DEUTSCHLANDFUNK Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Sabine Küchler Inside India Von Peter Erlenwein Zitator: Sprecher: Sprecher 1 (Sanyassin): Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Zitator: ( Musik unterlegt ) Von außen kommst du, mach dir nichts vor, von außen Schwebst du ein ins unbekannte Gebiet. Nichts wird dir vertraut sein. Schneide die Filme aus deiner Kindheit. Laß das Dschungelbuch zu. Zeig deinen Paß. Die Hitze stempelt sich dir auf den Nacken. In Bombays Nacht empfing mich Indien wie ein schweres müdes Weib aus Staub. ... Als was kam ich her, überfütterter, nutznießender Moralist? Die Aktie der linken Unschuld ist abgeschmiert an der Börse von Bombay. Glaub bloß nicht, du wüsstest noch etwas von einem Körper, der Erwacht mit beißender Leere im Bauch. Du, der du alles besser weißt, Durch den Erfolg deines Geburtsortes, wirst lernen, wie wenig gewiß ist.... Über den braunroten Hügeln flog der Gott des guten Beginnens, Ganesha, Rüsselköpfig, und wolkenblau wies er den Weg uns zum Tempel des Tukaram. Hier saß, marmorweiß, schwarz die Augen gemalt, die Brauen, schwarz Der Schnurbart, im Arm die Veena, einfach besaitet, der Heilige der Poesie und sagte von sich, er sei der Spucknapf des Gottes Vithoba... ( Musik: Om Namah Shivaj unterlegen (kurz)) Von überall strömen jetzt Pilger, häusliche Bilder des Gottes in ihren Taschen, und plötzlich ist die graugrüne Ebene bis an den Horizont hin Von Erwartung besiedelt ... Wolken aus Mittagsglanz gegen den Himmel Geworfen, Tumeric Powder vergoldet die weißen Hemden Und Erdgesichter der Männer. Schon gewöhnt sich die Luft an das Gelb.... Ich sauge den Glauben ein, stumm: im River Khara glitzern zahllos die Menschen, begießen einander mit vergöttlichtem Wasser, umarmt Fremder Den Fremden. Und ich riskiere einen Augen-Blick Paradies. (Von Außen/ Indische Skizzen des Schriftstellers Gert Heidenreich)Atmo: Flugzeug, dann Musik: Monsoon Wedding (anspielen, darunter legen kurz) Sprecher: Landung in Mumbai. Eine deutsche Familie, für die nächsten fünf Jahre ausgewandert, besser ausgeflogen auf den Subkontinent, um am Goetheinstitut der nahegelegenen Stadt Pune deutsche Sprache und Kultur zu vermitteln. Einen langen Moment verloren und fasziniert, beunruhigt und ergriffen von all der Fremdheit,- von Düften und Sprachen, dunkelhäutigen Gesichtern, von Menschen in Turbanen und Saris, langen Gewändern und westlicher Kleidung. Das sanft-goldene Licht in dieser abgasgeschwängerten 15 Millionenstadt macht staunen, ein Wunder auch die "saribunte" Gepflegtheit vieler Frauen noch im häßlichsten Straßenschmutz. Die weiche Nachtluft hat etwas Irrisierendes, Erregendes. Mit jedem Schritt tauchen wir tiefer ein in diesen fremden Kontinent, die anfängliche Unruhe weicht einem seltsamen Geschmack von Glück, dass aus Staunen, Neugierde und einer übernächtigten Wachheit geboren wird. Sprecher: Die Stadt ist der typische Alptraum einer indischen Megacity. Alles ist in Bewegung - angefangen beim Fußgänger, über die endlose Zahl der Fahrräder, Mopeds und Rikschas, der roten, zerbeulten Busse und bunten Lastwägen, deren Auspuffe qualmen wie riesige Havannas. Jeder hupt, ruft, lärmt, der Verkehr rollt unaufhörlich, bis nahe auf Mitternacht, ballt sich an den vielen Engpässen zu einem schier unentwirrbaren Knäuel, verpestet die Luft - ein Moloch, unbezähmbar. Er ist die unabdingbare Kehrseite des großen hinduistischen Mythos vom Entstehen der Welt: Zitator: Der Shiva-Mythos Am Anfang war Schweigen. Zeit und Raum existierten nicht, ebenso wenig die Götter. Nichts war da. Nur Brahma schlief friedlich in seinem goldenen Lotus; Die Schöpfung hatte noch nicht begonnen. Der Lotus blühte auf, Brahma erwachte; er erschuf die Prajapatis, Väter aller Geschöpfe, die die Welt bevölkern würden. 'Geht und vermehrt euch', sprach Brahma zu ihnen. 'Aber wie?' fragten diese. Brahma war nicht sicher. Plötzlich hörte er eine göttliche Stimme: ' Du hast soeben die Väter erschaffen, was aber ist mit den Müttern?' Mit dieser Botschaft erschien das Bild des kosmischen menschlichen Wesens, das die ganze Welt in sich trug. Es war Ardhanaranari - seine linke Hälfte war eine Frau, seine rechte ein Mann. Brahma erkannte seinen Fehler; er hatte nur die eine Hälfte der Schöpfung hervorgebracht. So schuf er nun die erste Frau. Sie hieß Ushas und war wunderschön; Brahmas Herz flatterte vor Erregung, und schon erhob sich ein dunkler Jüngling mit gelocktem Haar. 'Wer bist du?' fragten alle. ' Ich bin der Herr des Verlangens', antwortete Kama und schoss Liebespfeile in die Herzen aller versammelten Männer. Brahma, ebenfalls von seinem Pfeil getroffen, begehrte Ushas; er versuchte sie zu greifen, aber sie floh und nahm dabei die Gestalt einer Kuh an. Sofort verwandelte sich Brahma in einen Bullen. Die Prajapatis waren alarmiert. Die Gier Brahmas würde die gesamte kosmische Ordnung durcheinanderbringen. Da entstand plötzlich aus seiner Braue ein schreckliches Wesen, wild, grausam. Es war Rudra, der Heuler. Mit einem bedrohlichen Knurren hob Rudra seinen Bogen und nagelte Brahma mit seinen Pfeilen am Himmelsgewölbe fest. 