KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : LITERATUR 19.30 Kostenträger : P.6.2.110 Titel der Sendung: Pinochet war für mich bloß der Fernsehonkel/ Lit. in Chile 40 Jahre nach dem Putsch Autor : Tini von Poser Redaktion: : Sigried Wesener Sendetermin : 10.09.2013 Besetzung : Autorin o.Ton/ Musik Regie : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 ?Pinochet war für mich bloß ein Fernsehonkel? Literatur in Chile 40 Jahre nach dem Militärputsch Autorin: Tini von Poser Atmo ? Santiago, Zentrum O-Töne Autoren (verschiedene Stimmen Simón Soto (53923, 13'15)/ Pablo Toro (53923, 17'45)/ Álvaro Bisama (53913, 6'55)/ Raúl Zurita (53925, 24'50) ? Spanisch bis zur Hälfte stehen lassen, dann Overvoicen: Yo creo que hay democracia, pero una democracia que está en pañales aún./ Yo creo que es interesante el fenómeno de escribir sobre la dictadura de gente de esta edad porque la mayoría no la vivimos./ Nunca la dictadura fue tema, sino el enfoque, la técnica la mirada./ Yo creo que nada es olvidado. La presencia de la dictadura es omnipresente en Chile. OV (Mann 1 und 2 wechseln sich ab): Ich glaube es gibt heute zwar Demokratie, aber eine Demokratie, die noch in den Kinderschuhen steckt./ Ich finde es interessant, über die Diktatur zu schreiben, gerade weil die Mehrheit von uns sie nicht mehr selbst erlebt hat./ Bei mir ist die Diktatur nie direkt Thema, sondern eher der Fokus, die Technik, der Blickwinkel./ Ich glaube, nichts ist vergessen. Die Diktatur ist immer noch allgegenwärtig in Chile. Autorin (Frau 1): Vor 40 Jahren putschten sich in Chile die Militärs an die Macht. Politische Gegner wurden verschleppt, gefoltert, qualvoll umgebracht oder auf offener Straße erschossen. Oder sie retteten sich ins Exil. Viele chilenische Schriftsteller der jungen Generation haben den Putsch und die ersten dunklen Jahre der Diktatur nicht mehr erlebt oder zumindest nicht bewusst erlebt. Als Jugendliche oder junge Erwachsene fanden sie sich dann plötzlich in einem Land, das sich versuchte neu zu orientieren, nach Demokratie zu suchen, das gespalten war in Befürworter und Gegner des Diktators Augusto Pinochet. Zwangsläufig kam bei vielen die Frage auf, was haben die eigenen Eltern für eine Position während der Diktatur bezogen, wie bei dem 37- jährigen Schriftsteller Alejandro Zambra. Zitat aus dem Roman ?Die Erfindung der Kindheit?, S. 54 (Mann 2): Das ist der Roman unserer Eltern, dachte ich damals, denke ich jetzt. Wir wuchsen in dem Glauben auf, dass es der Roman unserer Eltern war. Wir verfluchten sie und zogen uns zugleich erleichtert in den Schatten zurück. Während die Erwachsenen töteten oder getötet wurden, saßen wir in einer Ecke und malten Bildchen. Während das ganze Land auseinander brach, lernten wir sprechen, laufen, Papierservietten zu Schiffchen und Flugzeugen falten. Während der Roman seinen Fortgang nahm, spielten wir Verstecken, Verschwinden. Autorin (Frau 1): In seinem Roman ?Die Erfindung der Kindheit? erzählt Alejandro Zambra aus der Perspektive eines kleinen Jungen und gleichzeitig des Erwachsenen, der hinterher auf die Ereignisse nachdenklich zurückblickt. Beide Gegenwarten werden miteinander verwoben. Der Junge lässt sich unbedarft auf ein Detektivspiel ein, als ein Mädchen ihn aus der Nachbarschaft bittet, ihren Onkel zu beschatten. Der Erwachsene fragt sich, warum seine Eltern, die während der Diktatur weder Opfer noch Täter waren, sich nicht eingemischt haben und ihm eine heile Welt vorgaukelten. O-Ton Zambra (21'55/ 23'55): En la novela no me gustaba juzgar porque juzgar es muy fácil. Ya en realidad los libros que hacen es más mostrar la complejidad que cerrarla. Entonces mi generación fue muy crítica a sus padres a los 20 años... . El problema que había por ej., a veces el padre era un héroe, entonces cómo matas a un héroe. OV (Mann1): In dem Roman wollte ich nicht verurteilen, denn verurteilen ist immer leicht. Meine Generation war sehr kritisch ihren Eltern gegenüber, als wir so um die 20 waren. Das Problem war: oft war der Vater ja ein Held, wie soll man diesen Helden vom Sockel stoßen? Atmo ? Santiago, Straßenmusik Autorin (Frau 1): Alejandro Zambra wohnt in der Hauptstadt Santiago. Im zentralen Stadtteil Providencia reihen sich moderne Hochhäuser aneinander. Menschen schieben sich in dichtem Gedränge an Geschäften, Banken und Bürogebäuden vorbei. Hier trifft sich Alejandro manchmal mit seinen gleichaltrigen Schriftsteller-Kollegen in einer Eisdiele oder in der Pizzeria