COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Morgens halb sechs in Deutschland Die Geschichte einer afghanischen Flüchtlingsfamilie Autorin Lisa Weiß Redaktion Julius Stucke Länge 19.53 Minuten Sendung 30.07.2012 - 13 Uhr 07 Es ist früh am Morgen, noch vor sechs Uhr, alle schlafen noch. Die Tür geht auf, Polizisten stürmen ins Zimmer, sprechen in einer Sprache, die du kaum verstehst. Sie wecken deine Kinder auf, nehmen dich und deine Familie mit. Wohin es geht, weißt du nicht, ob du jemals zurückkommst, auch nicht. Es bleibt keine Zeit zu packen, keine Zeit, dich zu verabschieden. Keine Zeit zu fragen, ob das was passiert eigentlich rechtens ist. Dieser Alptraum ist für Familie Rasuli aus Afghanistan wahr geworden - in Kempten im Allgäu. Die Familie ist unvermittelt nach Italien zurückgeschoben worden. Das bewegende Schicksal ist ein Teil dieser Geschichte - rechtliche Fragen der andere... M A N U S K R I P T B E I T R A G Shanaz Rasuli // deutsche Übersetzung Es war früh am Morgen, noch vor sechs Uhr. Plötzlich sind Polizisten reingekommen, so acht bis zehn. Ich hatte nur Unterwäsche an, meine Kinder haben geschlafen. Die Polizisten haben gesagt, schnell schnell raus, die Kinder haben so große Angst bekommen, haben geschrien. Ich war geschockt, habe gezittert, ich habe gar nicht richtig verstanden, was sie von uns wollten. Sie haben uns wie Verbrecher behandelt, als ich auf die Toilette musste, sind Polizistinnen mir gefolgt. Ich durfte nicht alleine auf die Toilette gehen. Und Erfan, mein Sohn, er ist 7 Jahre alt,hat den Polizisten auf Deutsch gesagt: ich muss in die Schule und sie haben gesagt: Nein, du kommst weg. Shanaz Rasuli reibt sich die Augen, die Stimme versagt ihr fast. Die 24-Jährige hatte keine Ahnung, was passierte, wohin die Polizisten sie, ihren Mann Ahad und ihre drei Kinder brachten. Sie hatte keine Zeit zu packen, keine Zeit, sich von irgendjemandem zu verabschieden, keine Zeit, um nachzufragen, ob das, was geschah, eigentlich rechtens ist. Für Familie Rasuli ist an jenem Tag im Februar 2012 ein Alptraum wahr geworden - allerdings nicht in ihrer afghanischen Heimat, sondern in Deutschland, in Kempten im Allgäu. Die Rasulis hatten in Deutschland einen Asylantrag gestellt - über den wurde aber gar nicht erst entschieden. Stattdessen wurden sie in ein Flugzeug gesetzt, landeten wenig später in Rom, sagt der 26-jährige Ahad Rasuli. Ahad Rasuli // deutsche Übersetzung Wir waren bis sechs Uhr abends im Flughafen in Rom. Die italienische Polizei hat gesagt: Warum seid ihr überhaupt hierher gekommen, geht zurück nach Deutschland. Ich habe gesagt: Wir sind aber hier, wohin sollen wir jetzt gehen? Sie haben geantwortet, es ist uns egal. Gehen Sie einfach nur weg. Die Rasulis irrten durch Rom, ohne Geld, ohne Essen, ohne Wohnung, aber mit drei kleinen Kindern. Es war Februar, auch in Rom bitterkalt. Shanaz Rasuli // deutsche Übersetzung Tagsüber waren wir in einem Park, es war schrecklich. Wir haben irgendwann einen jungen Afghanen getroffen, er hat uns erzählt, dass es eine Kirche gibt, in der man etwas zu essen bekommt. In der Nacht haben wir dort auch schlafen können, aber tagsüber mussten wir im Park bleiben. Shanaz Rasuli weint, als sie ein Foto von Merila zeigt, ihrer jüngsten Tochter, damals acht Monate alt. Das Mädchen schläft - auf einem Stück Pappe, im Winter im Park. Vier Wochen lang lebten die Rasulis so in Rom auf der Straße - immer auf die Wohltätigkeit der Kirche angewiesen, Zugang