- Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 30. November 2009, 19.30 Uhr Steueroase Deutschland? Der halbherzige Kampf gegen Steuerhinterziehung Von Caroline Nokel Spr. vom Dienst Steueroase Deutschland? Der halbherzige Kampf gegen Steuerhinterziehung Von Caroline Nokel Musik nur kurz frei stehenlassen, dann unter O-Ton 1 B. Fleischmann, the humbucking coil, broken monitors O-Ton Kilmer Jedes Unternehmen sagt eigentlich: "Der Inkasso-Bereich ist der wichtigste Bereich. Das Geld muss reinkommen." Im öffentlichen Dienst, in der Finanzverwaltung ist es offensichtlich genau andersrum. Da verzichtet man ganz bewusst auf Steuereinnahmen. Allerdings muss man dazu sagen, in einer komplexen politischen Situation, Stichwort Finanzausgleich, Stichwort Föderalismus. Sprecherin Reinhard Kilmer ist seit 22 Jahren bei der Steuerfahndung Bochum, davor arbeitete er zehn Jahre lang als Betriebsprüfer. Der 59jährige ist zugleich ehrenamtlich in der Gewerkschaft ver.di tätig. O-Ton Kilmer Wir haben bei der Gewerkschaft ver.di im Fachbereich 6 einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit Steuerfahndern, Betriebsprüfern aus allen Bundesländern und von daher bekommt man natürlich, wenn man in diesem Arbeitskreis tätig ist, auch sehr viel mit, was sich so in den anderen Bundesländern tut in Sachen Steuerfahndung, in Sachen Betriebsprüfung und in Sachen Steuervollzug. Alle klagen über die Probleme im Steuervollzug, alle klagen über die Qualität der Steuergesetzgebung, alle klagen darüber, dass sie im Bereich der Veranlagungsbereiche der Fallzahl nicht mehr entgegen wirken können. Alle klagen darüber, dass das Personal in der Betriebsprüfung, in der Steuerfahndung rückläufig ist. Sprecherin In den Finanzverwaltungen geht es um mehr als um Klagen auf hohem Niveau. Das sieht der Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford, Clemens Fuest, ähnlich. Fuest sitzt dem Wissenschaftlichen Beirat im Bundesfinanzministerium vor. O-Ton Fuest Natürlich nimmt der Druck allenthalben zu, in Unternehmen und auch in der öffentlichen Verwaltung, weil allein aus Kostengründen überall auch Personal abgebaut wird, und auch mehr EDV eingesetzt wird, das ist auch in Ordnung. Aber es darf eben nicht so weit gehen, dass es wirklich an der Sorgfalt mangelt. Und dass man es einfach in Kauf nimmt, Steuern schlechter durchzusetzen, das führt ja auch oft zu Ungerechtigkeiten, wenn man Steuererklärungen nicht sorgfältig behandelt. Sprecherin Und dass es in den Finanzämtern an Sorgfalt mangelt und beispielsweise Betriebe zu selten geprüft werden, kritisiert seit Jahren der Beauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Professor Dieter Engels, zugleich Präsident des Bundesrechnungshofs, schrieb 2006 in einem ausführlichen Gutachten über den Steuervollzug in Deutschland: Zitator Die Steuerverwaltung hat in zunehmendem Ausmaß Schwierigkeiten, ihren gesetzlichen Auftrag zur Festsetzung und Erhebung der Steuern ordnungsgemäß zu erfüllen. Die Lage der Finanzämter hat sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Sprecherin Bereits 1993 hatte der Bundesrechnungshof darauf hingewiesen, dass eine stark steigende Anzahl an Steuerfällen mit gleich bleibendem oder weniger Personal bearbeitet werden müsse, dass das Steuerrecht sich häufig und umfangreich ändere, und dass statt Qualität Quantität in den Finanzämtern gefragt sei. Auch Landesrechnungshöfe beklagten den