - irgendwie scheint das Bild, das er in unserem Gespräch von sich entworfen hat, nicht ganz stimmig zu sein. 19 O-Ton Roland (0:59) Ich geh nicht ins Fitnessstudio, um irgendwie Frauen abzuschleppen oder irgendwen zu becircen. Das ist vielleicht bei anderen ein Motiv, geh ich mal davon aus, weil diese Kombination aus stark sein, schön sein und dann gleichzeitig noch attraktiv fürs andere Geschlecht, das spielt schon immer so bisschen zusammen, von daher passt insofern diese Kombination wahrscheinlich ganz gut aus Fitnessstudio und flirten. Mir ist das nicht wichtig - mir ist schon das insofern wichtig, wie es mir immer wichtig ist, da ist ein Fitnessstudio das Gleiche wie ne Kneipe oder ne Straßenbahn - in der Straßenbahn möchte ich auch gerne Leute sehen, die nett sind, die adrett sind, die attraktiv sind und die keinen Mundgeruch haben, keine Frage, aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin. 07 Musik 03 "Wurfsendung - Szene 3" 04 Sprecher: Aus einem unvollendeten Roman - Szene Drei: 03 Autorin Astrid Ich mache keine gute Figur hier auf dem Laufband mit meinem läppischen Fatburner- Puls. Ich bewundere ihn aus der Ferne. Wie macht er das nur? Er absolviert leise pfeifend den ganzen Gerätezirkel: Arm-, Bein- und Brustpresse, Beinbeuger, diese Foltermaschine mit den Kabelzügen, sogar die Bauchbank - bei dem Sixpack! Oh Baby, lass mich dein Butterfly sein! Da kriegt man ja weiche Knie beim Zuschauen. Unsere Blicke kreuzen sich. Eine Frau muss tun, was eine Frau tun muss. Meine Oma hat ihren Mann mit Hilfe eines Volksempfängers gekriegt (kein Empfang!), und meine Mutter meinen Vater mit ihrem Videorecorder (kein Kanal!). Ich schlendere lässig zu ihm rüber und klemme mich mit Verve in die Foltermaschine ein, die ich schon oft benutzt habe. Fluchend versuche ich mich zu befreien, bis ich mit einem Rums nach unten sause. "Aua!" Plötzlich steht er neben mir. "Hier musst du drehen", grinst er und stellt den Sitz fest. "Und wohin mit den Beinen?" frage ich hilflos. "Du sitzt verkehrt rum", sagt er und stellt meine Füße sanft richtig hin. "Gerade sitzen, Schultern runter, Brust raus ...", erklärt er. Ich strahle ihn an und danke heimlich meiner Oma. 08 Musik 05 Atmo (0:39) Fitness First unterm Sprecherin-Text lassen 17 Sprecherin "Fitness First" gehört - im Vergleich zu Kieser-Training und McFit - zur Luxusvariante von Fitnessstudios. Die Filiale am Berliner Alexanderplatz ist schon allein aufgrund ihrer Lage - mit Blick auf die historische Mitte der Stadt - sehr beliebt. Auch hier im Eingangsbereich zwei Lasergeräte für die "Member-Card", seitlich eine Theke, die gleichzeitig auch Saftbar ist. Davor: Caféhaus-Tische mit Stühlen, Sofa, Sessel, Zeitschriften. Auf zwei Etagen unzählige Trainingsgeräte, Laufbänder, Fahrräder. Sauna, Dampfbad, Ruheraum, Kinderbetreuung. 06 Atmo (0:19) R: Gehen wir los. T: Pablo Garcia ist mein Name, ich bin dein Trainer für heute. Darf ich fragen, was du heute vorhast? R: Ja, ich möchte gern hier FitnessFirst kennenlernen ... Können wir beim du bleiben... Ich möchte das hier gern kennenlernen und bin neugierig, was mich hier erwartet. .. 18 Sprecherin Renate ist zum ersten Mal bei "Fitness First" und hat ein Probetraining beim Trainer Pablo gebucht. Sie ist auf der Suche nach einem Studio, das ihrer persönlichen Situation entspricht. 20 O-Ton Renate (0:37) Ja, ich bin Mitte 50, lebe seit sechs Jahren in Berlin und bin beruflich viel unterwegs, da ich freiberuflich arbeite als Trainerin und Beraterin. Ich suche ein Fitness Centrum, um mich körperlich fit zu halten, weil ich das wichtig finde in meinem Beruf, wo ich viel unterwegs bin und dann in der Woche oft nicht so gut dazu komme, dass ich dann am Wochenende oder dann, wenn ich eben Zeit habe, wirklich auch was für meinen Körper mache. Und da jetzt noch mal gezielt an bestimmte Partien dran zu gehen, wo es langsam zwickt und zwackt - das find ich gut. 07 Atmo (0:30) erste 14 s Geräusch, Training (ab 0:13 Atmung) P: Die Atmung, das ist immer, Moment mal, ausatmen, Bein konzentrisch fassen, das war jetzt verkehrt rum, und jetzt nach vorne. R: hahaha P: Das passiert nur am Anfang ... 19 Sprecherin Trainer Pablo aus Portugal ist aufmerksam, freundlich, kompetent und - gutaussehend. Eine Tatsache, die nicht zu unterschätzen ist. 21 O-Ton Renate (0:26) Ja, der Trainer ist ein netter, der Pablo, das hat mir gut gefallen, wie er die Sachen erklärt hat, ich konnte dem gut folgen, was soll ich sagen: Das ist ein Hingucker und mit dem hier so ne Einweisung zu machen, jetzt nicht nur ne Kurzeinweisung, wie das jetzt war, sondern ne ganze Trainingsstunde mit Gesundheitscheck, mit Fitnesscheck und so weiter - das könnt ich mir schon gut vorstellen und auch die anderen, die ich hier gesehen hab, die wirken alle sehr nett, die Trainer. 