COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 30 Jahre Hamburger Hafenstraße 2.1.2012, 13.07 Uhr Länge: 19:15 Min. Autor: Axel P. Schröder Redaktion: Heidrun Wimmersberg ______________________________________________________________ Intro Radio Hafenstraße: [Möwengeschrei, Dampfertuten, Die Internationale] Radio Hafenstraße. - 96,8 Megahertz. Wir sind ein neuer freier Sender. - Radio Hafenstraße soll unser Sprachrohr sein. Das heißt, wir werden versuchen, unsere Gedanken, Ideen und unseren Alltag rüberzubringen. "Radio Hafenstraße" ging vor 25 Jahren auf Sendung. Der Piratensender sollte Gegenstandpunkte liefern, den Schlagzeilen der bürgerlichen Presse von Spiegel, Hamburger Abendblatt und Morgenpost bis zur BILD-Zeitung etwas entgegensetzen. Intro Radio Hafenstraße: Wir nehmen uns das Recht, öffentlich unsere Meinung zu sagen und uns darzustellen. - Mit Radio Hafenstraße haben wir uns diese Möglichkeit geschaffen. - Mit Radio Hafenstraße haben wir die Möglichkeit, das Meinungsmonopol zu durchbrechen. Mit Radio Hafenstraße setzen wir den täglichen Falschmeldungen und Lügen unsere Stimme entgegen. - Wir wissen dass es viele interessiert, wofür die Hafenstraße kämpft und wie wir eigentlich leben. Das Hamburger Abendblatt beschreibt die besetzten Häuser als "Chaotenfestung". Und tatsächlich sind die acht Altbauten in bester Lage, mit Blick über die Elbe, schwer befestigt: es gibt stahlbewehrte Türen mit dicken Riegeln. Viele Fenster sind verbrettert. Und vor den Treppenaufgängen sind Stahlträger mit tief verankerten Betonfundamenten eingelassen. Sie sollen die Räumpanzer der Polizei aufhalten. Den gleichen Zweck erfüllen die Barrikaden auf der Hafenstraße. Die Fotos auf dem Wohnzimmertisch von Claus Petersen zeigen Berge brennender Autoreifen, den schwarzen Qualm, umgeworfene Kleinlaster, Paletten und Holzbalken: Claus Petersen: Das ist die Zeit 1987 - Barrikadentage. Da haben wir genommen, was wir kriegen konnten. Guck mal: die Steine hier sind auch alle raus... Claus Petersen, kurze graue Haare, 58 Jahre alt, wohnt seit den späten Siebzigerjahren in der Hafenstraße. Damals hatten die Bewohner noch reguläre Mietverträge, in den heruntergekommenen Häusern leben junge und alte Menschen, einige mit Verträgen aus den Dreißigerjahren. Die Eigentümerin der Häuser, die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA ließ die einst prächtigen vier und fünfstöckigen Häuser verfallen, ihr Abriss und die Errichtung riesiger luxuriöser Bürokomplexe waren längst beschlossene Sache. Trotzdem durften die Jusos, zu denen damals auch Claus Petersen gehörte, Wohnungen für ihre "Sozialpädagogische Forschungsgemeinschaft" anmieten: Claus Petersen: Und die Jusos haben in diesen Häusern vier Wohnungen gekriegt für ihre soziale Arbeit. Keine Mietverträge, sondern Nutzungsverträge, also Räumungsverträge. Sie hätten also raus müssen innerhalb eines Monats, wenn vielleicht die Häuser abgerissen werden sollen. Aber dieser Abriss verzögerte sich. Und unter all jenen, deren Einkommen für die schon damals hohen Hamburger Mieten nicht ausreichte, kursierte schnell die Nachricht, dass eine Menge Wohnungen in bester Lage leer stehen, erzählt Petersen. Claus Petersen: Das hat sich denn rumgesprochen. Mund-zu-Mund-Propaganda: In der Hafenstraße kannst vielleicht eine Wohnung kriegen. Und dann sind sie gekommen und haben gesagt: "Hier. Such dir eine aus!" So ist das entstanden. Und die SAGA wusste das. Der Hausmeister hat uns noch Tipps gegeben: "Ihr müsst auch ein bisschen aufpassen: die Polizei fährt hier immer rum. Das ihr abends immer schön das Licht ausmacht!" Danke für den Tipp - wir haben das Licht immer trotzdem angelassen. Und zunächst störte sich niemand an den frühen Besetzern, die endlich die nötigsten