Zustand der Finanzverwaltungen. Der Hamburger Rechnungshof sprach gar von einem "Vollzugsnotstand". Doch warum vernachlässigt der Staat seinen Inkasso-Bereich? Die Steuereinnahmen sind schließlich mit Abstand seine wichtigste Einnahmequelle. Die Deutsche Steuer- Gewerkschaft schätzt die Ausfälle, die die Staatskasse durch Steuerhinterziehung jedes Jahr erleidet, auf 30 Milliarden Euro. Der Steuerfahnder Reinhard Kilmer rechnet vor ... O-Ton Kilmer ... dass man zum Beispiel bei einem Steuerfahnder davon ausgehen kann, dass er jährlich zwischen 700.000 und 900.000 Euro einfährt. Wenn man dann die Personalkosten mit 100.000 Euro dagegen rechnet, dann ist das 'ne Geschichte, wo man ganz klar sagt, das macht Sinn und das lohnt sich. Sprecherin Die Steuerfahndung hat, bundesweit gerechnet, im letzten Jahr 1,5 Milliarden Euro an Mehrsteuern eingebracht, über 15 000 Strafverfahren wurden eingeleitet. Betriebsprüfungen brachten 14,6 Milliarden Euro an Steuermehreinnahmen, dabei waren gut 13.000 Prüfer im Einsatz. Jeder Betriebsprüfer, so könnte man argumentieren, bringt dem Staat über eine Million Euro, die sonst verloren wären. Musik kurz frei stehen lassen, dann unter Sprechertake Sprecherin Ein Grund dafür, warum der Staat nicht stärker hinter den Einnahmen her ist, die ihm eigentlich zustehen, wird von vielen Experten in der föderalen Struktur der Steuerverwaltung gesehen. Reinhard Kilmer hat für ver.di Gespräche mit den Länderfinanzministern geführt mit der Forderung, mehr Betriebsprüfer einzustellen. O-Ton Kilmer Dann wird uns immer ne ganz merkwürdige Rechnung aufgemacht, die da lautet, o. k., ein Betriebsprüfer bringt so und so viel im Jahr, aber er kostet auch so und soviel im Jahr. Und das, was er an Steuermehreinnahmen reinholt, muss ich in den Länderfinanzausgleich geben. Mir bleibt von jedem Euro vielleicht noch zehn oder 20 Cent, das sagen zumindest die Geberländer, ich habe aber seine Gehaltskosten und seine Pension am Bein. Also ist das für mich ne Rechnung, die sich überhaupt nicht lohnt, und deswegen tu ich da auch nichts. Sprecherin Auch Clemens Fuest sieht einen Schwachpunkt der Steuerverwaltung in ihrer föderalen Struktur: O-Ton Fuest Da es eben so ist, dass auch etwa das Nichtdurchsetzen von Steuern kaum Auswirkungen hat auf das eigene Budget, weil man für eine schwache Steuerkraft Ausgleich kriegt im Länderfinanzausgleich, hat man auch wenig Anreize, die Effektivität der Steuerverwaltung zu erhöhen. Man hat wohl Anreize, die Kosten der Steuerverwaltung zu senken, also die Steuerverwaltung selbst zu verkleinern. Denn wenn man einen Euro in der Steuerverwaltung einspart, also einen Euro Personalkosten etwa, diesen Euro hat man dann im Land und der wird einem auch nicht weggenommen. Wenn man hingegen einen Euro mehr Steueraufkommen eintreibt, dann fließen davon in manchen Ländern 80 oder 90 Cent in den Finanzausgleich ab, die kommen also anderen zugute. Was das für Konsequenzen hat, ist klar. Man hat eher Anreize, sich wenig um seine Steuerverwaltung zu kümmern und da das Personal kurz zu halten. O-Ton Kilmer Nehmerländer und Geberländer bilden hier eine unheilvolle Koalition nach dem Motto: Wir tun am besten nichts. O-Ton Linssen Ja, das ist eine Behauptung, die wir immer wieder hören. Sprecherin Helmut Linssen ist Finanzminister von Nordrhein-Westfalen und momentan Vorsitzender der Finanzministerkonferenz. Nordrhein-Westfalen ist eines der