Leben im Kanal Las Vegas Underground Eine Reportage von Tom Noga Regie Atmo 1 (Welcome). Erzähler Es blinkt in der Mittagssonne, in den Nationalfarben blau, rot und weiß. Ein auf der Seite liegendes Karo mit der Aufschrift "Welcome to fabulous Las Vegas". Das "Welcome"-Schild steht auf dem Mittelstreifen des alten Highway 19, dort wo er zum Las Vegas Boulevard wird, zum Strip, an dem sich ein Kasino nach dem anderen aufreiht. Auf der anderen Straßenseite der McCarren Airport, mit einem Passagieraufkommen von über 20 Millionen einer der größten Flughäfen der USA. Regie Atmo 1 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Vor dem Schild eine Menschenschlange, dirigiert von einem Elvis im weißen Overall, dem "American Eagle"-Jumpsuit, und von einer jungen Frau mit blonden Haaren und flackerndem Blick. "Möchten Sie beide aufs Foto", fragt sie ein japanisches Paar? Mit einem Elvis?" Die Japaner nicken, und so schießt sie das Erinnerungsfoto. Für fünf Dollar, der Elvis nimmt für seine Dienste einen Zehner. "Lukrative Jobs sind das", sagt Matthew O'Brien, den alle nur Matt nennen. Matt beobachtet die Szenerie. Dann holt er mit seinem Arm weit aus und deutet auf eine kleine Landebahn am Rande des McCarren Airports. O-Ton 1 Matt "I wanted to point out that left is a private airport where all the high rollers, the whales, the big money bettors are flown in by the casinos. To my right is an exclusive golf course, and right in the middle of this is a flood channel that no one seems to notice. And it goes underground almost leveled with the famous landmark sign. You see wedding parties, you see bachelor parties, people falling out of stretch limos, drunk and having a great time, with no idea that right beneath them there is a whole other world." Länge: 0:41min Sprecher 1 Voice Over Matt "Das ist ein privater Flughafen ist, auf dem die Casinos die Risikospieler einfliegen, die Wale, wie sie hier genannt werden, Zocker, die mit hohen Einsätzen spielen. Rechts ist ein exklusiver Golfplatz. Und dazwischen verläuft ein Hochwasserkanal, den niemand zu bemerken scheint und der auf Höhe des Welcome-Schildes unterirdisch wird. Hier oben finden Hochzeitsfeiern statt und Junggesellensabschiede, Leute fallen total betrunken aus Stretch-Limousinen und haben eine schöne Zeit - ohne die geringste Ahnung, dass direkt unter ihnen eine völlig andere Welt existiert." Erzähler Matt ist Buchautor. Nebenbei leitet der die Obdachlosenorganisation Shine A Light, die nicht über, sondern unter der Erde arbeitet. Bevor er den Strip überquert, mahnt er zur Vorsicht. Der Verkehr braust dreispurig raus aus Vegas zu einem der gigantischen Outlet-Center im Süden der Stadt. Besser nicht zu nah am Bordstein stehen, man liest immer wieder von Autofahrern, die ein Bier oder einen Cocktail zu viel intus haben und Passanten am Straßenrand überfahren, vor allem an Samstagen wie diesem, wenn 150.000 amüsierwillige Touristen in Vegas einfallen. Regie Atmo 1 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Endlich drüben. Matt rückt die Baseballkappe über den lockigen schwarzen Haaren zurecht und stapft einen Abhang hinunter. O-Ton 2 Matt "This is a natural wash that I transitions into an open-air concrete channel which becomes an underground channel or a storm drain. There are about 550 miles of flood channels in the Las Vegas valley, about 300 miles of which are underground and they are building more and more of them each day, they are only half-way through the system. Some of them are fenced off, some of them have grades on the inlets and outlets where you can't get in but the majority of them are open and easily accessible." Länge: 0:37min Sprecher 1 Voice Over Matt "Das ist ein