KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Ko Kostenträger : P 62 110 Titel der Sendung : "Berlin - Nairobi" Worte und Hip Hop verbinden zwei Kulturen Autorin : Irene Binal Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 29.04.2014 Besetzung : Autorin (Kommentar), Sprecherin (Overvoice), Sprecher (Overvoice) Regie : Karena Lütge Produktion : O-Töne, Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503- Titel: Berlin - Nairobi Deutschlandradio Kultur Sendedatum: 29. April 2014 Redaktion: Dorothea Westphal Autorin: Irene Binal Länge: 28 Minuten ----------------------------------------------------------------------------------------- Anmoderationsvorschlag: Berlin und Nairobi: zwei unterschiedlichere Städte sind kaum denkbar. Hier Ordnung, Sauberkeit und ein eng geknüpftes soziales Netz, dort Chaos auf den Straßen und bitterste Armut in den Slums. Und dennoch gibt es einen gemeinsamen Rhythmus. Auf dessen Spuren hat sich die Literaturwerkstatt Berlin begeben, mit einem Projekt namens "Spoken Worlds": Künstler aus Kenia und Berlin, Poeten, Rapper, Hip-Hopper, haben sich zusammengetan und in ihrer Arbeit die Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten ihrer jeweiligen Kulturen herausgearbeitet. Irene Binal war dabei und berichtet von einer Woche voller Musik, Dichtung und Rhythmen, die eines gezeigt hat: In der Kunst lassen sich Brücken mitunter ganz einfach bauen. ------------------------------------- - Autorin (Kommentar) - Sprecherin (Poeticbee und L-ness) - Sprecher (Ogutu, Octopizzo, Checkmate und MC Kah) Sämtliche Töne und Musikeinspielungen bringt die Autorin auf CD mit MUSIK - "Come closer Nairobi Berlin" - Mitschnitt Veranstaltung Donnerstag (Take 01) unter OTs stehenlassen Take 02 Publikumsreaktionen, 23 sec. Mann: Wunderbar, wunderbar, sehr interessant, sehr informativ.. Frau: Ja ich fand es auch sehr interessant, also es hat das eben alles mal aufgebrochen, diese Begegnung aus den zwei verschiedenen Welten, es war sehr anregend, so, ja. Mann: Es war vor allem mal interessant, zu sehen, wie die Leute so zusammenarbeiten, also einfach die Künstler auch aus anderen Ländern zu sehen, vor allem von so weit weg. Aus einer ganz anderen Kultur quasi. MUSIK nochmal hochziehen fade out unter Text Autorin Nairobi und Berlin im Gleichklang: Dem Berliner Publikum gefällt die Begegnung zweier Welten in Musik und Wort, Künstler aus Nairobi und Berlin, die Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede überwinden. Eine Woche lang waren die Rapper und Dichter aus Kenia in Berlin, sechs Tage voller Workshops, Proben und Performances - und mit einem Gottesdienst. Einem außergewöhnlichen Gottesdienst, den der Dichter und Dramaturg Christian Filips für die Gäste aus Kenia zur Begrüßung am Sonntag inszeniert hat: Die Uferhallen, ein Kulturzentrum im Berliner Wedding, werden zur Kirche: Take 03 Christian über Kirche, 27 sec 01:59 Ja, ich war in einer Kirche in Nairobi, in einem Slum, und habe festgestellt, dass dort in jeder Garage quasi eine Kirche sich befindet, dass es unzählige Kirchen gibt, und dass das eine Tradition offenbar ist, die man hier nicht hat, also dass man einfach aus dem Nichts eine Kirche gründen kann und mit quasi keinen Mitteln, nicht, und mir schien, dass es gut wäre, einen Ort zu schaffen, wo das stattfinden kann. MUSIK: Kirchengesang, unter Text beginnen Autorin Die "Queer Hip-Hop-Hope Community Church" nennt Filips