Geberländer im Länderfinanzausgleich. O-Ton Linssen Trotzdem bleibt immer noch was hängen, es ist ja nicht so, als wenn man 100 Prozent abgibt im Länderfinanzausgleich. Es betrifft ja im Moment nur vier Länder. Das heißt Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen zahlen in den Länderfinanzausgleich. Und wir haben schon ein Interesse, mehr Geld reinzuholen, weil wir natürlich immer etwas von dem Mehrerlös auch behalten. Und vor dem Hintergrund kenne ich keinen Kollegen, der seine Steuerverwaltung anweist, mal nicht so streng zu sein, damit er nicht unnötige Kosten produziert. Das ist ein Gerücht, das sich hartnäckig hält, das ich immer wieder nur dementieren kann. Sprecherin Ob Gerücht oder Realität ? letztlich bleibt es zwar Spekulation, ob die Bundesländer stärker gegen Steuerhinterziehung vorgingen, wenn die erzielten Steuermehreinnahmen nicht in den Länderfinanzausgleich abflössen. Dennoch gibt es einen Zusammenhang zwischen Finanzausgleich und Steuererhebung in den Bundesländern, behauptet Clemens Fuest: O-Ton Fuest Derzeit sieht es so aus, dass man schon nachweisen kann, dass die Effizienz der Steuererhebung in den Ländern, in denen besonders viel abfließt in den Finanzausgleich, dass die Effektivität der Steuererhebung da besonders gering ist. Sprecherin Besonders aufschlussreich ist zu sehen, welche Bundesländer ihre Betriebe in welchem Turnus prüfen. Steuerfahnder Reinhard Kilmer: O-Ton Kilmer Man sollte ja eigentlich annehmen, dass das Interesse sehr groß ist. Das Interesse ist aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das sieht man daran, wie oft Betriebe geprüft werden. Da muss man sich nur mal Länder wie Bayern oder Baden-Württemberg angucken, die die Schlusslichter in der Hitliste der Betriebsprüfungen sind. Da liegen dann zum Beispiel bei den Mittelbetrieben die Prüfungsturni zwischen 10 und 18 Jahren. Das ist einfach nicht hinnehmbar. Bei den großen Konzernbetrieben ist der Turnus einigermaßen konstant. Gott sei Dank, bei so vier bis fünf Jahren. Aber die Probleme fangen an im Bereich der Mittelbetriebe, die Probleme werden eklatant im Bereich der kleinen Betriebe, da haben wir einen Prüfungsturni in der Länderpalette zwischen 50 und ungefähr 80 Jahren. Und im Bereich der Kleinstbetriebe haben wir einen Turnus zwischen 90 und 220 Jahren. Sprecherin Helmut Linssen erklärt, warum in allen Bundesländern große Konzerne deutlich öfter geprüft werden als kleine Betriebe: O-Ton Linssen Wir haben natürlich eine Betriebsprüferstruktur, die angesetzt ist einmal im Konzernbereich, das heißt, da wo größere Volumina für den Fiskus zu holen sind. Wir müssen natürlich auch die Steuergerechtigkeit im Auge haben, deshalb auch möglichst viele prüfen. Klar ist auch, bei den vielen Kleinen ist meist jedenfalls relativ wenig zu holen. Sprecherin 25 Prozent der Betriebsprüfer bringen 75 Prozent des Gesamtvolumens an Steuermehreinnahmen ein, so der Minister. O-Ton Linssen Und deshalb ist natürlich auch die Annahme, die auch immer wieder vorgetragen wird: Jeder Steuerprüfer bringt im Schnitt so und so viel, dann lohnt es sich doch auch, mehr einzustellen, die ist völlig falsch. Sprecherin Helmut Linssen nimmt die Prüfung der Einkommensmillionäre in Nordrhein-Westfalen als Beispiel: O-Ton Linssen Wenn Sie sehen, dass wir mit 578 Prüfungen, die wir in 2005 abgeschlossen haben, 106 Millionen Mehrergebnis bekommen haben und im darauf folgenden