natürlicher Wasserlauf, der zu einem offenen, betonierten Kanal wird und nach ein paar hundert Metern unter der Erde verschwindet. Das Las Vegas Valley hat Hochwasserkanäle mit einer Gesamtlänge von rund 900 Kilometern, knapp 500 davon sind unterirdisch. Und es werden mehr und mehr gebaut, das System steht erst zur Hälfte. Manche sind eingezäunt, manche haben an den Ein- und Ausgängen ein so starkes Gefälle, dass man nicht rein kommt. Aber die meistens sind problemlos zugänglich." Erzähler Weil das so ist, haben Obdachlose die Tunnel entdeckt. Nach dem letzten Zensus aus dem Jahr 2012 leben in Vegas knapp 13.500 Menschen ohne festen Wohnsitz. So weit die offizielle Zahl. Die tatsächliche, so vermuten die Wohlfahrtsorganisationen, dürfte bei über 20.000 liegen. Damit ist Las Vegas die Stadt mit der prozentual höchster Obdachlosenquote im ganzen Land. Viele von ihnen sind gescheiterte Zocker. O-Ton 3 Matt "We can see the "Welcome to fabulous Las Vegas" sign to our right through a chain-link fence. And then 30 meters in front of us there are 2 dark tunnels that go north towards Mandalay Bay, the south end of the strip. And they actually curve under the strip and open up on the other side near McCarran airport. And you have 6 or 7 people living here." Länge: 0:25min Sprecher 1 Voice Over Matt "Noch sehen wir dass "Welcome"-Schild durch den Zaun da oben. 30 Meter vor uns zwei dunkle Tunnel. Sie verlaufen Richtung Norden, unter dem Mandalay Bay. dann kreuzen sie den Strip und kommen am Flughafen wieder heraus. In diesem Tunnel leben sechs oder sieben Leute." Erzähler Matt O'Brien nimmt den rechten Eingang. Der linke ist vermüllt. Außerdem, sagt Matt, nutzen die Bewohner ihn als Toilette. Regie Blende zu Atmo 2 (Tunnel) Erzähler Drinnen ist es klaustrophobisch eng, vielleicht 1,80 Meter hoch. Und es ist laut, der Lärm vom Strip und vom Flughafen dringt durch vereinzelte Lichtschächte hinunter. Matt zieht den Kopf ein und knipst seine Taschenlampe an. O-Ton 4 Matt (unübersetzt) "It's usually best to stay in the middle of the tunnel because you have some cob webs to the side." Länge: 0:05min Erzähler Besser in der Mitte bleiben, rät er, an den Rändern gibt es zu viele Spinnenetze. In den Tunneln kennt sich Matt O'Brien aus wie kein zweiter, seit er vor gut zehn Jahren angefangen hat, sie zu erkunden - aus purer Neugier, nachdem ein Mörder in einen Hochwasserkanal geflüchtet und dort verhaftet worden war. Zu seinem Erstaunen hat er eine Parallelwelt entdeckt. Regie Atmo 2 als Trenner kurz hoch ziehen Erzähler Nach vielleicht 200 Metern versperrt ein Einkaufswagen den Weg. Matt klatscht in die Hände - hier unten gilt das als Anklingeln. Als niemand antwortet, schiebt er den Wagen zu Seite. O-Ton 5 Matt "Just a camp here where... I think he's a gambler, maybe a sports bettor crashes at night and he's gone during the day. It's basically cardboard, mats and a sleeping bag." Länge: 0:16min Sprecher 1 Voice Over Matt "Das erste Camp, es gehört einem Zocker, ich glaube einem Sportwetter. Tagsüber ist er weg, nachts pennt er hier. Ziemlich einfach: Pappe auf dem Boden, ein paar Matten drüber und ein Schlafsack." Erzähler Der Boden ist übersät mit Zigarettenkippen und leeren Bierdosen - ein typisches Obdachlosen-Camp. Mit einem Unterschied: Der Einkaufswagen dient nicht nur zum Lagern der spärlichen Habe des Zockers, darin bleibt sie auch trocken. Es regnet zwar selten in Vegas, aber wenn, dann richtig. "Dann schießt ein Sturzbach durch den Tunnel", erzählt Matt, "und reißt alles mit, was auf dem Boden liegt." Regie Atmo 2 als Trenner kurz hoch ziehen O-Ton 6 Matt (unübersetzt) "Hi John" Länge: 0:02min Erzähler Johns Camp ein paar hundert Meter weiter im Tunnel