COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 4. Februar 2010 Redaktion: Peter Kirsten Tückische Keime Künstliche Gelenke und Infektionsprobleme Von Konrad Lindner A 2. O-Ton: Joachim Steffens MD T 5.03 "Ich hatte eine Hüftoperation. Dann bekam ich nach einem knappen Jahr eine große Schwellung am Oberschenkel. In der Hüftgegend. Eine dicke Beule. So nenne ich es mal. Mein Arzt hat keine Ruhe gegeben und hat mich in das Parkkrankenhaus zum Professor Ascherl überwiesen. Der hat sich das angeschaut und hat die höchsten Alarmglocken läuten lassen. Da habe ich gefragt, ist das denn so schlimm und wie auch immer. Da hat er gesagt: 'Ja, wenn's mein Bruder wär'n, würde ich Sie heute noch operieren.'" Erzähler: Nicht immer und nicht bei jedem Patienten, aber immer wieder einmal machen tückische Keime nach einer Knie- oder Hüftoperation die erfolgreiche Arbeit der Chirurgen zunichte. Bösartige Mikroben besiedeln die künstlichen Gelenke, die in den Körper eingesetzt wurden, und lösen schwere Entzündungen aus. Den betroffenen Patienten wird viel Leid zu gefügt, weil weitere Operationen erforderlich werden. Wenn die Therapie gegen die bakteriellen Keime verschleppt wird, können die Folgen sogar tödlich sein. Mit den Problemen der Patienten, die nach dem Einbau künstlicher Gelenke mit bakteriellen Keimen zu kämpfen haben, befasst sich die septische Chirurgie. Einer der erfolgreichsten Fachleute auf diesem Gebiet ist der Arzt und Chirurg Rudolf Ascherl. A 3. O-Ton: Rudolf Ascherl MD T 4.7. "Mir geht es darum, dass wir uns jetzt vorbereiten auf eine Zeit, die noch mehr Kunstgelenke braucht. Wir stehen vor der Alterspyramide, vor der sogenannten demographischen Entwicklung und viele orthopädische Eingriffe werden häufiger. Das sind nicht bloß die Schenkelhalsbrüche, die Wirbelbrüche und die Armbrüche, sondern das sind auch die Kunstgelenke, die in Zukunft in einer Vielzahl implantiert werden und dann kann es natürlich auch Probleme geben. Aber wenn man jetzt gut in diese Forschung investiert und schaut, dass hygienisch, antibiotisch, von den Materialeigenschaften und von den Oberflächen her möglichst antiinfektiöse Strukturen erzeugt werden und dann Infektionen gar nicht auftreten können, dann glaube ich, machen wir viel für die zukünftige Generation." Erzähler: Rudolf Ascherl träumt von einem chirurgischen Zentrum, das sich für Patienten öffnet, die mit Infektionen durch bakterielle Keime zu kämpfen haben. Der Mediziner schlägt vor, in der Wissenschaftsstadt Leipzig eine Klinik für septische Chirurgie zu eröffnen und auf den Namen des deutschen Orthopäden Peter Friedrich Matzen zu taufen. Noch ist diese Idee ein Vorschlag, über den nicht endgültig entschieden ist. Zur Zeit ist Rudolf Ascherl ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik Wichern-Haus im nordbayerischen Rummelsberg. Zuvor leitete er in Leipzig das Parkkrankenhaus für Orthopädie und Unfallchirurgie. In der Frage einer Spezialklinik vertraut der Chirurg auf das Prinzip Hoffnung. A 4. O-Ton: Rudolf Ascherl MD T 3.19 "Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat auch keine Kraft zu kämpfen. Ich glaube, dass wir in Zukunft gerade angesichts dieser Keimsituationen Spezialkliniken, Zentren brauchen, die sich operativ, medizinisch, wissenschaftlich mit diesem Problem beschäftigen und die Erkenntnisse und auch die Erfahrungen, die wir bisher gesammelt haben, direkt am Patienten umsetzen." Erzähler: In seinen Vorträgen spricht Rudolf Ascherl wieder und wieder über die Dringlichkeit einer chirurgischen Spezialklinik, die sich um die Patienten mit Infektionen kümmert. Er stellt reale medizinische Fälle vor, die das Bewusstsein für die Macht der Mikroben wecken. Sorgen machen vor allem die Bakterien, die gegen