'Wer bist du?' fragten die erschreckten Prajapatis. 'Ich bin Shiva', antwortete Rudra. Dieser Shiva war niemand anders als Ardhanaranari. Brahma dankte Shiva, dass er ihn zurückgehalten habe. Ich mache dich zu Pashupati, dem Herrn der Tiere, derjenige, der seine Instinkte zu kontrollieren weiß. Brahma erschuf von nun an die Welt zusammen mit Ushas, die ihm die Weisheit gab, um den Kosmos zu erschaffen. Sie nannte sich von jetzt an Saraswati. ( Devnutt Pattanaik: Shiva ) Atmo: Flugzeug, dann Musik: Monsoon Wedding (anspielen, darunter legen kurz) Sprecher: ( Atmo: Stadtverkehr unterlegen) Die erste Regel im indischen Straßenverkehr lautet: Vergiss alle Regeln, die du kennst! Die zweite: Nutze die Lücke! Wer das größere Auto fährt, hat in jedem Fall Vorrang, ansonsten nur der, der die besseren Nerven besitzt. Und so verwandelt sich der freundliche Mann von der Straße im nächsten Moment in einen rücksichtslosen, auf den kleinsten Vorteil bedachten, wild hupenden Tyrannen, der den öffentlichen Raum für sich allein gepachtet zu haben scheint. Da es jedoch alle so machen wie er, fällt solches Verhalten niemandem auf. So schießt der Rikschafahrer mit mir vor dem heranbrausenden Bus zentimetergenau an dessen Stosstange vorbei, weicht einem gerade auf dieselbe freie Stelle zustoßenden PKW aus, bringt einen arglosen Fußgänger kurzfristig zum Sprung und steuert dann gelassen auf engster Marktgasse an der Kollegenrikscha vorbei, diese im toten Winkel schneidend, was der Andere ? mit leicht aufgeworfener Braue - zur Kenntnis nimmt. Man würde es ja selbst nicht anders machen, wozu sich also aufregen! Dieses wortlose Eingeständnis nimmt dem Verkehr jenen Stachel der Aggression, der in Deutschland oft gang und gäbe ist. So zeigt sich, dass das Punenser Verkehrschaos doch seine intimen Regeln hat; wer sie beherrscht, kommt, zumeist, ungeschoren davon. Atmo: Fegegeräusche übergehen zur Musik: Kali Ma Sprecher: Der Morgen in Indien beginnt für die meisten Menschen nicht vor neun Uhr. Die Kühle der Frühe gehört den Vögeln und Höfe fegenden Frauen: überall das gleiche Geräusch - das Scharren der zusammengebundenen Besenpalmwedel über den Blüten und blätterbedeckten Boden. In Dreier -und Viererreihen gehen die Frauen an ihr Tagwerk; das Leuchten ihrer Saris berauscht. Bei längerem Betrachten fällt die Härte in den Gesichtern der einfachen Frauen auf, so wie auch ihre Sprache, das "Marathi", aus ihrem Munde eher schrill und roh klingt. Vielleicht eine Parallele zu ihrem kargen Leben. Doch in den Worten des indischen Dichters Dilip Chitre enthüllt sich das Marathi in seiner Farbe und Fülle. Da ist die Sprache mit einem Male ein Fest, ein Zauber ... O-Ton 1 Chitre(Marathi) mit deutsch. Übersetzung Worte sind die einzigen Juwelen, die ich besitze, Worte sind die einzigen Kleider Worte sind die einzige Nahrung, die mein Leben erhält. Worte sind der einzige Reichtum, den ich unter die Leute verteile, sagt Tukaram . Siehe das Wort, es ist Gott. Ich huldige ihm, mit Worten. Sprecher: So lässt Dilip Chitre, in Bombay geborener Schriftsteller, Maler und Filmemacher, in Pune, kürzlich im Bundesstaat Maharastra verstorben, den indischen Mystiker Tukaram aus dem 17. Jahrhundert wiederauferstehen. Chitres Werke sind seit mehreren Jahren auch auf Deutsch zugänglich. Auf einer Lesung seines bayrischen Kollegen Gert Heidenreich am hiesigen Goethe-Institut entstand ein erster Kontakt zwischen den beiden Literaten, der schnell zu einem tieferem Austausch führte. So lud der indische Dichter den deutschen Kollegen zu einer zweiwöchigen gemeinschaftlichen Reise durch Maharashtra ein, um Heidenreich die vielfältigen Gesichter Indiens in seiner Heimatregion zu zeigen. Das Resultat waren zwei Gedichtzyklen. Ein Ausschnitt: O-Ton 1: Heidenreich Alles drängt sich zum Gott, muss den Palki berühren, Männer taumeln in Trance, Männer schlagen die Trommel. Männer peitschen sich aus, Männer brechen mit Eisenketten ihre Sünden entzwei. Was geschah mit mir, der ich dort unbekannt unter den Wissenden stand, mit Augen voll Fremde; alles war sichtbar und verborgen zugleich. Kandobar, eine Blüte, die alle bestäubt. Wenn du ihn malst, indisch-gelb heißt die Farbe auf der Palette. Aber vergiß nicht das Licht. Dilip der Maler schien mir verstört. Der Tod stand uns zur Seite, sah zu uns her, wandte sich ab, für eine Weile durch unsere gierigen Blicke aufs Leben abgelenkt von seiner eigenen Gier. Kandobar war ein Gott ohne Außen. Musik: Gesänge Bombay unterlegen Sprecher: Eine religiöse Feier, eine von vielen - irgendwo in der Stadt, in einer der unzähligen Tempelanlagen, Kirchen oder Moscheen, die es hier wie in jeder indischen Stadt gibt. Kommt man von der falschen