seine künstlerische Installation. Und dort geht es manchmal ganz traditionell zu... MUSIK: Kirchengesang hochziehen ...und dann wird auch performed - auf Englisch, Suaheli und Deutsch: EINSPIELUNG: Performance Kirche (25 sec. ev. länger) Autorin Mehrere Sprachen, Künstler aus unterschiedlichen Welten auf einer Bühne: Genau darum ging es beim Projekt "Spoken Worlds" der Literaturwerkstatt Berlin: verschiedene Stilrichtungen aus zwei Kontinenten zusammenzubringen, Lyrik, Rap, Hip-Hop, sprachliche und kulturelle Grenzen zu durchbrechen. Begonnen hatte alles in einem Café, erinnert sich Projektleiterin Isabel Ferrin-Aguirre, beim Gespräch mit dem kenianischen Rapper MC Kah und dem Sozialarbeiter Olad Aden: Take 04 Isabel über Beginn, 26 sec Also die Idee war tatsächlich als MC Kah, Olad und ich zusammensaßen und wir darüber eigentlich überlegt hatten, es wäre eigentlich spannend, eine Austausch zwischen diesen Kunstformen zu machen, und das war so der Ursprung und dann eben zusammenkombiniert mit dem Hintergrund von Translating Hip Hop und diesen ganzen Punkten, die noch dazukamen, wurde es dann immer größer und immer konkreter. Aber so diese Initialzündung war eigentlich an einem Café am Marheinekeplatz, wo wir einfach dasaßen und dachten, wir sollten was zusammen machen. Autorin Eine kleine Idee mit großer Wirkung: In der Kunst rücken Nairobi und Berlin ganz nah zusammen - trotz aller Unterschiede. Beim Spaziergang durch das sonntägliche Berlin bestaunen die Gäste aus Kenia das Brandenburger Tor und den Reichstag und wundern sich über die Ruhe auf den Straßen. SPRECHERIN Take 05 Poeticbee über Ruhe in Berlin, englisch, 14 sec Es ist wirklich ruhig. Daran bin ich nicht gewöhnt. Da wo ich herkomme sind die Leute laut, tagelang, niemand ist still. Autorin Eine ganz neue Erfahrung für Poeticbee. Eigentlich heißt sie Helen, unter ihrem Künstlernamen schreibt sie Gedichte. Außerdem ist sie eine talentierte Sängerin. Und das stellt sie unter Beweis, als sie einen Gitarristen vor dem Reichstag entdeckt. EINSPIELUNG Poeticbee singt vor dem Reichstag Autorin Nicht nur das Publikum, auch der überraschte Musiker ist begeistert: Take 07 Musiker vor dem Reichstag, 7 sec. Ich fand es mega! Hat richtig Spaß gemacht! Eigentlich dachte ich, ich bleibe heute zuhause, weil was passiert schon groß an einem Sonntag, aber schön. Heute ist ein schöner Tag. Autorin Eine Sängerin, die Gedichte schreibt, eine Dichterin, die singt: Während die Disziplinen in Deutschland meist streng getrennt sind, gehen sie in Nairobi ineinander über und lassen mitunter etwas Neues entstehen: SPRECHERIN Take 08 Poeticbee über Disziplinen, englisch, 16 sec. Bei euch ist es anders, es gibt die Lyriker und die Hip-Hopper, und sie arbeiten nicht zusammen. In meinem Land ist alles eins. Wenn man schreibt, geht man einfach mit einem Zettel ins Theater und macht eine Performance daraus. Autorin So singt Poeticbee und schreibt und tritt auf - und nebenbei besucht sie eine Modeschule in Nairobi. Denn mit der Kunst Geld zu verdienen, ist schwierig: SPRECHERIN Take 09 Poeticbee über Geschäfte, englisch, 26 sec. Manchmal rechnet es sich. Als Dichter bekommt man immer mal wieder viel Geld, aber wenn man nicht aufpasst, gibt man alles aus und im nächsten Monat steht der Vermieter wieder vor der Tür. In Kenia muss man als Dichter viel Geschäftssinn haben. Manchmal verkaufe ich Kleider und solche Sachen, so überlebe ich. Autorin