Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dossier Silvester in Köln oder Making of Apokalypse 2.0 Autor: Walter van Rossum Redaktion: Karin Beindorff Produktion: DLF 2016 Erstsendung: Freitag 15.07.2016 , 19.15 Uhr Besetzungsbüro Regie: Karin Beindorff Technik I Technik II Autor Sprecher 1 Zitator Zitatorin Produktion: . - .2016, 12 Uhr bis 20.00 Uhr, Studio H8.1 Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Atmo: Schlachtgetümmel Autor: Im Jahre 732 begann der Aufstieg des fränkischen Hausmeiers Karl. Bei Poitiers vernichtete er eine arabische Armee - unterwegs, Europa zu erobern. Karl wurde zum Helden und erhielt später den Beinamen "Martell" - martellus, lateinisch: der Hammer. Dank seiner kriegerischen Taten gelangte die Dynastie der Karolinger an die Macht. Und aus der Legende seines Sieges entstand erstmals so etwas wie ein Gefühl europäischer Identität - die Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen ‚die Araber'. Dieser Gründungsmythos funktioniert bis heute. Ansage Silvester in Köln oder Making of Apokalypse 2.0 Ein Dossier von Walter van Rossum Zitator: Wie im Vorjahr verliefen die meisten Silvesterfeierlichkeiten auf den Rheinbrücken, in der Kölner Innenstadt und in Leverkusen friedlich. Die Polizisten schritten hauptsächlich bei Körperverletzungsdelikten und Ruhestörungen ein. (...) Autor: Aus der Pressemitteilung der Polizei über die Ereignisse der Silvesternacht - veröffentlicht am 1. Januar 2016 um 8.56 Uhr Zitator Kurz vor Mitternacht musste der Bahnhofsvorplatz im Bereich des Treppenaufgangs zum Dom durch Uniformierte geräumt werden, um eine Massenpanik durch Zünden von pyrotechnischer Munition bei den circa 1000 Feiernden zu verhindern (...). Trotz der ungeplanten Feierpause gestaltete sich die Einsatzlage entspannt - auch weil die Polizei sich an neuralgischen Orten gut aufgestellt und präsent zeigte. Autor: Weil Journalisten in der Regel nicht Realitäten betrachten, sondern Pressemitteilungen und Agenturmeldungen, blieb die Öffentlichkeit noch eine Weile ahnungslos. Doch noch am selben Tag regte sich etwas auf einer Facebook-Seite. Dort hatte sich ein lokales Netzwerk eingerichtet: das Nettwerk Köln. Betreiber der Seite ist Phil Daub: O-Ton: Daub Das Nettwerk Köln ist eine lokale Gruppe für Kölner, die sich über alle Belange austauschen wollen. Da wird viel verkauft, bzw. getauscht, also so private Verkäufe, so flohmarktmäßig. Autor: Die Gruppe umfasst immerhin an die 150.000 registrierte Mitglieder. Und schon früher ging es auf Nettwerk nicht nur um den Austausch von Nettigkeiten und um Nachbarschaftshilfe: O-Ton: Daub Jeder kann einen Beitrag erstellen, er kann ein Foto posten oder was verlinken und dann wird darunter meistens diskutiert. (...) 2.30 Dann schreibt einer: ich suche eine Wohnung für eine Flüchtlingsfamilie. Dann geht die Diskussion los. Warum kriegen die eine Wohnung und wir nicht? Und dann gibt es natürlich heftige Diskussionen. Autor: Besonders heftig wurde es am Morgen des 1. Januar 2016. O-Ton Daub Es ging los am Neujahrsmorgen. Da hatte ein Mann einen Erfahrungsbericht von jemand anderem geteilt. Und darin ging es um ...: Zitator: Ich bin entsetzt, was sich da gestern für Horrorszenen im Kölner Hauptbahnhof abgespielt haben. (...) Weinende Frauen nach zigfachen sexuellen Übergriffen in der Menge. (...) Tausende betrunkene junge zumeist arabisch sprechende Männer, die die Frauen behandelten als wären sie Freiwild. (...) Ich stand mittendrin mit meiner Freundin an der Hand, was leider nicht verhinderte, dass auch ihr immer wieder unter das Kleid gefasst wurde. (...) Ist es das, wofür ich den halben Inhalt meines Kleiderschrankes gespendet habe? Ist das das neue Köln? Ist das das neue Deutschland? Autor: Hier findet sich bereits der erste Hinweis auf Flüchtlinge, obwohl der Mann das gar nicht wissen konnte. Erstaunlich auch, dass er offenbar mühelos Arabisch von Farsi, Paschtu, Türkisch oder Kurdisch und einem Dutzend anderer in Frage kommender Sprachen unterscheiden konnte. Die diensthabende Administratorin des Nettwerks hielt den Beitrag jedenfalls für einen schlechten Silvesterscherz und löschte ihn. Man hatte schließlich so seine Erfahrungen. O-Ton Daub Das Flüchtlingsthema war auch vorher schon präsent. Das hat man gemerkt. Aber es ist dann eigentlich nach den Geschehnissen an Silvester da sozusagen explodiert. Autor: Doch zuvor hatte bereits ein anderer User die Meldung kopiert und zigfach verbreitet. Jedenfalls hetzte die rechte Szene bereits am 2. Januar auf ihren Internetseiten über das, was sie für die Vorkommnisse ausgab. So z. B. auf den News-Seiten des Medienunternehmens Kopp, das seit geraumer Zeit als rechte Bürgerwehr agitiert. Hier findet sich der gelöschte Post von Nettwerk und der Kommentar eines wie üblich anonymen Users: Zitator: Die unzähligen strafbaren Vorfälle, die von der Polizei in dieser Nacht - aus welchen Gründen auch immer - nicht konsequent verfolgt und unterbunden werden konnten, [wurden] in der Facebook-Gruppe "NETT-WERK Köln" gepostet und öffentlich thematisiert. Eine Vielzahl der Diskussionen und Beiträge zu dieser Thematik wurde anschließend politisch korrekt wegen angeblichem Rassismus und fehlender Sachlichkeit umgehend gelöscht. Dieser "Rassismus" bestand in der Hauptsache wohl darin, dass