Reparaturen in Eigenregie vornahmen und dafür sogar - nach einigen Verhandlungen - finanzielle Unterstützung der Stadt bekamen. Dass es irgendwann viel Krawall um die Häuser geben würde, zeichnete sich bald ab: offizielle Baugutachter und immer öfter auch die Polizei hatten ab Mitte der Achtzigerjahre keinen freien Zutritt mehr. Die Hafensträßler igelten sich ein. Claus Petersen: Die SAGA meinte, es sind noch immer ihre Häuser. Wir sagten: "Das sind unsere Häuser! Die Häuser gehören denen, die drin wohnen!" Lied Ton, Steine, Scherben "Das ist unser Haus..." 1987 eskaliert die Situation: immer öfter rücken ganze Hundertschaften der Polizei an, um einzelne Wohnungen zu räumen, um Türen zu zu mauern oder um Bewohner festzunehmen. Der Verfassungsschutz hat die Hafenstraßenbewohner längst im Visier: der legale Arm der Roten Armee Fraktion - so die Verfassungsschützer - hätte in den Häusern seine Kommandozentrale eingerichtet. Und würde Nachwuchs für die Terrorszene rekrutieren. Das sei blanker Unsinn, behauptet Claus Petersen heute und schüttelt den Kopf. Richtig sei: er und seine Mitstreiter hätten sich für die inhaftierten RAF-Mitglieder eingesetzt. Und sicher gab es bei vielen auch Sympathien für den bewaffneten Kampf gegen die BRD - den "Bullenstaat". Zeugnis davon liefern die Parolen an den Häuserwänden der Hafenstraße. Wie die zum zehnten Todestag von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe: Claus Petersen: Das war ja als Erinnerung an den Termin 18.10.1977, als Erinnerung an die - ich sag mal nicht "Morde" - die Toten von Stammheim. Ich will mich mal neutral halten hier. "Hingerichtet von den faschistischen Bonner Mördersäuen!" Am nächsten Tag war das weg. Ganz klar! Denn am nächsten Tag, erzählt Claus Petersen und legt das schwarz-weiß Foto beiseite, rückte ein Malertrupp der Polizei an und übertünchte die Parolen mit dicker schwarzer Farbe. Nicht zuletzt die starken Sprüche der Bewohner machten es dem politischen Establishment nicht leicht. Für den Senat wurde die Hafenstraße zur Dauer-Provokation, zu einem Schandfleck, der weg sollte. Auch die Staatsmacht gab sich allerhand Mühe, die Konfrontation zu zementieren, die Gräben noch zu vertiefen. Zum Beispiel mit den so genannten Begehungen der Häuser durch Gutachter und Behörden: Claus Petersen: Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, was für ein harter Kampf das war. Denn "Begehung", das hieß ja: die sind mit Hundertschaften in die Häuser rein. Haben alles besetzt: das Dach, den Keller, alle Wohnungen, überall waren Polizisten. Und sobald ihnen den Rücken zugewandt hast, haben sie gleich was kaputtgemacht, alles kaputt gehauen. Die haben mit CS-Gas in die Betten, in die Lebensmittel rein gesprüht. Dann haben sie die Dachpfannen in die Kamine rein geschmissen. Sodass wir nicht mehr heizen konnten. Die haben uns richtig fertig gemacht. Nach Strich und Faden! Nicht nur die Menschen in den acht besetzten Häuser, sondern auch die Bewohner der Straßenzüge drum herum wurden immer wieder Zeugen von martialischen Polizeieinsätzen, von abgeriegelten Häuserblocks, Ausweiskontrollen und Festnahmen. Vis á vis zur belagerten Hafenstraße, in der Bernhard-Nocht-Straße wohnt damals wie heute Margit Czenki. Die 63jährige ist in Bayern aufgewachsen. Nach eigener Aussage war sie heilfroh, Ende der Siebzigerjahre der dortigen Enge entfliehen zu können und in Hamburg eine neue Heimat zu finden. Kurze hellgraue Haare, die Lippen kastanienrot geschminkt steht sie auf dem Balkon ihrer Wohnung, schaut rüber zu den Hafenstraßenhäusern: Margit Czenki: Und da sind sie halt auf dem Dach gelandet! Haben sich abgeseilt, aus Hubschraubern. Wenn man hier wohnt und wird morgens um fünf oder um sechs geweckt und da landen welche... dann denkt man, es ist