Tatsächlich: Zu allen Veranstaltungen bringen die Künstler etwas mit, T- shirts, Schmuck, Schuhe, die sie verkaufen, vieles davon selbstgemacht. Kunst allein ist zu wenig, man muss sich auch vermarkten, denn einen Manager können sich nur wenige leisten. Dabei würde sich Poeticbee viel lieber ganz auf ihre Dichtung und ihre Songs konzentrieren. Gelegenheit zum Singen findet sie immer - vor allem, wenn der Rapper Checkmate Mido dazu die Beatbox macht: EINSPIELUNG Poeticbee singt, Checkmate Beatbox Autorin Am nächsten Tag geht es los mit den Workshops in der Heinrich-Böll- Stiftung. Poeticbee arbeitet mit dem Rapper Erko aus dem Berliner Wedding zusammen: EINSPIELUNG Poeticbee und Erko arbeiten, maximal 25 sec Autorin Erko ist ein junger Mann aus einer türkischen Familie, der beinahe in die Kriminalität abgedriftet wäre - erst die Musik bot ihm eine Perspektive: Take 10 Erko über seine Vergangenheit, 32 sec. Wir sind aufgewachsen mit dem Gedanken, dass wir nichts können oder nichts wissen, das habe ich sehr gut in Erinnerung so, und so perspektivlos halt, wir wurden halt auch immer abgeschoben und immer weitergereicht und Musik war eine Sache wo ich gemerkt habe, ich kann es, ich kann was, und da kommt auch was Positives zurück, und dadurch hat mir das schon eine Perspektive geboten, nicht stehenzubleiben oder kriminell zu werden, wie der Großteil meiner Freunde, viele sind auch zur Zeit im Gefängnis oder haben viele Probleme mit der Polizei und solche Dinge, und ich bin schon froh und stolz, sagen zu können, dass ich aus diesem Teufelskreis raus bin, und Musik war da eine sehr große Hilfestellung für mich auf jeden Fall. MUSIKEINSPIELUNG: Erko Rap Abschlussveranstaltung Autorin Neben seinen Auftritten macht Erko eine Ausbildung zum Sozialarbeiter - denn sich allein auf die Kunst zu verlassen, erscheint ihm doch allzu unsicher: Take 11 Erko über Moral, 26 sec. Also ich habe den Glauben aufgegeben, dass ich Superstar werde, was ich jahrelang geglaubt habe, ja, das Potential ist da, auf jeden Fall, bloß ich habe auch so einen bestimmten Anspruch an mich selber und an meine Musik, dass es Kunst bleibt und nicht nur um Business geht, weil sobald es um Geld geht, schmeißt man alle moralischen Bedenken über Bord und wird nur noch ein Produkt und das möchte ich auch gar nicht selber. Ich kenne viele, die das machen und gemacht haben und viel Geld verdient haben mit Musik, aber da bleibt die Kunst für mich auf der Strecke. Das wäre es mir auch nicht wert. Autorin Wie Erko und Poeticbee arbeiten auch die anderen Künstler aus Berlin und Nairobi intensiv zusammen. Die kenianische Dichterin und Performance-Künstlerin Sitawa Namwalie und ihre deutsche Kollegin Birgit Kreipe übersetzen wechselseitig ihre Gedichte. Eines davon trägt den Titel "Schneewittchen revisited". Einspielung Birgit mit Schneewittchen, 17 sec. Autorin Soweit das deutsche Original. In Sitawas Übersetzung findet sich ein etwas anderer Ton: Einspielung Sitawa mit Schneewittchen, 25 sec. Autorin Um Worte geht es auch in einer anderen Gruppe: Der Theaterautor Ogutu Muraya und der Rapper Checkmate Mido haben sich mit Josefine Berkholz zusammengetan, einer jungen Spoken-Word-Dichterin aus Leipzig. Sie arbeiten an einem Theaterstück - oder jedenfalls so etwas Ähnlichem... Take 12 Josefines Soundgebilde, 8 sec. Ich denke, es wird ein performatives, Spoken Word-Rap-Lyrik-Soundgebilde SPRECHER 1 Take 13 Ogutus Unterton (englisch), 11 sec. Ich schreibe eine Art Unterton auf Suaheli. Wie ein Flüstern im Hintergrund, Worte, die manchmal einen Sinn ergeben und manchmal nicht. Take 14 OT Ogutu Suaheli, 10 sec.) Autorin Aber wie funktioniert das? Wie schreibt man ein Theaterstück in drei verschiedenen Sprachen, nämlich Deutsch, Englisch und Suaheli? Das ist, meint Josefine Berkholz, eigentlich gar nicht so schwierig: Take 15 Josefine über die Arbeit, 38 sec. Wir haben am Anfang lange darüber geredet, ob wir ein gemeinsames Thema haben, worüber wir reden können, sind eben auf dieses Kernthema Kontrolle und Zwischenmenschliches und Innermenschliches gekommen, dann haben wir eigentlich gesagt, ok, jetzt setzen wir uns alle hin, haben uns alle zusammen an einen Tisch gesetzt, aber jeder für sich gesammelt und ganz viel geschrieben und jetzt haben wir jeweils die Texte oder die Fragmente von den anderen ausgedruckt und werden uns da glaube ich alle was überlegen und dann nochmal darüber sprechen, wo sich dann wahrscheinlich auch noch rausstellen wird, ok, da muss noch was geschrieben werden, da muss noch was geschrieben werden, wir brauchen von dir noch einen Part auf Suaheli, der irgendwie Sound baut, und dann fügt es sich hoffentlich am Ende alles zusammen, Storytelling und Lyrik und Spoken Word und Performance-Poesie und Rap, Beatbox, Zeug. Autorin Und tatsächlich: Schließlich kommt ein Stück heraus, in dem sich die einzelnen, so verschiedenen Sprachen und Ideen ineinander schmiegen: EINSPIELUNG Ausschnitt Theaterstück Josefine Ogutu Checkmate (sehr laute Trommel...), ca. 17 sec. Autorin Nach drei Tagen intensiver Arbeit wird eine CD präsentiert, die die Künstler bereits in Kenia produziert haben, damals, als die Berliner zu Gast in Nairobi waren. Einspielung von CD Autorin Rückblende: Im November 2013 reisten die Berliner Künstler in die kenianische Hauptstadt. Ein Aufenthalt, der sie alle geprägt hat. Street Poetry gehört in Nairobi einfach dazu - und der Rapper LMNZ alias Marcus Gram aus Berlin hat gern mitgemacht: Einspielung Nairobi Street Poetry, 16 sec. Autorin Auch deutsche Dichtung kam in Nairobi an - das hat Josefine Berkholz bei ihren Spoken-Word-Performances erlebt. Die deutschen Worte stoßen bei den kenianischen Zuhörern auf Resonanz: Take 16 aus Nairobi Josefine über Auftritt, 28 sec. Josefine: Es gibt ja diese, beim Spoken Word diese ungeschriebene Regel, die besagt: if you don't understand the poem, feel it, das klingt immer so ein bisschen cheesy aber ich habe über die Zeit mitbekommen, dass das tatsächlich ganz gut funktioniert beim Spoken Word, natürlich konnte kein Mensch Deutsch, aber es gibt tatsächlich irgendwas, was man transportiert und was man zeigt beim Performen, was nicht nur an den Worten hängt, und das ist halt gerade eine total geile Erfahrung, dass Leute, die kein Wort von meiner Sprache verstehen, trotzdem ein bisschen was mitkriegen von dem, was ich da gerade sage. Autorin Das Programm in Nairobi war eine Herausforderung für alle. Workshops, Veranstaltungen und dazu noch die Aufnahme der CD, all das in einem für die Berliner ungewohnten Umfeld, bunt, laut, mitreißend - eine Woche, die keiner von ihnen je vergessen wird: Take 17 Erko über Nairobi, 10 sec. Es ist einfach ein anderer Planet, und ich habe das alles aufgesaugt wie ein Schwamm, also ich war sehr aufmerksam, ich habe sehr viel beobachtet, sehr viel geguckt, ich habe eigentlich nur aufgenommen, sehr