sich unzählige Betroffene und Zeugen auch über das zumeist arabische Aussehen und die arabische Sprache der "Männer" zum Hintergrund der Tatverdächtigen äußerten. Auch Asylbewerber und Flüchtlinge aus dem arabischen Raum sollen nach den Aussagen der Opfer und Zeugen unter den Tatverdächtigen gewesen sein. Autor: Der Anonymos behauptet von ‚unzähligen Betroffenen und Zeugen' bereits zu wissen. Er selbst hat keinerlei eigene Anschauung der Vorkommnisse, beruft sich auf zu dieser Zeit gänzlich Unüberprüfbares. Ähnlich erstaunlich detaillierte Posts fand man schon so früh auf zahllosen Internetseiten des offenbar riesigen rechten Netzwerks. Vermutlich weil der emsige Nettwerker in Köln die bald gelöschte erste Meldung rasch kopiert und die ganze Szene damit beliefert hatte. Und um den Ernst der Lage zu dokumentieren, postete er auch ein Video, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen ließ: Zitator: Aktuelles Video der Übergriffe in Köln vom 31.12.2015[,das] die Presse uns vorbehalten will!! Klar zu erkennen, wie ein Mob Dreckspack hilfloses Mädchen bedrängt und begrapscht!!! Es ist unglaublich, was da passiert ist!! Autor: Dieses Video wurde umgehend auf die Videoplattform YouTube hochgeladen und über eine Million Mal angeklickt. Kurz danach stellte sich allerdings heraus, dass es sich um einen fünf Jahre alten Film handelte. Der spielte auch nicht in Köln, sondern zeigte Szenen vom Tahir Platz in Kairo während des Aufstandes gegen den Diktator Mubarak. Eine bewusste Fälschung des Users, eine absichtsvolle Manipulation. Das allerdings hielt den anonymen Netzwerker nicht davon ab, das Löschen des ersten Beitrags bei Nettwerk als einen Akt dreister Zensur zu brandmarken und eine riesige Verschwörung des Schweigens anzudeuten. Man könnte fast glauben, dieser Unbekannte habe bei dem Empörungshype, der zwei/drei Tage später ausbrach, Regie geführt. Genau auf den von ihm gelegten Erregungsbahnen werden sich die Ereignisse entwickeln. Das war die Keimzelle, aus der eine vermeintlich ruhige Silvesternacht zu einem organisierten muslimischen Überfall mutierte. Die Saat war in den Netzwerken gelegt: O-Ton Daub Es kamen dann mehr Erfahrungsberichte von anderen Leuten: Ja, ich war da auch. Mir ist etwas Ähnliches passiert. Was war denn da los? Und wieso war die Polizei nicht da? Und die haben da quasi bürgerkriegsähnliche Zustände dort beschrieben. Wir haben im ersten Moment gedacht, das ist ein Scherz. Autor: Das blieb nicht unbeobachtet. Einige Kilometer weiter bemerkte die diensthabende on-line Redakteurin des Kölner Stadt Anzeiger die wilden Aktivitäten auf dem Kölner Netzwerk. Der Polizei- und Gerichtsreporter Tim Stinauer erinnert sich: O-Ton Stinauer Da hat die Kollegin die Diskussion auf Nettwerk bei Facebook verfolgt - da wurde ja relativ früh diskutiert über die Vorfälle- und sie hat dann auch am Neujahrstag eine erste Online-Meldung abgesetzt. Da war auch schon von sexuellen Übergriffen die Rede. Sie hat auch die Pressesprecherin der Polizei Köln auch befragt - auch zu den sexuellen Übergriffen, bekam aber als Antwort, der Polizei war ein Fall bekannt (..). Im Laufe des frühen Mittags, Nachmittags bekamen wir dann eine Mail von einer Frau, die uns geschildert hat, was ihr wiederfahren ist: auch ein sexueller Übergriff, ein heftiger sexueller Übergriff und Handydiebstahl. Und eine weitere Frau hat sich bei der online-Kollegin auch noch telefonisch gemeldet. (..) Aber offiziell galt immer noch die Ansage der Polizei: Alles friedlich. Lage weitgehend entspannt. Autor: Wenn es im Netz rumort, ist die Boulevardpresse meist nicht weit. Der Kölner Express - aus demselben Verlagshaus wie der Stadtanzeiger - stellt am Neujahrstag um 21.08 Uhr die erste Meldung über Silvester on-line. Zitator: In der Silvesternacht soll es im Bereich des Hauptbahnhofs zu mehreren sexuellen Übergriffen auf Frauen gekommen sein. Entsprechende Berichte waren am Neujahrstag in sozialen Netzwerken aufgetaucht. Eine Betroffene meldete sich auch beim EXPRESS. Die junge Frau (28) war gegen 0.45 Uhr mit zwei Freundinnen und einem Bekannten am Bahnhof angekommen und wollte zu einer Party im Alten Wartesaal. Die eine Freundin lief mit ihrem Freund eingehakt durch eine große Gruppe, die aus jungen Männern bestanden haben soll. Die beiden anderen Frauen liefen nebeneinander aus dem Bahnhof. "Wir beide wurden sofort massiv angefasst, an den Brüsten und im Intimbereich. Die Männer lachten, griffen uns in die Haare und behandelten uns wie Freiwild. Wir schlugen um uns, weinten und hatten große Panik. Es war Horror." O-Ton Stinauer Dann ging es weiter am 2. Januar, Samstagmorgen. Da bekam ich einen Anruf von einem Polizeibeamten, der mir inoffiziell verraten hat, dass die Polizei an Neujahr noch eine Ermittlungsgruppe gebildet hat und am Nachmittag gegen 17 Uhr hat dann die Polizei, das, was bei uns schon stand, in einer Pressemitteilung im Grunde noch einmal bestätigt. Autor: Auf einschlägigen Internetseiten verbreiteten sich die spärlichen Informationen in Windeseile und wurden umgehend wild kommentiert. Beim Zentralorgan des aggressiven Antiislamismus PI - politically incorrect - stehen bereits am 2. Januar früh morgens die ersten Kommentare: Zitator: Naja, wenn man eine Millionenschar von aggressiven Männern bei uns