Krieg! Ziemlich heftig! Wir haben gesehen, wie zweimal die Sachen von den Leuten aus den Fenstern geschmissen wurden. - Hier war niemand im nächsten Umfeld gegen die Hafenstraße. Es waren alle dafür, dass die Leute drin bleiben. Man konnte das nicht mit ansehen. Und wir waren so von der Belagerung betroffen, das war wie eine Besatzung hier! Margit Czenki hat mit angesehen, wie Polizei und Hausbesetzer aufeinander los gingen. Von den Dächern flogen Steine, schwere, große, Steine. Auf der Straße knüppelte die Staatsmacht auf die Besetzer ein, zertrümmerte Knochen und nahm wahllos Menschen fest. Margit Czenki: Wir hatten hier unten im Haus das Lazarett! Wo immer ein Arzt war! Das war nötig... wir haben dann die Leute hier rüber geschleppt mit ihren blutenden Köpfen. In diesen alltäglichen Auseinandersetzungen hier. Auf den Demonstrationen unter dem Motto: "Hafenstraße bleibt!" marschierten nicht nur schwarzvermummte Autonome. Mit dabei waren auch DKPisten und Gewerkschaften, Jusos und die noch junge "Grün-Alternativen-Liste", die GAL. Und unter den zehn- bis 15.000 Demonstranten fanden sich auch ganz bürgerliche Menschen, die ein Zeichen setzen wollten: gegen immer weiter steigende Mieten, gegen die Verdrängung von Menschen aus ihren Quartieren. Jan Phillip Reemtsma bot dem Senat an, die Häuser aufzukaufen und zusammen mit den Besetzern die Hafenstraße zu befrieden. Und Hamburger Pastoren vermittelten in diesem Konflikt, in dem es zeitweise nur eine einzige Wahl gab: entweder für alternative Lebensweisen oder für die polizeiliche, fast militärische Lösung. Lautsprecheransage Hafenstraße: Wir fordern alle, aber auch wirklich alle, die ihren Arsch jetzt noch nicht hochgekriegt haben: verhaltet euch dazu! Macht was! Besetzt den Stadtteil, besetzt die Innenstadt! Demogesänge Für die harte Linie stand vor allem der starke rechte Flügel der Hamburger SPD. Anders als der Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi wollten die Hardliner der Partei nicht über einen Pachtvertrag verhandeln, sondern möglichst rasch die Häuser schleifen. Dohnanyi erkennt den Ernst der Lage. Er weiß um die breite Unterstützung für die Besetzer bis weit ins bürgerliche Lager hinein und geht in die Offensive. Bestärkt vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker trotzt er den Hardlinern in der eigenen Fraktion und verhindert die Räumung. Am 17. November stellt der Bürgermeister den Bewohnerinnen und Bewohnern ein letztes Ultimatum zum Abbau der Barrikaden. Im Gegenzug bietet er ihnen einen Pachtvertrag. Klaus von Dohnanyi: Um ein letztes Mal vor der Räumung unsere Absicht zu unterstreichen und vielleicht doch die mit einer Räumung verbundene Gefahr von Gewalt zu verhindern, erkläre ich: bis spätestens Dienstag, 20 Uhr, also heute Abend, ist ein Architekt zu benennen, der gemeinsam mit einem Baufachmann des Senats die Entfestigung überwacht. Bis Mittwoch, 14 Uhr, müssen sämtliche Barrikaden und Hindernisse auf Straßen und Gehwegen vollständig beseitigt sein. Sprecherin Hafenstraße: Auf die Zusage Dohnanyis und des Senats, den Pachtvertrag mit der Hafenstraße endlich zu unterzeichnen, antworten wir: erstens: wir benennen heute Günther Trommer vom Planerkollektiv zum Architekten unseres Vertrauens. Zweitens: mit dem Abbau der Barrikaden und Schutzanlagen wir Mittwoch, also morgen, um 8 Uhr begonnen. Drittens: damit steht der Senat in der Verpflichtung, den Pachtvertrag am Donnerstag, 19.11., zu unterzeichnen. Die Einigung gelingt: Zusammen mit der Stadtreinigung, mit Presslufthämmern und schwerem Gerät werden die Barrikaden abgebaut, der Pachtvertrag bald unterschrieben. Für Dohnanyi war dieser letzte Schachzug ein riskantes Manöver. Kurz zuvor hatten einige Genossen schon über einen geeigneten Nachfolger spekuliert. 