nebenan. Atmo ? Eisdiele, Zentrum Santiago, Straßenmusik O-Ton Alejandro Zambra (54122, 48'40/ 0): Con Álvaro trabajamos en el mismo lugar, somos amigos. Yo he leido sus novelas antes de que se publican./ Yo no creo mucho en las similtudes estilísticas generacionales. Si algo me gusta del momento actual que cada cual escribe lo que quiere escribir. OV (Mann1): Álvaro Bisama und ich arbeiten beide an der Uni. Wir sind Freunde./ Ich finde, dass man nicht von stilistischen Ähnlichkeiten in unserer Generation sprechen kann. Das ist gerade das, was mir gefällt. Jeder schreibt, worüber er schreiben will. O-Ton Álvaro Bisama (53913, 6'55): Desaparecieron las escrituras homogenizadas capitalinas. Despararecieron las narrativas de clase media, alta que se divorcaban de su mujer y contaron una historia de eso como si fuera la metáfora del país. Lo que parece ahora es una diversidad de temas de estilos, de cruces, donde los límites que es ficción que no es ficción no existen. OV (Mann 2): Die homogenen hauptstädtischen Geschichten sind verschwunden. Und damit diese Erzählungen der Mittel- und Oberklasse, dass man sich zum Beispiel von seiner Frau scheiden lässt und so tat, als stünde die Geschichte als Metapher für die Nation. Inzwischen ist eine ganze Palette an Themen hervorgekommen, an Stilen, an Verwicklungen. Die Grenzen zwischen dem, was Fiktion ist und was nicht, haben sich aufgelöst. Atmo ? Eisdiele, Straßenmusik Autorin (Frau 1): Manche chilenische Journalisten bezeichnen Álvaro Bisama und einige andere junge Schriftsteller wegen ihres experimentellen Stils als ?Freak Power?. Auch Mike Wilson gehört zu diesem Kreis. Fast kauft man es ihnen ab, dass sie an der Vermarktung ihrer Bücher kein gesteigertes Interesse haben. Sie wirken lässig, ein bisschen cool, zurückhaltend, durchschnittlich. Sie tragen Bärte, große Brillen, ungebügelte Hemden. Atmo ? Eisdiele Autorin (Frau 1): Sie pflegen auch nicht das Image von Intellektuellen, die sich in einem hübschen, alten Café versammeln, um über Literatur zu diskutieren oder sich über das auszutauschen, was sie gerade schreiben. Wenn sie sich überhaupt treffen, dann in dieser Null-Acht-Fufzehn-Eisdiele, die in eine Shopping-Mall eingegliedert ist. Die Schriftstellerin María José Viera-Gallo sitzt als einzige Frau mit am Tisch. Atmo ? Eisdiele, Straßenmusik O-Ton María José (53913, 37'40): Esta literatura de café, de los escritores que están tomando café, mostrándose libros, yo la verdad eso solamente he visto en París. Los franceses son con la gimnasia intelectual, son muy racionales también, les gusta la conversación, la discusión. Yo creo que los chilenos son más sentimentales, más para dentro, más introvertidos en general. OV (Frau 2): Diese Caféhaus-Literatur, die Schriftsteller, die Kaffee trinken und sich Bücher zeigen, das habe ich nur in Paris gesehen. Die Franzosen haben eher diesen intellektuellen Austausch. Sie sind auch sehr rational und lieben es, Konversation zu betreiben, zu diskutieren. Die Chilenen sind eher sentimental, und generell introvertierter. Autorin (Frau 1): María José und Mike Wilson haben längere Zeit außerhalb Chiles gelebt und schreiben Romane, die mit ihrem Herkunftsland nicht viel zu tun haben. Álvaro Bisama ist dagegen in Chile aufgewachsen. O-Ton Bisama (53913, 11'50): No quiero hablar de Chile, no sé que es Chile. Don Francisco, Sebastián Piñera, no sé lo que es. No me importa, y cuando me importa, me da terror, me da asco. OV (Mann 2): Ich will nicht über Chile schreiben. Ich weiß nicht, was Chile ist. (Der TV-Entertainer) Don Francisco, (Präsident) Sebastián Piñera? Keine Ahnung. Und es ist mir nicht wichtig. Und wenn doch, dann erfüllt mich das mit Schrecken, mit Ekel. Autorin (Frau 1): behauptet der 38-Jährige, um dann doch über Chile zu schreiben. Die Diktatur hat er wie Alejandro Zambra als Kind erlebt. O-Ton Bisama (53913, 1'55): La última se llama ?Ruido?. Salió en 2012 y es una novela muy rara porque es una mezcla de ficción sobre un vidente que va a la Virgen María en la época de Pinochet en un pueblo de Chile. La vida del vidente como se cambia del sexo después y lo que sucede con los chicos que crecen en esta época y luego fundan bandas de punk. OV (Mann 2): Mein neuester Roman heißt ?Ruido? (Krach). Er erschien 2012. Das ist ein sehr sonderbarer Roman über einen Hellseher, der die Jungfrau María in einem chilenischen Dorf trifft in Zeiten Pinochets. Es geht um das Leben des Hellsehers, wie er dann sein Geschlecht ändert und