zu einer staatlichen Unterkunft für Asylbewerber hatten sie nicht. Die Kinder wurden krank, zu einem Arzt gehen konnte die Familie nicht. Die Situation war unerträglich - und die Rasulis fassten einen Entschluss: Sie wollten wieder zurück nach Deutschland. Familienangehörige schickten Geld, mit denen sie dann Schleuser für die Reise von Italien nach Deutschland bezahlen konnten - zum zweiten Mal. Mittlerweile leben sie wieder in Kempten, wieder in der gleichen Gemeinschaftsunterkunft. Rückblick: Herat, Westafghanistan, im Jahr 2010: Ahad Rasuli hatte sich mit den Taliban angelegt. Er wurde brutal zusammengeschlagen, hat schwere Kopfverletzungen davongetragen. Als auch seine Frau und seine Kinder mit dem Tod bedroht wurden, entschloss sich die Familie zur Flucht aus Afghanistan. Sie kratzten ihr Erspartes zusammen, gelangten über den Iran in die Türkei. Auf einem kleinen Boot, etwa neun Meter lang, setzten sie im April 2011 mit rund 60 anderen Flüchtlingen nach Italien über, erzählen Ahad und Shanaz Rasuli. Ahad und Shanaz Rasuli. // deutsche Übersetzung Sieben Tage lang waren wir auf dem Boot... ...wir waren hungrig und durstig und ich war im siebten Monat schwanger mit meiner jüngsten Tochter. Als Schiffbrüchige landeten wir in Italien, sie haben mich ins Krankenhaus gebracht und die Polizei hat unsere Fingerabdrücke genommen. Aber wir hatten ihnen gesagt, dass wir nicht in Italien Asyl beantragen wollten, wir wollten doch nach Deutschland gehen. Denn dort lebten andere Afghanen, die sie kannten. Und deshalb zogen die Rasulis weiter, nach Norden. n der deutschen Grenze griff sie die Polizei auf, sie lebten zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in München. Dort stellten sie ihren Asylantrag, dort kam auch Merila auf die Welt, heute ein lebhaftes Mädchen, gut ein Jahr alt, mit großen dunklen Augen. Weil in München zu wenig Platz war, wurde die Familie nach Kempten geschickt und wohnte dort rund ein Dreivierteljahr in einer Gemeinschaftsunterkunft - bis sie nach Italien zurückgeschickt wurde. Ein ganz normaler Vorgang, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann: Es gibt mit der so genannten Dublin-2- Verordnung eine feste Übereinkunft innerhalb Europas, innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten, dass jedes Asylverfahren nur in einem Land in Europa jeweils durchgeführt wird. In der Regel in dem Land, in dem ein Asylbewerber von außerhalb Europas das erste Mal ankommt und bei den Behörden entsprechend zur Kenntnis genommen wird. Und das war in diesem Fall Italien. Und das ist ein, denke ich, sinnvolles Abkommen, sonst würden ständig womöglich parallel innerhalb Europas Verfahren laufen, das wäre ja nicht sinnvoll Nachdem die Rasulis ihren Asylantrag in Deutschland gestellt hatten, glich man ihre Fingerabdrücke mit einem europaweiten Fingerabdrucks-Speichersystem ab, der Eurodac-Datenbank . Ein Volltreffer - schließlich hatte die Polizei die Rasulis schon bei der Einreise in Italien registriert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erstellte schließlich einen Bescheid: Die Rasulis sollten zurück nach Italien und dort das Asylverfahren durchlaufen. Ein Standardverfahren, sagt auch Klaus Hackenberg, Flüchtlingsbetreuer beim Diakonischen Werk in Kempten. Er fordert aber: Die deutschen Behörden sollten diese Entscheidung den Flüchtlingen rechtzeitig mitteilen - und nicht einfach unangekündigt Familien um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf reißen. Dieses Vorgehen habe Methode, sagt Hackenberg und zeigt auf ein Begleitschreiben, das das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen mit dem Rückführungsbescheid für die Familie Rasuli an die zuständige Ausländerbehörde gesendet hat: Das ist so ein Standardformular, das das Bundesamt hat. Da steht dran, ich zitiere: Es wird gebeten die Bescheidzustellung gemäß Paragraph 31 Absatz 1 Satz 4 Asylverfahrensgesetz - soweit möglich - erst am Überstellungstag vorzunehmen. Kein Einzelfall - das bestätigt auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Mit der geschilderten Zustellungsform folge man den gesetzlichen Vorgaben, man orientiere sich dabei an der Systematik des Asylverfahrensgesetzes, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des Bundesamtes. Also - kein Spielraum für Bayern, kein Spielraum für die Kemptner Ausländerbehörde? Doch, sagt Ingvild Stadie, die mittlerweile die Familie Rasuli als Rechtsanwältin vertritt: Es gäbe schon von den Ländern die Gestaltungsmöglichkeit, die Bescheide rechtzeitig zuzustellen, das hat jetzt zum Beispiel das Innenministerium Rheinland-Pfalz angeordnet. Mei, theoretisch könnten die Ausländerbehörden auch die Bescheide früher aushändigen. Es ist ja letztendlich nur eine Bitte. Das Bundesamt hat nicht die Möglichkeit, das zu erzwingen Doch Bayerns Ausländerbehörden kommen der Bitte im Allgemeinen nach. Denn Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kann das Vorgehen des Bundesamtes nur zu gut verstehen. Weil man die Erfahrung gemacht hat, dass dann, wenn vorher angekündigt wird, an dem Tag werdet ihr nach Italien überstellt, dass sie sich dem dann durch Untertauchen entziehen, dass sie dann plötzlich verschwunden sind. Und deshalb hat sich das Bundesamt in einer Reihe von Fällen entschieden, das erst am Tag, wo es soweit ist, mitzuteilen. Dass das ansteht, wissen die Betroffenen Ahad Rasuli schüttelt den Kopf. Er versteht die Welt nicht mehr. Deutschland sei doch ein europäisches Land, da gehe es doch ehrlich zu, sagt er: Ahad Rasuli // deutsche Übersetzung Wir haben keinen Brief bekommen. Niemand hat uns jemals gesagt, dass wir nach Italien gehen müssen. Seit diesem Tag hat meine Frau Angst, meine Kinder haben Angst. Wenn sie die Polizei sehen, rennen sie weg. Wer hat nun Recht? Bayerns Innenminister - oder doch die Flüchtlingsfamilie? Beide, sagt Anwältin Ingvild Stadie: Dass rein theoretisch die Familie Rasuli oder andere hätten wissen können, dass das droht, das ist schon richtig. Denn theoretisch die Asylsuchenden wissen und werden aufgeklärt, dass das Land, das man zuerst erreicht hat, eigentlich fürs Asylverfahren zuständig ist. Rein theoretisch hätten sie es sich denken können, dass eine Gefahr besteht, das ist schon richtig. In der Praxis wissen die meisten Asylbewerber aber nicht, dass sie in naher Zukunft eine Rückschiebung erwartet. Sie bekommen nur ein Schreiben des Bundesamtes, dass die Außenstelle Dortmund, Referat 431, mit ihrem Fall befasst sei. Wenn sie, wie auch die Familie Rasuli damals, keinen Anwalt haben, sagt das ihnen nicht viel. Sie wissen meist nicht, dass dieses Referat versucht, die Überstellung von Asylbewerbern in einen anderen EU-Staat zu organisieren. Und daher sei die späte Zustellung des Bescheids ein großes Problem, sagt Flüchtlingsbetreuer Klaus Hackenberg: Wenn die natürlich am Abschiebetag auf der Hinfahrt zum Flughafen den Bescheid bekommen, dann besteht gar keine Möglichkeit