Jahr, mit 633 Prüfungen, also 61 Prüfungen mehr, "nur" 74,5 Millionen, dann sehen Sie, dass mit einem einfachen Mehr an Prüfungen nicht unbedingt ein Mehrergebnis verbunden ist. Sprecherin Das heißt aber auch, es wird unter dem Aspekt des möglichen Ertrags geprüft: Man sucht da, wo man glaubt, viel holen zu können. Unter ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll, aber eigentlich widerspricht das dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Er leitet sich vom Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes ab und lautet: Zitator Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden. Sprecherin Besonders stolz ist der nordrhein-westfälische Finanzminister auf das sogenannte Risikomanagement, mit dem Steuererklärungen nun vorsortiert werden. O-Ton Linssen Natürlich wissen wir über unser Risikomanagement-System, wo es sich lohnt hinzugehen. Da muss jeder mit völlig überraschenden Prüfungen rechnen. Das heißt, wenn wir Steuerprüfungen kriegen, laufen die durch ein automatisiertes System, was so konstruiert ist, dass es Abweichungen von meinetwegen früheren Gegebenheiten oder Auffälligkeiten in der Verknüpfung bestimmter Parameter, uns die anzeigt, um die kümmern wir uns dann liebevoll, und da kommt auch meistens was bei raus. Sprecherin Aus dem Mund des Steuerfahnders hört sich es sich eher nach einem Behelf an: O-Ton Kilmer Das Durchwinken und Durchlaufen bekleidet man heute mit dem schönen Begriff "Risikomanagement". Das hört sich auch viel besser an. Risikomanagement heißt eigentlich nichts anderes, man setzt bestimmte Parameter, wo man sagt, da prüfen wir gar nicht, da prüfen wir ein bisschen, da prüfen wir ein bisschen mehr, und bei einigen wenigen Fällen prüfen wir in der Tat ganz intensiv. Das ist im Prinzip so das Wesen des Risikomanagements, das wird teilweise auch noch EDV-gesteuert unterstützt, da muss man dann die Steuerfälle schon auch ein bisschen einsortieren. Sprecherin Grundsätzlich hält Reinhard Kilmer es für vernünftig, grob vorzusortieren und nicht bei jeder Lohnsteuererklärung auf der Landkarte nachzuprüfen, ob der Pendler 20 oder 21 Kilometer zum Arbeitsplatz zurücklegt. Ein wesentliches Problem beim Risikomanagement sieht er nur darin, dass es nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip arbeitet und keine verbindlichen Standards vorgibt: O-Ton Kilmer Dann dreh ich mal an der Schraube, und dann hab ich nie Personalprobleme. Ich werde immer die Steuerfälle in solche Klassen einteilen können, dass ich mit dem zur Verfügung stehenden Personal immer zurecht komme. Das hat nun mit Steuergerechtigkeit und einem vernünftigen Steuervollzug nun gar nichts mehr zu tun. Sprecherin Grundsätzlich ist es natürlich nicht falsch, von der Ehrlichkeit der Steuerbürger auszugehen. Problematisch ist nur, dass eben nicht alle von Chancengleichheit profitieren. O-Ton Kilmer Da kann man sich natürlich schon vorstellen, wenn ich im Bereich der kleinen Betriebe oder auch im Bereich der Mittelbetriebe eine Betriebsprüfung habe über mich ergehen lassen, dann höre ich als Betriebsprüfer, wenn ich die Tür zumache, die Sektkorken knallen, weil ich genau weiß, bzw. weil der Betriebsinhaber weiß, die nächsten 30 Jahre seh ich den nicht wieder, das ist natürlich wunderbar. Und dann kann ich natürlich auch wieder meine Kraft der Gestaltung bei der Steuererklärung voll zur Wirkung kommen lassen. Sprecherin Eine Möglichkeit, die