um die jungen Leute, die in dieser Zeit aufwachsen und später Punkbands gründen. Autorin (Frau 1): Álvaro Bisamas Roman ?Estrellas muertas? - ?Die toten Sterne? - von 2010 ist in den 90er Jahren angesiedelt. Schauplatz ist seine Geburtsstadt Valparaíso. Die Protagonisten irren in diesen Anfangsjahren der Demokratie völlig perspektivlos umher. Die Atmosphäre ist bedrückend, die Suche nach dem Glück bleibt erfolglos. Zitat aus Roman ?Estrellas Muertas?, Kap. 23/ 42: (La década fue eso, esa sensación de que daba lo mismo que murieras o vivieras, porque todos los días eran iguales. Una resaca llena de agujeros negros, de pérdidas de memoria.) Übs (Mann 1): In jener Dekade hatte man das Gefühl, dass es egal war, ob du tot bist oder lebendig, denn alle Tage waren gleich. Es war wie, ständig verkatert zu sein, mit schwarzen Löchern und Erinnerungslücken. O-Ton Bisama (14'10): En realidad no quería hablar de los 90, quería halbar de un paisaje que había vivido, no quería hacerme cargo de eso, quería sacarme la historia de la cabeza. OV (Mann 2): Ich hatte eigentlich gar nicht vor, über die 90er zu schreiben. Ich wollte einfach über eine Zeit sprechen, die ich erlebt hatte, aber mich nicht dafür verantwortlich fühlen. Es ging mir einfach nur darum, die Geschichte aus meinem Kopf zu bekommen. Autorin (Frau 1): Auch María José war in dieser Zeit noch in Chile, bevor sie mit ihren Eltern ins Exil nach Spanien ging. O-Ton María José (15'50): Mi adolescencia hasta los 19 fueron pura dictadura. Llega la democracia y uno quería ver la atardecer, pero tal vez estuviste muchos años esperando eso, y había mucha expectación a la democracia. Yo creo que la dictadura no terinó acabarse en los años 90, ? Había sí democracia formal, pero en el aire, en la oferta de Santiago nocturna, la calle misma sigue siendo una calle muerta, oscura, la gente no estaba eufórica ni tan feliz nuestra generación. OV (Frau 2): Bis ich 19 Jahre alt war, erlebte ich nur Diktatur. Dann kam die Demokratie und wir dachten, jetzt würde der schönste Sonnenaufgang unseres Lebens kommen. Aber vielleicht haben wir zu lange darauf gewartet, und es gab eine zu große Hoffnung auf die Demokratie. Ich glaube, die Diktatur war nicht in den 90ern vorbei. Es gab zwar formal die Demokratie, aber von der Stimmung her, wie etwa im Nachtleben Santiagos, da waren die Straßen noch tot, dunkel. Die Leute waren nicht euphorisch, und meine Generation nicht so glücklich. Atmo ? Eisdiele, Straßenmusik Autorin (Frau 1): María José und ihre Freunde hier am Tisch haben ganz unterschiedliche Berufe. Allein vom Schreiben können sie nicht leben. Alejandro Zambra: O-Ton Alejandro Zambra (54123, 6'35): Nunca he querido. Yo creo que más allá del dinero, no quisiera dar a la literatura este peso. Uno a través de la literatura puede ser más libre. Y una manera de ser libre es por ejemplo no escribir o no publicar. OV (Mann 1): Ich habe es auch nie gewollt. Abgesehen von den finanziellen Gründen, möchte ich der Literatur nicht dieses Gewicht geben. Es gibt mir mehr Freiheit. Frei sein bedeutet zum Beispiel auch mal nicht zu schreiben oder zu publizieren. Atmo ? Santiago, Musik (unter dem folgenden Autorentext Musik und Atmo abblenden, so dass das Zitat ganz im Trockenen steht) Autorin (Frau 1): Wie Alejandro Zambra und Álvaro Bisama unterrichtet auch der 63-jährige Dichter Raúl Zurita an der Universität Diego Portales in Santiago. Zitat aus ?Las ciudades de agua? - ?Die Wasserstätte? von Raúl Zurita, Kap. 9, S. 99 (Mann 1): Da halte ich inne, um etwas zu betrachten, das ich auch für mein Leben halte. Ich näherte mich, meine eigenen Überreste tragend, und ließ sie dort zu ihren Füßen. Ich antworte ihr die üblichen Dinge: dass ich mit der, die damals meine Frau war, ein Kind hatte und dass es gut war, solange es hielt, dass ich wieder geheiratet habe und einige Jahre außerhalb Chiles verbracht habe, aber dass das während der Demokratie war. Ich sagte ihr auch, dass es nach alldem noch immer seltsam ist, Chilene zu sein und kein Verschwundener. Autorin (Frau 1): Raúl Zuritas gesamtes literarisches Werk ist von den Qualen durchtränkt, die er während der Militärdiktatur am eigenen Leib erlebt hat. Als Student ist er festgenommen und gefoltert worden. O-Ton Raúl Zurita (53925, 24'50): Yo creo que nada es olvidado... es una gran mentira contra el olvido. ? La presencia de la dictadura es omnipotente en Chile. Está trasmetida por los padres, por los hijos, en Alemania nadie se olvida del