ist schon wohnlicher. Er schläft auf einer Matratze, hat ein kleines Sideboard und einen Klappstuhl. "Alles gefunden", nuschelt er, "unglaublich, was die Leute wegwerfen." Er reibt sich die Augen, reißt den Mund auf und gähnt. O-Ton 7 John "Daytime I'm asleep, night person. I go out at night, walking, talking, read the paper, you know, just find things to do." Länge: 0:16min Sprecher 2 Voice Over John "Tagsüber ist Schlafenszeit. Bin ein Nachtmensch. Nachts gehe ich raus, rumlaufen, reden, Zeitung lesen. Es findet sich immer was, was man machen kann." Erzähler Noch ein Gähnen, dann greift er sich einen halbvolle Wasserflasche und trinkt sie in einem Zug aus. John ist 53, ein stämmiger Mann mit Halbglatze, die wenigen Haare silbergrau. Früher hat er ein paar Geschäfte in Florida gehabt, ein Restaurant, einen Kiosk, eine Bank. Und eine Familie, zwei Kinder, die längst aus dem Haus sind, und eine Frau, mit der er nur noch auf dem Papier verheiratet war. Vor zwei Jahren, hat er sich in einen Bus nach Las Vegas gesetzt und ist losgefahren, fast ohne Geld, nur mir der Kleidung die er am Leib trug. So jedenfalls erzählt John seine Geschichte. O-Ton 8 John "Vegas is open, it's only city where the don't need a front door or a back door, it's open 24 hours 7 days a week. Had me a drink, a cigarette, put a dollar in a slot machine. It felt good." Länge: 0:23in Sprecher 2 Voice Over John "Vegas ist eine offene Stadt, es gibt keinen Vorder- oder Hinterausgang. Alles ist offen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Als ich angekommen bin, habe ich mir einen Drink und eine Zigarette genehmigt. Und einen Dollar in einen Automaten gesteckt. Das hat sich gut angefühlt." Erzähler Las Vegas als Neuanfang, alles abwerfen, was man als Ballast empfindet. Nach ein paar Wochen hat John sich einen Job gesucht. Aber das war so eine Sache. O-Ton 9 John "Most of the jobs are minimum wage jobs and it's hard of a person to survive on minimum wage. The highest paying job I have seen so far was 12,10 dollars an hour. High paying jobs are very rare." Länge: 0:23min Sprecher 2 Voice Over John "Für die meisten Jobs hier wird nur Mindestlohn gezahlt, und es ist schwer damit zu überleben. Die beste Bezahlung, die ich hier hatte, waren 12 Dollar pro Stunde. Höher bezahlte Job sind echt selten." Erzähler John rechnet vor: 12 Dollar die Stunde ergeben rund 2.200 Dollar im Monat - brutto. Für einen Alleinstehenden bleiben nach Steuern und Krankenversicherung, so man sie sich leisten will, rund 1.600 übrig. Eine halbwegs vernünftige Wohnung - zwei Zimmer, Küche, Diel, Bad, insgesamt 60 Quadratmeter - kostet 800, 900 Dollar. Plus Ratenzahlung, Versicherung und Sprit fürs Auto, ohne das man in einer großflächig angelegten Stadt wie Vegas aufgeschmissen wäre - viel bleibt da nicht übrig. Und wenn der Job weg bricht, hat man ein Problem. So war das auch bei John. Er findet sich bei der Heilsarmee in North Las Vegas wieder in einer überbelegten Notunterkunft, in der jeder sich selbst der Nächste und auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Bis ihm jemand von den Tunneln erzählt. Seit anderthalb Jahren lebt John nun hier. Wenn er etwas Geld zusammengekratzt hat, verzockt er es in den Glückspielautomaten der Kasinos. Regie Atmo 2 kurz hoch ziehen Erzähler Es geht weiter hinein in den Tunnel, immer dunkler wird es und immer kühler. Auch deshalb leben viele Obdachlose hier unten, erläutert Matt O'Brien. Im Sommer, wenn das Thermometer draußen auf bis zu 50 Grad klettert, ist es in den Tunneln angenehm frisch, in frostigen Winternächten dagegen mollig warm. Regie Atmo 2 als Trenner kurz hoch ziehen Erzähler Hinter einer Kurve ein Lichtschacht. Rostige Stiegen führen