bewährte Antibiotika resistent geworden sind. Rudolf Ascherl führt Zahlen an, die anschaulich belegen: Eine Klinik für spezielle Chirurgie würde nicht leer stehen, weil die Patienten fehlen. A 5. O-Ton: Ascherl MD T 3.14 "Man muss annehmen, dass wir in der Bundesrepublik etwa knapp 400.000 Erstimplantationen durchführen im Jahr. Knie und Hüfte zusammen. Wenn man die Infektionsraten aus dem Qualitätsmanagement, aus der Literatur, aus den Registern auch anderer Länder einführt in eine derartige Rechnung, dann muss man mit 9.000 Implantatinfekten pro Jahr in der Bundesrepublik rechnen. Und von den 9.000, schätzen wir, sind 3.000 mit Problemkeimen." Erzähler: Das größte Problem sind die Krankenhauskeime. Der Mikrobiologe Jörg Hacker ? Präsident des Robert Koch-Instituts in Berlin - schreibt in seiner Studie "Menschen, Seuchen und Mikroben": Zitator: "Krankenhausbedingte, sogenannte nosokomiale Infektionen haben in den letzten Jahren, vor allem in den Industriestaaten, ständig zugenommen, sie werden mittlerweile auch von der Öffentlichkeit als die Kehrseite des medizinischen Fortschritts wahrgenommen. In Deutschland rechnet man mit bis zu einer Million derartiger Infektionen pro Jahr." (Hacker, S. 40.) Erzähler: Obwohl wir sie nicht hören, sehen und riechen, sind Mikroben unsere ständigen Begleiter. Im Gesunden wie im Kranken. In den Krankenhäusern bereiten in den letzten Jahren die ein bis zwei Mikrometer großen Staphylokokken immer größere Sorgen. Zunächst begegnen sie uns als harmlose Mitbewohner unseres Körpers. Plötzlich aber, wenn nach einer Operation unser Immunsystem geschwächt ist, werden sie aggressiv: Sie rufen schwere Blutvergiftungen oder auch lebensbedrohliche Lungenentzündungen ? sogenannte Pneumonien ? hervor. Arne Roddloff leitet an der Universität Leipzig das Institut für Medizinische Mikrobiologie. Der Wissenschaftler schildert das gesundheitspolitische Problem, das durch die Krankenhauskeime in Deutschland verursacht wird. B 1. O-Ton: Arne Rodloff MD T 1.15. "Wenn man überlegt, dass wir uns über 4.000 oder 5.000 Tote im Verkehr regelmäßig aufregen und überlegen, wie wir diese Zahl reduzieren können, dann überrascht es, dass wir über 50.000 im Krankenhaus erworbene Pneumonien, die tödlich enden, nicht intensiver sprechen. Es gibt schon Versuche, sich damit auseinander zu setzen, im einzelnen gibt es ein deutsches Referenzzentrum für Hygiene, das sich sehr intensiv mit diesen Fragen auseinander setzt, sehr umfangreiche Erhebungen macht und den einzelnen Krankenhäusern auch zeigt, wie ihr Status ist, ob sie gehäuft Infektionen aufweisen oder ob sie so im Mittelfeld liegen. Das ist schon eine Hilfe, um auch entsprechende Maßnahmen, Hygienemaßnahmen durchzusetzen." Erzähler: Für einen Großteil der Krankenhausinfektionen sind Staphylokokken verantwortlich. Die Erreger sind deshalb so tückisch, weil sie höchst wandlungsfähig sind. Sie tauschen ohne Unterlass ihre Gene aus, wodurch in Permanenz neue Varianten entstehen. Jörg Hacker macht darauf aufmerksam, dass es sich bei Krankenhauskeimen ? wie Staphylococcus aureus ? um eine Herausforderung handelt, der sich die Medizin in Klinik und Forschung in Zukunft stärker stellen muss. B 2. O-Ton: Jörg Hacker MD T 25 "Diese Staphylococcus aureus - Bakterien haben etwa ein Drittel der Bevölkerung im Nasenraum. Und sie können sich verbreiten und sie sind auch in der Lage, sehr schnell Gene aufzunehmen. Genmigration auch hier ein Thema. Sie können sich im Krankenhaus ausbreiten. Deshalb ist es wichtig, diese Keime genau zu analysieren und vor allen Dingen das Resistenzgeschehen zu analysieren. Diese Staphylokokken sind sicher für ? na, so ungefähr - 30 bis 40 Prozent aller Krankenhausinfektionen in Deutschland verantwortlich. Ein