Arbeitnehmer so nicht haben. Ihre Lohnsteuer wird an der Quelle abgeführt. O-Ton Butterwegge Diejenigen werden ziemlich stark kontrolliert, die als abhängig Beschäftigte über die Lohn- und Einkommensteuer erfasst werden, und zwar ganz genau, wohingegen Selbständige, Freiberufler, Unternehmen eher mit Glacé-Handschuhen angefasst werden. Das ist angelegt in diesem System. Weil es darauf aufbaut, dass die Wertschöpfung in diesem Bereich erfolgt, dass die Grundlagen für den Wohlstand des Landes da gelegt werden. Und deswegen ist dieser Bereich weitestgehend tabu für Kontrollmechanismen, für Sanktionsmechanismen und so weiter. Sprecherin Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft an der Uni Köln. Er ist bekannt durch seine Veröffentlichungen zu Themen wie Kinderarmut und Generationengerechtigkeit in Deutschland. O-Ton Butterwegge Man kann gar nicht genügend Kontrollen im Bereich des Sozialstaates etablieren, um nicht gleichzeitig noch dem Sozialstaat vorzuwerfen, er sei zu nachlässig, zu großzügig, und er würde mit dem Geld zu wenig sorgsam umgehen. Auf der anderen Seite ist der Wirtschaft gegenüber eine Haltung vorhanden, die genau umgekehrt sogar einfordert, dass man nicht zu starke Kontrollmechanismen erlässt, damit nicht der Investor als scheues Reh womöglich sich einen anderen Platz zum Grasen sucht. Das heißt, da wird regelrecht verlangt, dass Steuerfahndung und Betriebsprüfung möglichst nachlässig gehandhabt werden, um eine gute Stimmung für die Wirtschaft zu schaffen. Musik Sprecherin Dass die Steuergerechtigkeit in Deutschland nicht mehr gegeben ist, ist nicht nur der Steuerverwaltung anzulasten. Reinhard Kilmer: O-Ton Kilmer Ein großes Problem hat die Finanzverwaltung, weil sie keinen Einfluss auf die Gesetzgebung hat. Die Steuergesetze macht der Bund. Inwieweit die handelbar sind und ob das dafür erforderliche Personal überhaupt zur Verfügung steht, das belastet den Bund erst mal relativ wenig. Sondern da ist der schwarze Peter in der Tat bei den Ländern. Auch das ist wieder ein Problem der föderativen Struktur. Sprecherin Finanzprofessor Clemens Fuest weist darauf hin, dass die Länder überhaupt keine Möglichkeit haben, zum Beispiel Steuern zu senken. O-Ton Fuest Es gibt eigentlich fast keine Bereiche auf der Einnahmenseite, die die Länder eigenständig regeln können. Sie haben keine eigenen Steuern. Das ist ungewöhnlich. In den meisten föderalen Staaten haben die Gliedstaaten, hat die zweite föderale Ebene, Kompetenzen auf der Einnahmen- und der Ausgabenseite. In Deutschland fehlt das. Und das ist sehr negativ. Sprecherin Clemens Fuest befürwortet eine Stärkung der Länderautonomie, was die Steuergesetzgebung angeht. O-Ton Fuest Es wäre viel einfacher, wenn man sagen könnte, gut, wir können hier beispielsweise eine neue Universität bauen oder eine neue staatliche Sozialleistung einführen, und das kostet dann so und so viel in Einkommensteuer. Das wäre eine reife Entscheidung. Dann könnten sich die Wähler überlegen, wollen wir das oder nicht. Man würde Kosten und Nutzen zusammenbringen. Sprecherin Ganz anders sieht das Christoph Butterwegge: O-Ton Butterwegge Ich halte von einer solchen Regionalisierung sehr, sehr wenig. Wie sie beispielsweise auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP zumindest als Prüfauftrag enthalten ist. Weil eine stärkere Regionalisierung des Steuersystems dazu führt, dass die Bundesländer dann um die Steuern