Seite hügelaufwärts, landet man direkt am Eingang des Tempels und wird prompt ans Ende der unabsehbaren Schlange zurückverwiesen. Schuhe ausgezogen und eingereiht in die Menge, die einen bestimmten vorgeschriebenen Weg nimmt, um die verschiedenen heiligen Plätze und Gegenstände im Tempelbezirk durch Berührung und Verneigung zu ehren. Leider, wiewohl verständlich angesichts der Massen, sind an den heiligsten Punkten Polizisten aufgestellt, deren einzige Aufgabe in einem unaufhörlich gebrüllten: "Weiter, weiter" besteht, noch unterstrichen durch ein drastisches Vorwärtsschieben der Pilger, was diese jedoch, nach stundenlangem Warten, mit Gekicher und doppelt so schneller Gebetsbewegung erwidern. So drängt und zwängt sich der Menschenstrom durch die schmalen Gänge - ein kurzer Blick auf das Allerheiligste geworfen: Kali, die schwarze Göttin, die Furchterregende - und schon schwappt die Welle der allgemeinen Erregung weiter, hinaus aus dem Tempelbezirk. Atmo: Stimmen Bombay (kurz) Sprecher: Alle hier sind - trotz stundenlangen Wartens vor dem Tempeleingang - vergnügt; palavern, versuchen mit den wenigen Fremden ins Gespräch zu kommen. Auf dem Rückweg hocken am Wegrand die Bettler, darunter viele Frauen mit Gebrechen aller Art, sowie alte Männer und Kinder. Ein Junge wälzt sich schreiend am Boden. Zeiten und geschichtliche Räume überschneiden sich in Indien unentwegt. Sprecher: Wer hat, spendet einige Rupies; Tropfen auf den heißen Stein. Die Armut auf dem Subkontinent ist unübertroffen und unerbittlich. Musik: klass. Raga 1 Sprecher: Hinter der Stadt dehnt sich weites Hochland. Pune liegt auf 6oo Meter Höhe, am Rande der Ghats, der Bergkette, die sich hinter der Westküste Indiens über Hunderte von Kilometern entlang zieht: eine Vielfalt von Landschaften - vom Gebirge, über weite Felder und Landwirtschaft mit saftig grünen Reisfeldern bis hin zu tropischen Waldenklaven mit Bächen und Seen. Musik: Water down the Ganges,1 unterlegen Sprecher: Monsunzeit. Im sanften Nieselregen gehen am Panshet-Lake, einem aufgestauten Flusslauf, fern der großen Stadt, der jetzt, zu Beginn der Regenzeit, einer riesigen, schlammumsäumten Wassserlache gleicht, die den Punensern als Trinkwasserreservoir dient. Die ersten Regenfälle haben die Wege aufgeweicht, die Erde hängt bald in schweren Klumpen an unseren Schuhen. Der Blick geht weit, folgt dem kurvenreichen Matschweg - kaum Menschen; hin und wieder trifft man auf afrikanisch anmutende Rundhütten, zwischen denen Frauen mit silbernen oder goldenen Krügen auf dem Kopf hoheitsvoll hin-und herwandern. Männer stehen oder hocken vor den Eingängen ihrer Häuser und schauen. Zwei Kinder rollen ein altes Blechrad durch den morastigen Acker. Eine alte Frau hackt die nasse Erde. Etwas weiter, ein Ochsengespann, das mühsam, unter ständigen Ho-Ho-Rufen des Bauern, den Holzpflug zieht. Einige Steinmauern mitten im Flachwasser des Sees fallen auf: Reste ehemaliger Dörfer, die von den Wassern des Stausees überflutet wurden. - Ertrunkene Häuser, deren steinerne Gerippe aus dem Wasser ragen, um mit dem Monsun dann wieder zu versinken. Zitator: Musik: Pujari 1 unterlegen. Heil dir, Mutter des Universums, OM du große Schöpferkraft; im ganzen Universum! Du, die alles verdunkelnde Dunkelheit. Ebenso gibst du Wissen uns, in der weisen Art der Mutter. Dein Wesen ist heiliges Licht. Du zerstörst Angst, Schmerz und die Illusionen derer, die du liebend an dich ziehst.. Sprecher: Auf unseren Überlandfahrten fanden sich hin und wieder Tempel der Göttin Kali, der schwarzen und furchtbaren. Die Dorfleute schlachten Hühner, um sie ihr zu opfern. Kali ist machtvoll, sie verkörpert die Nachtseiten des Weiblichen: Ekstase, Tod, Raserei,- und doch bleibt immer der Urquell, die Gnadenreiche! Jejuri ist einer dieser jahrhundertealten Wallfahrtsorte im trockenen Landesinnern Maharashtras. Da brennen große Feuer in riesigen offenen Schalen, da werden die Gläubigen mit gelbem oder rotem Farbpulver beworfen, da erscheint die Göttin in glühendem Schwarz. Sprecher: Musik: Shiva, Mahadeva unterlegen Die Stimmung ist aufgeheizt: Musiker, Schlangenbeschwörer, Saddhus, Kranke und Bettler säumen den mit Pilgern übersäten Weg den Berg hinauf. Im heißen Tempelinneren singen und beten die Menschen, werfen sich zu Boden und opfern ihre Gaben. Der Steinboden, glühend heiß, - eine einzige gelbe Fläche von verstreutem Safran. Mittelalterlich anmutende Zeremonien -über Tage ziehen sich die oft tumultartigen Szenarien der religiösen Feiern hin. Indien im 21. Jahrhundert - nach dem christlichen Kalender. O-Ton 2: Heidenreich Wenn man sieht, wie die Leute in einer gemeinsamen Bewegung, und zwar einer inneren gemeinsamen Bewegung, mit diesem lokalen Gott hinunter ziehen zum Fluß, in ihm baden, dann erlebt man schon etwas von diesem geradezu beneidenswerten Trost, den die Menschen erfahren. Ich weiß, dass man politisch sagen kann, das ist die Kehrseite