zehn, zwanzig Meter hinauf. Auf halber Höhe ist ein zerschlissener Gartenstuhl angekettet. Darin, erläutert Matt O'Brien, lässt sich eine Flutwelle aussitzen. Oben ist eine Lichtreklame fürs Mandalay Bay mehr zu erahnen, denn zu erkennen. Eine Erinnerung, dass die Kasinos mit ihren Kunstwelten, den Luxusboutiquen und den teuren Restaurants nur einen Steinwurf entfernt sind. O-Ton 11 Matt "One is that this city is a magnet for the homeless, it attracts homeless people to it, you know, the dream of winning a jackpot on a lot machine, the dream of finding a job with very little education or job history. But the other part is, people come who are not homeless for the American Dream, for the house in the suburbs and the job on the strip. And sometimes they don't find that dream, they become addicted to the gambling and the alcohol that is served fro free while you gamble and that drugs that are regularly available. So this city in many cases that I have seen has created homelessness." Länge: 0:46min Sprecher 1 Voice Over Matt "Diese Stadt zieht Obdachlose an wie ein Magnet. Der Traum vom Jackpot an einem Glückspielautomaten, der Traum vom gut bezahlten Job, auch wenn man nichts gelernt und kaum Berufserfahrung hat. Auf der anderen Seite kommen viele Menschen hier her, um ihren Amerikanischen Traum zu verwirklichen: das Haus im Vorort, der Job auf dem Strip. Für viele erfüllt sich dieser Traum nicht, sie werden spielsüchtig, oder alkohol- oder drogenabhängig, weil es Drinks gratis gibt, während man zockt, und Drogen praktisch frei verfügbar. Ich kenne viele Fälle, in denen diese Stadt Obdachlosigkeit produziert hat." Erzähler Matt O'Brien schätzt, dass derzeit mindestens 1.500 Menschen in den Kanälen hausen, darunter auch Familien. Leute wie Jazz und Sharon, die er als nächstes besuchen wird. Man hört sie schon von weitem, in ihrem Camp läuft laute Musik. Regie Blende zu Atmo 3 (Camp Jazz) Erzähler Eine Kurve noch, dann ist er da. Matt richtet seine Taschenlampe auf die Tunnelwand und liest zwei Graffiti vor. O-Ton 12 Matt "God don't live here, only me. If you're looking for trouble, you found." Länge: 0:09min Sprecher 1 Voice Over Matt "Gott lebt hier nicht, nur ich. Wenn du Ärger suchst, hast du ihn gefunden." Erzähler Mit den Sprüchen, fährt Matt fort, soll ein Revier abgesteckt werden. Sie stammen von einem Verrückten namens Ricky Lee, der mal hier gelebt hat und jetzt im Paralleltunnel haust - dort, wo die anderen Bewohner ihre Notdurft verrichten und ihren Müll abladen. Regie Atmo 3 bei 0:45 hoch ziehen Matt: ""Hi Jazz, what's up?" Erzähler Vor dem Camp ist eine schwarze Plastikfolie quer durch die Röhre gespannt. Drinnen Klebelampen unter der Decke - sie geben ein zumindest diffuses Licht ab. "Braucht ihr Batterien", fragt Matt. "Immer", antwortet Jazz. Regie Atmo 3 als Trenner kurz hoch ziehen Erzähler In ihrem Camp haben Jazz und Sharon ein Doppelbett - die Decke darauf ist ordentlich gefaltet -, eine auf Ytong-Platten gebockte Anrichte, einen Küchentisch mit Stühlen, Radio und Fernseher - beides batteriebetrieben. Und vier Einkaufswagen, in denen ihre Habe verstaut ist - alles verpackt in Koffern. Penible Ordnung und doch nur ein Provisorium. "Denn irgendwann", sagt Jazz, "kommt das Wasser." Regie Blende zu Atmo 2 O-Ton 13 Jazz "You ain't got much time to get out of here, you've got seconds, maybe a minute or two, it comes too fast. The last flood, we lost everything in this one. If we know it's going to rain real heavy we take out luggage and check into a hotel. If it is not too I tie all these shopping carts together and hope for the best." Länge: 0:30min Sprecher 3 Voice Over Jazz "Dann bleibt nicht viel Zeit, hier raus zu kommen, vielleicht