1988 wurde Dohnanyi von seinem Parteigenossen Henning Voscherau als Erster Bürgermeister abgelöst. Nicht zuletzt wegen seiner Hafenstraßen-Politik. Voscherau gerierte sich als Law-and-Order-Mann. Mietverträge werden gekündigt, die Bewohner sollen herausgeklagt werden. Aber die wehren sich und engagieren Anwälte. Bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen die Hafensträßler und bekommen Recht. - Erst 1994 gibt Voscherau auf: politisch, polizeilich und rechtlich ist die Hafenstraße nicht zu stoppen. Rund fünfzehn Jahre nach Beginn des Konflikts wird die Hafenstraßen-Genossenschaft gegründet. Sie kauft die Häuser der Stadt ab. Nach fünfzehn Jahren - so drückt es Claus Petersen aus - endet für die Hafensträßler die "Kampfphase". Nun bestimmt die Genossenschaft über die Häuser. Doch ganz zufrieden ist Claus Petersen damit nicht. Denn auf diese Weise gehören die Wohnungen immer noch nicht denen, die in ihnen leben. Es wird Miete gezahlt und bei Zahlungsverzug auch angemahnt. Trotzdem hat auch Petersen der Genossenschaftslösung am Ende zugestimmt: Claus Petersen: Weil man nicht ewig... Man muss auch mal zur Ruhe kommen. Draußen, vor Claus Petersens Fenster pflügt eine Hafenfähre durch die dunklen Wellen der Elbe. Dahinter liegt das mächtige Dock der Blohm & Voss-Werft. Und hundert Meter von Petersens Haustür entfernt findet sich ein erster Beweis dafür, dass die St. Paulianer aus der Geschichte der Hafenstraße gelernt haben und ihre Freiräume seither immer aufs Neue verteidigen: dort, wo heute der so genannte "Park Fiction" liegt, sollten ursprünglich Bürokomplexe entstehen. Eine der letzten Baulücken am Elbufer wäre geschlossen, der freie Blick aufs Wasser versperrt worden. Margit Czenki war dabei, als es darum ging, den Park statt der Hochhäuser entstehen zu lassen. Genau an der Stelle, wo Hafen- und Bernhard-Nocht-Straße zusammenlaufen: Margit Czenki: Man hat gedacht: jetzt probieren wir es doch mal, uns nicht konfrontativ anzulegen - denn wir sitzen ja nicht in Häusern, das ist ja ein Unterschied, wir haben diesen Ort ja noch gar nicht. Also müssen wir einen anderen Weg gehen. Der andere Weg war, einen parallelen Planungsprozess in Gang zu bringen. Nicht nur zu fordern: "Wir wollen hier einen Park!" Sondern zu sagen: "So. Was wollen wir eigentlich genau? Wir planen das jetzt einfach mal!" An der Stadt vorbei, ohne Gelder von der Stadt zunächst mal. Wir gucken erstmal, was wir hier wollen. Und dann bringen wir die Stadt dazu, dass sie das verwirklicht! 1995 beginnen die Mitglieder des Hafenrandvereins mit den ersten Planungen. Sie laden alle Interessierten ein, ihre Wünsche für die Freifläche einfließen zu lassen. Sie führen Verhandlungen, arbeiten mit den Behörden, eigenen Landschaftsarchitekten und Stadtplanern zusammen. Zehn Jahre später, im August 2005, eröffnet der Park. Bietet sanft geschwungene Rasenflächen mit Elbblick unter zwei dunkelgrünen Stahlpalmen. Atmo Baustelle Investoren und Bauunternehmer lassen sich vom Erfolg der Park-Initiative nicht beeindrucken: nach ihren Plänen soll das schmuddelige St. Pauli Stück für Stück luxussaniert werden. Das alte Brauhaus-Quartier an der Bernhard-Nocht-Straße wird abgerissen. Für 67 Millionen Euro entstehen ein mächtiger Hotelneubau und Eigentumswohnungen. Auf den zugigen Plätzen dazwischen stehen verwaiste Edelstahlwippen für Kinder, die eher an Installationen als an Spielplätze erinnern. Den Hotelkomplex können die Anwohner-Initiativen nicht aufhalten. Aber das nächste Projekt, am anderen Ende der Bernhard-Nocht-Straße, gleich neben Margit Czenkis Wohnung noch ein Luxusquartier zu bauen, nehmen die Menschen nicht hin und gründen "No BNQ!", "Kein Bernhard-Nocht-Quartier!". Treibende Kraft dahinter sind nicht mehr die Aktivisten aus der