konkurrieren. Und das bedeutet, dass diejenigen, die finanzstark sind, sich zurückhalten können bei der Erhebung von Steuern, also bei der Festsetzung beispielsweise von Hebesätzen. Das würde bedeuten, dass dann womöglich die Steuerpflichtigen sich stärker da ansiedeln, wo sie eher wenig belastet werden, das heißt in den südwestdeutschen Bundesländern oder noch konkreter in Bayern und Baden- Württemberg. Und weil das so wäre, könnten diese beiden Bundesländer dann noch stärker daran gehen, meinetwegen im Bereich der Erbschaftssteuer oder der Unternehmensbesteuerung sich zurückzuhalten und würden weitere Unternehmen und diejenigen anziehen, die viel zu vererben haben. Es würde eine weitere regionale Schieflage entstehen, und ich finde, wir müssen den Verfassungsauftrag ernst nehmen. Musik Sprecherin Zurück zum Vollzug der Steuergesetze: Wird Laxheit, beispielsweise in der Frequenz der Betriebsprüfung, als Standortvorteil der Länder gegenüber Unternehmen eingesetzt? Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen verneint das, der Steuerfahnder widerspricht ihm: O-Ton Linssen Es ist nicht richtig, dass Standortpolitik mit Steuererleichterungen verbunden ist. Dafür passt der Bund zu recht auch viel zu gut auf. O-Ton Kilmer Es gibt hinter vorgehaltener Hand, insbesondere denke ich da an Baden-Württemberg und an Bayern, immer mal wieder so Andeutungen von Politikern, die genau in diese Richtung gehen, die schlicht und ergreifend sagen, wir müssen auch bei der Frage der Steuererhebung gucken, dass das Geld im Ländle bleibt. Sprecherin Der Finanzbeamte Hans Berg aus Niedersachsen spricht gar von einem "Fiskalischen Bermudadreieck". Das Zusammenwirken von Finanzverwaltungen, Länderfinanzausgleich und Wirtschaftslobbyismus habe zur Folge, dass dem Staat jedes Jahr mehrere Milliarden Euro verloren gingen, die Vermögenskonzentration zunehme und Staatsverschuldung und Sozialabbau voranschreiten. Der Finanzbeamte veröffentlicht im Internet unter einem Pseudonym ? seinen richtigen Namen möchte oder kann er nicht nennen, weil er sonst Schwierigkeiten mit seinem Vorgesetzten bekommt. Doch selbst wenn Wirtschaftsvertreter nicht aktiv auf die Finanzverwaltungen einwirken, um von ihnen geschont zu werden ? profitieren sie nicht vom jetzigen Zustand? Hans Bergs Kollege aus Bochum, Reinhard Kilmer: O-Ton Kilmer Die Unternehmen haben sicherlich ein Interesse daran, dass das so bleibt. Die Unternehmen haben sicher kein Interesse daran, dass wir ne Bundesfinanzverwaltung kriegen, davon bin ich überzeugt. Dass da Sand im Getriebe ist, aus Unternehmersicht ist das kein Grund zur Traurigkeit. Sprecherin Clemens Fuest hält es für schwierig nachzuweisen, dass die Länder tatsächlich das Steuergesetz umgehen, um sich Standortvorteile zu verschaffen. Einen Zusammenhang zwischen der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts und der Steuererhebung sieht er aber schon: O-Ton Fuest Wenn die jetzige Situation tatsächlich darauf hinausläuft, dass es so einen Wettlauf in der Laxheit der Steuerprüfungen gibt unter den Bundesländern, dann wäre das aus der Sicht der Unternehmen sicherlich positiv. Es würde die Steuerlasten reduzieren. Nun weiß man nicht genau, was passieren würde, wenn man das beseitigen würde, dann müsste vielleicht die Steuerpolitik auch darauf reagieren und die Standortattraktivität in Deutschland anders bewahren. Also einfach nur, indem man jetzt die