eine Minute, maximal zwei, so schnell kommt das Wasser. In der letzten Flut haben wir alles verloren. Wenn wir's vorher wissen, packen wir unsere Sachen und gehen für eine Nacht in ein Motel. Wenn es nicht so schlimm ist, kette ich die Einkaufswagen zusammen und hoffe, dass alles gut geht." Erzähler Jazz und Sharon sind ein ungleiches Paar. Er ist Mitte 40, groß und schlank, mit seinen schwarzen, kurz geschnittenen Haaren wirkt er jugendlich. Sie ist gezeichnet vom Leben auf der Straße: die blonde Mähne von grauen Strähnen durchzogen, das Gesicht faltig, das Lächeln zahnlos. Beide sind sauber gekleidet und parfümiert. O-Ton 14 Jazz "Living on the street dos not mean that you have to look like your are on the street. I have access to water, hot and cold water, in one of the buildings around here, just a business. They know that we take the water and we respect their place, not mess it up and stuff. I bring the water here and we shower down here, or bathe down here." Länge: 0:27min Sprecher 3 Voice Over Jazz "Auf der Straße zu leben heißt doch nicht, dass du aussiehst wie jemand von der Straße. Ich komme an Wasser, kaltes und warmes, in einem Geschäft. Sie wissen, dass wir Wasser holen, und wir respektieren sie, wir machen keine Unordnung. Ich bringe das Wasser in Eimern her, und wir duschen hier, oder besser: wir baden." Erzähler Er schiebt einen Wagen zu Seite. Dahinter kommt eine Zinkbadewanne zum Vorschein. Jazz und Sharon sind Veteranen in den Tunneln: seit 15 Jahren obdachlos, seit mehr als zehn hier unten. Nicht durchgehend, zwischendurch hatten sie immer mal wieder eine Wohnung. Aber nie dauerhaft. O-Ton 15 Jazz "It's a revolving door. I would probably have to deal with my addictions. I drink, I smoke a little weed every once in a while. And harder things too, mostly speed, meth, methamphetamine" Länge: 0:19min Sprecher 3 Voice Over Jazz "Das ist wie eine Drehtür. Ich müsste mich wohl mal um meine Süchte kümmern. Ich trinke, rauche ab und an Marihuana. Auch härtere Sachen, hauptsächlich Speed, Meth, Methyamphetamin." O-Ton 16 Jazz "I do gamble. (Sharon: "Oh yeah."). Whatever pays the most money. Whatever, you know, we've got our favorite slot machines. But sometimes that's how we make our money too, by gambling, get a little bankroll." Länge: 0:21min Sprecher 3 Voice Over Jazz "Und ich zocke, was auch immer die höchsten Gewinnchancen hat. Wir haben unsere Lieblingsmaschinen, und manchmal machen wir so auch Geld, durchs Zocken kriegen wir ein paar Scheine in die Tasche." Erzähler Jazz und Sharon sind Zugezogene - wie die meisten Menschen in Vegas. Statistisch ist nur einer von zehn Einwohnern hier geboren. "Das verschärft die Probleme", wirft Matt ein, "wenn was schief geht im Leben, fehlt familiäre Unterstützung." Jazz ist mit 20 nach Vegas gekommen, er hat auf dem Bau gearbeitet, später in Restaurants - als Kellner, als Küchenhilfe, nur nicht als Koch. Dann ist sein Leben, wie er es formuliert: "irgendwie aus Bahn gelaufen". Sharon ist ihrem Ex-Mann mit den beiden Töchtern nach Las Vegas gefolgt. Als Croupier hat er dank üppiger Trinkgelder gut verdient, sogar ein Haus konnte sich die Familie leisten. O-Ton 17 Sharon "The perfect life, the white picket fence and stuff. But that was a long time ago. I found out that my husband is gay, that kind of ended the marriage. If he was cheating with another woman, that's different because then I feel that I could compete. But with another man? I don't have the right equipment." Länge: 0:23min Sprecherin 4 Voice Over Sharon "Das perfekte Leben, ein weißer Lattenzaun ums Haus und so. Lang ist's her. Bis ich herausgefunden habe, dass mein Mann schwul ist - das war's dann mit der Ehe. Wenn's