Riesenproblem, dem man sich stellen muss." Erzähler: Während mehr und mehr Stämme von Staphylococcus aureus dem Penicillinangriff des Menschen widerstehen, stagniert die Entwicklung neuer Antibiotika. Jörg Hacker weist in seiner Studie auf diese gefährliche Situation hin. Zitator: "So wurde seit über 20 Jahren keine neue Substanzklasse von Antibiotika mehr entwickelt und eingeführt, es kam vielmehr nur noch zu Modifikationen und Optimierungen von schon bekannten Verbindungen. Auch dieser Trend muss gestoppt und umgekehrt werden." (Hacker, S. 47.) Erzähler: Der Kampf gegen die Krankenhauskeime erfordert mehr Einsatz in der Forschung und größere Umsicht in der Klinik. Während die Mikroben nicht ruhen und rasten und die traditionellen Antibiotika überlisten, vergrößern sich die Defizite im Bereich der klinischen Mikrobiologie. Arne Rodloff. B 3. O-Ton: Arne Rodloff MD T 1.19 "Deutschland ist in der Infektiologie Entwicklungsland. Die Grundlagenforschung, die sich mit der Entzündungsbiologie auseinander setzt, ist sicherlich gut. Aber wenn es darum geht, den Verlauf von Resistenzentwicklungen, die Bestimmung von Resistenzen, die Veränderung der Bakterienpopulationen, die solche Infektionen im Krankenhaus, aber auch außerhalb hervor rufen, dann gibt es in Deutschland nur sehr wenige Stellen, die sich damit auseinander setzen. Seit Pest und Cholera nicht mehr auftreten, meint man, dass man mit Antibiotika die Infektionen im Griff hat. Dass ist beileibe nicht so. Im Gegenteil. Wir kommen wieder in ein Zeitalter, wo es Mikroorganismen gibt, die gegen alle Antibiotika resistent geworden sind, wo wir daneben stehen und nicht wissen, wie wir diesen Infektionserreger bekämpfen sollen." Erzähler: Bakterien, wie die Staphylokokken, sind die gefürchteten Feinde der Chirurgen. Denn sie siedeln sich auch auf Implantaten an und rufen Entzündungen hervor. Die Implantatinfekte sind nicht Ausdruck schmutziger Kliniken und schlechter Chirurgen, sondern sie werden hervorgerufen, weil die Mikroorganismen höchst anpassungsfähige Lebewesen sind. Rudolf Ascherl über die bakteriellen Bösewichter, die dazu führen, dass er auch im Wichern-Haus pro Jahr ein bis zwei Patienten an einer Sepsis verliert. A 6. O-Ton: Rudolf Ascherl MD 3.25 "Die Keime sind es, die sich inzwischen unseren Maßnahmen oft entziehen. Denken Sie nur, dass es Bakterien gibt, die irgendwo im Körper schlummern, die im Blut vorbei schwimmen an einer Prothese. Und da können Sie vorher alles gemacht haben von der Desinfektion, vom Reinraum-OP bis hin zur entsprechenden Abluft und auch pereoperativen Antibiotikumgabe, die Keime sind es, die inzwischen mit ihren neuen Mechanismen und Tricks, die auch manchmal die Haut durchdringen. Obwohl wir sie desinfiziert haben, schlupfen die noch vorher durch die Haut. Sind unter der Haut. Dringen durch Hautspalten ein. Sind dann im Blut und erkennen den Fremdkörper und siedeln sich dort an. Müssen auch nicht gleich eine Infektion hervorrufen, sondern leben dort mit dem eingefrorenen Stoffwechsel. Und irgendwann einmal schlagen sie zu." Erzähler: Bei dem Fußballtrainer Joachim Steffens haben die Mikroben zugeschlagen. Anfangs schien es, dass seine Operation in Halle an der Saale erfolgreich verlaufen sei. Doch einige Monate nach dem Eingriff bildete sich eine dicke Beule in der Hüftgegend. Das deutete darauf hin, dass das künstliche Hüftgelenk von Keimen besiedelt worden war. Der Hausarzt ließ nicht locker. Er überwies den damals 56-jährigen Trainer an einen Spezialisten für septische Chirurgie, an Rudolf Ascherl vom Parkkrankenhaus in Leipzig. A 7. O-Ton: Joachim Steffens MD T 5.03 "Fakt ist: Die Prothese musste raus. Dann liegst Du eben. Dann werden solche Punkte rein gesetzt. Ob sich noch Bakterien bilden