Holocausto, ni un niño de cinco años. Está presente en la atmósfera, en el lenguaje, en las conversaciones, en lo que no se habla, en lo que no se dice. OV (Mann 2): Ich glaube, nichts ist vergessen. Das mit dem Vergessen ist eine große Lüge. Die Diktatur ist allgegenwärtig in Chile. Sie wird weiter vermittelt durch die Eltern, durch die Kinder. In Deutschland vergisst keiner den Holocaust, nicht mal ein Kind von fünf Jahren. Der ist präsent in der Atmosphäre, in der Sprache, in den Unterhaltungen, in dem, was man spricht und was man nicht spricht. Autorin (Frau 1): Die jüngeren Schriftsteller, meint Zurita, in Chile könnten froh sein, die Gräueltaten der Pinochet-Diktatur nicht mehr selbst erlebt zu haben. Der Dichter würde gern manchmal vergessen können, was ihm widerfuhr. Und das Schreiben schaffe auch keine Erleichterung. O-Ton Zurita (53925, 26'55): La poesía es una cosa, es como una persona implacable. Pide todo de tí, pero no te da nada al cambio,... y es algo que la literatura te alivie, te de paz, te tranquilice. No te lo va a dar, no te va a responder. ? Es tan curioso, puedes convertir algo cruel en algo bello, es una extrema crueldad. Es lo más cruel que hay. En la primavera se suicida más gente. Porque precisamente conciertes lo cruel en algo bello. Haces florecer lilas en un campo de ruinas. OV (Mann 2) : Die Poesie ist wie eine unerbittliche Person. Sie verlangt dir alles ab, aber gibt dir nichts zurück. Dass die Literatur dir Erleichterung verschafft, Dir Frieden gibt, Dich beruhigt? - Sie wird Dir nichts geben, Dir nicht antworten. Seltsam dabei ist auch, du verwandelst etwas Grausames in etwas Schönes, das ist extreme Grausamkeit. Das ist das Grausamste, was es gibt. Viele Menschen begehen im Frühling Selbstmord. Gerade weil das Grausame in etwas Schönes eingewickelt wird. Es ist, wie Lilien auf einem Ruinenfeld erblühen zu lassen. Autorin (Frau 1): Raúl Zurita hat immer wieder in spektakulären Kunstaktionen gegen die Diktatur protestiert. In der chilenischen Wüste ritzte er zum Beispiel in riesigen Lettern ?Ni pena ni miedo? - ?Weder Leid noch Angst? in Sandstein. Der Dichter lebt zwar in Santiago und bezeichnet sich selbst als sehr urban. Doch die Wüste habe ihn immer fasziniert. O-Ton Raúl Zurita (Mann 2): Empecé a hablar sobre el desierto mucho antes de verlo. La primera vez parecía mucho al poema que había escrito. Entonces el desierto me impresiona, exactamente el desierto real del norte donde no florece nada. OV: Ich habe über die Wüste schon gesprochen, bevor ich sie sah. Das erste Mal, als ich hinfuhr, ähnelte sie sehr einem Gedicht, das ich geschrieben hatte. Ja, die Wüste beeindruckt mich, diese trockene Wüste im Norden, in der nichts wächst. Zitat aus ?Las ciudades del agua? - ?Die Wasserstädte?, Traum 56/ An Kurosawa, S. 13 (Mann 1): Ich sah die ersten Wasserstädte auf dem Weg nach Norden in der Atacamawüste. Sie schwebten im Himmel wie riesige durchsichtige Aquarien, und die Lichtlinien ihrer Spiegelungen schaukelten über der riesigen ockerfarbenen Ebene. Es war das Jahr 1975 gegen Ende des Sommers, und damals litt ich. Es war auch das erste Mal, dass ich eine Wüste sah. Es überraschte mich nicht, sie zu sehen, ich würde sogar sagen, dass es mich mit ein wenig Frieden erfüllte. Autorin (Frau 1): In die Wüste entführen auch fast alle Romane des chilenischen Schriftstellers Hernán Rivera Letelier. Er gehört mit seinen 63 Jahren wie Raúl Zurita zu der Generation von Autoren, die die Diktatur unter Augusto Pinochet als junge Erwachsene erlebt haben. Atmo ? Bus, Musik Autorin (Frau 1): Hernán Rivera Letelier wohnt in Antofagasta, einer Stadt mitten in der Wüste, über 1.000 Kilometer nördlich von Santiago. Der Bus braucht etwa 18 Stunden von Santiago aus dorthin. Die Landschaft wird auf dem Weg in Chiles Norden immer karger. Vereinzelt sind noch Kakteen und einige Büschel am Straßenrand zu sehen, bis die Halbwüste schließlich in die Trockenwüste übergeht. Hier wächst nichts mehr, kein Tier ist zu sehen. Die Weite scheint unendlich. O-Ton Hernán Rivera Letelier (53963, 0/ 18'00): El desierto fue fundamental porque me enseñó conocerme a mi mismo, a estar conmigo mismo. La soledad, el silencio de este desierto me enseñaron lo que soy, creo que soy escritor gracias a que me crié en el desierto porque pienso que el silencio es como la puerta de entrada a la espiritualidad. OV (Mann 1): Die Wüste hat mich gelehrt, mich selbst kennen zu lernen, mit mir allein zu sein. Die Einsamkeit, die