Hafenstraße. Aber die Erfahrungen aus dem ewigen Kampf um die Häuser seien ungeheuer wichtig gewesen, um die hochfliegenden Investorenpläne zu stoppen, sagt Margit Czenki: OT Czenki: Das wir mit "No BNQ!" überhaupt so weit gekommen sind und das auch so - Blubb! - explodiert ist, hat schon damit zu tun. Das sind nicht die gleichen Leute, aber das ist ein Wissen, das im Stadtteil steckt. Das ist nicht weg. Man hat hier immer die Häuser vor sich, die immer noch stehen. Und der Park ist etwas, was mal durchgesetzt wurde. Gegen einen bestehenden Bebauungsplan. Das ist hier in den Knochen der Leute und in der Erinnerung und das ist ein Wissen hier! Von diesem Wissen, von einer immer besseren Vernetzung der Initiativen haben auch die Künstler im Gängeviertel profitiert. Hamburgs ältestes Viertel sollte austauschbaren Bürokomplexen weichen und wurde Ende August 2008, kurz vor dem Abriss von 200 Künstlerinnen und Künstlern nicht besetzt, sondern - darauf legten die Aktivisten Wert: "bespielt": Nicht Barrikaden und Pflastersteine waren das Mittel der Wahl, sondern Kreativität und Leinwände, Gesprächsbereitschaft und eine perfekte Medienarbeit. Eine schnelle Räumung konnte sich der damalige schwarz-grüne Senat nicht leisten. Das Anliegen der Künstler, bezahlbaren Raum für ihre Arbeit zu schaffen, unterstützten die Hamburger. Die Schirmherrschaft der Aktion übernahm mit Daniel Richter ein renommierter und weltweit geachteter Maler. Der in den Achtzigerjahren zur Hamburger Autonomen Szene gehörte und beim Kampf um die Hafenstraße selbst mitmischte. Nicht nur Wohn-, sondern auch Freiraum ist in der Hafenstraße entstanden, erzählt Margit Czenki. Freiraum für Menschen, die an anderen Orten auffallen würden, die nicht ins Schema passen, kleine Macken mit sich herumschleppen. Margit Czenki: Und das ist total irre an der Hafenstraße: welche Leute dann da auch noch eingezogen sind und bis heute da wohnen und wie die sich verändert haben und wie die toll geworden sind. An einen erinnere ich mich, der war so ein Wesen nur noch, der war gar kein Mensch mehr, so bewusst. Und die haben sich da alle erholt, weil es diese große Toleranz gibt. So eine Toleranz und so ein Auffangbecken für Leute, die woanders nicht leben könnten, hab ich so noch nirgends erlebt. Und das leistet wirklich die Hafenstraße noch bis heute zum Teil. Das ist ein richtiger Wert, würde ich sagen! Und der Generationswechsel, die Weitergabe dieser Werte und Erfahrungen scheint zu klappen. Die Hafenstraßenkneipen, das "Ahoi" und das "Onkel Otto" organisieren nun junge Männer und Frauen. Und in der Volksküche wird noch immer Essen gekocht für all jene, für die eine warme Mahlzeit nicht viel kosten darf, die das Leben in der Hafenstraße schätzen. Einmal die Woche schnippelt Stefanie, Spitzname: Stef, hier Kartoffeln, Möhren oder Zwiebeln. Sie lebt im Bauwagen-Projekt Zomia, kämpft für einen Ort, an dem sie und die anderen Bauwagenbesitzer dauerhaft bleiben dürfen. Und sie schätzt das Zusammensein in den einst umkämpften Häusern: Stefanie: Eigentlich traurig, dass sie schon zu Hafenstraßenzeiten sehr ähnliche, fast die gleichen Kämpfe waren. Und ich finde das schön, dass das ein generationenübergreifender Aktivismus dann da ist. Dass man Kontakt hat zu Leuten, die schon damals dabei waren! Dann muss Stef los. Zur Demo auf der Reeperbahn, für das "Recht auf Stadt" und gegen die permanente Aufwertung von Stadtteilen und steigende Mieten. Die Hafenstraße lebt. Ansage Demo: Erweitern wir den Handlungsspielraum des zivilen Ungehorsams durch kunstvolle und militante, lustige und symbolische, virtuelle und direkte Aktionen. In diesem Sinne: vielen Dank, dass ihr hier wart. Und: Wir haben alle ein "Recht auf Stadt!" Outro Song auf der Demo von drei jungen Rappern 11 1