oder ob das ausgeräumt ist. Das Ganze wird druckgespült. Ich habe mir das mal erklären lassen. Bis auf das weiße Fleisch. Wird sauber gemacht. Dann wird das zugenäht. Wächst wieder zu. Ohne Hüfte. Das ist eine Tortour. Die ich eigentlich niemandem wünsche. Dann liegst Du dort im Krankenhaus. Ohne Hüftgelenk. Dann heilt das zu. Dann haben sie das neue Hüftgelenk eingebaut. Dann hoffst Du, dass alles gut geht. Wachst auf. Schaust permanent auf die Wunde. Viele Wunden heilen dann nicht zu. Die nässen und laufen und tropfen und tropfen. Ich hatte auch einen im Zimmer. Das Kuriosum ist, dass Du vor der OP eigentlich nie mit so ewas konfrontiert wurdest oder Dich damit überhaupt beschäftigt hast. Du gehst nur davon aus. Dass die Aussage die ist, danach geht Ihnen es gut. Sie werden keine Schmerzen haben. Dann triffst Du auch Leute, bevor Du den Schritt tust, wo das schon gemacht wurde. Die waren alle so begeistert. Mensch, hätte ich es mal eher machen lassen. Aber sie haben das Andere nicht erfahren, was ich erfahren habe. Das da heißt: Ein bakterieller Befall zerstört so viel. Macht manches sogar schlechter wie es vorher war." Erzähler: Die Mehrzahl der Knie- und Hüftoperationen verläuft erfolgreich. Hunderttausende Operationen bleiben ohne Komplikationen. Aber nicht jede Implantateinsetzung geht glatt. Bei ein bis zwei Prozent der Operationen treten Infektionen auf. Arne Rodloff zu den Ursachen der Entzündungen. B 4. O-Ton: Arne Rodloff MD 1.6. "Das sind dann sehr schwierige Infektionen, weil die Erreger sich einerseits auf den Implantaten fest setzen, sogenannte Biofilme ausbilden, die dann schwer mit Antibiotika zu bekämpfen sind. Es ist gar nicht so sehr der Fakt, dass das Antibiotikum nicht an den Ort des Geschehens gelangt, aber die Mikroorganismen, die hier die Infektion unterhalten, befinden sich im Ruhestadium. Im Ruhestadium wirken die Antibiotika dann deutlich schlechter. Das führt dazu, dass es chronische, langwierige Infektionen sind, die allein antibiotisch häufig nicht in den Griff zu kriegen sind. Hier muss der Chirurg das Implantat gegebenenfalls ersetzen. Das bedeutet, es muss ausgebaut werden. Es muss dann eine Zeit, ein entsprechendes Antibiotikum, ein wirksames Antibiotikum appliziert werden, bevor dann ein erneutes Implantat wieder eingesetzt werden kann. Das ist für den Patienten eine ganz schreckliche Situation und für den Chirurgen natürlich auch sehr unangenehm." Erzähler: Die septische Chirurgie, für die sich Rudolf Ascherl stark macht, erwächst aus den Erfordernissen des Kampfes gegen die höchst trickreichen bakteriellen Erreger im Allgemeinen und gegen die multiresistenten Krankenhauskeime im Besonderen. A 8. O-Ton: Rudolf Ascherl MD T 3.27 "Alleine die Zunahme der Implantationszahlen für Kunstgelenke lässt vermuten, dass auch die Zahl der Infekte zwangsläufig steigen wird. Wir brauchen Zentren, die derartige Patienten behandeln. Wir müssen die Krankenhäuser, die jetzt keine große Erfahrung haben, mittlere Kliniken und kleinere Kliniken, entlasten von diesem Problem. Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel aus dem Krankenhaus A, wenn dort ein derartiger Fall eintritt, die Verlegung geschieht und die Operateure mitkommen aus dem Krankenhaus A und ihren Patienten in einer derartigen Einrichtung weiter behandeln. Mit diesem Team in einer Klinik für spezielle Chirurgie. Damit bleibt die Patientenbindung. Damit bleiben auch ganz andere Probleme aus. Der behandelnde Arzt bleibt der Behandler. Wir entziehen dann dem Krankenhaus nichts, sondern wir helfen ihm. Wenn die Infektion beseitigt ist, kann er zurück verlegt werden." Erzähler: Zu den Initiatoren einer Klinik für spezielle Chirurgie gehört Lutz Seydlitz. In der Praxis des Orthopäden hängt ein