illegal ins Land einmarschieren lässt und diese ihr Unwesen überall ungestraft ausleben dürfen, muss man sich nicht wundern, wenn die Frauen in Deutschland zu Freiwild werden. Die Dunkelziffer wird wohl enorm hoch sein. Da die Lügenpresse bei den Invasoren ja verallgemeinern, dass ja keiner rauslesen kann, aus welcher Richtung die Täter kommen, liegt an deren Angst, die Wahrheit zu schreiben. O-Ton Stinauer Das erste Mal, dass die Polizei von Nordafrikanern oder arabisch aussehenden Männern sprach, war in ihrer Pressemitteilung am 2. Januar um 17 Uhr. Wie man heute weiß, wusste die Polizei aber schon am Mittag des Neujahrtages gegen 14 Uhr, dass es sich in der Mehrzahl eben um Täter aus diesem Kreis handelt, hat es aber vorher nicht kommuniziert. Autor: Zu diesem Zeitpunkt gab es ja auch noch keine ‚Täter', sondern die Polizei hatte allenfalls ein paar wenige Tatverdächtige. Die berechtigte Zurückhaltung der Polizei wurde ihr sofort als Vertuschungsakt ausgelegt. Der Tenor: Falsch verstandene politische Korrektheit schützt kriminelle Ausländer. Als Beleg für eine Verschwörung diente dabei einzig die erste Pressemitteilung der Polizei vom Neujahrsmorgen. Stündlich wurde indes deutlicher, dass die Nachrichten von einer alles in allem ruhigen Nacht für alle Bereiche rund um Dom und Hauptbahnhof tatsächlich nicht stimmten. Noch im Januar berief das Landesparlament einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Silvesterereignisse ein. Trotz parteipolitischer Scharmützel und Schuldvorwürfen: Dieser Ausschuss entdeckt keine Verschwörung, sondern eine Reihe von Pannen, nicht zuletzt bei der Polizei. O-Ton Stinauer Also nach meinem Eindruck, den ich inzwischen habe, auch nach den Aussagen, die im Untersuchungsausschuss gefallen sind und nach eigenen Recherchen, ist, dass die Pressesprecherin die erste Meldung an diesem Morgen im besten Gewissen abgesetzt hat. Ich glaube, dass es keine Vertuschung in dem Sinne gab, dass man bestimmte Ereignisse oder Vorkommnisse bewusst verschleiern wollte, dass man die Öffentlichkeit täuschen wollte. Das glaube ich nicht. (...)Es ist ein Kommunikationsproblem innerhalb der Polizei gewesen, dass in dieser Nacht und am nächsten Morgen viele Einzelpersonen bei der Polizei Teilinformationen hatten, aber dass niemand eine Überblick über die Gesamtlage hatte. Autor: Am Montag, dem 4. Januar machte die Lokalpresse und die BILD-Zeitung publik, was man bislang wissen konnte. Und schon am Abend desselben Tages stand der gesamte Blätterwald in Flammen, Satelliten liefen heiß. Auch die Tagesschau ging auf Sendung: O-Ton Nach sexuellen Übergriffen auf Frauen und Raubüberfällen am Kölner Hauptbahnhof an Silvester hat Oberbürgermeisterin Reker für Morgen ein Krisentreffen einberufen. Die Vorfälle seien ungeheuerlich, sagte Reker. Der Polizei liegen etliche Anzeigen vor. Die Straftaten seien aus einer Menge von rund 1000 Männern heraus begangen worden. [Reporter:] Silvester kurz vor Mitternacht am Kölner Hauptbahnhof. Offenbar gezielt werden Feuerwerkskörper abgefeuert. In der Menge auch etwa 1000 junge Männer zwischen 15 und 35. Einige von ihnen sollen in Gruppen Frauen massiv sexuell bedrängt und ausgeraubt haben. 60 Anzeigen gibt es bisher wegen Sexualdelikten und Taschendiebstahls Autor: Es folgte Brennpunkt auf Brennpunkt. Das Thema beherrschte wochenlang die Schlagzeilen. Und ob sie es nun wollten oder nicht: Im medialen Aufstand leuchtete der Traum aller Pegidasoldaten in lodernden Farben: Wehrlose Deutsche von anbrandenden Muselmanen überfallen, die unsere Frauen schänden und das Land brandschatzen. Und bevor noch annähernd präzise geklärt war, was eigentlich in welchem Umfang geschehen war, bot die Politik das Schauspiel wilder Entschlossenheit. Bundesjustizminister Heiko Maas raunte schon am 6. Januar in BILD am Sonntag: Zitator: "Wenn tausend Menschen sich zu einer enthemmten Horde zusammen finden und das offenbar so geplant war, dann ist das nicht weniger als ein zeitweiliger Zivilisationsbruch...Niemand kann mir erzählen, dass das nicht abgestimmt oder vorbereitet wurde", Autor: Und auch die Kanzlerin weiß offenbar, was passiert ist: O-Ton Merkel Natürlich ergeben sich aus dem, was da passiert ist, einige sehr ernsthafte Fragen, die über Köln hinausgehen (...)Wenn es rechtlicher Änderungen bedarf, oder wenn es gößerer polizeilicher Präsenz bedarf - ich will vielleicht daran erinnern, dass wir eine erhebliche Aufstockung im Etat des Innenministeriums vorgenommen haben, 4000 Polizisten mehr - , dann sind das die notwendigen Antworten, aber wir müssen auch mehr über die Grundlagen unseres kulturellen Zusammenlebens in Deutschland immer und immer wieder sprechen. Und was die Leute mit Recht erwarten ist, dass den Worten Taten folgen. Und da muss eben auch immer wieder überprüft werden, ob wir, was die Ausreisemöglichkeiten und Ausweisungen anbelangt, schon alles getan haben, was notwendig ist. Autor: Der Sicherheitsstaat sieht seine Stunde wieder gekommen: mehr Polizei, Überwachung, rechtliche Änderungen. In den USA finden die Besorgten ein weiteres Sprachrohr: Donald Trump macht umgehend die Kölner Ereignisse zum Wahlkampfthema: O-Ton Trump: By the way Zitator Übrigens als ich heute losgefahren bin, hörte ich von Köln in Deutschland - einer der friedlichsten Orte auf