20 Sprecherin Und was ist mit den Männern und Frauen, die zum Trainieren kommen? Eher Konkurrenz oder Solidargemeinschaft? Die größte Nutzergruppe, so die Aussage von "Fitness First", seien lifestyle-orientierte, qualitätsbewusste Menschen zwischen 25 und 45 Jahren. 22 O-Ton Renate (0:51) Also wenn ich so hier gucke, wer hier so her geht, das sind Junge, oft Durchtrainierte, aber schon auch nen breites Altersspektrum, das ist schon auch da, finde ich sehr gut, ich bin ja nun auch schon Mitte 50. Was schön ist zu sehen: Andere trainieren auch! Ich würde mir gut vorstellen können, wenn Bekannte, Freunde mitgehen, und man sich dort zu bestimmten Zeiten treffen könnte und dann kann man hinterher noch nett was trinken, ein bisschen plauschen, weil das ist dann ein guter Grund, sich zu treffen. Ja, es gibt hier diese unterschiedlichen Bildschirme, man kann Filme gucken, es gibt doch viele, die den Kopfhörer dabei haben und dann einen Film schauen und sehr mit sich da beschäftigt sind - ich weiß gar nicht, ob es hier viele Menschen gibt, die jemand kennen lernen wollen. 08 Atmo Fitness First (0:27) 21 Sprecherin Ganz anders sind die Erfahrungen von Melana, 57, Mitglied bei Fitness First seit sieben Jahren. Natürlich trainiert sie für eine bessere Figur - besonders beim Zirkel- Training wie jetzt. Aber mindestens genauso wichtig sind ihr die Gespräche mit Trainern und Mitgliedern. Man kennt sich, mag sich, tauscht sich aus, geht sogar ab und zu miteinander aus. 23 O-Ton Melana (0:33) Socialising ist das für mich, bisschen schwatzen, erzählen, und Baby da, geheiratet, was gibt's Neues, junge Leute, vormittags wieder ganz anders: ältere Herrschaften auch, finde ich auch sehr schön, viele ältere Leute, 50, 60 - und dieser Mix ist wirklich genial, aber nicht so, dass man das Gefühl hat, man könnte nicht kommen, weil es sind nur schöne Menschen oder nur durchtrainierte, ja dass man denkt, oh, hier kannst du dich nicht sehen lassen - gar nicht! Es ist ein sensationell bunter Mix. 22 Sprecherin Es ist wichtig, außer dem Zuhause und der Arbeit noch einen dritten Ort zu haben, wo man hingehen und sich wohlfühlen kann, sagt Melana. 24 O-Ton Melana (0:44) Ja, mein "Fitness First" ist meine Wohnstube. Ich hab alles, ich komm her, morgens vom Joggen, ich kauf mir meinen Eiweißdrink, ich hol mir meine Zeitung, es ist wirklich genial, es ist jetzt noch nicht mal wirklich ein Werbespruch, es ist genial, ich hab meinen Tipp, wo ich hingehe am Wochenende, und das Schöne am Sport ist, dass jemand, der jetzt 57 ist wie ich - ich hör aber ganz moderne Musik, ich style mich ganz modern, aber ich hab nicht unbedingt mehr die Freundinnen, die 26 sind, aber ich kann hier mit Leuten, die 26 sind, zusammen tanzen gehen, ja, weil wir eine Sportcompany sind und das ist das Schöne an Sport und an diesem Sportclub. 09 Musik 04 "Wurfsendung - Szene 4" 05 Sprecher: Aus einem unvollendeten Roman - Szene Vier: 04 Autorin Astrid Eines Tages merkte ich, dass ich mehr Zeit in der Umkleide verbrachte als beim Sport. Halbnackte Frauen in allen Farben stehen vor den Spinden rum und unterhalten sich über Gott und die Welt. Manche haben Tattoos wie die Japanerin mit den Drachenflügeln auf dem Rücken. Manche bürsten sich stundenlang versonnen vor dem Spiegel. Alle bewegen sich ganz unbefangen. Mir ist schon passiert, dass ich wegen einer hitzigen Diskussion über "MAC versus PC" komplett vergessen habe, meinen BH anzuziehen. Neulich erzählte mir eine Dänin 20 Minuten lang von einem Film, den sie gedreht hat. Ich hörte von der gerissenen Achillessehne vom wilden Tanzen auf dem Prince-Konzert, ich sah die Narben am Oberschenkel von der explodierten Sprudelflasche. Wir machten Wettbewerbe, wer am längsten heiß duschen kann, seufzten über unsere Arbeit, machten Umzugspläne. Bald wurde das gemeinsame ausgiebige Duschen, Eincremen und Föhnen zu einem Ritual wie für unsere Großmütter das Schwätzchen vor der Kirche.? Irgendwann klingelte zu Hause das Telefon und ein mir völlig fremder Mann sagte, er hätte einen Job für mich - eine Sarah Sörenson hätte mich empfohlen. "Sarah wer?" Er räusperte sich. "Sie hat ein Delfin-Tattoo auf dem Arsch." - "Ach die!" sagte ich. "Klar kennen wir uns!" 10 Musik Musik: Madonna, "Hung Up" 50 R'n'B&Hip Hop Beats, Titel: Florida Summer, LC 06350 1