Porträt von Peter Friedrich Matzen an der Wand, der in Leipzig die Orthopädische Universitätsklinik leitete. Die Idee, die Klinik für spezielle Chirurgie auf den Namen "Peter Friedrich Matzen" zu taufen, geht auf Lutz Seydlitz zurück. Auch er vertritt die Auffassung, dass die klinische Infektionskunde gerade durch Krankenhauserreger und durch multiresistente Keime vor neuen Aufgaben steht. Bei seinen Überlegungen über die Konturen einer Spezialklinik knüpft Lutz Seydlitz an die bewährte klinische Maxime an, dass sich ein Chirurg bei jedem Handgriff um die winzigen Keime kümmern muss. A 12. O-Ton: Lutz Seydlitz 1.12 "Deshalb zieht man bei der Operation Handschuhe an. Deshalb wird das Operationsfeld desinfiziert. Deshalb wird der Körper abgedeckt. Sodass nur das Operationsfeld frei liegt, das dann steril ist. Deshalb sind zum Beispiel OP-Schwestern ausgesprochen unangenehme Kunden, wenn sie irgendwo ungewaschene Konterbande vermuten. Wenn jemand in den Operationssaal kommt und sich nicht die Hände desinfiziert. Wenn jemand ungefragt im Operationssaal irgendetwas anfasst. Das ist sozusagen der wesentliche Punkt." Erzähler: Im Orchester der medizinischen Wissenschaften ist es die Aufgabe der klinischen Mikrobiologie, die Vielfalt und das Verhalten der Mikroben im menschlichen Organismus und im Krankenhaus zu erforschen und bei der Behandlung der Patienten zu Grunde zu legen. Im Rahmen der medizinischen Forschung wird heute in das Genom von bakteriellen Keimen hinein geschaut, um aufzuklären, durch welche Gene krankmachende Eigenschaften programmiert werden. Jörg Hacker. B 5. O-Ton: Jörg Hacker MD T 21 "Wir haben diese sogenannten Pathogenitätsinseln, die wir sogenannt haben, beschrieben. Das sind relativ große Einheiten im Genom von pathogenen Mikroorganismen, von Krankheitserregern, die übertragbar sind und die für krankmachende Eigenschaften codieren. Das kann man im Grunde so als Mikroevolution bezeichnen. Es hat sich gezeigt, dass dieses Konzept, dass das Genom heterogen ist und sich in der Evolution entwickelt hat in verschiedene Bereiche, dass das auf den gesamten Bereich der Prokaryonten und wahrscheinlich auch darüber hinaus übertragbar ist." Erzähler Prokaryonten sind zelluläre Lebewesen ohne Zellkern. Alle Bakterien sind Prokaryonten. Wie die Forschungsinstitute sind vor allem auch die Kliniken gefordert, mehr für die Abwehr der multiresistenten Keime zu tun. Es gibt Vorbilder in Europa, die aufhorchen lassen. B 6. O-Ton: Arne Rodloff MD T 1.20 "Wir brauchen gar nicht so weit zu gucken. Wenn Sie zum Beispiel in die Niederlande gehen, dann stellen Sie fest, dass das MRSA-Problem, welches hier für uns eine große Bedeutung hat, quasi nicht existent ist. Das hat damit zu tun, dass in den Niederlanden diese Infektionserreger konsequent bekämpft worden sind und alles zu ihrer Elimination getan worden ist. Die Belastung der Patienten dort ist durch diesen Infektionserreger beispielsweise ganz erheblich geringer als bei uns." Erzähler: Nicht zuletzt eine Spezialklinik für septische Chirurgie kann ein Schritt sein, den besonderen Infektionsproblemen nach Knie- und Hüftimplantationen wirkungsvoller zu begegnen. Arne Rodloff zur Idee einer Klinik, in der Chirurgen und Mikrobiologen Hand in Hand arbeiten. A 13. O-Ton: Arne Rodloff MD T 1.7. "Professor Ascherl ist orthopädischer Chirurg. Das heißt es geht ihm um Implantat-infekte. Im einzelnen sind das Implantate, die Hüften und das Kniegelenk ersetzen. Diese Operationen nehmen in Deutschland zu. Im letzten Jahr hatten wir 400.000 Patienten, die ein neues Gelenk bekommen haben. Bei diesen Patienten treten Gott sei Dank selten, aber treten eben doch mit einer Häufigkeit von ein bis zwei Prozent postoperative Infektionen auf. Diese sind