viel Input gehabt und ich hatte noch gar nicht wirklich die Zeit, das alles wirklich zu verarbeiten. Take 18 Josefine über Nairobi, 17 sec. Mit am faszinierendsten war doch zu sehen, dass wir ja alle, selbst die deutschen Leute, aus total verschiedenen Winkeln kamen, schreiberisch, und dann in der kenianischen Gruppe nochmal krasser, trotzdem aber wir uns so in Grunddingen sehr einig waren und ziemlich ähnliche Dinge hatten, die uns wichtig waren und die uns beschäftigt haben. Take 19 LMNZ über Nairobi, 16 sec. Also ich habe gedacht vielleicht am Ende, dass man so mit einem Künstler sich raussucht und mit dem dann an einem Stück arbeitet, aber wir haben wirklich am Fließband die Lieder und Texte rausgehauen, also die Stimmung war gut, die Leute haben sich verstanden, wir haben eine gemeinsame Basis gefunden für die Texte, also war supergeil. Einspielung von CD, Stück noch auszusuchen Autorin Zurück in Berlin: Drei Tage bleiben den kenianischen Künstlern noch in der deutschen Hauptstadt. Die Rapperin L-ness ist vor allem von einem Besuch in der Jugendstrafanstalt Plötzensee beeindruckt: SPRECHERIN Take 20 L-ness über Männergefängnis, 38 sec. Es war großartig, wirklich. Als wir hinkamen, erwartete ich, Soldaten mit Gewehren zu sehen, aber es war alles sehr cool. Die Kids waren großartig, sie sind so jung, sie haben noch nicht mal Bartwuchs, und man fragt sich: was hast du denn angestellt? Einer von ihnen war ein Graffitikünstler, in fünf Minuten hat er ein sehr gutes Graffiti gemacht. Ein anderer war ein Dichter, er las seine Gedichte vor, und ich dachte: wow, das ist ein Spoken-Word-Künstler, das ist ein Graffitikünstler... es ist ein sehr talentierter Haufen! Autorin Eine fremde Welt für L-ness: Gefängnisse in Nairobi sind anders, dort herrschen Gewalt und Elend und wer aus der Haft entlassen wird, hat kaum eine andere Wahl, als wieder kriminell zu werden. L-ness kennt die Gesichter der Armut: Sie wohnt im Slum, wo das Leben eine ständige Herausforderung ist: SPRECHERIN Take 21 L-ness über Slum, 23 sec. Man lebt von Tag zu Tag. Die Leute in den besseren Vierteln bekommen ein Gehalt, sie können für einen Monat vorausplanen. Aber jemand aus dem Slum lebt von der Hand in den Mund. Wenn man Geld bekommt, bezahlt man Rechnungen, kauft Lebensmittel, und am nächsten Tag muss man wieder weiterkämpfen. Es ist ein täglicher Kampf. Autorin L-ness heißt eigentlich Lydia. Der Name L-ness steht für Lioness, die Löwin, denn die Rapperin muss sich unter Männern behaupten. Die Reise nach Berlin ist für sie ein Ausflug in eine völlig andere Welt. Ein Badezimmer mit fließendem Wasser - purer Luxus: SPRECHERIN Take 22, L-ness über Wasserholen, 24 sec. Wenn man bei uns in einem oberen Stockwerk wohnt, muss man das Wasser aus dem Erdgeschoß holen. Am Donnerstag bevor wir abgereist sind, habe ich das Wasser geholt. Und ich habe den Leuten erzählt: am Samstag werde ich in einem Flugzeug nach Berlin sitzen, und jetzt hole ich hier Wasser. Es war so paradox. Sie fragten mich: im Ernst? und ich sagte: Ja! Ich werde dort ein großes Badezimmer haben, aber jetzt muss ich Wasser holen, weil wir es brauchen. Einspielung: Abschlussveranstaltung L-ness (unter OT beginnen, hochziehen, fade out unter Text) Autorin L-ness rappt in Suaheli und in der Jugendsprache Sheng. Ihre Songs sind tough und gleichzeitig optimistisch. Rap gibt den Menschen im Ghetto Hoffnung, sagt sie, die Hoffnung darauf, dass das Leben