der Welt. Da gibt es Aufstände in den Straßen. Die Leute da werden heftig zusammengeschlagen. Frauen werden vergewaltigt. Was in Deutschland passiert, ist unglaublich. Wir können die Leute, die Schlange stehen, nicht aufnehmen. Wir wissen ja gar nicht, wer die sind. Autor: Binnen kürzester Zeit werden Gerüchte, Halbwahrheiten und gezielte Lügen über die Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof weltweit zur Chiffre für die allgemeine Bedrohung des christlichen Abendlandes durch den Moslem. Leitartikler der sogenannten Qualitätsmedien in Deutschland gedachten kurz der Unklarheit der Ereignisse und stiegen dann umso heftiger in ihre Deutung ein. Kein Kommentator, der nicht weitreichende Konsequenzen forderte. Im Spiegel vom 9. Januar schrieb Cordt Schnibben unter der Überschrift "Das Attentat": Zitator: Durch eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes könnte das Abschieben von kriminellen Asylbewerbern weiter erleichtert werden. Die zweite Konsequenz: Der Bundesregierung muss es gelingen, den Deutschen durch eine deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen die Angst vor der Überforderung der Gesellschaft zu nehmen. Autor: Volker Zastrow, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10. Januar: Zitator Was in Köln und anderswo an Silvester genau geschah, muss noch geklärt werden. Weil die Sachverhalte so schockierend waren, ist es schwer, der Versuchung zu vorschnellen Urteilen zu widerstehen. Mit Sicherheit aber kann man sagen, dass gescheiterte Integration von Einwanderern zu den Problemursachen gehört. Autor: Was noch gar nicht geklärt ist, wird zum schockierenden Sachverhalt. Medien, die sich unter Druck fühlten, weil man ihnen vorwarf, die Flüchtlingsproblematik zu beschönigen, warfen jetzt alle Scheu ab und gaben den Druck verschärft an Politik und Polizei weiter. Pausenlos wurde diskutiert inwieweit die Polizei - womöglich wegen politischer Einflussnahme - das Ausmaß der Katastrophe und die Herkunft der Täter vertuschen wollte. Am 7. Januar machte BILD den internen Bericht eines leitenden Polizeibeamten öffentlich. Zitator: Am Vorplatz und der Domtreppe befanden sich einige Tausend meist männliche Personen mit Migrationshintergrund, die Feuerwerkskörper jeglicher Art und Flaschen wahllos in die Menschenmenge feuerten bzw. warfen. Da der nicht sachgemäße massive Pyrogebrauch in Form von werfen und abschießen in die Menschenmenge zunahm. Wir kamen zu dem Entschluss, dass die uns gebotene Situation (Chaos) noch zu erheblichen Verletzungen, wenn nicht sogar zu Toten führen würde. (...) Auffällig war zudem die sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen der Landespolizei und im eigenen Zuständigkeitsbereich. Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe. Autor: Diesen Bericht gibt es, er kursierte nun als Beweis für die "offiziell" unterdrückte Wahrheit. Der Beamte hat später vor dem Untersuchungsausschuss des Landtages seine Schilderungen wiederholt. Allerdings hatten etliche Kollegen die Lage deutlich anders wahrgenommen und deshalb auch z. B. auf Verstärkung verzichtet. O-Ton Stinauer Das ist auch eine zentrale Frage, worüber auch die Mitglieder des Untersuchungsausschuss immer wieder die Stirn runzeln. Wie es so verschiedene Wahrnehmungen gegeben haben kann. Auch darauf gibt es keine richtige Antwort bisher. Autor: Doch solche Widersprüche spielten im Furor der medialen Berichterstattung im Januar so gut wie keine Rolle. Zu einem Zeitpunkt, da es allenfalls ein paar Tatverdächtige in Sachen Diebstahl gab, aber noch keinen Beschuldigten, geschweige denn einen überführten Täter, wollte man den Schwung der Entrüstung nicht mit soliden Recherchen oder gar Analysen bremsen. Musik Autor: Es gab zwei Kräfte, die dafür gesorgt haben, dass aus einem weitgehend ungeklärten Tumult, in dessen Schutz es unzweifelhaft kriminelle Akte gegeben hat, ein mehr oder weniger organisierter muslimischer Terrorakt wurde. Eine dieser Kräfte findet sich im pegidaaffinen Milieu, das alles daran gesetzt hat, die für die Betroffenen schrecklichen Ereignisse in schaurige Kulturkampfentschlossenheit zu transformieren. Dieser Szene ist es gelungen, ihre Wahrnehmung zur kollektiven Matrix zu machen. Und sie konnte auf Agenten rechnen, die längst im medialen Raum des Mainstreams angekommen war - etwa die AfD. Aber es kamen ihr auch Leute zur Hilfe, die gemeinhin nicht als Mitglieder der rechtsradikalen Szene gesehen werden. Alice Schwarzer zum Beispiel. Für die Feministin steht seit Jahren fest, dass Deutschland längst von Scharia-Gläubigen unterwandert ist. In dem von ihr herausgegebenen Buch Der Schock, das im Mai 2016 erschien, behauptet sie, dass es sich bei den Silvesterereignissen in Wahrheit um einen religiösen Krieg handele, einen organisierten Vorstoß von Dschihadisten, der nicht zufällig im Schatten einer christlichen Festung stattfand - nämlich des Doms. Zitatorin: "Männer, die fanatische Anhänger des Scharia-Islams sind (...). An diesem Abend setzten sie eine für sie ganz einfache Waffe ein. Die sexuelle Gewalt. Sexuelle Gewalt ist eine traditionelle Kriegswaffe. (...) Sie bricht die Frauen und demütigt die Männer, die "ihre" Frauen nicht schützen können. Autor: Ihren Rassismus hüllt sie in rhetorische Fragen, die sie natürlich längst beantwortet