Stille dieser Wüste haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich glaube, ich bin Schriftsteller geworden, weil ich in der Wüste aufgewachsen bin, denn diese Stille bereitet den Eingang in die Spiritualität. Autorin (Frau 1): Der Roman ?Die Liebestäuschung? spielt in der Salpeter-Siedlung Pampa Unión. Den Ort erfuhr das gleiche Schicksal wie vielen anderen Siedlungen der Gegend. Sobald der Reichtum der naheliegenden Mine erschöpft war, starb auch der Ort aus. In seinem Roman bevölkert Rivera Letelier das ausgestorbene Dorf wieder mit Leben: Es wird gefeiert, viel gesoffen, gelacht, gelitten und geliebt. Die Liebe zwischen den Hauptfiguren, der Kinopianistin Golondrina del Rosario und dem Wandertrompeter Bello Sandalio, gerät schließlich in Gefahr, als Diktator Carlos Ibañez del Campo dem Dorf seinen Besuch angekündigt. Zitat aus "Die Liebestäuschung", S. 271 (Mann 2): Verschwommen wie in einem Traum sah er die wogende Masse ringsum, hörte die Leute im Gedränge fluchen über die Affenhitze, sah, wie sie sich einander mit dem Konfetti und den Luftschlangen bewarfen, die verteilt worden waren, um den Drecksack zu begrüßen, der nicht mal die Hand zum Fenster rausgestreckt hat, um zu winken. Autorin (Frau 1): Carlos Ibañez hat Chile tatsächlich Mitte des 20. Jahrhunderts autoritär regiert. Gedacht habe der Schriftsteller aber an seine Erfahrungen während der Diktatur Augusto Pinochets. O-Ton Hernán (53964): Yo trabajaba en Pedro de Valdivia, un mineral de salitre también, yo trabajé en cuatro minerales de salitre, en el año 76 fue el dictador a visitar el campamento y dio un concurso en la Plaza y nos llevaron a todos a escucharlo. Y yo lo miraba y allí uno sueña con convertirse en héroe y matar al dictador. Yo creo que esta rabia acumulada que yo tenía contra Pinochet, la ? en esta novela. OV (Mann 1): Ich habe in Pedro de Valdivia gearbeitet, auch eine Salpetermine. Im Jahr 1976 hat der Diktator den Ort besucht und eine Rede auf dem zentralen Platz gehalten. Wir sollten alle dahin gehen. Ich habe mir ihn angeschaut und in dem Moment davon geträumt, zu einem Helden zu werden, der den Diktator umbringt. Ich glaube, diese angestaute Wut, die ich gegen Pinochet hatte, ist in den Roman eingeflossen. Atmo ? Antofagasta, Zentrum, Straßenmusik Autorin (Frau 1): Hier im Zentrum von Antofagasta geht der Schriftsteller täglich in sein Lieblingscafé. Er bekomme hier Prozente, sagt er grinsend. Denn seine Prominenz zieht viele Leute an, vor allem die überschaubare Gruppe an Intellektuellen, die in dieser Stadt leben. Die Begegnungen hier mit Fotografen, Malern und Regisseuren inspirierten ihn für seinen letzten Roman. O-Ton Rivera Letelier (33'10): En esta novela no hay pampa, no hay desierto, no hay salitre, transcurre acá en Antofagasta. Personajes que conocía aquí en el café. Se llama ?El escritor de Epitafios.? OV (Mann 1): Dieser Roman hat nicht die Pampa als Schauplatz, es gibt weder Wüste noch Salpeterminen. Die Handlung spielt sich in Antofagasta ab. Die Figuren habe ich hier im Café kennengelernt. Das Buch heißt ?Der Schriftsteller für Grabinschriften?. Atmo ? Antofagasta, Zentrum Autorin (Frau 1): Wie in vielen chilenischen Städten mangelt es auch in Antofagasta an urbaner Ästhetik. Ihren Charme machen die Lage am Meer aus, dazu der pittoreske Hafen und die kahlen Berge am Stadtrand, die im Licht der Abendsonne rötlich schimmern. Doch ansonsten bietet das Stadtbild planloses Wachstum, gigantische Baustellen und herunter gekommene Häuser. Atmo ? Slums von Antofagasta Autorin (Frau 1): Chile gehört zu den reichsten Ländern Südamerikas, aber auch zu denen mit dem größten sozialen Ungleichgewicht. Besonders in Antofagasta springt einem das Gefälle zwischen Arm und Reich schnell ins Auge. In der Nähe der Küste wohnen die Reichen, und die Armen in den Bergen. Die Siedlungen sind groß, in denen sich Wellblechhütten sowie aus Stäben und Brettern konstruierte Behausungen aneinander reihen. Die einen profitieren von den nahe gelegenen Minen, die anderen gehen leer aus. Atmo ? Slums von Antofagasta Autorin (Frau 1): Aus der Landschaft der chilenischen Schriftsteller sticht Hernán Rivera Letelier heraus, denn seine Biographie ist außergewöhnlich. Er selbst hat 30 Jahre lang in einer Mine gearbeitet und währenddessen mit dem Schreiben begonnen. O-Ton Hernán Rivera Letelier (53964, 36'40): Yo me creí en una casa donde no había ningún libro, exepto la biblia. Allí no se compraban ni revistas, ningún diario, ningún