irgendwann besser wird. In Workshops bringt sie Jugendlichen aus dem Slum das Rappen bei - und wie das geht, davon bekamen die Berliner bei einer Veranstaltung in der Literaturwerkstatt einen Eindruck: SPRECHERIN Take 23 L-ness erklärt Rap, 34 sec. Hip Hop verlangt eine Haltung, er verlangt Härte, denn das ist eine Kultur der Straße. Es kommt auch darauf an, was man sagen will, was man betonen will. In den meisten Rapsongs muss man alles, was man sagen will, in 16 Textzeilen unterbringen. Aber gleichzeitig soll man eine ganze Geschichte erzählen. Daher muss alles betont werden, alles wird komprimiert, und alles wird zu einem Höhepunkt. Einspielung L-ness rappt, max.26 sec. Autorin Ein Rap über Widerstand, den Kampf gegen Unterdrückung. Birgit Kreipe hat den Rap in ein Gedicht übersetzt: Einspielung Birgit übersetzt L-ness Rap (Auszug) Autorin Worte, die wirken, hier wie dort, unabhängig vom Umfeld, unabhängig von der Sprache. Rap ist international, denn die Botschaft liegt nicht nur in den Worten, sie liegt im Rhythmus, im Beat, im Sound. Einspielung: Octopizzo rappt vor sich hin, max. 15 sec. unter Text beginnen, hochziehen, fade out Autorin Octopizzo ist einer der bekanntesten Rapper Kenias, eine Berühmtheit, sogar der Präsident hoffte auf seine Unterstützung im Wahlkampf, was der junge Mann ablehnte. Seine Karriere hat sich Octopizzo hart erarbeitet. Er wuchs in Kibera auf, einem der größten Slums der Welt, und die Spuren dieser Kindheit sind noch heute zu sehen: Octopizzo ist sehr dünn, er muss Medikamente nehmen, um seinen Appetit anzuregen. SPRECHER 1 Take 24 Octopizzo über das Essen, 14 sec. Ich wuchs auf mit nur einer Mahlzeit pro Tag, mittags oder abends. Heute könnte ich drei Mahlzeiten am Tag haben, aber ich kann nicht so viel essen. Mein Körper hat sich daran gewöhnt, es ist schwierig für mich, jeden Tag zu essen. Autorin Maximal eine Mahlzeit pro Tag, wenn es überhaupt etwas zu essen gab: Octopizzos Mutter wandte einen Trick an, um ihre hungrigen Kinder zu beruhigen: SPRECHER 1 Take 25 Octopizzo über kochendes Wasser, 41 sec. Meine Mutter hat uns Kindern nie gesagt: es gibt nichts zu essen. Den dann hätten wir vielleicht Essen gestohlen. Wenn es also nichts zu essen gab, sagte sie uns: es gibt Essen, ich koche es jetzt. Sie stellte Wasser auf den Herd und kochte es, bis wir ins Bett gingen. Hier in Deutschland würde man sagen: heute gibt es nichts zu essen, aber morgen. Meine Muter wusste nicht, ob es am nächsten Tag etwas zu essen geben würde. Also sagte sie uns, ja, es gibt zu essen, wartet nur, spielt oder setzt euch hin. Also warteten wir, dann wurden wir müde, und sie brachte uns ins Bett. Autorin Heute ist Octopizzo aus dem Slum weggezogen, aber er kehrt immer wieder zurück. Er liebe Kibera, sagt er, und diese Liebe drückt sich in seinen Projekten für Kinder und Jugendliche aus. Für sie ist er ein Vorbild, der Beweis, dass man sich ein besseres Leben erarbeiten kann. SPRECHER 1 Take 26 Octopizzo über Ruhm, 27 sec. Ich wollte bekannt werden, damit die Leute im Slum sehen können, dass das möglich ist, wenn sie hart arbeiten, können sie Erfolg haben. Für diejenigen, die in Kibera leben, ist es schwierig, einem Jugendlichen zu sagen: Arbeite hart, und dann kannst du aus dem Ghetto wegziehen und deine Familie hinausbringen. Man muss es wirklich tun, damit deine Freunde sehen: wir waren mit ihm unterwegs und in der Schule, aber er hat hart gearbeitet, und