äußerst schwierig zu behandeln und sollten in Zentren, wo ein Team aus klinischen Mikrobiologen und Chirurg zusammen arbeiten sinnvoll behandelt werden. Denn es ist eine langwierige Therapie für die Patienten. Das Gelenk muss ausgebaut werden. Es müssen Antibiotika gegeben werden und dann kann wieder ein neues Gelenk eingesetzt werden. Hier ist es sinnvoll im Team zusammenzuarbeiten." Erzähler: Die Spezialisierung auf die septische Chirurgie würde vor allem den betroffenen Patienten zugutekommen und ihre Chancen auf Heilung erheblich verbessern. Eine derartige Klinik, die den Kampf gegen multiresistente Keime führt, muss keine Geisterklinik sein, in der die Patienten wie im Gefängnis isoliert werden. Der Orthopäde Lutz Seydlitz. A 15. O-Ton: Lutz Seydlitz MD T 1.24 "Eben nicht. Aber die Keime werden isoliert. Man ist in der Lage, die Keime besser zu analysieren. Die Keime zu bestimmen und dann entsprechend zu vernichten. Wenn so ein Patient besucht wird, dann ist das natürlich möglich. Aber der Besucher muss dann entsprechend gekleidet sein. Mit Handschuhen, mit Schutzkleidung, mit einem Mundtuch. Weil die Keime natürlich auch aus Körperöffnungen nach draußen kommen und genauso von außen in die Körperöffnungen hinein gehen und man dann auf diesem Wege die Keime aus dem Krankenhaus heraus tragen würde." Erzähler: Der Kampf gegen multiresistente Keime ist nicht aussichtslos. Wenn klassische Antibiotika wie Penicillin nicht mehr helfen, können andere bereits verfügbare Antibiotika eingesetzt werden. Nur in seltenen Fällen tritt die Situation ein, dass keinerlei Medikamente helfen. Bei der Wahl der richtigen Medikamente werden in einer Spezialklinik jedoch klinische Mikrobiologen ihr Wissen und Können einbringen. Immerhin erfordert das Erstellen bakterieller Täterprofile eine subtile mikrobiologische Analyse. Arne Rodloff. B 7. O-Ton: Arne Rodloff MD T 1.33 "Um sinnvoll therapeutisch eingreifen zu können, müssen wir die sogenannte Kleinraumepidemiologie kennen. Wir müssen wissen, welche Erreger in unserm Krankenhaus und auf unserer Station Infektionen verursachen und welche Antibiotika an dieser Stelle noch wirksam sind. Das kann von Krankenhaus, ja sogar von Station zu Station unterschiedlich sein. Deswegen brauchen wir regelhaft Diagnostik." Erzähler: Mit einer Klinik für spezielle Chirurgie soll Neuland betreten werden. Den Infektionsproblemen beim Einsetzen künstlicher Gelenke könnte gezielt und offensiv begegnet werden. A 19. O-Ton: Rudolf Ascherl 4.6. "Dort wird man nicht bloß die operativen Möglichkeiten verbessern, nicht nur das Handwerk, sondern auch die wichtigen Begleitdisziplinen, wie zum Beispiel die Mikrobiologie, die uns schnelle Diagnostik betreiben wird, die uns auch beraten wird, welche Antibiotika zu welchem Zeitpunkt vor Ort und über die Venen oder über den Magen-Darm-Trakt gegeben werden müssen, damit wir rasch diese Infektion in den Griff kriegen. Da werden auch spezielle Anästhesisten gebraucht. Dort wird die Pflege gefordert sein, besonderes Wundmanagement zu betreiben. Dort wollen wir dann auch neue Stationen einrichten, weil die Patienten ja Langlieger sind im Krankenhaus. Oft sind die Patienten acht Monate bei uns. Manchmal sogar noch länger. Dass dort auch erstensmal die Verwandten besser besuchen können. Und zweitens nicht jeden Tag ein hoher Aufwand betrieben wird von Personal mit Arzt und mit Spezialschwestern und Physiotherapie, sondern dass wir den Arzt eher raus nehmen und eher eine psychologische Betreuung schaffen und natürlich ein richtiges Wundmanagement. Aus solchen Stationen, die auch personell anders bestückt sind, kann der Patient auch wieder zurück geführt werden zum Eingriff. Und wenn die erste postoperative Phase vorbei ist und der Patient