Steuergesetze verschärft, sei es nur in ihrer Durchsetzung, dadurch ist ja noch nicht viel gewonnen. Man will ja den Standort attraktiv halten. Es ist vielleicht auch ne Art, den Unternehmen zu signalisieren, dass auf ihre Belange geachtet wird. Sprecherin Die Attraktivität des Standorts in den Mittelpunkt der staatlichen Bemühungen zu stellen, hält der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge gerade für grundfalsch: O-Ton Butterwegge Man möchte nicht die Unternehmen verschrecken durch die Einstellung von mehr Betriebsprüfern und auch nicht durch die Einstellung von Steuerfahndern. Obwohl die sich rechnen würden unter dem Strich, würde dadurch aber ein Klima entstehen im Lande, das man für der Wirtschaft abträglich hält. Da man aber glaubt, nach der Standortlogik, nach der neoliberalen Standortlogik für Unternehmen besonders gute Rahmenbedingungen schaffen zu müssen, ist eine schärfere Anwendung von Richtlinien beispielsweise in dem Bereich von Steuerfahndungen und von Betriebsprüfungen hinderlich. Und das ist der Grund, dass man, obwohl man ein finanzielles Interesse daran hätte, trotzdem politisch Bedenken hat, so zu handeln. Sprecherin Will man den angenommenen Wettbewerb der Länder untereinander ausschalten, bessere Anreize in der Steuererhebung schaffen und dafür sorgen, dass die Koordination von sechzehn Ländern entfällt, dann müsste man eine Bundessteuerverwaltung einrichten. Clemens Fuest und Reinhard Kilmer: O-Ton Fuest Aus meiner Sicht spricht viel für eine Bundessteuerverwaltung, für eine stärkere Zentralisierung der Steuerverwaltung. Das hat nicht nur mit den Anreizen zu tun, die für das einzelne Land nicht richtig gesetzt sind. Das hat auch damit zu tun, dass viele wirtschaftliche Vorgänge einfach heute nicht nur Ländergrenzen überschreiten, also Bundesländergrenzen, sondern auch internationale Grenzen überschreiten. Und eine Bundessteuerverwaltung wäre doch besser in der Lage, ein Gesamtbild zu haben, vor allem bei komplizierteren Steuerfällen bei den Unternehmen. Die Anreize wären dann doch klar so gesetzt, eher im gesamtstaatlichen Interesse zu handeln. O-Ton Kilmer Allein der Ruf nach mehr Personal ist auch nicht die Lösung des Problems. Wir können nicht, weil wir dieses föderative Problem haben, wir können nicht, weil wir so schlechte Steuergesetze haben, neben jeden Steuerbürger einen Finanzbeamten stellen, das kann im Ergebnis ja auch nicht richtig sein. Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, wir brauchen eine Bundesfinanzverwaltung. Sprecherin Dieser Meinung ist auch Dieter Engels, der Präsident des Bundesrechnungshofs. Er unterstützt eine vom Bundesfinanzministerium bei der Managementberatung Kienbaum in Auftrag gegebene Studie, die Einsparpotentiale in der Finanzverwaltung untersuchen sollte. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass eine Bundessteuerverwaltung 11,5 Milliarden Euro an Steuergeldern einsparen könnte. Für den Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, Helmut Linssen, handelt es sich nicht um seriöse Berechnungen: O-Ton Linssen Das Kienbaum-Gutachten, das lag ja den Ausführungen zugrunde, lag auch den Bemühungen des Bundesfinanzministers zugrunde, da sind Milliarden-Vorteile errechnet worden. Da sind Annahmen gemacht worden, die waren so jenseits von Gut und Böse, dass wir gesagt haben, dieses Gutachten ist völlig untauglich. Sprecherin Die Länderfinanzminister lehnten