eine andere Frau gewesen wäre, hätte ich kämpfen können. Aber gegen eine anderen Mann? Dafür bin ich falsch ausgestattet." Erzähler Einmal, vor sechs, sieben Jahren sind Jazz und Sharon auf gutem Weg gewesen, er mit einem Job als Kellner, sie als Küchehilfe. Und mit einer Wohnung, viel zu klein für die beiden und Sharons Töchter, aber immerhin. Dann ist die Immobilienblase geplatzt, die Jobs gingen verloren. Und die Patchwork-Familie fand sich im Tunnel wieder. Heute leben die Kinder bei ihrem Vater. Und Jazz und Sharon schlagen sich durch. Sharon drückt männlichen Touristen auf dem Strip Flyer in die Hand: "Girls direct to your room." Jazz steht Schmiere für die Hütchenspieler auf den Brücken über den Strip. Abends ziehen sie von Kasino zu Kasino auf der Suche nach Geld, das Zocker in Glückspielautomaten vergessen haben. Das so genannte credit hustling ist lukrativ, aber illegal - herrenloses Geld ist Eigentum des jeweiligen Kasinos. Bestimmt 40 Mal ist Jazz verhaftet worden, viermal verurteilt. Und trotzdem, sagt er, sind sie besser dran, als die meisten Obdachlosen: O-Ton 18 Jazz & Sharon Jazz: "This is my safe haven, believe it or not. This is my home. I feel comfortable... to an extent." Sharon: "When he gets scared up there he comes straight here, this is where you find him." Jazz: "For me I always got to be on my toes, stay away from the police. I worry about things I have done in the past catching up with me. We got to survive out here, I do what I got to do. As long as nobody is getting hurt-... cause believe it or not, I have a conscience, I do." Länge: 0:42min Sprecher 3 Voice Over Jazz "Kaum zu glauben, aber das hier ist ein sicherer Hafen für mich. Das ist mein Heim, hier fühle ich mich wohl. Bis zu einem gewissen Grad." Sprecher 3 Voice Over Jazz "Ich muss immer auf der Hut sein, mich von der Polizei fern halten. Ich habe Angst, dass mich Dinge aus meiner Vergangenheit einholen... Wir müssen hier unten überleben, und ich mache, was ich machen muss. So lange ich niemanden verletzte... denn glaub's oder glaub's nicht, ich habe ein Gewissen. Ja, das habe ich." Regie Blende zu Atmo 2 Erzähler Weiter durch den Tunnel, vorbei an verlassenen Camps. An den Wänden Sprüche: "There are no strangers here, only fiends you haven't yet met.", "Hier gibt es keine Fremden, nur Feinde, die du noch nicht getroffen hast" - frei nach dem irischen Dramatiker William Butler Yeats. Und Edgar Allen Poes "I became insane with long intervals of horrible sanity", "Ich bin verrückt geworden mit langen, schrecklichen Phasen der Zurechnungsfähigkeit." Matt O'Brien ist nachdenklich. O-Ton 19 Matt "All the tunnels that you go through are similar in the sense that the people are desperate on their luck but they are also quite friendly in most cases. And that's the thing: This tunnel is their last resort, these people have no other option. They have tried to live in apartments, in homeless shelters , they've tired to live homeless above ground. This is their last option, so the last thing they want to do is being violent towards someone down here to have the cops come down here and clear everyone out as they have no place to go. They people down here typically don't look for trouble, they just want to be left alone, they are trying to survive day to day." Länge: 0:45min Sprecher 1 Voice Over Matt "Alle Tunnel haben eine Gemeinsamkeit. Die Leute hinten mögen verzweifelt sein, sie haben Pech im Leben, aber meistens sind sie freundlich. Der Tunnel ist ihre letzte Zuflucht, andere Optionen haben sie nicht. Sie haben versucht, in Wohnungen zu leben, in Obdachlosenheimen und als Obdachlose oben auf der Straße. Das letzte, was sie wollen, ist gewalttätig gegen einen