hat. Zitatorin: "Ist die öffentliche Gewalt gegen Frauen jetzt aus Nordafrika und Nahost jetzt nach Deutschland übergeschwappt (...) War die Silvesternacht in Köln also ein politisches Signal?" Autor: Der IS als besoffene Partytruppe mit Silvesterböllern. Da kann ihr niemand was vormachen. Alice Martell. Man soll die Mythen schmieden, bevor die Tatsachen sie erkalten lassen. So war das schon im Jahr 732. Alice Schwarzers paranoide Visionen überhöhen bloß die diffusen Ängste mancher Teile der Bevölkerung über die hohe Zahl von Flüchtlingen im Jahr 2015. Monatelang war die "Lawine", die "Welle", die "Horde" das beherrschende Medien-Thema gewesen. Führende Politiker und Leitartikler hatten immer wieder befürchtet, das Land verkrafte diese fremden Massen nicht. Der sog. "Humanismus" musste ein Ende haben. Mit anderen Worten: Die Ereignisse von Köln wurden erwartet. Das war die zweite mächtige Kraft: der unwiderstehliche Sog, der die realen Ereignisse verschlang und als Dschihad, als "Attentat" oder als Nachhut von 732 wieder ausspuckte. Musik Autor: Auf Anhieb und lückenlos wurden die Ereignisse auf politischem, religiösem und ethnischem Niveau verhandelt und insofern konnten die Taten nur in einem religiösen, politischen oder ethnischen Licht erscheinen. Das Bedrängen und Angrapschen, die heftigeren Übergriffe waren schlimm genug, aber noch wichtiger war es, dass es "Flüchtlinge" waren - wie man wissen wollte, bevor man es wissen konnte. Am 9. Januar erhob der Spiegel die Vorfälle zur Titelgeschichte. Zitator: Ihr Verhalten [der Täter] - und die anschließende Aufarbeitung dieses Verhaltens im Politik-, Medien- und Internetbetrieb - hat das Zeug dazu, eine Wende in der deutschen Flüchtlings und Zuwanderungspolitik auszulösen. Der durch die Bilder und Geschichten aus Köln erzeugte Druck scheint ein "Weiter so!" unmöglich zu machen. Autor: Diese Wende soll herbeigeredet werden durch Stimmungen, die die meisten Medien und das Netz überhaupt erst geschaffen haben. Offenbar lag den Autoren nichts daran, den selbsterzeugten Druck zu mildern. Einige Seiten später heißt es: Zitator: Die Silvesternacht markiert einen Wendepunkt, weil sich in ihr das Unbehagen über staatliche Untätigkeit kristallisiert hat. Die Szenerie auf der Platte zwischen Dom und Hauptbahnhof war kaum anders als symbolisch zu betrachten: Der Platz wurde zum Ort der Rechtlosigkeit, der Ohnmacht der Staatsgewalt, aber Randale, Raketen und Rabauken überall. Autor: Und ein paar Spalten weiter raunt es düster: Zitator: Integrieren, Integrationspolitik, Repression, Zuwanderungspolitik, Obergrenzen: Die Ereignisse von Köln haben die Dynamik im politischen Berlin tiefgreifend verändert. Autor: Die tatsächlichen Ereignisse von Köln oder die veröffentlichte Meinung? Es gab fast nirgendwo den bescheidenen Versuch, die begangenen Straftaten als eine Form von Kriminalität aus dem Geist ihrer Umstände zu begreifen und zu untersuchen. Nein, es gibt keine ähnlichen Ereignisse. Ein derartiges Aufkommen von sexuellen Übergriffen und Diebstählen auf einem öffentlichen Platz binnen weniger Stunden hatte das Land tatsächlich noch nicht erlebt. Weitaus Schlimmeres schon. Musik: Autor: Versuchen wir dem Phantasma den phantastischen Strom abzudrehen. Es war keine ruhige Silvesternacht und es war kein muslimischer Überfall. Was war es dann? O-Ton Bremer Stand der Dinge ist der, dass wir 1175 Strafanzeigen haben, von denen sich knapp 500 auf den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs beziehen. Und zwischenzeitlich hat die Staatsanwaltschaft gegen 175 Beschuldigte Ermittlungsverfahren eingeleitet, von denen 37 dem Vorwurf eines Sexualdeliktes gegenübersehen. Autor: Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer ist Pressesprecher der Kölner Staatsanwaltschaft. O-Ton Bremer Man wusste ja bis heute eigentlich nicht, wie viele Täter sich überhaupt auf der Domplatte befunden haben. Es gibt ja grobe Zeugenaussagen, die sagen, es sind etwa 1000 Männer gewesen. Ich persönlich gehe davon aus, dass nicht jeder sich strafbar gemacht hat. Deswegen wissen wir eigentlich gar nicht genau, wie viele Täter es sind. Autor: Bis heute werden Horror-Bilder gepflegt: Ein irgendwie geschlossenes, mal tausend-, mal dreitausendköpfiges Rudel von Arabern sei über deutsche Frauen hergefallen. Wäre es so gewesen, dann fragt man sich, wieso dieses Großereignis erst so verzögert ins öffentliche Bewusstsein dringen konnte. Warum trudeln vereinzelte Meldungen über ein lokales Netzwerk ein? Warum melden sich nur zwei Personen bei der lokalen Presse? Diese Frage hat auch Phil Daub vom Nettwerk Köln beschäftigt: O-Ton Daub Ich glaube, dass die Leute, die da betroffen waren, selber gar keine Vorstellung hatten von dem Ausmaß. Ich glaube, die wären gar nicht auf die Idee gekommen als jemand, der belästigt wurde zum Express oder zu den Medien geht und sagt, ich wurde hier auch Silvester am Hauptbahnhof belästigt. Autor: Abgesehen von den Tätern, abgesehen von den Opfern müssten doch Tausende Passanten im Laufe der Nacht Zeugen des Grauens gewesen sein. Könnte es nicht sein, dass das Inferno gar nicht jene Sichtbarkeit, jene Geschlossenheit hatte, die Politiker und Leitartikler unterstellten? Das würde Manches erklären, zum Beispiel die verblüffend unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse von Polizeibeamten vor Ort. Weder gab es eine geschlossene Gruppe, noch die stets suggerierte immense Anzahl an Tätern. Musik: Autor: Scheint es nicht sonderbar, dass in Zeiten da jeder umgekippte Blumentopf seinen Photographen findet, ausgerechnet vom Überfall der muslimischen Barbaren kaum ein einziges brauchbares Bilddokument überliefert ist? Das zwischenzeitlich 140 Mann starke Ermittlerteam der Polizei hat fast 1200 Stunden Videomaterial mit neuesten technischen Möglichkeiten gesichtet, und so doch nur einige wenige Tatverdächtige identifiziert. Tausendfach hat man ein einziges Video als Zeugnis des Grauens gezeigt. Doch auf dem Video sieht man nichts als Männer, die auf dem Bahnhofsvorplatz Silvesterböller krachen lassen - idiotisch genug. Solche Videos gibt es vermutlich von Hunderten Silvesterpartys auf öffentlichen Plätzen. Unaufhörlich wurden von Medien und Politik "bürgerkriegsähnliche Zustände" behauptet. Doch genau in dem Video, das diese Zustände dokumentieren soll, sieht man nichts davon. Ebenso wenig in allen anderen im Netz veröffentlichten Videos. Im Gegenteil, trotz des nicht ungefährlichen Umgangs mit Feuerwerk sieht man Passanten gelassen am Rande des Tumults ihrer Wege gehen. Das vermeintliche Beweis-Video, das weltweit Verbreitung fand, stammt von Markus Böhm, einem Lokalreporter im Rhein-Sieg-Kreis, der zufällig vor Ort war. Zitator: Ich habe einfach mal gefilmt. Nie hätte ich gedacht, dass das Video solche Wellen schlägt. Nein, von sexuellen Übergriffen habe ich nichts mitbekommen. Autor: So ist es auch einer Frau gegangen, die stundenlang am Bahnhof gefeiert hat: der Krimi-Autorin Regina Schleheck. Auf ihrer Facebook-Seite schrieb sie am 4. Januar: Zitatorin: Ich erlebe nun seit drei Tagen [den] sich aufschaukelnden Hype um die Vorkommnisse am Kölner Hauptbahnhof. Ja, ich war mittendrin. An die drei Stunden. Im Bahnhof an der Seite zum Breslauer Platz. (...) Ich stand eingekeilt in einer Menschenmenge von gefühlten neunzig Prozent Männern arabischen Ursprungs. (...) Einzelne der Männer, die ich beobachtet habe, hatten zu viel getrunken und torkelten. (...) Da waren andere, die sich um sie gekümmert haben und denen das augenscheinlich peinlich war. Alle Menschen um mich herum haben sich außerordentlich ruhig, geduldig und sehr achtsam verhalten. Ich habe immerhin Stunden dort zugebracht und keinen einzigen Übergriff beobachten können. Die Männer um mich herum - und das waren sehr, sehr viele -, haben sich sehr bemüht, mir trotz des Gedränges nicht zu nahe zu kommen, mehr noch, sie haben mich mit den Armen abgeschirmt gegen die Leiber, die von allen Seiten herangeschoben wurden. Autor: Fabian Köhler ist einer der wenigen Journalisten, die versucht haben, die Ereignisse jener Silvesternacht ohne Kulturkampfrhetorik zu untersuchen. In einem Beitrag für die Zeitschrift Hintergrund zitiert er noch eine andere Zeugin: Zitatorin Ich war mit einer Gruppe von Leuten unterwegs. Wir waren von 11 bis 2 Uhr an der Domplatte. Und uns ist da eigentlich nichts wirklich aufgefallen. Da ist schon mal ein Böller blöd gelandet, aber das ist für solche Abende doch normal. Autor: Erzählt Mathilda Goller, die aber gar nicht so heißt. Sie hat Fabian Köhler gebeten, anonym zu bleiben. Aus Angst über das, was Regina Schleheck widerfahren ist, nachdem sie ihre Sicht der Dinge veröffentlicht hatte: Telefonterror, Drohmails und das ganze Einschüchterungsrepertoire von Menschen, die sich als aufrechte Deutsche verstehen. Selbstverständlich widerlegen solche Erfahrungen nicht die sexuellen Übergriffe, von denen andere berichten. Aber sie erlauben eine andere Vorstellung von den Ereignissen, als man uns seitdem einhämmert. Straftaten, vor allem Taschendiebstahl, hat es, wie man jetzt weiß, jede Menge gegeben. Doch nichts hat die Stimmung so aufgeheizt wie der Umstand, dass es angeblich um Hunderte von Sexualdelikten in Verbindung mit tausenden "Arabern" bzw. Muslimen geht. Was weiß die Staatsanwaltschaft in Köln über das Spektrum der Sexualdelikte? Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer: O-Ton Bremer Webb man jetzt sagt, wir haben 491, also knapp 500 Anzeigen, die den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs zum Gegenstand haben, davon aber 21 Anzeigen wegen versuchter/vollendeter Vergewaltigung, dann ist das eine große Bandbreite. Dazwischen liegt die sexuelle Nötigung. Und die Vergewaltigung eben als Ausprägung der sexuellen Nötigung. Das sind allerdings Fälle, in denen versucht worden ist oder es eben geschafft wurde, Finger in Körperöffnungen einzuführen. Es hat also keinen Fall des nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs gegeben. Autor: Mit andern Worten: Es hat keinen Fall von vollendeter Vergewaltigung gegeben, 21 Anzeigen wegen versuchter Vergewaltigung und 470 Fälle von sogenannter sexueller Beleidigung - also Handlungen, die im Volksmund etwa "Grabschen" heißen. Doch auch das Grabschen kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. Nicht das Grabschen allein, sondern mehr noch die Umstände, unter denen es geschah: die Bedrohung in der Menge, die Ausweglosigkeit, dürfte für viele Opfer ein furchtbares Erlebnis gewesen sein. Tim Stinauer: O-Ton: Stinauer Ich habe mit Frauen gesprochen, die beobachtet