einer Gesellschaft, die letztlich ihre sozialen Bedingungen doch nicht ändert, aber das ist, glaube ich, in solchen Momenten nicht wichtig. D. Chitre 2: Engl./deutsch übersetzt Actually, nobody can be a total outsider.. Niemand kann gänzlich ein Außenseiter sein oder Insider sein, diese Unterscheidung treffen wir. Und Gert lehnt eigentlich mit dem Titel seines Poems diese Unterscheidung ab. Eigentlich spüre ich darin eine Art Selbstironie. Im Grunde sagt er: Bin ich ein 'Outsider'? Am I an outsider? O-Ton:3 Heidenreich Das ist natürlich für mich die einzige Haltung gewesen, in der ich für dies Land offen bleiben konnte. Viele Autoren fahren irgendwohin, schreiben schon, wenn sie noch betrachten und glauben, unglaublich viel zu wissen, weil sie sich vorbereitet haben; aber das eigentliche Erfahren gelingt nur, wenn ich sage, ich komme von außen, ich muss offen sein, vollkommen offen, ich muss die Bilder, die Gerüche, die Töne, die Stimmungen, die Wellen, die aus einer Kultur kommen, einfach in mich einlasssen. Musik: Zen Kiss (Sheila Shandra) 1 Übergang zu Atmo: Flughafen Sprecher: Abflug nach Delhi, drei Erwachsene, zwei Kinder, eine Menge Koffer, wie immer. Ein ruhiger Flug. Anschließend fährt uns ein Taxi durch die relativ leere Hauptstadt mit ihren riesigen, breiten Straßen, an deren Rändern schemenhaft Parks, Gärten und Häuseranlagen auftauchen. Zur Innenstadt hin wird der Verkehr dichter, dann endlich der Bahnhof: Old Delhi Station. Beim Öffnen der Autotüren greifen sechs bis acht Hände gleichzeitig zu uns hinein, um irgendein Gepäckstück zu ergattern; wir drängen uns aus dem Wagen, das übliche Palaver um Koffer, Träger und Preise beginnt - bei vierWochen Himalaya-Aufenthalt mit allen möglichen Kleidern heißt das: sechs große Gepäckstücke und etliche Taschen. Macht drei Träger, die sich mit uns durch das Menschengetümmel des Bahnhofs schieben. Sprecher: Atmo: Bahnhof/Züge unterlegen Als der Zug einfährt, beginnt die Suche nach dem richtigen Schlafwagen; vor dem unsrigen hat sich schon eine größere Menge mit Sack und Pack versammelt. Groß ist unsere Überraschung, als wir, statt eines geschlossenen Abteils, einen offenen Liegewagen 'Sleeper' genannt, vorfinden. Unser Reisebüro hatte uns nur ein 3. Klasse Ticket besorgt. Es zeigt sich, dass die meisten Passagiere direkt auf ihrem Gepäck liegen, manche haben Kettenschlösser dabei. Da ruhen auch wir nun, zwischen Koffern und Kindern, und während letztere schlafen, versuchen wir Kontakt zu unseren Besitztümern zu halten. Im Gang schiebt sich die Menge unaufhörlich hin und her; ein Blick auf die Toiletten reicht, um die Nacht ohne sie zu überstehen.. Sprecher: In der Früh um acht erreichen wir Haldwani, ein schmutziges, lärmendes Nest am Rande der Berge. Draußen auf dem Bahnsteig empfangen uns ein Dutzend zerlumpter, bettelnder Kinder; starrend vor Dreck drängen sie um uns herum, während wir den Taxipreis zu unserem Bestimmungsort Chilyanaula, vier Stunden entfernt, aushandeln. Atmo: Kinderstimmen Unsere Freundin hält die Bettelei nicht mehr aus, und gibt ein, zwei Kindern ein paar Rupies, worauf ein wahrer Sturm einsetzt. Wir flüchten regelrecht; für einen Moment fällt es schwer, dieses Indien zu ertragen. Wir wollen raus. Einmal außerhalb der Mauern, empfängt uns frisches Grün. Die Straße führt aufwärts und schon tut sich der Blick auf zu herrlich bewaldeten, schroff ansteigenden Gebirgshängen, die sich mit tiefen Schluchten abwechseln, die nur im Monsun, dann aber gewaltige Wassermassen führen. Sprecher 1 (overvoice): O-Ton 1: Sanyassin/Haidakhan According to the Vedas ... Gemäß den Vedas, die ungefähr 5000 Jahre zurückdatieren und das älteste Schriftgut der Hindus darstellen, ist der Mount Kailas die Wohnstätte der Götter. Am Fuße des indischen Berges lebte seit den 1970er-Jahren Haidakhan Baba, Babaji genannt. Er war in dieser Gegend bis 1984, seinem Todesjahr, und seine spirituelle Kraft ermöglichte alles, was heute hier steht. Niemand wusste, woher er kam; er tauchte auf, und die Leute fühlten sich angezogen. Später kamen immer mehr Menschen von überall her. Babajis Botschaft war die der universalen Religion - Wahrheit, Einfachheit, Liebe. Er war ein Guru; doch dieses Wort wird zu oft missverstanden. Es meint schlichtweg einen Lehrer, in dessen Umfeld zu sein eine große Ehre bedeutet. Es ist dasselbe, als würde man von einem angesehenen Geigenlehrmeister unterrichtet; in der gleichen Weise ist er ein Meister, der uns in der Kunst der rechten Lebensführung zu lernen hilft... to help one in the art of living. Sprecher: So einer der frühen Schüler des Meisters, der Schweizer Arzt Hary Gowind. Auf seiner spirituellen Suche stieß er auf ein Bild von Babaji, das ihn magisch anzog. Er hatte in Babajis Lehre gefunden, wonach sein Herz begehrte: Wahrheit, Einfachheit, Liebe. Sprecher: Kleine Frühstückspause am Rande der Straße bei einem Verschlag, der als Imbissstube