sich erholt hat, kann er wieder in so einem Interimspflegebereich zurück. Das sind alles neuartige Krankenhaus-strukturen abgestimmt auf solche Patienten." Erzähler: Die septische Chirurgie ist ein Gebiet im Aufbruch. Wenn Fachleute aus der Chirurgie, der Bakteriologie und der Immunologie intensiver zusammen arbeiten, könnte es in Zukunft gelingen, den gefährlichen Keimen zuvor zu kommen. Frank Emmrich ? er leitet das Institut für Klinische Immunologie der Universität Leipzig und das Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie - ist in der klinischen Forschung stark engagiert. Im Fraunhofer Institut wird auch an Strategien gearbeitet, künstliche Gelenke in Zukunft keimfrei zu halten. A 20. O-Ton: Frank Emmrich MD T 4.12 "Orthodpädische Operationen sind Operationen, bei denen sehr große Wundflächen entstehen, die meistens auch recht lange dauern, wenn zum Beispiel künstliche Kniegelenke oder künstliche Hüftgelenke eingesetzt werden müssen. Damit steigt natürlich auch das Infektionsrisiko. Und wenn Infektionskeime in diesen Wunden sich breit machen, dann ist manchmal die Erfahrung nicht in allen Kliniken groß genug, um damit im Interesse des Patienten richtig umgehen zu können und letztendlich diese Wunden zu heilen und die Infektionserreger zu besiegen. In dieser Richtung gibt es auch eine Reihe von Neuentwicklungen. Wir im Fraunhofer-Institut IZI in Leipzig entwickeln unter anderem antibakterielle Peptide, mit denen Implantate beispielsweise, Materialien beschichtet werden können, um von vornherein der Bakterienbesiedlung vorzubeugen. Solche neuen Ansätze können natürlich auch in einer Klinik vor Ort dann zum Tragen kommen." Erzähler: Die Forscher vom Fraunhofer-Institut in Leipzig erproben kleine Moleküle, mit denen man zum Beispiel Verpackungsmaterial für Lebensmittel, aber zum Beispiel auch die Metalloberfläche eines künstlichen Gelenkes beschichten kann. Durch die Beschichtung soll verhindert werden, dass sich Bakterien dort ansiedeln, wo keine Infektionen entstehen sollen. Aber auch wenn dieser Ansatz klinische Reife erlangt, wird ein Zentrum für septische Chirurgie nicht überflüssig sein. Denn auch außerhalb des Marklagers des Patienten ? wie zum Beispiel im Bindegewebe oder im Fettgewebe und somit im ganzen Körper - können nach einer Implantation Infektionsherde entstehen. - Deutlich wird: Die bakteriellen Erreger, die Implantate in Krankheitsherde verwandeln, lassen sich ohne klinische Forschung nicht überlisten. Soll aus der Idee einer Peter-Friedrich-Matzen-Klinik Realität werden, muss ein Zentrum entstehen, das einen soliden Rückhalt in der medizinischen Forschung besitzt. Rudolf Ascherl über die Verknüpfung der guten, alten Chirurgie mit neuen Gebieten wie der Stammzellforschung. A 21. O-Ton: Rudolf Ascherl MD T 3.21 "Also Stammzelltechnologie zum Teil dann, wenn wir Zellen im Immunsystem so beeinflussen könnten, dass sie gerade die Killer für die Killer werden. Das kann man sich vorstellen. Aber wenn wir dieses Fachgebiet erweitern in die Gentechnologie, kann ich mir sogar vorstellen, dass wir irgendwann auch Bakterien haben, die die anderen Keimen oder Bakteriophagen, die die anderen Keime bekämpfen oder vielleicht auch irgendwann einmal eine Impfung möglich ist gegen derartige Bakterien oder vielleicht Beschichtungen für Prothesen, dass die gar nicht überleben können an der Oberfläche, an der Fremdkörperoberfläche. Es gibt immer wieder in allen diesen genannten Fachgebieten Ansatzpunkte zur verbesserten Behandlung. Aber eine solche Klinik könnte auch, weil das Krankengut vorhanden ist, ein hohes Forschungspotential aufweisen." Zitierte Literatur: Jörg Hacker: Menschen, Seuchen und Mikroben. Infektionen und ihre Erreger. Verlag C. H. Beck. München 2003. 1