Mitbewohner hier unten zu werden. Dann nämlich kommen die Bullen hier runter und werfen alle raus. Und wo sollten sie dann hin? Die Leute hier unten wollen in der Regel keinen Ärger, sie wollen in Ruhe gelassen werden bei ihrem täglichen Kampf ums Überleben." Regie Blende zu Atmo 4 (Camp Travis) Erzähler Travis im nächsten Camp ist ein typischer Fall von "Pech im Leben". Er hat sich von der Werbung anlocken lassen, in der über beide Ohren grinsende Spieler vor ihrem Gewinn fotografiert werden, einer mindestens sechsstelligen Zahl. Natürlich hätte er sich denken können, dass die Kasinopaläste nicht so groß und imposant wären, wenn die Spieler eine dauerhafte Chance hätten. Zweimal hat er Vegas den Rücken gekehrt - und ist jedes Mal zurückgekommen. Nun packt er seine Sachen. Für immer. O-Ton 20 Travis "This town is driving me crazy. I always do good, you know, job and straighten out when I move out. But I just can't do it here for some reason. Either I won't let myself do it or it's something else." Länge: 0:15min Sprecher 5 Voice Over Matt "Diese Stadt macht mich verrückt. Woanders kriege ich mein Leben hin, mit Job und so, aber hier nicht. Entweder es liegt an mir oder an was anderem." Erzähler Travis faltet ein Kleidungsstück nach dem anderen und legt es ordentlich in einen Plastiksack. Er ist Anfang 30, klein und stämmig. Sein unsteter Blick verrät ihn als Meth-Raucher. In Las Vegas hatte er einen Job, nichts Besonderes, er war Manager bei einer Fast-Food-Kette, später noch einmal bei einem Konkurrenzunternehmen. Aber die Versuchung ist hier nie weit weg: Glückspiel, Drogen, leichte Mädchen. Vor drei Wochen ist Travis aus dem Gefängnis entlassen worden, "credit hustling", murmelt er, vor zwei Tagen aus dem Krankenhaus - "zu viel Speed". Aber das vorbei. Er hat für zwei Nächte im Diamond Inn eingecheckt, das im Gegensatz zum verheißungsvollen Namen ein bestenfalls schmuddliges Motel ist. Morgen noch ein paar Erledigungen, übermorgen geht's per Bus zu Freunden in Utah. O-Ton 21 Travis "Especially when you are homeless you are depressed a lot. You don't have nothing to do, you don't have nobody around you, don't feel like going out, walking the streets and stuff. Vegas drives you crazy with the things you have been through in the past, like things you've lost over the years. Cause everyone down here hat lost multiple things tow our three times, you know." Länge: 0:34min Sprecher 5 Voice Over Matt "Als Obdachloser bist du oft deprimiert. Du hast nichts zu tun, bist allein. Oft hast du keine Lust raus zu gehen, du willst nicht, dass die Leute dich so sehen. Vegas bringt mich im den Verstand mit alle den Dingen aus meiner Vergangenheit, was ich alles verloren habe und so. Weißt du, alle hier unten haben zwei, drei mal im Leben alles verloren. " Regie Blende zu Atmo 2 (Camp Travis) Erzähler Was von seinem Leben übrig ist, ist jetzt verstaut. Travis wirft sich den Plastiksack über die Schulter und marschiert mit Matt O'Brien los, dem Lichtschein entgegen, der in fünf, sechshundert Meter in den Tunnel dringt und doch so weit entfernt scheint. Regie Blende zu Atmo 5 (draußen) Erzähler Die beiden kriechen nach oben. Ein Flugzeug landet, ohrenbetäubend laut. Drei weitere sind im Anflug. Der Verkehr rauscht an ihren Gesichtern vorbei. Travis und Matt blinzeln- nach Stunden in der Dunkelheit brennt das Sonnenlicht in den Augen. In den blauen Himmel ragen die verglasten Türme des City Centers, eines Komplexes aus sündhaft teuren Hotels, Kasinos, Galerien und Boutiquen. Travis zieht seinen schwarzen Plastiksack aus der Kanalröhre, klopft Matt auf die Schulter und läuft über den dreispurigen Strip, ohne nach rechts oder links zu blicken. Las Vegas war gestern. 1