dient. Wir trinken indischen Tee, "Chai", essen einige Pakoras- gebackene, stark gewürzte Teigwaren- und genießen die Stille. Freude kommt auf, wir haben den Fuß der Himalayas erreicht. Die Straße steigt höher und höher, üppige Mischwälder wechseln mit Monokulturen aus Kiefernbestand, welcher die Böden auslaugt und verkarstet. Unser Ziel ist ein wenig bekannter Ashram an den Ufern des heiligen Flusses Ganga, der hier oben auf 2000 Meter Höhe noch kristallkar ist. Babaji, so heißt es, wurde 1970 in einer Höhle in der Umgebung von einem Bauern entdeckt - ein etwa 20- jähriger Jüngling saß da in tiefer Versenkung und strahlend schön. Er gilt den Menschen hier als Maha Avatar, als eine direkte Inkarnation Shivas, vergleichbar einem Jesus Christus. Zwischen 1977 und 84 baute er nahe seiner Höhle einen einzigartigen Ashram mit Hilfe weniger Schüler. Seit seinem Ableben führt Muniradji, einer seiner engsten indischen Begleiter, diesen heiligen Ort; er errichtete noch einen zweiten Ashram etwas weiter weg, mit einem wunderbaren Blick auf die 7000er Berge des indischen Himalayagebirges. Musik: Chants of India unterlegen Zitator: Shiva sprach einst zu seinem Weib Parvati: Die Welt ist reine Illusion, Auch die Natur ist Illusion. Materie ist flüchtig. Selbst Nahrung ist Maya. Parvati, auch Kali geheißen, Mutter aller Dinge wurde zornig: 'Wenn ich also eine Illusion bin, dann schau, wie du und die Welt ohne mich zurechtkommt'. Nach diesen Worten war sie verschwunden. Die Abwesenheit der Göttin schuf größtes Chaos im Universum. Die Zeit stand still, die Erde vertrocknete. Nirgendwo wuchs etwas, es gab nichts mehr zu essen. Götter, Dämonen und Menschen litten größten Hunger. 'Erlösung macht für einen leeren Magen keinen Sinn', schrien die Weisen. Als Shiva schließlich die Nachricht erreichte, dass Parvati in Kashi eine Küche für alle Wesen errichtet hatte, rannte er, so schnell er konnte, mit allen anderen hungrigen Mägen dorthin. Er reichte ihr seine Schale und sprach: 'Ich erkenne, dass die materielle Welt wie der Geist nicht als Illusion angesehen werden können'. Parvati lächelte und fütterte Shiva eigenhändig. (Devadutt Pattanaik) Sprecher: Die Straße führt uns tiefer ins Hochgebirge; es beginnt zu dunkeln, und der Ashram ist immer noch nicht in Sicht. Schließlich, nach Stunden, eine Bude am Waldrand, mehrere armselige Gestalten hocken am Boden und schlürfen Tee. Die Träger, murmelt unser Fahrer. Die hockenden Männer zeigen am Anfang wenig Lust, uns in der anbrechenden Nacht zum Ashram zu führen. Wortreiche Verhandlungen zwischen unserem Fahrer und den Bergbauern, sowie zusätzliche Bezahlung führen schließlich zum Erfolg. Drei Männer schultern sich unsere Lasten, ein weiterer trägt eines der erschöpften Kinder. Wir tauchen in den stockdunklen Bergwald ein, stolpern über Steine und Wurzeln, tasten uns durch die Finsternis. Ich nehme unsere kleine Tochter auf den Arm - nach kurzer Zeit bricht mir der Schweiß aus, und die Knie beginnen, unkontrollierbar zu zittern- die Gedanken schießen kreuz und quer. Plötzlich entfernt ein Licht, wir tasten uns darauf zu. Zwischen den Baumstämmen im Mondschein glitzert das silbrige Band eines Flusses. Schon öffnet sich der Wald und Minuten später durchqueren wir das große Eingangstor des Ashram. Hundegebell zur Begrüßung. Wir sind angekommen. Sprecher: Musik Pujari 2 unterlegen Der erste Eindruck ist unvergeßlich. Weithin dehnt sich das Flusstal der Gautama Ganga, einem der Zuflüsse des späteren Ganges. Zu beiden Seiten des Stromes die hier etwa 3ooo Meter hohen Bergketten. Etwa 10 Meter oberhalb des Flußes erhebt sich eine massive Klosteranlage. Über einer Hauptebene schließen sich auf zwei Stockwerken galerieartig angelegte Wohntrakte mit Ausblick auf die vielfach verzweigten Gewässer der Ganga an. Die Gebäude sind in sienabrauner Farbe gestrichen, die nach jedem Monsun erneuert werden muss. Neben den kleineren Wohnräumen gibt es eine große Schlafhalle für über 1oo Menschen. Sprecher 1 (overvoice): O-Ton 2: Sanyassin Haidakhan The original form of religion.. Die Urform der Religion-, der Ruf an den Menschen, ein Mensch zu werden, kann man hier noch finden. Deshalb kehre ich immer wieder in diesen Ashram zurück. Wir sind hier nahe an einem der Quellflüsse des späteren Ganges, dem heiligen Fluß. Man hört sein Rauschen immer, Tag und Nacht- man lebt damit.. You always here his sound, you live with it, night and day. Atmo: Flussgeräusch, Übergang zu Musik: Gesänge Haidakhan Sprecher: Auf der gleichen Ebene wie die Unterkunftshalle befindet sich der Haupttempel, in dem die Gottesdienste abgehalten werden. Eine Treppe mit 108 Stufen führt von dort hinunter in die Gärten, die direkt am Fluß gelegen sind. Hier gibt es Rosenbüsche, akaziengleiche Bäume und Trompetenblumensträucher, die einen herrlichen Duft verbreiten, kleine Teiche und einen Steingarten mit kakteenartigen Gewächsen. Hinter einer