mehr, sich rechtliche Hilfe durch einen Anwalt zu holen beziehungsweise Gerichte anzurufen, geht gar nicht. Muss auch gar nicht gehen, sagt Bayerns Innenminister Herrmann. Denn im Asylverfahrensgesetz ist geregelt: Die Gerichte im Eilverfahren anzurufen, um eine Abschiebung zu verhindern - das geht nicht, wenn der Flüchtling in einen sicheren Drittstaat zurückgeschoben werden soll. Und Italien zählt zu diesen Staaten. Hier hat der Gesetzgeber klar entschieden, dass es da überhaupt keines weiteren Rechtsschutzes bedarf, sondern dies zu vollziehen ist. Anwältin Ingvild Stadie sieht das anders. Trotz der Regelungen im Asylverfahrensgesetz. Also es ist nicht so, dass man nichts dagegen machen kann. Das Bundesverfassungsgericht hat da schon 1996 Ausnahmen davon zugelassen, wenn eben deutliche Hinweise darauf bestehen, dass es eben kein sicherer Drittstaat mehr ist oder dass in diesem Drittstaat etwas ist, was der Gesetzgeber so nicht gesehen hat. Zurzeit werden beispielsweise keine Asylbewerber aus Deutschland nach Griechenland zurückgeschoben, auch wenn sie dort in die EU eingereist sind. Denn obwohl Griechenland EU-Mitglied ist, ist die Situation für Asylbewerber und Flüchtlinge dort so schlecht, dass Griechenland nicht mehr als sicheres Drittland gilt. Ist ein Land wie Italien, wo Asylbewerber teilweise obdachlos sind, ein Land, das mit der Zahl der ankommenden Flüchtlinge offenbar überfordert ist, wirklich noch ein sicheres Drittland? Das Bundesamt für Migration und Flüchtling ist der Meinung: Ja. Und führt in einer schriftlichen Stellungnahme aus: Zitat Zwar gibt es Hinweise auf vereinzelte Probleme im Asylsystem von Italien, beispielweise in einigen Regionen zu wenig Unterbringungsplätze oder zu kurze Unterbringung. Allerdings gibt es keine Erkenntnisse darüber, dass auf ganz Italien bezogen nicht ausreichende Unterbringungsplätze für Asylbewerber zur Verfügung stehen. Der Zugang zum Asylverfahren, auch für sogenannte Dublin-Rückkehrer, ist gewährleistet. In Auswertung aller vorliegenden Erkenntnisse des Bundesamtes ergibt sich das Bild, dass Italien trotz vorhandener Mängel und einzelner Missstände über ein funktionierendes Asylverfahren gemäß den Mindeststandards der Europäischen Union verfügt. Für die Familie Rasuli, die wochenlang im Park in Rom lebte, ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Bernd Kasparek von der Migrationsorganisation bordermonitoring europe kennt die Situation in Italien; er besichtigte Flüchtlingsunterkünfte und hat mit Asylbewerbern gesprochen, die auf der Straße leben. Er sagt: Rein juristisch habe das Bundesamt schon recht. Weil die Richtlinien tatsächlich eingehalten werden. Das ist ne Schwäche von den Richtlinien, weil die sozusagen sehr wenig einfordern. Wenn man sich das jetzt aber anschaut, dann ist das so, dass es zwar ein funktionierendes Asylsystem gibt, das heißt es ist nicht wie in Griechenland in Italien durchaus möglich, einen Asylantrag zu stellen. Ich würde auch sagen, es gibt ne relativ hohe Anerkennungsquote. Das Problem ist aber, dass der Staat danach sozusagen jegliche Fürsorgepflicht für die Flüchtlinge aufgibt. Denn in ganz Italien gibt es nur etwa 3000 staatliche Wohnplätze, in denen anerkannte Flüchtlinge oder registrierte Asylbewerber unterkommen können. Allein im letzten Jahr stellten dort aber über 35000 Menschen einen Asylantrag. Und deshalb versuchen viele Flüchtlinge Italien irgendwie in Richtung Norden zu verlassen. Wie auch die Rasulis, die