haben, wie die Täter einen regelrechten Männertunnel vor dem WC im Hauptbahnhof gebildet haben, wo dann alle Frauen, die aus der Toilette kamen, durch mussten, die dann schon direkt von Anfang an gesagt haben, da bin nicht nur ich angefasst worden, sondern das ging vielen Frauen genauso. Autor: Allerdings muss offen bleiben, wie viele der Anzeigen im Bereich der sexuellen Beleidigung aus strafrechtlicher Sicht eher als Bagatelldelikte anzusehen sind. Es geht hier nicht darum, die individuellen Leiden der Opfer zu bagatellisieren, sondern Relationen herzustellen. Schließlich werden in Deutschland jährlich 7300 Vergewaltigungen angezeigt und 60 Prozent aller Frauen haben Erfahrungen mit "sexueller Belästigung" gemacht. Der überwiegende Teil der Delikte findet in der häuslichen Umgebung statt. Die Gesamtzahl aller erfassten Fälle gegen die sexuelle Selbstbestimmung betrug im Jahre 2014 fast 47.000. Fachleute gehen davon aus, dass die Zahl der realen, aber nicht angezeigten Vergewaltigungen noch wesentlich höher liegt. Doch für Alice Schwarzer ist der Fall klar: Zitatorin: Schon vor 15, 20 Jahren hat ein leitender Kölner Polizeibeamter mir anvertraut: "70 bis 80 Prozent aller Vergewaltiger in Köln sind Türken". Musik Autor: Nach den Silvesterereignissen lagen bis zum 12. Januar 561 Strafanzeigen vor. Davon betrafen 270 Anzeigen Sexualdelikte. Bei den anderen Anzeigen ging es meist um Diebstahlsdelikte. Die allermeisten Strafanzeigen wurden also erst mehr als 12 Tage nach den Taten gestellt. Manche erst im Februar. Ulrich Bremer, Sprecher der Kölner Staatsanwaltschaft : O-Ton: Bremer Das kann unterschiedliche Gründe haben. Das kann den Grund haben, dass an dem Abend selbst die polizeilichen Anlaufstellen so überlaufen waren, dass die Geschädigten eben davon Abstand genommen haben. Der andere Punkt ist der, dass sehr viele Geschädigte gar nicht aus Köln und der näheren Umgebung gekommen sind, sondern eben auch aus dem Bundesgebiet angereist sind und sich dann erstmal entschieden haben, möglicherweise auch durch die Berichterstattung, die dann aufgekommen ist, sich bei der örtlichen Polizeidienststelle zu melden. Und dass dann ebendiese Anzeigen auf dem Dienstweg über die örtliche Staatsanwaltschaft erstmal hier eingegangen sind. Ich kann mir durchaus auch vorstellen, dass es sicherlich Geschädigte, die nicht so gravierend bedrängt worden sind, die sich dann aber trotzdem aufgrund der Medienberichterstattung entschieden haben, Strafanzeige zu erstatten. Autor: Einige Medien beobachteten die Zuwächse bei den Anzeigen wie Börsenkurse. Im Tagesspiegel schrieben bereits am 10. Januar die Redakteurinnen Dagmar Dehmer und Andrea Dernbach: Zitatorin: Womöglich sind aber auch Frauen dabei, die gar nicht Opfer geworden sind, sondern aus politischer Überzeugung der Meinung waren, dass die Täter mit Migrationshintergrund oder die Flüchtlinge, die das Chaos auf der Domplatte für sexuelle Übergriffe ausgenutzt haben, abgeschoben gehören. Das hoffen sie womöglich, mit einer Anzeige zu beschleunigen. Musik Autor: Justizminister Heiko Maas hatte bereits Anfang Januar verkündet: O-Ton: Maas Es geht im Wesentlichen darum, warum solche Menschenansammlungen zusammenkommen. Und wenn sie zusammenkommen, um Straftaten zu begehen, dann ist das nicht anders als eine neue Form organisierter Kriminalität, mitder man sich auseinandersetzen muss und die in keinster Weise akzeptabel ist. Autor: Wie organisiert waren die Täter denn wirklich? O-Ton: Bremer Da ist ja viel spekuliert worden. (...) Und da, muss man bislang sagen, gibt es eben keine tragfähigen Hinweise darauf, dass es zu einer Organisation im Vorfeld gekommen ist. Autor: In Dutzenden von Talkshows wurden in der Folge der Kölner Silvesterereignisse Muslime auf ihre Zivilisierbarkeit im Allgemeinen hin untersucht. Was bei solchen Plaudereien an menschenverachtendem, komplett kenntnislosem, xenophobem Irrsinn zu hören war, lässt ahnen, wie es um die unaufhörlich beschworenen europäischen "Werte" in Wirklichkeit bestellt ist. Der Satz, man sei ja kein Rassist, aber..... wurde zum Mantra des herrschenden Diskurses. Und in den Katakomben des Netzes wurden schon mal Galgen errichtet und Vernichtungslager geplant. Da ließe sich leicht Stoff für Zehntausende von Strafanzeigen finden. Zitator: Was bitteschön erwartet ein Land welches Millionen von Moslems die bekanntlich zu 90% Psychosexuell Krank, Kriminell und hinterhältisch sind herein holt, willkommen heißt und sie als ''Bereicherung'' ansieht? das ist nur der Anfang, diese Bestien warten nur drauf euch abzuschlachten, wann begreift ihr das endlich? Zitator Alle mit MGs niederschießen. Scheiß etablierte Parteien ... und deren Wähler. Die sind hieran schuld. Autor: Bevor irgendjemand wusste, wie viele Täter eigentlich welche Straftaten begangen hatten, war es Konsens, dass alles nur durch die mangelnde Zivilisation der arabisch-islamischen Welt zu erklären sei. Da fehlte nur noch Henryk M. Broder: Zitator Es war ein Pogrom. (...) Aber der Hass auf Juden und der Hass auf Frauen sind nahe Verwandte. (...) Kein Antisemit, der nicht "dem Juden" die Schuld dafür geben würde, was er ihm antun musste; und kein Vergewaltiger, der die Frau, die er vergewaltigt hat, nicht dafür verantwortlich machen würde, was ihr zugestoßen ist. Autor: Auch das Bundeskriminalamt hatte in einer Mitteilung die neuere Orientalistik um eine bemerkenswerte Erkenntnis bereichert: Zitator: So liegen dem Bundeskriminalamt Erkenntnisse dazu vor, dass in arabischen Ländern ein Modus Operandi bekannt ist, der als "taharrush gamea" (gemeinsame sexuelle Belästigung in Menschenmengen) bezeichnet wird. Darüber wurde z. B. anlässlich der ägyptischen Revolution von den Medien berichtet. Autor: Heißt es in einem Bericht des nordrhein-westfälischen Innenministers über die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln vom 10. Januar 2016. Es ist außergewöhnlich faszinierend zu beobachten, wie sich der Begriff "taharrush gamea" binnen weniger Tage in fast sämtlichen westlichen Medien wiederfindet. Es geht hier allerdings nicht um eine muslimische Kulturtechnik, sondern um eine widerwärtige politische Aktion, die durch die grausamen Übergriffe auf protestierende Frauen auf dem Tahirplatz in Kairo 2011 traurige Berühmtheit erlangte. Die Geheimpolizei des ägyptischen Präsidenten Mubarak, bekanntlich ein Freund des zivilisierten Westens, hatte ihre Männer auf den Tahirplatz geschickt hat, um Frauen brutal sexuell zu misshandeln - und mit keinem anderen Ziel als dem, die Protestierenden gegeneinander aufzubringen. Solche Mittel sind bekanntlich kein muslimisches Privileg, sondern bekannt aus zahllosen brutalen Auseinandersetzungen in den unterschiedlichsten Kulturen. Doch das ficht die Frontsoldaten im Kulturkampf nicht an. Zitator: Überkommene Bilder einer Männlichkeit, die sich aus der Abwertung von Frauen herleiten, dürfen in unserer Gesellschaft nicht wieder Platz greifen, geschweige denn zu Verhaltensmustern oder Straftaten werden - wie überhaupt die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung von Frauen der weltweit beste Maßstab für die Durchsetzung der Menschenrechte ist. Autor: Volker Zastrow in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Meinungsarbeiter im ganzen Land produzieren unaufhörlich ähnlich pompöse Gesinnungsplatituden. Man phantasiert einen fließenden Übergang von mangelnder rechtlicher Gleichstellung zur konstitutionellen Frauenmi0000000000000000sshandlung. Da wird so getan, als wären in muslimischen Kulturen Frauen verächtliche Wesen und das Betatschen fremder Frauen oder dreister Diebstahl gälte als eine Art höherer islamischer Tugend. Das wäre so als unterstellte man, Pädophilie und Kinderprostitution, der europäische Männer gerne in fernen Ländern massenhaft frönen, sei unser eigentliches zivilisatorisches Glaubensbekenntnis. Musik: Autor: Sensiblere Zeitgenossen müssten eigentlich stutzen bei der Vorstellung, dass Menschen, die nach traumatisierenden Erfahrungen und den Dramen der Flucht es schließlich geschafft haben, in Deutschland anzukommen, dass solche Menschen derart obszön aggressiv in der fremden Öffentlichkeit auftauchen. Dafür gäbe es aber relativ einfache Erklärungen: Zum Beispiel, dass unser Silvesterfest in diesem Jahr mit dem Neujahr des muslimischen Kalenders zufällig zusammenfiel. Es gab Grund zu feiern, die trostlosen Unterkünfte für eine Nacht hinter sich zu lassen. Wie die Opfer kamen sie teilweise von weit her - nach Köln, in die Stadt, die einen Ruf als Feiermetropole genießt. So könnte man unterhalb der Kulturkampfschwelle mal einfach vermuten, dass ... O-Ton Bremer .... die große Anzahl der Beschuldigten zwischen 18 und 25 ist, unbegleitet, männlich, nach Köln gekommen ist, um hier zu feiern und dann eben unter Alkoholeinfluss sich so eine Gruppendynamik entwickelt hat. Autor: Ein Großteil der Beschuldigten stammt aus den Ländern des Maghreb - Marokko, Algerien, Tunesien. Sie wissen einigermaßen zuverlässig, dass ihnen kein Asyl gewährt werden wird. Die meisten haben sich also von Anfang an auf ein Leben in der Illegalität eingestellt und über die Hälfte wird umgehend straffällig. Kaum vorstellbar, dass sie mit der Absicht zum Bahnhof gekommen sind, ihren Trieben in aller Öffentlichkeit freien Lauf zu lassen. Es sei denn, sie standen erheblich unter Alkoholeinfluss. Genau davon ist in sämtlichen Polizeiberichten ausdrücklich die Rede. Das entschuldigt die Täter nicht, aber es ernüchtert eventuell die Mythologen. Atmo: Schlachtgetümmel Autor: In der Geschichte der Langobarden vom Ende des 8. Jahrhunderts heißt es, die Araber hätten in der Schlacht gegen Karl Martell 350.000 Mann verloren. Andere Geschichtsschreiber überboten später die arabischen Verluste noch mal. Der britische Historiker Gibbon erklärte Ende des 18. Jahrhunderts, ohne Karl Martell würde in Oxford heute der Koran und nicht die Bibel gelehrt. Den gegenwärtigen Kenntnisstand über die heldenhafte Rettung des Abendlandes durch Karl den Hammer fasst der US-amerikanische Orientalist Bernard Lewis so zusammen: Zitator: Die fränkischen Sieger von Poitiers trafen auf wenig mehr als eine Bande von Angreifern, die jenseits ihrer entlegensten Grenzen, Tausende Meilen von ihrer Heimat entfernt, operierten. Absage: Silvester in Köln oder Making of Apokalypse 2.0 . Ein Dossier von Walter van Rossum. Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2016. Es sprachen: Thomas Balou Martin, Hendrick Stickan und Marietta Bürger Ton und Technik: Ernst Hartmann, Daniel Diethmann und Angelika Brochhaus Regie und Redaktion: Karin Beindorff. 3 3