hüfthohen Mauer beginnt das Flussbett, etwa 15o m breit, von dünnen Wasserläufen durchzogen, die im Monsun zu reißenden Fluten anschwellen. Mitten im Geröllbett steht ein großer Baum, weithin sichtbar, er ist dem Affengott Hanuman geweiht und heilig. Entlang der beiden Ufer ziehen sich bewaldete Berghänge. Dort, in einer Höhle, wie auch oben auf dem Plateau pflegte der Meister und Gründer des Ashram wochenlang zu meditieren. Musikimpuls: Gesänge Haidakhan Sprecher: Als erste Ankömmlinge zum Fest der Großen Mutter, Durga oder auch Kali geheißen, genießen wir die Stille des Ashram, die Einsamkeit des Flusstales, die Begegnungen mit den Bauern der Umgebung, die auf Pferden und Eseln Steine und Sand zu ihren Mühlen am Wasser transportieren. Die Frauen, schmal und klein, tragen riesige Heuballen auf den Köpfen; Kinder sind unterwegs zur Schule, grüßen uns mit dem allbekannten Mantra: OM NAMAH SHIVAJI- DEIN WILLE GESCHEHE, HERR. In den Seitentälern trifft man auf Schwärme von Schmetterlingen, in der Früh pflücken Affen Beeren an den Hängen. Auch Schlangen finden sich hin und wieder im Flussgeröll. Sprecher: Nicht mehr als 2o Leute bewohnen und bewirtschaften die Anlage über das Jahr; während des Monsuns ist sie von der Außenwelt oft gänzlich abgeschnitten; nur zu Festzeiten, wie eben jetzt, füllt sich der Ort mit Menschen von überallher- angefangen von indischen Bauernfamilien aus dem nächsten Dorf bis zu Besuchern aus Europa, den USA und Australien. Manche der weitgereisten Pilger bleiben zu längerer Einkehr. Atmo: Ashramatmosphäre / Gesänge Haidakhan Sprecher: Mary, die englische Verwalterin, die seit über 2o Jahren die meiste Zeit ihre Lebens hier verbringt, weist uns auf eine Tempelanlage auf der anderen Seite des Flusses hin. Es handelt sich um neun Schreine, die jeweils einer hinduistischen Gottheit gewidmet sind: Vishnu, Brahma, Shiva, Krishna, der Flussgöttin Ganga und anderen. Die Wände der Schreine sind mit Symbolen und Bildern farbig ausgemalt. Ein Priester begleitet uns von Tempel zu Tempel und erläutert uns Wesen und Symbolik der verschiedenen Gottheiten. Im Hinduismus sind die unzähligen Götter Ausdruck verschiedenster Kräfte und Funktionen, die dem Gläubigen jederzeit als lebendige Manifestation erscheinen können. Atmo: Tempelklänge/Haidakhan Sprecher 1 (overvoice): O-Ton 3: Sanyasin/Haidakhan Long ago it dawned on me.. Vor langer Zeit habe ich verstanden, dass die Alltagsexistenz immer auf der Außenseite des Lebens angesiedelt ist, dass es aber noch eine innere Seite gibt, wofür ich bis jetzt kein besseres Wort als Gott gefunden habe. Mit dieser Erkenntnis fand ich mich plötzlich im Lager der Gläubigen und teilte von nun an mein Leben mit ihnen. Meine Wahrnehmung ist, dass Gott alles ist, und in jedem von uns anwesend, zu jeder Stunde an jedem Tag. Und das ist so normal, dass es nicht weiter erstaunt, dass dies völlig ignoriert wird. Aber als ich hierherkam, spürte ich, dass die Menschen an diesem Ort die gleiche Einstellung hatten- und zwar schon seit Jahrhunderten.... that people here shared the same idea, already for centuries. Sprecher: Musik : Omati unterlegen Die Tage hier beginnen früh, das erste Glockengeläut weckt die Schlafenden schon um vier Uhr. Die meisten nutzen die erste Stunde zu einem rituellen Tauchbad im Fluß, der zu diesem Zeitpunkt noch sehr kalt ist. Anschließend versammeln sich alle unter zwei riesigen Pipalbäumen hoch über dem Wasser zum Chandan, der rituellen Stirnzeichnung mit Sandelholzpaste, die vom Meister des Ashrams jedem Einzelnen mit sorgsamer Fingerführung aufgetragen wird. Zitator: Musikimpuls: klass. Raga 2 Shiva sah die Welt Brahmas an: sie war schrecklich. Er sah Schmerz und Leiden, Tod und Krankheit, Unglück, Grausamkeit und Gemeinheit. Er weinte und schrie Brahma an:' Du hast keine wirkliche Welt erschaffen sondern nur ein quälendes Zerrbild: Maya, die den Menschen einwickelt in eine Endlosigkeit von Erwartung und Entäuschung'. Doch Brahma entgegnete: 'Ich erschuf die Welt, nicht das Elend; die Welt ist weder schön noch hässlich, weder freudvoll noch traurig, weder richtig noch falsch. Sie ist einfach. Alles andere sind Vorstellungen des Verstandes'. 'Doch du hast auch diesen erschaffen', unterbrach Shiva.' 