zurückgekehrt sind nach Kempten, , immer noch auf ein Leben in Deutschland hoffen. Doch die überraschende Rückschiebung zu nachtschlafender Zeit und das Leben auf der Straße haben ihre Spuren hinterlassen, sagt Flüchtlingsbetreuer Klaus Hackenberg aus Kempten. Zwei der Familienmitglieder sind hochgradig traumatisiert. Die Frau hat durch diese Abschiebeaktion, also ist die einfach krank geworden, behandlungsbedürftig. Und beim siebenjährigen Sohn scheint das auch so zu sein. Der siebenjährige Junge, morgens, wenn er aus dem Haus geht, fragt er seine Eltern, ob sie auch noch da sind, wenn er zurückkommt Immer noch leben die Rasulis in Angst: Jederzeit könnten wieder Polizisten vor der Tür stehen und sie wieder ins Flugzeug nach Italien setzen, fürchten sie. Deshalb schläft Shanaz Rasuli schlecht, zittert, hat Selbstmordgedanken. Eine Rückschiebung, die Menschen so mitnimmt, Menschen, die ohnehin schon mit den Erlebnissen der Flucht aus der Heimat zu kämpfen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann wiegelt ab. Ich hab von mir aus keine Erkenntnisse, dass es hier zu nicht ordnungsgemäßem Verhalten gekommen ist und dass daraus Traumatisierungen entstanden sind. Sechs Uhr morgens ist ja nun auch für normale Menschen in unserem Land keine völlig unmögliche Zeit. Es gibt viele Arbeitnehmer, die schon früher aufstehen am Morgen. Shanaz Rasuli und ihr Sohn Erfan sind allerdings traumatisiert - sie bräuchten dringend eine Psychotherapie. Da geht es ihnen so, wie rund 12 000 anderen Flüchtlingen in ganz Deutschland, sagt Jürgen Soyer von Refugio München, einem Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer. Refugio bietet Therapien an für Leute, die wegen Erlebnissen in ihrer Heimat und auf der Flucht traumatisiert sind - und, wie Asylbewerber, nicht über die gesetzliche Krankenversicherung Zugang zu psychologischer Betreuung haben. Auch wenn der Staat durchaus Mittel und Wege finden könnte, Asylbewerber flächendeckend psychologisch zu betreuen, meint Jürgen Soyer. Also, es gibt in sehr engen Grenzen tatsächlich über das Asylbewerberleistungsgesetz, das ist ja das Sozialhilfegesetz für Flüchtlinge, gibt's schon die Möglichkeit, dass jemand Therapie bekommt und dass auch ein Dolmetscher darüber bezahlt wird, das ist durchaus vorgesehen. In der Praxis haben die Leute halt so gut wie keinen Zugang, also dass die Leute keinen Dolmetscher finden oder manchmal auch Sozialämter in einigen Landkreisen diese Regelungen gar nicht kennen oder sie einfach ned anwenden, die Leut sowieso ned informieren über diese Rechte Denn offenbar kennt sich nicht einmal die bayerische Staatsregierung aus beim Thema Therapien für Asylbewerber. Fragt man an, wie viele Therapien bewilligt werden, wie viele Plätze es bayernweit gibt oder wie lange die Wartezeiten sind, wird man vom Sozialministerium zum Gesundheitsministerium verwiesen, zu den Sozialämtern und zu den Landratsämtern - und wieder zurück. Niemand scheint sich zuständig zu fühlen, klare Antworten gibt es nicht. Entsprechend wird auch das Trauma-Zentrum von Refugio zwar unter anderem von der Stadt München, von der EU und der UNO finanziell unterstützt -aber nicht vom Freistaat Bayern. Die Arbeit Refugios sei dort politisch nicht erwünscht, sagt Jürgen Soyer. Denn warum solle man Asylbewerber, die ohnehin möglichst schnell abgeschoben werden sollen, noch teuer therapieren. Aber diese Ansicht des Freistaats und vor allem der CSU findet Jürgen Soyer kurzsichtig - viele Asylbewerber bleiben letztlich doch in Deutschland. Weil man sich einfach langfristig dann sehr kostspielige Fälle einhandelt, auch Leute, die einfach nicht arbeitsfähig oder schwerer arbeitsfähig sind. Und ich mein, es liegt auf der Hand, da muss ich nicht sehr viel ausführen, dass es natürlich humanitär katastrophal ist so ne Einstellung. Zu sagen, mei bleim halt jetzt noch drei Monate da und leiden zwar extrem, aber wir geben ihnen keine Hilfe. Also ich will's nicht zu sehr strapazieren, aber eine Partei die das C in ihren Namen hat, sollte sich auch so christlich und humanitär zeigen, dass man sagt auch für die Zeit, wo sie da sind, kriegen sie wenigstens die wichtigsten Unterstützungen. Die Therapieplätze von Refugio sind ständig ausgebucht. Nur an vier Tagen im Jahr nimmt die Organisation überhaupt Menschen auf die Warteliste auf, dann kann es noch bis zu einem Jahr dauern bis zum ersten Termin. Für die Rasulis könnte es einen Therapieplatz ab Oktober geben - falls sie nicht vorher zurück nach Italien geschoben werden. Ob und wann das passiert, ist unklar. Einige Verwaltungsgerichte, auch in Bayern, haben schon entschieden, dass Flüchtlinge wegen der schlechten Verhältnisse in Italien ihr Asylverfahren hier durchführen dürfen. Doch das sind Einzelfälle, sagt Rechtsanwältin Ingvild Stadie. Die Chancen dass die Bundesregierung oder das Bundesinnenministerium da was ändern, die sind gleich null, außer sie werden dazu gezwungen. Nur es ist halt so, also sobald Italien ausgesetzt wird wie Griechenland fällt auch die Dublin-II- Verordnung ist meine persönliche Meinung, weil dann muss natürlich Malta, Ungarn, müssen diese Länder folgen. Denn dort ist die Situation ähnlich wie in Italien. Für den Fall der Familie Rasuli hat Ingvild Stadie jedoch Hoffnung - eben weil Shanaz Rasuli und ihr kleiner Sohn traumatisiert und damit ihrer Meinung nach reiseunfähig sind. Ein entsprechendes Gutachten wird gerade erstellt und von der Ausländerbehörde geprüft. Also ich denke, dass wir ne Überstellung auf jeden Fall verhindern können. Denn man hat halt das Argument, dass die Verhältnisse in Italien so schlecht sind, dass ne unmenschliche, erniedrigende Behandlung droht, das ist das eine aber ich hätte auch noch eine zweite Möglichkeit, dass ich gegen die Ausländerbehörde die Klage richte, weil eben Reiseunfähigkeit vorliegt und die trotzdem abschieben wollen. Und eins von beiden müsste hoff ich klappen. Es ist ja auch nicht das Ende, wenn jetzt das Gericht das ablehnen würde, dann würd ich auch einen Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht stellen und danach auch zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Oder man versucht eine Gemeinde zu finden, die die Familie ins Kirchenasyl nimmt. Die Zeit arbeitet für die Familie Rasuli. Sechs Monate hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Familie nach Italien zu überstellen, nachdem Italien zugesichert hat, die Rasulis wieder aufzunehmen. Schafft das Bundesamt das nicht, dann darf die Familie bleiben und hier ihren Asylantrag stellen. Und Shanaz Rasuli könnte vielleicht irgendwann wieder ohne Angst an die Zukunft denken. Shanaz Rasuli // deutsche Übersetzung Ich brauche ein ruhiges Leben neben meiner Familie. Als ich meine Tochter im Park schlafen gesehen habe, war das eine Katastrophe für mich. Ich habe keine Nerven für meine Kinder mehr, ich schimpfe mit ihnen, ich weine jede Nacht. Ich brauche einfach nur ein ruhiges Leben. -E N D E- 1