libro, ? . Pero yo aprendía leer a los siete años y nunca más paré de leer. ? La biblia la lei tantas veces, entonces lo leía como un libro de fábulas, de historia, de cuentos, de poesía. OV (Mann 1): Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem es kein einziges Buch gab außer der Bibel. Ich habe mit sieben Jahren lesen gelernt und nie mehr aufgehört. ... Die Bibel habe ich immer wieder gelesen, als Fabelbuch, als Geschichtenbuch, als Dichtung. Autorin (Frau 1): Heute ist Hernán Rivera Letelier einer der wenigen Autoren in Chile, die von ihrer Literatur leben können. Er gehört einer Jury an, die die Newcomer der Literatur auswählt. Eine Aufgabe, die ihm nicht sehr behagt. O-Ton Rivera Letelier (53963, 7'10/ 2'55): A mí no me dice nada, a mí me deja indiferente, a mí me deja helado. ? la globalización ha llegado también a la estructura, los escritores sienten furor de escribir de su ciudad, de escribir de su pueblo y de escribir de su país. Se están haciendo cosmopolita, o quieren ser cosmopolitas en la escritura. OV (Mann 1): Diese Literatur sagt mir nichts, berührt mich nicht, lässt mich kalt. / Die Globalisierung ist hier inzwischen auch angekommen. Die Schriftsteller schämen sich, über ihr Dorf, über ihr Land zu schreiben. Sie geben sich kosmopolitisch. Atmo ? Santiago, Musik (länger stehen lassen, als Trenner) Autorin (Frau 1): 2011 haben junge chilenische Autoren einen Sammelband mit Kurzgeschichten veröffentlicht, unter dem Titel ?Voces Sub 30? - ?Stimmen unter 30?. Anders als die Generation von Alejandro Zambra sind sie in einer Zeit aufgewachsen, in der der demokratische Wandel in Chile bereits im Gang war. Sie schreiben oft über schwierige Beziehungen, die unter mangelnder Kommunikation leiden. Die Protagonisten treffen sich in ?Starbucks?-Cafés oder bei Facebook. Manche Erzählungen wirken wie Auszüge aus einem Tagebuch. Über Beziehungen zum Vater, zu Freunden und über Einsamkeit schreibt Juan Pablo Roncone. In Andrea Viu vom Verlag Alfaguara hat er eine starke Fürsprecherin: O-Ton Andrea Viu (54121, 24'30): Él es muy bueno. Para mi gusto, chicos que destacan ahora, él es sin duda el mejor para mi gusto. Tiene que publicar más, tiene un libro de cuentos ahora publicado. Siento que tiene historia. Él tiene imágenes fuertes, hay muchos sentimientos fuertes. Te conmueven sus cuentos. OV (Frau 2): Er ist sehr gut. Nach meinem Geschmack ist er einer der jungen Schriftsteller, die hervorstechen, er ist ohne Zweifel der beste. Natürlich muss er mehr publizieren, er hat ja erst einen Band mit Kurzgeschichten heraus gebracht. Man fühlt, dass er eine Vergangenheit hat. Er hat sehr starke Figuren, mit starken Gefühlen. Seine Geschichten berühren. Atmo ? Santiago (Atmo und Musik hier abblenden) Autorin (Frau 1): Auch Juan Pablo Roncone wohnt im Stadtteil Providencia in Santiago. Die Wohnung des jungen Schriftstellers ist winzig. Er teilt sie sich mit seiner Mutter. O-Ton Roncone (54118, 13 + 0): Escribo encerrado en mi pieza. Con la puerta cerrada en mi computador./ Por supuesto la literatura es lo más importante para mí y escribir. Trabajo de día como abogado, y después escribo. OV (Mann 2): Zum Schreiben ziehe ich mich in mein Zimmer zurück. Die Literatur ist das Wichtigste für mich und das Schreiben. Tagsüber arbeite ich als Anwalt, danach schreibe ich. Autorin (Frau 1): Der inzwischen 30-Jährige wollte während des Studiums etwas Geld verdienen und nahm daher an einem Literaturwettbewerb teil. Und er gewann prompt mit seinem Roman "Los días finales" ? "Die letzten Tage". Den Roman aber wollte er nicht veröffentlichen. Nervös zieht der bärtige junge Mann an einer Zigarrette. Der Satz, dass er sich für irgendetwas schämt, fällt oft. Sein Kurzgeschichtenband trägt den Titel "Hermano Ciervo" - Bruder Hirsch ? und erschien 2011. O-Ton Roncone (54118, 9'35): Son ocho cuentos en primera persona, sobre unas personas que le pasan algunas cosas, son realistas, no son fantásticas y tienen, que ver con mi vida entre los 24 y 28 años, todos los personajes son hombres, todos los narradores son hombres. No es autobigráfico, porque les suceden cosas que nunca me han sucedido. Y piensan muy parecidos, piensan como yo en la mayoría de las veces. OV (Mann 2): Es sind acht Geschichten, die in der ersten Person geschrieben sind. Sie haben mit meinem Leben zwischen 24 und 28 zu tun. Alle Protagonisten sind Männer, alle Erzähler sind Männer. Es ist nicht autobiographisch, denn es passieren ihnen Dinge, die mir nie