'Der Verstand kann durch Einbildungen getäuscht werden, er kann aber auch durch die Wahrheit erleuchtet werden; wessen Wahl ist es'? sprach Brahma. Eine interessante Frage! Shiva brütete über diesem Rätsel; er suchte nach Wegen, seinen Verstand zu kontrollieren, durch die Schleier der Illusionen hindurchzuschauen. Nur das würde die Welt des Samsara erträglich machen. Schließlich fand er die Antwort: Es war Yoga- das Mittel um den Verstand an die Gesetze des Kosmos zu heften. Yoga bringt die Gedanken zur Stille, er macht dich wach, heiter, unbeeindruckt von den Turbulenzen der Welt.' Erkenne die zwei Wirklichkeiten: Purusha den ewigen Geist und Prakriti, die Materie, kosmische Substanz, Quelle von Zeit und Raum, immer in Wandlung. Deine Handlungen, dein Karma also, binden dich an sie.' So lehrte Shiva die kosmische Wahrheit. Devdutt Pattanaik, Shiva Atmo: Ashram Pujagesänge, Übergang zu Sprecher 1 (overvoice): O-Ton 4: Sanyassin Every morning this ceremony is conducted.. Jeden Morgen wird die Zeremonie an verschiedenen Plätzen durchgeführt. Eigentlich geht das den ganzen Tag so, um dich wach und konzentriert zu halten, auf dass man nicht abgelenkt wird wie sonst so oft. Das bedeutet Auseinandersetzung mit deinem Alltagsselbst, die man lieber vermeiden würde. that you would rather avoid. Sprecher : Vielen geht hier erstmals der Sinn solch früher Andacht auf: unter den hohen Bäumen stehend, mit Mond und Sternen zu unseren Häuptern. Wir spüren, wie im lauschenden Begleiten des Übergangs des Zeitstroms von Nacht zu Tag dieser uns teilhaben läßt am großen Ritus des Kosmos, an seinem Rhythmus von Dunkelheit und Helle, Stille und Klang. So fließt der eigne kleine Lebensstrom wie die Ganga in das allumfassende Meer, ist eingetaucht in den kosmischen Atem der Schöpfung. Etwas in uns hatte mit Leib und Seele verstanden, was das heißt, eingebunden zu sein ins Ganze. Sprecher: Musik: Shiva Shamboo unterlegen Nach dem Chandan beginnt gegen 6 Uhr früh das Puja, der Morgengottesdienst mit den stundenlangen Gesängen zu Ehren der großen Mutter- Kali. Kali, als der weibliche Gegenpart zu Shiva verkörpert das energetische Prinzip in seiner hemmungslosen, fesselnden und zerstörerischen Leidenschaft. Zumeist wird sie in der hinduistischen Ikonographie mit blutroter heraushängender Zunge, einer Halskette mit Totenschädeln in wildem Tanz dargestellt. Die Gesänge, begleitet von Trommeln und Schellen, entzünden in den Ashramiten ein ekstatisches Feuer, die Lust am überschießenden, rasenden Leben. Das wogt dahin, Stunde um Stunde, während die Reihe der Wartenden, die den Meister mit einem Kniefall ehren, nicht kürzer werden will. Die Atmosphäre im Tempel schwankt zwischen Andacht, Festlichkeit und Gesang, der sich hin und wieder in spontanen Zuckungen entlädt. Als ich die Augen wieder öffne, bemerke ich, dass sich der Raum mit den Jungen und Alten des Dorfes gefüllt hat, mit Dutzenden von Kindern, die ? in ihrer zerschlissenen Alltagskluft ? Reih in Reih stehen, schwankend zwischen Staunen und Neugierde im Angesicht der Zeremonie. Der Meister verteilt Süßigkeiten und Obst als Dankesgabe an alle. Bei vielen 'Westlern' löst die Hingabe an die vedischen Gesänge einen Strom von Tränen aus. Sprecher: In einem Seitenteil des Tempels findet später ein hochkompliziertes Ritual zu Ehren der Großen Mutter statt, geleitet vom Priester, umringt ist von seinen Adepten. Währenddessen sitzen in einem anderen Eck einige Sänger um ein Harmonium und überlassen sich erneut den Melodien der uralten Gesänge; da und dort sind Einzelne in Meditation versunken. Sprecher 1 (overvoice): O-Ton 5 : Sanyassin Of course it is possible to live a life..Natürlich kann man im Prinzip überall ein Leben der Wahrhaftigkeit, Einfachheit und Liebe führen, aber das hier ist ein perfekter Übungsort. Die Lebensregel lautet: Om Namah Shivay; ein Christ würde übersetzen: dein Wille geschehe, HERR. a Christian would say- Thy will be done. Atmo: Stimmen Ashram Sprecher: Ein kleines Frühstück mit Chai und Toast in einem der beiden primitiven Teashops gewährt eine erste Pause. Fröhlicher Austausch untereinander, Rufe an die vorbeiziehenden Bauern mit ihren Pferden, Kindergelächter. Eine Stunde danach, um 9.3o Uhr beginnt das Karma-Yoga, die alltägliche Arbeit: Blumengießen in den Gärten, Toiletten reinigen, Wege im Flusstal anlegen, den Tempel kehren; man meldet sich freiwillig zu all diesen Aktivitäten; es gibt keine Aufsicht. Jeder tut im Prinzip so viel als er möchte. Die Männer machen sich vor allem unten am Flussbett zu schaffen, wo es gilt, einen Schotterweg vom Hauptkloster zur Tempelanlage auf der anderen Seite zu bauen, mit Hilfe großer Steinbrocken, die geschickt im Wasser platziert werden. Sprecher: Musikakzent Omati Die Regelmäßigkeit des Tagesablaufs, die intensiven Andachten, eröffnen mit der Zeit einen Raum der Stille, einen Raum ohne Gedanken. Ich verstehe, dass viele Menschen diesen Ort nicht mehr verlassen wollen- trotz physischer Entbehrungen und seelischer Konflikte, die in solchen Tagen immer wieder aufbrechen. Kämpfe mit den inneren Dämonen: Gier, Eitelkeit und manch Andere. Zitator: Musik Ulysseus Gaze unterlegen 'Die Welt ist angefüllt mit Geschöpfen, die fressen und sich vermehren, sie tun nichts anderes; der Kosmos erstickt an Leben. Was habe ich falsch gemacht,' fragte sich Brahma. 'Du hast vergessen, den Tod zu erschaffen', sagte Saraswati. Also erschuf er Mrityu, ein Mädchen, dunkelhäutig und in rote Gewänder gekleidet. 'Geh und töte alle Lebewesen', befahl er ihr. Mrityu entsetzte sich:' Warum sollte ich das tun'? fragte sie. 