es ab, eine Bundessteuerverwaltung zu schaffen. O-Ton Linssen Wir würden ein zweites Nürnberg, Bundesanstalt für Arbeit, kreieren, und die hat sich gerade als völlig verfehlt erwiesen. Sprecherin Eine zentrale Verwaltung mit Heerscharen von Mitarbeitern birgt zwar die Gefahr, schwerfällig zu sein, aber im Bereich der Datenverarbeitung könnte sie erhebliche Vorteile bringen. Reinhard Kilmer: O-Ton Kilmer Da ist ein unheimliches Einsparungspotenzial da, wenn man mal nur an die EDV denkt. Wir haben ja heute sechzehn Länder, sechzehn Rechenzentren, sechzehnmal Programmieraufwand, das verschlingt unglaubliche Summen. Man hat ja jetzt versucht, bei dem Problem "Fiskus" dieses EDV-Problem zu lösen, da hat man, ich glaube 1992 begonnen, so ein bundeseinheitliches Datenverarbeitungssystem aufzubauen, für 700 Finanzämter, hat 400 Millionen Euro ausgegeben, und 2005 ist dieses Projekt "Fiskus" dann beerdigt worden. Das Geld in den Sand gesetzt. Sprecherin Und nicht nur das. Reinhard Kilmer, der seit 43 Jahren in der Finanzverwaltung tätig ist, wünscht sich, dass die Arbeit dort durch eine zentralisierte Struktur verbessert wird: O-Ton Kilmer In der alltäglichen Arbeit stoßen wir schon dann auf große Probleme, wenn es darum geht, länderübergreifend zu koordinieren, bestimmte Schwerpunkte zu setzen, bestimmte Branchen mal besonders zu untersuchen. Das ist ein Problem, was ein Bundesland und eine einzelne Länderfinanzverwaltung überhaupt nicht lösen kann. Musik Sprecherin Die Überzeugungsarbeit bei sechzehn Länderfinanzministern müsste wohl sehr intensiv angegangen werden. Und der Bund müsste ihnen eine angemessene Kompensation anbieten. Finanzminister Linssen bleibt skeptisch und Clemens Fuest vom Wissenschaftlichen Beirat im Bundesfinanzministerium hat einen praktischen Vorschlag: O-Ton Linssen Bei einer Bundessteuerverwaltung kann ich nicht erkennen, wo irgendwie eine Kompensation sein könnte. Sonst würde man ja solche Tauschgeschäfte immer gerne machen. Aber ich kann nicht erkennen, was der Bund besser machen könnte. Stellen Sie sich vor, irgendwo in einem kleinen Finanzamt in Kleve wartet jemand auf die Anweisungen aus Berlin. Da wird er alt und grau drüber. Da ist die Oberfinanzdirektion in Köln näher dran. O-Ton Fuest Wenn man keine Bundessteuerverwaltung will, gibt es auch Möglichkeiten, unter den Ländern entsprechend Anreize zu geben. Man könnte zum Beispiel Kosten für die Finanzverwaltung in stärkerem Maße dem Bund anlasten. Oder man könnte sich stärker um Qualitätsstandards in der Finanzverwaltung kümmern. Das ist nicht so ganz einfach. In gewissem Umfang existieren solche Standards schon und man könnte an denen arbeiten. Damit hat man immer noch nicht verhindert, dass die Finanzverwaltung vielleicht mal ein Auge zudrückt bei den eigenen Unternehmen, aber man hat sichergestellt, dass zumindest nicht einzelne Bundesländer ihr Personal dann stark eindampfen, sodass die Steuerfahndung nicht mehr handlungsfähig wäre. Musik O-Ton Linssen Es bleibt bei der Ländersteuerverwaltung. O-Ton Fuest Leider haben wir gerade auch ne Chance verpasst. Die Föderalismusreformen I und II, das waren Chancen, das zu erreichen, das waren Chancen, was zu verändern, und die haben wir verpasst. Musik Spr. vom Dienst Steueroase Deutschland? Der halbherzige Kampf gegen Steuerhinterziehung Von Caroline Nokel Es sprach: Viola Sauer Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1