er hat es geschafft. Einspielung: Octopizzo Rap Abschlussveranstaltung (unter Text und OT stehenlassen) Autorin Ein kenianischer Rap-Star mit Bodenhaftung. Nicht um Geld und Einfluss geht es ihm, sondern um etwas ganz anderes: SPRECHER 1 Take 27 Octopizzo über Familie, englisch, 31 sec. Ich brauche kein großartiges Leben, ich will nur, dass meine Familie zu essen hat. Darum arbeite ich hart. Wenn ich in den Slum zurückgehe, sage ich den Jugendlichen: Am Ende des Tages geht es nicht darum, wie berühmt oder wie erfolgreich man ist. Wenn die Familie etwas zu essen hat, ist das der größte Erfolg, den man in dieser Welt erreichen kann, wenn die Familie drei Mal am Tag essen kann, wenn die Kinder spielen und lachen. Das ist für mich das Allerwichtigste. Darum tue ich, was ich tue: damit meine Familie zu essen hat. Einspielung: Octopizzo Rap Abschlussveranstaltung hochziehen, fade out Autorin Die Woche geht zu Ende - eine Woche voller Arbeit, Musik und Begegnungen. Eine anstrengende Woche mit vielen Erlebnissen, schönen und weniger schönen, wenn etwa Checkmate Mido sein Portemonnaie gestohlen wurde. Der Rapper nimmt es mit Humor: SPRECHER 2 Take 28 Checkmate Portemonnaie, englisch, 12 sec. Man kommt aus Nairobi, um in Berlin bestohlen zu werden. Das ist verrückt. Wenn ich heimfahre, werden die Leute sagen: Ach, das gibt es dort auch. Wir leben in derselben Welt. Autorin Aber es war auch eine Woche, die die Teilnehmer verändert hat, aus der jeder irgendetwas mitnimmt: Take 29 Resumee Erko, 21 sec. Dass wir uns alle mal ganz gewaltig den Stock aus dem Arsch ziehen sollten. Ja? Diese Menschen, die haben so eine Lebenslust und so eine Lebensfreude, davon sollte man sich eine große Scheibe abschneiden. Und das werde ich auch tun und werde etwas aus meiner Komfortzone, ja, versuchen rauszukommen, weil die ist bei mir sehr groß und ich bin ein sehr bequemer Mensch und ich werde versuchen, etwas die Komfortzone zu verlassen, mal, für ein paar Stunden. Oder ein paar Tage. SPRECHERIN Take 30 Resumee L-ness, englisch, 19 sec. Ich kann es nicht erwarten, heimzukommen und den Leuten über diesen Teil der Welt zu erzählen. Sie können sich andere Städte nur vorstellen, man sieht sie manchmal im Fernsehen, aber ich war wirklich hier. Also kann ich es kaum erwarten, heimzukommen und ihnen zu erzählen: Hey, die Leute dort leben so und so, sie tun das und das, ihre Stadt sieht so und so aus. Take 31 Resumee Josefine, 16 sec. Ich glaube, der momentane Zustand ist so eine Mischung zwischen totaler Erschöpfung und totalem Angefixtsein, also es macht, dass man wieder richtig Bock hat, ganz viel zu machen und sich verrückte Dinge auszudenken und ganz viel zu schreiben, sich ganz viele Sachen zu überlegen, gleichzeitig ist man viel zu alle, um irgendwas zu tun. (SPRECHER 1 Take 32 Resumee Ogutu englisch, 26 sec. Wenn man schreibt, ist man meistens allein, dabei es ist großartig, es gemeinsam mit anderen zu tun, seine Arbeit zu teilen, Feedback zu bekommen und gemeinsam etwas zu erschaffen. Da wird in kurzer Zeit so viel erreicht, verglichen damit, wenn man allein in einem kleinen Raum sitzt, Whisky trinkt und flucht: verdammt, ich muss diese Deadline schaffen.) SPRECHERIN Take 33 Resumee Poeticbee, englisch, 17 sec. Ich bin verwirrt und aufgewühlt gleichzeitig, ich habe Heimweh, aber ich will nicht weg. Jetzt gehen wir alle unserer Wege, aber wir haben eine Verbindung untereinander, das ist