passiert sind. Aber sie denken meistens ähnlich, wie ich. O-Ton Roncone liest (spanisch freistehend) Autorin (Frau 1): "La muerte de Raimundo" ? Der Tod Raimundos. (am Beginn des spanischen Textes einfügen) Zitat aus "La muerte de Raimundo", Hermano Ciervo, Juan Pablo Roncone (Mann1): Was willst Du, fragte ihn die Frau. Ich will über Ihren Sohn sprechen, antwortete ich. Der Unfall lag fast anderthalb Jahre zurück, und es kursierte das Gerücht, dass die Frau etwas verrückt sei. Ich wusste schon lange, dass sie Probleme hatte und Tabletten nahm, aber als Raimundo plötzlich starb, hat sich ihre Verfassung weiter verschlimmert. Ich will nicht sprechen, sagte sie. Ich muss Ihnen aber etwas mitteilen, beharrte ich. Die Frau sah hinunter auf ihre Sandalen. Es ist wichtig, fügte ich hinzu. Autorin (Frau 1): Raimundo ist der Freund des Protagonisten Rodrigo. Bei einem Autounfall kommt Raimundo ums Leben, als sie beide betrunken durch die Straßen von Santiago fahren. Rodrigo sucht nach Raimundos Tod dessen Mutter auf, eine schräge und verschlossene Person, und beichtet ihr, dass er am Steuer saß, als der Unfall passierte. Atmo ? Santiago, Eisdiele, Straßenmusik Autorin (Frau 1): Für die Schriftsteller um die 30 ist die Militärdiktatur weiterhin ein Thema, wie zum Beispiel bei Simón Soto, der wie Juan Pablo Roncone 2011 einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht hat. O-Ton Simón Soto (53923, 13'15): Yo creo que es interesante el fenómeno de escribir sobre la dictadura porque la mayoría de la gente de esta edad ya no la vivimos. ... Creo yo que es un proceso de investigación, casi periodístico o documental. Como es un tema complejo, un tema que está tan presente hoy día, estamos recién entrando a un dislumbrar una posible transición, pero el período está vivo, todavía hay gente que jamás van a encontrar a sus familiares. OV (Mann 2): Ich finde es interessant, über das Phänomen der Diktatur zu schreiben, denn die Leute meines Alters haben sie nicht mehr erlebt. Ich glaube, wir müssen eher investigativ oder journalistisch vorgehen. Es ist ein sehr komplexes Thema, das heute noch total brisant ist. Wir sind immer noch in der Übergangszeit, die Diktatur ist irgendwie immer noch lebendig, denn es gibt ja noch Leute, die niemals ihre Familienangehörigen gefunden haben. Atmo ? Santiago, Musik Autorin (Frau 1): Der Ton, den die Schriftsteller jeweils anschlagen, wenn sie über die Militärdiktatur schreiben, unterscheidet sich danach, ob sie Anfang 30 oder wie Álvaro Bisama und Alejandro Zambra Ende 30 sind. Andrea Viu vom Verlag Alfaguara: O-Ton Andrea Vio (54121, 5'20): Si tú ves el libro ?Estrellas muertas? de Álvaro y ?Formas de volver a casa? de Alejandro, muestran como lo vivieron ellos que eran niños entonces. Y lo que les tocó lo retratan en su obra. OV (Frau 2): Wenn man sich die Bücher ?Die toten Sterne? von Álvaro Bisama und ?Die Erfindung der Kindheit? von Alejandro Zambra anschaut, kann man sehen, wie sie die Diktatur als Kinder wahrgenommen haben. Zitat aus Alejandro Zambras Roman ?Die Erfindung der Kindheit?, S. 60 (Mann 2): Doch ich bin gegen die nostalgischen Gefühle. Nein, das stimmt nicht. Ich wäre gern gegen die nostalgischen Gefühle. Wo immer man hinblickt, frischt gerade jemand seine Sehnsucht nach der Vergangenheit auf. Wir erinnern uns an Lieder, die uns in Wirklichkeit nie gefallen haben, treffen unsere ersten Freundinnen, treffen Klassenkameraden wieder, die wir nicht mochten, schließen Leute in die Arme, die wir nicht ausstehen konnten. Mich erstaunt, wie leicht wir vergessen, was wir empfanden und was uns lieb war. Wie rasch wir akzeptieren, dass wir jetzt etwas anderes wünschen oder fühlen. Und zugleich wollen wir immer noch über dieselben Witze lachen. Wir wollen oder glauben, dass wir wieder die Kinder im segensreichen Schatten sind. Autorin (Frau 1): Der 37-jährige Alejandro Zambra spitzt in ?Die Erfindung der Kindheit? den Generationskonflikt zu, in dem er in Kapitelüberschriften zwischen der Literatur der Eltern und der der Kinder unterscheidet. Der bereits erwachsene Protagonist des Romans ist zu Besuch im Hause seiner Eltern. Seine Mutter fragt ihn: Zitat aus Alejandro Zambras Roman ?Die Erfindung der Kindheit?, S. 60 (Mann 2): Magst Du Carla Guelfenbein? Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich finde sie hübsch, würde mit ihr ausgehen, aber nicht mit ihr schlafen, antwortete ich. Küssen würde ich sie vielleicht, aber mit ihr schlafen nicht, oder ich würde mit ihr schlafen, sie aber nicht küssen. Mein Mutter tat empört. Das stand ihr gut. Ich will wissen, ob du magst, wie sie schreibt. Nein, Mama. Mag ich nicht. Ich mochte ihren Roman. ?Die Rückseite des Herzens. Die Rückseite der Seele?, verbesserte ich. O-Ton Alejandro Zambra (54123, 1?50): Es como bestseller ella. Pero en el fondo es una literatura como comercial y muy promovida en estos términos, .... es una lectura de mamá po. Pero no es mala onda con ella. OV (Mann 1): Sie ist ein Bestseller. Eigentlich schreibt sie eine sehr kommerzielle Literatur, die sehr gehypt wird. Lektüre unserer Mütter halt. Aber das ist nicht böse gemeint. Atmo - Santiago Autorin (Frau 1): Die 54-jährige Schriftstellerin Carla Guelfenbein hat auch im Ausland großen Erfolg. Ihr Roman ?Nackt schwimmen? ist der dritte, der seit 2012 in deutscher Sprache vorliegt. Ihre Eltern waren Oppositionelle in der Militärdiktatur und gingen mit der jungen Carla 1976 ins Exil nach England. Auch sie lebt heute wieder in Santiago. O-Ton Carla Guelfenbein (54115, 11?50): Por supuesto que me marcó muchísimo. Pero no es que tenga una necesidad vital de sacarme esto encima. Al contrario, yo atesoro que me siento previlegiada de haber vivido el dolor, haber observado esta generción con este ímpetu, con etas marchas que están descritas en esta novela. OV (Frau2): Natürlich hat mich diese Zeit sehr geprägt. Aber es ist auch nicht so, dass ich die Notwendigkeit verspüre, mir das von der Seele zu schreiben. Ganz im Gegenteil, ich finde ich bin privilegiert, dass ich diesen Schmerz erlebt habe, diese Kraft dieser Generation, diese Bewegung, die auch in dem Roman beschrieben wird. Autorin (Frau 1): ?Nackt schwimmen? ist in den Kontext des Putsches von 1973 eingebettet, die Protagonisten sind Gegner der Militärdiktatur. Doch die Politik steht im Roman nicht im Vordergrund, sondern eine Liebesgeschichte und eine komplizierte Dreiecksbeziehung. Über den Putsch, die Militärdiktatur und ihre Folgen zu schreiben, gebe es noch Bedarf, sagt Andrea Viu vom Verlag Alfaguara. O-Ton Andrea Viu (54121): Yo creo que lo que falta, es la gente de derecha, la gente, que apoyó el golpe. Se ha escrito sobre el tema, pero es un tema que genera mucho ruido todavía. Hay una posición general si tú ves en política. Ahora parece que todos estuvieran contra el Gobierno militar, de la dictadura, pero no fue así. OV (Frau 2): Ich glaube, was noch fehlt, sind Stimmen der Rechten, derjenigen, die den Putsch unterstützt haben. Man hat das Thema zwar berührt, aber es sorgt noch für sehr viel Wirbel. Alle tun so, als wären sie gegen die Militärregierung gewesen, gegen die Diktatur, aber so war es nicht. Autorin (Frau 1): Alejandro Zambra und seine gleichaltrigen Schriftsteller-Freunde beleuchten die Diktatur aus anderen Blickwinkeln. Sei es, dass sie über ihre Kindheitserinnerungen schreiben, über das Schweigen der Eltern oder über die Zeit der Redemokratisierung in den 90er Jahren. Zu den Stimmen, die behaupten, das Thema sei abgeschlossen, sagt Alejandro Zambra: O-Ton Alejandro Zambra (54122, 28?50): Me parece que sólo lo puede decir alguien muy inreflexivo o alguien de la derecha porque lo que pasó en el 2010 con las movilizaciones estudiantiles ? y va a seguir pasando ? bueno cuál es su origen, la dictadura destruyó toda la institucionalidad educacional chilena Quién destruó la institucionalidad chilena? ? Pinochet. Bueno, es un tema vigente, están los jóvenes en la calles, primera generación que nacen en democracia. OV (Mann 1): Mir scheint, das kann nur jemand sagen, der nicht nachdenkt oder jemand von den Rechten. Man braucht sich nur die Studentenproteste von 2010 vor Augen zu führen ? und die gehen weiter. Was ist die Ursache dafür? ? Die Diktatur hat das chilenische Bildungssystem zerstört. Und wer hat es zerstört? ? Pinochet. Das Thema ist also immer noch brisant. Die jungen Leute gehen weiter auf die Straße. Die erste Generation, die in der Demokratie geboren ist. Zitat aus Alejandro Zambras Roman ?Die Erfindung der Kindheit?, S. 18 (Mann 2): Pinochet war für ich bloß ein Fernsehonkel mit einer Sendung ohne festen Programmplatz, und deshalb hasste ich ihn, denn seinetwegen unterbrachen die langweiligen Staatssender oft im schönsten Moment ihr Programm. Später hasste ich ihn als Scheißkerl, als Mörder, aber damals hasste ich ihn wegen dieser ungelegenen Shows, die mein Vater ansah, ohne ein Wort zu sagen. Er zog nur fester an der Zigarette, die ihm ständig im Mundwinkel klebte. 1