'Ohne den Tod hat das Leben keine Bedeutung', antwortete Brahma. Doch Mrityu rannte davon. Shiva fand sie weinend an verlassenem Ort. Er tröstete sie: 'Fürchte dich nicht. Ich werde dafür sorgen, dass alle Wesen, die durch dich umkommen, wiedergeboren werden. Der Tod soll nicht das Ende des Lebens sein; er wird das Tor zu einem Neuen Anfang werden.' Mrityu wurde so zu Mahakali, der Verschlingerin allen Lebens; Shiva wurde zu Mahakala, dem Herrn der Zeit, der die Sedimente der Zerstörung in die Grundlagen neuen Lebens verwandelt. Der ewige Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt war so erstanden- Samsara. Devdutt Pattanaik, Shiva Sprecher: Musik unterlegen: Pujari 3 Die Tage beginnen sich zu dehnen; so wie die Gesänge scheint auch die Ganga durch den größeren Strom der Zeit einfach hindurchzufließen. Viele sind am Rande der Erschöpfung, machen Krisen durch; doch es scheint, als eröffne jede Krise neue Kräfte, die reinigen und erneuern. WER BIN ICH? ICH BIN! So finde ich mich an den beiden Ausgangspunkten allen geistlichen Lebens wieder- dem der Einfachheit und dem der Unmittelbarkeit. Sprecher: Musikimpuls: Fire 2 Am Abend, nach getaner Arbeit und einem zweiten Bad im Fluß ist die Zeit für das Duni, das Feuertempelchen, gekommen. Die Flamme als Medium der Verwandlung hat in den vedischen Zeremonien immer eine hervorragende Rolle gespielt. Da fast parallel zum Duni die Abendgesänge beginnen, sind es nur wenige, die sich in dem kleinen, dunklen aus Stein gebauten Raum des Meisters versammeln. Sprecher: Die Feuerstelle ist eingefasst von einem achtstrahligen Sandstein, an dessen einer Seite sich ein leichte Vertiefung befindet, eine Vulva, aus der der heilige Lingam (Phallus), das Symbol Shivas, hervorragt. Der Achteckstein wird mit Blüten aus dem Garten geschmückt, die Pujari, die Feuerpriesterin, legt einige Holzscheite auf die Asche und entfacht mit einem an einer geweihten Kerze entzündeten Holzsplint eine Flamme. Es ist still im Raum. Die Bilder alter Meister an den rauchigen Wänden verschwimmen zu eigenartigen Formen. Grillen zirpen draußen in den Bäumen, der Duft von Nachtblumen breitet sich aus. Sprecher: Musik: Shakti unterlegen Der Lingam wird mit verschiedenen Essenzen übergossen, ein Schuß Öl lässt die Flammen für einen Moment hoch auflodern. Weihwasser netzt den Anwesenden das Gesicht. Dann ertönt der helle Ton einer Glocke mit dem alles durchdringenden Ton des Muschelhorns. Mehrmals geht die Pujari, die Hüterin des Feuers, durch den Raum, um die Wandbilder mit einem Räucherstäbchen zu weihen. Erst jetzt beginnen wir leise zu singen. Die Zeremonie dauert nur 2o Minuten, ist aber von einer so hohen Intensität, dass manche noch länger in tiefer Stille am verlöschenden Feuer meditieren. Zum Abschluss wird eine Rose ins Feuer geworfen, die in Sekundenschnelle zu Asche verglüht, dabei ihre Form noch eine Weile behält. O-Ton:6 Sanyassin (Overvoice) It is difficult to convey all my experiences. Es ist schwer, all diese Erfahrungen hier richtig zu vermitteln. So manches bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit unverständlich. Ich glaube, Baba erklärte es am sinnfälligsten, wenn er sagt: Gott ist Einer , seine Formen aber viele. God is one but his forms are many.. Zitator: Musik Zen Kiss/Sheila Shandra 2 unterlegen Als Korruption und Verrat in der Welt und im Kosmos zunahmen, wurde Shivas Weib, Parvati, so zornig, dass sich ihre Haut schwarz färbte und ihre Augen rotunterlaufen wurden. Die Götter entsetzten sich über Parvatis Aussehen, und nannten sie Kali, die schwarzhäutige Göttin. Doch Kali, wutenbrannt über den Zustand der Welt, lief Amok und zerstörte alles um sich herum. Damit war die Existenz des Kosmos als solchem bedroht. Um sie zu besänftigen verwandelte sich Shiva in einen Leichnam und legte sich ihr in den Weg. Die Gottheit, blind vor Zorn, stampfte in rasendem Tanz auf ihrem Gemahl. Als sie realisierte, was sie getan hatte; war sie voll Trauer. Doch ihre Kraft, Shakti, brachte Shiva wieder ins Leben. Sie begannen einen gemeinsamen Tanz, der die Welt erneuerte. Und Kali verwandelte sich in Gauri, Mutter des Kosmos, hell und strahlend. Sprecher: Atmo: Sologesang und Flußrauschen Nach zehn Tagen intensiver Zeremonien ein letztes Mal Chandan; in der Tiefe rauscht die Ganga, der Morgenwind fährt kühl durch die Blätter. Dunkel zeichnen sich die Konturen der umliegenden Bergkämme ab, die Steine im Flussbett schimmern hell. Wir stehen schweigend da und lauschen, die Sandelholzpaste auf der Stirn ist noch frisch. Musik: Gruppengesänge Haidakhan (leise) Draußen, außerhalb der Ashrammauern, warten zwei Träger mit Pferden auf uns. Sie packen unsere Sachen und auf geht's, den Berg hinauf in der anbrechenden Morgendämmerung. Auf halber Höhe läuten die Glocken zum Aarti, zum Frühgebet; ein letzter Gruß, bevor der Wald uns verschluckt. Musikausklang: Water down the Ganges (hochziehen) 1