überwältigend. Autorin Eine Verbindung, die bleiben wird, auch in gemeinsamen Projekten. Christian Filips und Octopizzo etwa planen einen Film, auch Erko und Poeticbee können sich eine weitere Zusammenarbeit vorstellen. Und MC Kah, der Rapper aus dem Slum Dandora, der wie Octopizzo viel mit Jugendlichen arbeitet, fühlt sich inspiriert: SPRECHER 2 Take 34 Resumee MC Kah, englisch, 31 sec. Ich möchte versuchen, in verschiedenen Sprachen zu schreiben, und ich werde mich auch mehr mit dem Spoken-Word-Aspekt meiner Arbeit befassen. Normalerweise mache ich ja Rap, aber ich wurde jetzt von den Poeten inspiriert, die das ganz anders machen. Ihre Performance hat mich begeistert, ihre Leidenschaft, das hat mich wirklich bereichert. Einspielung MC Kah Rap Abschlussveranstaltung, fade out unter Text Autorin Auch für die Veranstalter war es eine harte Woche - aber die Mühe hat sich gelohnt, finden die Projektleiterinnen Isabel Ferrin Aguirre und Susanne Stemmler sowie der Musikverantwortliche Olad Aden: Take 35 Resumee Isabel, 13 sec. Die Bilanz ist, dass es ein sehr fein abgelaufenes Festival war und wir großartige Besucherzahlen hatten muss ich sagen und - allerdings war es auch sehr erschöpfend und sehr intensiv. Take 37 Resumee Susanne, 8 sec. Also insgesamt würde ich eine sehr positive Bilanz ziehen, und das lag vor allem an der Energie und an dem Engagement der Künstlerinnen und Künstler, die an dem Projekt beteiligt waren. Take 36 Resumee Olad, 21 sec Was mich vor allen Dingen interessiert hat, ich bin ja auch Sozialarbeiter, für mich war das Menschliche im Vordergrund, erstmal einfach Menschen zusammenzubringen, die sich in anderen Kontexten eigentlich nicht miteinander an einen Tisch setzen würden, und dann zu gucken, was auf menschlicher Ebene passiert, was ja dann wiederum natürlich auch Einfluss auf die Kreationen dann hat, die dann der Begegnung folgen würde, und das hat funktioniert. Autorin Und das, obwohl nicht nur verschiedene Kulturen aufeinanderprallten, sondern auch unterschiedliche Genres, Hochkultur und Popkultur etwa. Ein gewagtes Experiment, findet Susanne Stemmler - aber es hat geklappt: Susanne über Zusammensetzung 35 sec. Man muss ja bedenken, dass ja nicht nur acht Künstlerinnen und Künstler einmal aus Nairobi und einmal aus Berlin zusammenkamen, um zusammenzuarbeiten, sondern diese Künstler in sich sind extrem heterogen zusammengesetzt. Also in Bezug auf ihre Herkunft, also Kenia ist ja multiethnisch mit vielen verschiedenen ethnischen Gruppen und vielen verschiedenen Sprachen, dann Gender, also es gibt Männer, Frauen, jeweils mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, und dann gibt es natürlich diese Klassen, die in Nairobi und in Kenia insgesamt auch ausdifferenziert sind, wie bei uns auch, und hier wiederum gibt es das Gleiche sozusagen auf der deutschen Seite. Einspielung: Abschlussveranstaltung alle gemeinsam unter Text stehenlassen Autorin Und dann stehen sie alle noch einmal gemeinsam auf der Bühne, die Rapper und Poeten und Hip-Hopper und Songwriter aus Nairobi und Berlin. Sie sind der lebende Beweis dafür, dass Kunst grenzenlos ist, dass sie sich nicht von kulturellen oder sprachlichen Barrieren aufhalten lässt. In ihr werden Unterschiede zu etwas Kreativem, zu einer Bereicherung, von der beide Welten profitieren können - sowohl künstlerisch, als auch menschlich. Einspielung Abschlussveranstaltung alle gemeinsam hochziehen, fade out 1